Aktionsvorschläge

Aktionsvorschläge

von Olaf Achilles

Der militärische Bereich muß aus unserer Gesellschaft weichen. Die realistische Utopie einer militärfreien Gesellschaft rückt (wieder) in die öffentliche Diskussion – eine zwingende Notwendigkeit, wie bereits früher erkannt wurde.

Schon im 2. Weltkrieg gab es das Prinzip der offenen Stadt: Um den militärischen Schaden zu begrenzen, wurde mitunter planmäßig auf die Verteidigung von Städten verzichtet. Dies Prinzip der offenen Stadt kann und muß heute angesichts der unsagbaren potentiellen und akuten Bedrohung für ganze Regionen gelten, wollen wir als Menschen auf und mit dieser Erde überleben.

Konzepte kommunaler Friedensarbeit weiterentwickeln

Eine entsprechende Entwicklung zeichnet sich in verschiedenen Abrüstungsvorschlägen ab. Atomwaffen-, panzer-, tiefflug- und manöverfreie Zonen wurden bereits in den 80er Jahren global und regional von politischen Organisationen aller Ebenen bis hin zu Staaten gefordert. Innerhalb der kommunalen Friedensarbeit sind hierzu die verschiedensten Konzepte entwickelt worden. Die kommunalen Räte haben über eine Bannung militärischer Teilbereiche (Manöver, Tiefflug) aus ihrem Planungsgebiet, auch Maßnahmen zur nichtmilitärischen Sicherheit wie z.B. der Völkerverständigung (Partnerstädte u.a.) beschlossen. Dieser Ansatz ist weiter zu entwickeln.

Bundesrepublik ohne Armee

In der Schweiz gibt es seit 1982 die GSoA – die Gruppe für eine Schweiz ohne Armee. Am 26. November 1989 fand auf ihre Initiative darüber eine Volksabstimmung statt, die weltweit schon im Vorfeld Aufsehen erregte. 36 % (über ein Drittel!) der SchweizerInnen stimmten für die Abschaffung der Armee! In 142 Gemeinden und in den Kantonen Jura und Genf gab es die erforderliche Mehrheit für Militärfreiheit. Es sind damit 142 entmilitarisierte (Gemeinde-) Zonen in der Schweiz symbolisch entstanden.

Eine dieser Idee entsprechende Initiative von Friedensforschern und Militärgegnern existiert seit Mitte 1989 unter dem Titel „Bundesrepublik ohne Armee (BoA)“ auch hier. „BoA steht für eine Perspektive, eine langfristige Zielvorstellung, eine realistische Utopie, eine strategische Orientierung in der Konfusion, der Vielfalt, dem unübersichtlich gewordenen Dickicht der gegenwärtig gehandelten Friedenskonzepte für Mitteleuropa und darüber hinaus – als da sind: atomwaffenfreie Zonen, defensive Verteidigung, Aufkündigung von Jalta, vertrauensbildende Maßnahmen, Frieden schaffen ohne Waffen, doppelte und dreifache Null-Lösung, Gemeinsame Sicherheit usw.“.

Entmilitarisierung vor Ort

Mit der rasanten Entwicklung im Osten Europas schwindet das Bedrohungsbewußtsein. In Siegen forderten die GRÜNEN eine „garnisonsfreie Stadt Siegen“: „Die Völker Ost-Europas, die Menschen der DDR zeigen uns den Weg: Man muß selbst und bei sich zu Hause mit der Umgestaltung beginnen und sie durchsetzen, sonst wird es keine Veränderung geben“, heißt es dazu in einem Flugblatt.

Im Rat der Stadt Wildeshausen in Niedersachsen stellten die GRÜNEN einen Eil-Antrag auf Auflösung des dortigen Bundeswehrstandortes. Der Rat der Stadt sollte „die Konsequenz ziehen, die große historische Chance, weltweiter, weitreichender Abrüstungsschritte zu nutzen und aktiv zu unterstützen“. Das Bundesverteidigungsministerium müsse „für die problemlose Integration der Bundeswehr-Angestellten in das zivile Berufsleben sorgen“, heißt es u.a. in der Antragsbegründung.

Der hessische SPD-Vorsitzende Hans Eichel stellte fest, daß eine baldige Entmilitarisierung der Nachbarländer Hessen und Thüringen „keine Utopie mehr“ sei. (FR 22.1.90).

Die GRÜNEN fordern in einem Aufruf „Schwerter zu Pflugscharen, Kasernen zu Wohnungen“, vom Dezember 1989, eine Entmilitarisierung beider deutscher Staaten bis zum Jahr 2000. Neben einer Umverteilung von Kapital und ziviler Technologie zugunsten Osteuropas und der »Dritten Welt«, fordern sie einen »Rüstungskonversionsfond« im Bundeshaushalt.

Entmilitarisierung der DDR

In der DDR gibt es, ebenfalls seit Dezember 1989, den »Appell der 89«, der sich an die Bürger des Landes richtet und von vielen bekannten Persönlichkeiten unterschrieben wurde. Alle Parteien und Gruppierungen, so sein Ziel, sollen den »Appell der 89« in die Wahlprogramme aufnehmen und „zum Dekret Nr. 1 der neuen Volkskammer, zum »Dekret des Friedens““ erheben. Der Appell genießt große Zustimmung.

„Im Wissen und mit der Erfahrung tiefgreifender Veränderungen in der Welt der sozialistischen Länder, angesichts der sich zuspitzenden ökologischen Krisensituationen unseres Planeten, die sich in Gestalt der Bevölkerungsexplosion, der Energie- und Umweltkrise, in der sich anbahnenden Klimakatastrophe, der Zerstörung der schützenden Ozonschicht, der Abholzung des tropischen Regenwaldes und der Verluste von immer mehr Tier- und Pflanzenarten als die Existenzgefährdung der Erde erweisen könnte, rufen wir in Übereinstimmung mit der Zusicherung, daß von deutschem Boden nur noch Friede ausgehen wird, alle Menschen guten Willens auf, mit einem mutigen und die Phantasien überflügelnden Schritt, der Welt den Beweis für die Kraft der Vernunft zu liefern, indem die Deutsche Demokratische Republik einseitige Vorleistungen mit dem Ziel einer Totalen militärischen Abrüstung bis zum Jahre 2.000 vollzieht.“

Auszug aus dem »Appell der 89« (Hervorhebung im Original)

Miliärfreie Zonen und regionale Konversion

Um diese Initiativen kommunal zu unterstützen, schlage ich folgende Aktionen vor:

  1. Die Kommunen in der Bundesrepublik müssen ihre Friedensbeschlüsse der letzten Jahre um Maßnahmen für eine ökologische Sicherheit erweitern und sich zur militärfreien Zone erklären.
  2. Städte und Gemeinden, in denen es zivilisatorische Bomben wie Chemiewerke und Atomanlagen etc. gibt, müssen schon heute auf eine militärische Verteidigung verzichten und sich zur offenen Stadt bzw. Region erklären.
  3. Es könnten ebenfalls ökologische Sicherheitszonen eingerichtet werden, die für jegliches Militär tabu sind und als Naturschutzgebiete erklärt werden. Hier sind vor allem die geplanten, grenzüberschreitenden Naturparks zu nennen.
  4. Darüber hinaus wäre zu prüfen, ob (bestimmte) militärische Einrichtungen der neuen, ökologischen Sicherheitsdefinition noch standhalten. Dies ist gerade für Truppen- und Standortübungsplätze fraglich; militärische Neubauten, Manöver, besonders Tiefflüge, sind abzulehnen.
  5. Gemeinden, Initiativen und andere politische Gruppen können sich den Inhalten des »Appells der 89« anschließen.
  6. Die Gemeinden beginnen mit Schritten für eine regionale Konversion, dem zivilen Umbau ihrer Region. Dabei sind besonders Maßnahmen zu treffen, die die wirtschaftlichen Abhängigkeiten vom »Faktor Militär« beseitigen.

Die Idee der regionalen Konversion beinhaltet, (militärdominierte) Städte, Dörfer, Gemeinden und Regionen mit möglichst vielen kommunalen Ressourcen zu einem ausgeglichenen, entmilitarisierten Mensch-Natur-Gefüge zu entwickeln.

Diese Maßnahmen sind nicht zuletzt deswegen erforderlich, weil mit den zunehmenden Abrüstungsvorschlägen auch die Stationierungsdichte in der Bundesrepublik abnimmt.

Militärische Belastungsanalysen

Eine militärische Belastungsanalyse hat die Auswirkungen des mobilen und stationierten Militärapparates in einer bestimmten Region zum Untersuchungsgegenstand. Sie basiert zumeist auf einer vorher erstellten Analyse der militärischen Infrastruktur. Militärische Belastungsanalysen sind auch für die Bauleitplanung relevant. (Vgl. Achilles 1990).

Die Ansätze der kommunalen Gegenwehr gegenüber militärischer Belastung müssen in die Überlegungen zur regionalen Konversion einfließen. Die genaue Darstellung der militärischen Belastungen – Genese und Entwicklung – im ökologischen, ökonomischen, sozialen, raumordnungs- und kommunalpolitischen Bereich ist als Ausgangsanalyse für eine konsequente antimilitaristische Umstrukturierung der Region notwendig.

Das neue Militär – eine »starke Truppe«?

„Deutschland muß leben, auch wenn wir sterben müssen“ – so ist die traditionelle Soldaten- und Bürgerpflicht noch heute auf einem Hamburger Kriegsdenkmal zu lesen. Die Militärs haben diesen Slogan modifiziert:

„Dieses Militärbündnis, dieser Staat, diese Sicherheitsdoktrin müssen leben, auch wenn die Welt dadurch zerstört wird.“

Militärs schaffen sich die Notwendigkeit ihrer Existenz. Es muß darauf geachtet werden, daß das Militär nicht ökologische Bedrohung in die militärische Gesamtverteidigung einbaut, um damit wieder Legitimation bei der sensibilisierten Bevölkerung zu erheischen. Momentan wird mit Vehemenz versucht, die militärischen Funktionen auf den zivilen Bereich auszudehnen. Katastrophenschutz und Erdbebenkompanie sind in der Diskussion. Dies läuft auf eine Militarisierung der Ökologie und damit eine Okkupation des Friedenswillens der Menschheit hinaus. Nur außerhalb des Militärapparates sind diese Ideen jedoch friedensfördernd. Nur eine Entmilitarisierung wird eine ökologisch-soziale und damit friedliche Weltinnenpolitik gewährleisten und damit eine „auf Dauer angelegte Entwicklung“ ermöglichen, wie sie die Brundtland-Kommission in ihrem Bericht „Unsere gemeinsame Zukunft“ fordert.

Auch die Sklaverei wurde aus unserem Kulturkreis verbannt. Wir können die realistische Utopie einer militärfreien Gesellschaft verwirklichen. Eine Notwendigkeit besteht seit langem.

Literatur

Olaf Achilles: „Vom Wandel der militärischen Funktionen“ in: Wissenschaft und Frieden 3/89
ders.: Militärische Belastungsanalysen und regionale Konversion; Reihe kommunale und ökologische Friedensforschung Band 2, Verlagshaus Riedmühle, Alheim 1990
Lester R. Brown: „Für die Militärs bleibt genug“ in: Der Spiegel, Spiegel-Gespräch 3/1990, S. 90 – 98.
D. Fischer/W. Nolte/J. Oberg: Frieden gewinnen. Dreisam-Verlag, Freiburg 1987
Hanspeter Greger/Roland Vogt (Hrsg.): Westpfalz Zivil – regionale Konversion; Kaiserslautern 1987
möp-rundbrief: Mitteilungen der Arbeits- und Forschungsstelle „Militär, Ökologie und Planung“ (MÖP) e.V. zur kommunalen und ökologischen Friedensforschung und Friedensarbeit; erscheint zweimonatlich
Michael Renner: National Security: The Economic and Envorinmental Dimensions; Washington 1989
William D. Ruckelshaus: „Politik für eine lebensfähige Welt“ in: Spektrum der Wissenschaft 11/89, S. 152 – 162

Auszug aus einem Diskussionsbeitrag (möp-diskussion) „Von der heiligen Kuh zum trojanischen Pferd“ – über die Notwendigkeit einer militärfreien Gesellschaft, welche als Beilage zum möp-rundbrief 19/20 erschienen ist. Möp-diskussion ist für 3.50 bei der MÖP e.V., Reuterstr. 44, 5300 Bonn 1 zu erhalten.

Was heißt und zu welchem Ende betreiben wir die BoA?

Was heißt und zu welchem Ende betreiben wir die BoA?

von Ekkehart Krippendorff

Friedrich Schiller, von dem diese klassisch gewordene (wenn auch, wegen ihres grammatischen Fehlers zeitgenössisch kritisierte) Formulierung für seine Jenaer Antrittsvorlesung über »Universalgeschichte« stammt, hatte es schwerer was den ersten und leichter was den zweiten Teil der Frage anbetrifft. BoA – es hat sich inzwischen herumgesprochen – heißt schlicht der heutigen Abkürzungsmode folgend (NATO, KSZE, MBFR …) „Bundesrepublik ohne Armee“. BoA steht für eine Perspektive, eine langfristige Zielvorstellung, eine realistische Utopie, eine strategische Orientierung in der Konfusion, der Vielfalt, dem unübersichtlich gewordenen Dickicht der gegenwärtig gehandelten Friedenskonzepte für Mitteleuropa und darüber hinaus – als da sind: atomwaffenfreie Zonen, defensive Verteidigung, Aufkündigung von Jalta, vertrauensbildende Maßnahmen, Frieden schaffen ohne Waffen, doppelte und dreifache Null-Lösung, Gemeinsame Sicherheit usw.

Übernommen bzw. übertragen wurde das BoA-Kürzel von der beachtlichen und mutigen „Gesetzesinitiative Schweiz ohne Armee“ (GSoA), die in diesem kleinen und hochmilitarisierten Land immerhin die besten und bekanntesten Schweizer zu ihren Befürwortern hat (Dürrenmatt und Frisch z.B.), d.h. die, denen dieses Land seinen Respekt und seine Anerkennung als Kulturvolk verdankt, was man von der Schweizer Schokolade oder den Banken nicht wird behaupten können. Darin steckt auch die Besinnung auf eine Umwertung der Werte, oder richtiger: auf ein Zurechtrücken, eine Richtigstellung von Werten, die ein Volk und eine Kultur auszeichnen und ihnen Würde verleihen – Literatur, Dichtung, Kunst, aber auch Zivilität, Humanität, Demokratie, Menschenwürde, Rechtssicherheit.

Nach 1945 unvorstellbar: ein hochgerüsteter deutscher Staat

1945 schien auch in Deutschland – endlich – der Boden bereitet, um Abschied zu nehmen von einer fatalen, zerstörerischen Werte-Verkehrung, die nationale Größe ausschließlich auf Machtstaatlichkeit, Blut und Eisen – konkret: auf eine starke Armee als Garant internationalen Respekts – gegründet gesehen hatte. Dieses Deutschland wollte und sollte nie wieder als bewaffnete Macht zur Völkerfamilie gehören, sondern sich beweisen, seine neue Identität finden durch eine ernsthafte und radikale Neu- und Rückbesinnung auf echte, dauerhafte und vor allem friedliche Werte. Dann aber änderte sich bekanntlich die sog. Weltlage, d.h. sie wurde geändert, und zwar aus der alten Logik der Machtpolitik heraus, deren Spielregeln folgend, die trotz der Kriegskatastrophe nicht wirklich infrage gestellt wurden (die UNO war ein halbherziger Ansatz dazu gewesen). Den beiden deutschen Teilstaaten wurde es nicht gestattet, einen radikalen Weg zu einer neuen, u.a. nicht bewaffneten Identität weiterzugehen, was den politischen Klassen durchaus entgegenkam, denn Weniges ist so schwierig wie Umdenken, Neubeginnen, Radikalität in Gesellschaft und Politik. Damals, in den 50er Jahren, war das Volk, das eine Wiederbewaffnung nicht wollte und sich so gut es unter den Umständen möglich war, dagegen wehrte, radikaler, politisch lernfähiger als seine Regierungen, deren taktischem Geschick bei der Wiederaufstellung von Militär es schließlich unterlag. Eine „Bundesrepublik ohne Armee“ war einer Mehrheit der westdeutschen Bevölkerung noch vor vierzig Jahren keineswegs unvorstellbar – im Gegenteil: unvorstellbar erschien damals ein hochgerüsteter deutscher Staat. Trotzdem wurde er durchgesetzt. Daran ist politisch und historisch nicht nur immer wieder zu erinnern, sondern auch zukunftsorientiert anzuknüpfen.

Natürlich ist die Geschichte nicht ungeschehen zu machen, kann sie nicht schlicht revidiert werden. Aber Geschichte enthält auch, wenn sie überhaupt eine bewußtseinsbildende Funktion hat – und die hat sie – uneingelöste Versprechen, Möglichkeiten, zu reflektierende Alternativen. Nichts hat so kommen müssen, wie es kam, Zukunft ist immer offen für verschiedene Optionen – vorausgesetzt, wir überlassen uns nicht einem blinden »Durchwursteln« und haben eine generelle strategische Perspektive, innerhalb derer wir unsere taktischen-praktischen Schritte machen und unsere Entscheidungen treffen. Sich vorzustellen, es könne eine entmilitarisierte Bundesrepublik, eine „Bundesrepublik ohne Armee“ geben, ist eine ebenso noble und erstrebenswerte Zielvorstellung wie die einer „Schweiz ohne Armee“ und für andere Länder und Staaten um uns und darüber hinaus gleichermaßen.

Vorbereitendes Denkbarmachen

Um nicht mehr – aber auch nicht weniger – als um das vorbereitende Denkbarmachen einer solchen Möglichkeit geht es bei BoA. Dieses Denkbarmachen selbst, wenn es die Schreibtische und die mit kleinen Auflagen zirkulierenden Friedenszeitschriften verläßt und zum öffentlichen Topos wird, wenn BoA in sich erweiternden Kreisen und von immer mehr Menschen diskutiert wird – und zwar durchaus kontrovers, im Für und Wider – das allein ist schon ein Stück wichtiger Politik, dazu angetan, mit der Brechung eines alten Tabus den Boden zu bereiten für konkrete Veränderungen und zu entwickelnde Alternativen zu Abschreckung und zu den auch noch in den Konzepten von defensiver Verteidigung z.B. enthaltenen letztlich militärisch konditionierten Vorstellungen von Sicherheit. Militär ist immer ein Sicherheitsrisiko, enthält immer den fruchtbaren Schoß für kriegerische Konflikte, für herrschaftliche Gewaltausübung. BoA ist ein »idealistisches« Projekt – aber im Sinne Hegels: „Ist das Reich der Ideen erst genügend revolutioniert, hält die Wirklichkeit nicht mehr lange stand.“ Ist die Armee als vermeintlich unverzichtbare Sicherheitsgarantie für das Überleben einer Gesellschaft erst genügend delegitimiert, hält sie selbst nicht mehr lange stand.

