Aus Gottes Frieden für gerechten Frieden – Ja und?

Aus Gottes Frieden für gerechten Frieden – Ja und?

Anmerkungen zur neuen Friedensdenkschrift der EKD

von Albert Fuchs

Gut ein Vierteljahrhundert nach ihrer ersten, ganz im Zeichen der West-Ost-Konfrontation stehenden Friedensdenkschrift von 1981 hat die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) ein neues friedensethisches Grundsatzpapier vorgelegt. Unser Autor arbeitet zahlreiche Schwachstellen der i.e.S. politischen Teile dieser »Denkschrift« heraus und kommt zum Ergebnis, sie erschließe keinen »Mehrwert« der christlichen Perspektive für die friedenspolitische Debatte. Ein Verdienst könne gleichwohl darin bestehen, dass endlich die seit der Epochen-Wende überfällige breite öffentliche Debatte um eine konstruktive Friedens- und Sicherheitspolitik angestoßen werde.

Im Vorwort der im Oktober 2007 unter dem Titel „Aus Gottes Frieden leben – für gerechten Frieden sorgen“ veröffentlichten neuen Friedensdenkschrift der EKD führt der amtierende Ratsvorsitzende, Bischof Wolfgang Huber, aus, nach dem 11. Sept. 2001 hätten sich die Stimmen gemehrt, die „einen neuen grundlegenden Beitrag zur friedensethischen und friedenspolitischen Orientierung erwarteten“ (a.a.O., S.8). Nach Bischof Hubers Verständnis soll in einer solchen Denkschrift „nach Möglichkeit ein auf christlicher Verantwortung beruhender, sorgfältig geprüfter und stellvertretend für die ganze Gesellschaft formulierter Konsens zum Ausdruck kommen“ (ebd.).

Die rd. 120 Seiten umfassende Schrift verdient in der Tat eine ernsthafte Auseinandersetzung. Ähnlich wie den deutschen katholischen Bischöfen mit ihrem »Wort zum Frieden« (2000) geht es der EKD erklärtermaßen darum, das Denken auf möglichen Krieg hin und in Kriegskategorien durch ein Denken auf (gerechten) Frieden hin zu ersetzen. Andererseits drängt sich bereits mit dem Religion und Politik verbindenden Titel die Frage auf, worin eigentlich der friedenspolitische »Mehrwert« dieses Ansatzes bestehen soll oder bestehen könnte. Auch lässt Hubers Anspruch, einen Konsens „stellvertretend für die ganze Gesellschaft“ präsentieren zu können, erwarten, dass der Text Ausblendungen und Lücken, Brüche und Inkonsistenzen und wohl auch manchen Scheinkonsens beinhaltet. Im Folgenden steht eine Auseinandersetzung mit der Denkschrift aus einer dezidiert militärgewalt-kritischen Perspektive im Vordergrund.

Das Papier umfasst nach einer bereits das Leitbild des gerechten Friedens hervorhebenden und die aktuelle friedenspolitische Situation sehr allgemein skizzierenden Einleitung vier Teile oder Kapitel mit entsprechenden Unterkapiteln: „Friedensgefährdungen“, „Friedensbeitrag der Christen und der Kirche“, „Gerechter Friede durch Recht“ und „Politische Friedensaufgaben“. In einem kurzen Schlusskapitel werden Grundsätze und Maximen prägnant zusammengefasst. Der Text ist in 197 fortlaufend nummerierte Paragraphen oder Abschnitte gegliedert. Die Auseinandersetzung mit dem Papier muss an dieser Stelle auf die Kapitel „Gerechter Friede durch Recht“ und „Politische Friedensaufgaben“ beschränkt bleiben. Textbezüge werden durch die entsprechenden Ziffern ohne bibliographische Zusatzangaben belegt.

„Gerechter Friede durch Recht“

Das dritte Kapitel reflektiert Fragen der rechtlichen Fundierung einer dauerhaften, an der Vorstellung des gerechten Friedens orientierten Friedensordnung. Dazu werden Anforderungen an eine globale Friedensordnung als Rechtsordnung entwickelt (Ziff. 86-97), Prinzipien einer (nach Meinung der Autoren und Autorinnen) dazugehörigen Ethik „rechtserhaltender Gewalt“ skizziert (98-103) und Grenzen militärischen Gewaltgebrauchs aufgezeigt (104-123). Das Kapitel stellt einen bemerkenswerten Versuch dar, die Annahme, dass (militärische) Gewalt (wieder) geeignet und ethisch vertretbar oder gar geboten sein kann, um Unrecht und Gewalt Einhalt zu gebieten, in Einklang zu bringen mit der Pflicht, den Krieg zu überwinden. Dazu wird das Kantische Paradigma des »Friedens durch Recht« ergänzt um die der bellum iustum-Lehre entstammenden Kriterien für die Ausübung „rechtserhaltender Gewalt“. Die Gedankenführung wirkt beeindruckend schlüssig – solange man nicht genauer hinschaut.

Erstens: So wird erklärt, nur „eine kooperativ verfasste Ordnung ohne Weltregierung“ liege „in der Zielperspektive eines gerechten Friedens“ (87). In diesem Rahmen sei auch das zwischenstaatliche Sicherheitsdilemma „legitim lösbar durch ein System kollektiver Sicherheit, wie es in der UN-Charta vorgezeichnet“ (ebd.) sei. Leider geben die Autoren fast keinen Hinweis, wie diese ideale Ordnung vom herrschenden quasi-anarchischen Verhältnis der Staaten zueinander aus erreicht werden soll – zumal dieser Zustand mit immensen Macht- und entsprechenden sozioökonomischen Privilegierungsasymmetrien einhergeht (vgl. 92). Die Hoffnung, insbesondere „internationale Organisationen und Regelwerke“ trügen „zu nachhaltiger Inderdependenz zwischen den Staaten“ und damit zur Etablierung der besagten Ordnung bei (87), kann sich nur sehr bedingt auf die reale Entwicklung seit der Epochenwende stützen. Das deutsche Bundesverfassungsgericht kompromittiert das für den gesamten Ansatz zentrale Konzept der kollektiven Sicherheit, indem es seit 1994 in kontinuierlicher Rechtsprechung ein erklärtes Militärbündnis, die NATO, zu einem System kollektiver Sicherheit befördert.

Zweitens: Mit erstaunlicher Selbstverständlichkeit wird aus dem Postulat, Recht sei „auf Durchsetzbarkeit angelegt“, nicht nur gefolgert, in „einer auf Recht gegründeten Friedensordnung“ seien „Grenzsituationen nicht auszuschließen, in denen sich die Frage nach einem (wenn nicht gebotenen, so doch zumindest) erlaubten Gewaltgebrauch und den ethischen Kriterien dafür“ stelle (98). Es wird auch grundsätzlich unterstellt, dass diese Frage eben positiv zu beantworten ist. Dann wird allerdings in Anlehnung an die bellum iustum-Lehre ein „zumindest erlaubter Gewaltgebrauch“ u.a. wesentlich von einer „Aussicht auf Erfolg“ abhängig gesehen (102). Damit wird die zunächst begriffslogische Herleitung der Rechtfertigungsfähigkeit eines Rückgriffs auf Gewalt in ungeklärter Weise mit kontingenten Bedingungen verbunden. Demzufolge kann Recht, das nicht einmal mit Gewalt durchsetzbar ist, eigentlich kein Recht sein. Insofern wird nahe gelegt, Recht werde durch Gewalt konstituiert – und der Glaube an das »Recht des Stärkeren« wird gerade dadurch gestützt, dass man „rechtserhaltende Gewalt“ dagegen propagiert. Der Kern des Problems dürfte darin liegen, dass der Durchsetzungsanspruch des Rechts nicht vom Durchsetzungsmittel Gewalt unterschieden wird.

Drittens: Der Ausdruck „rechtserhaltende Gewalt“ konnotiert zweifelsohne soziale Kontrolle. Es geht jedoch nicht (primär) darum, eine bestehende Rechtsordnung aufrechtzuerhalten. Da sich „die gegenwärtige globale Lage als ein Kontext der Ungerechtigkeit“ darstellt (90), muss vielmehr die Überwindung von kriegerischer Gewalt Hand in Hand gehen mit dem Aufbau von wirtschaftlicher und politischer Gerechtigkeit. Dieser zu einer „globalen Friedenssicherung“ komplementäre Prozess findet der Denkschrift zufolge seine „Konkretisierung in den Menschenrechten“ (88). Mit den betreffenden Überlegungen werden die Friedensthematik und die Menschenrechtsthematik in systematischerer Weise positiv aufeinander bezogen, als das in der UN-Charta vorgezeichnet ist (vgl. Art. 55c). Das könnte eine Korrektiv dazu sein, dass im Zusammenhang der Debatten zur sog. humanitären Intervention seit den 1990er Jahren immer wieder ein Konkurrenzverhältnis zwischen »negativem« Frieden (sensu Galtung, 1975) und Menschenrechten konstruiert wird. Mit der kommentarlosen Übernahme des Unteilbarkeitspostulats im Hinblick auf die Menschenrechte, das noch kontroverser diskutiert zu werden scheint als das Universalitätspostulat (vgl. Hamm & Nuscheler, 1995), vergibt man die Möglichkeit, vorab eine (Interventions-)Verpflichtungsabstufung entsprechend der Fundamentalität der zu schützenden Rechte zu begründen – und bestärkt damit u.U. den (vorgeblichen) Gegensatz zwischen Frieden und Menschenrechten.

Viertens: In diesem Zusammenhang unterbleibt jede Auseinandersetzung mit der „Position des unbedingten Pazifismus“. Man bezieht sich darauf nur, um die „vorrangige Option für die Gewaltfreiheit“ kontrastiv zu markieren (99). Das besagt i.B: Die grundlegende Frage, ob Töten von Menschen zum Schutz von Menschen nicht ein in sich verwerfliches Mittel ist, wird nicht diskutiert. Weiter bleibt unerörtert, wie „rechtserhaltende Gewalt“ in Einklang zu bringen sein soll mit der im vorausgehenden Kapitel beschworenen Mittel-Zweck-Kongruenz à la Gandhi (vgl. 76). Irgendwie setzt die Denkschrift auf eine „sorgfältige Güterabwägung“ (103). In der dunklen Rede von dem trotzdem „bleibenden Risiko des Schuldigwerdens“ (ebd.) scheinen die unbedachten schwierigen ethischen Fragen in den Text zu drängen.

Fünftens: Als Grundlage der Güterabwägung sollen die „moralischen Prüfkriterien“ dienen, „die in den bellum iustum-Lehren enthalten waren“ (102). Im Vertrauen offensichtlich auf ihre Evidenz werden diese Kriterien nicht weiter begründet, nur kurz erläutert (ebd.). Die damit verbundenen immensen Operationalisierungsprobleme werden nicht reflektiert. Man macht es sich auch einfach im Hinblick auf die Informationsintegration, d.h. im Hinblick auf die eigentliche Urteilsfindung. Dazu wird nur lapidar konstatiert: „Nach herkömmlicher Auffassung der Ethik müssen für den Gebrauch von legitimer Gegengewalt alle diese Kriterien erfüllt sein.“ (103). Indes hat just der EKD-Vorsitzende in einem Beitrag jüngeren Datums dieses Prinzip als zu restriktiv, als auf einen de facto-Pazifismus hinauslaufend und als „extensional“ sogar „dem prinzipiellen Pazifismus“ entsprechend kritisiert (Huber, 2004, S.4).

