Wege zur Gewaltfreiheit

Wege zur Gewaltfreiheit

Eine Praxisstudie zur Friedensarbeit

von Ilona Auer-Frege

Bei dem folgenden Beitrag handelt es sich um den leicht überarbeiteten Einleitungsbeitrag zu einer Studie, die 31 Fallbeispiele der Zivilen Konfliktbearbeitung systematisch dokumentiert. Die Studie erscheint im November im Büttner-Verlag unter dem Titel »Wege zur Gewaltfreiheit«.

Der Zivile Friedensdienst (ZFD)

Ausgehend von Pilotprojekten und unterstützt durch die nordrhein-westfälische Landesregierung richtete die 1998 neu gewählte rot-grüne Bundesregierung im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung BMZ die neue Förderlinie »Ziviler Friedensdienst« (ZFD) ein. Unter diesem Siegel werden heute Projekte der anerkannten Entsendedienste Deutscher Entwicklungsdienst (DED), Arbeitsgemeinschaft Entwicklungshilfe (AGEH), Evangelischer Entwicklungsdienst (EED), Weltfriedensdienst (WFD), EIRENE – Internationaler Christlicher Friedensdienst e.V., Dienste in Übersee (DÜ), KURVE Wustrow/Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden (AGDF), Forum Ziviler Friedensdienst (forumZFD) sowie peace brigades international (pbi) finanziell gefördert – Projekte, die ausdrücklich Friedensförderung und gewaltfreie Konfliktbearbeitung mit nicht-militärischen Mitteln durch entsandte europäische Friedensfachkräfte zum Inhalt haben. In den zehn Jahren seines Bestehens (1999-2009) entsandte der ZFD nach eigenen Angaben 570 Fachkräfte in 50 Länder. Derzeit sind 241 Friedensfachkräfte in 44 Ländern im Einsatz. Im Haushaltsjahr 2009 ist die Jahresfördersumme von 19 Mio. Euro (2008) auf über 30 Mio. Euro angestiegen.

Siehe auch:
www.ziviler-friedensdienst.org.

Das Spektrum der Friedensarbeit in Deutschland ist weit gefächert. Dies gilt nicht allein für die Organisations- und Kooperationsformen und die Komplexität der Aufgabenfelder, sondern auch für die ethisch-religiöse bzw. politisch-moralische Ausrichtung der Akteure. So liegt die Friedensarbeit nicht nur in den Händen von Institutionen unter staatlicher Trägerschaft, sie wird auch von zahlreichen Nichtregierungsorganisationen vorangebracht: Kirchliche Organisationen, politische Parteien und Stiftungen sowie privat geführte zivilgesellschaftliche Institutionen geben den Ton an.

Gegenwärtig setzt die innergesellschaftliche Friedensarbeit in Deutschland selbst ihre Schwerpunkte bei Bildungs- und Jugendprojekten, Versöhnungsinitiativen, der Aufarbeitung des Nationalsozialismus und Anti-Gewalt-Trainings. Zudem geht es darum, die interkulturelle Kommunikation und die Integration von Migrantinnen und Migranten zu fördern. Die nicht-militärische Friedensarbeit im Ausland ist größtenteils an Projekte und Träger der Entwicklungszusammenarbeit gekoppelt.

Nach dem Ende des Kalten Krieges brachen neue internationale Konfliktszenarien hervor, wie zum Beispiel die Balkankriege, die Golfkriege und die andauernden Brennpunkte der Gewalt in Afrika (Sudan, Angola, Liberia, Kongo, Äthiopien). Damit stand die Friedensarbeit auch Deutschlands vor gewaltigen Herausforderungen. Seit dem Völkermord in Ruanda, der 1994 innerhalb von drei Monaten ca. 800.000 Menschen das Leben kostete, war die gesamte westliche Entwicklungszusammenarbeit um ihr bis dahin unangefochtenes Selbstverständnis gebracht. In Deutschland, den USA und Skandinavien setzte sich die Szene daraufhin intensiv mit der Frage auseinander, inwieweit ihre Förderungsanstrengungen in Krisenregionen sogar Konflikte verschärfend oder verlängernd gewirkt haben könnte.

Die immer noch aktuelle Debatte kreist(e) um den so genannten »Do No Harm«-Ansatz, den Mary B. Anderson in ihrem wegweisenden gleich lautenden Buch (1996) entwickelt hatte. Fortan suchten die Akteure der professionellen Entwicklungszusammenarbeit nach konfliktsensitiveren Instrumentarien.

Diese notwendige Selbstreflexion innerhalb der internationalen zivilen »Friedensszene« brachte auch für die deutsche Friedensarbeit ein fundamental neues Selbstverständnis. Zahlreiche Förderprogramme zur zivilen und gewaltfreien Konfliktbearbeitung wurden und werden seither von staatlicher Seite initiiert. Ein Erfolg versprechendes Beispiel ist der Zivile Friedensdienst, der seit 1999 besteht und Fachkräfte in internationale Projekte zu Gewaltfreiheit und konstruktiver Konfliktbearbeitung einbindet.

Die Friedensarbeit in Deutschland geht neue Wege

Bis zur Jahrtausendwende wurden Friedensinitiativen staatlicherseits fast ausschließlich als diplomatische oder militärische Aufgaben, z.B. im Rahmen der Unterstützung von NATO, Vereinten Nationen oder OSZE-Missionen, interpretiert. Das Auswärtige Amt setzt seit 1998 mit dem Projekt »zivik – Zivile Konfliktbearbeitung«1 neue Akzente. Mit einem, gemessen an militärischen Ausgaben, kleinen Fonds werden Initiativen in Krisenregionen gefördert und dabei auch die programmatischen Linien der zivilen und gewaltfreien Konfliktbearbeitung, Krisenprävention und Friedensförderung verfolgt.

In noch größerem Ausmaß als das Auswärtige Amt engagiert sich das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) für die staatliche Förderung von Friedensprojekten, allen voran der bereits erwähnte Zivile Friedensdienst, der sich ausdrücklich als „neues Instrument der Entwicklungszusammenarbeit“ versteht.

Friedensarbeit in Deutschland hat mit der Einrichtung staatlich-zivilgesellschaftlicher Strukturen und Förderinstrumentarien einen starken Aufschwung und eine enorme Professionalisierung erfahren. Schon vor diesem Zeitpunkt hatten Kirchen und Bürgerinitiativen innerhalb Deutschlands methodische Grundsteine gelegt und Wissen angesammelt und so die Grundlagen für eine ausgedehnte Projektarbeit im Ausland aufgebaut. Einen guten Überblick über die konkrete Friedensarbeit der in Deutschland tätigen Organisationen, Stiftungen und Bürgerinitiativen bietet die Website der »Plattform Zivile Konfliktbearbeitung» (www.konfliktbearbeitung.net). Als Netzwerk der Nichtregierungsorganisationen (NRO) und einzelner Akteure übernimmt sie seit 1998 die Aufgabe, den Informationsaustausch untereinander, die Öffentlichkeitsarbeit, die politische Vertretung und das Lobbying für die gewaltfreie Zivile Konfliktbearbeitung zu befördern.

Die Studie »Wege zur Gewaltfreiheit«

Trotz aller Erfolge der Implementierung ist das methodische Instrumentarium der Zivilen Konfliktbearbeitung längst nicht ausgereift. Wie so oft entwickelt sich das zivilgesellschaftliche Handeln eher diffus, dezentral an vielen kleinen Orten, mit unterschiedlichsten Anknüpfungspunkten und Wirkungsbezügen. Umso sinnvoller ist es, den Akteuren der Friedensarbeit bei ihrer konkreten Projektarbeit über die Schulter zu schauen und dabei konkret zu lernen, welche Methoden praxistauglich sind und im Sinne einer nachhaltigen Friedens- und Entwicklungsförderung funktionieren können.

Es erschien mir daher nahe liegend und notwendig, die sich ausdifferenzierte Praxiserfahrung mittels einer vorstrukturierten Methodenstudie zu erörtern. Hieraus ist eine für Kenner und Nichtkenner der Friedensszene hoffentlich lesenswerte Publikation entstanden, geschuldet meinem durch vielfältige Tätigkeit in der Zivilen Konfliktbearbeitung hervorgerufenen Wunsch, das Thema stärker ans Licht der Öffentlichkeit zu bringen.

»Weg zur Gewaltfreiheit« soll einen Überblick über den aktuellen Stand der deutschen Friedensarbeit im Inland und Ausland bieten und aufzeigen, wie die Projektträger auf Schwerpunktthemen der Konfliktbearbeitung eingehen. Die einzelnen Fallbeispiele sollen auch Anregung für Projektplanerinnen und -planer sowie für Friedensfachkräfte vor Ort bieten, mit dem Ziel, deren Arbeitsinstrumentarium zu bereichern. Dennoch bleibt offensichtlich: Jede Konfliktsituation, jede Zielgruppe, jede Region und jede Organisation ist anders. Dies erfordert maßgeschneiderte Ansätze und kontextabhängige Arbeitsmethoden. Hier werden keine Rezepte vorgestellt, die sich in jeder Umgebung nachahmen lassen. Stattdessen möchte die Studie aufzeigen, wie weit sich die Friedensarbeit deutscher Institutionen in den letzten Jahren entwickelt hat, und damit Inspiration und Reflexionsstoff für die eigene Arbeit bieten.

Auswahl und Dokumentation der Fallbeispiele

Im Jahr 2007 schrieb ich über 40 deutsche Organisationen an, die sich im In- und Ausland in irgendeiner Form professionell für zivile Konfliktbearbeitung, Gewaltfreiheit und Versöhnung einsetzen. Sie wurden gebeten, aus ihrem Arbeitsbereich solche Projektansätze und Methoden auszusuchen, die sie für besonders wirkungsvoll und lehrreich für andere Fachkräfte hielten. Es ging nicht darum, ganz besondere Glanzstücke der eigenen Projektpraxis ins Rampenlicht zu rücken, sondern es sollte deutlich werden, wie stockend, scheiternd und neu beginnend Friedensarbeit sein kann. Viele Projekte haben eine langjährige Vorgeschichte, wurden mehrfach neu konzipiert und immer wieder dem Bedarf ihrer Zielgruppen angepasst, bis sie wirklich funktionierten. Alle beteiligten Organisationen ließen sich darauf ein, auch diese Aspekte ihrer Arbeit offen mitzuteilen, um somit andere von ihren Erfahrungen profitieren zu lassen.

Über ein Jahr lang wurden schließlich Projektunterlagen, Bilder, Berichte und Evaluierungen zusammengetragen. Dazu kamen Interviews mit Projektleiterinnen und Projektleitern, lokalen Fachkräften, Koordinatorinnen und Koordinatoren und Projektteilnehmenden. Aus diesem Material entstanden die 31 Projekttexte, die jeweils nur ein Schlaglicht auf einen aktuellen Ist-Zustand der Arbeit werfen können. Viele der Projekte haben noch weitaus mehr Facetten und Arbeitsfelder als in diesem begrenzten Rahmen aufgezeigt werden können.

Kategorien der Friedensarbeit

Schwieriger als gedacht gestaltete sich die Aufgabe, die vorgestellten Projekte inhaltlich zu kategorisieren und Kriterien zu finden, welche die jeweiligen Schwerpunkte abbilden. Gilt ein Schulprojekt mit Theaterarbeit als Kunst- oder Bildungsarbeit? Ist Traumabearbeitung bei ehemaligen Kombattanten mit integrierter Berufsausbildung ein medizinisch-psychologischer Ansatz oder geht es dabei eher um Einkommensförderung?

Dennoch ließen sich einige Kategorien finden, die zumindest die Kernaufgaben der heutigen zivilen Friedensarbeit umreißen und ein erstes Angebot zur Systematisierung darstellen:

Reintegration ehemaliger Kombattanten

Demobilisierte Soldaten verkörpern in vielen Krisenregionen ein besonderes Konfliktpotenzial. Oft kennen sie nur die Waffe als Mittel zum Einkommenserwerb, sind durch ihre Vergangenheit traumatisiert und werden von ihrer Herkunftsgemeinde gefürchtet oder abgelehnt. Deshalb geraten viele dieser ehemaligen Kämpfer schnell in die Hände von Sicherheitsfirmen oder finden sich in mafiösen Strukturen, im Drogenhandel oder in anderen paramilitärischen Vereinigungen wieder. Wer ehemalige Kombattanten auffängt, behandelt und ihnen eine positive Zukunftsperspektive ermöglicht, leistet einen wichtigen Beitrag zur Befriedung in besonders von Krieg und Gewalt betroffenen Gesellschaften.

Schutzräume zur Verfügung stellen

In Gesellschaften, die unter staatlicher Repression oder den negativen Begleiterscheinungen eines Bürgerkrieges leiden, können Aktivistinnen und Aktivisten, Menschenrechtsorganisationen, unabhängige Bürgerinitiativen oder Organe der Zivilgesellschaft selten unbehelligt arbeiten. Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden bedroht, entführt oder ermordet, oft ohne dass die Täterinnen und Täter juristische Konsequenzen befürchten müssten. In dieser Situation können begleitende Organisationen die internationale Aufmerksamkeit für die Bedrohten herstellen und durch persönlichen Schutz deren Arbeit unterstützen.

Medienarbeit

Medien und Journalistinnen und Journalisten haben in Krisenregionen oft einen erheblichen Einfluss auf die Konfliktparteien. Sie können diesen missbrauchen und damit gewollt zur Eskalation beitragen. Sie können aber auch von Friedensorganisationen in einem ethischen und unabhängigen Reportagestil unterstützt werden und damit einen verantwortungsvollen Beitrag zur Informationsvermittlung, zum Abbau von stereotypen Feindbildern und zur Friedenserziehung leisten.

Traumabearbeitung

Durch Gewalterfahrungen traumatisierte Menschen leiden oft lebenslang schwer unter ihren körperlichen und seelischen Wunden. Friedensprojekte können dazu dienen, dass diese Menschen bei der psychologischen Aufarbeitung begleitet werden. Ihnen kann dabei geholfen werden, aus der Opferrolle herauszutreten und den erlebten Konflikt zu bewältigen, eine Arbeit, die sich auch positiv auf ihr gesamtes Umfeld auswirkt. Damit erhält Traumabearbeitung neben der individuellen Hilfe auch eine gesellschaftliche Dimension.

Mediation und Dialog

Wo Justiz nur mangelhaft funktioniert oder Konflikte weniger staatlich-rechtlichen denn kulturellen, ethnischen oder traditionellen Ursprungs sind, können Mediatorinnen und Mediatoren dabei helfen, Gewalt zu vermeiden und Konflikte rasch, unbürokratisch und für alle Parteien befriedigend beizulegen. Mediation ist auf Ausgleich bedacht, allparteilich, kann der Bevölkerung leicht zugänglich gemacht werden und vermittelt eine Kultur der gewaltfreien und konstruktiven Konfliktlösung.

Methodenvermittlung auf Graswurzelebene

In kriegsbetroffenen Gesellschaften gilt oft seit Jahrzehnten das Recht des Stärkeren. Gewalt und Gegengewalt werden zu dominierenden Handlungsmustern in der Bevölkerung. Friedensprojekte helfen dabei, traditionelle Instrumente zur friedlichen Konfliktbeilegung wieder zu beleben und neue Methoden wie Mediation, gewaltfreie Kommunikation oder Ausgleichsmechanismen gesellschaftlich zu integrieren.

Methodenvermittlung auf institutioneller Ebene

Auch in vielen von gewaltsamen Konflikten geprägten Gesellschaften gibt es gewaltfreie Nichtregierungsorganisationen und Friedensgruppen. Diese können dabei unterstützt werden, ihre unterschiedlichen zivilgesellschaftlichen Beiträge zur Friedensförderung zu bündeln, sich zu vernetzen und sich untereinander zu verständigen, um möglichst professionell und effizient zu arbeiten.

Kunst als Friedensmedium

Wo rein intellektuell und kognitiv angelegte Ansätze auf Grenzen stoßen, da können kunst- und insbesondere theaterpädagogische Methoden erstaunliche Erfolge erzielen. Sie öffnen den Zugang zu »schwierigen« Zielgruppen, bauen Hemmschwellen für die Mitarbeit in Friedensprojekten ab und machen die Inhalte der Gewaltfreiheit ganzheitlich erfahrbar.

Förderung von Rechtsstaatlichkeit und Justiz

Wo Krieg den Alltag bestimmt, entsteht nicht selten eine »Kultur der Gewalt«, in der der Staat als Ordnungsmacht versagt und damit auch die Justiz ihre Aufgaben nicht ausreichend wahrnimmt. Friedensprojekte können dazu beitragen, dass Richterinnen und Richter, Anwältinnen und Anwälte und Gefängnispersonal ausgebildet werden und Gefangene Rechtsbeistand erhalten, Gesetzesreformen eingefordert und Wahrheitskommissionen einberufen werden. Insgesamt geht es im Rahmen der Friedensarbeit darum, eine verbesserte Rechtskultur zu vermitteln.

Jugendarbeit

Mitunter bestehen Konflikte schon seit Jahrzehnten und werden von Generation zu Generation weitergegeben. In vielen Krisenregionen besteht die Bevölkerung zu einem Großteil aus Menschen unter 25 Jahren. Jugendliche Zielgruppen sind oft eher bereit, erlernte Konfliktmuster zu reflektieren und andere Handlungsmöglichkeiten zu finden, die sie später auch an die nächsten Generationen vermitteln. Daher kommt der Jugendpädagogik ein besonderer Stellenwert in der Friedensarbeit zu.

Zivilgesellschaft organisieren

Ohne eine Zivilgesellschaft, in der sich die Menschen organisieren und gemeinsam ihre Interessen formulieren, ist eine gewaltlose Konfliktlösung kaum denkbar. Egal, ob sich das zivilgesellschaftliche Engagement gegen staatliche Maßnahmen oder gegen das Verhalten von Konfliktgruppen richtet, Friedensprojekte tragen dazu bei, dass die Bevölkerung in Krisenregionen in Selbsthilfeinitiativen zusammenfindet. Es geht darum, Strukturen aufzubauen, mit denen Defizite des Staates und der Gesellschaft ausgeglichen werden können: Die Menschen sollen ihre Belange selbst aktiv und dennoch gewaltfrei vertreten und durchsetzen können.

Die Rolle von NROs, Gebern und Fachkräften in der Zivilen Konfliktbearbeitung

In der Friedensarbeit ist, vielleicht noch mehr als in anderen Sparten der Bildungs- oder Entwicklungsarbeit, eine klare Rollendefinition der beteiligten Parteien notwendig. Alle an der Studie teilnehmenden Organisationen betonen, dass sie mit ihren Angeboten nur begleitende und unterstützende Funktionen einnehmen wollen. Gleichwohl wissen sie, dass sie die Verantwortlichkeiten und die Initiative der Zielgruppen zur Selbsthilfe (die so genannte »ownership«) übernehmen oder ersetzen können. Jedoch nur wenn die Betroffenen die Inhalte und Ziele der Projekte annehmen und sich mit diesen so weit identifizieren, dass sie selbst aktiv und engagiert handeln, kann die Projektarbeit tatsächlich zu persönlichen und gesellschaftlichen Veränderungen führen. Konkret bedeutet dieser Ansatz, dass Projekte oft eine lange Vorlaufzeit benötigen, in der die Bedürfnisse der Betroffenen wie auch die Hintergründe und Konstellationen im Konflikt genau analysiert werden müssen. Ohne enge Kontakte zu den Zielgruppen entsteht kein Vertrauensverhältnis, das die Basis für tief greifende Veränderungen darstellt.

Im Projektprozess bemühen sich die meisten Organisationen sehr darum, nicht selbst in den Friedensprozess einzugreifen. Als allparteiliche, unterstützende Institution wollen sie helfen und begleiten – ohne die Richtung zu dominieren. Friedensprojekte stellen Strukturen und Ressourcen zur Verfügung, die es den Menschen leichter machen, alternative Handlungsweisen auszuprobieren und sich zu verändern: Sie schaffen ein konstruktives Umfeld, ein »environment for peace«, stärken die positiven Elemente (connectors) im Konflikt und grenzen sich von den negativen Faktoren (dividers oder spoilers) ab. Für die Friedensfachkräfte bedeutet dies auch, sich immer wieder zurücknehmen zu müssen bzw. sich nicht instrumentalisieren oder vereinnahmen zu lassen. Für sie ist es wichtig, ihr Fachwissen und ihre materiellen Ressourcen mit ihren Partnerorganisationen und Teammitgliedern zu teilen, ohne selbst aktiv in den Konflikt einzugreifen. Dies kann eine schwierige Gratwanderung bedeuten, belässt aber auf jeden Fall die Verantwortung, aber auch die Gewinne aus den Transformationsprozessen bei den Betroffenen.

Erkenntnisse dieser Materialsammlung

Die Analyseergebnisse der Fallbeispiele und die vielen Gespräche mit den Aktiven in den Projekten – den Koordinatorinnen und Koordinatoren, Projektleiterinnen und Projektleitern und Fachkräften – lassen sich in fünf Thesen zusammenfassen. Diese zeigen auf, welche Herausforderungen für Friedensarbeit heute bestehen und an welche Bedingungen sie geknüpft sind:

Friedensarbeit braucht Zeit

Die Förderdauer ist, vor allem bei Projekten in Krisenregionen mit jahrzehntelanger Konfliktgeschichte, oft viel zu kurz bemessen. Die Vertrauensbildung und der Aufbau von Arbeitsstrukturen benötigen mitunter Jahre, bis sie tragfähig sind und Wirkung zeigen. Ohne lokale Partnerorganisationen, die mit den Menschen vor Ort lange Zeit zusammengearbeitet haben und ihre Bedürfnisse kennen, ist es noch schwieriger, einen engen und belastbaren Kontakt herzustellen. Hier sind vor allem die staatlichen Geberstrukturen aufgefordert, diesem Bedarf Rechnung zu tragen. Die übliche Förderdauer für Projekte liegt heute bei einem, maximal drei Kalenderjahren. Damit lassen sich weder langfristige Basisarbeit noch intensive Interventionen finanzieren, die notwendig sind, um tatsächlich nachhaltig zu wirken.

Friedensarbeit ist schwer vergleichbar

Der Versuch, Projektarbeit nach ihrer Wirkung zu beurteilen, ist sinnvoll und legitim. Wenn Steuergelder in Millionenhöhe in die Friedensarbeit fließen, sollte dies auf möglichst effiziente und nutzbringende Weise geschehen. Da jedes Projekt individuell auf seinen ganz besonderen Kontext zugeschnitten ist, fällt es schwer, allgemeingültige und vergleichbare Kriterien aufzustellen. Dennoch sollten im Interesse der Qualitätsförderung Wege zur Messung und Bewertung der Projektarten gefördert werden. PCIA (Peace and Conflict Impact Assessment)2 ist ein langsam an Qualität gewinnender Versuch, dieser Notwendigkeit zu entsprechen.

Friedensarbeit muss lernen dürfen

Das relativ abrupte Einsetzen des Zivilen Friedensdienstes 1999, mit einer sehr hohen Anzahl von Projekten innerhalb von nur wenigen Jahren, bedeutet eine sehr kurze Zeit für das Sammeln von Erfahrungen. Internationale Friedensprojekte, aber auch Bildungs- und Gewaltfreiheitsprojekte in Deutschland, brauchen Zeit und Lernanreize, um ihre Methoden weiterentwickeln zu können.

Wir sind es gewohnt, militärische Methoden der »Friedensschaffung« oder »Friedenssicherung« mit Kosten in Milliardenhöhe scheitern zu sehen. Friedensprojekte, die im Vergleich dazu mit nicht einmal einem Prozent der bundesstaatlichen Fördermittel ausgestattet sind, stehen unter einem viel höheren Erfolgsdruck. Dabei leisten gerade sie einen hochgradig spezialisierten und engagierten Beitrag, indem sie auf ständig wechselnde Umweltfaktoren flexibel reagieren und sich ihren Aufgaben mit immensem persönlichem und institutionellem Einsatz verschreiben. Im Sinne der weiteren Qualitätssteigerung der zivilen Konfliktbearbeitung ist hier noch ein langjähriger Erfahrungsaustausch nötig. Die Erfahrungen aus der Projektarbeit, und dies gilt auch für gescheiterte oder nicht vollständig erfolgreiche Projekte, sollten offen und ohne gegenseitige Schuldzuweisungen diskutiert werden. Innerinstitutionelle Lernprozesse, aber auch Netzwerke und gegenseitiger Austausch, unterstützen das Wachstum von Wissen und Sachkompetenz in der Friedensarbeit.

Friedensarbeit muss kohärent sein

Vor allem im Rahmen der internationalen Interventionen fordert die Bundesregierung mit Recht eine »Entwicklungszusammenarbeit aus einem Guss« – ohne Doppelungen oder Lücken im Angebot. Vernetzung ist daher ebenso nötig wie eine ernst gemeinte Zusammenarbeit, in der sich die deutschen und internationalen Organisationen intensiv darüber abstimmen, wo Förderbedarf besteht und wie sie ihre Projektarbeit nutzbringend koordinieren können. Konkurrenzdenken oder schlechte Vorbereitung von Projekten schaden einer bedarfsgerechten Angebotsstruktur und damit den Betroffenen in den Konfliktregionen. In der internationalen Friedensarbeit hat sich auch die Anbindung an klassische Entwicklungsprogramme bewährt. Statt Friedens- und Ernährungssicherungsprojekte als unabhängige oder gar konkurrierende Ansätze zu verstehen, macht es viel mehr Sinn, Friedensarbeit auch als Querschnittsaufgabe in die konventionelle Entwicklungs- und technische Zusammenarbeit einzubinden. Friedensprojekte können in Konfliktregionen die Voraussetzungen dafür schaffen, dass weitere Investitionen in Entwicklungsprojekte Erfolg versprechend sind. Umgekehrt ist es sinnvoll, die langjährigen Vertrauensbande, die durch Entwicklungsarbeit entstanden sind, zu nutzen, um mit den gleichen Zielgruppen zusätzlich über Gewaltfreiheit und konstruktive Konfliktlösung ins Gespräch zu kommen.

Auf die Zivilgesellschaft kommt es an

Diese Studie stützt sich auf die Beobachtung, dass es in der Friedensarbeit immer stärker um Bildungsarbeit, Förderung von Nichtregierungsorganisationen und deren Vernetzung geht, wobei gerade die NRO in Krisenregionen einen Gegenpol zu versagender oder zu totalitärer staatlicher Macht darstellen. Das schließt Projekte, die gezielt Regierungen fördern, nicht aus, insofern die NRO diese auch dazu ermutigen, mehr Zivilgesellschaft zuzulassen.