Delegitimierung der Bundeswehr

In der Bundesrepublik beobachten wir neuerdings einen solchen, fast »naturwüchsig« zu nennenden Prozeß der Delegitimation der Bundeswehr, wozu »Ramstein« und die Tiefflüge nur symptomatische Auslöser waren. Mit diesem Pfunde gilt es zu wuchern. Eine nicht mehr wehrwillige Bevölkerung – den Regierenden und vor allem den Bundeswehr-Professionellem ein offen ausgesprochener Alptraum – bedeutet, auch wenn sich an den tatsächlichen Strukturen und militärischen Potentialen zunächst nichts ändert, eine Reduktion von Bedrohung des potentiellen Gegners, des Warschauer Paktes und der DDR insbesondere, was zur Delegitimation von dessen »Volksverteidigungsarmeen« führen muß und entsprechende Wehrwiderwilligkeit dort offener als bisher artikulierbar macht. Wir erleben ja schließlich denselben Zusammenhang derzeit in umgekehrter Richtung, indem die mit »Perestroika« verbundene Reduktion einer immer schon mehr propagandistischen als realen Gefahr sowjetisch-kommunistischer Europa-Eroberung zur Freisetzung jenes historisch gut begründeten Unbehagens am Militär in der Bundesrepublik geführt hat. Über BoA laut und öffentlich nachdenken, heißt also nicht nur aktive Politik zu betreiben, und zwar Friedenspolitik, sondern solches Nachdenken ist auch weit davon entfernt, schematisch-blauäugig zu sein: die BoA-„Kampagne« ist ein Prozeß, kein von heute auf morgen durch schlichte „Abschaffung der Bundeswehr“ zu verwirklichendes reales Nahziel. Sie ist ebenso ein politischer Prozeß der Bewußtseinsveränderung, dem die konkrete Politik wird nachgeben müssen, wie es die Friedensbewegung in ihrer Mobilisation gegen die Raketen-Hochrüstung war, die immerhin einen zwar problematischen aber doch realen Abrüstungsschritt zur Folge hatte. Nur geht BoA weiter, ist radikaler, geht mehr an die Wurzel des Kriegsproblems und der unverwirklichten Friedenshoffnungen als es der Kampagne gegen Pershing, Cruise und SS-20 möglich war.

Von der Militär- zur Staatskritik

Ist die Armee, ist Militär »die« Wurzel des »Übels«, des Problems latenter Kriegs- und nuklearer Holocaust-Gefahr? Das können wir zu diesem Zeitpunkt offenlassen. Vorsicht und Skepsis ist immer geboten gegen monokausale Ursachenbestimmungen. Ich selbst habe mich durch meine Studien davon überzeugen lassen, daß das Militär eher Symptom denn Ursache ist – aber ein Symptom, das, wenn ernsthaft diskutiert und ent-tabuisiert, neue und tieferliegende Ursachen freilegen wird. Sie liegen, so meine ich, in staatlich organisierter Herrschaft von Menschen über Menschen, von Strukturen, die aber erst dann in ihrer ganzen Komplexität in den Blick kommen, wenn wir wenigstens einige Schritte weit gekommen sind im effektiven Abbau ihrer militärischen, d.h. als Armeen institutionalisierten Erscheinungsform. Wenn ein Vergleich erlaubt ist: auf dem »Umweg« über die dramatischen Umweltzerstörungen ist der Kapitalismus wieder und schließlich das Industriesystem als Problem neuzeitlich-europäischer Naturunterwerfung freigelegt worden. Auf dem »Umweg« über die Militärkritik dürfte auch die Staats- und schließlich die Herrschaftsfrage wieder freigelegt werden, die in der europäischen Neuzeit – übrigens nicht zufällig zeitlich parallel zur modernen Naturwissenschaft und Technik – als mit dem modernen Staat beantwortet und „gelöst“ erschien. Diese sich aus einer gründlichen BoA-Diskussion ergebenden komplizierten Fragen können und sollten wir getrost dieser Diskussion selbst überlassen; sie sind intellektuell spannend und gleichzeitig politisch höchst brisant, wie überhaupt ernsthaftes Nachdenken über Perspektiven und reale Utopien, wie BoA sie darstellt, intellektuell aufregend und zugleich politisch aktuell sind. Wäre es das nicht, würde BoA nicht so massiv öffentlich denunziert oder als gefährliche Träumerei verurteilt werden – so wie die nervösen Reaktionen von Politik und Bundeswehr auf die deutlich nachlassende Armee-Akzeptanz in der Bevölkerung ein Gespür dieser Herren dafür signalisieren, daß sich hier für sie und für ihre Vorstellungen von Ordnung, Staat und Herrschaft höchst gefährliche, vielleicht dürfen wir sogar sagen »revolutionäre«? Perspektiven auftun.

Dr. Ekkehart Krippendorff ist Hochschullehrer am John F. Kennedy-Institut für Nordamerikanische Studien an der Freien Universität Berlin.

Thesen zur Diskussion: Hochschulen des Friedens

Thesen zur Diskussion: Hochschulen des Friedens

von Frank Iwer

Ich will mich in diesem Artikel beziehen auf den Beitrag von Gernot Böhme im Infodienst 2/87, der, wie es scheint, im folgenden zu wenig Beachtung gefunden hat. Dabei ist mein Ausgangspunkt jedoch ein anderer: eine "gemessen an friedlichen Zwecken Überkapazität an Wissenschaft und Technik" vermag ich nicht zu erkennen. Im Gegenteil, Frieden ist heute das hervorragendste wissenschaftliche und auch technische Problem, hier ist das gesamte humanistische Potential der Wissenschaft und ihrer Träger gefordert: Wie kann Abrüstung zuverlässig verifiziert werden? Wie können die Feindbilder und damit die Triebkräfte weiterer Aufrüstung abgebaut werden? Wie können Konzepte globaler und politisch kontrollierter Sicherheit aussehen? Welche Schritte zur Entwicklung einer neuen Abrüstungstechnik (z.B. zur Vernichtung des spaltbaren Materials oder der Chemiewaffen) sind nötig? Und über allem die Frage, wie die globalen Menschheitsprobleme (Ökologie, Entwicklung, Ernährung, Energie,…) gelöst werden können. Die Rolle der Wissenschaft zur Lösung all dieser Fragen wächst – es gibt heute nicht nur eine „Verwissenschaftlichung des Krieges“, wie Böhme schreibt, sondern eine Verwissenschaftlichung aller gesellschaftlichen Probleme und vor allem ihrer Lösungsmuster.

Deshalb muß heute auch der Problemkreis der Verantwortung weiter gefaßt werden. Eine Verweigerung gegen oder sogar eine Verhinderung von Rüstungsforschung reicht, so bedeutend dies auch wäre, nicht mehr aus! Die Anforderungen an die Wissenschaft hat heute eine neue Qualität. Das führt unmittelbar zu

These 1: Es geht heute zuallererst darum, ob und wie die Wissenschaft als Ganzes diesen Anforderungen gerecht werden kann.

Die individuelle und „aggressive“ Form von Verweigerung gegen eine Instrumentalisierung und die Wahrnahme von Verantwortung hat in den letzten Jahren ein beachtliches Maß erreicht; von den „Göttinger 18“ bis zur Gründung des Vereines der Naturwissenschaftler vor wenigen Wochen liegt ein kontinuierlicher und in letzter Zeit beschleunigter Aufbau von Initiativen und Tätigkeiten, von Ringvorlesungen über 3 erfolgreiche Hochschulfriedenswochen bis hin zu bedeutenden Kongressen.

Allerdings steht diese Entwicklung und das dahinterstehende Engagement von vielen wissenschaftlichen Tätigkeiten unter einem doppelten Druck:

Zum einen bedarf es immer noch des individuellen Mutes, sich „gegen den Strom“, und sei es nur der Gleichgültigkeit, zu stellen, währen gleichzeitig der materielle Druck z.B. in Richtung rüstungsrelevanter Forschung wächst.

Und zum zweiten bleiben individuelle Entscheidungen, gemessen an der Größe der Anforderungen, letztlich wenig wirksam, es geht vielmehr um Orientierungen der Wissenschaft als Ganzes. Hier reicht im übrigen auch eine Verweigerung nicht mehr aus, es sind vielmehr die gestalterischen Fähigkeiten der Wissenschaft gefragt.

Böhme arbeitet dieses Problem ganz richtig als kollektive Verweigerung heraus, worunter er z.B. Beschlüsse von Hochschulinstanzen gegen Rüstungsforschung versteht. Nur, und das ist mein zentraler Kritikpunkt an seinem Artikel, bleibt er dabei stehen, diese an sich richtige Erkenntnis gegen das Prinzip der Forschungs- und Wissenschaftsfreiheit zu stellen, ohne diesen Widerspruch anzugehen. Damit bleiben seine Ausführungen aber konsequenz- und orientierungslos. Das wäre nicht weiter schlimm, wenn es sich „nur“ um ein philosophisches Problem handeln würde; es ist aber von unmittelbarer praktischer Relevanz, die Frage zu beantworten, wie über individuelle Lösungen hinaus die Wissenschaft insgesamt ihrer Verantwortung nachkommt. Und der Zeitfaktor, den wir dafür zur Verfügung haben, ist (wegen des notwendigen Vorlaufes) eher kleiner als der zur Lösung der globalen Probleme!

Der Verweis auf die „Freiheit der Wissenschaft“ sollte uns nicht abhalten: zum einen erhebt §1 des Grundgesetzes die Fragen der Menschenwürde und Menschenrechte und damit die Herstellung von Frieden und Gerechtigkeit zu obersten Prinzipien. Daraus abgeleitete Beschlüsse von Hochschulorganen über eine ausschließliche Friedensorientierung von Forschung und Lehre scheinen mir mit dem GG durchaus vereinbar. Und zum anderen kann der Umkehrschluß auf ein „individuelles Recht auf Rüstungsforschung und Waffenproduktion“ doch wohl nicht ernsthaft gezogen werden.

Dennoch bleibt, daß wir die „Freiheit der Wissenschaft“ in Rechnung stellen, schon wegen der berechtigter Sorgen der wissenschaftlich Tätigen vor Vereinnahmungen.

Das gilt auch für Überlegungen, das Problem Ververantwortung auf rein administrativem Weg „lösen“ zu wollen: ein staatliches Verbot von Rüstungsforschung oder Erlasse über Forschungsschwerpunkte und Zielkataloge sind sicherlich möglich, wären aber in ihren Wirkungen begrenzt. Zum einen wegen der hinreichend bekannten „Dual-Use-Problematik“, speziell in Fragen der Grundlagenforschung; und zum anderen wegen der so nicht zu streichenden positiven Oberzeugungen der Träger von Wissenschaft. Dies muß aber geschehen, um humanistische Potentiale vollständig mobilisieren zu können.

Ich wende mich damit nicht gegen solche Verbote, sie sind erforderlich und in Ländern wie z.B. NRW auch möglich, nur eben: begrenzt.

Der Widerspruch, wie er von Böhme aufgemacht wird, kann nur in die Richtung gelöst werden: können an den Hochschulen, auf allen Ebenen, Bedingungen geschaffen werden, in denen die Wissenschaft insgesamt und ihre Träger ihrer friedenssichernden, globalen und humanistischen Verantwortung nachkommen können? Und: Was können wir für so definierte „Hochschulen des Friedens“ tun?

These 2: Neben äußeren Faktoren wie dem Grad der Unabhängigkeit und der gesellschaftlichen Diskussion entscheidet sich die Frage der Verantwortung der Wissenschaft maßgeblich am Grad der praktizierten Demokratie, der Offenheit für neue Inhalte und der Transparenz.

Ich will hier nicht vertiefend auf den Problemkreis der wesentlich auch finanziellen Unabhängigkeit eingehen; dies ist ein Problem, dem wir in der nächsten Zeit wohl zunehmende Aufmerksamkeit widmen müssen. Es sollte Klarheit darüber herrschen, daß eine humanistische und friedensorientierte Wissenschaft nicht denkbar ist bei gleichzeitiger Verpflichtung gegenüber Interessengruppen oder gar bei finanzieller Abhängigkeit von Auftraggebern. Verwiesen sei nur auf den Beitrag von Prof. Buckel in der Schriftenreihe Wissenschaft und Frieden, Nr. 10,1988 beim BdWi erschienen.

Wissenschaft und Hochschulen sind kein Elfenbeinturm, ihre inhaltliche Weiterentwicklung wird auf Dauer nicht gegen gesellschaftliche Basistrends möglich sein. Deshalb ist es begrüßenswert, wenn jetzt, wie z.B. in NRW, eine breite gesellschaftliche Diskussion über Anforderungen an die Wissenschaft auch von Seiten der Arbeiterbewegung sowie der Friedens-, Frauen- und Umweltbewegung zunimmt. Dies ist ein wichtiger Schritt gegen eine Vereinnahmung fr ausschließlich kurzfristige Produktionsinteressen.

Praktizierte, nicht nur formale Demokratie, das ist eine wesentliche Antwort, die die Wissenschaftler gegen alle Instrumentalisierungsversuche setzen können. Demokratie, das verlangt öffentliche und intensive Diskussionen darüber, wie sich die Hochschule gegenüber Anforderungen „von außen“ stellt, von Drittmittelgebern, Interessengruppen, dem Staat. Dies ist eine zentrale Schnittstelle für die Frage der Verantwortung; bei allen Anforderungen muß geprüft werden, ob sie mit dem Überprinzip „friedensorientierte und humanistische Wissenschaft“ übereinstimmen. Das entspricht leider noch nicht der Realität: So wurde jetzt z.B. in Wuppertal durch Zufall bekannt, daß an der GH für die Firma Internuklear ein Teilchenbeschleuniger entwickelt wird; eine Diskussion darüber steht bislang noch aus.

Demokratie, das bedeutet nach innen eine ständige, auch fächerübergreifende Diskussion darüber, ob die gesetzten Studien-, Forschungs- und Wissenschaftsschwerpunkte und Themen wirklich „auf der Höhe der Zeit“ sind und in welche Richtung und mit welchen Mitteln sie ggf. zu verändern sind.

Eine größere Offenheit in Forschung und Lehre für die Aufnahme solcher globalen Themen und Probleme ist erforderlich. Dabei bedarf es von Seiten der Wissenschaft, wie Prof. Dürr verschiedentlich darlegte (siehe Schriftenreihe Nr. 10), auch neuer Methoden und Herangehensweisen: die Betrachtung der Gesamtheit der Probleme zueinander, von allgemeinen Fragestellungen, also dem „Makrokosmos“, und die Bearbeitung hochspezialisierter Einzelfragen, dem „Mikrokosmos“, bedingen einander und müssen einander durchdringen.

Das erfordert auch neue Fragen der Interdisziplinarität, eines Zusammenkommens von natur- und gesellschaftswissenschaftlichen Methoden sowie die Entwicklung neuer Ansätze.

Nötig ist ein höheres Maß an Transparenz der Forschung. Das bedeutet zuallererst, jegliche Ansätze von Geheimforschung an den Hochschulen zu unterbinden und keine Arbeiten zu machen, die der Geheimhaltung unterliegen. Aber auch die ist zu erweitern: Transparenz erfordert eine Offenlegung zumindest der Hauptrichtungen und Oberziele von Forschungsschwerpunkten genauso wie ihre öffentliche Erörterung.

Diese Kriterien scheinen mir neben der Bereitschaft und Fähigkeit zu mehr internationaler Kooperation die wesentlichen Anforderungen an eine Veränderung der Wissenschaft und damit auch der Hochschule zu sein.

Offenkundig ist es für die Erarbeitung einer Gesamtvorstellung über Hochschulen des Friedens und einer entsprechenden Handlungsperspektive notwendig, die weitere Informationsarbeit (Stichwort: Aufklärung) zu verbinden mit der Frage der Reform der Institution Hochschule. Hierfür will ich im folgenden 2 Vorschläge zur Diskussion stellen:

These 3: Wir brauchen neue Ansätze von Friedensforschung und -lehre!

Friedensforschung, das ist in der BRD und gerade auch an den Hochschulen (z.B. Hamburg) eine vornehmlich politikwissenschaftlich orientierte Spezialistenangelegenheit. Eine naturwissenschaftlich-technische Friedensforschung, wie sie in den USA z.T. betrieben wird (z.B. am MIT), ist bei uns praktisch nicht existent. Aber allein der Problembereich „Abrüstung“ bedarf einer Reihe gerade auch naturwissenschaftlich-technischer Problemlösungen; man denke nur an die Fragen der Verifikation von Abrüstungsmaßnahmen und Atomtests.

Aber es liegt auch im Charakter der Sache, daß zunehmend interdisziplinäre Vorgehensweisen auch zwischen Natur- und Gesellschaftswissenschaften erforderlich sind. Dementsprechende interdisziplinäre Forschungs- und Lehrprojekte zu initiieren und einzurichten ist deshalb sinnvoll und notwendig. Erste Beispiele sind geschaffen: so wird an der Uni Bochum jetzt ein solches Projekt eingerichtet mit den, Thema Verifikationsfragen konventioneller Abrüstung“, an dem Physiker, Völkerrechtler, Historiker etc. zusammenarbeiten werden. In eine ähnliche Richtung zielt das Darmstädter Projekt (s. E. Kankeleit in „Wissenschaft und Frieden“ Nr. 10).

Meines Erachtens ist eine dritte Erweiterung hin zu einer „alternativen Friedensforschung und -lehre“ erforderlich: ausgehend von den oben gemachten Überlegungen steht heute an jeden Fachbereich und an jede Disziplin die Anforderung, sich mit friedensrelevanten Fragestellungen des eigenen Bereichs zu befassen und sie in Forschung und Lehre zu integrieren. Die Einrichtung von Friedensprofessuren am Fachbereich, wie sie jetzt z.B. in der Mathematik an der Uni Hamburg eingefordert wird, scheint hierfür der gangbarste Weg zu sein.

These 4: Beschlüsse zur „Friedensverpflichtung“ und gegen Rüstungsforschung müssen verbunden sein mit der Einrichtung von Friedensbeauftragten an Hochschulen (und Fachbereichen)!

Schon heute gibt es an einer Reihe von Hochschulen Beschlüsse gegen die Durchführung von Rüstungsforschungsprojekten, so z.B. an der FH Hamburg und Gießen. Sie sind immer verbunden mit der Verpflichtung einer Förderung der Friedenstätigkeit und des Friedensbewußtseins unter den Hochschulangehörigen.

Dabei bestehen zugleich 2 Probleme: zum einen werden sie, wie in Hamburg geschehen, durch die Aufsichtsbehörde in Kernbereichen revidiert. Und zum anderen ist unklar, wie sie in der Praxis umgesetzt werden können, wo doch Administrieren nur bedingt hilft. Genau hierauf zielt die Einrichtung eines Friedensbeauftragten mit entsprechenden Kompetenzen.

Ich weiß aus einer Reihe von Gesprächen, daß dieser Vorschlag zunächst durchaus Kontroversen hervorruft. Doch allein das, eine große, hochschulöffentliche Diskussion über Anforderungen und Ansprüche an die Wissenschaft wäre ein lohnendes Ergebnis dieses Vorschlages, von den entsprechenden Signalwirkungen in den politischen Raum hinein einmal ganz abgesehen. Aber darum geht es nicht in erster Linie, sondern der Vorschlag zielt auf unmittelbar wirksame Veränderungen in den Hochschulen in Richtung einer Wahrnahme von Verantwortung.