Sechstens: Außer Betracht bleibt ferner ein besonders vertracktes Problem der bellum iustum-Figur: die Frage, wer eigentlich das ausschlaggebende Erkenntnis- und Entscheidungs-Subjekt sein soll. Wenn nämlich für diese Rolle die jeweilige Obrigkeit in Aussicht genommen wird – wie es für die christlichen Nacherfinder der bellum iustum-Lehre, Aurelius Augustinus und Thomas von Aquin, selbstverständlich war – verliert das Kriterium der adäquaten Autorisierung seinen Sinn. Der liegt erklärtermaßen darin, dass niemand sich zum Richter in eigener Sache eignet; dass vielmehr „im Namen verallgemeinerungsfähiger Interessen aller potentiell Betroffenen“ (102) entschieden werden sollte. Wenn dagegen eigentlich an die jeweiligen Untergebenen gedacht ist – wie die vielfache Betonung des Vorrangs des Gewissens des einzelnen auch „gegenüber demokratisch legitimierten Maßnahmen militärischer Friedenssicherung oder internationaler Rechtsdurchsetzung“ nahe legt (62) -, steht eine zentrale Funktionsbedingung des Militärs in Frage: die Erzwingbarkeit des Gehorsams der Regierten gegenüber dem obrigkeitlichen Ansinnen, sich zum Töten und Sich-töten-Lassen zu verdingen (bzw. Militär- und Kriegssteuer zu zahlen).

Siebtens: Damit liegt die Doppelfrage nahe, an wen überhaupt sich die Denkschrift gerade in diesem Zusammenhang wie ernsthaft wendet. Wenn das befürwortete „restriktive“ Verfahren der Bildung eines Gesamturteils auf einen de facto-Pazifismus bzw. sogar auf den prinzipiellen Pazifismus hinausläuft, werden sich sicherheitspolitische Zirkel kaum dafür erwärmen lassen und noch viel weniger die Militärführung. Solche Zumutungen dürften die Autoren auch kaum im Sinn haben; dazu ist die Denkschrift insgesamt viel zu »staatstragend«. Näher mag liegen, dass es auch hier um die sog. einfachen Soldaten geht. Das aber würde bedeuten, dass kaum noch jemand im Dienst einer »Armee im Einsatz« zu finden sein dürfte ohne eine (situationsbezogene) Kriegsdienstverweigerungsgeschichte in seiner Personalakte. Damit aber würde die Funktionsfähigkeit des Militärapparates erst recht untergraben – und ein verlässlicher Einsatz von „rechtserhaltender Gewalt“ nahezu unmöglich. Demnach wird auch das nicht in der Aussageintention der Denkschrift liegen. Um wen und was geht es aber dann? Man kann sich kaum des Eindrucks erwehren, dass die Implikationen der Vorschläge (abermals) nicht genau durchdacht wurden. Bleibt wohl eine diffuse Akzeptanzbeschaffung für „rechtserhaltenden militärischen Gewaltgebrauch“.

Achtens: Die Denkschrift erhebt die bellum iustum-Kriterien zu „allgemeine(n) Kriterien einer Ethik rechtserhaltender Gewalt… – unabhängig vom jeweiligen Anwendungskontext“ (102). Diese Parallelisierung von zwischenstaatlichen und innerstaatlichen gewaltförmigen Konfliktkonstellationen beinhaltet eine demokratie- und friedenspolitisch hoch problematische Verwischung der Grenzen zwischen militärischen und polizeilichen Maßnahmen bzw. zwischen Militär und Polizei und eine Konfundierung von (kriegs-)ethischen Fragen und von Rechtsfragen i.e.S. Statt zur Eindämmung und zur Verrechtlichung von militärischer Gewalt kann das aber zur Militarisierung und Entrechtlichung des staatlichen Gewaltgebrauchs nach innen führen. Auf eine entsprechende „Gefahr“ wird im ersten Kapitel der Denkschrift selbst hingewiesen (25). Viele Beobachter sehen die Waagschale im Zuge des »war on terror« sich längst zur zweiten Seite hin neigen (vgl. Fischer-Lescano, 2004; Harder, 2006).

„Politische Friedensaufgaben“

Vor dem Hintergrund der im ersten Kapitel dargestellten „Friedensgefährdungen“ und der friedenstheologischen und -ethischen Ausführungen in Kapitel zwei und drei wendet sich die Denkschrift im vierten Kapitel einzelnen friedenspolitischen Handlungsfeldern zu. Hervorgehoben werden: die Stärkung universaler Institutionen (Ziff. 125-137) und – damit verbunden – die Wahrnehmung von „Europas Friedensverantwortung“ (138-156), der Abbau der Waffenpotenziale (157-169) und der Ausbau des Instrumentariums der zivilen Konfliktbearbeitung (170-183) sowie die Notwendigkeit, alle konkreten Schritte und Maßnahmen – im Sinn des Konzepts „menschliche Sicherheit“ – an der Würde und den tatsächlichen Lebensbedingungen der Menschen auszurichten (184-193). Die Darlegungen wirken weitgehend so abstrakt, dass man sich nur schwer vorzustellen vermag, wie sie Wirkung entfalten könnten. Über diese allgemeine Kritik hinaus sind wenigstens drei gravierende spezifischere Bedenken angebracht.

Erstens: Im Zusammenhang der Erörterungen zu „Europas Friedensverantwortung“ werden NATO und EU nahezu fraglos als »Friedensmächte« adressiert. Der neuen NATO wird zwar ins Stammbuch geschrieben, Auffassungsunterschiede „über Rolle, Strategien und konkrete Operationen des Bündnisses“ müssten „offener ausgetragen… und nicht der Bündnistreue untergeordnet werden“ (140). Die Umwandlung des ehemaligen Verteidigungsbündnisses in ein weltweit operierendes Militärinterventionsbündnis als solche wird jedoch völlig kritiklos als Grundlage für »militärisches Friedenschaffen« akzeptiert. Die (effektive) Veränderung des NATO-Vertrags im Rücken von Parlamenten und Öffentlichkeit spätestens mit der strategischen Neuorientierung von 1999 (vgl. Presse- und Informationsamt des Bundesregierung, 1999) wird nicht andeutungsweise problematisiert. Vor diesem Hintergrund wirkt der Hinweis, ein Einsatz „außerhalb des Bündnisgebietes (oder gar weltweit) ohne Mandatierung durch die UN“ entspreche „nicht den oben genannten Anforderungen an den Einsatz rechtserhaltender militärischer Gewalt“ (140), eigenartig »blauäugig«.

Noch um einiges affirmativer als zur neuen NATO positioniert sich die Denkschrift zur EU als »Friedensmacht«. Zwar wird gesehen, dass „interne regionale Gewaltkonflikte bis heute nicht dauerhaft gelöst“ sind und dass „Misstrauen insbesondere im Verhältnis Russlands zur EU … weiterhin überwunden werden“ muss (142). „Mit ihren Werten und Institutionen“ gilt die Union jedoch als „Modell für andere Regionen und von unverändert große Anziehungskraft“ (ebd.). Dass sie „im Rahmen der ‚Petersberg-Aufgaben' … auch über Europa hinaus zur Übernahme von humanitären und Rettungseinsätzen sowie zu Operationen der Friedenserhaltung und -erzwingung bereit ist“ (143), findet anscheinend die ungeteilte Zustimmung von Kammer und Rat der EKD. Die Institutionalisierung einer Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) bzw. einer Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) und erste Operationen auf dieser Grundlage werden als besondere Errungenschaften gewürdigt (ebd.). Nicht einmal das Operieren der Europäischen Sicherheitsstrategie von 2003 mit einem „präventiven Gesamtinstrumentarium“ (144) ist verdächtig – so wenig wie die „Kampfverbände … für Operationen zur Befriedung von Krisenregionen“. Das EU-Friedensmacht-Gemälde hat einen einzigen Schönheitsfleck: mangelnde Transparenz und „geringe Mitspracherechte der Parlamente“ (144; vgl. 147). Die nur allzu berechtigte Kritik an der Militarisierung der Union u.a. per Verfassungs- bzw. Reformvertrag wird auf Fehlinterpretationen bzw. auf eine inadäquate Darstellung der EU-Politik zurückgeführt und als PR-Problem behandelt (ebd.). Kein Satz über die »friedensgefährdende« Migrationsabwehr (Stichwort: Frontex) oder zu den Versuchen der EU, anderen, insbesondere (den) AKP-Staaten, ihre zerstörerischen Strukturanpassungsprogramme aufzudrücken (Stichwörter: Afrika-Europa-Gipfel, Freihandelsabkommen).

Zweitens: Einen besonders kontroversen Aspekt der Friedensmachtthematik stellt die sog. zivil-militärische Zusammenarbeit dar. Der Sache nach steht diese militärstrategische Neuerfindung wiederholt zur Rede. So wird zu den NATO-Einsätzen angemerkt, „immer deutlicher“ sei „erkennbar, … dass die Herstellung eines ‚sicheren Umfeldes' und der Wiederaufbau gleichzeitig und nicht nacheinander zu verwirklichen sind“. Erforderlich sei daher „eine wesentlich engere Zusammenarbeit mit den Internationalen Organisationen, Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen sowie lokalen Kräften“ (140). Und für das »Friedenschaffen« der EU wird postuliert: „Zwischen Soldaten und zivilen Kräften kommt es auf situationsangemessene Kooperation an“ (146). Andererseits – in partiellem direktem Widerspruch zu diesen Forderungen – wird moniert: „Die Gleichzeitigkeit von Kriegführung und Wiederaufbau … kann den Fortschritt in Entwicklung und Vertrauensbildung beeinträchtigen“ (150). Wie die Gleichzeitigzeit der „Herstellung eines ‚sichereren Umfeldes'“ und des „Wiederaufbaus“ bzw. die „situationsangemessene Kooperation“ so realisiert werden könnte, dass Beeinträchtigungen „in Entwicklung und Vertrauensbildung“ ausgeschlossen sind, bleibt dahingestellt. Viel verspricht man sich anscheinend von der Erarbeitung eines „friedenspolitischen Gesamtkonzepts“, ohne allerdings konkreter zu werden (ebd.). Nicht erörtert wird, dass jede zivil-militärische Zusammenarbeit prima facie hoch problematisch sein muss angesichts der grundverschiedenen Handlungslogiken von militärischer und – im emphatischen Sinn – ziviler Konfliktbearbeitung (vgl. Fuchs, 2006) sowie im Hinblick auf den expliziten Anspruch der militärischen Seite auf Unterordnung aller Maßnahmen unter den militärischen Auftrag (vgl. NATO, 2002). Und schließlich bleibt ausgeblendet, dass die westliche Interventionspolitik zumindest durch einen starken Trend gekennzeichnet ist, durch militärisch abgesichertes »nationbuilding«, das westliche Staats- und Wirtschaftsmodell zu exportieren.

Drittens: Die vielleicht befremdlichsten Ausführungen sind im dritten Unterkapitel zum Thema Abbau der Waffenpotenziale zu finden. Gemeint sind die Ausführungen über die Strategie der nuklearen Abschreckung (Ziff. 162-164). Zwar wird geltend gemacht, in der veränderten sicherheits- und friedenspolitischen Lage hätten „die Gründe für die Kritik an der Abschreckungsstrategie deutlich an Gewicht gewonnen“ (109). Dementsprechend wird abweichend von Nr. VIII der Heidelberger Thesen (1959) die Auffassung vertreten: „Aus der Sicht der evangelischen Friedensethik kann die Drohung mit Nuklearwaffen heute nicht mehr als Mittel legitimer Selbstverteidigung betrachtet werden.“ (162) Dann aber wird ausführlich dargelegt, weshalb „umstritten“ bleibt, „welche politischen und strategischen Folgerungen aus dieser gemeinsam getragenen friedensethischen Einsicht zu ziehen sind“ (ebd.). Dieses „umstritten“ impliziert zwar nicht logisch, wohl aber politisch-praktisch, dass es diesbezüglich eigentlich nichts zu ändern gibt. Worin der friedenspolitische Wert solcher „gemeinsam getragenen friedensethischen Einsicht“ bestehen soll, ist ein Rätsel.