Es wird mit wachsender Erfahrung immer deutlicher, dass in der Friedensarbeit nachhaltige Erfolge dort erzielt werden, wo die Bereitschaft zu Dialog und gegenseitiger Akzeptanz unmittelbar in der Bevölkerung verankert ist. Erst wenn auch das Wissen über gewaltfreie Wege der Konfliktlösung allgemein verbreitet ist, kann Frieden Teil des Alltags werden. Denn eine Gesellschaft, in der die Interessen der Menschen durch selbst gebildete Organisationen, Medien, Vereine oder Interessengruppen vertreten werden, kann auf gewaltsame Mittel zu deren Durchsetzung verzichten. Der Aufbau zivilgesellschaftlicher Strukturen, innerhalb derer die einzelnen Akteure darin geschult sind, ihre Anliegen konstruktiv und erfolgreich zu vertreten, scheint der Schlüssel für eine nachhaltige Friedensarbeit zu sein.

Anmerkungen

1) Siehe hierzu http://www.ifa.de/foerderprogramme/zivik sowie den Artikel von Rainer Nolte, »Muss Subsidiarität sein? Optionen der staatlich-zivilgesellschaftlichen Zusammenarbeit« in dieser Ausgabe von W&F.

2) Siehe z.B. den Ansatz von Thania Paffenholz und Luc Reychler oder die »Methodical Guidelines for Peace and Conflict Impact Assessment« der Friedrich- Ebert-Stiftung unter www.Frient.de/downloads/PCIAGuidelines.pdf, 9.11.2009.

Dr. Ilona Auer-Frege ist Koordinatorin des Ökumenischen Netzes Zentralafrika.

Mediation und Dialog

Mediation und Dialog

Trainings in gewaltfreier Kommunikation in Sierra Leone

von Ilona Auer-Frege

Beispielhaft für die von Ilona Auer-Frege in der Studie »Wege zur Gewaltfreiheit» untersuchten Projekte der Zivilen Konfliktbearbeitung (siehe separater Artikel in dieser Ausgabe von W&F) wird hier ein Projekt des Evangelischen Entwicklungsdienstes (EED) in Sierra Leone vorgestellt. Das Projekt dauerte von 2002 bis 2005. Es wurde zusammen mit der lokalen Partnerorganisation Sierra Leone Adult Education Association (SLADEA) durchgeführt. Finanziert wurde es über Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung / Ziviler Friedensdienst.

Das westafrikanische Land Sierra Leone ist sehr reich an Bodenschätzen (Bauxit, Rutil, Diamanten) und natürlichen Ressourcen (Tropenholz, Fisch), von deren Gewinnen auch nach der Unabhängigkeit im Jahre 1961 nur die herrschende Minderheit und ausländische Konzerne und Nationen profitierten.

Von 1991 bis 2002 herrschte in Sierra Leone ein Bürgerkrieg, der mehr als 50.000 Menschen das Leben kostete, über zwei Millionen zu Flüchtlingen machte und der Mehrheit der Bevölkerung physischen und/oder psychischen Schaden zufügte. Nach Schätzungen war ein Drittel der ehemaligen Bevölkerung während der Kriegsjahre intern oder extern vertrieben. Große Teile des Landes waren buchstäblich entvölkert, während die Hauptstadt Freetown und die westliche Provinz mit der Zuwanderung heimatloser Menschen völlig überfordert waren. Tausende lebten in Flüchtlingslagern, wo sie von der Unterstützung humanitärer Organisationen oder dem guten Willen von Familienmitgliedern abhängig waren.

Mittlerweile sind die meisten Menschen zurückgekehrt und konnten sich mit internationaler Hilfe wieder ein bescheidenes Zuhause aufbauen. Im Jahr 2002 wurden 72.000 Exkombattanten entmilitarisiert; der stufenweise Abbau der 17.500 UN-Soldaten war im Januar 2006 abgeschlossen. Fünf Jahre nach Bürgerkriegsende war Sierra Leone weiterhin durch extrem hohe Arbeitslosigkeit, Drogenmissbrauch, Analphabetentum und Militarisierung mit einhergehender Verbreitung von Kleinwaffen gezeichnet. Laut dem »Human Development Report« von 2005 rangierte Sierra Leone auf Platz 176 von 177 der am wenigsten entwickelten Länder der Welt. Soziale Einrichtungen, Krankenstationen oder Bildungseinrichtungen sind völlig unzureichend ausgestattet: Für je 100.000 Menschen gibt es nur sieben Ärzte, 284 von 1.000 Kindern sterben, bevor sie das fünfte Lebensjahr erreicht haben, und ungefähr jede fünfzigste schwangere Frau stirbt während der Schwangerschaft oder bei der Geburt ihres Kindes. Über 60 Prozent der arbeitsfähigen Bevölkerung sind arbeitslos, etwa 65 Prozent der Bevölkerung können weder lesen noch schreiben, für etwa 70 Prozent der Einwohner liegt der Durchschnittsverdienst bei 1-2 US$ pro Tag. Die aus diesen Missständen resultierende Frustration der benachteiligten Bevölkerungsschichten, insbesondere die Perspektiv- und Orientierungslosigkeit von Jugendlichen, schürt ein gesellschaftliches Klima der alltäglichen Gewalt und Rechtlosigkeit.

Der Projektansatz

Die lokale Organisation SLADEA bietet seit 1978 nonformale Bildungsprogramme mit den Schwerpunkten Alphabetisierung, Gesundheit, Hygiene, Umwelt- und Ressourcenschutz sowie die Vermittlung handwerklich-beruflicher Fertigkeiten an. Die Nichtregierungsorganisation ist eine landesweit bekannte Institution der Erwachsenenbildung, die vor allem die Menschen erreicht, die von formalen Bildungsangeboten ausgeschlossen sind, und ihnen einen Bildungsabschluss ermöglicht.

2002 wurde in einer Projektpartnerschaft zwischen EED und SLADEA mit einem Friedensdienstprojekt begonnen. Die eingesetzte Friedensfachkraft konnte sich den Bekanntheitsgrad und das Vertrauen, das SLADEA in der Bevölkerung genießt, von Anfang an für ihr Projektvorhaben zunutze machen, um innerhalb der etablierten Strukturen neue Wege zur Friedenserziehung zu beschreiten.

Gewaltfreiheit und Chancengleichheit sind als Werte in der sierra-leonischen Alltagskultur kaum verbreitet. Die Jahrzehnte des Krieges haben stets diejenigen überleben lassen, die sich besonders energisch durchsetzen konnten, so dass eine umfassende Kultur der Gewalt und die Beschränkung auf das Wohl der eigenen Familie verankert wurde. Hier setzte das Projekt an: Ein Netzwerk von engagierten Multiplikatorinnen und Multiplikatoren, die sich in ihrem Umkreis für gewaltfreie Wege der Konfliktlösung und die Entwicklung einer Zivilgesellschaft einsetzen sollten, wurde geschaffen.

In jeweils zweiwöchigen Workshops bildete die Friedensfachkraft vor allem so genannte »Facilitatoren« aus. Insgesamt 154 Personen erhielten in drei Jahren eine Basisausbildung, 64 davon wurden in Aufbauseminaren weiter geschult, um in ihrem persönlichen Umfeld noch effektiver für einen gewaltfreien Umgang eintreten und ihre Fertigkeiten ehrenamtlich weitergeben zu können. Alle 154 Personen waren aktiv daran beteiligt, in Schulen, in Vereinen, in Dörfern und an ihren Arbeitsplätzen selbstständig Seminare zu organisieren, kleine Projekte anzustoßen oder in Konflikten vermittelnd zu wirken. So konnte das erlernte Wissen an etwa 2-3.000 junge Erwachsene, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Behörden, Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter sowie an andere Schlüsselpersonen in den Gemeinden weitergegeben werden.

Der Projektablauf

Zu Beginn des Projekts fand die Friedensfachkraft in der Partnerorganisation SLADEA ein sehr motiviertes Team vor, das in seinen Bildungsangeboten gerade für die ländliche Bevölkerung schon immer auch Werte wie Solidarität und soziale Verantwortung vermittelt hatte. Aber es fehlte an Fachwissen und Lehr- bzw. Lernmaterialien für einen qualifizierten Unterricht im Bereich Konflikttransformation. In der vom Krieg geprägten Gesellschaft war der Bedarf an neuen methodischen Ansätzen offensichtlich, doch es gab im Land kaum Vorbilder oder praktische Anleitung, um dieses Thema weiterzuverbreiten. So waren für die Friedensfachkraft zunächst die eigenen Teammitglieder die erste potenzielle Zielgruppe, um gemeinsam mit ihnen ein Programm auszuarbeiten und Unterrichtsmaterialien über zivile Konflikttransformation herzustellen. Ausgewählte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der 13 SLADEA-Zweigstellen wurden in Basistrainings als Multiplikatorinnen und Multiplikatoren in gewaltfreier Kommunikation und Konfliktmediation fortgebildet. Es entstanden die ersten Fassungen der Lehr- und Lernmaterialien, die später in den Workshops mit den eigentlichen Zielgruppen (SLADEA-Mitglieder und -Lernende, Lehrer/innen und Schüler/innen, Studierende, Mitglieder von Vereinen und Clubs, Gemeindevorsteher, Polizisten, Repräsentanten von Organisationen etc.) verwendet, überarbeitet und verbessert wurden.

Da die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Basistrainings zwar aufgeschlossen und sozial engagiert waren, zumeist aber keine Vorbildung im Bereich der Gewaltfreiheit mitbrachten, mussten die Workshop-Inhalte bei einem sehr grundlegenden Niveau ansetzen, um allmählich eine höhere Kognitionsstufe zu erreichen: Was ist ein Konflikt? Warum gibt es Konflikte und welche Formen der Konfliktaustragung kennen wir? Auf welche Weise kann ich kommunizieren? Wie wirkt mein Verhalten auf andere? Wie eskaliert ein Konflikt? Welche Interventionsmöglichkeiten habe ich persönlich oder in der Gruppe?

Darauf aufbauend wurden einfache Methoden der gewaltfreien Kommunikation eingeübt. Zuletzt standen Techniken der Vermittlung, der Mediation und Ansätze zur Konflikttransformation auf dem Plan. In den Basistrainings wählte die Friedensfachkraft jeweils zwei besonders geeignete Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus, die dann in den nächsten Workshops als Co-Trainerinnen und Co-Trainer mitwirkten und so die Gelegenheit erhielten, weitere Praxiserfahrung zu sammeln. Im letzten Projektjahr erhielten 64 ehemals Teilnehmende, die besonderes Interesse, Verständnis für die Thematik und pädagogisches Geschick zeigten, weitere Aufbaukurse. Die 26 Besten wurden in Teams zusammengestellt und agieren seither als »Trainer of Trainers«, die entweder mit der Unterstützung ihrer Kolleginnen und Kollegen oder selbstständig Seminare anbieten, wenn sie von Schulen, von Behörden, Organisationen oder von Gemeinden angefordert werden. Die wachsende Nachfrage von lokalen und internationalen Nichtregierungsorganisationen in der Region, die Friedensarbeit in ihre Entwicklungsprojekte integrieren möchten, kann damit bedient werden. Bis zum Ende des Projektes wurden diese Teams von der Friedensfachkraft begleitet und unterstützt.

Was war wichtig für den Erfolg?

Der reflektierte Ansatz der Gewaltfreiheit war in dem Nachkriegsland Sierra Leone völlig neu. Es zeigte sich, dass bereits die Auseinandersetzung mit dem Thema bei den Auszubildenden großes Unverständnis auslöste.

„Für Menschen, die damit beschäftigt sind, irgendwie und auf jedem Weg das Nötigste zum Überleben zu beschaffen, weil es keine bezahlte Arbeit, zu wenig Lebensmittel und keine Unterstützung gibt, sind unsere Aufrufe zur Gewaltfreiheit zunächst fast eine Provokation. Aber wenn sie sich darauf einlassen, merken sie, welche Kraft in der gewaltfreien Kommunikation steckt. Man eröffnet keinen ermüdenden Kampf von Aggression und Gegenaggression mehr, sondern man spricht über den Inhalt der Konflikte, ohne den anderen dabei zu verletzen. In unseren Trainings konnten die Teilnehmenden ganz praktisch erproben, wie gut dieser Ansatz gerade in ihrem Alltagsleben funktioniert. Das hat sie unheimlich stolz gemacht.“ (Katharina Schilling, Friedensfachkraft)

Zunächst gab es auch Vorbehalte. Es stellte sich die Frage, ob eine so »westliche« und der lokalen Kultur fremde Methode für die Menschen in Sierra Leone überhaupt nachvollziehbar sei. Aber in den Seminaren erkannten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer immer wieder Analogien zu traditionellen Methoden der Konfliktbearbeitung. Auch diese legten Wert auf Ausgleich, auf Fairness und auf Toleranz; die Teilnehmenden konnten die angebotenen Inhalte ohne gravierende Widersprüche auf ihren eigenen Bedarf übertragen. „Es war unheimlich wichtig, nicht mit vorgefertigten Konzepten auf die Menschen zuzugehen, sondern das Unterrichtsmaterial gemeinsam mit den Zielgruppen zu erstellen. Wir mussten uns immer wieder darauf besinnen, die Menschen bei ihrem Bedarf abzuholen. Warum nehmen sie an dem Training teil? Was erhoffen sie sich? Was wollen und können sie ändern? Hier mussten unsere Trainingsmaterialien ansetzen, sie durften nicht aus Lehrbüchern kopiert sein. Die Menschen selbst haben die besten Ideen, wie die theoretischen Konzepte für sie umsetzbar werden. Das haben wir immer wieder in die Papiere aufgenommen, um sie weiter zu verbessern.“ (Katharina Schilling)

Heute liegt ein Trainingshandbuch vor, das sich in der Praxis vielfach bewährt hat und das auch anderen Organisationen, Schulen oder in der Erwachsenenbildung wertvolle Anregungen bieten kann. Darüber hinaus arbeitete die Friedensfachkraft gemeinsam mit Multiplikatorinnen und Multiplikatoren daran, das Thema »Gewaltfreie Kommunikation und Konflikttransformation« in lehrreichen Alltagsgeschichten und Gedichten zu verarbeiten, die in Buchform erschienen sind.

Ein Grundprinzip der Projektarbeit war es, bewusst in kleinen Schritten zu denken und die Kräfte der Teammitglieder und der auszubildenden Teilnehmerinnen und Teilnehmer realistisch einzuschätzen. Das Projekt hatte sich das Ziel gesetzt, die Teilnehmenden in den Seminaren mit methodischem Handwerkszeug auszustatten, mit dem sie ihr Alltagsleben und ihr persönliches Umfeld positiv beeinflussen konnten. Die politische Ebene, die verfeindeten Parteien und die bewaffneten Gruppierungen wurden nicht direkt adressiert, weil diese Zielgruppen außerhalb der Einflusssphäre von SLADEA lagen. Dessen ungeachtet wächst durch den Aufbau von Wissen und Erfahrung, über Selbstbehauptung und durch das Netzwerk von engagierten Einzelpersonen eine Infrastruktur heran, die langfristig die Voraussetzungen für umfassendere Friedensprozesse in der Region schaffen kann.

Die Auswahl der Teilnehmerinnen und Teilnehmer war und blieb eine ständige Herausforderung. Das Interesse an einer Qualifizierung, die kostenlos war, bei einer bedeutenden Organisation stattfand und durch eine internationale Trainerin erfolgte, war enorm groß. Allerdings erfüllten nur wenige Kandidatinnen und Kandidaten die Auswahlkriterien. Wer teilnehmen wollte, musste einen ausreichend hohen Bildungsstand nachweisen, im beruflichen und persönlichen Umfeld tatsächlich über Einfluss und Integrität verfügen, zudem noch aufgeschlossen und lernbereit sein. Deshalb wurden im letzten Jahr nur qualifizierte und engagierte Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu den Aufbaukursen eingeladen, nachdem im Rahmen von Projektbesuchen und in ausführlichen Gesprächen überprüft worden war, dass sie den Lernstoff tatsächlich an einen weiten Personenkreis weitergegeben hatten.

„Zu Beginn der Trainings waren manche Teilnehmerinnen und Teilnehmer geradezu schockiert, dass es keine scharfe Trennung zwischen Gut und Böse gibt und Rache deshalb sinnlos ist. Aber mittlerweile sind sie – ebenso wie viele andere Mitarbeitende – überzeugt davon, dass dies die einzige Möglichkeit für ein friedliches Miteinander in Sierra Leone ist. Das Interesse und die Offenheit für einen gewaltfreien Umgang mit Konflikten ist geweckt und setzt sich immer mehr durch. Die Teilnehmenden der Trainings sind oft zu überzeugten Verfechterinnen und Verfechtern der gewaltfreien Konfliktlösung geworden. Sie erproben im Alltag, wie weit sie den Ansatz der gewaltfreien Kommunikation anwenden können, und sie sind immer wieder überrascht, dass es doch noch einen Schritt weiter gehen kann. Dass auch in der Familie oder bei der Arbeit, wenn ein Streit ausweglos erschien, plötzlich wieder ein wenig Spielraum für Diskussion entsteht, wo vorher nur Ablehnung war. Ich finde es wirklich beeindruckend, dass selbst in einer so zerstörten Gesellschaft wie in Sierra Leone die Prinzipien der Gewaltfreiheit funktionieren und uns Recht geben.“ (Shecku Kawusu Mansaray, Executive Secretary, SLADEA)

Das Fazit

In einer Gesellschaft, die so sehr von Gewalt, Krieg und Zerstörung geprägt ist wie in Sierra Leone, muss ein Friedensprojekt beim angestrebten Transformationsprozess Pionierarbeit leisten. Zunächst geht es darum, den Menschen erste Grundkenntnisse über Wege der gewaltfreien Konfliktbewältigung zu vermitteln, um einen Grundstein für Veränderungen zu legen, die vermutlich mehrere Jahrzehnte benötigen. Das Projekt von SLADEA hatte sich Menschen als Zielgruppe ausgewählt, die in ihrem Umfeld als Multiplikatorinnen und Multiplikatoren wirken und ihre Kenntnisse auf breiter Ebene und vor allem an der Basis der Bevölkerung im ländlichen wie im städtischen Raum weitervermitteln konnten. Bewusst wurde darauf verzichtet, eine komplexe Infrastruktur vorauszusetzen oder nur bestimmte Fachorganisationen in den Städten anzusprechen. Stattdessen setzte das Projekt darauf, eine genügend große Menge von engagierten Einzelpersonen zu motivieren und mit dem nötigen Rüstzeug auszustatten, um kleine Schritte in Richtung Frieden zu gehen. Viele dieser ausgebildeten Einzelpersonen arbeiten seither ehrenamtlich. Ohne eine internationale Organisation im Rücken tragen sie ihr Wissen selbstständig weiter. Die Partnerorganisation SLADEA selbst bietet heute neben ihren langjährigen Bildungsprogrammen immer mehr gemeinwesenorientierte Projekte an, die sich gezielt mit der Nachkriegssituation und Konfliktprävention beschäftigen.

Dr. Ilona Auer-Frege ist Koordinatorin des Ökumenischen Netzes Zentralafrika.

UN-Resolution 1325 – Frauen, Frieden, Sicherheit

UN-Resolution 1325 – Frauen, Frieden, Sicherheit

Bilanz und Perspektiven

von Margret Otto

Frauen werden in bewaffneten Konflikten in der Regel als Opfer wahrgenommen, dabei sind Frauen vor, während und nach Konflikten auch wichtige Akteurinnen bei der Konfliktvermeidung, in Friedensprozessen und bei der anschließenden Friedensbewahrung. Die Autorin untersucht Wirkung und Schwachpunkte der vor zehn Jahren verabschiedeten UN-Resolution 1325 (Auszüge siehe unten) und nachfolgender UN-Resolutionen zu »Frauen und Frieden und Sicherheit« und formuliert Forderungen an die entsprechende Forschung und Politik.

Die UN-Resolution 13251 »Frauen und Frieden und Sicherheit« wurde am 31. Oktober 2000 auf der 4213. Sitzung des UN-Sicherheitsrats einstimmig verabschiedet. Kernpunkte sind die Berücksichtigung der Geschlechterperspektive sowohl in der Anerkennung der besonderen Schutzbedürftigkeit von Frauen und Mädchen in bewaffneten Konflikten als auch in der Rolle von Frauen als Akteurinnen in Friedensprozessen zur Beendigung von Kriegen und bewaffneten Konflikten und dem Wiederaufbau der zerstörten Gesellschaften. Zudem formuliert die Resolution völkerrechtlich verbindliche Anforderungen zur Umsetzung dieser Aspekte an die Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen.

Die Resolution ist das Ergebnis eines jahrzehntelangen Prozesses, der m.E. mit der ersten Weltfrauenkonferenz in Den Haag im Frühjahr 1915, also mitten im Ersten Weltkrieg, begann. Für die Entstehung der UN-Res. 1325 war die vierte Weltfrauenkonferenz in Peking 1995 ein entscheidender Meilenstein. Hier wurde mit dem Abschlussdokument der Konferenz, der Aktionsplattform von Peking, wichtige Weichen gestellt.

Heute, zehn Jahre nach ihrer Beschlussfassung, muss diese Resolution in den weiteren Kontext der nachfolgenden und sie ergänzenden UN-Resolutionen 1820 (2008),2 1888 (2009)3 und 1889 (2009)4 gestellt werden. Diese vertiefen und präzisieren unter ausdrücklichem Verweis auf die Res. 1325 deren Zielstellungen. In der Res. 1820 geht es um den „Schutz von Zivilpersonen, insbesondere Frauen und Mädchen“. Neu ist hier der Hinweis, dass sexuelle Gewalt zu den Straftaten gehört, die vom Internationalen Strafgerichtshof verfolgt werden. Sie wird nicht mehr als »Begleiterscheinung« kriegerischer Auseinandersetzungen hingenommen, sondern als spezifisches kriminelles Vergehen gekennzeichnet. Zu den genannten Bereichen – ebenfalls eine sehr wichtige Erweiterung – gehören auch sexuelle Gewalt und sexueller Missbrauch, die sich im Rahmen von UN-Peacekeeping-Operationen ereignen. Die UN-Res.1888 präzisiert dies im Besonderen.

Die UN-Res.1889 wendet sich noch einmal besonders der Rolle von Frauen als Akteurinnen in Friedensprozessen zu. In der Präambel heißt es dazu: „mit dem Ausdruck seiner tiefen Besorgnis darüber, dass Frauen in allen Phasen von Friedensprozessen unterrepräsentiert sind… und betonend, dass sichergestellt werden muss, dass eine angemessene Zahl von Frauen auf Entscheidungspositionen … ernannt werden“. Das Jubiläumsjahr der UN-Res. 1325 solle genutzt werden, um verstärkt noch anstehende und neu hinzugekommene Anforderungen zu realisieren. So werden die Mitgliedsstaaten gezielt aufgerufen, „weitere Maßnahmen zu ergreifen, um die Mitwirkung von Frauen an allen Phasen von Friedensprozessen … zu verbessern, indem Frauen verstärkt in die politische und wirtschaftliche Entscheidungsfindung in den frühen Phasen von Wiederherstellungsprozessen einbezogen werden…“

Die UN-Resolution 1325 hat seit ihrer Beschlussfassung eine vielfältige – wenngleich nicht ausreichende – Umsetzungsgeschichte. Es gibt verschiedene nationale Aktionspläne mit unterschiedlichen Schwerpunkten. 5 In Deutschland, wo es keinen nationalen Aktionsplan gibt, veröffentlicht die Bundesregierung regelmäßig Berichte über Maßnahmen zur Umsetzung der Resolution und über nationale Aktivitäten. Diese Berichte werden von den Vereinten Nationen eingefordert.

Internationale und nationale Nichtregierungsorganisationen arbeiten mit der Resolution als einem richtungweisenden Grundlagendokument. Auf der Basis ihrer Erfahrungen mit den nicht ausgeschöpften Potentialen der o.g. Resolutionen erheben sie aber auch kontinuierlich Forderungen zur (erweiterten) Umsetzungen. Insbesondere mahnen sie die fehlende Verbindlichkeit an.6 Unter den kritischen Stellungnahmen aus Deutschland sind besonders die Schattenberichte des Frauensicherheitsrats zu den Berichten der Bundesregierung hervorzuheben, in denen Stärken und Schwächen der Umsetzung benannt und kommentiert werden. So auch im letzten Schattenbericht, wo unter dem Stichwort »Problematischer Sicherheitsbegriff« auf das Spannungsverhältnis zwischen Frieden und Sicherheit im Wirkungsbereich der UN-Res. 1325 hingewiesen wird.7

Das Spannungsfeld von Sicherheit und Frieden

Mit Sicherheit und Frieden sind zwei Aspekte genannt, die die Umsetzung der Resolution 1325 entscheidend bestimmen. Allerdings werden sie in ihrer Interdependenz nicht ausdrücklich ausgewiesen. Da gerade dieser Zusammenhang aber für den aktuellen Umgang mit der UN-Res. 1325 von Bedeutung ist, soll er hier genauer beleuchtet werden.

Der Friedensbegriff der UN-Charta, wie er in der Präambel niedergelegt wurde, ist weitreichend. Er umschreibt weit mehr als die Abwesenheit von direkter militärischer Gewalt und umfasst Vorstellungen wie die Gleichheit der Geschlechter und Rassen und die Achtung der universalen Menschenrechte. In der UN-Charta werden der Friedens- und der Sicherheitsbegriff als Synonyme benutzt. So wird als Hauptaufgabe des UN-Sicherheitsrats „die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit“ benannt.

Diese Formulierung leitet auch die Präambel zur UN-Res.1325 ein. Wiederholt wird in der Resolution sowohl auf die besondere Schutzbedürftigkeit und die mangelnde Sicherheit von Frauen und Mädchen hingewiesen als auch ihre herausragende Rolle für das Gelingen von Friedensprozessen betont.

In der »Agenda für den Frieden«,8 eingebracht vom damaligen UN-Generalsekretär Boutros Boutros-Ghali und im Januar 1992 von einem Gipfeltreffen des UN-Sicherheitsrats verabschiedet, gibt es eine bemerkenswerte Verschiebung der Konnotation von Frieden und Sicherheit. Angesichts der Veränderung des globalen Kräfteverhältnisses schien die zwischenstaatliche Konfrontationen zwischen West und Ost damals der Vergangenheit anzugehören und der Frieden gesichert. Was blieb, schienen Sicherheitsfragen zu sein. So heißt es in der »Agenda für den Frieden« unter dem Stichwort »Das sich wandelnde Umfeld«: „Der Begriff des Friedens ist leicht zu fassen, der der internationalen Sicherheit ist jedoch komplexerer Natur…“ Anschließend werden in diesem Dokument vor allem verschiedene Szenarien der Bedrohung der Sicherheit und Maßnahmen, inklusive militärischer, zu ihrer Bekämpfung ausgeführt.