Ein solcher Friedensbeauftragter müßte zunächst offiziell sein, er sollte unmittelbar mit der Leitung, z.B. als Vizepräsident, verbunden sein. Seine Aufgabe wäre die Durchführung eines eigenen Arbeitsprogrammes im Auftrag der Hochschule, das auf die Förderung der Friedensarbeit und die Herstellung von mehr Transparenz und Diskussionen vor Entscheidungen abzielt. Dazu gehören

– eine regelmäßige Durchführung von Friedenswochen, u.U. in Verbindung mit DIES

– eine Verbesserung der Information der Hochschulöffentlichkeit über Projekte, Erfahrungen und Forschungsvorhaben über geeignete Medien (z.B. Friedenszeitung)

– die Initiierung und Unterstützung von fächerübergreifenden Diskussionen über globale Anforderungen, aber auch über Fachfragen von allgemeinem Interesse

– die Initiierung und Unterstützung von fächerübergreifenden Projekten (wie z.B. in Bochum).

Darüber hinaus wäre eine (zumindest) beratende Stimme in Fragen von Studienordnungen und Forschungsschwerpunkten anzustreben, er sollte Vorschlagsrecht für Anschaffungen (z.B. Literatur) und Berufungen haben. Notwendig wären jährliche Tätigkeitsberichte; eine Zusammenarbeit mit einer statusübergreifenden Projektgruppe sowie eine jährliche Friedensversammlung zur Diskussion und Erarbeitung von weiteren Vorschlägen wäre sinnvoll.

Soweit erste Überlegungen. Um ein letztes Problem aufzuwerfen: es geht hier ausdrücklich nicht um den Aufbau eines Delegationsmechanismus, um die Gründung einer „Ersatzfunktion“ für die Friedensaktivisten, an die die Verantwortung dann weitergegeben werden kann, sondern um die Herausbildung von Bedingungen, in denen eine verantwortliche Wissenschaft, sei es in Studium, Forschung oder Lehre, erst stattfinden kann.

Es wäre also keine „administrative Lösung“ und insofern mit den Befürchtungen von Fremdeingriffen vereinbar; es wäre vielmehr der Aufbau eines „Selbstschutzmechanismus“, der auch weiterhin das aktive Handeln und Engagement aller in der Wissenschaft Tätigen verlangt, dieses aber unterstützt, vernetzt und wirksamer zur Geltung bringt.

Die hier entwickelten Vorschläge bieten darüber hinaus eine reale Perspektive, gemeinsame Handlungskonzepte von Studierenden, Lehrenden und Forschenden zu entwickeln und zum tragen zu bringen, was zwingend erforderlich ist, um an den Hochschulen erkennbare Schritte in Richtung einer friedenssichernden und humanen Wissenschaft zu gehen.

Frank Iwer Vereinigte Deutsche StudentInnenschaften Projektbereich Frieden

Japanische Wissenschaftlerbewegung gegen SDI und Militärforschung (II)

Japanische Wissenschaftlerbewegung gegen SDI und Militärforschung (II)

Kapitel 2: Nuklearwaffen und japanische Wissenschaftler

von Zenshiro Hara

1. Die Entwicklung der Atombombe in Japan

Die Entwicklung einer Atombombe wurde initiiert an der Universität von Kyoto durch Prof. B. Arakatu. Er wurde durch die Marine ab 1941 unterstützt. Zugleich begannen Arbeiten an dem Institut für Physikalische und Chemische Forschung durch Prof. Y. Nishina, unterstützt durch die Armee ab 1943. Prof. Nishina hatte fünf Jahre bei Niels Bohr studiert.

Es ist nicht klar, ob Prof. Nishina in einer aktiven Weise mit der Armee kooperierte oder ob er zusammenarbeitete, um seine jungen Wissenschaftler vor dem Militärdienst zu schützen. Im Mai 1949 wurde Prof. M. Taketani, der zu dieser Zeit Forscher an diesem Labor gewesen war, wegen gefährlicher Gedanken eingesperrt. Prof. S. Tomonaga ebenfalls Mitglied des Nishina-Labors komplettierte die Theorie über das Magnetron ausstrahlende VHF für Radar. Es ist eine bekannte Geschichte, daß Prof. Arakatu, nachdem er das Gerücht gehört hatte, Kyoto würde das nächste Ziel der Atombombe, sagte: „Es ist eine günstige Gelegenheit für Atomphysiker und wir müssen diesen Augenblick von der Spitze des Mt. Hiei beobachten.“ Er bereitete sich tatsächlich darauf vor.

Bevor es die Technologie der Urananreicherung vollständig beherrschte, war Japan geschlagen. Später, als der Wissenschaftsrat die früher erwähnte Erklärung abgab, sich nie mehr an der Wissenschaft für den Krieg zu beteiligen, war Prof. Nishina Vizepräsident des Rates.

Nach dem San-Francisco-Abkommen über einen Separatfrieden, das 1952 in Kraft trat, wurde die Atomenergiepolitik überall in Japan diskutiert. Der Wissenschaftsrat nahm eine Erklärung an, die drei Prinzipien bei der Erforschung, Entwicklung und Anwendung der Atomenergie forderte: Offenheit, Unabhängigkeit und Demokratie. Damit sollte eine militärische Nutzung der Atomenergie im Rahmen einer Wiederbewaffnung durch die Regierung verhindert werden. Später wurden diese Grundsätze in das Atomenergiegesetz eingeführt.

2. Die Bewegung gegen Atomwaffen

Der Test einer Wasserstoffbombe auf dem Bikini-Atoll 1954, die Leiden der Besatzungen japanischer Fischerboote und die Verseuchung der Fischfanggebiete im Pazifischen Ozean weckten Mitglieder der Vereinigung Demokratischer Wissenschaftler und viele andere Wissenschaftler auf. Sie engagierten sich für eine sozial verantwortliche Wissenschaft. Nationale Bewegungen gegen die Atombombe wuchsen an und der erste Weltkongreß gegen die A- und H-Bombe fand statt. Japanische Wissenschaftler trugen viel dazu bei.

Der Atomtest bewegte gleichfalls weltweit bekannte Wissenschaftler. 1955 appellierten Bertrand Russell, Albert Einstein, Hideki Yukawa, Joseph Rotblat und sieben andere Wissenschaftler gemeinsam an die Wissenschaftler der Welt. Mit einem Kongreß sollten die Regierungen dringend darauf aufmerksam gemacht werden, daß angesichts der Tatsache der drohenden Vernichtung der Menschheit durch Nuklearwaffen der Sache der Wissenschaften durch Krieg wahrlich nicht gedient werden könne.

Als Folge dieses Appells – bekannt als „Russell-Einstein-Manifest“ – startete die Pugwash-Konferenz 1957 und begann das Problem der Atomwaffen zu diskutieren. Die Professoren H. Yukawa, S. Tomonaga und 1. Ogawa nahmen an der ersten Pugwash-Konferenz teil. Der Pugwash-Bewegung entsprechend fanden nationale Wissenschaftlertagungen, Kyoto-Wissenschaftler-Konferenz genannt, einige Male seit 1962 statt.

Die Pugwash-Konferenzen scheinen eine bedeutende Rolle bei der Minderung der internationalen Spannung zwischen den zwei militärischen Blöcken, die gegeneinander rüsteten, gespielt zu haben. Jedoch konnten die Diskussionen über Atomwaffen und die Strategien die Axiome nuklearen Gleichgewichts und der atomaren Abschreckungstheorie nicht überwinden. So gerieten die Konferenzen zu einem anderen Verhandlungsplatz zwischen den Supermächten.

Damit unzufrieden, kamen die Professoren Yukawa und Tomonaga zu dem Gedanken, daß auf der Basis der nuklearen Abschreckung das atomare Wettrüsten nicht verhindert werden könne. Die dringendste Aufgabe sei vielmehr heute die Abschaffung aller atomaren Waffensysteme. 1975 legten sie eine gemeinsame Erklärung vor, die die Theorie nuklearer Abschreckung überwand. Viele japanische Wissenschaftler teilten diese Idee. Bedauerlicherweise starben die Autoren, bevor sie ihre neue Logik den Wissenschaftlern und Politikern der Welt begreiflich machen konnten.

1985 veranstaltete die Japanische Wissenschaftlervereinigung ein internationales Symposium über das vollständige Verbot und die Ausschaltung atomarer Waffen, zu dem Wissenschaftler aus fünf anderen Ländern eingeladen wurden. Das Symposium folgte dem von Yukawa und Tomonaga vorgezeichneten Weg.

In der gegenwärtigen Situation, wo selbst Wissenschaftler, die gegen SDI opponieren, nur zögerlich die drastische Reduzierung der Atomwaffen fordern, ist es eine besondere soziale Verantwortung der japanischen Wissenschaftler, ihre Auffassung von der Notwendigkeit und Möglichkeit der Abschaffung der Atomwaffen zu entwickeln. Japan war schließlich das erste und einzige Land, das mit A-Waffen angegriffen wurde.

Kapitel 3: SDI und die japanischen Wissenschaftler

1. SDI und die Vernichtung von Atomwaffen

Am 2. Januar 1985 sprach Premierminister Nakasone in seinen Gesprächen mit Präsident Ronald Reagan sein Verständnis für das SDI-Forschungsprogramm aus, und im Februar ließ er erkennen, daß er bereit sei, in der SDI-Forschung mit den USA zu kooperieren, solange es um Technologien ginge, die für ein breites Einsatzspektrum geeignet seien. Am Ende des Monats ging dann ein Brief des amerikanischen Verteidigungsministers Weinberger ein, der Japan offiziell zur Teilnahme an der SDI-Forschung aufforderte und eine entsprechende Antwort innerhalb von 60 Tagen verlangte. Damit wurde SDI zu einem Thema von nationalem Interesse. Auf der anderen Seite initiierte die Liberal-Demokratische Partei (LDP) eine sogenannte Nationale Bewegung, die ein Gesetz zur Verhinderung von Spionage forderte und dem Reichstag ein entsprechendes Gesetz vorlegte.

Die japanische Wissenschaftlervereinigung erhob zuerst ihre Stimme gegen SDI. Im Mai verabschiedete die Vereinigung in ihrer 20. Generalversammlung eine Resolution gegen jede Kooperation mit dem SDI-Forschungsprojekt sowie eine Stellungnahme gegen die Verfügung des Staatsgeheimnisgesetzes. Die Resolution drückte die Auffassung der Wissenschaftler aus, daß sowohl alle Arten der Kooperation mit SDI zurückzuweisen seien, die das nukleare Wettrüsten in den Weltraum ausdehnen, wie auch die, die die Entwicklung von Anti-Satelliten-Waffen vorsehen und die Menschheit dem Nuklearkrieg näherbrächten. Die Resolution sprach sich ebenfalls gegen die Abschreckungstheorie aus, die nach den Worten des US-Präsidenten angeblich überwunden werden sollte, und forderte dagegen, daß der Nuklearkrieg selbst durch die Vernichtung der für ihn benötigten Waffen verhindert werden sollte.

Danach begann im Frühling dieses Jahres in einigen Wissenschaftsbereichen, zum Beispiel in der Physikalischen Gesellschaft von Japan, eine Diskussion über SDI. In einem Workshop im Herbst wurde dann eine Stellungnahme von Physikern gegen SDI verfaßt und eine Unterschriftensammlung begonnen. Bis zum nächsten Jahr, wo ein Symposium über die soziale Verantwortung der Wissenschaft in der Frühjahrssession der Physikalischen Gesellschaft von Japan abgehalten wurde, konnten mehr als 1900 Unterschriften in mehr als 190 Universitäten und Forschungsinstituten gesammelt werden. Dies zeigte, daß der Geist der Physiker, die einst die militärisch-wissenschaftliche Kooperation verweigert hatten, noch immer lebendig war.

Auch den japanischen Mathematikern war die Erfahrung noch bewußt, die mit der Unterschriftenkampagne gegen den Vietnam-Krieg begonnen hatte, die auf der Internationalen Mathematiker-Konferenz 1966 in Gang gesetzt worden war. Im Juli 1985 gaben sie eine Stellungnahme zum Frieden heraus und verlangten die Vernichtung von nuklearen Waffen, und im Oktober veröffentlichten sie eine weitere Stellungnahme, die sich gegen das amerikanische SDI-Programm und die japanische Beteiligung daran wandte. 700 Mathematiker unterzeichneten die Stellungnahme. Dieses Mal war die Anzahl der Unterzeichner doppelt so hoch wie die auf dem bereits oben erwähnten Statement gegen den Vietnam-Krieg.

Im Mai 1986 präsentierte die Regierung dem Reichstag ein Gesetz zur Förderung des Forschungsaustauschs. Trotz der Beteuerungen der Regierung, daß das Gesetz beabsichtige, den beiderseitigen Austausch zwischen nationalen, privaten und ausländischen Forschungsinstituten zu unterstützen, war es offensichtlich, daß es darauf abzielte, die Kooperation zwischen Technischen und Entwicklungsforschungsinstituten, der Japanischen Verteidigungsagentur und anderen nationalen Forschungsinstituten voranzutreiben. Schließlich wurde gerade in dem Moment, in dem es dem Reichstag vorgelegt wurde, eine Geheimhaltungs-Schutzklausel eingefügt. Die Forscher der nationalen Forschungsinstitute fühlten intuitiv, daß das Gesetz aufgelegt worden war, um die Akzeptanz für das SDI-Programm zu erhöhen. Es passierte dann auch den Reichstag. Im August erklärten 3506 Forscher in nationalen Forschungsinstituten in der Wissenschafts-Stadt Tsukuba ihre Ablehnung des SDI-Programms. Sie bezeichneten es als ein ganz offensichtlich militärisches Forschungsprogramm. Sie seien nicht bereit, sich selbst in der SDI-Forschung oder in irgendeiner anderen Militärforschung zu beteiligen. Die bei dieser Gelegenheit verabschiedete Deklaration weist darauf hin, daß die zivile Anwendung der Resultate von Hochtechnologie-Forschung durch die Beteiligung an SDI verhindert würde und die Beteiligung auch die Remilitarisierung Japans befördern würde.

2. Verschiedene Aktivitäten gegen SDI

1986 breitete sich eine Welle von Aktivitäten gegen SDI in Japan aus. In dem Bezirk Aich begann im April eine Unterschriftensammlung, ausgehend von einem Aufruf von 52 Wissenschaftlern inclusive Professor S. Iijima, dem Präsidenten der Nagoya-Universität. Bis September waren 1250 Unterschriften gesammelt. Im Juni wurden in Hokkaido und im Juli in Nagana Statements gegen SDI nacheinander veröffentlicht, ermutigt durch den Aufruf der Wissenschaftler von Aich. Die Erklärung von Hokkaido weist darauf hin, daß sich in Japan, sollte es dem SDI-Programm beitreten, die militärischen Geheimhaltungsvorschriften verschärfen würden, die Publikation von Forschungsergebnissen restriktiver gehandhabt würde, die Freiheit der Forschung eingeschränkt und eine gesunde Entwicklung von Forschung und Wissenschaft unmöglich gemacht werden würde.

Am 9. September entschied die Regierung, sich am SDI-Forschungsprogramm zu beteiligen. Zunächst mußte dann die Rahmenvereinbarung der Beteiligung ausgehandelt werden, und später konnten dann private Firmen einzelne Verträge der US-Regierung abschließen. Im ersten Stadium können sich nur private Firmen beteiligen. In der Zukunft werden nationale Universitäten und Forschungsinstitute gedrängt, die allgemeine Politik der Regierung, die auf eine Unterstützung der wissenschaftlich-industriell-militärischen Kooperation hinausläuft, mitzutragen. Die Regierung verteidigt jedoch SDI weiter ernsthaft als eine nichtnukleare Verteidigungstechnologie zur Vernichtung von Atomwaffen und übergeht konstant die Tatsache, daß SDI eindeutig militärischen Zwecken dient.

Seit der Entscheidung der japanischen Regierung hat sich die Bewegung der japanischen Wissenschaftler gegen SDI zusammen mit der Bewegung, die die Abschaffung aller Atomwaffen und die Rücknahme des Staatsgeheimnisgesetzes fordert, mehr und mehr ausgeweitet.

Im November 1986 hielten fünf Organisationen von Wissenschaftlern und Ingenieuren (Japanische Wissenschaftlervereinigung, Universitätssektion der Lehrergewerkschaft, Private Schulsektion von JTU, Rat der Gewerkschaften in Wissenschaft und Industrie und Forschungsinstitute in Tsukuba) ein Symposium ab unter dem Titel „Wissenschaft und Technologie in Japan und SDI“. Hier wurde der Einfluß von SDI auf Wissenschaft und Technologie und die Bedeutung der Wissenschaftler- und Ingenieur -Bewegung gegen SDI diskutiert. Das Symposium unterstützte die Bewegung gegen SDI.

Inzwischen ist – ausgehend von einem Aufruf von 43 führenden Wissenschaftlern – eine Kampagne gestartet worden, die Wandzeitungen mit dem Aufruftext gegen SDI und das Staatsgeheimnisgesetz herstellt und vertreibt. Hier sind inzwischen 1535 Unterschriften von einzelnen Personen und von 70 Organisationen zusammengekommen. Das Poster wurde am 8. Januar 1987 in den Zeitungen veröffentlicht. Bis jetzt sind 15000 Bestellungen des Posters Sets im ganzen Land verschickt worden, darunter an Gewerkschaften, Frauenorganisationen, Studenten, Ladenbesitzer und andere.

Im November 1986 erreichte die japanischen Wissenschaftler ein Brief von den Professoren John Kogut und Michael Weissman von der Universität von Illinois-Urbana, von der seit dem Sommer 1985 eine Bewegung ausgegangen war, das SDI-Projekt in den USA selber zurückzuweisen.

Aus dem Brief ging hervor, daß 50 oder 35 mehr Prozent der dortigen Fakultät dafür plädiert hatten, nicht an der SDI-Forschung zu partizipieren. Dies sei ebenso in jeder von 110 physikalischen oder ingenieurwissenschaftlichen Abteilungen der US-Universitäten der Fall, in denen mehr als 3800 Wissenschaftler und Ingenieur-Professoren und mehr als 2900 Stipendiaten arbeiten. Kogut und Weissman baten die japanischen Wissenschaftler, in ihrer Bewegung mitzumachen. Im Februar 1987 erreichte die japanischen Wissenschaftler ein anderer Brief – diesmal aus Großbritannien -, der besagte, daß 774 Wissenschaftler und Stipendiaten von mehr als 30 Universitäten einen Appell unterschrieben hätten, nicht an der SDI-Forschung zu partizipieren.

In den Vereinigten Staaten kann ein Wissenschaftler, wenn er die SDI-Forschung verweigert, von anderen Forschungsunterstützungsleistungen ausgeschlossen werden. Besonders jüngere Wissenschaftler bekommen keine Jobs in den Firmen, die mit der Militärforschung verbunden sind. Trotz dieser Widrigkeiten verweigern viele amerikanische Wissenschaftler die Mitarbeit an SDI. Dies ist ein Zeichen dafür, daß der Wille, sich nicht an der Militärforschung zu beteiligen, kein spezifisch japanisches Phänomen ist, sondern eine universal sich ausbreitende Erscheinung. Sie ist auf die Tatsache zurückzuführen, daß die Vernichtung der Menschheit durch den Nuklearkrieg heute möglich ist.