Resümee und Ausblick

Wer die neue Friedensdenkschrift der EKD nur aus (kirchlichen) Presseverlautbarungen oder vielleicht noch von der Einleitung und dem Schluss her kennt, mag den Eindruck haben, die vorliegende kritische Auseinandersetzung sei mit einem anderen Text befasst. In der Tat gibt es auch in der hier eingenommenen Sicht von außen kaum etwas an (den) Leitgedanken des Schlusskapitels zu bekritteln: „Wer den Frieden will, muss den Frieden vorbereiten“ (194) oder „Wer aus dem Frieden Gottes lebt, tritt für den Frieden in der Welt ein“ (195) oder „Gerechter Friede in der globalisierten Welt, setzt den Ausbau der internationalen Rechtsordnung voraus“ und die „muss dem Vorrang ziviler Konfliktbearbeitung verpflichtet sein und die Anwendung von Zwangsmitteln an strenge ethische und völkerrechtliche Kriterien binden“ (196) oder „Staatliche Sicherheits- und Friedenspolitik muss von den Konzepten der ‚Menschlichen Sicherheit' und der ‚Menschlichen Entwicklung' her gedacht werden“ (197) u.s.w. Wer wollte solchen im besten Sinn erbaulichen Leitgedanken widersprechen? Je näher man sich die Denkschrift allerdings anschaut, umso fremder schaut sie zurück. Das gilt durchaus nicht nur für die beiden hier diskutierten Kapitel.

Der Kern des Problems scheint darin zu liegen, dass Kammer und Rat der EKD in der Lehre vom gerechten Frieden zentrale Elemente des christlichen Pazifismus und der Denkfigur des gerechten Krieges kombinieren wollen. Das geht nicht ohne Abstriche in der einen wie in der anderen Richtung. Vom Pazifismus wird die Vorstellung übernommen, Frieden im umfassenden Sinn vorrangig mit gewaltfreien Mitteln zu fördern und zu erneuern – aber eben nur vorrangig. In der bellum iustum-Tradition steht die (militärische) „rechtserhaltende Gewalt“ als letztes Mittel – unter der Voraussetzung, dass im Vorfeld und Umfeld solcher Gewaltanwendung auch alle übrigen Kriterien des bellum iustum-Katalogs einer strengen Prüfung standhalten. Damit bleibt die Denkschrift dem Augustinischen Programm verhaftet, das biblische Ethos der Gewaltfreiheit, insbesondere den entsprechenden kulturrevolutionären Impuls der Jesusbewegung, mit der römisch-imperialen Gewaltkultur zu versöhnen und ihre politisch-praktische Zusammenarbeit zu begründen. Die fatale Wirkungsgeschichte dieser Programmatik ist hinlänglich bekannt.

Nach der Lektüre der Denkschrift mag man rätseln, woraus die protestantischen »Christenmenschen« ihre Zuversicht schöpfen, der abendländische »Großversuch«, zusammenspielen zu lassen, was nicht zusammengehört, könne doch noch einen heilsamen Ausgang nehmen. Das Operieren mit dem Konzept des gerechten Friedens als solches kann nicht die Grundlage solcher Zuversicht sein. Dafür wurde es bereits zu oft kompromittiert und wird mit der Bindung an „rechtserhaltende Gewalt“ nicht wirklich verwandelt (vgl. Furth, 1987). Ein »Mehrwert« des Einbezugs der christlichen Perspektive in die friedens- und sicherheitspolitische Debatte erschließt sich kaum. Auf der deklaratorischen Ebene ist der »Vorrang« der Gewaltfreiheit doch längst gebongt – von den Apokalyptikern diverser Provenienz einmal abgesehen! Ein großes Verdienst der Denkschrift könnte gleichwohl darin liegen, endlich die seit der Epochen-Wende überfällige öffentliche Auseinandersetzung um eine konstruktive Friedens- und Sicherheitspolitik anzustoßen. Dafür müssen allerdings auch die Rezipienten sorgen.

Literatur

Bundesverfassungsgericht (1994). Urteil vom 12. Juli 1994 – 2 BvE 3/92 u.a. Neue Juristische Wochenschrift, 47, S.2207-2219.

Die deutschen Bischöfe (2000): Gerechter Friede. Bonn: Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz.

EKD (1981): Frieden wahren, fördern und erneuern. Eine Denkschrift der Evangelischen Kirche in Deutschland. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus.

EKD (2007): Aus Gottes Frieden leben – für gerechten Frieden sorgen. Eine Denkschrift des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus (auch verfügbar unter: http://www.ekd.de)

Fischer-Lescano, Andreas (2004): Soldaten sind Polizisten sind Soldaten. Kritische Justiz, 37, S.67-80.

Fuchs, Albert (2006): Hochzeit von Unvereinbarkeiten? Zum Verhältnis von militärischer und ziviler Konfliktbearbeitung. Wissenschaft und Frieden, 24 (4), S.6-10.

Furth, Peter (1987): Frieden oder gerechter Frieden? In C. Schulte (Hrsg.), Friedeninitiative Philosophie: Um Kopf und Krieg – Widersprüche (S.159-177). Darmstadt: Luchterhand.

Galtung, Johan (1975): Gewalt, Frieden und Friedensforschung. In J. Galtung, Strukturelle Gewalt (S.7-36). Reinbek: Rowohlt.

Hamm, Brigitte & Nuscheler, Franz (1995): Zur Universalität der Menschenrechte. INEF-Report 11/1995.

Harder, Martina (2006): Polizeisoldaten. Die Paramilitarisierung deutscher Außenpolitik. Wissenschaft und Frieden, 24 (4), S.31-34.

Huber, Wolfgang (2004): Rückkehr zur Lehre vom gerechten Krieg? Aktuelle Entwicklungen in der evangelischen Friedensethik. Vortrag im Militärgeschichtlichen Forschungsamt in Potsdam am 28. April 2004. URL: http://www.ekd.de/vortraege

NATO International Military Staff (2002). NATO Military policy on civil-military cooperation. Docu MC411/1. URL: http://www.nato.int

Presse- und Informationsamt der Bundesregierung (1999): Das strategische Konzept des Bündnisses. Bulletin Nr. 24, 03.05.99, S.222-231.

Prof. Dr. Albert Fuchs ist Kognitions- und Sozialpsychologe und Mitglied des Redaktionsteams von W&F. Eine Analyse der gesamten Denkschrift kann unter fuchs.albert@t-online.de angefordert werden.

Macht oder Moral

Macht oder Moral

Welche Rolle spielen ethische Prinzipien in den internationalen Beziehungen?

von Martin Kahl

Die Beantwortung der Frage zwischen Macht und Moral, die Antwort auf das Problem, ob allein materiale Interessen von Staaten oder nicht auch ethische Erwägungen in der internationalen Politik zur Geltung gebracht werden können, mithin die Feststellung von Handlungsspielräumen bei politischen Entscheidungen, hängt davon ab, welcher Schule oder »Großtheorie« in den internationalen Beziehungen man anhängt. Diese Aussage trifft nicht nur auf PolitikwissenschaftlerInnen zu, sondern auch auf politische EntscheidungsträgerInnen.

Im Haifischbecken gibt es keine Moral – genauer: In einem feindlichen Umfeld kann man sich um des Überlebens des eigenen politischen Gemeinwesens willen keine moralischen Skrupel und Sentimentalitäten leisten. Es kommt vielmehr allein auf die eigene Macht an, die es ermöglicht, sich potenzielle Gegner vom Leibe zu halten. Dies ist die Grundauffassung der zumindest bis zum Ende des Ost-West-Konflikts dominanten Theorie der internationalen Beziehungen, der des »Realismus«.

Der Realismus in seiner heutigen Form sieht die Grundstruktur des internationalen Systems durch die zwischenstaatliche Machtverteilung und durch das anarchische Ordnungsprinzip definiert. Der Begriff »Anarchie« bezeichnet ein Modell des internationalen Systems, das geprägt ist durch die Abwesenheit eines »Souveräns«, einer »zentralen Sanktionsgewalt«, eines faktischen Monopols legitimer physischer Gewaltanwendung. Dies unterscheidet die internationale Welt prinzipiell von der staatlich verfassten Ordnung und jegliches internationale Denken in Analogie zu innerstaatlichen Ordnungen erscheint daher unangemessen. Aus der anarchischen Struktur des internationalen Systems ergeben sich für die staatlichen Akteure gleichsam zwangsläufig existenzielle Unsicherheiten. In einer anarchisch strukturierten internationalen Welt ist in letzter Instanz jeder Staat sich selbst der Nächste und sieht sich vor die Notwendigkeit gestellt, im Rahmen einer »Selbsthilfe« die eigene Sicherheit bzw. die eigene Existenz gegenüber den Anfechtungen (oder auch nur vermuteten Anfechtungen) anderer zu verteidigen. Die anarchische Struktur des internationalen Systems zwingt alle Staaten, sich – unabhängig davon, wie sie im inneren strukturiert sind und sich gegenüber ihren eigenen BürgerInnen verhalten – um den Preis ihrer Selbsterhaltung machtmaximierend zu gerieren und gegenüber allen anderen Staaten misstrauisch zu bleiben: Der Freund von heute kann stets der Feind von morgen sein. Kennzeichnend für die internationale Politik sind mithin nicht in erster Linie Kooperation und Frieden, sondern Misstrauen, Konflikt und Krieg.

In einem solchen Selbsthilfesystem, in dem allein der Stärkere die Chance hat sich durchzusetzen, bleibt kaum Platz für ethische Prinzipien. Da alle Staaten gezwungen sind, sich den beschriebenen strukturellen Zwängen gemäß zu verhalten, käme als einziges »ethisch« zu nennendes Prinzip in Frage, Vorsorge gegen die Vernichtung oder Okkupation des eigenen Staates zu treffen – eben durch Machtanhäufung. Weniger eine Moral als eine politische Klugheitslehre ist somit angemessen. In der Regel verbietet diese politische »Klugheit«, d.h. das Agieren nach den Strukturgesetzen des internationalen Systems, jede noch so gut gemeinte »gesinnungsethische« Entscheidung. Ethische Rechtfertigungen geraten bei RealistInnen schnell in den Verdacht, post hoc Rationalisierungen machtpolitischer Interessen zu sein. Was zählt ist das Außenverhalten, die Frage, welche Bedrohung von einem Staat für andere Staaten aufgrund seines Machtpotenzials ausgeht und nicht, wie er mit der eigenen Bevölkerung umgeht. Interventionen, die das Ziel haben, aus rein humanitären Erwägungen heraus die innenpolitischen Bedingungen in einem Staat zu ändern, sind – zumal dann, wenn durch sie prekäre Machtgleichgewichte bedroht werden – »systemwidrig« und von daher zu unterlassen.