Auch die UN-Res. 1325 und die sie erweiternden Resolutionen basieren auf diesem umdefinierten Verständnis von Sicherheit und Frieden. Sie weisen auf vielfältige Bedrohungen durch die mangelnde Sicherheit der Zivilbevölkerung, einschließlich Frauen und Kindern, hin und fordern verstärkte Sicherheitsmaßnahmen. Der Ausgangspunkt ist immer die starke Bedrohung und Unsicherheit von Frauen und Kindern. Die aktive friedenspolitische Rolle von Frauen wird eher vage erwähnt.

Hieraus ergibt sich eine Problematik, die zu einem sorgfältige(re)n und entschieden friedensorientierten Umgang mit der UN-Res. 1325 auffordert. Die Betonung von Sicherheit und der Verzicht auf die Ausarbeitung von Friedenskonzepten kann dazu führen, dass auch in den Bereichen, die insbesondere Frauen betreffen, der Schutz der Sicherheit zur Aufgabe des Militärs gemacht wird und militärische Operationen unmittelbar als Unterstützungs- und Umsetzungsaktivitäten der UN-Res.1325 angesehen werden.

Diese Tendenz wird deutlich aus Äußerungen des NATO-Generalsekretärs Anders Fogh Rasmussen bei einem gemeinsamen Gipfeltreffen mit der Europäischer Union in Brüssel im Januar 2010, das anlässlich des anstehenden zehnjährigen Jahrestags der UN-Res. 1325 stattfand. Er sagte, es sei notwendig „sicherzustellen, dass alle von der Nato geführten Operationen, insbesondere in Afghanistan und auf dem Balkan, die Vorgaben der Resolution 1325 und damit zusammenhängender Resolutionen einhalten und abgestützt werden durch Ausbildung und Training, Überwachungs- und Evaluationsmechanismen, in Übereinstimmung mit den abgestimmten Militärdirektiven der Strategischen Kommandeure der NATO“ [eigene Übersetzung].9

Auf Widersprüchlichkeiten und Ungereimtheiten der EU-Friedens- und Sicherheitspolitik ist in Analysen und daraus abgeleiteten Forderungen vielfach hingewiesen worden.10 Das Fazit ist: Den relativ klaren und entschiedenen Formulierungen und Absichtserklärungen in den UN-Resolutionen entspricht keine ebensolche Praxis. In der Realität herrscht ein anderes Bild vor: „Angesichts von weniger als sechs Prozent Frauenanteil in der militärischen und acht Prozent in der zivilen EU-Mission bleiben die Bemühungen der EU um eine geschlechtersensible Friedenskonsolidierung schon in diesem Aspekt in einem beklagenswerten Zustand.“ 11

Frauen als Friedensakteurinnen und als Opfer von Gewalt

Da die UN-Resolution 1325 die Situationen in bewaffneten Konflikten hervorhebt, in denen Frauen Opfer von Gewalt und Missbrauch sind, und alle Staaten auffordert, Maßnahmen zu ihrem besonderen Schutz zu ergreifen, sehen Frauen weltweit die Resolution als einen Meilenstein zur Unterstützung ihrer Rechte an. Allerdings: Die alleinige Betonung des Opferstatus von Frauen würdigt nicht deren aktives Potential als Akteurinnen in Friedensprozessen, und Frauen sind weiterhin von Mitbestimmung und Mitgestaltung nahezu ausgeschlossen, in der Tendenz ist dies sogar immer häufiger der Fall. Friedensforscherinnen und -aktivistinnen haben dies immer wieder hervorgehoben und Kursänderungen angemahnt. Schutz und Sicherheit der Frauen und ihre Mitbestimmung bei der Gestaltung von Friedensprozessen sind wie zwei Seiten einer Medaille. Sie gehören, das zeigen Erfahrungen weltweit, untrennbar zusammen zur Erreichung eines nachhaltigen Friedens. Die Präambel der UN-Resolution 1325 weist auf die Unverzichtbarkeit von Frauen hin. So wird betont „welche wichtige Rolle Frauen bei der Verhütung und Beilegung von Konflikten und bei der Friedenskonsolidierung zukommt… und wie wichtig es ist, dass sie … im vollen Umfang teilhaben und dass ihre Mitwirkung …ausgebaut werden muss.“

Die Forderung, Frauen auf allen Ebenen einzubeziehen, wird zunehmend energischer artikuliert. Heißt es in UN-Res.1325 (2000) noch, dass Frauen stärker einbezogen werden sollen, ist in UN-Res.1820 (2008) von einer gleichberechtigten Einbeziehung die Rede. Da die Berücksichtigung von Frauen auf der politischen Seite der Friedensgestaltung trotz der UN-Res. 1325 weiterhin unterentwickelt blieb, hebt die UN-Resolution 1889 (2009) eindeutig die Notwendigkeit hervor, die Rolle der Frauen als friedenspolitische Akteurinnen zu stärken und sie nicht primär oder gar ausschließlich als schutzbedürftig zu betrachten. Eine gesonderte UN-Resolution zu diesem Aspekt würde allerdings das Anliegen eindeutiger unterstützen.

Die Einbettung der Schutzbedürftigkeit in ein ausgewiesenes Friedenskonzept wäre geeignet, Frauen vor einem politischen Missbrauch zu schützen. Beispiele für eine Instrumentalisierung der Situation von Frauen zur Rechtfertigung von gewalttätigem und militärischem Vorgehen werden seit Jahren, insbesondere auch von der feministischen Friedensforschung, aufgezeigt und angeprangert.

Ein typisches Beispiel für solche Verfahrensweisen und eines, das die Bürgerinnen und Bürger der Bundesrepublik unmittelbar betrifft, sind strategische Überlegungen der Einflussnahme auf die öffentliche Meinung zu den Kriegseinsätzen in Afghanistan. Hier ist zu beobachten, wie die Verletzung der Menschenrechte von afghanischen Frauen zur Rechtfertigung von militärischem Vorgehen in der Region ausgenutzt wird. In einem entsprechenden Dokument des CIA heißt es dazu bezogen auf Deutschland: „Deutsche wegen Kosten und Prinzipien der ISAF-Mission besorgt. … Nachrichten, die die Folgen einer NATO-Niederlage für spezifische deutsche Interessen dramatisieren, könnten der breit verbreiteten Ansicht, dass Afghanistan nicht Deutschlands Problem ist, entgegenwirken.“ In der Argumentation des CIA-Dokuments gibt es dazu ein probates Mittel: „Afghanische Frauen könnten als ideale Vermittler dienen, die Rolle der ISAF [International Security Assistance Force] im Kampf gegen die Taliban auf eine menschliche Ebene zu heben, da Frauen persönlich und glaubwürdig über ihre Erfahrungen unter den Taliban, ihre Hoffnungen für die Zukunft und ihre Befürchtungen vor einem Sieg der Taliban reden können.“ [Eigene Übersetzung]12

Solcher Art Versuche, die Öffentlichkeit zu manipulieren, könnten mit einer effektiven friedenspolitischen Strategie zur Umsetzung der UN-Res.1325 ausgehebelt werden. Dann würde auf die Rolle afghanischer Frauen als aktive Akteurinnen im Friedensprozess fokussiert werden, und die Funktion der Militäreinsätze wäre (neben weiteren wichtigen Gründen) auch aus diesem Grund auf dem Prüfstand.13

Schritte zur Erweiterung und Umsetzung der UN-Res.1325

Die Bilanz von zehn Jahren UN-Res. 1325 zeigt eine unübersehbare Diskrepanz zwischen den Intentionen der Resolution und der Umsetzung der in ihr enthaltenen Forderungen in reale Politik. An diesem Umstand haben auch die nachfolgenden Resolutionen nichts Grundsätzliches ändern können.14 Dadurch wird das Potential für einen friedenspolitischen Mehrwert, das in den Resolutionen steckt, in keiner Weise genutzt.

So gibt dieses Jubiläumsjahr Anlass für Würdigungen und kritische Analysen der Resolutionen, die in den verschiedenen Bereichen deutlichen Handlungsbedarf aufzeigen. Diese Bereiche sind miteinander verbunden, aber unterschiedlichen Politikfeldern zugeordnet. Daraus ergeben sich folgende Forderungen:

Die Bundesregierung ist in die Pflicht zu nehmen, dass sie die völkerrechtsverbindliche UN-Res.1325 in ihren nationalen und internationalen Politikstrategien berücksichtigt. Dazu müssen u.a. die einzelnen Aktivitäten der Bundesregierung zur UN-Res.1325 in einer Gesamtstrategie gebündelt werden, und zwar über eine interministerielle Arbeitsgruppe hinaus. Dies geschieht am besten im Rahmen eines nationalen Aktionsplans.

Sicherheitspolitische Maßnahmen, die auf der Grundlage der UN-Res.1325 ergriffen werden, müssen eine deutlich ausgewiesene friedenspolitische Perspektive haben.

Die Rolle des Militärs, der NATO und der Bundeswehr im Zusammenhang mit der Umsetzung der UN-Res.1325 müssen kritisch überprüft und öffentlich diskutiert werden.

Der Sicherheitsbegriff führt in Analysen politischer Strategien i.d.R. zur kritischen Auseinandersetzung mit dem als Spannungsfeld wahrgenommenen Unterschied von »zivil« und »militärisch«.15 Der umfassende Friedensbegriff der UN-Charta weist auf weitere Zusammenhänge hin. Frieden scheint doch nicht so „leicht zu fassen“ zu sein, wie in der »Agenda für den Frieden« festgestellt. Sicherheit und Frieden müssen zusammen gedacht werden. Angesichts der aktuellen Diskussion in Deutschland über Kriegseinsätze z.B. in Afghanistan und Somalia und die Auseinandersetzungen über die Verwendung des Begriffs »Krieg« ist die Friedenswissenschaft aufgefordert, sich mit weiterer Forschung an der Auseinandersetzung zu beteiligen, auch im Kontext der UN-Res.1325.

Die Rolle der Frauen als politische Akteurinnen in Friedensprozessen muss weiter gestärkt und ausgeweitet werden, bis hin zu einer Quotierung. Frauen müssen in Krisengebieten ohne Berücksichtigung diplomatischer Hierarchien bereits in die den Frieden vorbereitenden Verhandlungen einbezogen werden. Maßnahmen für Frauen und Mädchen, die Opfer (surviver) von Gewalt in Kriegs- und Krisengebieten geworden sind, müssen über die Strafverfolgung der Täter hinaus den Zugang der Opfer zu medizinischer und psychologischer Behandlung und zu Entschädigungszahlungen einschließen.

Dieses Politikfeld, in dem vor allem Nichtregierungsorganisationen wegweisende Arbeit machen, hat bereits jetzt eine starke Eigendynamik entwickelt, was aus der o.g. dargestellten weiteren Ausformulierung der Resolutionen deutlich hervorgeht. In diesem Politikfeld ist das spezifische Spannungsverhältnis von Sicherheit und Frieden besonders relevant, bislang aber nicht sichtbar gemacht.

Die Forschung sollte in allen für die UN-Resolutionen 1325, 1820, 1888 und 1889 relevanten Bereichen intensiviert werden. Bei vielen Fragen ist die Datenlage absolut unzureichend und muss mit Hilfe von quantitativen und qualitativen Studien verbessert werden.

Ein Forschungsfeld, das bisher im Zusammenhang mit der UN-Res. 1325 kaum angesprochen wurde, aber dringend mit einbezogen werden sollte, ist die Komplementarität der Genderspezifik bezogen auf Männer und Frauen. Gender ist in den Resolutionen der Vereinten Nationen, der EU und auch der NATO oft ausschließlich auf Frauen bezogen. Die Spezifik männlichen Verhaltens bleibt dabei unerwähnt, ist aber von großem Einfluss. Männliche Leit- und Rollenbilder im Militär sowie bei militärischen Interventionen und deren Auswirkungen müssen deshalb viel stärker Gegenstand von Forschung werden.

Anmerkungen

1) Deutsche Fassungen von UN-Resolutionen sind auf der Website des deutscher Übersetzungsdienst der Vereinten Nationen unter http://www.un.org/depts/german/ abrufbar.

2) Vom 19. Juni 2008: Frauen und Frieden und Sicherheit.

3) Vom 29. September 2009: Frauen und Frieden und Sicherheit http://www.un.org/depts/german/sr/sr_them/nichtverbr.kernwaff.htm (Sicherheitsrat erteilt Friedenssicherungsmissionen den Auftrag, Frauen und Mädchen vor sexueller Gewalt in bewaffneten Konflikten zu schützen).

4) Vom 29. September 2009: Frauen und Frieden und Sicherheit (Sicherheitsrat fordert nachdrücklich Maßnahmen zur Verbesserung der Mitwirkung von Frauen an Friedensprozessen).

5) Barnes, Karen (2008): Stand der Umsetzung von Resolution 1325 in Europa – Überlegungen zum Status von Nationalen Aktionsplänen. In: Gunda-Werner-Institut der Heinrich-Böll-Stiftung (Hrsg.) (2008): Hoffnungsträger 1325.Resolution für eine geschlechtergerechte Friedens- und Sicherheitspolitik in Europa. Ulrike Helmer Verlag.

6) Group on Gender Peace and Security (GPS) des European Peacebuilding Liaison Office (EPLO) in Brüssel (August 2010): 10 points on 10 Years SCR 1325 in Europe; http://www.eplo.org/documents/CSO_10_points_on_10_years_UNSCR_1325_Final_100903.pdf.

7) Schattenbericht des deutschen Frauensicherheitsrats zum Bericht der Bundesregierung „über Maßnahmen zur Umsetzung der Sicherheitsrats-Resolution 1325 (Frieden, Frauen, Sicherheit)“ vom Nov. 2007; http://www.frauensicherheitsrat.de/data/schattenbericht-08.html.

8) Agenda für den Frieden. Vorbeugende Diplomatie, Friedensschaffung und Friedenssicherung. Bericht des Generalsekretärs gemäß der am 31. Januar 1992 von dem Gipfeltreffen des Sicherheitsrats verabschiedeten Erklärung; http://www.un.org/Depts/german/friesi/afried/afried-1.htm.

9) http://www.consilium.europa.eu/uedocs/cmsUpload/Women_Peace_Security_outcomes_ENG.pdf.

10) Vgl. die Beiträge von Wisotzki, Simone (2008): Gender in der EU-Friedens- und Sicherheitspolitik. In: Hoffnungsträger 1325 op.cit., S.46-51, und Dittmer, Cordula (2008): Gender Mainstreaming in der Europäischen Friedens- und Sicherheitspolitik – Resolutionen, Berichte, Konzepte. In: Hoffnungsträger 1325 op.cit., S.52-65.

11) a.a.O. Wisotzki (2008): S.49.

12) Afghanistan: Sustaining West European Support for the NATO-led Mission – Why Counting on Apathy Might not be Enough. A Red Cell Special Memorandum, 11.March 2010; http://wikileaks.org/file/cia-afghanistan.pdf.

13) Vgl. dazu z.B. auch die Diskussion der innerafghanischen Situation bei Notten, Miriam/Scheub, Ute (2008): Die »Befreiung« der afghanischen Frauen – Anspruch und Wirklichkeit. In: Hoffnungsträger 1325 op.cit., S.176-195

14) Vgl. dazu die Analysen mit einer historischen Einbettung in: Anderlini, Sanam Naraghi (2008): Die Bedeutung der Resolution 1325 für die Europäische Friedens- und Sicherheitspolitik – ein kleiner Schritt für den Sicherheitsrat, ein großer Schritt für die Menschheit. In: Hoffnungsträger 1325 op.cit., S.10-34

15) Vgl. z.B. Zumach, Andreas (2008): Zur Europäischen Friedens- und Sicherheitspolitik. Stand – Probleme – Perspektiven. In: Hoffnungsträger 1325 op.cit., S.38-45.

Resolution 1325 (2000) vom 31. Oktober 2000

Der Sicherheitsrat, […]

eingedenk der Ziele und Grundsätze der Charta der Vereinten Nationen und der Hauptverantwortung des Sicherheitsrats nach der Charta für die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit,

mit dem Ausdruck seiner Besorgnis darüber, dass Zivilpersonen, insbesondere Frauen und Kinder, die weitaus größte Mehrheit der von bewaffneten Konflikten betroffenen Personen stellen, namentlich auch als Flüchtlinge und Binnenvertriebene, und dass sie in zunehmendem Maße von Kombattanten und bewaffneten Elementen gezielt angegriffen werden, sowie in der Erkenntnis, dass dies Folgen für einen dauerhaften Frieden und eine dauerhafte Aussöhnung nach sich zieht,

erneut erklärend, welche wichtige Rolle Frauen bei der Verhütung und Beilegung von Konflikten und bei der Friedenskonsolidierung zukommt, und betonend, wie wichtig es ist, dass sie an allen Anstrengungen zur Wahrung und Förderung von Frieden und Sicherheit gleichberechtigt und in vollem Umfang teilhaben und dass ihre Mitwirkung an den Entscheidungen im Hinblick auf die Verhütung und Beilegung von Konflikten ausgebaut werden muss, […]

in Anerkennung der dringenden Notwendigkeit, in alle Bereiche von Friedenssicherungseinsätzen eine Geschlechterperspektive zu integrieren, […]

1. fordert die Mitgliedstaaten nachdrücklich auf, dafür zu sorgen, dass Frauen in den nationalen, regionalen und internationalen Institutionen und Mechanismen zur Verhütung, Bewältigung und Beilegung von Konflikten auf allen Entscheidungsebenen stärker vertreten sind; […]

3. fordert den Generalsekretär nachdrücklich auf, mehr Frauen zu Sonderbeauftragten und Sonderbotschafterinnen zu ernennen, die in seinem Namen Gute Dienste leisten […];

4. fordert den Generalsekretär außerdem nachdrücklich auf, die Ausweitung der Rolle und des Beitrags von Frauen bei den Feldmissionen der Vereinten Nationen anzustreben, insbesondere bei den Militärbeobachtern, der Zivilpolizei, bei Menschenrechts- und humanitärem Personal;

5. bekundet seine Bereitschaft, in die Friedenssicherungseinsätze eine Geschlechterperspektive zu integrieren, und fordert den Generalsekretär nachdrücklich auf, sicherzustellen, dass bei Bedarf auch für Geschlechterfragen zuständige Elemente in Feldmissionen aufgenommen werden;

6. ersucht den Generalsekretär, den Mitgliedstaaten Leitlinien für die Aus- und Fortbildung sowie Material über den Schutz, die Rechte und die besonderen Bedürfnisse von Frauen sowie über die Wichtigkeit der Beteiligung von Frauen an allen Friedenssicherungs- und Friedenskonsolidierungsmaßnahmen zur Verfügung zu stellen […];

7. fordert die Mitgliedstaaten nachdrücklich auf, ihre freiwillige finanzielle, technische und logistische Unterstützung von Trainingsmaßnahmen zur Sensibilisierung in Geschlechterfragen zu verstärken […];

8. fordert alle beteiligten Akteure auf, bei der Aushandlung und Umsetzung von Friedensübereinkünften eine Geschlechterperspektive zu berücksichtigen, die unter anderem auf Folgendes abstellt:

a) die besonderen Bedürfnisse von Frauen und Mädchen während der Rückführung und Neuansiedlung sowie bei der Normalisierung, der Wiedereingliederung und dem Wiederaufbau nach Konflikten;

b) Maßnahmen zur Unterstützung lokaler Friedensinitiativen von Frauen und autochthoner Konfliktbeilegungsprozesse sowie zur Beteiligung von Frauen an allen Mechanismen zur Umsetzung der Friedensübereinkünfte;

c) Maßnahmen zur Gewährleistung des Schutzes und der Achtung der Menschenrechte von Frauen und Mädchen, insbesondere im Zusammenhang mit der Verfassung, dem Wahlsystem, der Polizei und der rechtsprechenden Gewalt;

9. fordert alle Parteien bewaffneter Konflikte auf, das auf die Rechte und den Schutz von Frauen und Mädchen, insbesondere als Zivilpersonen, anwendbare Völkerrecht vollinhaltlich zu achten […];

10. fordert alle Parteien bewaffneter Konflikte außerdem auf, spezielle Maßnahmen zum Schutz von Frauen und Mädchen vor geschlechtsspezifischer Gewalt zu ergreifen, insbesondere vor Vergewaltigung und anderen Formen des sexuellen Missbrauchs und allen anderen Formen der Gewalt in Situationen bewaffneter Konflikte;

11. hebt hervor, dass alle Staaten dafür verantwortlich sind, der Straflosigkeit ein Ende zu setzen und die Verantwortlichen für Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen, namentlich auch im Zusammenhang mit sexueller und sonstiger Gewalt gegen Frauen und Mädchen, strafrechtlich zu verfolgen, und betont in diesem Zusammenhang, dass diese Verbrechen soweit möglich von Amnestieregelungen ausgenommen werden müssen; […]

13. legt allen an der Abrüstungs-, Demobilisierungs- und Wiedereingliederungsplanung Beteiligten nahe, die unterschiedlichen Bedürfnisse weiblicher und männlicher Exkombattanten sowie die Bedürfnisse der von ihnen abhängigen Personen zu berücksichtigen; […]

15. bekundet seine Bereitschaft, dafür zu sorgen, dass bei Missionen des Sicherheitsrats die Geschlechterperspektive sowie die Rechte von Frauen berücksichtigt werden, namentlich auch durch Konsultationen mit Frauengruppen auf lokaler wie internationaler Ebene; […]

Margret Otto ist Friedenswissenschaftlerin und 2. Vorsitzende des Frauennetzwerks für Frieden e.V.

Drastische Einsparungen bei ziviler Konfliktbearbeitung

Drastische Einsparungen bei ziviler Konfliktbearbeitung

von Ute Finckh-Krämer

Leise, still und heimlich will die Bundesregierung die Mittel für zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung um teilweise bis zu 30% kürzen. Dabei beklagt selbst die Bundeswehr das Fehlen ziviler Friedenskräfte. Doch das hindert die Bundesregierung nicht daran, ausgerechnet in diesem Bereich zu sparen.

Im dritten Umsetzungsbericht zum Aktionsplan »Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung« bekräftigte die Bundesregierung noch im Juni diesen Jahres ihre Entschlossenheit, „ihre Beiträge zu Frieden, Sicherheit und Entwicklung weltweit insbesondere präventiv auszurichten und dabei vorrangig zivile Mittel zum Einsatz zu bringen“. Dementsprechend wird in den Bericht auf die in den letzten Jahren deutlich angewachsenen Haushaltsmittel für Krisenprävention, Friedenserhaltung und Konfliktbewältigung oder den Zivilen Friedensdienst verwiesen. Später wird jedoch angemerkt: „Haushaltszwänge werden sich in den kommenden Jahren auch auf die im Bereich der Krisenprävention zur Verfügung stehenden Mittel auswirken: Weitere Mittelerhöhungen sind vor diesem Hintergrund nicht zu erwarten; erneute Absenkungen mit der Folge einer notwendigen noch stärkeren Priorisierung von Maßnahmen sind nicht auszuschließen.“ Zu dem Zeitpunkt, als diese Ankündigung formuliert wurde, war die erste „Absenkung“ (zu deutsch: Mittelkürzung) bereits mit dem Bundeshaushalt 2010 beschlossen worden – gut versteckt in der Umstrukturierung einiger Haushaltstitel des Einzelplans des Auswärtigen Amtes. So wurde z.B. der Ansatz für den »Stabilitätspakt Südosteuropa« von 25 Millionen Euro auf 20 Millionen Euro reduziert.

Inzwischen liegt der Entwurf für den Bundeshaushalt 2011 vor, und hier sind weitere und diesmal sehr viel drastischere Kürzungen vorgesehen. Sie treffen unter anderem den Zivilen Friedensdienst im Haushalt des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ; trotz Erhöhung des Gesamtetats hier Senkung von 30 Millionen Euro auf 29 Millionen Euro) sowie die Haushaltstitel für Friedenserhaltende Maßnahmen sowie für Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitungszusammenarbeit im Einzelplan des Auswärtigen Amtes. Als Begründung für Kürzungen in der Größenordnung von jeweils 30% der Außenamt-Titel wird lapidar angeführt: „Weniger wegen Einsparungen im gesamten Geschäftsbereich des Epl.“. D.h., das Auswärtige Amt kriegt insgesamt weniger Geld, also wird die Kürzung in Bereiche weiter gereicht, die von den Zuständigen für politisch unwichtig gehalten werden. Übrigens soll auch der Titel für «humanitäre Hilfe» in ähnlicher Größenordnung gekürzt werden, was während der Flutkatastrophe in Pakistan von der Presse aufgegriffen wurde. Hier wiederholt sich dasselbe Muster: Während im »Bericht der Bundesregierung über die deutsche humanitäre Hilfe im Ausland 2006 bis 2009« berichtet wird, dass sich die dafür eingesetzten Mittel im Berichtszeitraum deutlich erhöht haben, war die Kürzung des Ansatzes im Haushalt des Auswärtigen Amtes schon beschlossen.

Noch ist der Bundeshaushalt 2011 nicht beschlossen

Nach der »Haushaltswoche« im Plenum, in der die Abgeordneten zunächst nach Details des vorliegenden Entwurfs und nach Begründungen für Veränderungen gegenüber den Vorjahren, neu aufgenommenen Titeln etc. fragen dürfen, geht das Ganze in die Ausschüsse, werden Rückfragen an die Ressorts (d.h. die Ministerien und obersten Bundesbehörden) gestellt und sind Änderungen möglich. Deswegen hat der Bund für Soziale Verteidigung in Briefen an die Abgeordneten der zuständigen Ausschüsse und des Haushaltsausschusses gegen die Kürzungen protestiert und eine ganze Reihe von Antworten erhalten. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass auf der öffentlichen Sitzung des Unterausschusses für Zivile Krisenprävention am 27. September 2010, in der der 2. und 3. Umsetzungsbericht zum Aktionsplan diskutiert wurden, Vertreter aller Fraktionen die Kürzungen kritisierten. Die SPD-Abgeordnete Edelgard Bulmahn resümiert in einer Presseerklärung vom 28.9.2010: „Das zunehmende Gewicht und die Bedeutung der Zivilen Krisenprävention, von der auch die Bundesregierung in ihrem Bericht immer wieder ausgeht, lassen sich jedoch mit den zur Verfügung stehenden Mitteln nicht umsetzen. Trotz eines vergleichsweise geringen Sparpotenzials sollen die Mittel im Haushalt des Auswärtigen Amtes für 2011 um bis zu 30 Prozent gekürzt werden. Damit werden fast schon mutwillig erfolgreiche Strukturen zerstört und – noch schlimmer – das für dieses Feld so wichtige Vertrauen bei unseren internationalen Partner fahrlässig verspielt.“

Kein Vorrang für zivil

Rechnet man die Mittel, die im Bundeshaushalt für zivile Krisenprävention und zivile Konfliktbearbeitung vorgesehen sind, zusammen, kommt man für die Haushaltsjahre 2009 und 2010 jeweils auf eine Größenordnung von eine Milliarde Euro. Für die Bundeswehr wurden 2009 gut 31,6 Milliarden Euro ausgegeben, gut 470 Millionen mehr, als im Haushaltsentwurf 2009 vorgesehen waren. Zusätzlich wurden 2009 aus dem Haushalt des Auswärtigen Amtes 50 Millionen Euro »außerplanmäßig« für »Unterstützung des Aufbaus afghanischer Sicherheitskräfte durch die NATO« ausgegeben. Zum Vergleich: Für den Zivilen Friedensdienst standen 2009 insgesamt (also nicht nur für die ZFD-Projekte in Afghanistan) 30 Millionen Euro zur Verfügung, für das Förderprogramm »zivik« gut sieben Millionen.