3. Friedenserklärungen in Universitäten und Forschungsinstituten

Was wird nun an den Universitäten und Forschungsinstituten studiert, die militärische Forschung verweigern? An der Universität von Nagoya wurde am 5. Februar 1987 auf einem bewegenden Treffen in der Toyota-Halle der Hochschule eine Friedenserklärung verabschiedet und verkündet. Präsident Iijima wie auch der Generalsekretär der UNESCO, Mr. A. M. M'Bow gaben entsprechende Erklärungen ab. Die Charta stellte fest, daß die Mitglieder des Lehrkörpers und die Studenten der Universität niemals, egal aus welchen Gründen, eine Lehre oder Forschung verfolgen würden, die auf den Krieg abzielte. Stattdessen wollten sie sich für eine wissenschaftliche Untersuchung der Fragen von Frieden und Krieg einsetzen, die auf unabhängigen und kreativen wissenschaftlichen Normen basiert, um die Mittel herauszufinden, mit denen eine friedliche Zukunft hergestellt werden könne. Die Erklärung betont nachdrücklich die Bedeutung des Beitrages der Universitäten für die Gestaltung einer friedlichen, wohlhabenden Gesellschaft, die die menschliche Würde garantiert.

Den Angaben der Nagoya-Universität zufolge wurde auch an der Yamanshi-Universität im Juli eine Erklärung veröffentlicht. In ihr drücken die Fakultät und alle ihre Angehörigen ihre Überzeugung aus, sich niemals an militärischer Forschung zu beteiligen, insbesondere nicht an der Forschung, Herstellung und Entwicklung von Nuklearwaffen.

Die Bewegung der Wissenschaftler und Studenten für die Umwandlung ihrer Universitäten in einen Platz der Forschung und Lehre, der zum Frieden beiträgt, weitete sich auf die Forschungsinstitute aus. Am 15. April informierten die Zeitungen darüber, daß am Elektro-Technischen Labor 570 Forscher (85 % der Vollmitglieder) eine Friedenscharta des Labors unterzeichnet hätten. DoD hatte dieses Labor als eine Einrichtung mit hohem Standard in der Halbleiter-, Laser- und Computertechnologie eingestuft. So sorgten sich die Forscher außerordentlich über ihre mögliche Einspannung in militärische Forschung, z.B. durch SDI-Projekte. In der Friedenscharta erklärten sie, geheime Forschung zurückweisen und offene Forschung zum Wohle des Friedens und der menschlichen Wohlfahrt betreiben zu wollen. Eine Beteiligung an Forschung, die vom Militär oder mit ihm verbundenen Einrichtungen finanziert werde – ob von heimischen oder ausländischen Stellen -, wird abgelehnt.

In Tsukuby Science City breitet sich, diesem Beispiel folgend, eine Bewegung aus, eine solche Friedenscharta an anderen Instituten zu thematisieren. Ende Juli nahmen neun dem Ministerium für Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft eingegliederte Forschungsinstitute die Friedenscharta an; Anfang August taten dies drei Institute, die mit dem Transportministerium verknüpft sind, und eines, das dem Ministerium für das Bauwesen zugehört.

4. Beiträge der Wissenschaftler und Ingenieure zur FRIEDENSWELLE

Am 8. August, am Tag vor dem 42. Jahrestag des Atombombenabwurfs über Nagasaki, fand ein Wissenschaftlerforum in Nagasaki statt. 147 Wissenschaftler aus Japan, den USA und der UdSSR diskutierten die soziale Verantwortung der Wissenschaftler. In der Diskussion wurde festgestellt, daß noch viele Fragen zur Zerstörung von Hiroshima und Nagasaki offen sind: humane und soziale Aspekte, Re-Evaluation von Strahlungsdosen, Folgen des „black rain“ etc.

Delegierte von verschiedenen Universitäts- und Forschungsinstituten sprachen über ihre erfolgreichen Bemühungen, eine Friedenscharta zu verankern. Die Bedeutung, sich mit den Aktivitäten der Bevölkerung für die Eliminierung der Atomwaffen zu verbünden, wurde hervorgehoben. Prof. Viktor Berezin, ein Repräsentant der Weltföderation der Wissenschaftler, betonte die Rolle der Wissenschaftler bei der Herausbildung einer internationalen Kooperationsgemeinschaft für dieses Ziel.

Vor diesem Forum hatte bereits vom 1.-3. August in Tokio die Weltkonferenz gegen die A- und H-Bombe getagt. „Friedensaktivisten“ aus 35 Ländern waren anwesend. Sie analysierten, daß nunmehr die Abschaffung aller Nuklearwaffen auf die Tagesordnung der Weltpolitik gesetzt ist, noch müßten jedoch die Basisbewegungen anwachsen, um die Befürworter der Atomwaffen zu isolieren. Sie riefen zu Aktionen überall in der Welt auf, insbesondere schlugen sie die weltweite Unterstützung der 10. UN-Abrüstungswoche im Oktober '87 mit einer FRIEDENSWELLE vor. Überall sollten Unterschriften für den „Appell von Hiroshima und Nagasaki“ gesammelt werden. Die Wissenschaftler und die Ingenieure, die die Atomwaffen erfunden und gemacht haben, haben nun die Pflicht, sie wieder abzuschaffen.

zu Teil 1

Dr. Zenshiro Hara ist Mitglied des Präsidialkomitees der Japanischen Wissenschaftlervereinigung. Kontaktadresse: 1-9-16 Yushima, Bunkyo-ku, Tokyo 113, Japan.

Statt „Modernisierung“ Entmilitarisierung

Statt „Modernisierung“ Entmilitarisierung

Aktionskonferenz der Friedensbewegung 7./8.5. in Tübingen

von Mechtild Jansen

Das INF-Abkommen markiert eine neue Etappe der Auseinandersetzung um die Sicherheits- und Friedenspolitik. Die große Kontroverse und so scharfe wie tiefe innergesellschaftliche Richtungsdebatte um die Nachrüstung ist vorläufig abgeschlossen. Die Situation in den USA und allemal in der UdSSR ist von einer veränderten Interessenslage und veränderten politischen Kräfteverhältnissen gekennzeichnet. Rüstungsreduzierung, wirtschaftliche Zusammenarbeit und politische Konfliktlösungen sind mehr als bislang denkbar und möglich.

In der Bundesrepublik ist es der konservativ geführten Bundesregierung nicht gelungen, hinter den außenpolitischen Status quo der 70er Jahre, geprägt durch die „Ostpolitik“ Willy Brandts, zurückzugehen. Gegenwärtig modernisiert die CDU (in einem der letzten Politikbereiche) ihre Außen- und Sicherheitspolitik und paßt sie dem veränderten gesellschaftlichen Bewußtsein an. Die SPD hat ihr eigenes Abweichen von der einstigen „Entspannung“ korrigiert und dieses Konzept in seiner politischen wie abrüstungsmäßigen Dynamik weiterzuentwickeln versucht. Keine dieser Entwicklungen ist frei von Widersprüchlichkeiten.

Für die Friedensbewegung ist eine Etappe ihrer Arbeit abgeschlossen, in der sie gegen eine qualitativ neuartige akute militärische Bedrohung aufgestanden ist. Es war ein gesellschaftliches Aufbäumen und Reflektieren dessen, was die herrschende Politik über die Köpfe der Menschen hinweg vollzog. Die Friedensbewegung steht nun neu vor der Frage ihres eigenen Selbstverständnisses, verknüpft mit der Frage, ob sie eine politische Zeit- oder Dauererscheinung von eigenständigem Gewicht sein wird.

Vor uns liegt eine langandauernde Phase der Durchsetzung einer Tendenz zur Abrüstung. Sie gibt es bislang nur punktuell, ihre Ausgangsbedingungen sind jedoch deutlich positiver. In dieser Auseinandersetzung kann die Friedensbewegung Motor sein, wenn sie präsent, wendig, offen, argumentierend, eingreifend und herausfordernd gegenüber Öffentlichkeit, allen Parteien Parlament und Regierung ist. Die Bundesregierung hat sich in einigen Fragen differenzierter als bislang geäußert. Zu entsprechendem Handeln kommt sie erfahrungsgemäß nur unter dem Eindruck zwingender gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse. Konkret gefragt sind der Abbau der Kurzstreckenraketen, luft- und seegestützten Atomraketen und keine „Modernisierung“, der Verzicht auf Nuklearwaffen und die Zustimmung zu nuklearfreien Zonen, konventionelle Reduzierung, Kooperation in Europa anstatt des Aufbaus eines 2. NATO-Pfeilers im Rahmen „westeuropäischer Integration“.

Es reicht jedoch nicht aus, wenn die Friedensbewegung auf die herrschende Politik bloß reagiert oder sich allein gegen einzelne Waffensysteme wendet. Sie braucht eigene Gestaltungsmacht und eigene Maßstäbe, an denen sie ihr tagespolitisches Agieren mißt. Wenn es die Friedensbewegung in der Vergangenheit geschafft hat, den Konsens über die Abschreckungspolitik zu brechen und ihr die Zustimmung zu entziehen, dann geht es heute darum, eine positive Alternative an ihre Stelle zu setzen. Es wäre neuer politischer Vorlauf zu gewinnen, neues Holz ins Feuer zu legen, um dabei zugleich auf die wirksamste Weise allen Versuchen einer Modernisierung und Wiederverankerung des Abschreckungskonzeptes zu begegnen. Wie die Völker in ihrer Bewegung Politik gegen „Nachrüstung“ und Abschreckung gemacht haben, so wäre es heute für eine Alternative der Entmilitarisierung, Kooperation und des demokratischen Wettbewerbs zu tun. Wenn wir für eine positive Alternative eintreten wollen, so stellt sich auch die Frage nach unserer konkreten Utopie vom Frieden. Welchen Frieden wollen wir? Wer Gewalt aus den internationalen Beziehungen beseitigen will, muß nach ihren Ursachen fragen und wie ihnen zu begegnen ist. Unsere Kraft ist dort sinnvoll angebracht, wo es um die Schaffung von Verhältnissen geht, die allen Menschen umfassende Sicherheit erlauben. Die Utopie eines gerechten, gleichen und unteilbaren Friedens schließt ein, für gleiches Menschenrecht für alle, den Schutz der Natur, alternative Energien, das Recht auf Erwerbsarbeit und Kultur, Beseitigung von Hunger und Krankheit und für die Gleichheit der Geschlechter und Rassen einzutreten.

Die Friedensbewegung als Bewegung von unten – ohne unmittelbaren Einfluß auf Regierungshandeln – will dazu einen Prozeß des sozialen Lernens initiieren. Sie setzt auf langfristige Bewußtseins- und Verhaltensänderungen durch aktive Auseinandersetzung mit den Problemen, die die Menschen bedrücken. Wer das will, braucht mehr Bürgerrechte, Selbstbestimmung und Demokratie.

Die Menschen neu zu motivieren und zu bestärken, selbst zu handeln und einzugreifen, dazu kann die Friedensbewegung im Herbst neue Impulse geben. Neben Informations- und Aktionskampagnen zu den neuen militärischen und politischen Entwicklungen ist es an der Zeit, politisch gebündelt in einer bundesweiten Aktivität ein alternatives politisches Konzept zur Friedenssicherung einzufordern und allen „Modernisierungsbestrebungen“ eine Absage zu erteilen.

Das könnte zugleich Ausgangspunkt vielfältiger neuer Aktionsformen wie Zukunftswerkstätten, Städtepartnerschaften, Treffen der Völker zum Bau eines europäischen Hauses, Initiativen zur Schaffung von Freundschaftsbündnissen, Bau von Friedenshäusern u.ä.m. – sein, die ein Netzwerk gemeinsamer Arbeit an und für eine positive Friedensvorstellung in Verbindung mit dem tagespolitischen Eingreifen der Friedensbewegung erlauben.

Mechtild Jansen ist Sprecherin des Koordinierungsausschusses der Friedensbewegung.

Japanische Wissenschaftlerbewegung gegen SDI und Militärforschung (I)

Japanische Wissenschaftlerbewegung gegen SDI und Militärforschung (I)

Militärforschung und die japanischen Wissenschaftler

von Zenshiro Hara

1. Wissenschaftler und Zweiter Weltkrieg

In Japan wurden zahlreiche akademische Gesellschaften in den Natur-, Sozial- und Geisteswissenschaften auf autonomer Grundlage seit den zwanziger Jahren gegründet und trugen zur Erreichung eines hohen Niveaus der Ausbildung in kurzer Zeit bei. Nach der Gründung des Forschungsinstituts für Nationalkultur durch das Erziehungsministerium 1929 jedoch wurden viele Richter, Wirtschaftswissenschaftler und Historiker von den Universitäten wegen ihrer wissenschaftlichen Methode vertrieben, und nicht wenige der führenden Wissenschaftler wurden unterdrückt, weil sie als Kommunisten angesehen wurden. Seit 1940 wurde der wissenschaftliche Charakter der Sozial- und Humanwissenschaften selber verneint. In solch politischem Klima mußten die vertriebenen Wissenschaftler ihre Arbeit im Untergrund fortsetzen.

In den Naturwissenschaften wurde andererseits der große Zuwachs der Finanzmittel von der Militärforschung und den großen Labors in den Universitäten und Forschungsinstituten verbraucht. Daneben hatte das Erziehungsministerium einen Forschungspool und eine Institution -„Wissenschaftlicher Forschungsrat“ genannt -, die ermächtigt war, Themen auszuwählen, die durch den Pool gefördert werden sollten. Die Mitglieder des Rates wurden nominiert durch den Erziehungsminister entsprechend den Empfehlungen des Rates selber. In den Dokumenten des Rates 1945 können wir folgende Namen für Spezialkommissionen des Rates finden: Tropenmedizin, akustische Waffen, Treibstoffe für die Luftfahrt, Waffen für die generelle Zivile Bewaffnung, magnetische Waffen, Röntgen etc. All diese Themen waren auf den Krieg bezogen. Sogar eine Studie über Atombomben wurde durchgeführt; davon später mehr.

Während eine große Mehrheit der Naturwissenschaftler in solcher Militärforschung engagiert war, begann eine kleine Gruppe von Physikern, wie Prof. Sakata bspw., auf dem Feld der Elementarteilchen-Physik, wo der internationale Austausch vor dem Krieg in Blüte stand, über die soziale Verantwortung der Wissenschaftler unter dem Einfluß der antifaschistischen Bewegung unter europäischen Wissenschaftlern nachzudenken. Mit der Niederlage des japanischen Militarismus, besonders durch die Aufhebung des Gesetzes über die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, erlangte das japanische Volk die Freiheit der Rede und des Geistes. Besonders durch die „Friedenskonstitution“ wurden die notwendigen Bedingungen für die freie wissenschaftliche Forschung geschaffen. 1946, direkt nach der Niederlage, wurde die Vereinigung Demokratischer Wissenschaftler gegründet, die einen Beitrag zur demokratischen Umwälzung Japans durch die Wissenschaftler leisten wollte. Sie trug sehr viel zur Wiederherstellung der Wissenschaften bei, die während des Krieges zerstört oder in Stagnation gehalten wurden, zur Demokratisierung der akademischen Gesellschaften und zur Gründung des Wissenschaftsrates.

Die Vereinigung schloß sich der Weltföderation der Wissenschaftler 1954 an und machte Anstrengungen, um die Idee der sozialen Verantwortung der Wissenschaftler unter den japanischen Wissenschaftlern und Ingenieuren auszubreiten. Währenddessen wandelte sich die US-Politik bezüglich Japans. Sie richtete sich darauf, Japan als untergeordneten militärischen Verbündeten wiederaufzubauen und Japan in eine konfrontative Rolle zu den sozialistischen Ländern zu bringen. Als ein Resultat davon, besonders nach 1950, wurden die Bewegungen für eine demokratische Revolution scharf unterdrückt. Dies war der Hauptgrund, weshalb die Vereinigung Demokratischer Wissenschaftler ihre Mitglieder rasch verlor und schließlich ihre Funktion als nationale Wissenschaftlerorganisation einbüßte.

2. Die Weigerung, an Militärforschung mitzuwirken

Der Wissenschaftsrat Japans wurde 1949 gegründet als eine halbstaatliche Einrichtung, so daß sich der Gesamtwille der japanischen Wissenschaftler in der Politik der Regierung widerspiegeln konnte. Die Art, in der insgesamt 210 Mitglieder des Rates durch das Votum der ausgewiesenen Wissenschaftler gewählt wurden, war wirklich demokratisch, möglicherweise ohne Vorläufer in der Weltgemeinschaft der Wissenschaftler.

Am dritten Tag seiner Gründungsversammlung (22.1.1949) wurde „was und wie Wissenschaft und Wissenschaftler sein sollten“ ernsthaft diskutiert. Nahezu alle Mitglieder stimmten darin überein, daß die japanischen Wissenschaftler die kriegerische Aggression nicht verhindern konnten, besonders weil sie an der Freiheit der Rede gehindert wurden. Auf der anderen Seite – was die Kooperation der Wissenschaftler im Kriege anbetrifft – hatten einige Mitglieder die Auffassung, daß im Falle eines Krieges es für die Wissenschaftler nur natürlich wäre, die Regierung in ihren Anstrengungen zu unterstützen. Möglicherweise deshalb wurde ein Statement bei der Mehrheit akzeptiert, das folgende Sätze enthielt: „Wir nutzen die Gelegenheit, nach eingehender Betrachtung der Verhaltensweisen unserer Wissenschaftler in der Vergangenheit, zu schwören, daß unsere zukünftigen Anstrengungen auf Beiträge zur friedlichen Rehabilitierung unseres Landes und zum Fortschritt der Wohlfahrt der Menschen gerichtet sein werden … Wir sind daher fest entschlossen, unser Äußerstes für die Verteidigung der Freiheit des Geistes und der Rede zu leisten (…)“ Eine Erklärung, die klarere Reflexionen über die Kooperation während des Krieges enthielt, wurde zurückgewiesen.

Seit seiner Gründung diskutierte der Wissenschaftsrat mehrfach über eine grundsätzliche Verhaltensmaxime der Wissenschaftler in der Frage des Krieges und des Friedens. Auf der 6. Generalversammlung im April 1950 wurde das Problem erneut beraten. Im Juni dieses Jahres brach der Korea-Krieg aus. Keiner der japanischen Wissenschaftler hatte diesen Ausbruch vorhergesehen. Tatsächlich hatten einige Eisenbahnunglücke, deren Gründe nebulös blieben, den nationalen Eisenbahngewerkschaften schwere Schläge versetzt; die Universitätsvorträge von Dr. Eeels ermutigten die staatlichen Autoritäten, kommunistische Professoren aus den Universitäten zu drängen. So fühlten einige Wissenschaftler die Rückkehr mächtiger Kräfte, die die Freiheit der Gedanken, der Erziehung und der Rede verletzten.