Nun stellt sich das heutige internationale System nicht völlig unstrukturiert dar, existieren doch eine ganze Reihe internationaler Organisationen mit vielerlei Verhaltensregeln – unter ihnen die UNO und die partiell hochintegrierte EU – und mannigfaltige ökonomische, gesellschaftliche Interdependenzen, die auf Kooperation hindeuten und nicht einfach Ausdruck eines Strebens von Staaten nach unbedingter Machtsteigerung zu sein scheinen. Kann man also nicht von Staaten als rationalen Nutzenmaximiern ausgehen und trotzdem eine gewisse regelgeleitete Zusammenarbeit im internationalen System annehmen? Genau dies tut der seit den 70er Jahren in Konkurrenz zum Realismus entstandene (neoliberale) Institutionalismus. Er behält die Auffassung von Staaten als rationalen Akteuren bei, andererseits betont er, dass aufgrund zunehmender internationaler Interdependenzen gemeinsame Problemlagen zugenommen haben, die eine Kooperation unter Staaten ratsam erscheinen lassen. Verstetigen sich solche Kooperationen, kann von »Regimen« gesprochen werden, die normativ Standards von Verhalten festlegen, basierend auf gegenseitigen Rechten und Pflichten. Von der so gewonnenen Verhaltenssicherkeit können alle Akteure profitieren. Institutionen spielen in der internationalen Politik dieser Auffassung gemäß die entscheidende regulative Rolle. Sie können durchaus prägenden Einfluss auf das Verhalten von Staaten ausüben, möglicherweise sogar selbst die Interessen von Staaten ändern. Institutionen spiegeln also nicht einfach gegebene zwischenstaatliche Machtstrukturen wider: Staaten, obwohl selbstsüchtig, können sich durchaus an gemeinsamen Normen orientieren und sich dauerhaft nach ihnen richten – auch dann, wenn keine übergeordnete Gewalt sie sanktionieren könnte. Die praktisch-politische Konsequenz aus dieser Erkenntnis wäre mithin die Schaffung eines dichten Netzes von Institutionen, durch die die anfallenden Probleme kooperativ gelöst und Konflikte vermieden werden können. Der Institutionalismus hat so den Weg zu der Erkenntnis bereitet, dass normative Standards auch in Abwesenheit eines Gewaltmonopols befolgt werden können und zwar auch dann, wenn sie kurzfristigen machtpolitischen oder ökonomischen Interessen widersprechen.

Noch deutlicher wird die verhaltensbestimmende Rolle von Normen beim Liberalismus. Die äußeren oder »strukturellen« Zwänge, auf die der Realismus abstellt, kennt die liberale Schule nicht. Ohne eine vergleichbar vollständige Theorie der internationalen Beziehungen ausgearbeitet zu haben, erklärt sie das außenpolitische Verhalten von Staaten durch die spezifischen Interessen und Wertvorstellungen innerstaatlicher Akteure. Da diese sich deutlich bei Demokratien und Diktaturen unterscheiden, legen ihre Repräsentanten in der internationalen Politik auch unterschiedliche Verhaltensweisen an den Tag. Die grundlegenden Strukturen des internationalen Systems sind aus dieser Sicht also subsystemisch. Internationale Faktoren können zwar eine Wirkung auf die außenpolitischen Entscheidungen von Staaten haben, wirken aber nicht deterministisch.

Als Herzstück liberaler internationaler Theorie kann die Erkenntnis gewertet werden, dass demokratische (liberale) Staaten keine Kriege gegeneinander führen. Hierfür sind unterschiedliche Erklärungen angeführt worden, es gibt unter ihnen auch einen normativen Erklärungsstrang welcher besagt, dass ein demokratisches System bestimmte Normen und Erwartungen hinsichtlich der friedlichen Lösung von Konflikten mit anderen Demokratien sowohl in der Bevölkerung als auch unter den politischen EntscheidungsträgerInnen fördere. Da ein demokratisches System Mittel des staatlichen Zwangs nur in sehr zurückhaltender Weise einsetzen kann, wird es auf Dauer nur dann funktionsfähig sein, wenn es auf ein verbreitetes demokratisches Ethos bauen kann, wenn sowohl EntscheidungsträgerInnen als auch BürgerInnen die auf friedlichem Wettbewerb, Kompromiss und Toleranz gründenden demokratischen Verfahrensweisen innerlich akzeptieren. Nach Auffassung der VertreterInnen des Liberalismus gebärden sich liberale Staaten außenpolitisch gegenüber anderen also genauso liberal wie sie sich selbst nach innen gegenüber ihren BürgerInnen verhalten, d.h. sie externalisieren die inneren Werte und Normen auf die internationale Politik. Als außenpolitische Akteure wollen sie die Ordnung des internationalen Systems und die internationale Politik den Werten und Prinzipien ihrer innerstaatlichen Präferenzen und Praktiken entsprechend gestalten.

Demokratische Gesellschaften (bzw. deren Entscheidungseliten) schließen gewissermaßen von sich auf andere Demokratien, neigen also zu der Annahme, dass andere Demokratien sich nicht nur innerstaatlich, sondern auch in ihren auswärtigen Beziehungen friedlicher Mittel der Konfliktlösung bedienen werden. Diese wechselseitigen Erwartungshaltungen werden in aller Regel durch das konkrete Konfliktverhalten der anderen Seite bestätigt. Krieg ist somit im Verhältnis von Demokratien untereinander offenbar kein legitimes Mittel der Politik. Man kann also von einer friedlichen Wertegemeinschaft und aus sicherheitspolitischem Blickwinkel von einer Sicherheitsgemeinschaft unter Demokratien sprechen.

Wenn diese Annahmen zutreffen, ist es unter friedenspolitischen Gesichtspunkten folgerichtig, den demokratischen Gedanken über die Grenzen hinaus zu verbreiten und die Herausbildung demokratischer Regierungsformen in allen Staaten zu unterstützen oder aktiv voranzutreiben. Die Ausbreitung der Demokratie wäre dann moralisch geradezu geboten, denn sie bedeutet Menschenrechtsschutz und Frieden.

Kennt also der Realismus in der Hauptsache nur Feinde und lediglich vorübergehende Verbündete, die der eigenen Sache nutzen, und verhält sich der Institutionalismus weltanschaulich neutral, indem er auf das Kooperationsinteresse rationaler Staaten im Zeitalter der Interdependenz abhebt sowie lediglich die Bedingungen zur Kooperationserleichterung aufzeigt, so trennt der Liberalismus sehr deutlich zwischen dem »Wir« demokratischer Staaten, die liberale Werte repräsentieren, und den »anderen«, potenziell feindlichen Nichtdemokratien.

Vor dem Hintergrund dieser theoretischen Skizze dürfte nun die »neue Ethik« in den internationalen Beziehungen verständlicher werden. Außerhalb der Wertegemeinschaft liberaler Staaten finden sich »unzuverlässige« Regime, die man für die eigene Gemeinschaft aufgrund divergierender Werte nicht für tauglich – wenn auch nicht direkt feindlich – hält (etwa die Türkei mit Hinblick auf eine EU-Migliedschaft), und autoritäre Regime, von den USA als »rogues« bezeichnet, die sich »grundsätzlich« nicht an den Wertekanon liberaler Staaten halten. Die meist katastrophale Menschenrechtssituation in diesen Staaten stellt dabei nur einen, wertemäßig aber sicher den aufgeladensten Aspekt dar. Diese »Paria-Staaten« werden in Verbindung gebracht mit dem Besitz von Massenvernichtungswaffen und ihrer Proliferation, mit der Unterstützung von Terrorismus und der Destabilisierung regionaler Gleichgewichte.

Der Ost-West-Konflikt, zwar auch Ausdruck unterschiedlicher Vorstellungen über gesellschaftliche Ordnungsmodelle, stellte eine Konfrontation zwischen zwei militärisch starken Blöcken dar, die sich machtpolitisch zu balancieren versuchten und keine Intervention in die Angelegenheiten eines Staates des gegnerischen Blocks ohne Eskalationsrisiko zuließen. Wenn innerhalb des eigenen Blocks interveniert wurde, dann nicht aus menschenrechtlichen Motiven, sondern um ein vermeintliches »Abgleiten« zum Gesellschaftssystem des Gegners zu verhindern. In diesem konfrontativen System musste permanent nach Verbündeten gesucht und es konnte nicht immer Rücksicht darauf genommen werden, ob diese Verbündeten sich gegenüber ihren eigenen Bevölkerungen so verhielten wie man es sich – zumindest im Westen – gewünscht hätte. Autoritäre Regime im eigenen Block mussten gegen die »kommunistische« Bedrohung unterstützt werden, ihre Menschenrechtsverletzungen wurden um der großen und ganzen Sache willen häufig übersehen. Sicherheitsdilemma, Machtbalance und Nullsummenspiele (ein Gewinn auf der eigenen Seite stellt immer einen Verlust auf der des Gegners dar) waren die vorherrschenden Kategorien, in denen in der Hochphase des Kalten Krieges gedacht und gehandelt wurde – nicht zufällig war dies auch die Zeit des größten Einflusses des Realismus. Mit der Entspannungspolitik und zunehmenden – auch transnationalen – Interdependenzen gewann der die Aussagen des Realismus abschwächende Institutionalismus an Einfluss, nach dem Ende des Ost-West-Konflikts ist nun der Realismus in erhebliche Erklärungsnöte geraten und muss den Weg freigeben für andere – liberale – Weltdeutungen.

Es kann keinesfalls davon gesprochen werden, dass es seit 1989 eine »neue Grausamkeit« autoritärer Staaten gäbe, die humanitäre Interventionen heute besonders dringlich erscheinen ließe; Grausamkeiten von Staaten – auch an der eigenen Bevölkerung – sind seit 1945 zur Genüge vorgekommen. Es gibt auch nicht mehr Bürgerkriege – die heute dominante Form des Einsatzes militärischer Gewalt – als vor 1989. Auch vor dem Ende des Ost-West-Konflikts hat es also viele Situationen gegeben in denen Interventionen genau so begründet gewesen wären wie heute. Es dürfte aber einleuchten, dass die gewandelte Struktur des internationalen Systems – das Fortfallen der Blockkonfrontation und die Vormacht der westlichen liberalen Staaten, allen voran der USA – nun andere Handlungsmöglichkeiten bietet als zur Zeit des Ost-West-Konflikts. Heute kann ohne ernstes Eskalationsrisiko und aufgrund überlegener Militärtechnologie ohne die Gefahr größerer eigener Verluste in die »inneren Angelegenheiten« fremder Staaten interveniert werden. Waren westliche Staaten schon immer am »Export« ihrer Werte und Regierungsform interessiert, so haben sie heute die Möglichkeit, diese im Notfall auch mit militärischen Mitteln durchzusetzen. Solange dies Legitimität und Haushaltsmittel beschafft, hat auch das Militär, traditionell der »realistischen« Sichtweise zugetan, nichts gegen Interventionen aus humanitären Gründen einzuwenden. Menschenrechtsdurchsetzung hat seit 1989 explizit auch zur Rechtfertigung für Budgetforderungen der Militärs gedient, allerdings nur als ein Aspekt unter anderen »neuen Bedrohungen«.