Es ist schon absurd: Während Vertreter der Bundeswehr nicht müde werden, zu betonen, dass sie – bei weitem nicht nur in Afghanistan – die bestehenden Defizite bei der zivilen Arbeit nicht ausgleichen können, werden die knappen Mittel im zivilen Bereich nicht erhöht, sondern in wesentlichen Bereichen gekürzt. Nur für den »Stabilitätspakt Afghanistan« wurden 2010 zusätzliche Mittel bereit gestellt, die aber voraussichtlich nicht sinnvoll eingesetzt werden können, weil nach wie vor eine zivile Strategie für Afghanistan fehlt. Stattdessen wird versucht, die Vergabe von Projektmitteln an Hilfsorganisationen für zivile Projekte in Afghanistan aus dem Haushalt des BMZ an die Bedingung zu koppeln, dass diese sich in militärisch-zivile Zusammenarbeit einbinden lassen. Wörtlich wird in der Ausschreibung für die Projektmittel unter dem sperrigen Namen »NRO-Fazilität Afghanistan« formuliert: „Folgende Grundprinzipien gelten für geförderte Projekte: Die Projekte stehen im Einklang mit dem Afghanistan-Konzept der Bundesregierung von Januar 2010 und in Übereinstimmung mit dem Konzept der vernetzten Sicherheit.“

Der Verband Entwicklungspolitik deutscher Nichtregierungsorganisationen (VENRO) hat dies zu Recht scharf kritisiert. In seiner Stellungnahme heißt es: „Nicht-staatliche Hilfsorganisationen arbeiten unabhängig und unparteilich. Ihre Hilfe richtet sich ausschließlich nach den Bedürfnissen der Bevölkerung und dient nicht den Interessen einer Regierung oder internationaler Politik. Nur auf diese Weise lässt sich eine Akzeptanz der Arbeit von Hilfsorganisationen im Kontext von gewaltsamen Konflikten erreichen. Das Konzept der Vernetzten Sicherheit und die dafür eingeforderte zivil-militärische Koordination führen jedoch zwangsläufig zu einer Instrumentalisierung ziviler Hilfe für militärische Ziele beziehungsweise zu einer Militarisierung der Hilfe. Es kommt somit zu einer Verwischung der Grenzen zwischen den Aufgaben von Streitkräften und dem Mandat unabhängiger Hilfsorganisationen, die zu einer Gefährdung von Hilfsorganisationen und ihrer Arbeit werden kann. Es gibt zahlreiche Belege dafür, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Hilfsorganisationen oder ihre Zielgruppen häufig von Aufständischen zu legitimen Angriffszielen erklärt werden, sofern eine militärische Anbindung der zivilen Hilfsprojekte besteht. Für die Hilfsorganisationen ist deshalb Unabhängigkeit eine unverzichtbare Voraussetzung, um in gewaltsamen Konflikten Hilfe nach den humanitären Prinzipien leisten zu können.“

Zivile Konfliktbearbeitung verlangt in den meisten Fällen eine kontinuierliche Zusammenarbeit mit Partnerorganisationen und vom Konflikt Betroffenen. Die zunehmende Ausrichtung an Projekten, die erst nach Verabschiedung des jeweiligen Bundeshaushalts beantragt, geprüft, genehmigt werden können und dann bis Kassenschluss des betreffenden Haushaltsjahres durchgeführt und abgerechnet werden müssen, ist daher genauso Besorgnis erregend wie die Tatsache, dass angesichts der mittelfristig vorgesehenen Einsparungen in den Haushalten des Auswärtigen Amtes und des BMZ weitere Versuche zu erwarten sind, die Mittel für Zivile Konfliktbearbeitung zu kürzen. Auch die kürzlich durchgeführte Evaluation des Zivilen Friedensdienstes, deren Ergebnisse bei Redaktionsschluss dieses Heftes noch nicht vorlagen, könnte in dieser Situation zur Rechtfertigung weiterer Kürzungen missbraucht werden.

Während also auf dem Papier der Vorrang der Krisenprävention vor der Intervention und der Vorrang des Zivilen vor dem Militärischen beschworen werden, werden auf der Ebene des Bundeshaushalts bzw. im so genannten Haushaltsvollzug harte Fakten für den Vorrang des Militärischen geschaffen. Mittel, die bisher als Gelder für zivile Aufbauprojekte zur Verfügung standen, werden direkt oder indirekt militärischen Erwägungen untergeordnet und verlieren dadurch ihren zivilen Charakter.

Dagegen können und müssen wir protestieren.

Dr. rer. nat. Ute Finckh-Krämer ist Mathematikerin und derzeit beruflich im Bereich Pressedokumentation tätig. Seit gut 30 Jahren friedenspolitisch aktiv, war sie Gründungsmitglied des Bundes für Soziale Verteidigung, dessen Vorsitzende sie seit fünf Jahren ist.

Kriege: Definitionen, Formen, Folgen

Kriege: Definitionen, Formen, Folgen

von Lotta Mayer

Krieg ist ein sehr alter Gegenstand der Sozialwissenschaft, mit dem sich schon Thukydides auseinandersetzte. Entsprechend gibt es eine Vielzahl von konkurrierenden Kriegsdefinitionen. Dieser Artikel gibt einen Überblick über verschiedene Definitionen und Formen des Krieges und verdeutlicht knapp dessen Folgen auf die Machtrelationen von Akteuren und seinen Einfluss auf verschiedene Gesellschaftsbereiche. Abschließend wird die Bedeutung entsprechender Zusammenhänge für mögliche Interventionen skizziert.

Kriegsdefinitionen

Während die moderne Soziologie soziale Konflikte in einem weiten Sinn als Grundtatbestand der Gesellschaft begreift und deren Ursachen sowie negative und positive Folgen analysiert (vgl. Bonacker, 2002), vernachlässigt sie Krieg und andere Formen kollektiver Gewalt weitgehend (vgl. Joas/Knöbl, 2008). In der Politikwissenschaft dagegen ist die Kriegsforschung fest etabliert; dafür wird das Thema mit jeweils ganz spezifischen Verengungen behandelt. So konzentrierte sich die bis zum Ende des Ost-West-Konflikts dominante Theorieschule des (Neo-)Realismus gemäß ihres Axioms, nur Staaten als Akteure im internationalen System anzuerkennen bzw. dieses als Staatensystem zu konstruieren, ausschließlich auf zwischenstaatliche Kriege.

Nach dem Ende des Ost-West-Konflikts entdeckte die Politikwissenschaft innerstaatliche Kriege für sich; dies war angesichts ihrer zahlenmäßigen Dominanz gegenüber den zwischenstaatlichen Kriegen seit dem II. Weltkrieg überfällig (vgl. Schlichte, 2002, S.155). Während der Blockkonfrontation galten innerstaatliche Gewaltkonflikte als »Stellvertreterkriege«. An die Stelle dieser schon damals fragwürdigen gewordenen Erklärung trat danach der Begriff der »Neuen Kriege« (vgl. u.a. Kaldor, 2000; Münkler, 2002). Sie unterschieden sich, so die Vertreter des Ansatzes, von Staatenkriegen wie von »klassischen Bürgerkriegen« (vgl. Münkler, 2002, S.24ff und S.44ff): Der Krieg werde von der „Fortsetzung der Politik mit andern Mitteln“ (von Clausewitz, I/24) zur „Fortsetzung der Ökonomie mit anderen Mitteln“ (Lock, 2002, S.271). Hiermit ist eine wesentliche Verkürzung benannt, auf der dieser Ansatz beruht: die Reduktion menschlichen Handelns auf das Zweckrationale (vgl. Joas/Knöbl, 2008, S.320f).

In der quantitativen Konfliktforschung definieren einige wenige Ansätze Kriege über formale Kriegserklärungen (vgl. Richardson, 1960), mit denen heute jedoch kaum ein Krieg beginnt. Die vorherrschende Schule definiert Kriege im Anschluss an das »Correlates of War«-Projekt als bewaffnete Konflikte unter Beteiligung mindestens eines Staates, die 1.000 oder mehr Kriegstote pro Jahr fordern (vgl. Small/Singer, 1982). Das scheint zunächst wenig, doch ist der Schwellenwert willkürlich und stößt auf Datenprobleme – umso mehr, als die Mehrheit der kriegerischen Konflikte in unzugänglichen Gebieten ausgefochten wird, wo selten neutrale Beobachter die Toten im Kampf dokumentieren (die Opfer von Flucht und Hunger werden ohnehin nicht gezählt). Die Grenze ist implizit am »klassischen Staatenkrieg« orientiert, weshalb andere Kriegsformen teilweise nicht erfassbar sind. So aber erscheint die Welt in der Statistik friedlicher, als sie ist.

Letztlich kommen bei den genannten politikwissenschaftlichen Ansätzen jeweils nur bestimmte Kriegsformen in den Blick, und eine systematische theoretische Auseinandersetzung mit nicht-kriegerischen und nicht-gewaltsamen Konflikten fehlt weitgehend. Dadurch aber ist es nicht möglich zu verstehen, wann und warum Konflikte zu Kriegen eskalieren, wiederum deeskalieren und oft erneut eskalieren.

Diese Entwicklungen sind nur erfassbar, wenn Kriege als spezifische dynamische Form sozialer Konflikte begriffen werden. Ein solches Verständnis findet sich in Ansätzen in den Hamburger und Heidelberger Traditionen der Konfliktforschung.1 Das Heidelberger Institut für Konfliktforschung (HIIK) geht von einer qualitativen Definition von Konflikten aus, auf deren Basis fünf Intensitätsstufen unterschieden werden: Zwei nicht gewaltsame, eine sporadisch gewaltsame und zwei hoch gewaltsame (vgl. HIIK, 2003, S.2). Die beiden letzteren, genannt »ernste Krise« und »Krieg«, bezeichnen Formen des organisierten Gewalteinsatzes in größerem Ausmaß. Dabei unterscheiden sich Kriege von ernsten Krisen, der schwächeren Form hochgewaltsamer Konflikte, durch ihre Systematik, die in großem Umfang eingesetzten Mittel sowie das schwerwiegende und nachhaltige Ausmaß an Zerstörung. Diese Definitionen sind so flexibel, dass sie verschiedene Formen von Konflikten und des »Chamäleons« Krieg (von Clausewitz, I/28) erfassen können.

Formen des Krieges

Zumeist erfolgt die Definition der Kriegstypen über die Akteurskonstellation, womit zwischen- und innerstaatliche Kriege unterschieden werden. Die quantitativ ausgerichteten Forschungsinstitute unterscheiden zusätzlich »extra-systemische« bzw. Dekolonialisierungskonflikte sowie »non-state wars«, die ausschließlich zwischen nichtstaatlichen Akteuren ausgetragen werden. Beide können als Formen innerstaatlicher Konflikte begriffen werden.

Qualitativ werden jene unter Heranziehung weiterer Merkmale in die o.g. »klassischen« Bürgerkriege, bei denen eine armeeähnliche Rebellengruppe gegen den Staat agiert (vgl. Waldmann, 2002), und die »neuen« Kriegen unterschieden, bei denen der Staat gegen verschiedene Warlords, Milizen oder »terroristische Gruppierungen« kämpfe; diese seien eine Mischung aus regulärem Krieg, organisiertem Verbrechen und Menschenrechtsverletzungen, ihre Folge Staatszerfall und ihre Kriegsökonomien in die globalisierte Wirtschaft eingebunden (vgl. Münkler, 2002).2 Häufig ist auch die Rede von »ethnischen« Konflikten und Kriegen; doch welche Rolle »Ethnizität« in einem Konflikt spielt, hängt davon ab, wie sie von den beteiligten Akteuren konstruiert wird, denn »Ethnien« sind keine »natürlichen« Gemeinschaften, die sich in Kriegen aus »uraltem« Hass gegenüberstehen, sondern soziale Konstrukte (grundlegend Barth, 1969). Diese Konstruktionen können (müssen aber nicht!), bspw. aufgrund der Manipulation durch »ethnische Unternehmer«, antagonistisch oder gar entmenschlichend sein und folglich polarisierend sowie enthemmend wirken (vgl. Bar-Tal, 2000, S.74).

Alle genannten Elemente und damit die Form des Krieges sind dynamisch; die Parteien, ihre Motivationen, die Gegenstände, der Konfliktaustrag unterliegen einem stetigen Wandel, tendenziell in Richtung einer zunehmenden »Entregelung« (vgl. Waldmann, 2002).

Der Einfluss verschiedener Akteure im Krieg

Ein ungeregelter Konfliktaustrag in innerstaatlichen Kriegen aber führt dazu, dass der Staat an Kohäsion und Legitimität verliert, während die nichtstaatlichen Gewaltakteure an beidem gewinnen (vgl. Daase, 2000, S.216ff). Die Auswirkungen der Gewalt auf die Zivilgesellschaft sind uneindeutig: Krieg kann die Bevölkerung einschüchtern und stört deren sozialen Aufbau, andererseits kann er Anlass zur Gründung von Initiativen gegen den Krieg geben (vgl. Dudouet, 2008). Jedoch sind zivilgesellschaftliche Akteure allein nicht in der Lage, innergesellschaftliche Gewaltkonflikte zu regulieren oder zwischenstaatliche zu verhindern (vgl. Knöbl, 2006. S.12ff). Denn in Kriegssituationen gewinnen »Falken« gegenüber »Tauben« an Macht und Einfluss (vgl. Waldmann, 2002, S.380).

Bezüglich externer Akteure glaubte man während des Ost-West-Konflikts, dass sie Konflikte in »Drittweltstaaten« beliebig entfachen, steuern und beenden könnten; doch dazu haben Kriege zu komplexe Ursachen und eine zu große Eigendynamik (vgl. ebd., S.382). »Anheizen« können Drittstaaten wie private Akteure sie jedoch sehr wohl, z.B. durch Rüstungsexporte, finanzielle und militärische Unterstützung einer Konfliktpartei oder den Kauf von (nur selten sanktionsbelegten) Ressourcen, die den Konflikt finanzieren. UN-Einsätze v.a. in Bürgerkriegen dagegen zeigen die immensen Schwierigkeiten der Kriegsbeendigung von außen (vgl. Bellamy, 2004, S.162ff, 168f und 183ff). Ob insgesamt die möglichen mäßigenden Einflüsse externer Akteure größer oder geringer sind als die negativen, ist unklar (vgl. Waldmann, 2002, S.382).

Gesellschaftliche Auswirkungen von Kriegen

Krieg ist ein Motor des sozialen Wandels. Der Schwerpunkt bei dieser knappen Übersicht soll auf den kurz- bis mittelfristigen negativen Auswirkungen liegen, die mit dem »zivilisatorischen Hexagon« Dieter Senghaas’ kontrastiert werden. Dessen sechs miteinander in Wechselwirkung stehende Komponenten sollen einen dauerhaften Frieden garantieren:

1. das legitime Gewaltmonopol des Staates, das jedoch

2. rechtsstaatlich eingehegt werden muss;

3. eine aus den Interdependenzen komplexer Gesellschaften erwachsende Affektkontrolle der Individuen;

4. demokratische Teilhabe und

5. Bemühungen um soziale Gerechtigkeit;

6. eine Kultur konstruktiver Konfliktbearbeitung, welche sich erst im Laufe der Zeit auf der Grundlage der anderen Komponenten herausbilden kann (vgl. Senghaas, 2004., S.30ff).

Alle diese Elemente unterliegen potentiell einer Beeinflussung durch Krieg.

Zu 1. Zwischenstaatliche Kriege stellen nicht zwangsläufig (sondern erst z.B. nach sehr langer Dauer) eine Gefährdung des Gewaltmonopols dar; anders innerstaatliche Konflikte, die damit beginnen, dass dasselbe herausgefordert wird (vgl. Genschel/Schlichte, 1997, S.514f). Gelingt dem Staat die Verteidigung des Gewaltmonopols nicht, kann er zu einem Gewaltakteur unter vielen werden (vgl. Schneckener, 2007, S.377). Ein solcher Staatszerfall kann sowohl Ursache wie Folge von Krieg sein; in vielen Fällen verstärken sich die beiden Phänomene wechselseitig. Im Extremfall hört der Staat faktisch auf zu existieren, Warlord-Konfigurationen oder Parastaaten treten an seine Stelle (vgl. ausf. Bakonyi/Stuvøy, 2006). Parastaaten bilden konkurrierende Machtzentren, die einen Teil der Souveränitätsrechte des Staates „an sich gezogen“ haben (von Trotha, 2000, S.269). Jedoch können sie auch einen Faktor der Stabilität darstellen (vgl. Bakonyi/Stuvøy, 2006, S.50f) – vielleicht gerade in den Regionen, in denen der kolonial exportierte moderne Nationalstaat nie fest Fuß gefasst hat.

Zu 2. Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit werden im Krieg auf vielfältige Weise gefährdet oder missachtet: durch die Einführung des Kriegsrechts oder anderer rechtlicher Regelungen, die den Rechtsstaat einschränken, indem die Staatsgewalt selbst von den Herrschenden als Terrorinstrument missbraucht wird (»Staatsterrorismus«) oder indem die Schwächung des Gewaltmonopols der Herrschaft von Warlords, Faustrecht und Selbstjustiz Vorschub leistet (vgl. Tetzlaff, 2003, S.367f).

Zu 3. Kriege, insbesondere innerstaatliche, können die gesellschaftliche Arbeitsteilung empfindlich stören, etwa wenn Subsistenzwirtschaft und lokale Kriegsökonomien an die Stelle der komplexen Friedenswirtschaft treten (vgl. ebd.). Auch andere soziale Netze werden im Zuge der sozialen und räumlichen Polarisierung (vgl. Waldmann, 1998, S.111ff), d.h. Flucht und Vertreibung, zerrissen. Damit aber werden die Interdependenzen, die den Zusammenhalt der arbeitsteiligen Gesellschaft sichern, zumindest partiell aufgelöst, und der Gesellschaft droht Anomie bzw. ein Zerfallen in Kleingruppen. Die Auswirkungen von Kriegen auf Sozialisationsprozesse sind bisher kaum erforscht (vgl. Kizilhan, 2004, S.358), doch führt kriegsbedingte Extremtraumatisierung zu fundamentalen Erschütterungen des Selbst- und Weltverständnisses der Betroffenen. In der Folge sind Sozialverhalten und Affektkontrolle häufig stark gestört, viele Betroffene neigen zu Aggressionen etwa gegenüber Familienmitgliedern (vgl. Gurris, 2004, S 369ff).

Zu 4. In der Regel haben die Kriegsparteien, denen die Bedeutung der medialen Arena für die Landes- und Weltöffentlichkeit nur zu bewusst ist, kein Interesse an objektiv-neutraler, geschweige denn kritischer Berichterstattung (vgl. ausf. Luostarinen/Ottosen, 1998). Kriegsbedingungen bieten die Möglichkeit zu vielfältigen Einschränkungen der Medienfreiheit und anderer demokratischer Prinzipien, etwa durch Wahlaufschiebungen, Manipulationen der Öffentlichkeit, Unterdrückung oppositioneller Bewegungen bis hin zum Mord an Journalisten, Gewerkschaftern etc.

Zu 5. Krieg bedeutet die Konzentration gesellschaftlicher und ökonomischer Ressourcen auf die Kriegführung. Dies betrifft erstens die Menschen, die als Soldaten rekrutiert und eingesetzt werden. Da überproportional viele Soldaten aus den »unteren« Schichten stammen,3 ist folglich das Risiko, im Krieg verwundet oder getötet zu werden, gerade für die ohnehin Unterprivilegierten erhöht.

Zweitens gilt dies für die Finanzmittel, Rohstoffe, Fertiggüter und Nahrungsmittel, die für Kriegszwecke aus der normalen Wirtschaft oder dem Sozialstaat abgezogen werden (vgl. Bircan et al., 2010, S.5). Insbesondere in innerstaatlichen Kriegen entstehen in die globale Ökonomie eingebundene Kriegsökonomien verschiedener Art, insbesondere Schmuggel, Drogenkartelle, illegaler Abbau von Rohstoffen, Plünderung, »Besteuerung« von Hilfslieferungen (vgl. Jean/Rufin, 1999). Teilweise funktionieren diese Ökonomien direkt vermittels Gewalt und Sklavenarbeit (vgl. Tetzlaff, 2003, S.367). In der Folge bleibt häufig „eine ruinierte Wirtschaft und Infrastruktur, leere Staatskassen und eine verarmte Bevölkerung“ (Waldmann, 2002, S.382) zurück, während einige Wenige sehr gut am Krieg verdienen.

Zu 6. An der demokratischen Partizipation und der sozialen Gerechtigkeit hängt, so Senghaas, die Möglichkeit der Entwicklung einer Kultur friedlicher Konfliktbearbeitung. Krieg geht oft mit einem Wertewandel einher, der, auch über Verherrlichung der eigenen »Helden«, in Richtung einer Gewaltspirale weist (vgl. Joas, 2000, S.39). So entsteht eine »Kultur der Gewalt« (Bar-Tal, 2000), die über den aktuellen Konflikt hinaus in die Gemeinschaftsstrukturen, in Beziehungen zu Dritten und in die Zukunft hineinwirkt (vgl. Kizilhan, 2004, S.364ff).

All diese Beeinträchtigungen einer oder mehrerer Komponenten des Hexagons haben negative Auswirkungen auf die übrigen, selbst wenn diese nicht direkt vom Krieg betroffen sind. Im Extremfall droht, was Rainer Tetzlaff (2003, S.366ff.) als »Hexagon der Entzivilisierung« oder der Entmenschlichung beschrieben hat: das Versagen aller Komponenten des Hexagons.

Interventionen

Eine solche Entwicklung bedeutet, dass die Voraussetzungen, einen durch Intervention von außen erzielten Friedensschluss in einen dauerhaften Frieden umzusetzen, fehlen. Prinzipiell steht eine ganze Bandbreite von Interventionsmöglichkeiten zur Verfügung: militärische Intervention (Peace Keeping oder Peace Enforcement), Vermittlung, Reformen bzw. der Aufbau staatlicher oder zivilgesellschaftlicher Institutionen, humanitäre Hilfe etc.. Ebenso bieten sich außer der UN noch diverse Regionalorganisationen und Allianzen, u.a. die Afrikanische Union, die Europäische Union oder die NATO, und einzelne Staaten an, militärisch zu intervenieren oder Vermittlungsversuche zu unternehmen. Darüber hinaus ist im zivilen Bereich eine Vielzahl von staatlichen oder nichtstaatlichen Entwicklungsorganisationen tätig.

Sie alle stehen allerdings vor einer ganzen Reihe von Schwierigkeiten. Die notwendige Stabilisierung des Gewaltmonopols ist, insbesondere bei militärischer Intervention, kostspielig und voraussetzungsvoll: Der Einsatz muss völkerrechtliche Legitimität besitzen sowie den Betroffenen als legitim gelten, und die benötigten finanziellen und militärischen Mittel sind immens. Auf 1.000 EinwohnerInnen sollten (was selten der Fall ist) 20 SoldatInnen kommen, für mindestens fünf Jahre (vgl. Preble/Logan, 2006, S.17). Zudem ist die von außen erzwungene Waffenruhe auf jeden Fall instabil, wenn sie nicht von einer politischen Lösung begleitet ist. Doch auch Verhandlungen führen in zwischenstaatlichen Kriegen nur in gut der Hälfte, in innerstaatlichen nur in einem Fünftel der Fälle zum Ende der Gewalt (vgl. Waldmann, 2002, S.383).

Selbst im Fall des Gelingens sind zweitens die übrigen Komponenten des Hexagons noch nicht wiederhergestellt. Militärische Intervention vermag dies nicht zu leisten, eine zivile muss hinzukommen. Doch zwischen diesen beiden bestehen Ziel- und Mittelkonflikte, und jede Intervention, selbst humanitäre Hilfe, kann konfliktverlängernde oder -verschärfende Nebenfolgen haben, etwa indem sie zum Teil der Kriegsökonomie wird (vgl. Jean/Rufin, 1999, S.441ff). Vor allem lässt sich das zivilisatorische Hexagon in keiner Gesellschaft einfach von außen implementieren:

„Wollte man solches versuchen, so wäre in der Regel das Scheitern in etwa so prognostizierbar wie beim Transfer von fortgeschrittener Technologie in Entwicklungsländer: Übrig blieben […] Investitionsruinen, nur dass es sich in diesem Zusammenhang um ›soft technology‹-Ruinen, also nicht arbeitsfähige Regelwerke und Institutionen der öffentlichen Ordnung handelte.“ (Senghaas, 2004, S.132)

Möchte man nicht folglich auch die schlimmsten Bürgerkriege sich selbst überlassen, bleibt nur, die Quadratur des Kreises zu versuchen, indem man sich darauf beschränkt, diejenigen Institutionen (wieder-)aufzubauen, bei denen dies die Mehrheit der Bevölkerung vor Ort tatsächlich wünscht.

Literatur

Bar-Tal, D. (2000): Die Kultur der Gewalt, in: ÖSFK (Hrsg.): Konflikt und Gewalt. Ursachen – Entwicklungstendenzen – Perspektiven, Münster, S.66-81.

Bakonyi, J./Stuvøy, K. (2006): Zwischen Warlordkonfiguration und Quasi-Staat – Ansätze zu einer Typologie bewaffneter Gruppen, in: Bakonyi, J. et al. (Hrsg.): Gewaltordnungen bewaffneter Gruppen. Ökonomie und Herrschaft nichtstaatlicher Akteure in den Kriegen der Gegenwart, Baden-Baden, S.38-54.

Barth, F. (1969): Ethnic Groups and Boundaries. The Social Organization of Culture Difference, Bergen.

Bellamy, A. J. et al. (2004): Understanding peacekeeping, Oxford.