In solch einer Situation forderten die wissenschaftlich Arbeitenden und die Gewerkschaften von 21 nationalen und privaten Forschungsinstituten gemeinsam den Rat zu einer Friedenserklärung im Februar 1950 auf. Auf dieses Ansinnen reagierend, unterbreiteten zwei Mitglieder der 6. Generalversammlung den Entwurf einer Erklärung, die besagte, „daß japanische Wissenschaft sich niemals in Forschungen engagieren würden, die den Krieg zu begünstigen erscheinen und die dem Krieg nützen“. Ein Mitglied, das gegen den Vorschlag war, sagte, daß ein einseitiger Verzicht auf Krieg Suizid bedeuten würde, und regte die internationale Kontrolle der Militärforschung an. Die Worte Prof. Sakatas, daß „es nur natürlich für die Wissenschaftler Japans – eines Landes, mit einer Friedensverfassung, die Krieg verwirft – ist, vor der Weltgemeinschaft der Wissenschaftler zu erklären, daß sie Forschung für den Krieg ablehnen“, hinterließen tiefen Eindruck; das vorgeschlagene Statement, in dem japanische Wissenschaftler ihren Entschluß erklärten, sich nicht an wissenschaftlicher Forschung für den Krieg zu beteiligen, wurde mit einem kleinen Zusatz von einer überwältigenden Mehrheit angenommen.

Dies war eine deutliche Erklärung. Die Wendung „sich nicht zu beteiligen“, bedeutete, selbst im Falle einer Regierungsanweisung zur Durchführung von Militärforschung die Beteiligung abzulehnen, da die Order selbst die Verfassung verletzen würde. Die generelle Furcht vor einer Wiederbewaffnung Japans und die Initiative, die von den wissenschaftlich Arbeitenden in den Forschungsinstituten ergriffen worden war, schien die Ratsmitglieder ermutigt zu haben, die Linie der Erklärung der zurückliegenden Gründungsversammlung zu überschreiten.

Die Bedeutung und der Einfluß der Deklaration des Wissenschaftsrates waren bemerkenswert. Seither ist die Remilitarisierung Japans, die die Verfassung klar verletzt – insbesondere das Prinzip der Verneinung des Krieges -, vorangeschritten. Später wurde der Sicherheitsvertrag zwischen den USA und Japan vereinbart und die „Selbstverteidigungskräfte“ wurden ins Leben gerufen und expandierten. Dennoch wurde Militärforschung noch nicht offen und in großem Umfang in die Universitäten und die nationalen Forschungsinstitute des Landes eingeführt. Der Hauptgrund dafür ist die Entscheidung der japanischen Wissenschaftler, die in dem o.g. Statement der 6. Generalversammlung des Wissenschaftsrates zum Ausdruck kam.

3. Militärisch-akademische Zusammenarbeit während des Vietnam-Krieges

Es gab während der frühen Stadien des Vietnam-Krieges einige Versuche, militärische Forschung in die japanische Wissenschaftlergemeinschaft einzuführen. 1965 wurde die Japanische Wissenschaftler-Vereinigung gegründet als eine nationale Wissenschaftlerorganisation, um jene zu bekämpfen, die eine gesunde Entwicklung der Wissenschaften stören, und um die Verantwortlichkeit der Wissenschaftler zu praktizieren. Im Januarheft 1967 des „Journal of Japanese Scientists“, dem Organ der Vereinigung, enthüllte Prof. Kamiyama die Tatsache, daß einigen Universitäten und Forschungseinrichtungen Forschungsmittel der US-Army zugeflossen waren. Dies (370 Mio. Yen für 96 Aufträge) wurde im Mai durch das Erziehungsministerium bestätigt. Im selben Monat nahm die Generalversammlung der Japanischen Wissenschaftler-Vereinigung eine Resolution gegen die militärisch-akademische Zusammenarbeit an.

Diese brachte die Bewegung gegen die Rüstungsforschung voran. In einigen Universitäten wurde die Verbindung mit dem Militär untersucht; es wurde aufgedeckt, daß einige, im Dienst befindliche Offiziere der Streitkräfte, als Studenten der Universitäten Nagoya und Kyoto eingeschrieben waren. Es wuchs die Bewegung der Studenten und der Mitarbeiter, die forderte, daß Armeeoffiziere als Studenten nicht akzeptiert werden sollten. Unter dem Druck der Bewegung verkündete die Leitung der Universität von Kyoto daß es Offizieren künftig nicht mehr erlaubt sei, an die Universität zu gelangen.

Währenddessen bestätigte die Physikalische Gesellschaft, daß einer von ihr geförderten Konferenz über Halbleiter Geldbeträge der US-Army angeboten worden waren. Eine außerordentliche Generalversammlung im September nahm eine Resolution an, in der festgelegt wurde, daß die Gesellschaft zukünftig keinerlei Beziehungen zum Militär haben sollte.

Zusammen mit den anwachsenden Bewegungen gegen militärisch-akademische Kollaboration tat der Präsident des Nationalen Universitätsrates, der sich aus den Präsidenten aller Universitäten zusammensetzt, öffentlich die Ansicht kund, daß die staatlichen Universitäten sich an militärischer Forschung – einheimischer wie auswärtiger – nicht beteiligen sollten. Die Verfassung Japans müsse beachtet werden sowie die bitteren Erfahrungen der Universitäten während des 2. Weltkrieges. Auch der Wissenschaftsrat nahm eine Erklärung auf seiner 49. Generalversammlung (10. Okt. 1967) an, in der man sich verpflichtete, sich in der Rüstungsforschung nicht zu engagieren. Von Beginn des Jahres 1969 an waren nahezu alle Universitäten in die Debatte über die einseitige Professoren-Herrschaft im Namen der Universitätsautonomie involviert. Die Diskussionen waren bisweilen von gewalttätigen Aktionen begleitet. An der Universität Tokio wurde zwischen dem Präsidenten und der Gewerkschaft eine schriftliche Vereinbarung erzielt, in welcher die Universitätsleitung versprach, das bisherige Herangehen, weder Rüstungsforschung durchzuführen noch Forschungsgelder vom Militär anzunehmen, fortzusetzen. Es sollten keinerlei Kooperationsbeziehungen zum Militär unterhalten werden.

4. Die Unterdrückung des Wissenschaftsrates

In der zweiten Hälfte der 70er Jahre begannen die japanische Regierung und die Liberaldemokratische Partei mit ihrem Bemühen, das sogenannte umfassende System der nationalen Sicherheit zu bauen. Es sollte aus drei Elementen bestehen:

1) technologische Entwicklung, 2) Ausbau der Streitkräfte und 3) internationale wirtschaftliche Zusammenarbeit, um die Strukturen der Subordination unter die USA zu konsolidieren und um sich den Anstrengungen der entwickelten kapitalistischen Staaten, zur Oberwindung der bei den alljährlichen Gipfelgesprächen erwähnten Krisen, anzuschließen.

Gegenwärtig (Sommer 1987 – d. Red.) ist Premierminister Nakasone eifrig bemüht, das „umfassende nationale Sicherheitssystem“ zu vervollständigen mit der Unterstützung der verschiedenen politischen Körperschaften, wie der Kommission zur Reform der Administration, der ad-hoc-Kommission zur Reform des Erziehungswesens. Gelegentlich wird dabei Demagogie benutzt.

Es ist nicht notwendig zu erklären, daß für Nakasone, der die technologische Entwicklung zusammen mit der Ausweitung des Militärapparats voranbringen will, die Erklärung des Wissenschaftsrates, sich nicht an militärischer Forschung zu beteiligen, ein großes Hindernis darstellt. Die LDP-Regierung hatte seit den 70er Jahren damit begonnen, die Mittel für den Rat einzufrieren. Seit 1981 kritisierte die Regierung den Rat in unfairer Weise, indem sie vorbrachte, der Rat sei in Angelegenheiten auswärtiger Politik unwissend. Der Rat wurde unter Druck gesetzt, den Wahlmodus seiner Mitglieder zu ändern – statt der Wahl durch die Wissenschaftler die Ernennung durch die akademischen Vereinigungen.

Der Rat widersetzte sich dem Druck der Regierung, veranstaltete wiederholt Generalversammlungen und wechselte seinen Präsidenten und Vizepräsidenten mehrere Male. Die Japanische Wissenschaftler-Vereinigung und eine Reihe akademischer Gesellschaften opponierten, indem sie Versammlungen und Unterschriftensammlungen organisierten. In der 98. Session des japanischen Parlaments im Mai 1983 wurde ein Gesetz zur Änderung des Wahlsystems des Wissenschaftsrates blockiert, aber in der 100. Sitzung (Sept.1983) passierte das Gesetz, einen Tag vor der Beendigung der Sitzungsperiode, mit der Zustimmung der Liberaldemokraten, der demokratischen Sozialisten und der Komei-(„saubere Regierung“-) Parteien. Sozialistische und kommunistische Parteien stimmten dagegen.

Es ist ein offenes Problem, welche Haltung zur Militärforschung ein neu organisierter Wissenschaftsrat einnehmen wird. Er ist aus Mitgliedern zusammengesetzt, die durch die akademischen Vereinigungen ernannt werden. Es ist unklar, wie sie über die soziale Verantwortung der Wissenschaftler denken und wie sie sie wahrnehmen wollen. Es ist notwendig für jeden Wissenschaftler, die Idee der sozialen Verantwortung unter den Kollegen/Kolleginnen in den akademischen Gesellschaften zu verbreiten und zu versuchen, verantwortungsbewußte Wissenschaftler in den Rat zu bekommen. Es kann auch wichtig für jeden Wissenschaftler oder jede Wissenschaftlergruppe sein, in den Rat alle Probleme, die mit der sozialen Verantwortung der Wissenschaftler zu tun haben, zu tragen.

5. Die Bemühungen, sich der Rüstungspolitik zu widersetzen

Infolge der oben erwähnten Oppositionsbewegungen gegen die Militärforschung während der 60er Jahre gingen die Fälle militärisch-akademischer Zusammenarbeit in den 70ern auffallend zurück. Zur gleichen Zeit begannen die Regierungen und die LDP diese Sache erneut zu propagieren als ein bedeutendes Element der „umfassenden nationalen Sicherheit“. Heute wehren sich Wissenschaftler und die in der Forschung Tätigen beharrlich dagegen und arbeiten, um einen wissenschaftlichen Beitrag zum Frieden und zur Wohlfahrt der Menschen zu leisten.

1972 wurde der Fakt enthüllt, daß das Institut für physikalische und Chemische Forschung elektromagnetische Strömungsmesser dem Verteidigungsministerium verkauft hatte. Dies stand im Widerspruch zu dem festen Prinzip des Instituts, sich nicht an Rüstungsforschung zu beteiligen. Die Gewerkschaft opponierte gegen die Geschäfte und verhandelte mit dem Direktor. Der Direktor erwiderte, daß er ggf. die Geschäfte stoppen würde. 1984, als Offiziere des Technikforschungs- und Entwicklungsinstituts der Verteidigungsagentur das Institut besuchten, erklärte die Gewerkschaft, daß die technologische Kooperation im Keim erstickt werden sollte, um der Ablehnung der Rüstungsforschung zu genügen.

In den siebziger Jahren wurden 44 Hochschulen und Forschungsinstitute in der Gegend südlich des Tsukuba-Gebirges zusammengeführt, um – einer gesetzlichen Anordnung entsprechend – Tsukuba Science City aufzubauen. Heute arbeiten dort 6000 Wissenschaftler. Am 8. Dezember 1982 erklärten Bürger und Forscher ihre Stadt zur Friedensstadt und verpflichteten sich, sich weder an Militärforschungen zu beteiligen noch den Bau von Militäreinrichtungen in der Stadt zuzulassen. Im gleichen Jahr bot das Verteidigungsministerium dem Ministerium für internationalen Handel und Industrie ein gemeinsames Forschungsprojekt für ein optisches Fiber-Autogyroskop an.

Aber die gewerkschaftliche Vertretung des zuständigen, dem Ministerium angeschlossenen Forschungsinstituts verhandelte mit dem Institutsdirektor und erreichte, daß das Institut das Forschungsprojekt mit dem Verteidigungsministerium nicht durchführte.

1983 verhandelte die gewerkschaftliche Vertretung der Ingenieur-Fakultät an der Universität von Tokio mit dem Rektor über ein gemeinsames Forschungsprojekt zwischen Fakultätsangehörigen und den Verteidigungskräften; im Ergebnis wurde der Inhalt der oben erwähnten schriftlichen Versicherung zwischen der Leitung und der gewerkschaftlichen Vertretung der Universität von 1969 bestätigt, der einschloß, daß die Universität keinerlei Zusammenarbeit mit dem Militär anstrebe.

Im gleichen Jahr wurde an der Universität von Kumamoto folgende Geschichte enthüllt: In einem Seminarplan für Doktoranden, der von einem Universitätsausschuß erarbeitet und dem Bildungsministerium vorgelegt worden war, wurde stolz berichtet, daß das Magister-Seminar der Universität Offiziere aufgenommen habe, die von anderen Universitäten zurückgewiesen worden seien, und daß das geplante Doktoranden-Seminar die militärisch-akademische Zusammenarbeit fördern wolle. Mitglieder der Japanischen Wissenschaftler Vereinigung an der Universität warnten inneruniversitär und öffentlich, daß die Förderung militärisch-akademischer Zusammenarbeit eine Gefahr für die Hochschulautonomie darstelle. In der Folge strich die Hochschulleitung die entsprechenden Passagen und entließ den verantwortlichen Ausschuß. Trotzdem nahm die Universität weiter Offiziere als Studenten auf. Im japanischen Parlament (Diet) wurde 1969 eine Resolution über die Entwicklung der Raumfahrt angenommen, die besagte, daß sie auf friedliche Zwecke begrenzt sein müsse. Im selben Jahr wurde die Nationale Weltraumbehörde mit der gesetzlichen Maßgabe gegründet, zur ausschließlich friedlichen Entwicklung und Nutzung des Weltraums beizutragen. 1983 warnte die Gewerkschaftsvertretung am Institut für Weltraum und der aeronautische Forschung, der Einsatz des Kommunikationssatelliten „Sakura 2a“ durch die Verteidigungsbehörde in Iojima und die US-Army und die geplante gemeinsame Erforschung bemannter Weltraumstationen durch die Raumfahrt-Kommission Japans und der NASA würden den oben erwähnten Prinzipien der friedlichen Nutzung des Alls widersprechen.

Im Februar 1985 veranstalteten die vier Organisationen der Forscher und Ingenieure an Universitäten und Forschungseinrichtungen (Japanische Wissenschaftler-Vereinigung, Japanische Lehrer-Union, Rat der Gewerkschaften in Wissenschaft und technologischer Industrie und der Rat der Gewerkschaften der Universitäten und Forschungsinstitute in „Tsukuba Science City“) ein Symposium mit dem Thema „Wissenschaft und Militärforschung in Japan“. Sie waren tief besorgt, daß der Tag, an dem ihnen Wissenschaft für den Krieg auferlegt würde, nicht mehr fern sei. Auf dem Symposium wurde über verschiedene Bewegungen gegen Rüstungsforschung berichtet. Einige von ihnen wurden oben angeführt. Zum Abschluß gelobten Die Teilnehmer, alle Anstrengungen zu unternehmen für die Einhaltung des Beschlusses der 6. Generalversammlung des Wissenschaftsrates von Japan aus dem Jahre 1950.

Sind japanische Wissenschaftler gegen Militärforschung allergisch?

Jede Macht – die USA wie die UdSSR gleichermaßen – gründet nationale Sicherheit auf Waffen, einschließlich nuklearer Waffen und militärischer Bündnisse. Sogar neutrale Länder, wie Schweden oder die Schweiz, vertrauen auf neutrale Politik und nationale Streitkräfte. In diesen Ländern ist Rüstungsforschung Forschung für die Bewahrung ihrer Sicherheit und erscheint somit obligatorisch. Besonders in den USA machen die Forschungsmittel des Department of Defense den größten Teil der Finanzen an den Universitäten aus. Die Themenliste enthält eine Reihe von Aufgaben der Grundlagenforschung, die keinen direkten Bezug zum Krieg haben. Deshalb scheinen Wissenschaftlervereinigungen vieler Länder bezüglich der Forschungskontrakte mit dem Militär bzw. der militärisch-akademischen Kooperation ziemlich tolerant zu sein – mit Ausnahme der japanischen. Japanische Nachwuchswissenschaftler, die in jenen Ländern sich aufgehalten haben, sind geneigt zu denken, diese Situation sei ziemlich normal und die japanischen Forscher seien zu nervös, was Militärforschung anbetrifft.

Ich möchte jedoch ihre Aufmerksamkeit auf die besondere Stellung Japans in der Weltgeschichte lenken. Japan ist das Land, das erstmalig in der Menschheitsgeschichte mit Atombomben attackiert wurde. Wir, das japanische Volk, haben unter der Atombombe gelitten und uns entschlossen, unsere Sicherheit nicht auf militärische Macht zu bauen, sondern auf Gerechtigkeit und auf das Vertrauen in die Friedensliebe der Menschen. Solange das atomare Wettrüsten andauert, können eines Tages Menschen die selbe Erfahrung eines nuklearen Angriffs machen; sie werden sich darüber klar werden, daß es falsch ist, von Atomaffen abhängig zu sein.

Aber es würde zu spät sein, heute bedeutet Atomkrieg das Ende der Menschheit. Heute ist die Vernichtung der nuklearen Waffen notwendig, nicht nur für die Sicherheit Japans, auch für die Sicherheit und das Überleben der gesamten Menschheit. Die Besonderheit Japans in der Geschichte erlegt uns – den japanischen Wissenschaftlern auf, strikt Stellung gegen Militärforschung zu beziehen. Ich glaube, wenn die Wissenschaftler der Welt sich ihres gemeinsamen Schicksals gewahr werden, würden sie unseren Standpunkt teilen. Die Anzeichen dafür scheinen in der gegenwärtigen Bewegung der Wissenschaftler gegen SDI auf wie ich in den nächsten Abschnitten zeigen werde.

    Der zweite Teil des Beitrags von Dr. Hara befaßt sich mit folgenden Themen:

  • die Entwicklung der Atombombe in Japan
  • die Bewegung gegen Nuklearwaffen
  • SDI und die japanischen Wissenschaftler.

Dr. Zenshiro Hara ist Mitglied des Präsidialkomitees der Japanischen Wissenschaftlervereinigung. Kontaktadresse: 1-9-16 Yushima, Bunkyo-ku, Tokyo 113, Japan.

Offener Brief an die Bundesregierung und an den ESA Rat

Betr.:Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland an der US-amerikanischen Weltraumstation und am Bau der westeuropäischen Raumfähre HERMES

Offener Brief an die Bundesregierung und an den ESA Rat

von Friedens- und KonfliktforscherInnen

Sehr geehrte Damen und Herren,

im Herbst dieses Jahres haben die Bundesrepublik und die ESA mehrere schwerwiegende Entscheidungen über die Inangriffnahme bzw. die Beteiligung an Großprojekten bemannter Raumfahrt zu treffen. Im Winter 1984 hatte der US-amerikanische Präsident Reagan die westeuropäischen Staaten eingeladen, sich an Bau und Betrieb einer bemannten Weltraumstation zu beteiligen. Grundlage sollte der Gedanke gleichberechtigter internationaler Partnerschaft sein. Zudem drängt seit längerem Frankreich dazu, einen eigenen westeuropäischen Raumgleiter HERMES zu bauen, um in der Weltraumfahrt langfristig eine westeuropäische Eigenständigkeit realisieren zu können.