Davon einmal abgesehen zeigt dies alles, dass die »neue Ethik« in den internationalen Beziehungen, die Zunahme der Bedeutung von Menschrechtsschutz und Demokratisierung, die Verbreitung liberaler Werte zunächst sehr viel mit den geänderten Strukturbedingungen des internationalen Systems zu tun haben. Aus den Beschränkungen des Ost-West-Konflikts entlassen, bieten sich nun viel mehr Handlungsmöglichkeiten für den Westen – unter ihnen auch ethisch orientierte. Man kann sich, salopp formuliert, jetzt mehr Moral leisten und auf ethische Probleme sensibler reagieren. Während die Maßeinheit für eine sicherheitspolitische Katastrophe während des Ost-West-Konflikts Millionen von Tote in einem nuklearen Schlagabtausch oder einen großen konventionellen Krieg in Europa waren – und um dies zu vermeiden, mussten bisweilen kleinere »Opfer« gebracht werden – bedeuten die 1.800 Toten (einschließlich der Kämpfer der UCK und der serbischen Sicherheitskräfte), die 1998 im Kosovo zu beklagen waren, eine für den Westen über das erträgliche Maß hinausgehende menschliche und menschenrechtliche Tragödie. Zum Vergleich: Die Tötung von 300 ZivilistInnen in einer einzigen »Aktion« durch von den USA unterstützte Sicherheitskräfte eines mittelamerikanischen Staates galten der US-Regierung Mitte der 80er Jahre als »non-event«. Im Blick waren, wie gesagt, weniger die Menschen und ihre Leiden als vielmehr die Frage, was dem Systemgegner nutzt oder schadet. Man hat in anderen Gewaltdimensionen gedacht, Kriege waren blutig und verlustreich und fanden vor dem Hintergrund eines totalen Nuklearkrieges statt. Erst mit dem Golfkrieg ist zudem ein Element hinzugetreten, das humanitäre Interventionen wie die im Kosovo erst hat machbar erscheinen lassen: high-tech Kriege ohne große eigene Verluste (und ohne größere Verluste unter der Zivilbevölkerung des Feind-Staates). Seitdem erst scheinen »humane Kriege« zu »ethischen« Zwecken führbar.

Dass bei militärischen Interventionen allein ethische Motive auschlaggebend sein können, ist für viele PolitikerInnen und professionelle BeobachterInnen (aber auch für Teile der Friedensbewegung) offenkundig noch immer schwer nachvollziehbar – zumal dann, wenn sie mit der damit verbundenen Gewaltanwendung nicht einverstanden sind. Sie versuchen in der Regel deshalb hinter solchen Interventionen die »wirklichen« Interessen der intervenierenden Staaten auszumachen, beispielsweise die »strategischen Absichten« der USA hinter der Intervention im Kosovo. Ein rein von ethisch-moralischen Motiven gespeistes Verhalten jedenfalls vermögen sich diese KritikerInnen nicht vorzustellen. Man mag die einzelnen Beweggründe hinter dem Kosovo-Einsatz sehen wie man will, die Lehre von den internationalen Beziehungen, insoweit sie auf die liberale Schule bezug nimmt, schließt solche Motivationen nicht aus und eine wachsende Zahl von ForscherInnen hat in den letzten Jahren in verschiedenen Studien nachzuweisen versucht, dass Staaten sich tatsächlich von moralischen Erwägungen – bisweilen sogar im Widerspruch zu ihren vermeintlichen Interessen – leiten lassen können.

Die Problematisierung von Interessen als ausschließlicher Handlungsorientierung ist weit fortgeschritten in den sogenannten »reflexiven« Ansätzen, die die Rolle von Ideen und Wissen in der Politik beleuchten: Akteure handeln nicht gemäß exogen vorgegebenen Interessen und Präferenzen, sondern sind stets eingebunden in ein Netz intersubjektiver Bedeutungsinhalte, sie agieren normengeleitet und kulturabhängig auf Basis eines sich ständig änderenden Vorrats an »Wissen«. Auch die internationale Gesellschaft wird entsprechend als norm- und regelgeleitet beschrieben, Kooperation entspringt mithin nicht ausschließlich Zweck-Mittel-Kalkülen und ist auch nicht, wie rationalistische Ansätze dies behaupten, aus den Zwängen der anarchischen Struktur des internationalen Systems ableitbar, sondern basiert auf der Grundlage gemeinsamer Werte und des mit diesen Werten verbundenen Verpflichtungsgehalts. Normen dienen auch zur Definition der eigenen Interessen, Veränderungen im moralischen Bewusstsein und im Verständnis über moralische Verpflichtungen können Interessen grundlegend ändern.

Natürlich sind nicht alle Entscheidungen in der Weltpolitik ethisch motiviert und in den meisten Fällen wird es darum gehen, die Balance zwischen Interessen und Werten zu bestimmen, darum, die Bedingungen und die Reichweite herauszuarbeiten, unter denen Normen eine politikgestaltende Kraft gegenüber Machtkalkülen und ökonomischen Zwängen entwickeln können. Bleiben wir beim Beispiel Kosovo: In einigen an der Intervention beteiligten Staaten ist zweifellos eine starke humanitäre Motivation feststellbar, andererseits spielt bei manchen EntscheidungsträgerInnen aber auch das (nachgeordnete) machtpolitische Interesse eine Rolle, mit diesem Konflikt die Legitimität und Alleinzuständigkeit der NATO festzuschreiben. Humanitäre Erwägungen können auch durch die Angst vor einer »schlechten Presse« (wie nach den Morden von Srebrenica) noch verstärkt werden.

Wie dem auch sei: Die humanitären Interventionen der letzten Jahre haben gezeigt, dass unter Führung der liberalen Staaten allmählich die Norm durchgesetzt wird, dass Menschenrechte über staatliche Souveränität zu stellen seien und gegebenenfalls humanitäre Interventionen rechtfertigten. Diese widerspricht vorderhand zwar dem Grundgedanken der UN-Charta, die von souveränen Staaten ausgeht und jegliche Einmischung in die »inneren Angelegenheiten« von Staaten verbietet. Der UNO ging es seit 1945 lediglich um das Verhalten von Staaten untereinander, nicht um ihre innere Verfassung. So hat sie sich lange Zeit für die Durchsetzung von Menschenrechten nicht zuständig erklärt, erst später den verschiedenen Menschenrechtsdeklarationen Foren geschaffen, jedoch immer nicht-interventionistische Einflussformen (Berichtspflicht, Staaten- und Individualbeschwerde) gewählt, durch die Staaten zwar öffentlich angeklagt, keinesfalls aber militärisch sanktioniert werden konnten. Die Haltung der UNO zu humanitären Interventionen hat sich allerdings mit dem Ende des Ost-West-Konflikts geändert, wiederum unter Führung der westlichen Staaten.

Die Diskussion ist nun bereits über die UNO hinweggegangen – wurde bis vor kurzem noch darüber debattiert, ob humanitäre Interventionen überhaupt (also auch mit einem Sicherheitsrats-Beschluss) legitim sein können, dreht sich die Diskussion heute um die Frage, wie humanitäre Interventionen auch ohne SR-Beschluss gerechtfertigt werden können. Diese Entwicklung speist sich aus der großen Bedeutung, die die Menschenrechte für die Identität der westlichen Staatengemeinschaft gewonnen haben. Und sie wirft einige Fragen auf. Die »Entdeckung« der Ethik in den internationalen Beziehungen geht mit einem Bedeutungszuwachs US-amerikanischer Perspektiven einher, dem Siegeszug US-amerikanischer (westlicher) Werte und Handlungsorientierungen. Die Weltpolitik soll von der Willkür autoritärer Staaten weggeführt werden und zu einer Normorientierung nach Maßgabe westlich liberaler Werte hinfinden. Dabei ist gewiss einleuchtend, dass diejenigen Normen, die den Vorstellungen der mächtigsten Staaten entsprechen, sich einfacher etablieren können. Der gegenwärtige »NATO-Humanismus« (Ulrich Beck) setzt eine militärisch-politische Hegemonie der USA voraus, nur sie ist in der Lage, gefahrlos die Souveränitätsrechte fremder Staaten aufzuheben. Dennoch: Atomwaffenbesitzende Staaten haben weiterhin keine militärischen Interventionen zu befürchten und so bleibt die militärische Menschenrechtsdurchsetzung notwendigerweise selektiv. Die Selbstermächtigung, aus moralischen Gründen in die inneren Angelegenheiten von Staaten einzugreifen, läuft zudem stets Gefahr, Kreuzzügen gegen missliebige Staaten Vorschub zu leisten.

Als Antwort auf die Frage, wie ein »ethisches« internationales System aussehen könnte, scheint es für eine Vielzahl von PolitikerInnen auszureichen, die Zahl der Demokratien stetig zu mehren und die der »rogues« zu vermindern, um zu einer »neuen Weltordnung« und damit zu einer friedlicheren Welt zu gelangen. Es muss allerdings die Frage gestattet sein, ob eine ethisch zu nennende internationale Politik nicht auch »globale Werte«, also Umweltschutz, eine weltweit gleichere Verteilung von Ressourcen und Lebenschancen als normative Perspektive einschließen sollte. Die globalen Herausforderungen mahnen eindringlich eine gemeinsame Handlungsbereitschaft und solidarische Verhaltensnormen an. Die Propagierung solcher Normen liegt heute eher bei den transnationalen, nicht-gouvernementalen Organisationen, die die Staaten erst zur Entwicklung und Einhaltung solcher Normen anzuhalten versuchen. Bei der Schaffung einer (militärisch) gestützten »neuen Weltordnung« aus rechtstreuen Staaten trauen sich vor allem die USA viel Gestaltungskraft zu; wenn es um wirkliche »Globalpolitik« geht, verstecken sie sich dagegen gern hinter allen denkbaren »Sachzwängen«.

Aus einer solchen übergeordneten Perspektive greifen auch die gegenwärtig praktizierten humanitären Interventionen zu kurz. Sie zielen auf Symptombekämpfung und gehen der Ursachenanalyse aus dem Weg. Sie setzen auf »rule enforcement« – die Durchsetzung einer bestimmten ordnungspolitischen Konzeption – und zu wenig auf präventive Stabilisierung. Die Verteilung der Haushaltsmittel in den westlichen Staaten für militärische und für Zwecke der stabilisierenden Auslandshilfe sprechen hier eine deutliche Sprache.

Bei einer konsequenten Weiterentwicklung des liberalen Ansatzes müssten die dominierenden westlichen Länder zu der Einsicht gelangen, dass humanitäre Interventionen sich zwar in Einzelfällen rechtfertigen lassen, sie aber nur auf einen Teilaspekt eines an normativen Kriterien orientierten internationalen Systems zielen. Werden solche Interventionen zum gängigen Verhaltensrepertoire der westlichen Staaten, dann weist dies zudem deutlich auf falsche übergeordnete (»globale«) Weichenstellungen hin.

Literatur:

Judith Goldstein/Robert O. Keohane (eds): Ideas and Foreign Policy. Ithaca/London 1993

Marcus Jachtenfuchs: Ideen und internationale Beziehungen; in: Zeitschrift für Internationale Beziehungen, Heft 2, 1995, S. 417-442

Beate Jahn: Humanitäre Intervention und das Selbstbestimmungsrecht der Völker. Eine theoretische Diskussion und ihre historischen Hintergründe; in: Politische Vierteljahresschrift, Heft 4, 1993, S. 567-587

Martin Kahl/Ulrich Teusch: Zur Bedeutung interner Verfasstheit für das auswärtige Verhalten von Staaten; in: Carlo Masala/Ralf Roloff (Hg): Herausforderungen der Realpolitik, Köln 1998, S. 227-268

Peter J. Katzenstein (ed.): The Culture of National Security: Norms and Identity in World Politics. New York 1996

Gregory A. Raymond: Problems and Prospects in the Study of International Norms; in: Mershon International Studies Review, 41, 1997, S. 205-245

Frank Schimmelfennig: Internationale Sozialisation neuer Staaten. Heuristische Überlegungen zu einem Forschungsdesiderat; in: Zeitschrift für Internationale Beziehungen, Heft 2, 1994, S. 335-355.