Bircan, C. et al. (2010): Violent Conflict and Inequality. DIW Discussion Papers, Nr. 1013, Mai 2010.

Chojnacki, S. (2004): Wandel der Kriegsformen? Ein kritischer Literaturbericht, in: Leviathan 32/3, S.402-424.

Bonacker, T. (Hrsg.) (2002): Sozialwissenschaftliche Konflikttheorien. Eine Einführung, Opladen.

Daase, C. (2000): Kleine Kriege – große Wirkung. Wie unkonventionelle Kriegsführung die internationale Politik verändert, Baden-Baden.

Dudouet, V. (2008): Zivilgesellschaft und Konflikttransformation – eine komplexe Wechselbeziehung, in: Wissenschaft & Frieden 4/2008, S.24-27.

Gantzel, K. J. (2002): Neue Kriege? Neue Kämpfer? Arbeitspapier Nr. 2/2002 der Forschungsstelle Kriege, Rüstung und Entwicklung der Universität Hamburg.

Genschel, P./Schlichte, K. (1997): Wenn Kriege chronisch werden: Der Bürgerkrieg, in: Leviathan 4/1997, S.501-517.

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Knöbl, W. (2006): Zivilgesellschaft und staatliches Gewaltmonopol. Zur Verschränkung von Gewalt und Zivilität, in: Mittelweg 36, 15/1, S.61-84.

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Münkler, H. (2002): Die neuen Kriege, Reinbek.

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Schneckener, U. (2007): Staatszerfall und fragile Staatlichkeit, in: Ferdowsi, M. A. (Hrsg.): Weltprobleme. München, S.357-392.

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Senghaas, D. (2004): Zum irdischen Frieden. Erkenntnisse und Vermutungen, Frankfurt/M.

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Tetzlaff, R. (2003): Staats- und Zivilisationszerfall. Wird Afrika anschlussfähig an die globalisierte Welt? In: Küng, H./Senghaas, D. (Hrsg.): Friedenspolitik. Ethische Grundlagen internationaler Beziehungen, München, S.321-383.

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von Trotha, T. (2000): Die Zukunft liegt in Afrika. Vom Zerfall des Staates, von der Vorherrschaft der konzentrischen Ordnung und vom Aufstieg der Parastaatlichkeit, in: Leviathan 28, S.253-279.

Waldmann, P. (1998): Eigendynamik und Folgen von Bürgerkriegen, in: Ders./Krumwiede, H. (Hrsg.): Bürgerkriege: Folgen und Regulierungsmöglichkeiten, Baden-Baden, S.108-132.

Waldmann, P. (2002): Bürgerkriege, in: Heitmeyer, W./Hagan, J. (Hrsg.): Internationales Handbuch der Gewaltforschung, Opladen, S.368-389.

Anmerkungen

1) Hamburg: Klaus Jürgen Gantzel, www.akuf.de; Heidelberg: Frank R. Pfetsch, www.hiik.de. Zur Dynamik ausführlich Schwank, 2010.

2) Diese Thesen haben zu Recht vielfältige Kritik auf sich gezogen (u.v.a. Gantzel, 2002; Choijnacki, 2004).

3) Vgl. am Beispiel der US-Soldaten im Vietnam-Krieg Joas, 2000, S.168f.

Für Kritik und Anregungen danke ich Peter Schlotter, Nicolas Schwank und Jan Deuter; für den Inhalt und eventuelle Fehler trage ich jedoch allein die Verantwortung.

Lotta Mayer, M.A., studierte in Heidelberg Soziologie, Politikwissenschaften und Philosophie, promoviert derzeit in Marburg und ist seit 2005 Mitglied des Vorstandes des Heidelberger Instituts für Internationale Konfliktforschung (HIIK).

Friedliche Einmischung

Friedliche Einmischung

Zivile Konfliktbearbeitung 1995–2010

von Norbert Ropers

Der Beitrag diskutiert drei Aspekte ziviler Konfliktbearbeitung (ZKB), die in den letzten anderthalb Jahrzehnten maßgeblich deren Entwicklung beeinflusst haben: die Interdependenz ihrer Ansatzpunkte und Verfahren in der Staaten- und Gesellschaftswelt, die Bedeutung dritter Parteien und die Leitfunktion der „interaktiven Konfliktlösung“.1

Eine der Veränderungen, die das Ende des Kalten Krieges mit sich brachte, war der fundamentale Wandel im Engagement für den Frieden. Am deutlichsten ist das wahrnehmbar an den Biographien der älteren Generation von Friedensaktivisten in Europa und Nordamerika. Viele von ihnen waren in den siebziger und achtziger Jahren aktiv engagiert in Kampagnen zur Abrüstung, Rüstungskontrolle und Entspannungspolitik, geprägt von Konzepten der Gewaltfreiheit und überzeugt von der Notwendigkeit, Basisbewegungen zu stärken gegen die Macht der militärisch-industriellen Komplexe und den »Autismus« des Systems der nuklearen Abschreckung.

Die veränderte Situation in Europa mit einer Vielzahl ethnopolitischer Konflikte in der post-kommunistischen Welt führte dazu, dass sich ein neues Arbeitsfeld im Sinne der zivilgesellschaftlichen Konfliktbearbeitung herauskristallisierte. Es hatte zwar auch deutlich sichtbare Wurzeln in der früheren Friedensbewegung, war aber von Anfang an auf das praktische Engagement mit den Menschen angelegt, die unmittelbar von den Konflikten betroffen sind. Jetzt kam es darauf an, sich für dieses Engagement zu qualifizieren und zu professionalisieren, sei es in Gestalt der Mediation von Konflikten, der gesellschaftlichen Vertiefung und Verbreiterung von Friedensprozessen oder der Unterstützung einheimischer Friedensaktivisten.

Parallel dazu gab es auch in der Staatenwelt vermehrte Bemühungen, Ansatzpunkte und Instrumente für die Prävention, Beendigung und Transformation subnationaler gewaltsamer Konflikte zu finden. Seit der »Agenda für den Frieden« von 1992 erweiterten die Vereinten Nationen schrittweise ihre Kapazitäten nicht nur zum Kapitel VII der VN-Charta (Friedensoperationen), sondern auch zum Kapitel VI (Friedliche Beilegung von Streitigkeiten) bis hin zur aktuellen Debatte um die »Responsibility to Protect«. Mittlerweile werden diese und vergleichbare Entwicklungen in der Politik diverser europäischer Staaten sowie diverser Regionalorganisationen als internationale Strategie des »liberalen Friedens« umschrieben (Richmond, 2007).

Die Erfahrungen der vergangenen zwei Jahrzehnte mit ZKB und liberalem Frieden haben eine Debatte darüber ausgelöst, was mit diesen Konzepten bislang erreicht worden ist, mit welchen Schwierigkeiten und Dilemmata es konfrontiert ist und welche Schlussfolgerungen sich daraus für dessen Weiterentwicklung ergeben. In diesem Beitrag möchte ich an diese Debatte anknüpfen und auf der Basis meiner persönlichen Erfahrungen sowie der kollegialen Diskussion Überlegungen vorstellen, die sich vor allem auf Ansatzpunkte und Verfahren der ZKB beziehen. Unter diesem Begriff verstehe ich dabei sowohl die Aktivitäten der Zivilgesellschaft als auch die nicht-militärischen Bemühungen der Staatenwelt zur Friedensförderung.

Der Ausgangspunkt ist ein Beitrag, der 1995 als Berghof-Report 1 unter dem Titel »Friedliche Einmischung. Strukturen, Prozesse und Strategien zur konstruktiven Bearbeitung ethnopolitischer Konflikte« erschien. Dabei standen drei Gesichtspunkte im Zentrum, die bis heute die Diskussion beeinflussen:

1. die Notwendigkeit der ZKB in der Staaten- und Gesellschaftswelt,

2. die Bedeutung dritter Parteien und

3. die Leitfunktion des Konzepts der »interaktiven Konfliktlösung«.

Zur Interdependenz ziviler Konfliktbearbeitung

Eine in den neunziger Jahren weithin akzeptierte Vorstellung zur Zivilisierung akuter wie potentieller Gewalt in subnationalen Konflikten war, dass es sowohl in der Staaten- wie in der Gesellschaftswelt darauf ankomme, einerseits Prozesse der Gewaltbeendigung und Konfliktregelung in Gang zu setzen und andererseits Strukturen (und Kulturen) zu schaffen, die auf die Beseitigung der Konfliktursachen zielten. Diese Vorstellung wurde 1995 in dem schon erwähnten Beitrag in einem Vierfelder-Schema dargestellt (siehe Tabelle). In allen vier Feldern hat es seitdem eine bemerkenswerte Expansion von Instrumenten, Methoden und Aktivitäten gegeben und parallel dazu auch eine konzeptionelle Diskussion über die Leitbilder, die diese Initiativen anleiten sollten (siehe Tabelle).

Vierfelder-Schema der zivilen Konfliktbearbeitung

Staatenwelt Gesellschaftswelt
Prozesse der
Gewaltbeendigung, Konfliktregelung und Kriegsfolgen-Bewältigung
Präventive Diplomatie, Krisenmanagement, Mediation, Verhandlungsunterstützung, Friedensoperationen, »Responsibility to Protect«, »Transitional Justice«, getrenntes strategisches Engagement mit Konfliktparteien Qualifizierung von Schlüsselpersonen und -organisationen friedlichen Wandels, Dialogprojekte und Vernetzungsarbeit, Lobbytätigkeiten, Vertiefung und Verbreiterung von Friedensprozessen, Rehabilitation und Integration der Vergangenheit in Nachkriegs­situationen
Strukturen
(und Kulturen) zur
Transformation der Konfliktursachen
Staatsbildung nach dem Modell des »liberalen Friedens«, konflikt-sensitive Entwicklungskoopera­tion Pluralistische Zivilgesellschaft, Multi- und transethnische Identitätsgruppen, gewaltfreie pro-aktive Konfliktkultur

Führende Vertreter der einflussreichen International Crisis Group, die sowohl in der Staaten- wie Gesellschaftswelt engagiert sind, argumentieren, dass der signifikante Rückgang von gewaltsamen Konflikten in den anderthalb Jahrzehnten nach den frühen 1990er Jahren maßgeblich auf diese Expansion zurückzuführen ist (Evans, 2009). Getrübt wird diese Tatsache dadurch, dass es sowohl einen verbleibenden Sockel von 30 bis 40 gewaltsamen Konflikten gibt als auch eine hohe Zahl latenter Konflikte, fragiler Staaten und von Transformationsprozessen, die als »weder Krieg noch Frieden« bezeichnet werden können (Stiftung Entwicklung und Frieden, 2009).

Vor diesem Hintergrund gibt es im Hinblick auf das Engagement in der Staaten- wie Gesellschaftswelt eine intensive Debatte über deren Wirksamkeit, Effizienz und Nachhaltigkeit. In der Staatenwelt dreht sich die konzeptionelle Debatte vor allem um die Frage, inwieweit das Leitbild des »liberalen Friedens« eine angemessene Orientierung darstellt und welche Rolle die staatliche Entwicklungskooperation in diesem Zusammenhang spielen kann, zwei Themen, die in diesem Beitrag nicht weiter reflektiert werden können. In der Gesellschaftswelt haben sich vor allem zwei Schwerpunkte herauskristallisiert: Erstens die Frage, wie sich die Wirksamkeit zivilgesellschaftlichen Engagements belegen lässt, und zweitens, ob sich das Feld bei aller Expansion bzw. gerade wegen dieser Expansion nicht zu sehr den Vorgaben der Staatenwelt untergeordnet und damit ihr Potential als Kraft zur grundsätzlichen Infragestellung militärischer Konfliktbearbeitung eingebüsst hat.

Beide Fragen hängen insofern zusammen, als Wirksamkeit am Ende bedeutet, dass aufgrund von Aktivitäten der zivilen Konfliktbearbeitung ein nachhaltiger und gerechter Frieden gefördert wird (auch als »Peace Writ Large« bezeichnet). Genau dieser Zusammenhang ist aber bei der weit überwiegenden Zahl von einzelnen Initiativen nicht ohne weiteres herstellbar und im strengen Sinne angesichts der Komplexität sozialer Prozesse ohnehin kausal nicht möglich. Deshalb richten sich in der jüngsten Zeit viele Qualifizierungsmaßnahmen der ZKB darauf, »Theorien des Wandels« zu entwickeln, die es erlauben, plausible kausale Brücken zu schlagen zwischen den Aktivitäten und ihrer Relevanz für Peace Writ Large (Anderson et al, 2007).

Ein gemeinsames Merkmal der meisten Theorien des Wandels ist, dass sie von einem kumulativen Verständnis der Friedensförderung ausgehen. Sei es im klassischen Modell der Multitrack-Pyramide oder in anderen Diagrammen, wie der oben vorgestellten Aufteilung in Aktivitäten in der Staaten- und Gesellschaftswelt – es wird angenommen, dass die Chancen der Friedensförderung damit wachsen, dass auf möglichst vielen sozialen Ebenen und in möglichst vielen Feldern des Konflikts Maßnahmen der Friedensförderung stattfinden.

So plausibel die These ist, die sich auf die Kumulation komplementärer Aktivitäten richtet, sie verleitet zu der Schlussfolgerung, dass es vor allem darauf ankomme, die Triebkräfte gewaltfreier Verständigung, von Ausgleich, Verständigung und Kompromiss insgesamt zu stärken, um damit einen im Idealfall linearen Friedensprozess zu befördern. Die Analyse von realen Friedensprozessen demonstriert jedoch, dass sie selten linear verlaufen und dass es Fälle gibt, in denen eine verstärkte Friedenslobby oder »peace constituency« Gegenbewegungen provozieren, die den Effekt der friedlichen Mobilisierung ins Gegenteil verkehren können (Ropers, 2008).

Eine Konsequenz dieser Einsicht ist, dass es neben der wichtigen Aufgabe einer klugen und komplementären Kumulation von friedensfördernden Aktivitäten auch darauf ankommt, Strategien zu entwickeln, die sich auf das gesamte System des Konflikts beziehen und dabei auf jene Akteure und Faktoren zu achten, die maßgeblich zur Eskalation und Reproduktion des Konflikts beitragen. Die Frage ist, wie und ob sie im Rahmen eines kommunikativen Engagements zu erreichen sind, auf dem ein Großteil der ZKB beruht.

In diesem Bereich hat es in den vergangenen Jahren womöglich die interessanteste Entwicklung der ZKB gegeben, nämlich das getrennte strategische Engagement mit Konfliktparteien. Hier ist der Ausgangspunkt, eine vertrauensvolle Beziehung mit jenen Akteuren zu entwickeln, die zu den maßgeblichen Antriebskräften des Konflikts gehören. Das kann in der Regel nicht im Rahmen von »Projekten« geschehen, sondern bedarf einer langfristigen »projektfreien« Beziehungsentwicklung, des Zuhörens und Verstehens und des Hineindenkens in die Weltsicht der betreffenden Akteure. Beispiele gibt es dafür sowohl im Hinblick auf das Engagement mit nationalistisch eingestellten Mehrheitsvertretern als auch mit Repräsentanten nicht-staatlicher bewaffneter Gruppen, die sich für die Rechte von Minderheiten einsetzen.

Aufgrund meiner eigenen Erfahrungen in Asien möchte ich zwei Beispiele anführen, wie ein solches Engagement transformative Qualitäten entwickeln kann.

Für viele asiatische Regierungspolitiker gibt es vor allem drei maßgebliche Ziele: den eigenen Machterhalt bzw. die Machterweiterung, wirtschaftliches Wachstum und politische Stabilität, wobei die beiden letztgenannten Ziele zugleich dem ersten dienen. Interne ethnopolitische Konflikte werden vor allem unter dem Gesichtspunkt der politischen Stabilität als Problem betrachtet. Ihre nahe liegendste Reaktion ist, alles zu vermeiden, was zu einer Neuaushandlung der politischen Machtverteilung führen könnte. Bevorzugte Methoden sind deshalb Vermeidung, Repression, Kooptation von Minderheiten-Vertretern, entwicklungspolitische und administrative Maßnahmen. Oft erweisen sich diese »quick fixes« jedoch als wenig tragfähig, nicht selten sind sie sogar kontraproduktiv. Ein wichtiges Element des strategischen Engagements innerhalb dieser Zirkel sind dann Diskussionen zu langfristigen Szenarien und alternativen politischen und nicht-militärischen Optionen.

Vergleichbare Erfahrungen gibt es beim Engagement mit Repräsentanten nicht-staatlicher bewaffneter Gruppen, insbesondere wenn sie in Verbindung gebracht werden mit Gruppen, die sich vor längerer oder kürzerer Zeit entschieden haben, anstelle einer militärischen eine ausschließlich politische Strategie der Interessenvertretung zu verfolgen. Viele von ihnen haben über die Jahre einer militärischen Auseinandersetzung einen Tunnelblick entwickelt, der es ihnen schwer macht, alternative Optionen zu sehen, vor allem die Chancen, die kluge politische Lobbyarbeit auf der Basis internationaler rechtlicher Standards bietet (Dudouet, 2009).

Ein weiterer kritischer Punkt betrifft die Frage, inwieweit zivilgesellschaftliche Aktivitäten die Defizite fragiler Staatlichkeit oder die Widerstände autoritär verfasster Staaten und radikaler politischer Bewegungen gegen einvernehmliche Konfliktregelungen ausgleichen können. Die Bilanz dieser Debatten ist, dass zivilgesellschaftliche Initiativen in der Tat wichtige Funktionen übernehmen können für die Prävention von Konflikten, die öffentliche Unterstützung von Friedensprozessen, die Bearbeitung von Kriegsfolgen, die Wieder-Annäherung voneinander entfremdeter Gemeinschaften und viele andere Aufgaben. Sie sind überfordert, wenn man von ihnen erwartet, dass sie im Umfeld eines fragilen oder autoritär verfassten Staates und einer gespaltenen oder gar verfeindeten politischen Klasse das Gemeinwesen »retten« können (Fischer, 2010 i.E.).

Im Hinblick auf den oben erwähnten zweiten Punkt, die Frage nach der Schaffung eines global wirksamen Systems friedlicher Konfliktbearbeitung, geht es ebenfalls um das Verhältnis zwischen der Staaten- und Gesellschaftswelt. Dieser Aspekt wird von jenen aufgeworfen, die sich mit dem Engagement zugunsten der ZKB eine prinzipielle Veränderung im Umgang mit Konflikten von militärischen zu zivilen Formen erhofft hatten. Sie sind besorgt, dass parallel zum Ausbau der ZKB nach einer vorübergehenden Reduktion nach dem Ende des Ost-West-Konflikts seit Ende der neunziger Jahre auch die Militärausgaben massiv angestiegen sind.

In zwei Beiträgen haben Lada Zimina und Simon Fisher (2008) sowie Diana Francis (2010) die Frage aufgeworfen, ob die »Kooptation« der gesellschaftlichen Akteure durch Strategien, Konzepte und Förderungsbedingungen der Staatenwelt sie nicht zumindest teilweise ihres transformativen Potentials beraubt hat. Darüber hinaus werfen sie die Frage auf, ob Akteure der ZKB in einigen Fällen nicht sogar zu Komplizen beim Versuch geworden seien, Konflikte militärisch zu lösen, und damit zumindest indirekt auch eine Verantwortung für die Fortsetzung des Systems militärischer Konfliktbearbeitung übernommen hätten.

Von »Insidern« und »Outsidern«

Das Bemühen um die friedliche Streitbeilegung durch dritte Parteien war von Anfang an ein wesentliches Element internationaler Diplomatie. Während des Ost-West-Konflikts spielte die Rolle dritter Parteien beim Krisenmanagement, der friedlichen Koexistenz und Entspannungspolitik zumindest in Europa jedoch nur eine untergeordnete Rolle. Das sollte sich mit dem Ende des Ost-West-Konflikts signifikant verändern. Gerade im Hinblick auf den Umgang mit ethnopolitischen Konflikten schien die Beteiligung von dritten Parteien jetzt nahezu ein Allheilmittel zu sein, um den streitenden Akteuren einen gesichtswahrenden Ausweg zu ermöglichen und um die Verantwortung der internationalen Gemeinschaft für Frieden und Sicherheit bei diesem Konflikttyp wahrzunehmen, für den es bis dahin nur wenige Regelungsmechanismen gab.

Befördert wurde das Interesse durch eine parallele Popularisierung des Konzepts der Mediation für eine Vielzahl interpersonaler wie innergesellschaftlicher Konflikte seit den achtziger Jahren in der westlichen Welt, sei es bei der Regelung von Familien-, Organisations- und Nachbarschaftskonflikten, bei Tarifstreitigkeiten, beim Täter-Opfer-Ausgleich oder bei Konflikten um öffentliche Belange, wie der Erweiterung von Flughäfen und anderen großen Investitionsvorhaben. Die Attraktion des Mediationskonzepts lag darin, dass es ein Verfahren der Konfliktregelung vorschlug, dass jenseits der Fremdbestimmung rechtlicher Prozesse und der Überwältigung durch die Macht oder Gewalt einer Seite angesiedelt war. Die Grundidee ist, in einem freiwilligen, strukturierten Kommunikationsprozess mit Hilfe einer neutralen dritten Partei die Bedürfnisse und Interessen der Parteien hinter ihren oft verhärteten Positionen zu klären und damit den Boden für eine Lösung zu bereiten, die von allen Beteiligten akzeptiert werden kann.

Mittlerweile haben sich mediative Prinzipien weltweit als wichtige und hilfreiche Orientierungsmaßstäbe für den Umgang mit Konflikten herausgestellt, wobei oft genug die Erfahrung gemacht wurde, dass es sich um Prinzipien handelt, die in vielen traditionalen Kulturen ohnehin tief verankert sind. Parallel dazu wurde deutlich, dass es ein breites Spektrum von mediativen Drittpartei-Rollen gibt, von den guten Diensten und der Pendel-Diplomatie über die Moderation von Gesprächen, die Fazilitation von Dialogen, die Mediation im engeren Sinne bis zu Arbitration und der »mediation with muscles« (Herrberg, 2009).

Die Etablierung mediativer Prinzipien und Mechanismen für die Bearbeitung ethnopolitischer und anderer subnationaler Konflikte in der Staatenwelt benötigte etwas mehr Zeit. Sie vollzog sich vor allem im Aufbau von Unterstützungsmechanismen für dritte Parteien, z.B. der »Mediation Support Unit« der Vereinten Nationen und der »Initiative for Peacebuilding« der Europäischen Union, aber auch in der Entwicklung von neuen und unterschiedlichen Organisationsformen, in der die dritten Parteien ihre Rolle wahrnahmen, z.B. als »Special Envoys« oder als »Freundesgruppen«, ein Bereich, in dem sich auch eine neue Grauzone zwischen der Staaten- und Gesellschaftswelt herausgebildet hat. Eine wichtige Rolle für die Weiterentwicklung dieser Instrumente spielten einzelne Länder wie Norwegen, die Schweiz und Finnland sowie regierungsnahe internationale Nichtregierungsorganisationen wie das Centre for Humanitarian Dialogue in Genf, deren Vertreter Pionierfunktionen bei der Entwicklung neuer Mediationsstrategien übernommen haben. Freilich waren es auch diese Akteure, die öfter schmerzhaft mit den Grenzen des Instruments konfrontiert wurden, wie z.B. Norwegen im Nahen Osten und in Sri Lanka.

In der Gesellschaftswelt war von Anfang an der Bezug zur Nutzung mediativer Prinzipien und Methoden bei interpersonalen und anderen innergesellschaftlichen Konflikten sehr viel näher. Das führte dazu, dass sich innerhalb der ZKB eine neue Gruppe von Personen etablierte, die aus der Mediation kamen, und dass umgekehrt viele frühere Friedensaktivisten zu professionellen Mediatoren wurden. In ihrer Arbeit in Krisen- und Konfliktgebieten ging es zum einen darum, diese Methoden auf den verschiedenen »Tracks« einzusetzen, wobei es sich vor allem um die Organisation und Fazilitation von Dialogen zwischen verfeindeten bzw. konkurrierenden Gruppen handelte. Zum anderen wurden Trainings- und Ausbildungsprogramme in Mediation zu einem Schlüsselkonzept für die Beförderung einer neuen, konstruktiven Konfliktkultur in diesen Ländern (Splinter/Wüstehube, 2007).

Friedensmediation und Dialogarbeit sind zu tragenden Elementen bei der Transformation von Gewalt und politischen Konflikten geworden. Die Vision, dass es mit Hilfe eines umfassenden »multi-track«- Netzwerks von Vereinten Nationen, Europäischer Union, einzelstaatlichen, zivilgesellschaftlichen u.a. Mediatoren zu einer neuen globalen Konfliktbearbeitungskultur kommen könnte, hat sich allerdings als verfrüht, wenn nicht sogar als illusionär herausgestellt. Verantwortlich sind dafür vor allem die einseitige Stossrichtung dieses Bemühens vom globalen Norden in den Süden und der zum Teil massive Widerstand vieler Länder, die sich strikt gegen diese Form der Einmischung in ihre Souveränität zur Wehr setzen.

Diese Einwände und Vorbehalte haben die Aufmerksamkeit auf eine Tatsache gelenkt, die von Anfang an bekannt war, aber im Enthusiasmus für die internationale Friedensmediation in Vergessenheit geriet, dass nämlich die Mehrzahl der Personen, die sich für Gewaltbeendigung, Moderation, Ausgleich und Kompromisse in Krisen- und Konfliktländern engagieren, Einheimische sind. Diese Personengruppe, die man auch als Insider Mediatoren bezeichnen kann, zu unterstützen und in ihrer Arbeit zu begleiten, ist zu einer ebenso wichtigen Aufgabe geworden wie die Förderung der internationalen Mediation (Mason, 2009). Möglicherweise eröffnet die Kooperation dieser beiden Gruppen die besten Chancen für nachhaltige Friedensprozesse, wie es etwas das Beispiel Nepal gezeigt hat.

Sind die kommunikativen Veränderungsstrategien tragfähig?

Einer der einflussreichsten Ansätze in der Anfangszeit der ZKB, insbesondere in akademisch beeinflussten Zirkeln, war das Konzept der »Interactive Conflict Resolution«. Es basiert auf der Überzeugung, dass es bei Konflikten zwischen Identitätsgruppen darauf ankommt, die beteiligten Personen so miteinander ins Gespräch zu bringen, dass sie wechselseitig ihre Grundbedürfnisse der Anerkennung und Sicherung ihrer kollektiven Identitäten respektieren können. Die Aufgabe der dritten Partei sei es in diesem Zusammenhang, durch eine gemeinsame Analyse des Konflikts diese Bereitschaft zu fördern. Andere Ansätze der Mediation sind weniger anspruchsvoll im Hinblick auf die Notwendigkeiten der Analyse. Gleichwohl heben alle darauf ab, dass es in der Kommunikation mit und zwischen den Konfliktparteien darauf ankommt, die Unterschiede zwischen Positionen, Interessen und Bedürfnissen herauszuarbeiten und Wege zu finden, grundlegende Gemeinsamkeiten zu identifizieren, auf denen eine Verständigung im Hinblick auf die Konfliktthemen aufbauen kann.