Beide Projekte beinhalten Weichenstellungen von außerordentlichem wirtschafts-, technologie-, friedens- und außenpolitischen Gewicht. Sie binden über Jahre hinweg staatliche und industrielle Ausgaben, hinter denen andere forschungspolitische und ökonomische Aufgaben zurückstehen müssen. Ihre Größenordnung (mit jeweils zweistelligen Milliardensummen) verlangt eine besonders sorgfältige Abwägung.

Die Unterzeichner aus Wissenschaft, Wirtschaft und Gewerkschaften sind über Sinn oder Unsinn bemannter Raumfahrt durchaus unterschiedlicher Auffassung. Sie eint allerdings die Erkenntnis, daß gegenwärtig weder die US-amerikanische Raumstation mit ihrem westeuropäischen Modul COLUMBUS noch die westeuropäische Raumfähre HERMES befürwortet werden kann. Nach der Challenger-Katastrophe im Januar 1986 sind für uns die Argumente gewichtiger geworden, großtechnologische Projekte nicht nur nach dem Aspekt der Machbarkeit zu beurteilen, sondern auch nach ihrer Verantwortbarkelt, ihrem erkennbaren sozialen und gesellschaftlichen Nutzen und ihren vielleicht ungewollten Nebenfolgen für andere politische Aufgaben.

Gegen die US-amerikanische Weltraumstation bzw. die westeuropäische Beteiligung mit COLUMBUS sprechen folgende Gesichtspunkte:

  1. In allen bisherigen Verhandlungen haben die USA klar zu erkennen gegeben, daß sie die Raumstation (auch) für militärische Zwecke nutzen wollen. Wie die Fletcher-Kommission ausgeführt hat, spielen die Erfahrungen mit dem Aufbau der Raumstation eine wichtige Rolle für das SDI-Programm, da für den Bau und die Wartung raumgestützter Waffen ähnliche Werkstätten wie in der Raumstation benötigt werden. Nach der Challenger-Katastrophe besteht zudem verstärktes Interesse, SDI-Experimente, die ursprünglich mit den Space Shuttles gemacht werden sollten, nun auf der Raumstation auszuführen. Die Vereinbarung der ESA mit der NASA zur Nutzung der Raumstation („Nutzung für friedliche Zwecke in Übereinstimmung mit internationalem Recht“) ist vollkommen unzureichend. Im Anhang wird sogar ausdrücklich festgelegt: „Such utilization may include national security use.“ Das heißt im Klartext: Auch militärische Experimente sind erlaubt, wie zum Beispiel der Test von Zielortungs- und Zielverfolgungssystemen. Wir möchten daran erinnern, daß mit einer ähnlichen Formulierung das Pentagon westeuropäische Raumtechnologie (IPS, Spacelab, SPAS) für SDI-Experimente eingesetzt hat oder dies beabsichtigt. Eine westeuropäische Beteiligung an der Raumstation ohne striktes Verbot jeglicher militärischer Experimente stellt eine Unterstützung des SDI-Programms dar und ist unserer Meinung nach unvereinbar mit der Satzung der ESA, die der friedlichen Weltraumfahrt verpflichtet ist.
  2. Die bisherigen Diskussionen und die Details der Weltraumstation werfen erhebliche Zweifel daran auf, ob diese tatsächlich ein Projekt gleichberechtigter internationaler Partnerschaft werden kann. Diese Zweifel werden nicht nur durch die Erfahrungen mit dem Spacelab und der D-1-Mission gestützt, sondern auch durch die unterschiedlichen, ja zum Teil gegensätzlichen Interessen zwischen den USA einerseits und den anderen beteiligten Staaten hinsichtlich der Aufteilung der Betriebskosten, der Energieversorqung, der Rechtsgrundlagen, der Auswertung der Patente und der unterschiedlichen Nutzungsinteressen in den verschiedenen Elementen der Weltraumstation.
  3. Das Großprojekt Raumstation droht finanziell zu einem Faß ohne Boden zu werden. Waren 1984 acht Milliarden Dollar angegeben worden, wird heute offiziell mit Kosten in der Höhe von ca. 16 Milliarden gerechnet. Andere Berechnungen liegen weit darüber. Der National Research Council der USA hat 32,5 Mrd. Dollar veranschlagt.

Auch beim Bau einer westeuropäischen Weltraumfähre HERMES ist gegenwärtig nur eines klar, nämlich daß diese zum Zeitpunkt ihrer Indienststellung Ende der neunziger Jahre technologisch veraltet sein wird. Die für HERMES vorgebrachten Motive beruhen entweder auf ungesicherten Spekulationen wie der Hoffnung auf ökonomische Vorteile bemannter Weltraumfahrt oder aber zielen ab auf die westeuropäische Weltraummacht, die erst durch eine entsprechende Autonomie das Ansehen in der Welt genieße, das bislang den anderen Weltraumgroßmächten vorbehalten sei. Bei näherem Hinsehen finden sich hinter diesen „außen- und sicherheitspolitischen“ Begründungen unverhohlen militärische Hintergedanken, die von Überwachungs- und Kommunikationssatelliten bis zur Erprobung von neuen Technologien für ein europäisches SDI reichen. Sie laufen damit über kurz oder lang auf eine Beteiligung an der Bewaffnung des Weltraums hinaus.

Einer derart gestalteten westeuropäischen Autonomie in der bemannten Weltraumfahrt können wir jedoch nichts abgewinnen.

Finanzieller und ökonomischer Aufwand, gegenwärtig absehbarer forschungs- und technologiepolitischer Ertrag sowie der drohende militärische Mißbrauch von Projekten einer solchen Größenordnung weisen vielmehr auf die Notwendigkeit hin, in der gesamten Weltraumforschung zu einer die existierenden Militär- und Wirtschaftsblöcke übergreifenden Kooperation zu kommen.

Schließlich sehen wir bei den Großprojekten COLUMBUS und HERMES eine Kostenlawine auf die bundesdeutschen und westeuropäischen SteuerzahlerInnen zukommen, die unweigerlich eine Prioritätensetzung für fragwürdige Großprogramme und gegen andere wichtige gesellschaftspolitische Aufgaben auf der Erde bei der Gestaltung humaner Lebens- und Umweltbedingungen, aber auch bei den wissenschaftlichen Weltraumprogrammen (Ulysses, Galileo) zur Folge haben wird. Allein die Kostensteigerungen in den Vorbereitungsprogrammen für ARIANE V, COLUMBUS, HERMES von 247 Millionen DM (1986) auf 502 Mio. DM (1987) sprechen eine deutliche Sprache.

Alternativ zum Bau der Weltraumfähre HERMES sollte sich Westeuropa auf Projekte der unbemannten Raumfahrt konzentrieren und sich in der bemannten Raumfahrt auf eine Kooperation mit den USA und der Sowjetunion beschränken. Insbesondere die Möglichkeiten einer Beteiligung an dem sowjetischen bemannten Raumfahrtprogramm sind bisher in keiner Weise ausgelotet worden. Westeuropa sollte nicht die Konkurrenz im Weltraum verstärken, sondern eine Vorreiterrolle bei internationalen Projekten spielen, deren Prinzip die Kooperation ist.

Wir fordern Sie daher eindringlich auf, den Weltraumprojekten COLUMBUS und HERMES jetzt ihre Zustimmung zu versagen.

Erstunterzeichner:

Dr. Georg Ahrweiler, Wissenschaftssoziologie, Univ. Münster
Dr. Jürgen Altmann, Physik/Friedensforschung, Düsseldorf
Josef Asdonk, Univ. Bielefeld
Dipl. Ök. Wolfgang Bruchmann, Fraktionsmitarbeiter der GRÜNEN im Bundestag
Dr. Christoph Butterwegge, Soziologie, Univ. Bremen/Duisburg
Prof. Dr. Hans-Peter Dürr, Physik, München
Dr. Joachim Eisbach, Wirtschaftswissenschaften, Univ. Bielefeld
Dr. Dieter Engels, Astronomie, Sternwarte Hamburg
Prof. Dr. Reinhold Franck Informatik, Univ. Bremen
Dipl.-Biol. W. Friedrich, Biologie, Univ. Bielefeld
Gerd Greune (DFG/VK)
Prof. Dr. Hans-Jürgen Kreowski, Informatik, Univ. Bremen
M. Munstermann, Univ. Bielefeld
Dieter Rinke, Biologie, Univ. Bielefeld
Dipl.-Phys. Jürgen Scheffran, Univ. Marburg
Dr. Henning Schierholz, Jugendbildung an der Ev. Akademie Loccum
Dr. Friedemann Schmithals, Univ. Bielefeld
Prof. Dr. R. Sossinka, Biologie, Univ. Bielefeld
Ernst-Christoph Stoiper (Deutsche Jungdemokraten)
Dr. Guido Tolksdorf, Soziologie, Univ. Bielefeld
Dietrich Wetzel, MdB Die Grünen, Bonn
Dr. Johannes Weyer, Soziologie, Univ. Bielefeld
Gregor Witt (DFG/VK)
Andreas Zumach (Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste)

Friedensbewegung nach der Null-Lösung

Friedensbewegung nach der Null-Lösung

von Ulrike C. Wasmuth

Bei der ersten Großdemonstration der Friedensbewegung am 10. Oktober 1981 in Bonn war das Ziel und der Minimalkonsens der Bewegung klar: ein absolutes Nein zum NATO-Doppelbeschluß vom 12. Dezember 1979 und der damit verbundenen neuen Aufrüstungsrunde im Bereich der Mittelstreckenwaffen, deren Stationierung – vorbehaltlich „mißglückter Verhandlungen“ – für Ende 1983 vorprogrammiert war. Die Friedensbewegung hat sich entwickelt, sie hat an Stärke gewonnen, sie hat neue Aktionsformen gefunden, sie hat einen wichtigen Stellenwert innerhalb der sicherheits- und innenpolitischen Diskussion erworben, sie hat dazu beigetragen, daß die GRÜNEN in den Bundestag einziehen konnten, die sich als der parlamentarische Arm der außerparlamentarischen Bewegungen verstanden und verstehen, und sie hat nie ihr Ziel aus den Augen verloren: keine Mittelstreckenwaffen in Europa. Die Diskussionen über die „Nach“Rüstung erreichten ihren Höhepunkt im Herbst 1983, verbunden mit dem Ultimatum des NATO-Doppelbeschlusses.

Dennoch: die „Nach“Rüstung wurde beschlossen mit gleichzeitigem Beginn der Stationierung neuer Mittelstreckenwaffen in Europa. Resignation machte sich breit und die Akteure der Bewegung zagen sich zur „Beratung“ für die Suche nach neuen Wegen zurück, nachdem ein zweiter „heißer Herbst 1984“ nur noch ein warmer Wind war. Grund genug für die Gegner der Bewegung, Resümees zu ziehen, die auf „die Friedensbewegung ist tat“, „die Luft ist raus“ oder „das Schweigen der Bewegung beweist ihre Kurzlebigkeit“ hinausliefen. Also doch, die Friedensbewegung als Modeerscheinung, deren Existenz eng an ein aktuelles politisches Ereignis geknüpft ist und deren Scheitern mit der „Lösung“ des politischen „Problems“ vorauszusagen ist? Um diese Frage zu beantworten, ist es unvermeidbar, kurz auf die Friedensbewegung als soziale Bewegung und ihre Entstehungsgeschichte und -ursachen einzugehen.

I

Die Friedensbewegung ist eine soziale Bewegung, ein soziales Phänomen, das eng an eine lange Bewegungsgeschichte und strukturelle sowie aktuelle Entstehungsursachen geknüpft ist Phänomenologisch betrachtet, kann festgestellt werden, daß die Friedensbewegung die den sozialen Bewegungen eigentümlichen Merkmale aufweist: sie setzt sich zusammen aus Personen und Gruppen, die ihr Anliegen an die Öffentlichkeit tragen, um auf Mißstände aufmerksam zu machen und zu mobilisieren; sie ist in der Basis entstanden, informell organisiert und „graswurzelorientiert“, d.h. die Initiative geht weder von Parteien, Personen oder sonstigen Organen aus, die eine solche Bewegung planen und durchführen, sondern sie entsteht an unterschiedlichen Orten, getragen von unterschiedlichen Personen, die sich zu voneinander unabhängigen Gruppen zusammenschließen; sie ist eine Reaktion auf eine politische Krisenlage, die objektiv gegeben ist und von den Einzelnen wahrgenommen wird und zu einer subjektiven Betroffenheit führt, die Grundlage für die Motivation zur Aktion ist; sie ist gekennzeichnet durch eine Kritik von Teilen der Bevölkerung am Status quo der Politik und/oder der Gesellschaftsstruktur; sie umfaßt eine „größere Anzahl“ von Menschen – nicht zu messen in Quantitäten, sondern diese steht im Zusammenhang mit der politischen Situation und dem Thema – und sie existiert über einen „längeren Zeitraum“, also über mehrere Jahre: Die gegenwärtige Friedensbewegung kann somit als soziale Bewegung bezeichnet werden, die Ende der 70erJahre entstand; die eine Reaktion auf die verschärften internationalen Beziehungen war (insbesondere die Nicht-Ratifikation von SALT II, die scharfe Rhetorik von Präsident Reagan, die Pläne über den begrenzbaren Atomkrieg, den Einmarsch in Afghanistan etc.) und damit verbunden, den Immobilismus der Regierungen kritisierte – also die Diskrepanz zwischen verschärfter Krisenlage einerseits und abnehmende Gesamteffizienz und Lösungskompetenz andererseits; die den Status quo der Sicherheitspolitik ablehnte (insbesondere die Doktrin der Abschreckung, die Strategie der Flexible Response und in diesem Sinne die NATO-„Nach“-Rüstung) und für den Frieden – insbesondere für den negativen Frieden, die Stabilität der Sicherheit durch die Abschaffung insbesondere der nuklearen Waffen – eintrat.

Es versteht sich von selbst, daß ein politischer Faktor, wie die Friedensbewegung, nicht innerhalb eines Tages entsteht und auch nicht das Resultat einer gut organisierten Mobilisierungskampagne ist: im Gegenteil, diese Bewegung hat eine tiefe Verankerung innerhalb der Gesellschaft – auch bedingt durch ihre eigene Geschichte.

Die Geschichte der Friedensbewegung reicht lange zurück – wie z.B. die Komödie über Lysistrata zeigt. In Deutschland hatte sie allerdings eine Zäsur: die Zeit der nationalsozialistischen Diktatur. Die zweite Zäsur in der Geschichte der Friedensbewegungen ist die Erfindung, Herstellung und der Einsatz der Atombombe 1945, wodurch die Friedensbewegungen eine neue Qualität bekamen – sie waren von da an stets durch ihren Nuklearpazifismus gekennzeichnet.

Aufgrund der Kriegserfahrungen entwickelte sich bald die „Nie wieder Krieg“- oder „Ohne mich“-Bewegung, deren Anhänger unterschiedliche Motive hatten, die von einer pazifistischen Einstellung bis hin zu einer enttäuschten Haltung über die Niederlage des Dritten Reiches reichten. Doch diese Bewegung mobilisierte zum ersten Mal nach dem Kriege Menschen für den Frieden – eine Bewegung, die sich bald auflöste, aber die Grundlage für den Widerstand gegen die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik Deutschland und deren Beitritt zur NATO bildete. Bekannt unter dem Namen „Paulskirchenbewegung“ und „Volksbefragungsbewegung“ war diese soziale Bewegung ein wichtiger Bestandteil der sicherheitspolitischen Diskussion während der 50er Jahre, gefolgt von der „Kampf-dem-Atomtod“-Bewegung, die zunächst von Naturwissenschaftlern (Göttinger Erklärung) und dann von DGB und SPD initiiert und getragen wurde. Auf diese Weise wurden die Folgen von Atomkrieg und Nuklearbewaffnung erstmals öffentlich diskutiert. Es ergibt sich zwangsläufig die Frage, ob diese Bewegungen denn erfolgreich gewesen seien angesichts der Tatsache, daß wir heute die Bundeswehr, die Mitgliedschaft in der NATO und die amerikanischen Atomwaffen auf bundesdeutschem Boden haben. An dieser Stelle muß betont werden, daß eine soziale Bewegung nicht anhand der Erfüllung bzw. Nichterfüllung ihrer selbstgesetzten Ziele gemessen werden darf und kann: beide Bewegungen der 50er Jahre waren erfolgreich – sie haben die Bevölkerung erstmals für sicherheitspolitische Themen und Fragen sensibilisiert und die Regierung in die Situation gebracht, ihre sicherheitspolitischen Entscheidungen öffentlich legitimieren zu müssen. Darüber hinaus haben diese Bewegungen „organisatorische Hülsen“ (also Organisationsstrukturen, die engagierte und informierte Öffentlichkeit sowie Expertisen) geschaffen, die die notwendige Voraussetzung für das Weiterbestehen und die nächste Mobilisierungswelle der Bewegung bildeten. Ohne sie hätte Hans-Konrad Tempel 1960 nicht erfolgreich den ersten Ostermarsch organisieren können, der nach dem allgemeinen Motto „Ostermarsch der Atomwaffengegner“ initiiert wurde. Daran knüpft sich acht Jahre lang die breite und mit jedem Jahr größer werdende „Ostermarschbewegung“, die ihrerseits zur Grundlage für das Entstehen der Studentenbewegung und insbesondere für den Protest gegen den Vietnamkrieg und die Notstandsgesetze wurde. Es muß nicht ausgeführt werden, daß die Bewegungen der 60er Jahre erfolgreich waren – nicht umsonst sind sie heute noch Bestandteil unserer politischen Kultur.

Auch während der 70er Jahre gab es Friedensinitiativen – wenn auch nicht mit der Stärke und Größe, die die Friedensbewegung gegenwärtig hat. Es gab Initiativen und Organisationen, die unvermindert weitergearbeitet haben, doch diese Initiativen bekamen wenig öffentliche Resonanz. Warum? Die 70er Jahre waren, oberflächlich gesehen, eine „Dekade der Hoffnung“: die SPD versprach, sich für Entspannung zwischen Ost und West einzusetzen, Hochschulreformen zu schaffen etc. Viele der außerparlamentarisch Engagierten sahen sich nun parlamentarisch vertreten – es wurde keine Diskrepanz zwischen zunehmenden Gefahren einerseits und abnehmender Lösungskompetenz andererseits gesehen. Wenn auch die Zeit der Entspannung, genauer betrachtet, eine Zeit der „Politik der Stärke nur mit anderen Mitteln“ war, so bedeutete sie doch für den größten Teil der Öffentlichkeit die Zeit des Dialogs zwischen Ost und West, verbunden mit realer Abrüstung. Was tatsächlich mit den SALT-Verträgen verbunden war, war den meisten nicht bekannt.

Erst als die amerikanische „Politik der Stärke“ in Form von Präsident Reagans konkreten Aufrüstungsplänen, vorgestellt mit einer extrem bellikosen Rhetorik, begriffen wurde, gewannen die Bemühungen der Friedensinitiativen eine breitere Resonanz die Friedensbewegung der 80er Jahre entstand.