Anmerkung:

Ich danke Dr. Ulrich Teusch, Universität Trier, für Anregungen und Kommentare

Dr. Martin Kahl ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Politikwissenschaft der Universität des Saarlandes.

Weltraumnutzung und Ethik

Weltraumnutzung und Ethik

Ein Tagungsthema macht Schlagzeilen

von Regina Hagen und Jürgen Scheffran

Fast ein Jahr dauerten die Vorbereitungen zu der Tagung »Weltraumnutzung und Ethik. Kriterien zur Beurteilung zukünftiger Weltraumprojekte«, die vom 3.-5. März an der Technischen Universität Darmstadt stattfand. Den VeranstalterInnen war bewusst, dass eine Reihe von Weltraumprogrammen in der Gesellschaft kontrovers diskutiert werden – besonders die Frage nach deren Sinn und Kosten und dass der Weltraumtechnologie eine ambivalente, d.h. eine zivile wie auch militärische Rolle zukommt. Wie aktuell die Themenstellung aber tatsächlich werden sollte, das konnten die VeranstalterInnen vorab nicht ahnen: Ein Gesetz des US-Kongresses zum Aufbau eines Raketenabwehrsystems, der massive Einsatz von Weltraumtechnologie durch die NATO im Jugoslawienkrieg, die Nöte der Bundesforschungsministerin bei der Finanzierung der Weltraumforschung – diese Ereignisse machten während und kurz nach der Tagung Schlagzeilen in den deutschen Medien. Weitere Brisanz erhielt die Tagung durch kurzfristige Absagen von Mitarbeitern der deutschen und europäischen Raumfahrtagenturen.

„Wir können die Nutzung der Weltraumtechniken aus unserem Alltagsleben nicht mehr wegdenken. Bewusst oder unbewusst profitiert jeder Fernsehzuschauer, jeder Internetsurfer und Telefonierer so wie jeder, der den Wetterbericht in der Zeitung liest, von dieser modernen Technik. … Die Weltraumtechnik ist lebensnotwendig geworden. Das ist die eine Seite. Auf der anderen Seite trägt sie dazu bei, effizientere militärische Einsätze zu ermöglichen, häufig unter Nutzung der gleichen Techniken und Geräte, die dem zivilen Leben dienen. … Darüber hinaus werden neue weltraumgestützte Verteidigungs- und Angriffssysteme – mit hohem finanziellen Einsatz und ohne öffentliche Debatte – entwickelt. Mit der Zunahme der Weltraumaktivitäten gewinnt die Frage nach den mit ihnen verbunden Risiken an Gewicht…“

Mit diesen Worten sprach in der Eröffnungsrede der Theologe und Sozialethiker Wolfgang Bender bereits die wesentlichen Themen an: Nutzen und Risiken sowie zivile und militärische Einsatzmöglichkeiten der Weltraumtechnologie, Sinnhaftigkeit der bemannten Weltraumforschung und der Besiedelung des Weltraums, aber auch die Zukunft von Weltraumforschung und politik sollten sich an der Messlatte (ethischer) Kriterien messen lassen.1

Um damit verbundene Fragen zu diskutieren, waren etwa achtzig ReferentInnen und TeilnehmerInnen aus Wissenschaft, Weltraumforschung, Militär und der Friedensbewegung erschienen, aus Ländern wie den USA, England, Russland, Rumänien, Usbekistan und Indien. Die verschiedene Herkunft wie auch der unterschiedliche Diskussionsstil von Fachleuten einerseits und FriedensaktivistInnen andererseits erbrachten ein breites Spektrum von Perspektiven und forderten von allen TagungsteilnehmerInnen ein hohes Maß an Toleranz, Lern- und Kommunikationsfähigkeit. Der interdisziplinäre Diskurs zwischen Natur- und GeisteswissenschaftlerInnen, kritischen Laien und MilitärexpertInnen sowie VertreterInnen der Politik sollte zum Abbau von Barrieren beitragen, ohne dem Streit aus dem Wege zu gehen. Dass bereits im Vorfeld der Tagung der Streitaspekt im Vordergrund stand, war zurückzuführen auf die Absagen sämtlicher Mitarbeiter der Europäischen Weltraumagentur (ESA) und des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt e.V. (DLR) kurz vor Tagungsbeginn, die wegen ausbleibender Dienstreiseerlaubnisse ihre bereits gegebenen Zusagen zurückzogen. Es wurde vermutet, dass angesichts der aktuellen Auseinandersetzungen zwischen ESA-Spitze und Forschungsministerium über die Höhe des Raumfahrtetats eine kritische öffentliche Auseinandersetzung über Grundsätze und Kriterien von Weltraumprojekten nicht opportun erschien.2

Kriterien für die Weltraumforschung
und -nutzung

Der erste Tagungsabend war der Vorstellung verschiedener Kriteriensätze für die Bewertung von Weltraumprojekten gewidmet. Zum Auftakt stellte Wolfgang Bender von IANUS ethische Kriterien zur prospektiven und problemorientierten Bewertung von Weltraumtechnologie vor. Er wies darauf hin, dass während des Kalten Krieges zwischen den USA und der UdSSR die Raumfahrt vor allem durch politische Macht- und Prestigeerwägungen bestimmt wurde und daher erst recht spät überhaupt eine Bewertungsdebatte über die Raumfahrt einsetzte. Angemessenheit von Mittel und Ziel, Funktionsfähigkeit, Sicherheit und Wirtschaftlichkeit der eingesetzten Technologie, Orientierung an humanen, sozialen, umwelt- und zukunftsrelevanten Fragestellungen, Offenlegung (nicht beabsichtigter) negativer Folgen und Güterabwägung im Konfliktfall waren Stichworte des ethisch ausgerichteten Vortrags.

Ergänzt wurden seine Ausführungen von Jürgen Scheffran (IANUS), der ausgehend von einer mehr technischen Betrachtung seinen Schwerpunkt auf Kriterien für eine friedliche und nachhaltige Nutzung des Weltraums legte. Um den Einsatz von Weltraumtechnologie beurteilen und eine ausreichende Akzeptanz sichern zu können, müsse die Frage nach Kosten und Ressourcen, Zielen und Nutzen, aber auch nach unerwünschten Folgen und Risiken gestellt werden. Entscheidend sei im 21. Jahrhundert der Beitrag der Raumfahrt für die nachhaltige Konflikt- und Problemlösung auf der Erde. In diesem Zusammenhang schlug er acht konkrete Beurteilungskriterien vor:

  • Die Gefahr einer folgenschweren Katastrophe muss ausgeschlossen sein.
  • Militärische Nutzung, Waffenverbreitung und gewaltsame Konflikte sollen vermieden werden.
  • Negative Auswirkungen auf Gesundheit und Umwelt sind zu minimieren.
  • Die wissenschaftlich-technische Qualität, Funktionalität und Zuverlässigkeit der eingesetzten Technologie muss gewährleistet sein.
  • Das Projekt sollte zur Lösung von Problemen und zur nachhaltigen und zeitgerechten Bedürfnisbefriedigung beitragen.
  • Es ist die Alternative mit dem besten Nutzen-Kosten-Verhältnis zu wählen.
  • Die soziale Verträglichkeit und die Förderung von Kooperation sind sicherzustellen.
  • Das Projekt muss in einer öffentlichen Debatte gerechtfertigt werden, unter Einschluss der davon Betroffenen.

Der Physiker und Systemingenieur Hartmut Sax, Professor an der Universität Ingolstadt, konzentrierte sich auf die Schwierigkeit, der Ambivalenz von Weltraumtechnologie gerecht zu werden. Als Mitautor der SAPHIR-Studie, die die Verantwortbarkeit der bemannten Raumfahrt untersuchte, setzte er bei der normativen Technikfolgenbeurteilung an, bei der die Handlung in Bezug zu ihrem Zweck zu setzen sei. Die Diskrepanz zwischen erwünschten Folgen und (eventuell unerwünschten) Wirkungen sowie zwischen dem beabsichtigten Konstrukteurszweck und dem tatsächlich erzielten Anwenderzweck müsse untersucht und beurteilt werden.

Ließen sich Weltraummissionen ganz allgemein mit globalen, nationalen und kulturellen Gründen rechtfertigen, so dürften Aspekte wie die zivil-militärische Ambivalenz (Beispiel Navigationssatelliten) oder die Verwendung von Ergebnissen der Satellitenfernerkundung (die auch zum Nachteil eines Beteiligten eingesetzt werden könnten) nicht ignoriert werden.

Ruben Apressyan, Professor am Institut für Philosphie der Russischen Akademie der Wissenschaft, trug seine Gedanken über ethische Kriterien für die Weltraumnutzung aus russischer Sicht vor. In Moskau sei die sogenannte Heldenallee mit Büsten der sowjetischen Kosmonauten markiert. Da diese – wie auch in den USA – überwiegend aus den Reihen der Luftwaffe kamen und in Militäruniform festgehalten wurden, entstehe fast zwangsläufig der Eindruck, dass hier die sowjetische Raketenstreitmacht verherrlicht werde. Er nannte diese Wirkung tragisch, erfülle sich mit dem Durchbruch in den Weltraum für die meisten Menschen doch der alte Traum, die Schwerkraft hinter sich zu lassen und den Sternen näher zu kommen. Der Weltraum, dessen russische Bedeutung »Kosmos« das Universum als geordnetes Ganzes bezeichnet, verkörpere Integrität (im Sinne des griechischen »polis«) und solle daher als Aktionsfeld für Repräsentanten der gesamten Menschheit bewahrt und nicht nationalen oder privaten Interessen unterworfen werden.

Nutzung von Kernenergie
im Weltraum

Spätestens seit im Sommer und Herbst 1997 zahlreiche Friedens- und Umweltgruppen öffentlichkeitswirksam gegen den Start der Saturnsonde Cassini/Huygens protestierten, die für die Energieversorgung der Bordinstrumente 32,8 kg Plutonium 238 mitführt, wird die Nutzung von Kernenergie im Weltraum auch in Wissenschaftlerkreisen debattiert.

Göstar Klingelhöfer, der am Institut für Kernphysik der TU Darmstadt am »Mars Surveyor«-Programm mitarbeitet, erläuterte in nachvollziehbaren Schritten, wie und warum die ursprüngliche Entscheidung, das Marsprojekt mit Plutoniumgeneratoren auszustatten, trotz erheblicher technischer Schwierigkeiten zugunsten von Solartechnik revidiert wurde.

Roland Wolff, Medizinphysiker am Kreiskrankenhaus Lüdenscheid, befasste sich mit den medizinischen Aspekten der Nutzung von Plutonium 238, das beim Verglühen infolge eines unbeabsichtigten Wiedereintritts in die Erdatmosphäre eine hohe gesundheitliche Gefährdung der gesamten Menschheit mit sich bringen würde.

Der Physiker Kai Petzke von der TU Berlin zeigte in seinem Referat die Vor- und Nachteile der verfügbaren Möglichkeiten zur Energieversorgung für tiefe Weltraummissionen auf. In einer umfassenden Abwägung, die Solartechnologie, Plutoniumgeneratoren und Uranreaktoren einbezog, kam er zu dem Schluss: Plutoniumgeneratoren seien technisch vielleicht die optimale Lösung, bergen aber inakzeptable Risiken in sich. Uranreaktoren seien eine relativ störanfällige, bei einem Unfall aber wesentlich ungefährlichere Alternative. Solartechnologie sei ungefährlich, berge aber ein hohes Ausfallrisiko und könne bei Missionen in sehr großer Entfernung zur Sonne nicht eingesetzt werden.