So hilfreich der Ansatz ist, haben die Erfahrungen der vergangenen Jahrzehnte seine Grenzen aufgezeigt. Ein erster Punkt ist, dass die Unterscheidung zwischen nicht-verhandelbaren Grundbedürfnissen, verhandelbaren Interessen und Positionen in der Praxis sehr viel schwieriger ist als in der Theorie. Wer definiert, was verhandelbar ist und was nicht? Ein zweiter Punkt ist, dass diese Konflikte in der Regel zwischen Parteien mit unterschiedlicher Macht ausgetragen werden, was zwangsläufig Folgen selbst für die wohl gemeintesten allparteilichen Vermittlungsbemühungen hat. Schließlich stellt sich die Frage, inwieweit primär kommunikative Verfahren, wie sie bei Dialogveranstaltungen und in Mediationssitzungen verwandt werden, hinreichend sind, um nachhaltige Einstellungs- und Verhaltensänderungen zu bewirken.

Diese Einsichten haben zu einer Reihe von Überlegungen, Konzepten, Initiativen und Aktivitäten geführt, die darauf hindeuten, dass die ZKB erst am Anfang ihrer theoretischen wie praktischen Entwicklung steht. Von Anfang an war ein wichtiger Aspekt die Kombination mit entwicklungspolitischen Vorhaben verschiedenster Art. Drei jüngere viel versprechende Ansätze sind die Auseinandersetzungen mit der fundamentalen Kluft tiefer Meinungsverschiedenheiten, die Bedeutung von Demütigungen und die Verarbeitung ihrer Folgen sowie Ansätze, die Arbeit an Konflikten institutionell zu verankern.

In vielen lang anhaltenden Konflikten, z.B. im Nahen Osten, sind die Meinungsverschiedenheiten so fundamental ausgeprägt (deep disagreements), dass gut gemeinte Dialogbemühungen oft entweder in wechselseitiger Verständnislosigkeit oder – schlimmer – in verstärkten Aversionen enden. In diesen Fällen kommt es darauf an, neue Formen des strategischen Engagements zu entwickeln, bei denen es sich zunächst um die Arbeit innerhalb der jeweiligen Gruppe handelt (Ramsbotham, 2010). Ähnliches gilt für den Umgang mit Demütigungen, die vermutlich zu den wichtigsten psychologischen Antriebskräften von Konflikten gehören (Lindner, 2006).

Die Bearbeitung tief verwurzelter Konflikte braucht Zeit. Die meisten Initiativen der ZKB sind eher kurzfristig angelegt. Mit der Einführung von Projektzyklen in die professionelle Friedensarbeit wurden zwar längere Zeiträume möglich. Zugleich aber wurden sie der klassischen Projektlogik unterworfen, die nicht notwendigerweise der Logik des Konflikts und seiner Bearbeitung folgt. Eine Reaktion auf diese Erfahrung war die Schaffung von Initiativen und Organisationen, die die Konfliktbearbeitung institutionell absichern sollten, wie Friedenssekretariate, lokale und regionale Friedenskommissionen und diverse parteiliche wie allparteiliche Beratungsgremien. Diese »Infrastrukturen der Friedensunterstützung« sind bislang erst wenig im Hinblick auf ihre Leistungsfähigkeit untersucht worden. Es spricht aber viel dafür, dass in diesen institutionellen Räumen ein erhebliches Potential für die Weiterentwicklung der ZKB liegt.

Literatur

Anderson, Mary B., Diana Chigas, Peter Woodrow (2007): Encouraging Effective Evaluation of Conflict Prevention and Peacebuilding Activities. Towards DAC Guidance. Paris: OECD-DAC, S.23; http://www.oecd.org/dataoecd/52/3/39660852.pdf.

Dudouet, Veronique (2009): From War to Politics. Resistance/Liberation Movements in Transition. Berlin: Berghof Conflict Research (Berghof Report 17).

Evans, Gareth (2009): The Responsibility to Protect: Ending Mass Atrocity Once and For All. Washington: Brookings.

Fischer, Martina (2010 i.E.): Zivilgesellschaft und Staatsbildung in Nachkriegsregionen – Erfahrungen in Bosnien-Herzegowina, in: Die Friedenswarte. 2010 i.E.

Fisher, Simon & Zimina, Lada (2009): Just Wasting Our Time? Provocative Thoughts for Peacebuilders, in: Beatrix Schmelzle, Martina Fischer (Hrsg.): Peacebuilding at a Crossroads? Dilemmas and Paths for Another Generation. Berghof Handbook Dialogue Series 7. Berlin: Berghof Conflict Research, S.11–35.

Francis, Diana (2010): From Pacification to Peacebuilding. A Call to Global Transformation. London: Pluto Press.

Herrberg, Antje with Canan Gündüz, Laura Davis (2009): Engaging the EU in Mediation and Dialogue. Reflections and Recommendations. Synthesis Report. Brussels: Initiative for Peacebuilding.

Lindner, Evelin (2006): Making Enemies: Humiliation and International Conflict. New York: Praeger.

Mason, Simon (2009): Insider Mediators. Exploring Their Key Role in Informal Peace Processes. Berlin: Berghof Peace Support (& Mediation Support Project of the Swiss Peace Foundation and the Center for Security Studies at the ETH Zurich).

Paffenholz, Thania (Hrsg.) (2010): Civil Society & Peacebuilding. A Critical Assessment. Boulder, Col: Lynne Rienner.

Ramsbotham, Oliver (2010): Transforming Violent Conflict: Radical Disagreement, Dialogue and Survival. London: Routledge.

Richmond, Oliver P. (2007): The Transformation of Peace. Basingstoke: Palgrave Macmillan.

Ropers, Norbert (1995): Friedliche Einmischung. Strukturen, Prozesse und Strategien zur konstruktiven Bearbeitung ethnopolitischer Konflikte. Berlin: Berghof Conflict Research. (2. Aufl. 2007).

Ropers, Norbert (2008): Systemic Conflict Transformation: Reflections on the Conflict and Peace Process in Sri Lanka, in: Daniela Körppen et al (Hrsg): A Systemic Approach to Conflict Transformation. Exploring Strengths and Weaknesses. Berlin: BCR (Berghof Handbook Dialogue Series 6), S.11–41.

Splinter, Dirk & Wüstehube, Ljubjana (2007): Konfliktbearbeitung im internationalen Kontext – was können wir als MediatorInnen beitragen? In: Ralf Lange et al (Hrsg.): Frischer Wind für Mediation. Konzepte, Praxisfelder und Perspektiven der Konfliktberatung. Bundesverband Mediation, S.21–36.

Stiftung Entwicklung und Frieden (2009): Globale Trends 2010: Frieden – Entwicklung – Umwelt. Frankfurt am Main: Fischer.

Anmerkung

1) Für Anregungen zur Überarbeitung der ersten Fassung des Artikels bedanke ich mich herzlich bei Ulrike Hopp.

Dr. Norbert Ropers ist Gesellschafter und Geschäftsführer von Berghof Peace Support in Berlin und Leiter eines Projekts zur Unterstützung von Insider-Mediatoren in Asien mit Sitz in Bangkok; seine Aktionsforschung befasst sich mit Friedensprozessen, und er ist Mediations-Trainer und Facilitator von Dialog-Projekten.

Muss Subsidiarität sein?

Muss Subsidiarität sein?

Optionen der staatlich-zivilgesellschaftlichen Zusammenarbeit

von Rainer Nolte

In den Dokumenten des Deutschen Bundestages und der Bundesregierung zur zivilen Konfliktbearbeitung findet sich an einigen Stellen der Begriff »subsidiär«.Was bedeutet die Forderung nach Subsidiarität tatsächlich in der friedens- und konfliktrelevanten Zusammenarbeit zwischen Staat und zivilgesellschaftlichen Akteuren, was für ein Förderprogramm wie »zivik«?

Der Bundestag formulierte in seinem Beschluss zur »Förderung der Handlungsfähigkeit zur zivilen Krisenprävention, zivilen Konfliktregelung und Friedenskonsolidierung« ( Drucksache 14/3862 vom 7. Juli 2000): „Angesichts der Komplexität von Konfliktlagen sind einzelne Staaten oder Organisationen … häufig überfordert. Maßnahmen in diesen Bereichen haben besonders dann Aussicht auf Erfolg, wenn sie subsidiär, multilateral und multidimensional angelegt sind, wenn verschiedene … vor allem konfliktvermittelnde Kräfte aus den Konfliktregionen zusammenwirken.“ Das »Förderkonzept des Auswärtigen Amtes zur Unterstützung von internationalen Maßnahmen auf dem Gebiet der Krisenprävention, des Friedenserhalts und der Konfliktbewältigung« von 2001 verweist darauf als Zitat. Der Aktionsplan »Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung« der Bundesregierung von 2004 greift diese Formulierung ebenfalls auf (S.43). Er stellt ihr zusätzlich eine zweite voran (S.9): „Für die Krisenprävention verantwortlich sind in erster Linie die Konfliktparteien selbst. … Aufgabe externer Akteure ist es, subsidiär friedenserhaltende oder friedensschaffende Prozesse zu unterstützen und zu begleiten.“

»zivik«

Das Förderprogramm »zivik« (Zivile Konfliktbearbeitung) des Instituts für Auslandsbeziehungen e.V. hat mit Mitteln des Auswärtigen Amtes seit 2001 mehr als 600 Friedensprojekte in rund 50 Ländern weltweit mit insgesamt über 40 Millionen Euro begleitet und unterstützt. Es werden Projekte von Organisationen gefördert, die im Unterschied zu staatlich gesteuerten Maßnahmen einen zivilgesellschaftlichen Beitrag zu internationalen Friedensbemühungen leisten. Dies geschieht in Abgrenzung zu entwicklungspolitischen Maßnahmen sowie zu Projekten mit überwiegend humanitärem, menschenrechtlichem und demokratieförderndem Charakter. Vielmehr ist die Förderung auf konkrete Konfliktkontexte und die damit verbundenen brennenden politischen Fragen ausgerichtet; sie zielt auf eine friedliche Dialogkultur im Rahmen von gewaltgefährdeten Auseinandersetzungen. Die direkte Auseinandersetzung zwischen Konfliktparteien ist hierbei von besonderem Interesse.

Projekte werden in Regionen, in denen der Staat restriktiv auftritt, ebenso gefördert, wie in Ländern, in denen staatliche Strukturen fehlen. Die Unterstützung ist so angelegt, dass kurzfristige Projekte mit Blick auf sich rasch ändernde Konfliktsituationen und unter Einbeziehung von Konfliktbetroffenen flexibel geplant und umgesetzt werden können. Im Vordergrund steht dabei der notwendige Verzicht auf Gewalt.

Bei den meisten Projekten handelt es sich um Dialog- und Trainingsmaßnahmen in Methoden und Verfahren der gewaltfreien Konfliktbearbeitung. Schwerpunkte der Projektförderung liegen in Zentral- und Westafrika, im Nahen Osten, im Kaukasus und in Südostasien. Die Projekte finden in einem Spannungsbogen statt – zwischen der Etablierung eines sicheren Umfeldes für weitere soziale Entwicklungen und präventiven Maßnahmen, bei denen kleine Anzeichen für Spannungen früh erkannt, bewusst thematisiert und aufgefangen werden, noch bevor es zu Gewaltausbrüchen kommt.

Subsidiarität – Grenzsetzung oder Aktivierung?

Das letztgenannte Zitat stammt aus dem Grundsatzkapitel, in dem die Szenarien der »Neuen Kriege«, die Herausforderungen und das Gesamtkonzept ziviler Krisenprävention der Bundesregierung vorgestellt werden. Es setzt klar auf die vorrangige Verantwortung der Konfliktparteien selbst und auf die Nachrangigkeit des Tätigwerdens von Akteuren, die als extern eingestuft werden. Dem Grundsatzkapitel folgt ein umfangreicher Teil multilateraler Handlungsansätze besonders im Zusammenhang internationaler und zwischenstaatlicher Organisationen, so dass deutlich wird: Hier wird ein außenpolitischer Leitsatz formuliert: Subsidiarität wirkt als Prinzip der Selbstbeschränkung. Es setzt Grenzen für externe Akteure oder erinnert sie zumindest daran, und es setzt auch Grenzen dafür, dass die Bundesregierung als Unterstützerin in einer beliebigen Zahl von Konfliktinterventionen beansprucht werden könnte.

Das erstgenannte Zitat aus Aktionsplan, Bundestagsbeschluss und Förderkonzept des Auswärtigen Amtes versteht Subsidiarität ausdrücklich als »local ownership« und erklärt diese zu einer weitgehenden Erfolgsbedingung für konfliktbearbeitende Maßnahmen. Dieses Verständnis erscheint auch wirkungsorientiert motiviert zu sein und setzt damit weniger einen beschränkenden, sondern einen aktivierenden Akzent. Der Aktionsplan führt im Kapitel über strategische Ansatzpunkte der Krisenprävention diese aktivierende Version an und bezieht sie ausschließlich auf die Friedenspotenziale der Zivilgesellschaft, der Medien, der Kultur und der Bildung. Hingegen stellt das Förderkonzept des Auswärtigen Amtes, das nach dem Aktionsplan ausgearbeitet wurde, das Zitat der Gesamtheit seiner Maßnahmen der Krisenprävention, des Friedenserhalts und der Konfliktbewältigung voran.

Subsidiarität als Wertprinzip und Kompetenzanforderung

Der zitierte Leitsatz paraphrasiert Subsidiarität über die Nachrangigkeit externer Akteure hinaus gehend durch das Zusammenwirken „verschiedener Kräfte“ aus Konfliktregionen mit staatlichen Stellen und stellt dies in den Zusammenhang »überforderter Staaten«. In unserem europäisch-angelsächsischen Verständnis allerdings gilt Subsidiarität als vorrangiges und aktives Tätigwerden der Zivilgesellschaft, und dies nicht nur als Nothelfer bei Überforderung des Staates, sondern als Ausdruck eines ordnungspolitischen, demokratischen Wertprinzips. Die in der Konfliktbearbeitung engagierten zivilgesellschaftlichen Akteure, in schwachen Staaten ebenso wie hier in Deutschland, fordern ihre Partizipation gerade in als »hoheitlich« definierten Handlungsfeldern, die eine hohe Affinität zu – als globale zivilgesellschaftliche Solidarität verstandenen – Wertüberzeugungen wie Frieden, Gerechtigkeit, Schutz vor Gewalt und Versöhnung aufweisen. Diese Werthaltung vermählt sich mit dem aktivierenden Verständnis von Subsidiarität , d.h. »local ownership«, als Erfolgsbedingung in der Konfliktbearbeitung zu einem starken Anspruch: Zivilgesellschaftliche Maßnahmen sind Wert getragen und effektiver.

Das Förderprogramm »zivik« muss solche Ansprüche in Anforderungen und Kriterien übersetzen, die im Wertgefüge subsidiären Handelns eine Wirkungserwartung ermöglichen. In den Anfangsjahren des Förderprogramms stand die instrumentelle Frage – was wollen die Antragsteller tun, welche Methoden wollen sie einsetzen? – im Vordergrund und spiegelte die zunehmende Auseinandersetzung vieler deutscher Nichtregierungsorganisationen (NRO) mit Handlungswissen aus der Friedens- und Konfliktforschung. Als entscheidend schälte sich in der weiteren Entwicklung die Frage heraus, welche (konfliktbearbeitende oder vermittelnde) Rolle ein zivilgesellschaftlicher Akteur in einem Konflikt einnimmt, ob er in der Lage ist, diese Rolle explizit zu reflektieren und ob er über die entsprechenden Instrumente verfügt, die dieser Rolle und ihren Gefährdungen – gerade diesen! – entsprechen und ggf. korrigierend eingesetzt werden können. Dabei ist natürlich die Methodenkompetenz auf der unmittelbaren Handlungsebene immer Voraussetzung.

Dem aktivierenden Prinzip »local ownership« als Erfolgsbedingung (und daraus resultierender Beratung der Antragsteller) ist es geschuldet, dass »zivik« in den vergangenen zehn Jahren die Anzahl der geförderten NRO aus den Konfliktregionen selbst auf ca. 66-75% Förderanteil steigern konnte. Zwingende Konsequenz: Die Idee des externen Akteurs musste dringend revidiert und, wie oben ausgeführt, durch eine genaue Analyse der Rolle im Konflikt-Setting ersetzt werden.

Dem Subsidiaritätsprinzip verpflichtet, einem weiter unten beschriebenen Dilemma geschuldet und angesichts der Unmöglichkeit, den Grad der Überforderung eines Staates förderungsrelevant zu skalieren, betrachtet »zivik« kompetente, als wirksam und rollensensibel beurteilte zivilgesellschaftliche Ansätze zur Bearbeitung tatsächlicher Konflikte als legitime Fördervorschläge. Ein Großteil von geförderten Projekten findet in Konfliktregionen statt, in denen ein halbwegs funktionierender Staat kein Interesse zeigt (oder zeigen kann), zivilgesellschaftliche Lösungen zu fördern (und daher gewollt oder ungewollt Konflikt verschärfend wirkt). Es gibt Staaten, die selbst (gewaltsame) Konfliktparteien sind. Lediglich ein recht kleiner Teil von Projekten zivilgesellschaftlicher Förderung geht auf ein erklärtes Interesse eines tatsächlich überforderten Staates an Unterstützung zurück.

Verzicht auf Subsidiarität als Chance

Staatliche Gegenüber zur Zivilgesellschaft sind in »failing states« nicht überfordert, sie fallen komplett aus; zivilgesellschaftliche Gruppen sind dann oft die einzigen handlungsfähigen konfliktvermittelnden Akteure. Mehr noch: Es fehlt oft nicht nur der funktionstüchtige Staat, sondern überhaupt die Idee einer nationalen Einheit, die unterschiedliche Gruppen einbezieht. Das Prinzip »subsidiär« würde, wenn angewandt, die Zivilgesellschaft herausfordern, sich einer wurzellosen Einheit zuliebe am »state building« bzw. »nation building« zu beteiligen, u.U. erfolgreiche Gestaltungsmacht wieder abzugeben und eine Zusammenarbeit mit einem oft fragil bleibenden Staatsgebilde einzugehen. Dieser Herausforderung müssten Chancen in der und durch die Kooperation mit einem Rumpfstaat gegenüberstehen, die den zivilgesellschaftlichen Akteuren realistisch, glaubwürdig, vorteilhaft und Erfolg versprechend erscheinen. Möglicherweise kann die „Aussicht auf Erfolg“ bei Konfliktregelungen dann größer sein, wenn »subsidiär« nicht zur conditio sine qua non wird. Ekkehart Krippendorf hat unlängst in »Aus Politik und Zeitgeschichte« darauf hingewiesen, dass eine Staatsfixierung, besonders die europäische Idee des vernünftigen und sittlichen Staates, neue Lösungen im Falle von Staatszerfall, eine neue Kultur des Politischen verstelle (Heft 34-35, 2010, S.40-46).

In diesem Gedanken liegt mit Sicherheit eine große Herausforderung an die strategischen Ansatzpunkte der Krisenprävention der Bundesregierung, nämlich die Schaffung verlässlicher Strukturen und die Stärkung von Institutionen auf allen Ebenen, vorrangig um Konfliktaustragung verrechtlichen zu können. Es liegt eine Herausforderung darin, zivilgesellschaftliche Friedenspotenziale nicht alleine in Medien, Kultur und Bildung sowie „gesamtgesellschaftlicher Verständigung“ zu erkennen (verbunden mit der Hoffnung, hierdurch »nation building« befördern zu können) und gewaltfreie Austragung von Interessenkonflikten nicht ausschließlich von einem staatlichen Gewaltmonopol abhängig zu machen. Für den herausfordernden Gedanken gibt es eine große Chance: Er erhebt keinen prinzipiellen Gültigkeitsanspruch, sondern öffnet den Blick auf eine mögliche Erfolgsoption im Einzelfall.

Für die Förderpraxis von »zivik« (und auch die Grundgedanken des Förderkonzepts des Auswärtigen Amtes) hat die Existenz von zerfallenden, schwachen oder extrem autoritären Staaten schon heute Konsequenzen: Zivilgesellschaftliche Akteure aus solchen Regionen haben kaum eine Chance, als Voraussetzungen für einen Förderantrag die rechtliche Verfasstheit nachzuweisen. Dementsprechend sind sie in den Förderanträgen bei »zivik« deutlich unterrepräsentiert. Im günstigen Fall verfügen sie über einen förderfähigen externen Partner, der die »local ownership« respektiert.

Man könnte als Herausforderung formulieren: Je fragiler der Staat, umso nötiger sind zivilgesellschaftliche Konfliktbearbeitungsakteure und umso geringer die Wahrscheinlichkeit, dass sie von einem Förderprogramm wie »zivik« profitieren können. Es ist eine dringende Aufgabe, die Förderung der Handlungsmöglichkeiten, wie sie der initiale Bundestagsbeschluss benennt, konsequent weiterzuentwickeln, damit das Vertrauen in Deutschland, wie es im Förderkonzept heißt, auch dort gestärkt werden kann, wo es kein Vertrauen auf Staatlichkeit gibt.

Subsidiarität im »Geberstaat«

Mitte und Ende der 1990er Jahre bestanden die Chance und die Herausforderung, staatlich-zivilgesellschaftliche Zusammenarbeit zu organisieren; die Aktivitäten der Vereinten Nationen ab Beginn des Jahrzehnts beflügelten einige zivilgesellschaftliche Akteure und gaben der Bundesregierung entscheidende Impulse, sich diese Bewegung als Chance für stärkeren Einfluss in den Vereinten Nationen zu Nutze zu machen. International ausgerichtete Maßnahmen zivilgesellschaftlicher Konfliktbearbeitung durch nationale und internationale Nichtregierungsorganisationen wurden als Gelegenheit gesehen, daran mitzuwirken (wie z.B. unter anderem durch das Förderprogramm »zivik« oder den Zivilen Friedensdienst). Dies sollte und soll das Vertrauen in Deutschland stärken, der Außenpolitik neue Handlungsmöglichkeiten eröffnen und ihre Zielsetzungen durch die Einbindung in die Official Development Assistance1 verdeutlichen. Andere zivile Maßnahmen sollen deutsche militärische Maßnahmen stabilisieren oder dort gewissermaßen ersetzen, wo Deutschland sich militärisch nicht engagiert.

In gleicher Weise eröffnete sich zivilgesellschaftlichen Akteuren die Chance, ihre Vorstellung der Gestaltung des Friedens und der Sicherheit im Verhältnis einer sich global formierenden Zivilgesellschaft zu einzelnen Staaten oder internationalen Organisationen zu formulieren und diesen quasi globalisierten Anspruch wieder in ihren Herkunftsstaaten an die Regierungen heranzutragen.

Doch die eingangs zitierten Dokumente formulieren Subsidiarität aus einer Geberperspektive mit Blick auf die Zielregionen der zivilen Krisenprävention und Konfliktbearbeitung. Im innerdeutschen Verhältnis ist von staatlich-zivilgesellschaftlicher Zusammenarbeit die Rede; sie ist de facto komplementär und staatsgeführt. Diese staatlich-zivilgesellschaftliche Kooperation war Mitte/Ende der 1990er Jahre im Bereich der Sicherheits-, Außen- und Friedenspolitik neu: Die Sicherheitspolitik war bislang von einer Gewaltanwendungsoption und ihren no-go-areas für zivile Akteure besetzt, die Außenpolitik von einem Primat der diplomatischen Profession und den no-go-areas für private (im Gegensatz zu staatlich akkreditierten) Akteuren. Und in der Friedenspolitik hatten traditionell diejenigen zivilgesellschaftlichen Akteure leichteren Zugang zur Entwicklungszusammenarbeit, die engen Kontakt zu nichtstaatlichen Akteuren wie z.B. Kirchen pflegten.

Die Bundesregierung bekennt sich zur Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft, bietet mit dem Beirat zum Ressortkreis Zivile Krisenprävention2 ein Forum dafür an und fördert Austausch- und Beratungsgremien. Die Motivation des Staats zum Gespräch mit den zivilgesellschaftlichen Akteuren liegt in der Chance auf Informationsaustausch, Abstimmung und in der Nutzung komparativer Vorteile wie spezifische Regionalerfahrung und Kontakte oder die Flexibilität von NRO in der Reaktion auf Konflikte – Chancen für den Staat, die z.B. im »Aktionsplan« auch ausführlich gewürdigt werden. Über den Beirat zum Ressortkreis liegen Erfahrungsberichte der zivilgesellschaftlichen Akteure vor, und sie weisen darauf hin, dass die Chancen für »agenda setting«, Politikformulierung und die operative Ressourcenverfügung vornehmlich in den Ressorts verbleiben. Ungeachtet oder wegen des Fehlens oder wegen angenommener Unmöglichkeit eines Subsidiaritätsprinzips auf dem Gebiet der Friedens- und Sicherheitspolitik tauchen gelegentlich Vorbehalte gegen die Legitimität oder die Akteursqualität der friedenspolitischen NRO-Szene auf. Sie stellen eine Quelle von möglichen Zweifeln an NRO-Maßnahmen dar, deren Wirksamkeit in den oben zitierten Dokumenten gewissermaßen a priori zugestanden wird.

Es lässt sich kaum übersehen, dass zwischen den auf die Geltung eines aktivierenden Subsidiaritätsprinzips gebauten, durchaus berechtigten Erwartungen an konfliktbearbeitendes oder krisenpräventives Handeln zivilgesellschaftlicher Akteure in fernen Ländern einerseits und einer staatsgeführten, von relativen Vorteilserwartungen geprägten Kooperation zwischen Staat und Zivilgesellschaft andererseits hierzulande potenziell eine gewisse Disparität herrscht. In seinem letzten großen Kapitel spricht der Aktionsplan daher vom Aufbau einer Infrastruktur der zivilen (und zivilgesellschaftlichen) Konfliktbearbeitung; sofern damit auch Netzwerke, Beratungs- und Förderorganisationen gemeint sind, kann das regelmäßig gepflegte fachliche Gespräch mit ihnen diese Disparität lindern helfen. Angesichts aktueller Entwicklungen in Staaten, die langfristig für ein »nation building« unzugänglich sein oder werden könnten, gibt es wohl auch kaum Alternativen zu einem Gespräch auf Augenhöhe – in Anerkennung der wohlverstandenen eigenen Werte und Ziele – mit hiesigen zivilgesellschaftlichen Akteuren, deren Engagement man benötigt, will man diese Regionen nicht sich selbst überlassen.