II.

Diese neue Friedensbewegung hatte aus alten Erfahrungen gelernt: man lehnte eine feste Organisationsstruktur und die Einbindung in bestehende Institutionen, wie Kirche, Parteien oder DGB, ab. Die Bewegung sollte Basisarbeit leisten und „graswurzelorientiert“ arbeiten. So ist auch die seit Jahren gespaltene Haltung der „Basis“ zum „Bonner Koordinierungsausschuß der Friedensbewegung“ zu verstehen, der nichtsdestotrotz zur wichtigsten Stelle für die Organisation von Großdemonstrationen wurde und auch heute noch ist. Doch die neue Qualität der Bewegung ist charakterisiert durch ihre Unabhängigkeit (um das Wort „Autonomie“ zu vermeiden, da dies leider oft zu Mißverständnissen führt) von einer Koordinationsstelle und großen Institutionen, was nicht heißt, daß nicht auch Vertreterinnen von diesen sich zur Friedensbewegung bekennen. Die Basisorientierung hat dazu geführt, daß in jeder größeren und auch kleineren Stadt Friedensinitiativen existieren, die ihre eigene lokale Arbeit leisten, sich aber, wenn es die politische Situation erfordert, zusammenschließen. Ohne diese Basisarbeit wären Aktionen an den diversen Stationierungsorten, Aktionen bei Manövern oder Waffentransportbeobachtungen nicht möglich.

Damit verbunden beantwortet sich eine weitere Frage von selbst: die Frage nach den Inhalten und Zielsetzungen der Friedensbewegung, Je dezentralisierter eine Bewegung wird, um so vielfältiger die Themen und Aktionsformen. Das hat nicht nur zur Folge, daß mehrere sicherheits- und friedenspolitische Themen bearbeitet werden und damit an die Öffentlichkeit kommen, sondern es ergibt sich auch eine Fraktionierung der Einstellungen, womit ein häufiger Dissens innerhalb der Bewegung nicht ausbleibt.

Nachdem der Hintergrund des Minimalkonsenses keine „Nach“-Rüstung in Europa durch die tagespolitischen Ereignisse 1983 zunächst überholt wurde, war neben einer allgemeinen Resignation die Frage nach dem „Was nun?“ berechtigt. Die Diskussion über sicherheitspolitische Alternativen begann – man begriff, daß die Negativkritik (gegen NATO, gegen Atomwaffen, gegen bestimmte Entscheidungen etc.) keine Grundlage für eine Bewegung mehr bilden konnte, man begriff auch, daß Atomkriegsszenarios wie zu Anfang der 80er Jahre nicht mehr mobilisierend wirkten – jeder wußte nun, welche katastrophalen Auswirkungen der Einsatz auch einer nur „kleinen“ Atombombe hätte. Es wurden Konzepte wie Atomwaffenfreie Zonen, soziale Verteidigung, uni-, bi- oder multilaterale Abrüstungsschritte, die Europäisierung Europas, die strukturelle Nichtangriffsfähigkeit etc. diskutiert, wobei bemerkt werden muß, daß die Bewegung diese Diskussion weitestgehend kleinen Expertengruppen überlassen hatte und darüber sich nicht mehr mit der nötigen Aufmerksamkeit aktuellen Ereignissen, wie dem SDI-Vorschlag von Reagan, gewidmet hat. Neben der lokalen Arbeit, die logischerweise nur Resonanz in der lokalen Presse und Öffentlichkeit findet, wurden zahlreiche Kongresse, Tagungen und Symposien durchgeführt, die den Eindruck erwecken könnten, die Bewegung habe sich professionalisiert.

III.

Heute, vier Jahre nach dem Raketenherbst, ist die Friedensbewegung vor neue Fragen gestellt: die Sowjetunion und die USA scheinen endlich bereit zu sein, ein Abkommen über Mittelstreckenwaffen zu schließen – was nicht zuletzt auf die zahlreichen Zugeständnisse von selten der Sowjetunion zurückzuführen ist. Signale sind gesetzt und die Bereitschaft der Großmächte ist gegeben. Was hat nun die Friedensbewequng noch zu fordern? Ist es nicht das, was sie seit Ende der 70erJahre wollte – keine Mittelstreckenwaffen in Europa? Genau das ist die Kernfrage: Soll die Bewegung die „Doppelte Null-Lösung“ so akzeptieren, wie sie vorgeschlagen wurde, oder soll sie nach wie vor die Aufhebung des Stationierungsbeschlusses und den sofortigen Abzug der Raketen fordern? Das unterscheidet die Meinungen, was Dieter Schöffmann (Koordinationsstelle Ziviler Ungehorsam) im Rundbrief 4/87 des Bonner Koordinationsausschusses zu folgender Einschätzung veranlaßt: „Wir sind in einer Situation, daß Gorbatschow uns vordergründig die uns fehlende Perspektive gibt. Daß die Friedensbewegung zur Zeit wieder ein Thema ist, hat ja in der Tat mehr mit den sowjetischen Verhandlungsvorschlägen und den CDU-Stahlhelmern als mit eigener Bewegungspotenz zu tun. Immer mehr Friedensbewegte laufen der Doppel-Null nach und verkennen dabei die reale Aufrüstungslage und wollen von bisherigen eigenen Forderungen (wie der nach einseitiger Abrüstung etwa) nichts mehr wissen … So hat der KA (Koordinierungsausschuß, UCW) auch in richtiger Auswertung und Einschätzung der Lage einen Demonstrationsaufruf für den 13.6. verabschieden können, der nicht platt auf „00“ nach Bonn mobilisiert, was dem zwischenzeitlichen realen friedenspolitischen Niveau großer Teile der Friedensbewegung entsprechen mag.“

Nein, auch wenn der Vertrag für eine Doppel-Null-Lösung unterschrieben und ratifiziert ist, hat die Friedensbewegung ihr Ziel noch nicht erreicht, auch wenn ein solcher Vertrag nicht ganz unabhängig von der internationalen friedenspolitischen Öffentlichkeit wäre. Ganz abgesehen von den anfänglichen Forderungen – kein NATO-Doppelbeschluß und keine damit verbundene Stationierung – ist es notwendig, daran zurückzudenken, was der Grund für die Ablehnung der Mittelstreckenwaffen von seiten der Friedensbewegung war: Man forderte keine neuen Waffenquantitäten und -qualitäten, keine neue Aufrüstungsrunde, die Überwindung der Abschreckung, ein Umdenken, das notwendig ist, um die „Atempause“ zu nutzen.

Was hat sich erfüllt? Die Vorschläge für einen Abzug der Mittelstreckenwaffen basieren nicht auf einem Umdenken und nicht auf dem Wunsch, die Abschreckung zu überwinden. Von Seiten der USA gibt es Gründe, diese Verhandlungen voranzutreiben: Ein Umdenken in der Strategie – man hat eingesehen, daß die landgestützte Stationierung atomarer Mittelstreckenwaffen in Europa bei einem Konflikt ein erhöhtes Risiko für das eigene amerikanische Territorium bedeutet (also New York für Hamburg?); es besteht ein Interesse, sich mehr und mehr aus Europa zurückzuziehen und gleichzeitig Westeuropa zu vermehrten eigenen Rüstungsanstrengungen zu veranlassen; Reagan möchte eine neue Strategie entwickeln (nicht umsonst werden seine SDI-Pläne weiter vorangetrieben) – er hat das ausdrücklich in seiner Rede vom 23 März 1983 betont, als er die Überwindung der Abschreckung forderte und erstmals das SDI-Programm vorstellte, nur ist das kein Umdenken, sondern eine „Politik der Stärke“ und die Fortführung der Abschreckung in einer anderen Form; Reagan möchte vor dem Hintergrund obiger Überlegungen zudem als „Friedensstifter“ in die Geschichte eingehen – ein innenpolitischer Faktor, der nicht unterschätzt werden darf. Von Seiten der Sowjetunion besteht ebenfalls Interesse an Verhandlungen, die einerseits mit extremen wirtschaftlichen Schwierigkeiten, bedingt durch die Rüstung, und andererseits mit der Reformpolitik Gorbatschows zusammenhängen.

Ein Umdenken hat nicht stattgefunden. Das kann man feststellen, sieht man sich die Reaktionen auf die Verhandlungsvorschläge in der Bundesrepublik Deutschland an: es soll die Pershing 1a aus den Verhandlungen ausgeklammert werden, obwohl sie bezüglich der Reichweite miteinbezogen werden müßte, weil sie angeblich ein „Drittstaatensystem

(was auch immer das sein mag) ist; während der Sommerpause wird vehement die „Invasionsfähigkeit der Sowjetunion“ (Wörner) betont und ein Kräftevergleich vorgelegt, der diese angeblich mit Zahlen belegt, und es wird über Kompensationsmöglichkeiten nachgedacht (Pershing Ib?), daß man den Eindruck gewinnen könnte, eine mögliche Abrüstung der Mittelstreckenwaffen bereite allgemein Angst.

Ein Umdenken hat nicht stattgefunden, betrachtet man insbesondere vor dem Hintergrund der Verhandlungsgespräche die neuen Entwicklungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Frankreich: ein Neunmilliardenprojekt – der Panzerabwehrhubschrauber PAH II wird forciert vorangetrieben, die engere deutsch-französische militärische Zusammenarbeit betont, gemeinsame Offiziersseminare installiert, erstmals ein deutsch-französisches Großmanöver „Kecker Spatz“ mit 75.000 Mann durchgeführt, über eine gemeinsame deutsch-französische Truppeneinheit nachgedacht, über die Ausdehnung des französischen nuklearen „Schirmes“ vom Rhein bis an die Elbe gesprochen und die Etablierung eines Verteidigungsrates geplant. Dazu werden Stimmen aus Spanien laut, daß solche Entwicklungen auch im Interesse Spaniens lägen.

Damit soll gesagt werden, daß die Frage, ob mit der Null-Lösung die Ziele der Friedensbewegung erfüllt seien, falsch gestellt ist, denn die Forderungen der Friedensbewegungen haben sich nie auf diese beschränkt. Sie wollte stets Abrüstung und vor allem die Abkehr von der Abschreckung, wozu ein generelles Umdenken erforderlich ist. Und die Frage, ob sich auf diesen Gebieten bis heute – im Oktober 1987 – etwas grundsätzlich geändert hat, ist leicht zu beantworten.

Dr. Ulrike C. Wasmuth, Soziologin und Friedensforscherin, ist wissenschaftliche Mitarbeiterin bei Dr. Alfred Mechtersheimer (MdB, DIE GRÜNEN) in Bonn.

Aus der Rede des Nobelpreisträgers für Physik auf der Kundgebung der Friedensbewegung am 13.6 in Bonn

Aus der Rede des Nobelpreisträgers für Physik auf der Kundgebung der Friedensbewegung am 13.6 in Bonn

von Klaus von Klitzing

Auch als Nobelpreisträger weiß man nicht alles – insbesondere kennt man nicht die Abhängigkeiten und Randbedingungen, die politische Entscheidungen beeinflussen. Aber als logisch denkender Mensch weiß ich mit Sicherheit, daß das Wettrüsten und das Anhäufen von Zehntausenden von atomaren Sprengköpfen in den Arsenalen der Großmächte und insbesondere die Gefahr einer unkontrollierten Ausbreitung atomarer Waffen nicht mehr dem Konzept der Friedenssicherung durch Abschreckung dient, sondern in wachsendem Maße eine Bedrohung der Menschheit darstellt.

Als Physiker kann ich ungefähr abschätzen, welche Folgen der militärische Einsatz von Atomwaffen haben würde. Und diese Konsequenzen sind so Unfaßbar, daß die meisten Menschen dieses Problem einfach ignorieren. Ich möchte nichts verniedlichen – aber der Unfall von Tschenobyl und die Diskussion um die Sicherheit von Kernkraftwerken sind nahezu bedeutungslos im Vergleich zu den Folgen eines Atomkrieges. Wenn es nicht gelingt, innerhalb einer relativ kurzen Zeit die Atomwaffenarsenale in einer kontrollierten Weise abzubauen und die Weiterverbreitung der Nuklearwaffen wirksam zu unterbinden, so wird es zwangsläufig zu einem Einsatz von Atomwaffen kommen – ob durch menschliches Versagen, durch die Tat eines Verrückten oder als Folge eines ideologischen Sendungsbewußtseins.

Gerade Wissenschaftler haben mehrfach Vorschläge gemacht, wie man auf eine realistische Art und Weise Wege aus dem Wettrüsten finden kann. Beim internationalen Friedenskongreß der Naturwissenschaftler im November letzten Jahres in Hamburg wurden z.B. ausgewogene Vorschläge zur Abrüstung unterbreitet, wobei ein wesentlicher Punkt eine einschneidende Verringerung der Zahl der Atomwaffen war.

Friedenssicherung bedeutet nicht nur die Reduzierung von Waffen, sondern hauptsächlich auch die Abschaffung von Feindbildern. Jeder Einzelne kann versuchen, dazu beizutragen, und ich glaube, die internationale Zusammenarbeit auf dem Gebiet der wissenschaftlichen Grundlagenforschung könnte ein Vorbild sein. Hier wird über politische und ideologische Grenzen hinweg zusammengearbeitet, und der persönliche Kontakt ist der beste Weg zum Abbau von Feindbildern. In gewisser Weise bin ich stolz, daß gerade meine Forschungsarbeiten in das Arbeitsprogramm eines Weltlaboratoriums aufgenommen wurden, welches voraussichtlich in Moskau am Leninsky Prospect. 9 seinen Sitz haben wird. Eine Aufgabe der Weltlaboratorien ist es, durch internationale Zusammenarbeit dem Frieden zu dienen.

Aber das größte Problem zur Zeit ist, daß die meisten westlichen Politiker zu spät gemerkt haben, daß Herr Gorbatschow ernsthaft auf den Friedensnobelpreis hinarbeitet – und darauf sind viele neidisch. Wenn man jemandem den Erfolg neidet, so gibt es zwei Reaktionsmöglichkeiten. Entweder versucht man, den Erfolg zu sabotieren – das wäre ein sehr schlechter Weg – oder man hängt sich an den Erfolg an. Diesen Weg wurde ich empfehlen.

Probleme der Friedensbewegung

Probleme der Friedensbewegung

8 Thesen zur Diskussion

von Corinna Hauswedell, Paul Schäfer

Nach der prinzipiellen Einigung der USA und der UdSSR auf ein Abkommen zur Verschrottung der landgestützten Mittelstreckenraketen weltweit, steht die Friedensbewegung vor einer neuen Situation. Der Klärungsprozeß ist in vollem Gange: Wie ist das Abkommen zu bewerten? Welchen Anteil hat die hiesige Friedensbewegung am Zustandekommen? Welche nächsten Schritte müssen anvisiert werden?

Unübersehbar ist der Wandel des politischen Klimas seit dem Beginn der achtziger Jahre. Die aggressive Rhetorik des „victory is possible“, der Propagierung eines begrenzbaren und gewinnbaren Atomkrieges also, ist seit einiger Zeit gemäßigteren Tönen gewichen. Doch weit darüber hinausgehend, scheint sich gegenwärtig eine Wende von der Politik der Konfrontation zu einer des Ost-West-Dialogs zu vollziehen. Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht über neue Gespräche und Kooperationen in den Bereichen Handel, Wissenschaft, Umweltschutz, Kultur berichtet wird. Dies alles nährt die Hoffnung auf eine neue Phase der Entspannung. Die aber müßte auf einem weitreichenden Einschnitt in der Menschheitsgeschichte gründen: vom Rüstungswettlauf zur Abrüstung.

THESE 1: Das bevorstehende Abkommen über die Abschaffung atomarer Mittelstreckenraketen markiert eine historisch neue Situation. Es eröffnet neue Chancen der Einleitung einer Abrüstungsdynamik.

Bisherige Verträge waren darauf gerichtet, durch die Festlegung von Obergrenzen für die jeweiligen Waffensysteme oder die Ausschließung der Entwicklung bestimmter Systeme (s. ABM-Vertrag), den Rüstungswettlauf zu kontrollieren („Rüstungskontrolle“). Verschrottet wurden bisher nur ausgediente, veraltete Waffen. Jetzt würden erstmals voll funktionsfähige und hochmoderne Waffen vernichtet; zudem die Waffen, die aufgrund ihrer Treffgenauigkeit und ihrer kurzen Flugzeit besonders gefährlich und destabilisierend wirken mußten. Ihre Verschrottung ist objektiv ein Zugewinn an Sicherheit. Das Faktum, daß es sich nicht einmal um 4 % des gesamten Nukleararsenals der Supermächte handelt, ist natürlich im Auge zu behalten, sollte aber nicht die qualitative Bedeutung dieser Waffen und ihrer Eliminierung für den europäischen Schauplatz verwischen.

Entscheidender könnte die politische Wirkung des Abkommens sein: es zeigt sich, daß Abrüstung möglich ist; es zeigt sich, daß bisherige Hindernisse – wie das Verifikationsproblem – ausräumbar sind. Es wird insgesamt ein Klima begünstigt, in dem der Erwartungsdruck der Öffentlichkeit auf weitere Abrüstungsschritte steigt.

THESE 2: Die Friedensbewegung hat das Fundament für das Zustandekommen des Abkommens gelegt. Ohne ihr Wirken wäre die Tendenz zur Abkehr von der Konfrontationspolitik undenkbar. Die Friedensbewegung sollte selbstbewußt an die nächsten Aufgaben herangehen.

1983 schien das Engagement der Friedensbewegung umsonst gewesen zu sein. Die Raketen wurden stationiert. Wenn die Aufrüster jetzt das Abkommen als Erfolg des NATO-„Nach“rüstungsbeschlusses werten, entspricht dies nicht den Tatsachen. Das Angebot der „Null-Lösung“ war als „Kombination aus Therapie und Schwindel“ (C. Weinberger) gedacht. Die Durchsetzung der Stationierung in Westeuropa sollte durch diese Scheinofferte ermöglicht werden. Noch auf ihrer Herbsttagung 1986 in Gleneagles – nach Reykjavik! – hatte die NATO neue politische Richtlinien für den Einsatz von Atomwaffen in Europa beschlossen. Damit sollte die Militärplanung an die neue Situation nach der Stationierung angepaßt werden. Die NATO-Militärs waren auf alles eingestellt – nur nicht auf die Null-Lösung.