Die Kritiker von Plutoniummissionen verweisen auf Pläne der US-Raumfahrtbehörde NASA, in den nächsten Jahren acht weitere Missionen mit Plutoniumgeneratoren zu starten.3 Auch der neue, als technologisch besonders innovativ gepriesene Ionen-Antrieb kann aufgrund des hohen Strombedarfs im tiefen Weltraum nur nuklear betrieben werden.4 Das US-Energieministerium (DoE) gab über das Federal Register im Oktober 1998 bekannt, dass das erforderliche Nuklearmaterial entweder von Russland gekauft oder aber extra hergestellt werden müsse. Konkret müssten die USA dann die Herstellung von Plutonium 238 wiederaufnehmen.5 Ebenfalls in Arbeit sind die sogenannten AMTEC-Generatoren (alkali metal thermal to electrical conversion), die kleiner sind als die bisher verwendeten Radioisotopen-Generatoren wie sie beispielsweise bei der Cassini/Huygens-Mission zum Einsatz kommen.6

Die Cassini-Kritiker registrierten in den letzten Monaten eine Pechsträhne der US Air Force. Drei Mal hintereinander schlugen Starts militärischer Satelliten fehl, die vom Raketentyp Titan IV mit einer Centaur-Stufe in den Weltraum gebracht wurden dem Modell, das auch Cassini in den Weltraum trug.

Raketenabwehr

„Weil uns die Veranstalter in Zusammenhang mit Militärsatelliten gebracht haben und sehr voreingenommen sind“, verweigerte die Europäische Weltraumagentur (ESA) ihren als Referenten eingeladenen Mitarbeitern die Dienstreisegenehmigung zu der Darmstädter Tagung. Als Folge dieses Rückzugs wurde der Themenschwerpunkt Raketenabwehr ins Programm aufgenommen. Dafür gab es triftige Gründe:

Am 10. März 1999 billigte der US-Kongress in Washington ein Gesetz, das den Aufbau eines Raketenabwehrsystems zulässt. Dafür sollen in den nächsten Jahren knapp 7 Mrd. US-Dollar zur Verfügung gestellt werden. Die Aufstellung von boden- und seegestützten Abfangsystemen soll mit logistischer Unterstützung aus dem Weltraum das Territorium der USA vor der Bedrohung durch ballistische Raketen schützen (National Missile Defense, NMD). Aber auch für die in anderen Erdteilen (Pazifik, Nahost, Nordostasien) stationierten Streitkräfte der USA sind entsprechende Schutzsysteme geplant (Theater Missile Defense, TMD).

Neben Russland zeigt sich vor allem China sehr besorgt über die Ankündigung der USA, eine nationale Raketenabwehr aufzubauen und auch in Taiwan und Japan zu stationieren. China sieht sich sofern diese Pläne realisiert werden im Zugzwang, die (verglichen mit den USA geringe) Anzahl von Kernwaffen deutlich zu erhöhen. Die Umsetzung des Long Range Plan des USSPACECOM7 könnte die Chinesen veranlassen, ihre militärischen Aktivitäten ebenfalls in den Weltraum auszudehnen.

Bernd Kubbig von der Hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung und Götz Neuneck vom Hamburger Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik beleuchteten die aktuelle Debatte zur Raketenabwehr8 und die Gefahren für den ABM-Vertrag9.

Satellitenfernerkundung

Ganz im Sinne ihrer Satzung wies die ESA zur Rechtfertigung ihrer Tagungsabsage darauf hin, dass ihre Projekte ausschließlich zivilen Charakter hätten. Allerdings wird eine Ausweitung ihres Programms als Option nicht ausgeschlossen. „Die Europäer müssten ihre eigenen Fernmelde- und Forschungssatelliten … vermehrt auf militärische Nutzungsmöglichkeiten hin testen“, ließ Peter Creola, Vorsitzender des ESA-Strategiekomitees, Ende April 1999 verlauten.10 Das Komitee empfiehlt die Aufstockung des ESA-Etats, da „wie das US-Beispiel zeige, Raumfahrt zunehmend zu einem integralen Bestandteil politischer, wirtschaftlicher und militärischer Führung werde.“11

Als Beleg führt das Space Command der USA den Kosovo-Krieg an: „Das US-Weltraumkommando leistet substanzielle Weltraumunterstützung der NATO-Operationen im Kosovo. Ein teilstreitkräfte-übergreifendes Unterstützungsteam des US-Weltraumkommandos berät vor Ort die US-amerikanischen und alliierten Kämpfer in Europa und koordiniert den optimalen Einsatz der US-amerikanischen Weltraumtechnik. Die Weltraumoperationen erhöhen durch die Kontrolle von Satelliten die Raketenwarnungs-, Kommunikations-, Wetter-, Navigations- und Aufklärungsfähigkeiten.“12 Ob Kampfflugzeuge oder unbemannte Drohnen, ob Marschflugkörper oder lasergelenkte »Präzisionswaffen«, ob Aufklärungsmission oder Kampfeinsatz – die Luftstreitkräfte der NATO sind auf die Daten der US-militärischen GPS- (Global Positioning System) Satelliten, die Daten der (zivilen) Wettersatelliten und die Aufklärungsfotos der Fernerkundungssatelliten angewiesen.

Durch ihr Fernbleiben vergaben ESA und DLR die Chance, die Vorteile und den zivilen Nutzenwert der Fernerkundungssatelliten darzulegen. So blieb es Dieter Engels vom Observatorium der Universität Hamburg vorbehalten, sich kritisch mit der zivil-militärischen Doppelverwendbarkeit (Dual Use) von Aufklärungsdaten auseinanderzusetzen und sie in den historischen Kontext einzuordnen. Die von Politikern immer wieder eingeforderte Notwendigkeit eigenständiger militärischer Aufklärungskapazitäten Europas im Weltraum sei nicht zu rechtfertigen, da bereits die im zivilen Bereich vorhandenen und derzeit entwickelten Beobachtungssatelliten hinreichend leistungsfähig sind, um sinnvolle Aufgaben der Krisenbeobachtung und Überprüfung von Rüstungskontrollabkommen zu bewältigen.

Bemannte Weltraumfahrt

Der Frage, ob die bemannte Weltraumfahrt sinnlos oder ein Schlüssel zur Zukunft sei, wurde am Beispiel der Internationalen Weltraumstation (ISS) beleuchtet. Wolfgang Engelhardt, Ingenieur, Journalist und Herausgeber von Raumfahrt-Wirtschaft, Informationsdienst für Politik, Industrie + Forschung, hatte für die Tagung das Skript »Kleine Raumfahrt-Philosophie für große Erkenntnis-Sprünge« eingereicht. Statt dieses mehr philosophisch orientierten Beitrags referierte er einen Text mit dem Titel »Mensch und Weltraum. So wird die Raumstation aufgebaut«, der die technischen Daten der ISS beschrieb.

Seine Bewertung der Darmstädter Tagung in seiner eigenen Zeitschrift lässt eine gewisse Verärgerung darüber erkennen, durch das Wegbleiben seiner Kollegen, von dem er wohl erst auf der Tagung erfuhr, fast alleine der Kritik ausgesetzt worden zu sein: „Angesichts der politischen und militärischen Entspannung nach der Wende im Osten suchen die Friedenskämpfer unseres Landes nun ein neues Feinbild und das meinen sie auch in der Raumfahrt, vor allem bei der Internationalen Raumstation, gefunden zu haben. Dabei wird die Notwendigkeit von Menschen in der Erdumlaufbahn grundsätzlich bezweifelt und hinter allen neuen Satellitenprojekten werden zunächst militärische Geheimabsichten vermutet.“13

Der Soziologe und Weltraumexperte Johannes Weyer, Dozent an der Universität Bielefeld, gab in seinem Referat einen kurzen Überblick über die Geschichte bemannter Weltraumstationen, deren Nutzung für »Zwecke der nationalen Sicherheit« sich die USA wie Russland immer vorbehalten hätten. Weyer präsentierte als Schlussfolgerung die Aussage, dass bemannte Raumfahrt nur noch deshalb verfolgt würde, weil die Industrie ihre Projekte als Beitrag zum technologischen Fortschritt und zur wirtschaftlichen Entwicklung gut verkaufe und PolitikerInnen sich gerne im Glanz spektakulärer und erfolgreicher Weltraummissionen sonnten. Die zu erwartenden Ergebnisse der Forschung rechtfertigen die immensen Kosten alleine nicht.

Konflikt und internationale Kontrolle im Weltraum

Die Podiumsdiskussion »Wer kontrolliert den Weltraum?« war der Höhepunkt der Konferenz. Unter der Leitung von Götz Neuneck diskutierten Oberst Klaus Arnold vom deutschen Verteidigungsministerium, R. Balasubramaniam von der indischen Botschaft in Bonn, Lieutenant Colonel Brad Duty vom US-Weltraumkommando (US Space Command) in Europa und Karl Grossmann, Professor an der State University in New York. Der Vertreter Indiens stellte das durch internationale Verträge gesetzte Ziel der friedlichen Weltraumnutzung in den Mittelpunkt seiner Ausführungen und verlangte Richtlinien für eine gerechte und gemeinsame Nutzung der Weltraumressourcen, um die bisherige Praxis nach dem Motto »Wer zuerst kommt, mahlt zuerst« zu korrigieren. Die scharfe Debatte zwischen den beiden US-amerikanischen Teilnehmern entzündete sich an der von der US-Regierung propagierten »Dominanz im Weltraum«. Während Karl Grossman sich für eine Entmilitarisierung des Weltraums einsetzte, verteidigte Brad Duty die Weltraumpolitik der USA als eine Pflicht der einzigen Macht, die zur Zeit in der Lage sei, die Ordnung im Weltraum zu gewährleisten. Klaus Arnold setzte sich für die Beibehaltung und Verwirklichung des Vertrages über das Verbot von Raketenabwehrsystemen (ABM-Vertrag) ein, der durch die neuere US-amerikanische Politik gefährdet ist.

Weltraum und Völkerrecht

Nicht als Vereinbarung einzelner Staaten wie der ABM-Vertrag, sondern im Rahmen des Völkerrechts wurden in den vergangenen Jahrzehnten etliche internationale Verträge abgeschlossen, die sich mit dem Weltraum befassen. Kernstück des weltraumbezogenen Völkerrechts ist der Weltraumvertrag von 1967.

Dieser hält in Art. 1 fest, dass die Erforschung und Nutzung des Weltraums zum Vorteil und im Interesse aller Länder erfolgen muss. Art. 4 bestimmt außerdem, dass der Weltraum nur für friedliche Zwecke verwendet werden darf. Wie Hans-Joachim Heintze vom Institut für Friedenssicherung und Humanitäres Völkerrecht der Bochumer Ruhr-Universität in seinem Vortrag darlegte, besteht ein Problem bei der Interpretation des Weltraumvertrags darin, dass es im Völkerrecht keine Definition des Begriffs »friedlich« gebe. Daher definiert das Weltraumrecht die friedliche Nutzung lediglich über Nutzungsverbote, z.B. dass keine Kern- oder andere Waffenvernichtungswaffen in eine Erdumlaufbahn gebracht werden dürfen. Die friedliche Nutzung gemäß dem Weltraumvertrag schließe also die Nutzung für militärische Zwecke gerade nicht aus.