Literatur

Förderung der Handlungsfähigkeit zur zivilen Krisenprävention, zivilen Konfliktregelung und Friedenskonsolidierung. Bundestagsbeschluss vom 7.7.2000, Drucksache 14/3862; http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/14/038/1403862.pdf.

Förderkonzept des Auswärtigen Amtes zur Unterstützung von internationalen Maßnahmen auf dem Gebiet der Krisenprävention, des Friedenserhalts und der Konfliktbewältigung ohne Datum (2001).; http://www.auswaertiges-amt.de/diplo/de/Aussenpolitik/Themen/Krisenpraevention/Downloads/FoerderkonzeptAA.pdf.

Aktionsplan Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung der Bundesregierung vom 12.5.2004; http://www.auswaertiges-amt.de/diplo/de/Aussenpolitik/Themen/Krisenpraevention/Downloads/Aktionsplan-De.pdf.de.

Anmerkungen

1) Official Development Assistance (öffentliche Entwicklungshilfe) bezeichnet Leistungen staatlicher Stellen an Entwicklungsländer und multilaterale Institutionen zur wirtschaftlichen Entwicklung und Verbesserung der Lebensbedingungen in der Dritten Welt, die ein Zuschusselement von mindestens 25% enthalten müssen.

2) Der Ressortkreis Zivile Krisenprävention setzt sich aus den Beauftragten für zivile Krisenprävention aller Bundesministerien zusammen und wird vom Beauftragten für zivile Krisenprävention des Auswärtigen Amtes geleitet. Der Beirat Zivile Krisenprävention setzt sich aus Repräsentanten der Wissenschaft und Zivilgesellschaft zusammen.

Rainer Nolte leitet seit 1999 die Abteilung »Dialoge« des Instituts für Auslandsbeziehungen e.V. in Stuttgart und entwickelte ab 2000 in Zusammenarbeit mit dem Auswärtigen Amt u.a. das Förderprogramm »zivik«. Zuvor war er seit 1993 in friedens- und entwicklungspolitischen Projekten des Landes NRW tätig. Mehrjährige Stationen seiner Tätigkeit in der (auswärtigen) Kulturpolitik waren davor die EU-Kommission und das Kultusministerium NRW sowie eine Tätigkeit als DAAD-Lektor.

Den Krieg zivilisieren?Zwei Standpunkte

Den Krieg zivilisieren?
Zwei Standpunkte

von Cornelia Brinkmann und Wolf-Dieter Narr

W&F bat eine Autorin und einen Autor, für uns ihren je unterschiedlichen Standpunkt zur »zivil-militärischen Zusammenarbeit« zu formulieren. Cornelia Brinkmann begründet, warum sie für eine Fortsetzung der Kooperation zwischen zivilen Akteuren mit militärischen Strukturen ist, empfiehlt aber dringend praktische und konzeptionelle Änderungen in der Umsetzung. Wolf-Dieter Narr lehnt die Kooperation von Zivilen mit dem Militär aus pazifistischer Sicht grundsätzlich ab, da zivile Konfliktbearbeitung in einem gewaltgestützten Kontext nicht möglich sei.

Gleichzeitig getrennt und vereint in Afghanistan?

von Cornelia Brinkmann

Die Entwicklung der zivil-militärischen Zusammenarbeit entscheidet sich weder allein am Grünen Tisch noch ausschließlich in der Praxis. Sie wird sich vielmehr aus dem Zusammenwirken von konzeptionellen Diskussionen, politischen Diskursen im In- und Ausland und konkreten Projekten aller beteiligten Akteure formen. Dass es hierbei erhebliche Versäumnisse gibt, macht sich in der Praxis durch Ungereimtheiten, Widersprüche und Unverständnis bemerkbar. Durch die zivile Perspektive auf einige zentrale Spannungsfelder der zivil-militärischen Zusammenarbeit in Afghanistan sollen Empfehlungen abgeleitet werden, wie dieses Feld praktisch und konzeptionell weiterentwickelt werden kann.

In Deutschland findet aktuell eine Diskussion unter dem Stichwort »Vernetzte Sicherheit« statt. Das Konzept wurde 2006 im »Weißbuch der Bundesregierung zur Sicherheitspolitik Deutschlands und zur Zukunft der Bundeswehr« vorgestellt. Darunter wird eine noch engere Integration politischer, militärischer, entwicklungspolitischer, wirtschaftlicher, humanitärer, polizeilicher und nachrichtendienstlicher Instrumente der Konfliktverhütung und Krisenbewältigung verstanden. In diesem Konzept findet zwar verbal eine Aufwertung der zivilen Komponente statt, allerdings wird sie als nachgeordneter Beitrag zur militärischen Sicherheitspolitik angesehen. Die Perspektiven, Standards und Erfahrungen von zivilgesellschaftlichen Akteuren und ihre Potentiale zur Sicherung von Frieden und Entwicklung hingegen finden kaum Eingang in die aktuelle Diskussion. Hier ist eine inakzeptable Unterordnung des Zivilen angelegt, die erheblich von einer zivil-militärischen Zusammenarbeit auf gleicher Augenhöhe entfernt ist.

Dennoch hat das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) jüngst eine »Entwicklungsoffensive« zur Förderung von Projekten privater deutscher Träger in Afghanistan damit verbunden, dass diese im Einklang mit dem Afghanistan-Konzept der Bundesregierung und dem Konzept der »Vernetzten Sicherheit« stehen. Ein Blick auf Beispiele der dortigen Praxis zeigt die – häufig subtilen, häufig drastischen – Wechselwirkungen von internationalem zivilen und militärischen Handeln.

So benutzte das Militär in der Anfangsphase des Afghanistan-Konflikts u.a. weiße Fahrzeuge, weiß gilt international jedoch als Symbolfarbe für zivile internationale Akteure. Die lokale Bevölkerung wurde so über die Zugehörigkeit der Fahrzeuge getäuscht. Diese Praxis wurde erst nach heftiger Kritik von Organisationen der humanitären Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit zögerlich verändert.

Darüber hinaus beansprucht das Militär in Afghanistan immer mehr eine Rolle in genuin zivilen Tätigkeitsfeldern der Entwicklungszusammenarbeit oder humanitären Hilfe. Ziel ist es dabei, sich bei der Bevölkerung und den örtlichen Machthabern ein wohlwollendes und damit sicheres Umfeld zu schaffen und strategische oder militärische Vorteile zu erzielen. Das Militär baut Schulen, Brücken, Brunnen, leistet medizinische Dienste und verteilt Decken und Lebensmittel. Militärs nehmen auch an Gründungs- und Eröffnungszeremonien von Projekten der Entwicklungszusammenarbeit teil. Diese Strategie ist unter den Nichtregierungsorganisationen und in der Diskussion über die zivil-militärische Zusammenarbeit höchst umstritten, denn die zivilen Projekte des Militärs sind mit dem partner- und prozessorientierten Ansatz einer Entwicklungszusammenarbeit kaum vereinbar. Fragen einer nachhaltigen Entwicklung werden gegenüber rein militärischen Sicherheitsinteressen zurückgestellt.

In diesem Kontext kann die lokale Bevölkerung nur schwer zwischen Projekten des Militärs und internationaler Organisationen unterscheiden, was dem militärischen Sicherheitsinteresse durchaus dienlich sein kann, aber für die Zivilen ein erhöhtes Sicherheitsrisiko bedeutet. Dieses Vorgehen ist unverantwortlich gegenüber den Menschen und Organisationen, die sich auf eine Tätigkeit in Afghanistan eingelassen haben.

Empfehlungen aus friedenspolitischer Sicht

Zur Bewertung der zivil-militärischen Zusammenarbeit können aus friedenspolitischer Sicht einige Schlussfolgerungen gezogen werden.

So zeigen die Beispiele, dass das Militär den Anspruch, ein sicheres Umfeld für zivile Aktivitäten zu schaffen, nicht erfüllt und sich stattdessen die Sicherheitsrisiken für Zivile erhöhen. Dies führt dazu, dass internationale Organisationen große Probleme haben, geeignetes Personal für Afghanistan zu gewinnen. Afghanische MitarbeiterInnen weigern sich aus Sicherheitsgründen, für internationale Organisationen in die Region zu fahren. Dies schränkt den Gestaltungsspielraum für zivile Aktivitäten auf lokaler Ebene ein, da Projekte nicht betreut werden können und damit die bereitgestellte Hilfe nicht bei den Bedürftigen so ankommt, wie es von ziviler Seite gewünscht und geplant ist. Aus diesem Grund ist für Zivile eine der wichtigsten (Sicherheits-)Regeln: Abstand halten vom Militär.

Weiter hat sich die Sicherheitslage für die afghanische Bevölkerung selbst und damit auch die Lebensqualität verschlechtert. Da in der internationalen Diskussion die Sicherheit von Ausländern stets im Vordergrund steht, gewinnen Afghanen den Eindruck, dass dem Leben von Internationalen ein höher Wert beigemessen wird als dem von Afghanen, mit katastrophalen Folgen für die Glaubwürdigkeit der ausländischen Partner und ihrer Projekte. Die Alltagssicherheit sollte deshalb auch für normale Afghanen absolute Priorität haben, damit Gestaltungsspielräume für zivile Veränderungsprozesse entstehen können. Die Erfahrung zeigt, dass Sicherheit vor allem durch Afghanen selbst durchgesetzt und abgesichert werden muss. Die afghanischen Partner müssen daher stärker in die Verantwortung genommen werden, sich für die Sicherheit ihrer eigenen Bürger einzusetzen. Aus diesem Grund ist die Auswahl und Begleitung geeigneter lokaler PartnerInnen ein Schlüssel für nachhaltige gesellschaftliche Veränderungsprozesse.

Ferner müssen die Ressourcen für zivile und militärische Maßnahmen endlich in eine vernünftige Balance gebracht werden. Rainer Glatz, Generalleutnant und Befehlshaber des Einsatzführungskommandos in Potsdam, sprach am 24.10.2009 im Tagesspiegel in einem Interview zu Afghanistan davon, dass lediglich 20% des Engagements aus dem militärischen, aber 80% aus dem zivilen Bereich kommen müssten. Diese Forderung klingt plausibel und müsste eine erhöhte Aufmerksamkeit für und Aufwertung der zivilen Komponenten nach sich ziehen. In der Praxis wird in Deutschland aber durch die aktuelle Diskussion um »vernetzte Sicherheit« das Zivile dem Militärischen untergeordnet. Weiterführende Konzeptbeiträge aus dem zivilen Raum sind daher dringend erforderlich.

Gemeinsam planen, aber getrennt handeln!

Während unstrittig erscheint, dass eine ressortübergreifende Abstimmung bei der Planung von Programmen gefördert werden sollte, bleibt offen, wie sich die unterschiedlichen institutionellen Vorgaben und Abläufe, die jeweiligen Qualitätsmaßstäbe von Programmen und Projekten, die unterschiedlichen Standards der methodischen Durchführung, die jeweiligen Qualifikationen und Haltungen von MitarbeiterInnen und die Beiträge der lokalen PartnerInnen miteinander vereinbaren lassen. Die Einrichtung einer eigenständigen Institution oder eines eigenständigen Ministeriums zur Förderung des zivilen Engagements in Konfliktregionen sollte aufgebaut werden, damit Konzepte und Entscheidungen aufeinander abgestimmt werden können.

Abstimmungs- und Kommunikationsprozesse vor Ort sind notwendig, allerdings sollten sie diskret erfolgen und stets berücksichtigen, dass zivile Organisationen und Militärs unterschiedliche Ziele verfolgen, unterschiedliche Zielgruppen ansprechen und unterschiedliche Aktivitäten durchführen. Zivile und militärische Mandate folgen unterschiedlichen Prämissen, und ihre Vermischung stellt keine Stärkung der jeweiligen Ansätze, sondern eine Schwächung dar. Auf der lokalen Ebene muss daher konsequent auf eine klare Trennung von militärischem und zivilem Engagement geachtet werden, u.a. sollten keine Gebäude gemeinsam genutzt werden, und Fahrzeuge und Kleidung sollten sich klar unterscheiden.

Trotzdem: internationales Militär ist wichtig

Trotz der erheblichen Sicherheitsrisiken und bei aller Kritik an dem kulturell unsensiblen Auftreten der Militärs: Moderate, mutige und veränderungsinteressierte Afghanen der Zivilgesellschaft betonen, dass ihnen durch die Präsenz des ausländischen Militärs Gestaltungsspielräume für gesellschaftliche und politische Veränderungen geschaffen werden, die ihnen die lokalen und häufig gewaltbereiten Machtakteure ansonsten nicht zugestehen würden. Dies funktioniert für sie allerdings nur so lange, wie das Militär eine Basisakzeptanz bei Politik und Bevölkerung hat.

Wer die einheimischen zivilgesellschaftlichen Akteure bei ihren politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Transformationsbemühungen unterstützen will, sollte ihre Perspektive auf das Militär respektieren. Differenzierte Positionen dieser Art müssen zudem in ein angepasstes Konzept der zivil-militärischen Zusammenarbeit integriert werden.

Friedens- und konfliktsensible Projekte

Internationale Akteure, ihre Partner vor Ort und die gemeinsamen Aktivitäten werden von Afghanen sehr intensiv im Hinblick auf ihre Auswirkungen auf lokale Machtbeziehungen analysiert. Jeder Kontakt von Afghanen zu Internationalen, egal durch wen, wird Auswirkungen auf das lokale Machtgefüge haben und daher Reaktionen auslösen.

Im Kontext der humanitären Hilfe in Krisenregionen kamen Untersuchungen zu dem Ergebnis, dass durch internationale Beiträge lokale Konflikte u.U. verlängert oder intensiviert, sogar neue geschaffen werden können. In einem weltweitem Konsultationsprozess mit Praktikern unterschiedlicher Organisationen wurden die Beobachtungen diskutiert und unter der Überschrift »Do No Harm« veröffentlicht. Zentrale Ergebnisse sind:

Jede Intervention im Kontext eines Konfliktes hat Auswirkungen auf den Konflikt selbst.

Der Konfliktkontext wird bestimmt durch trennende Faktoren (dividers) und verbindende Faktoren wie lokale Potentiale für den Frieden (connectors).

Jede Intervention steht in einer Wechselwirkung mit beiden Faktorengruppen, sowohl in positiver als auch in negativer Hinsicht.

Der Transfer von Ressourcen durch eine Intervention wirkt auf den Konfliktkontext zurück (Verteilungseffekte, Markteffekte, Substitutionseffekte, Missbrauchseffekte, Legitimierungseffekte).

Implizite ethische Botschaften einer Intervention wirken auf den Konfliktkontext, z.B. kulturelle Eigenheiten, Lebensstandard, die Verwendung von Ressourcen, Missachtung und Konkurrenz unter externen Akteuren, Ohnmacht, Anspannung und Misstrauen, unterschiedliche Wertigkeit von Menschenleben, Dämonisierung und Viktimisierung durch Öffentlichkeitsarbeit oder der Einsatz von Waffen und Macht.

Es gibt immer alternative Optionen.

Diese Erkenntnisse des »Do No Harm«Ansatzes haben in Afghanistan hohe Relevanz. Sie sollten daher unbedingt sowohl von den zivilen als auch von den militärischen Akteuren bei der Zusammenarbeit mit der lokalen Bevölkerung berücksichtigt werden.

Cornelia Brinkmann ist Gründungs- und Vorstandmitglied des Forum Ziviler Friedensdienst e.V. sowie Projektreferentin von »zivik«. Seit 2000 arbeitet sie als friedenspolitische Beraterin zu Themen der Friedenskonsolidierung, zivilen Konfliktbearbeitung und Konflikttransformation mit Nichtregierungsorganisationen und staatlichen Trägern, seit 2005 auch in Afghanistan. Seit 2010 auch Geschäftsführerin von Steps for Peace – Institut für Peacebuilding gGmbH.

Pazifismus bedeutet die Absage an Staat und Militär – oder nichts

von Wolf-Dieter Narr

Aus pazifistischer Sicht kann es keine »gute« und »zivile« Konfliktbearbeitung geben, so sie denn in einen von Grund auf falschen – gewaltgestützten – Kontext eingebettet ist. Dies gilt besonders, sofern »zivile« Konfliktbearbeitung mit militärischen Akteuren kooperiert. Sie hält damit, ungeachtet aller durchaus vorstellbarer wohlfeiler Absichten, allein ein System aufrecht, das Gewalt androht und ausübt. Allenfalls färbt sie es schön. Im Folgenden hierzu einige Überlegungen sowie ein Plädoyer, derlei (Selbst-)Täuschungsversuchen eine Absage zu erteilen – ja aus pazifistischer Sicht erteilen zu müssen. Stattdessen sind andere Wege zu suchen und zu finden.

Matthias Claudius’ Schreckensruf hallt durch die menschlichen Jahrtausende: „S´ ist Krieg, s´ ist Krieg!“

I. »Zivilisatorisch«, auf den menschverändernden Spitzen der Innovationen, gilt im Jahr 2010 unverändert: „Opfer fallen hier, weder Lamm noch Stier, aber Menschenopfer unerhört.“ Verändert haben sich allein die globalen Ausmaße, die panoptische und die paninformationelle Guckkastenbühne; außerdem die wissenschaftlich-technologisch abstrakter, perfekter, geheimdienstlich noch intensiver instrumentierten mörderischen Produktionsverhältnisse der Kriege. Allein darin sind die alles andere als »neuen Kriege« »asymmetrisch«. Ist man infolge historisch erfahrenem und analytisch Ursachen ermitteltem Verstand, verbunden mit einer nicht durch die Banalität von Kriegen eingeschläferten Emotion zum Schluss gekommen, zu allen Arten kollektiver, meist zirkulärer Gewalt von Menschen gegen Menschen ein entschiedenes und hier unerbittliches NEIN zu sagen, was bleibt dann anders als schiere Verzweiflung? Oder kann man etwas tun? Worin könnte solches pazifistisch eindeutiges und klares Tun bestehen?

II. Mehrfach vertrackt. Wo könnte man ansetzen? Darf man berührungsängstlich pingelig sein, wenn es um existentielles Doppel zu tun ist: Krieg zu vermeiden oder einen währenden gewaltfrei durch zivile Hilfsaktionen zu unterwandern, dabei zugleich einzelne Menschen zu retten, die sonst kriegsverloren zugrunde gingen? Können diese hehren Absichten nicht um den Preis des »Guten« eine Zusammenarbeit mit dem Militär rechtfertigen?

Entgegen steht bestem Willen und ihm entspringenden Hilfsaktionen die kriegerische Durchdringung von Staat, Ökonomie und Gesellschaft. Dies ist in einem Maße der Fall, dass sich kaum noch Inseln und Handlungsstücke finden, die nicht kriegstümlich, wenn nicht gleichgeschaltet, so doch vor- und parallel geschaltet werden könnten. So könnte es geschehen und ist sintemal der Fall gewesen, dass die besten Absichten und an sich selbst nicht zu kritisierenden Handlungen, schon infolge des Kontextes, in dem sie stattfinden, zu kriegerischen Zwecken umfunktioniert werden. Nicht erst Christa Wolfs »Kassandra«, schon ihre mythische Vorgängerin wusste, über den trojanischen Krieg hinaus erfahren, dass Kriegszeiten durch Vorkriegs- und Nachkriegszeiten zu einer unendlichen Geschichte werden. In Zeiten restlos durchdringender Globalisierung kann man sich noch weniger als früher darauf verlassen, Krieg und kriegsvor- und nachbereitende Funktionen und Institutionen unterscheiden zu können. In Sachen Militär und Polizei kann man geradezu nach einer Juso-Formel Ende der sechziger Jahre von einer vermengten Doppelstrategie (und -taktik) sprechen. Deutsch behauptete »Sicherheitsinteressen« – so der weiland Verteidigungsminister mimende Herr Struck – werden bekanntlich nicht nur am Hindukusch mörderisch wahrgenommen. Die wirtschaftlich und energiepolitisch volltrunkenen Interessen werden im Kontext von EU, NATO oder auch der UN weltweit verfolgt.

Von ihnen lassen sich friedliebende Bürgerinnen und Bürger täuschen: Man sei militärisch, »entwickelnd« als Hilfe zur Selbsthilfe, wirtschafts- und außenpolitisch auf vielen humanitären Wegen unterwegs. Man müsse schließlich den talibangefährdeten Afghanen endlich die freiheitliche demokratische Grundordnung beibringen. Diese funktional peinlich engen Entdifferenzierungen werden ergänzt durch die Exklusionen der etablierten und sich etablierenden Staaten, im Rahmen verschärfter globaler Konkurrenz: Inmitten dieses herrschaftsinteressenvollen Kuddelmuddels sind Chancen genuiner friedenserpichter Handlungen nicht zu erspähen. Gerade darum ist es notwendig, dass Konzepte und Ansätze friedlicher Konfliktbearbeitung nach ihrer eigenen pazifistischen Logik entwickelt werden. Ihre Vertreterinnen und Vertreter dürfen sich um der Friedenssache und der dafür neuen Denk- und Handlungsformen willen nicht auch nur annähernd in die Nähe zu militärisch gerichteten Herrschaftswirklichkeiten begeben. So sehr es vielen prächtig friedensvoll Gesinnten zu wünschen wäre – und ich sage das als alter Kerl, pensioniert (!), nicht altersarriviert: Arbeit, Anerkennung und die nötigen Moneten sind pazifistisch im Rahmen der etablierten Institutionen, in ihrer Nähe, von ihnen geduldet, gefördert, nicht zu haben.

III. Kriege als äußerstes Mittel. Dass Kriege Menschen entmenschen, indem sie morden und gemordet werden – Soldaten SIND Menschen, auch wenn ihre Traumata und Tode kaum kümmern –, ist eine alte Erfahrung. Allein in der kurzlangen Moderne hat man darum immer erneut Schritte unternommen, Kriege zu hegen. Ihnen sollte, wenn sie schon nicht zu verhindern waren, eine zivil begrenzte Form gegeben werden. Das hebt mit dem modernen Völkerrecht an, geht übers Rote Kreuz und die Haager Landkriegsordnungen, endet mit der Gründung der UNO 1945 und schließlich dem International Criminal Court.

Wahrheitsgemäß muss man feststellen: Jenseits einzelner wichtiger Modifikationen haben alle »Zivilisierungen« die grausame, in der Zwischenzeit apparativ eigendynamisch gewordene Furie der Kriege und den Interessenhunger nach neuen Kriegen nicht gebändigt, sie haben ihm nicht einmal Schlingen angelegt. Die Art, wie humane Maßgrößen, wie Menschenrechte und Demokratie mit philosophischem Goldkragen als Fahnentusch für Kriege missbraucht werden – darum ist, pazifistisch das unschöne Adjektiv »humanitär«“ gebrauchstabu –, macht vollends kund: Um der Menschen und ihres Friedens darf man sich auf noch so »fortschrittliche« Institutionen und »Errungenschaften« keine Sekunde verlassen.

IV. Und auch noch der STAAT. Die Erfolgsgeschichte ist bewunderungswert. dass es dem Interessenkomplex, genannt moderner Staat, und seinem Herzen, dem Monopol legitimer physischer Gewaltsamkeit, gelungen ist, fast global zur zweiten, zur bürgerlich verinnerlichten Natur zu werden. Sähe man pazifistisch mit darum umso schärferen historisch gegenwärtigen Augen hin, müsste auffallen: Die vorab allgemein, auch völkerrechtlich legitimierten Handlungen des Gewaltmonopols und seiner Knechte, um SEINEN immer mit Gewalt unterlegten oder unmittelbare Gewalt übenden Frieden im Staatsinnern und expansiv nach außen herzustellen, sind ihrerseits vor allem Schuld an der ungebrochenen Kontinuität der Kriege.

Das heißt erneut, unmäßig verkürzt: Pazifistisch kann man sich auf keine der staatlichen Institutionen verlassen. Auch »zivile« Konfliktbearbeitung wird im heutigen Staat nicht als grundsätzliche Alternative, sondern nur als eine Ergänzung zur traditionellen Interessenspolitik verstanden. Durch die Verknüpfung mit dem Militär steht im Hintergrund jedes Dialogs und aller Versöhnungsarbeit die Gewaltoption, mit der keinesfalls altruistische Ziele im Kontext westlicher Einsätze auch ohne Rücksicht auf den Dialogpartner durchgesetzt werden.

Anders und mehr noch: Es kommt in der Vorstellungskraft und dort, wo man tätig ist, darauf an, andere soziale Organisationsformen zu finden, die nicht, indem sie soziale Probleme letzterstlich gewaltsam zerschlagen, Gewalt heckende Zustände noch und noch erhalten.

V. „…ihr lasst den Armen schuldig werden“. Aus den heute weltweit durchstaateten (und mehr noch: durchkapitalisierten) Gesellschaften kann niemand »französischen Abschied« nehmen. Auch passiv und »unpolitisch« immer gilt: Mit gefangen, mit gehangen. Was aber bleibt einem Pazifisten? Im friedenspolitischen Sisyphosgeschäft gibt’s täglich Arbeit in Fülle – Camus zufolge soll Sisyphos ein glücklicher Mensch gewesen sein. Von Berührungsängsten und mit ihnen kann man nicht leben. In dem, was man tut und wie man es betreibt, kann man jedoch friedenspolitisch nur so verfahren, durchgehend, im Ziel und vor allem in den Mitteln: menschenrechtlich, basisdemokratisch, selbstbestimmt. Dazu sind die möglichen Wirkungen des Tuns und sein Kontext mitzubeachten. Da aber friedenspolitisches Tun weder beginnt, wenn die Waffen sprechen, noch endet, wenn sie noch als Minen Menschen zerstören, kennt seine Praxis keine Grenze. Im engeren Zusammenhang friedenspolitischer Aktivitäten sind folgende Markierungen und Kautelen zu beachten.

1. Die erste Aufgabe besteht darin, dem etablierten Goodspeak oder den inflationären Euphemismen nicht zu erliegen oder sich selbst mit solchen zu täuschen à la »Versöhnungs«-Gerede. Der etablierte Täuschungs-, ja Lügenaufwand just in einer informationstollen Zeit ist so groß, dass man sich ihm nie ein für alle Mal entziehen kann.

2. Vorsicht ist geboten, wenn man eine Aufgabe übernehmen will, deren Kontext selbst die beste eigene Arbeit unkenntlich macht. Dem Hasen ist der Pakt mit einem Löwen trotz des letzteren wunderschöner Mähne abzuraten. Ist die »zivile« Konfliktbearbeitung zudem erst einmal in das bestehende Arsenal der Instrumente herrschender Interessenspolitik integriert, so wird sie ihre Fähigkeit verlieren, den militärischen Konfliktaustrag grundsätzlich zu kritisieren. Der Kampf um eine Entmilitarisierung der Welt wäre verloren.