Mit dem Aufgreifen dieses „Angebots“ durch Gorbatschow geriet die NATO ins Schlingern. Die weitgehende Konzessionsbereitschaft der UdSSR löste aber nur deshalb eine Legitimationskrise der NATO-Strategie aus, weil in den westlichen Ländern mittlerweile eine sensibilisierte Öffentlichkeit in Rüstungsfragen geschaffen worden war. Das Hauptkriterium für das schließliche Eingehen der NATO auf die tatsächliche Null-Lösung wurde – von Genscher bis Rogers – entsprechend formuliert: politische Glaubwürdigkeit. Mit anderen Worten: der Legitimationsdruck auf die Regierenden war derart, daß die politischen Kosten einer Verhinderung des Abrüstungsabkommens als zu hoch eingeschätzt wurden. Die Bedeutung der Friedensbewequng wird auch darin sichtbar, daß die Formulierung einer qualitativ neuen Außenpolitik der Sowjetunion – die der letztlich ausschlaggebende Faktor bei der Null-Lösung war – auch Resultat ihres Wirkens war. „Natürlich schafft die öffentliche Meinung im Westen von sich aus keine radikale Änderung der Lage zwischen den Völkern, doch sie entwickelt für eine solche Wende eine wichtige Voraussetzung. Die Entwicklung dieser Tendenz hilft zweifelsohne, die Flexibilität und Konstruktivität der außenpolitischen Maßnahmen der Sowjetunion zu erhöhen.“ (Prawda 10.7.87)

Die Friedensbewegungen der achtziger Jahre haben den „sicherheitspolitischen Konsens“ der Jahrzehnte nach 1950 zerbrochen. Die Kritik hatte zum Ausgangspunkt die unmittelbare Betroffenheit durch eine konkrete Maßnahme (Stationierung neuer Raketen), richtete sich aber zunehmend auf die nukleare Bedrohung und den Wahnwitz des forcierten Wettrüstens schlechthin. Schließlich wurde die Doktrin der Abschreckung in Frage gestellt. Die Friedensbewegung hat Paradigmen aufgestellt, die längst in der öffentlichen Willensbildung großes Gewicht haben und die auch in die Politik einzelner Regierungen Eingang gefunden haben:

  • im Nuklearzeitalter ist der Frieden nicht mehr gegeneinander errüstbar; zur Bewahrung der Gattung ist eine „Überlebenspartnerschaft“ unabweisbar;
  • die Logik der Abschreckung ist unmoralisch, gefährlich und unhaltbar,
  • Nuklearwaffen und andere Massenvernichtungswaffen müssen schließlich geächtet werden, wenn die Menschheit überleben und die neuen Herausforderungen (Dritte Welt, Ökologie etc.) bewältigen will.

Die Vision einer atomwaffenfreien, friedlichen Welt ist durch die Massenbewegungen der achtziger Jahre hervorgebracht worden.

Daß dieses „neue Denken“ inzwischen Schule macht und auf den Gang der „großen Politik“ einwirkt, sollte die Friedensbewegung ermutigen. Es gibt also keinen Grund für mangelndes Selbstbewußtsein.

THESE 3: Das Abrüstungsabkommen bedeutet noch keinen grundlegenden Richtungswandel in der internationalen Entwicklung. Aber es kann der Ausgangspunkt für eine Neuorientierung werden. Daher führt es bereits gegenwärtig zu einer Zuspitzung der Auseinandersetzung um die künftige Außen- und Militärpolitik. Statt den Gang der Dinge kontemplativ-abwartend zu verfolgen, muß sich die Friedensbewegung gerade in dieser Phase einmischen.

Das Mittelstreckenabkommen wurde der US-Administration und der NATO mehr oder weniger aufgeherrscht. Es wurde aber auch dadurch möglich, daß sich neue Trends in der Politik der USA durchzusetzen beginnen. Da ist einmal der Versuch, größere Distanz zum "Risikofeld" Europa aufzubauen. Die landgestützten Pershings und Cruise Missiles waren als zusätzliches Pressionsmittel gegenüber der UdSSR sehr willkommen, aber als „Ankoppelungswaffen“ in den USA nicht sonderlich geliebt. Dieser politische Trend ist verbunden mit einer stärkeren „Konventionalisierung“ des europäischen „Kriegstheaters“; damit also auch einer neuen Ausbalancierung der Lastenverteilung innerhalb der westlichen Allianz. Zum anderen setzen maßgebliche Teile der US-Administration – gestützt auf neue technologische Entwicklungen – auf eine veränderte Militärstrategie. Grundsätzlich geht es dabei nach wie vor um die Erlangung militärischer Überlegenheit. Das Ziel, militärische Macht wieder für offensive Politik instrumentalisierbar zu machen, ist durch die unaufhörliche Anhäufung von immer mehr Offensivwaffen nicht erreichbar. Einen Ausweg aus dieser Sackgasse erhofft man sich von SDI und neuen „sophisticated“ Technologien. Die Verwundbarkeit des eigenen militärischen Potentials soll minimiert, die des Gegners durch kaum ausschaltbare Offensivwaffen (Marschflugkörper, Stealth-Bomber) heraufgesetzt werden. In diesem Konzept haben Rüstungskontrolle und Abrüstung nicht nur die Funktion, die Legitimation für qualitativ neue Rüstungen oder mehr finanziellen Spielraum für die aufwendige Erforschung Entwicklung und Dislozierung der neuen Waffen zu schaffen. Reduzierungen bei den landgestützten Interkontinentalraketen können das angestrebte Raketenabwehrsystem entscheidend effektiv ihren. Sie sind von Teilen der US-Militärstrategen auch als Mittel der einseitigen Vorteilsnahme konzipiert. Man spekuliert auf die Überlegenheit bei den U-Booten und Flugzeugen. Dennoch ist in den USA ein gewisser Stimmungswandel unübersehbar: die „nuclear warfighters“ haben an Boden verloren, Positionen der Rüstungskontrolle und der nationalen Konfliktaustragung an Gewicht gewonnen.

Die in Aussicht genommene Verschrottung der US-Raketen hat in Westeuropa Überlegungen zur Stärkung des „europäischen Pfeilers“ ausgelöst. Die umfassende Modernisierung der konventionellen Streitkräfte soll die waffentechnischen Voraussetzungen für die Realisierung offensiver Kriegführungsstrategien (FoFa) schaffen; die Bundesregierung will durch enge Kooperation mit Großbritannien und Frankreich ihren Plan „nuklearer Teilhabe“ weiterverfolgen

Aber es ist schwieriger geworden, weiter ungebrochen auf Abschreckung und militärische Überlegenheit zu setzen. Der Konflikt wird von Jan Reifenberg in der FAZ wie folgt beschrieben: „Die Null-Lösung erzwingt eine Revision der Strategie. Die Militärs müssen dafür im Rahmen der begrenzten Haushaltsmittel moderne Waffen, vor allem konventionelle Präzisionswaffen bekommen. Die Politiker aber stehen vor einer schwierigeren Aufgabe. Sie müssen eine Öffentlichkeit, die von den Reformbeschlüssen Gorbatschows und sowjetischem Entgegenkommen in Abrüstungsfragen positiv beeindruckt ist, klarmachen, daß Verteidigung, Abschreckung und damit Friedenssicherung künftig noch mehr kosten werden als bisher.“ In der Tat ein schwieriges, weil aberwitziges Ansinnen.

Gerade in dieser Phase wird eine starke Friedensbewegung gebraucht: um den qualitativen Rüstungswettlauf endlich zu stoppen, um weitere Schritte zur Denuklearisierung Europas und zur konventionellen Abrüstung durchzusetzen.

THESE 4: Es geht um die grundsätzlichen Fragen der internationalen Entwicklung: Streben nach militärischer Überlegenheit oder Abrüstungsbemühungen; Politik der Abschreckung oder Gemeinsame Sicherheit; imperiale Machtsicherung oder internationale Kooperation. Es wird eine Aufgabe der Friedensbewegung sein, diese Dimensionen aufzuzeigen und eigene Konzepte in die Öffentlichkeit zu tragen.

Politische Vorteile errüsten zu wollen, ist ebenso unsinnig wie gefährlich. Überlegenheitsstreben blockiert einen möglichen Durchbruch zur wirklichen und tiefgreifenden Abrüstung. Wer an SDI festhält, muß einen Teststopp ablehnen. Wer auf neue Rüstungstechnologien spekuliert, muß ein Innehalten in der Rüstungsforschung und -entwicklung sabotieren. Partielle Übereinkünfte – die ggf. erzielt werden können

werden durch neue, immer gefährlichere Waffensysteme überkompensiert. In einem Konzept gemeinsamer Sicherheit hat das Streben nach militärischem Übergewicht keinen Platz. Eine umfassende Reduzierung der bestehenden Waffenarsenale ist der Sicherheit beider Seiten dienlich.

Die weltweiten Probleme der Energieversorgung, der Ökologie, der Ernährung, der Arbeitsverteilung erfordern zugleich eine restlose Abkehr vom Primat des Militärischen. Ressourcen müssen umverteilt, die schöpferischen Potenzen auf nützliche Aufgaben konzentriert werden; die systemübergreifende Zusammenarbeit ist zu entwickeln.

Die Friedensbewegung ist auch eine Antwort auf diese globalen Herausforderungen. Sie sollte an der Erarbeitung und Verwirklichung zukunftsträchtiger Lösungen mitwirken. Daher sollte die Kooperation mit Ökologiegruppen, den Gewerkschaften und Dritte-Welt-Initiativen gesucht werden.

THESE 5: Die Differenzen innerhalb der NATO wie innerhalb des bürgerlich-konservativen Lagers in der Bundesrepublik sind nicht nur taktischer Natur. In ihnen reflektiert sich die gegenwärtige Grundsatzauseinandersetzung: Fortführung der Konfrontation oder internationale Kooperation zur Lösung der drängenden Menschheitsfragen.

Deshalb sollte die Friedensbewegung diese Differenzen nicht unterschätzen, sondern fördern: Wer die Isolierung militaristischer Positionen will, darf die Zusammenarbeit bis hinein ins konservative Lager nicht scheuen.

Die Friedensbewegung darf den Streit über die zukünftige NATO-Strategie nicht den Regierenden überlassen. Ihre Aktivitäten haben ja erst die gegenwärtigen Differenzierungen hervortreten lassen.

Innenpolitisch wurde Genscher – ob einem das gefällt oder nicht – in der Frage der Mittelstreckenraketen zum zeitweiligen Partner der Friedensbewegung. Wer das negiert, negiert zugleich die Einschätzung, daß die atomare Gefahr neue Koalitionen der Vernunft notwendig macht und ermöglicht. Solche zweckgerichtete Allianzen mit Herrn F.W. Christians, dem Sprecher der Deutschen Bank („…die äußeren Umstände zwingen uns zum Umdenken und Nachdenken über ein neues Weltbild…“) u.a. nützen der Hauptsache und müssen nicht zur Verkleisterung von Unterschieden in anderen Feldern führen. Das Moskauer Friedensforum im Februar dieses Jahres hat bewiesen, welche Koalitionen möglich sind. Sie sind zugleich notwendig, wenn die Kriegsgefahr grundlegend gebannt werden soll.

THESE 6: Als zentrale Konfliktfelder der abrüstungspolitischen Auseinandersetzung werden erkennbar: Weitere Schritte in Richtung Atomwaffenfreiheit, v.a. in Europa, der Abbau der strategischen Arsenale und damit verbunden die Verhinderung qualitativ neuer Rüstungen (SDI, Kernwaffen der „3. Generation"), der Einstieg in die konventionelle Abrüstung.

In der Friedensbewegung hat die Diskussion über die Schwerpunkte eines politischen Eingreifens in diese (und weitere) Felder begonnen; weniger denn je geht es „nur“ um einzelne Waffensysteme und/oder Gesamfforderungskataloge, sondern um die Entwicklung einer Handlungsorientierung, die Zuspitzungen (und Kampagnen) auf einzelne Bereiche ebenso enthält, wie die Arbeit an einer friedenspolitischen Gesamtalternative.

Einigkeit herrscht darüber, daß die reale Durchsetzung der Nullösung – nach Vertragsschluß – noch die Kraft der Friedensbewegung brauchen wird. Für die zentralen Konfliktfelder Atomwaffenfreiheit, strategische Rüstungen, Konventionalisierung gilt es, Etappen und Zwischenziele zu setzen, sowie die aktuellen Ansatzpunkte für den jeweiligen Beitrag unseres Landes.

1. Die Null-Lösung bei den Mittelstreckenraketen muß der Beginn des Weges zu einem atomwaffenfreien Europa sein. Schritte dahin, die auch in der BRD auf die Tagesordnung gehören, sind die Abschaffung der taktischen Nuklearraketen und Gefechtsfeldwaffen sowie die Errichtung eines atomwaffenfreien Korridors (300 km) in Mitteleuropa.

2. Die aktuellen Ansatzpunkte im Bereich des Abbaus der Strategischen Arsenale sind die Durchsetzung eines Atomteststops sowie die Einhaltung des ABM-Vertrages. Das Ziel muß die Verhinderung der Weltraumbewaffnung sein. Obwohl hier v.a. die Regierungen der Großmächte angesprochen sind, muß unsere Friedensbewegung von unserer Regierung eigene Beiträge dazu verlangen wegen der globalen Bedeutung dieses Bereichs.

3. Der Abbau der konventionellen Rüstung wird im Kontext der Denuklearisierung Europas stärker ins Zentrum rücken. Rüstungshaushalt und die geplanten neuen Waffensysteme müssen deshalb Ausgangspunkt für konkrete Kampagnen der Friedensbewegung gegenüber der Bundesregierung werden.

Neben diesen drei „Konfliktzentren“ zeichnet sich die Chance für eine weltweite Ächtung der Chemiewaffen ab.

Auch wenn es in der Gewichtung Unterschiede in der Friedensbewegung geben wird, scheint es möglich, zu einem Konsens über die Hauptfelder und Kampagnen zu kommen (die zusätzliche Bereiche und aktuelle Orientierungen nicht ausschließen). Alle genannten Konfliktfelder eignen sich zur Entwicklung konkreter Forderungen als auch zum Eingreifen in die grundlegende Debatte über die Militärstrategien der Bündnisse. Es versteht sich von selbst, daß es einfacher sein wird, Bewegung und damit verbundenen politischen Druck zu entwickeln, wenn man an der Betroffenheit unseres Landes bzw. Europas anknüpfen kann. Deshalb, aber auch wegen der Bedeutung für eine strategisch neue Ost-West-Konstellation, sollte die Friedensbewequng Vorstellungen für ein entmilitarisiertes Europa entwickeln.

Zentrale Forderungen

  1. Vollständige Durchsetzung der doppelten Null-Lösung.
  2. Die Errichtung einer atomwaffenfreien Zone in Europa u.a. durch eine dritte Null-Lösung bei den taktischen Nuklearraketen (Reichweite 150-300 km) und die Abschaffung der nuklearen Gefechtsfeldwaffen durch die Errichtung eines atomwaffenfreien Korridors auf einer Breite von 300 km in Mitteleuropa.
    In diesem Kontext sollten sowohl die französischen und britischen Atompotentiale sowie die Pläne einer Raketenabwehr in Europa (EVI) thematisiert werden.
  3. Abbau der strategischen Arsenale; erste Schritte:

    • atomarer Teststop
    • Halbierung der Potentiale
    • Einhaltung des ABM-Vertrages
  4. Keine Militarisierung des Weltraums.
  5. Abbau der konventionellen Rüstung, durch

    • Kürzung des Rüstungshaushalts
    • Stornierung neuer Waffensysteme
  6. Kein Rüstungsexport
  7. Weltweite Ächtung der C-Waffen
  8. Infragestellung der Militärdoktrin der Abschreckung (u.a. ALB, FOFA etc.) durch alternative Konzepte (nichtoffensive Verteidigung, Gewaltverzicht, Disengagement in Zentraleuropa etc.).

THESE 7: Neues Denken eröffnet nicht nur Chancen für den Abrüstungsprozeß selbst; wesentlicher Inhalt – als Voraussetzung wie als Ziel – ist der Abbau von Feindbildern. Die Friedensbewegung, deren Authentizität auch in der alltäglichen Praktizierung ihrer vertretenen Positionen liegt, findet hier in den veränderten internationalen Situation neue Tätigkeitsfelder.

„Der Verzicht auf das Feindbild fällt sehr vielen deswegen so schwer, weil sie sich die Angst vor dem Verlust der Schuldzuschiebung auf den anderen, das andere politische System, nicht eingestehen.“ (Dieter Lattmann). Bereits die kurze Zeite verbesserten Ost-West-Klimas, einschließlich der von Osten kommenden entsprechenden Impulse, verweist auf die Chancen, den Antikommunismus, das hierzulande für die Abschreckung nützlichste Feindbild, abzubauen. Das zwischen SPD und SED vereinbarte Papier ist ein Beispiel dafür, daß Umdenken auf beiden Seiten begonnen hat.

Bislang ist nur ein kleiner Sektor der Friedensbewegung mit Bereichen wie Städtepartnerschaft, Jugendaustausch, zwischenmenschliche Begegnungen etc. befaßt. Der Abbau jahrzehntelang gepflegter Feindbilder wird sich durch praktische Anschauung und unmittelbare Begegnung, durch die Entwicklung von Diskussionszusammenhängen und Kooperation vollziehen. Die Friedensbewegung sollte dieses weite Feld nicht den staatlichen Institutionen überlassen und von den Erfahrungen solcher Gruppen wie etwa „Aktion Sühnezeichen" lernen.

THESE 8: Ein neues Moment in den achtziger Jahren liegt auch im Engagement nicht unerheblicher Teile der wissenschaftlichen Intelligenz. Dies ist in einer Situation, in der die Technologie der Waffen durch wissenschaftlich-technische Umwälzungen maßgeblich vorangebracht wird, von zentraler Bedeutung. Die Entwicklung in diesem Bereich ist in mehrfacher Hinsicht relevant:

Die Aneignung friedenspolitischer Kompetenz in der Friedensbewegung wird erleichtert; die Ausstrahlungskraft in die Gesellschaft und ihre Institutionen, auch gegenüber der Politik, wird erhöht. Es gibt positive Rückwirkungen auf das Wissenschaftsleben; Rüstungsforschung und Entwicklung kann nicht mehr unbehelligt stattfinden.

Die Diskussion über die Verantwortung der Wissenschaften, über ihre vorrangigen Ziele ist jenseits des Atlantik wie auch hier nicht mehr zurückzudrehen. Vorrang für die Erhaltung von Menschheit und Natur setzt neue Maßstäbe ethisch, fachlich, politisch, kulturell. Von der Etablierung einer Friedenskultur als zukunftsgestaltender Aufgabe ist in der Friedensbewegung die Rede. Wenn es gelingt, das Wissenschaftsleben dahingehend zu verändern – von der Entwicklungspsychologie bis zu den Informationstechnologien – Friedenserhaltung und -gestaltung zu Kriterien zu machen, wird dies enorme Rückwirkungen auf die Gesellschaft haben. Wissenschaftskooperation kann zu einem gestaltenden Faktor des Ost-West-Verhältnisses werden. Bereits jetzt bringt das Engagement der friedensorientierten Wissenschaftlergemeinschaft immer mehr Formen professioneller Beschäftigung und entsprechender „Gegen“-Öffentlichkeit hervor. Die Friedenswissenschaft ist ein Moment bei der Verstetigung und Vertiefung der Friedensbewegung. Die Kontakte zwischen Friedensforschern, Hochschulwissenschaftlern, Ingenieuren, Ärzten und örtlichen Friedensgruppen sollten deshalb weiterentwickelt, Projekte kontinuierlicher Zusammenarbeit eingerichtet werden.

Corinna Hauswedell, Informationsstelle Wissenschaft und Frieden, Bonn, Paul Schäfer, Redaktion „Informationsdienst Wissenschaft und Frieden“, Bonn