3. Sich durch nötige finanzielle Mittel und/oder Anerkennungen wohl tuender Art nicht verführen lassen. Das ist am schwersten. In aller Regel geraten nicht primär selbst finanzierte oder aus kenntlichen kleinorganisatorischen Quellen bestrittene Handlungen auf die schiefe Ebene. Ist man einmal finanziell gefangen, ist ein Entkommen schwer möglich. Darum empfiehlt es sich, dass sich Einzelne und Gruppen wechselseitig kontrollieren.

4. Am Ziel einer Welt ohne Krieg kann auf verschiedene Weise im Großen und Kleinen von jeder und jedem gearbeitet werden. Assoziativ zu verfahren, empfiehlt sich. In eigenen, nicht staatlich oder kapitalstiftlerisch gewirkten Assoziationen. Im Kleinen, im eigenen Beruf, überall, kann das ratio und emotio einende Wissen darum, dass der pazifistische Weg human richtig ist, die eigene Person frei machen und diejenigen, mit denen man zu tun hat. Wohlgemerkt: Es gibt nicht mehrere Pazifismen verschiedener Prozente. Es gibt nur einen wurzelpackenden – und der verträgt sich nun einmal nicht mit gewaltgestützter Interessensdurchsetzung aktueller Prägung. Von der ist Distanz zu wahren. Selbst wenn ein derartiger Pazifismus darob verfassungs-, alias staatsschützerisch auffiele.

Wolf-Dieter Narr ist Mitbegründer des Komitee für Grundrechte und Demokratie e.V.

Kreative Vielfältigkeit

Kreative Vielfältigkeit

von Christiane Lammers

In fast 15 Jahren ist in Deutschland ein inzwischen professionalisiertes Arbeitsfeld entstanden, das sich unter dem Stichwort »Zivile Konfliktbearbeitung« (ZKB) zusammenfindet. Es bildeten sich differenzierte Arbeitsstrukturen, Arbeitsschwerpunkte haben sich dorthin verlagert, Ausbildungs- und Qualifizierungsmöglichkeiten wurden geschaffen, mit der »Plattform Zivile Konfliktbearbeitung« gibt es ein gemeinsames Netzwerk, seitens des Staates wird eine, wenn auch nicht ausreichende und immer wieder von Kürzungen bedrohte, Finanzierung zur Verfügung gestellt. Trotzdem ist die Kenntnis über diesen Teil von Friedensarbeit selbst bei friedenspolitisch Interessierten oft eher gering. Der Zivile Friedensdienst mag noch als Begriff die Öffentlichkeit erreicht haben, aber schon der Unterschied zu den Freiwilligendiensten ist nur Wenigen bekannt. Wer kennt schon Projekte der ZKB (nicht der humanitären Hilfe) in Afghanistan? Wer misst dem Wissen, das viele Nichtregierungsorganisationen über Konflikte vor Ort gesammelt haben, eine wesentliche Bedeutung zu? Wer hält die ZKB für friedenspolitisch tatsächlich relevant?

Ein nahe liegender Grund für diese Unkenntnis mag die Einschätzung sein, dass es sich bei der ZKB – insbesondere angesichts der bestehenden Konfliktlagen und den militärischen Interventionen – um eine »Spielwiese«, also ein marginales Feld handelt. Eine weitere Ursache ist die nicht stattfindende Öffentlichkeitsarbeit über ZKB. Eine Lücke, die die Organisationen der ZKB selbst nicht füllen können. Da genügt es auch kaum, eine bunt gestaltete Broschüre unters Volk zu bringen, so wie es der Ressortkreis der Bundesregierung zur Zivilen Krisenprävention beschlossen hat. Stattdessen sollte sich der Ressortkreis diesbezüglich ein Beispiel an der Bundeswehr nehmen: Ein Werbeetat von mehren Mio. Euro, verbunden mit weit reichender Unterstützung anderer staatlicher Subsysteme, könnte schon einiges bewirken. Ein exklusiver Zugang in die Schulen, garantiert durch Kooperationsverträge mit den Bundesländern, wäre auch der ZKB sehr dienlich.

Beides, die Dominanz der unbedingt notwendigen Diskussion zu den militärischen Interventionen wie auch die mangelhafte Öffentlichkeitsarbeit über ZKB, sind jedoch nicht hinreichend, um die Unwissenheit bis hin zur Tabuisierung der ZKB zu erklären.

Weitere Erklärungsansätze sind m.E. in der ZKB selbst zu finden. Zunächst einmal: Zivile Konfliktbearbeitung setzt an komplexen gesellschaftlichen Prozessen an, trotzdem ist sie eher kleinteilig, langfristig und meist unspektakulär. Damit eignet sich die ZKB wenig für flotte Sprüche, kurzfristige Erfolgsmeldungen und strahlende Highlights.

In die Praxis der ZKB eintauchend werden weitere Dilemmata offensichtlich, die einfache Darstellungen und Positionen schwierig werden lassen. Einige Beispiele zur Illustration:

In einem asymmetrischen Konflikt stellt sich die ZKB natürlich der Aufgabe, zu einem Empowerment der Benachteiligten bzw. Opfer beizutragen. Eine solche Eindeutigkeit kann jedoch zur weiteren Eskalation des Konflikts beitragen, im schlimmsten Fall zu einer Erhöhung der Gewalttätigkeiten auf der einen wie auf der anderen Seite. Wie verhält sich die ZKB im Spannungsfeld Eskalation-Deeskalation?

Intervention von außen vs. Lösungen von innen: Drittparteien haben oft andere Möglichkeiten zur Bearbeitung festgefahrener Konflikte. Damit kommen aber auch die Interessen, die Kultur und die Sichtweisen von Dritten, nämlich der Intervenierenden, mit ins Spiel. Wer hat die Ownership in der ZKB?

Staat vs. Gesellschaft: Rechtstaatlichkeit und Gewaltmonopol sind großen Errungenschaften. Staatliche Souveränität ist ein Grundbaustein der internationalen Friedensordnung. In gewaltförmigen Konflikten ist der Staat jedoch oft nicht in der Lage, seine Funktionen hinreichend auszuüben. Projekte der ZKB zielen z.T. auf die Kompensation dieser Leerstellen ab. Das Problem spitzt sich zu, wenn der Staat selbst Konfliktpartei ist. Können Akteure der ZKB staatliche Gewalt in Anspruch nehmen, sollen sie mit »dem Staat« zusammenarbeiten? Soll ZKB die staatliche Souveränität hinterfragen? (Weiteres hierzu bei J. Neumann/B. Rieche (Hrsg.), Zivile Konfliktbearbeitung in Deutschland, Bonn 2008)

In der Praxis werden meist sinnvolle, pragmatische Lösungen für viele dieser Fragen gefunden; sie motivieren »die Szene« zu reflexivem Nachdenken und konzeptioneller Weiterentwicklung. Doch wie lässt sich darüber eine öffentliche, friedenspolitische Diskussion gestalten, ohne dass ein Rechtfertigungsdruck die Positionen dominiert und dies – kontraproduktiv – zu Allmachtsphantasien, Frustration/Phlegmatismus oder Reduktion auf wenige Instrumentarien führt?

Mit der Intention, die kreative Vielfältigkeit ziviler Ansätze der Konfliktbearbeitung aufzuzeigen und Rahmenbedingungen wie auch Problemstellungen zu formulieren, ist dieses Schwerpunktheft entstanden.

Ich wünsche eine interessante Lektüre!

Christiane Lammers

Kooperation statt Konfrontation

Kooperation statt Konfrontation

Eine andere Afghanistanpolitik ist möglich

von Andreas Buro

Angesichts der Aufstockung der Interventionstruppen in Afghanistan ist es schwer vorstellbar, dass die führenden Nato-Staaten dem milärischen Weg abschwören und auf zivile Konfliktbearbeitung setzen. Andererseits wird immer deutlicher, dass der Konflikt militärisch nicht lösbar ist. Vor diesem Hintergrund hat Andreas Buro Anforderungen an alle Konfliktbeteiligten in Afghanistan, an Nichtregierungsorganisationen und Friedensbewegung formuliert für eine zivile Konfliktbearbeitung.

Die Kriegsstrategie der USA in Afghanistan steckt in einer tiefen Krise. Erfolge stellen sich nicht ein, der Juni 2010 ist für die Nato-Truppen mit 102 getöteten Soldaten der verlustreichste Monat seit Beginn des Krieges. Es wächst die Einsicht, dass der Konflikt militärisch nicht lösbar ist. Politik und Militär thematisieren verstärkt die zivil-militärische Zusammenarbeit als Voraussetzung um Köpfe und Herzen der Bevölkerung zu gewinnen. Eine Strategie, die angesichts der »Kollateralschäden« des Militäreinsatzes als gescheitert angesehen werden muss. Verhandlungen mit Gruppierungen der militärischen Gegener – bis hin zu Teilen der Taliban – werden deshalb immer realistischer. Doch ob ein Vorgehen nach dem Prinzip »Teile und Herrsche« den Konflikt befrieden kann, ist gleichfalls mehr als fraglich.

Eine Chance zur Konfliktlösung liegt dagegen in einem konsequent beschrittenen nichtmilitärischen Weg. In einem Dossier der »Kooperation für Frieden« zum Afghanistankonflikt1 habe ich aufgelistet, welche Beiträge die am Konflikt Beteiligten und die an einer Konfliktlösung Interessierten für eine zivile Konfliktbearbeitung leisten können (die untenstehenden Vorschläge basieren auf diesem Text). Dabei ist nicht davon auszugehen, dass alle Parteien gleichzeitig in einen solchen Friedensprozess einsteigen. Es ist aber möglich, eine Dynamik in Gang zu setzen, die immer mehr Beteiligte in einen solchen Prozess einbezieht, wenn alle an einer solchen Wende interessierten Kräfte nach ihren jeweiligen Möglichkeiten auf die Konfliktbeteiligten einwirken.

Wie schnell ein solcher Prozess Fahrt aufnimmt, das hängt natürlich auch davon ab, wie stark die Impulsgeber sind. Deshalb muss Deutschland eine besondere Rolle zugemutet werden, die in einem – zugegeben – scharfen Kontrast zur biusherigen Politik der Bundesregierung steht.

Anforderungen an die deutsche Politik

Es geht nicht nur um einem Abzug der deutschen Truppen aus Afghanistan, es geht um eine grundsätzliche andere Politik: Weg von der Militär dominierten Machtpolitik, hin zu einer an ziviler Konfliktlösung und Partnerschaft orientierten. Das würde beinhalten:

Deutschland nennt ein festes, nahe liegendes Datum, bis zu dem die deutschen Truppen aus Afghanistan abgezogen werden. Es gibt damit ein deutliches Signal der Neuorientierung. Die Bundeswehreinheiten erhalten die Anweisung, sich ab sofort nicht in Kämpfe einzumischen. Dies gilt sowohl für die ISAF-Truppen, für die Quick-Reaction Force (QRF) und für den Einsatz der Tornados. Dabei ist an das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu denken, das den verfassungsgemäßen Einsatz von Tornados an die heute nicht mehr gegebene deutliche Trennung von OEF und ISAF band.

Berlin gibt gleichzeitig bekannt, dass es seine zivile Hilfe je nach Bedarf bis zu dem Betrag aufstocken wird, der durch den Abzug der Truppen frei wird. Für den Bundeswehreinsatz sind in diesem Jahr offiziell über 1 Mrd. Euro eingeplant, die tatsächlichen Kosten liegen wesentlich höher – nach Einschätzung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung liegen sie sogar bei etwa drei Mrd. Euro jährlich. Diese frei werdenden Mittel werden für Entwicklungsprojekte in Afghanistan zur Verfügung gestellt, die von Orten und/oder Regionen des Landes gemeinsam für wichtig und nützlich gehalten werden, und die die Lebensbedingungen der Menschen vornehmlich auf dem Lande verbessern. Im Mittelpunkt sollten die schulische, soziale und medizinische Versorgung sowie die Förderung von Frauenprojekten stehen. Ferner geht es um die Schaffung von Arbeitsplätzen und die Förderung von landwirtschaftlichen Produktionen, die unabhängig vom Mohnanbau macht. Entsprechende Vorschläge der UN liegen auf dem Tisch. Deutsche Afghanistan-ExpertInnen sollten gebeten werden, Strategien der Entwicklung für die unterschiedlichen Bedingungen in Afghanistan zu entwerfen und zur Diskussion zu stellen. Eine Zusammenarbeit mit dem »National Solidarity Program« (NSP) der Weltbank, das an lokalen Bedürfnissen ansetzt, könnte unter den vorgenannten Bedingungen eines eigenen afghanischen Entwicklungspolitikprozesses geprüft werden.

Die Bundesregierung erklärt ihre Bereitschaft, als Vermittlerin zwischen den Konfliktparteien, sowohl innerhalb Afghanistans, als auch mit den Interventionsmächten, zu dienen. Sie nimmt die erforderlichen Kontakte für diese Mission auf und beginnt mit bilateralen Gesprächen, um die Vorstellungen und Wünsche der einzelnen Akteure zu erfahren und weiter zu vermitteln.

Die Bundesregierung beendet das Nebeneinander der Ministerien als Geber und setzt eine effektiv und transparent geführte Koordinierung ein. Die Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) und andere einschlägige Dienste werden beauftragt, angepasste Technologien für die Produktion von Gebrauchsgegenständen vorzuschlagen, die unter den Bedingungen vor Ort produziert werden können. Die weltweit erfolgreichen Modelle der Kleinkredite werden in Afghanistan eingesetzt, um die Wirtschaft anzukurbeln.

Für die Projekte sollen zunächst Regionen mit besonders günstigen Bedingungen ausgewählt werden, in denen auch eine gewisse Konzentration von Projekten verwirklicht werden kann. Dabei darf der paschtunische Siedlungsbereich nicht ausgespart werden. Erfolgreiche Projekte werden auf andere Regionen ausstrahlen. Die Menschen werden verstehen, dass sich Frieden und Kooperation für sie lohnen. So wächst die Bereitschaft, sich an Projekten aktiv zu beteiligen und Konflikte friedlich zu lösen.

Die Konzentration auf den ländlichen Bereich schließt nicht aus, auch allgemeine oder städtische Projekte zu unterstützen. Dazu kann die rechtsstaatliche Ausbildung von Polizisten gehören, soweit diese nicht zu Kampftruppen umfunktioniert werden.

Die Festlegung der Projekte bedarf unabdingbar der Einbeziehung und der Zustimmung der örtlichen oder regionalen Kräfte, auch derer, die sich den Taliban zuordnen. Wer Aussöhnung will, darf die bisherigen Gegner nicht ausgrenzen. Auf diese Weise können auch Dialog und Zusammenarbeit der verschiedenen Kräfte vor Ort, sowie Vertrauen untereinander gefördert werden.

Die ins Ausland geflohene afghanische Intelligenz sollte ermutigt werden, in ihre Heimat zurückzukehren, um dort an der Entwicklung mitzuwirken. Dem könnte auch eine vorübergehende materielle Förderung dienen. Allerdings stoßen Exil-AfghanInnen bei ihrer Rückkehr oft auf Ablehnung und Neid wegen der vermuteten Übernahme westlicher Lebensformen und Einstellungen. Deshalb sollte der Qualifizierung von AfghanInnen im Inland zusätzlich eine hohe Priorität eingeräumt werden.

Die folgenden Prinzipien sollten bei Entwicklungsprojekten maßgebend sein:

Vorschläge für Projekte können von allen Seiten gemacht werden.

Alle zuständigen Kräfte werden zur Erörterung und Beschlussfassung der Projekte von denen eingeladen, die den Vorschlag gemacht haben.

Projekte werden nur verwirklicht, wenn alle Seiten einschließlich der GeberInnen zustimmen.

Die bisherigen entwicklungspolitischen Projekte werden einer sorgfältigen Bewertung (Evaluation) unterzogen.

Für die Ausführung von Arbeiten werden möglichst örtliche Kräfte einbezogen, auch wenn sich dadurch die Kosten erhöhen sollten. Wichtig ist, dass Einkommen durch Arbeit entsteht, die Produktionsstrukturen im Lande gefördert werden und gleichzeitig eine Qualifizierung von Arbeitskräften ermöglicht wird.

Korruption ist nicht hinnehmbar, selbst wenn dann ein Projekt nicht verwirklicht werden kann.

Projekte und die dabei gemachten Erfahrungen sind im ganzen Land zu publizieren, um die Arbeit und ihre Prinzipien bekannt zu machen.

Von Seiten der Bundesrepublik muss die Zusammenarbeit so koordiniert werden, dass die verwirrende Konkurrenz verschiedener staatlicher und NRO-Akteure überwunden und damit die Wirksamkeit der Maßnahme gesteigert wird.

NRO-Akteure werden an ihre erklärte Hilfsaufgabe erinnert, die nicht im faktischen Widerspruch zum Selbstentfaltungspotential der Kräfte vor Ort stehen darf.

Die Bundesregierung appelliert an die Nato, solche Projekte, Orte und Regionen nicht in die Kriegführung einzubeziehen, auch wenn an den Projekten den Taliban nahestehende Kräfte beteiligt sind. Solche Appelle sollten auch von denjenigen ausgehen, die an den Projekten interessiert sind und dort mitarbeiten. Das Auswärtige Amt kann helfen, das Konzept der Friedenszonen in Afghanistan wirksam zu machen.

Die Bundesregierung bemüht sich gleichzeitig darum, dass andere in Afghanistan engagierte Nato- und EU-Staaten ihrem Beispiel folgen. Kleinere Nato-Staaten könnten ein Interesse haben, sich dem interventionistischen Militärkurs der USA und der Nato zu entziehen, da zivile Strategien ihnen viel bessere wirtschaftliche Möglichkeiten in Nah- und Mittelostasien versprechen. Die Bundesregierung erläutert ihre neue Politik der Nato und den USA.

Mit einer derartigen Politik kann Deutschland eine Wende hin zum tatsächlichen Vorrang ziviler Konfliktbearbeitung einleiten. Das wäre ein Signal, das weit über Afghanistan hinaus gehört würde.

Anforderungen …

… an die UNO

Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen beendet seine Politik der Abstinenz, was die Wahrnehmung seiner Verantwortung für Afghanistan angeht und bedient sich des in der Satzung der Vereinten Nationen in Kap. VI (Die friedliche Beilegung von Streitigkeiten) kodifizierten Instrumentariums zur Wiederherstellung von Frieden und Sicherheit in Afghanistan.

… an die USA

Nach der Aufstockung der US-Truppen um weitere 30.000 Soldaten in diesem Jahr, ist es schwer vorstellbar, dass die USA ziviler Konfliktbearbeitung Vorrang einräumen. Erstes Ziel sollte es deshalb sein, international soviel Druck auf die US-Regierung auszuüben, dass diese die Zusage geben muss, dass sie die Politik der Zivilen Konfliktbearbeitung respektiert und nicht durch militärische Aktionen beschädigt; dass sie die militärische Eskalation, Verfolgungen und Folter beendet und Gespräche mit allen Konfliktakteuren führt, mit dem Ziel, den militärischen Konfliktaustrag zu beenden.

Die USA müssen deutlich machen, dass sie nach einem Abzug der Interventionstruppen ihre Militärstützpunkte auflösen und die volle Souveränität Afghanistans respektieren werden, und dass sie alles Erforderliche unternehmen werden, um die Landminen und die Bomblets der US-Streubomben unschädlich zu machen, so dass das Land wieder gefahrlos betreten und bearbeitet werden kann.

… an die EU

Die EU setzt sich für die Etablierung eines friedlichen Konfliktlösungsmechanismus nach dem Vorbild des »Helsinki-Prozesses« (Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit, KSZE) ein. Sie bietet an, die hierbei gewonnenen Erfahrungen einzubringen.

… an die militärisch beteiligten Nato-Mitglieder

Die anderen militärisch in Afghanistan beteiligten Nato-Mitglieder stellen ihre militärischen Aktionen ein und stärken stattdessen in gegenseitiger Abstimmung die entwicklungspolitische Unterstützung. Sie beteiligen sich in ihren Stationierungsgebieten an der Beseitigung von Landminen und Bomblets der US-Streubomben.

… an die afghanischen Stämme und Gruppierungen

Eine zivile Konfliktlösung in Afghanistan bedarf natürlich der aktiven Unterstützung der afghanischen Stämme und Gruppierungen. Deshalb sind entwicklungspolitische Projekte, die der armen ländlichen Bevölkerung nutzen, von großer Bedeutung. Da der geringe Ausbildungsstand der afghanischen Bevölkerung ein großes Hindernis ist auf dem Wege zu einer eigenständigen Entwicklung ist es notwendig, Alphabetisierung, schulische, berufliche und technische Ausbildung in einer Weise zu fördern, die mit den Traditionen und religiösen Vorstellungen der afghanischen Gesellschaft verträglich sind, aber die legitimen Ansprüche benachteiligter Bevölkerungsgruppen und vor allem der Frauen aufgreifen. Es kommt darauf an:

Untereinander den Dialog über solche Projekte zu suchen, um eine breite Unterstützung zu sichern.

Diesen neuen Ansatz abzusichern und die darin engagierten Personen zu schützen.

Zu prüfen, ob sie emigrierte afghanische Fachleute einladen wollen, um an Durchführungen von Projekten mitzuarbeiten.

Regionale Friedens-Jirgas abzuhalten, um dort neben konkreten Projekten auch die Perspektiven der gesellschaftlichen Entwicklung des Landes zu erörtern. Dabei gilt es auch, Taliban-Kräfte in den Dialog einzubeziehen.

… an die Gruppierungen der Taliban

Die Taliban-Gruppierungen, die zum Dialog bereit sind, müssen das öffentlich machen. Sie dürfen die Dialogbereitschaft nicht an Vorbedingungen knüpfen, die von der Seite der Interventen nicht oder noch nicht erfüllt werden können. Sie sollten den Dialog untereinander und mit anderen Kräften in Afghanistan aufnehmen, um eine gemeinsame gesellschaftliche Perspektive zu entwickeln. Es muss von ihnen erwartet werden, dass sie die Angriffe auf die Zivilbevölkerung des Landes einzustellen, und ihren politischen Alleinvertretungsanspruch zugunsten einer Politik der Kooperation aufgeben.

… an die Kräfte der ehemaligen Nord-Allianz und andere Warlords

Letzteres gillt auch für die Kräfte der ehemaligen Nord-Allianz und andere Warlords, die außerdem nach und nach ihre Privatarmeen (Milizen) aufzulösen müssen. Sie sollten dabei unterstützt werden, damit die so frei werdenden Personen für Entwicklungsprojekte im jeweiligen Bereich eingesetzt werden können.

… an die Regierung in Kabul

Die Regierung in Kabul muss sich mit den in der nationalen Friedens-Jirga zusammengeschlossenen Stämmen in Verbindung setzen mit dem Ziel, die Regierung auf eine breitere Basis zu stellen und den dominanten Einfluss der Warlords und Opium-Barone im politischen Prozess zurückzudrängen, sowie einen Dialog-Prozess zur Überwindung von Gewalt in Gang zu setzen. Weiter ist notwendig:

Gespräche mit den Taliban aufzunehmen bzw. zu intensivieren, um sie in den politischen Prozess für Entwicklung und Frieden einzubeziehen.

Schutzzölle zu errichten, um eine eigenständige landwirtschaftliche, handwerkliche und industrielle Entwicklung zu ermöglichen.

Die Freilassung von gefangenen Frauen und Männern, denen keine strafrechtlichen Vergehen nachgewiesen werden können. Besonders Frauen werden oft mit höchst zweifelhaften Vorwürfen in Gefängnissen festgehalten.

… an die Nachbarstaaten Afghanistans

Von den Nachbarstaaten muss verlangt werden, dass sie keine Waffen nach Afghanistan liefern und Lieferungen durch Waffenhändler unterbinden, dass sie ihre wirtschaftliche Kooperation mit Afghanistan stärken, auch wenn Afghanistan für bestimmte Einfuhren Schutzzölle erheben sollte.

… an die internationalen NROs

Von den in Afghanistan arbeitenden internationalen NROs muss erwaret werden, dass sie jede zivil-muilitärische Zusammenarbeit ablehnen, da diese in der Regel nur der Legitimierung des Militärischen dient. Die NROs sollten sich einer Politik der zivilen Konfliktbearbeitung verpflichten und das auch gegenüber staatlichen Dienststellen und in der Öffentlichkeit vertreten.

Es gibt wenige friedenspolitische Ansätze in der afghanischen Gesellschaft und diese stehen unter einem erheblichen Druck. Mit einigen gibt es bereits durch den Zivilen Friedensdienst und als Projekt mit zivik-Mitteln geförderte Kooperationsbeziehungen. Die NROs sollten einen engeren Austausch mit solchen Ansätzen suchen und diese in die Konzeptdiskussion einbeziehen.

Rolle und Aufgaben der Friedensbewegung

Die friedenspolitisch engagierten Menschen in unserem land sollten die für Frieden eintretenden Kräfte in Afghanistan, wie z. B. die Nationale Friedens-Jirga, unterstützen, sie in Europa bekannt machen und ihre Forderungen zur Diskussion stellen. Sie sollte sich mit dem hier vorgeschlagenen Konzept befassen, es bei Zustimmung in der Öffentlichkeit, gegenüber den politischen Parteien, Gewerkschaften und Kirchen bekannt machen und vertreten. Sie sollten dazu beitragen, dass die Vorschläge für eine zivile Konfliktbearbeitung auch in den Zivilgesellschaften der anderen Nato-Staaten verbreitet werden und dass in Zusammenarbeit mit dortigen Bewegungen, Gruppierungen und Institutionen eine Kampagne für eine politische Wende eingeleitet wird. Dazu gehört:

Den Konflikt ständig differenziert zu analysieren. Die Gefahren der jetzigen Militärintervention in Afghanistan zu thematisieren und gegen diese Politik zu protestieren.

Mit dieser Kritik auch SoldatInnen, die nach Afghanistan geschickt werden, zu konfrontieren.

Gesellschaftliche und ökonomische Interessengruppen, die von einer Fortsetzung des militärischen Konflikts profitieren, öffentlich anzuprangern.

Anmerkung

1) Andreas Buro: Der Afghanistankonflikt, Dossier IV der Kooperation für den Frieden, Römerstr. 88, 53111 Bonn, 36 S., 1,20 Euro

Prof. em. Dr. Andreas Buro ist friedenspolitischer Sprecher des Komitees für Grundrechte und Demokratie.