Heintze kam zu dem ernüchternden Schluss, dass es offensichtlich auch nach dem Ende des Kalten Krieges nicht möglich sei, ein international gültiges Abkommen abzuschließen, mit dem die militärische Nutzung des Weltraums eingedämmt wird. Besonders problematisch sei die Monopolstellung der USA, die über bessere Informationen über Konfliktsituationen verfüge als der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen und diese geheim halte.

Forderungen für eine künftige Weltraumpolitik

Regina Hagen, Vorstandsmitglied im Global Network Against Weapons and Nuclear Power in Space formulierte zum Abschluss der Tagung Forderungen für eine künftige Weltraumforschung und -politik. Dazu gehöre, dass geplante Weltraumvorhaben einem öffentlichen Diskurs zu unterwerfen seien. Die BürgerInnen hätten das Recht, vollständig und in für sie verständlicher Form darüber informiert zu werden, welche Vorhaben die Regierung mit den Steuergeldern unterstützen wolle. Nur so sei es möglich, einen gesellschaftlichen Konsens über Weltraumvorhaben zu erzielen. Dabei schloss sie keineswegs aus, dass sich ein reiches Land wie die Bundesrepublik auch den »Luxus« interessanter Weltraummissionen leisten könne.

Und manchmal kommt es anders…

Bei den Nachforschungen, was ESA und DLR zu ihrem „im wissenschaftlichen Bereich völlig ungewöhnlich(en)“ (Wolfgang Bender in seiner Begrüßungsrede) Verhalten veranlasst haben könnte, stießen die Veranstalter darauf, dass die ESA eine Erhöhung des bundesdeutschen Budgetanteils von momentan 970 Mio. DM auf 1,6 Mrd. DM im Jahr 2003 forderte – eine Steigerung von 60%. Die Gelder waren u.a. für die Entwicklung eines eigenen europäischen Satellitennavigationssystems, aber auch für den Aufbau und Betrieb der Internationalen Weltraumstation (ISS), die Weiterentwicklung der Rakete Ariane V, das Erdbeobachtungsprogramm »Living Planet«, die Mikrogravitationsforschung, ein Telekommunikationsprogramm und die Entwicklung eines neuen Trägersystems vorgesehen.

Eine Anregung von Andreas Schlossarek aufgreifend formulierten im Anschluss an die Darmstädter Tagung fünf Initativgruppen einen Aufruf an die deutsche Forschungsministerin Bulmahn, bei der ESA-Ministerratstagung Mitte Mai nicht der eingeforderten Erhöhung der Bundeszuschüsse zuzustimmen (siehe blaue Seiten).

Anmerkungen

1) Die Tagung wurde veranstaltet von der Interdisziplinären Arbeitsgruppe Naturwissenschaft, Technik und Sicherheit (IANUS) der TU Darmstadt in Zusammenarbeit mit: Institut für Theologie und Sozialethik der TU Darmstadt, NaturwissenschaftlerInnen-Initiative, International Network of Engineers and Scientists Against Proliferation (INESAP), Darmstädter Friedensforum, Friedens- und Begegnungsstätte Mutlangen, Global Network Against Weapons and Nuclear Power in Space.

2) Wolfgang Schlupp-Hauck: Raumfahrtexperten drücken sich vor Debatte, taz vom 5. März 1999.

3) NASA (April 1998): Future NASA Spacecraft: Solar Arrays, Batteries, and Radioisotope Power and Heating Systems, Fact Sheet.

4) Roland H. Knauer: Mit geringem Schub zu den Sternen, Darmstädter Echo vom 20. Februar 1999.

5) Federal Register Vol. 63, No. 192 vom 5. Oktober 1998 und Federal Register Vol. 63, No. 213 vom 4. November 1998.

6) Firmeninformationen im Internet unter http://www.ampsys.com. Siehe auch Tom Henderson: Ann Arbor firm aims for Pluto, The Detroit News, 29. Oktober 1998.

7) US Space Command (März 1998): Long Range Plan. Implementing USSPACECOM Vision for 2020, Peterson Air Force Base, Colorado/USA.

8) siehe Artikel von Götz Neuneck in dieser Ausgabe von W&F.

9) siehe gekürzte Fassung des Referats von Bernd Kubbig: Der ABM-Vertrag soll »auf dem Müllhaufen der Geschichte« landen, Frankfurter Rundschau vom 5. März 1999.

10) Stefan Brändle: Die Zukunft wartet nicht auf die Langsamen, Frankfurter Rundschau vom 24.4.1999.

11) Warten auf den Befreiungssschlag, VDI nachrichtenvom 30.4.1999.

12) US Space Command Supports Kosovo Operation, Presseerklärung des US Space Command vom 24. März 1999.

13) Wolfgang Engelhard: Raumfahrt-Kritiker irren sich, Raumfahrt-Wirtschaft Nr. 6/99 vom 15. März 1999.

Regina Hagen, Technische Übersetzerin, ist Vorstandsmitglied des Global Network Against Weapons and Nuclear Power in Space und arbeitet im Darmstädter Friedensforum mit.
Jürgen Scheffran ist Wissenschaftlicher Assistent in der interdisziplinären Forschergruppe IANUS an der TU Darmstadt.

Solidarität mit Gewissenstätern

Solidarität mit Gewissenstätern

Zur Arbeit der Ethikschutz-Initiative

von Günter Emde

Angesichts der Risiken, die von technischen Errungenschaften ausgehen, stellt sich immer wieder die Frage: Warum ist es nicht möglich, sich auf kommende technische Neuerungen besser vorzubereiten, sie sorgfältig zu diskutieren und abzuwägen hinsichtlich ihrer Folgewirkungen auf die Gesundheit der Benutzer, auf die Natur, auf die geistige Entwicklung unserer Kinder, auf die Lebensbedingungen künftiger Generationen usw. usw. Die Rechtsgrundsätze unseres Wirtschaftssytems begünstigen es stattdessen, daß neue Produkte unter dem Gesichtspunkt hoher Gewinnerwartung konzipiert und entwickelt werden, ohne daß die betroffenen Bürger in die Diskussion einbezogen werden. Kein Wunder, daß sich Mißtrauen und Verdrossenheit gegen alle Obrigkeit ausbreitet.

In den Betrieben, in denen die Neuerungen entworfen werden, sieht es anders aus. Der Brotgeber hat das Sagen, er erwartet Treue und Verschwiegenheit, um den Geschäftserfolg der eigenen Firma zu sichern. Abweichler haben es in dieser Atmosphäre schwer. Sie müssen mit Repressalien rechnen, wenn sie eine bedenkliche Neuentwicklung oder einen Mißstand an die Öffentlichkeit bringen oder die Mitarbeit an einem Projekt verweigern, daß sie mit ihrem Gewissen nicht vereinbaren können.

Dabei ist die Rechtslage in Deutschland besser als gemeinhin angenommen wird. Das Grundgesetz gibt Rückendeckung zur Verweigerung aus Gewissensgründen, nicht nur im militärischen Dienst, sondern auch für Angestellte in der Industrie. Jedoch muß ein Verweigerer dann mit Kündigung rechnen, wenn sich ein anderer geeigneter Arbeitsplatz innerhalb des Unternehmens nicht finden läßt. Nicht so klar ist die Situation, wenn Betriebsgeheimnisse, Gesetzesverstöße oder Mißstände angezeigt oder sonstwie »unerlaubt« an die Öffentlichkeit gebracht werden. Die Treuepflicht gegenüber dem Arbeitgeber ist hier gegen das berechtigte Interesse der Allgemeinheit abzuwägen. Über diese Problematik ist kürzlich ein knappgefaßtes Büchlein herausgekommen: U. Wendeling-Schröder/G. Emde/U. Laufs: „Wenn das Gewissen NEIN sagt. Ethisch handeln in der abhängigen Arbeit. Ein Ratgeber in Konfliktfällen“ [Emde Verlag, Pittenhart, 1996, DM 8,80]. Die Broschüre gibt anhand von Beispielen einen Überblick über die Rechtssituation auf diesem Gebiet in Deutschland, ergänzt um Empfehlungen für Betroffene.

Wie ist die Situation in anderen Ländern?

Die Schicksale von einigen herausragenden Gewissenstätern sind bekannt: Mirzayanow, der die international geächtete Entwicklung höchstgiftiger Waffengase in Rußland an die Öffentlichkeit brachte, und Nikitin, der auf die Gefahren der atomaren Verseuchung des Nordmeers durch militärische Altlasten hinwies. Diese Männer wurden von den Sicherheitskräften ihres Staates ins Gefängnis gebracht, ja mit dem Todesurteil bedroht. Solche Verfahrensweisen können aber nicht einfach als Überbleibsel aus einer Zeit staatlicher Willkür angesehen werden. Das Schicksal von Vanunu, der die geheime Entwicklung einer israelischen Atombombe verriet, belehrt uns, daß Ausschreitungen gegen ethisch motivierte Dissidenten auch in demokratisch regierten Ländern vorkommen.

Auch aus den USA und aus Deutschland gibt es Beispiele, nachzulesen in den beiden folgenden Büchern: Stephen H. Unger: „Controlling Technology, Ethics and the Responsible Engineer“ [John Wiley & Sons, New York, 1994]; Antje Bultmann/Naturwissenschaftler-Initiative / DGB-Angestelltensekretariat: „Auf der Abschußliste – Wie kritische Wissenschaftler mundtot gemacht werden“ [Knaur, München 1997, i. V.]

In den USA ist die Problematik immerhin seit den siebziger Jahren als Aufgabenstellung erkannt, und zwar nicht nur bei ethisch orientierten Vereinigungen und berufsständischen Institutionen, sondern auch beim Gesetzgeber. Man spricht hier von einem »Whistleblower«, wenn jemand aus Verantwortung für das Gemeinwohl einen Mißstand bei der zuständigen Behörde oder sonstwie öffentlich bekannt macht. Inzwischen gibt es »Whistleblower Protection Clauses« in den grundlegenden Umweltschutzgesetzen; damit kann der Arbeitgeber bei Verstößen zum Schadensersatz und zur Rehabilitierung des Whistleblowers gezwungen werden. 1988 wurde der erste »Whistleblower Protection Act« für den militärischen Bereich erlassen, der sich jedoch in der Folgezeit als verbesserungsbedürftig erwies.

Besonders nachhaltig haben sich in den USA die berufsständischen Vereinigungen der Whistleblower-Problematik angenommen. Die bekannte Ingenieurvereinigung IEEE (der weltweit größte Ingenieurverein überhaupt mit 350.000 Mitgliedern) hat einen »Methodenkasten« zur Unterstützung von Whistleblowern entwickelt. Er umfaßt: einen vorbildlichen Ethikkodex als Richtschnur und als Hilfe in Rechtsstreiten, ein Ethikkomitee als Ansprechstelle für ethische Fragen, ein erprobtes Verfahren zur Aussonderung von Querulanten und zur fachlichen Beurteilung von echten Whistleblowerfällen, Verwendung der Ergebnisse in Gerichtsverfahren oder Veröffentlichungen, Verleihung von Preisen für herausragenden Einsatz zum Wohle der Allgemeinheit, Veröffentlichung von Firmenbeurteilungen (in Bezug auf ihre Offenheit für interne Kritik !), eine Ethik-Hotline für Mitglieder und Nichtmitglieder (!) und schließlich einen Hilfsfonds zur materiellen Unterstützung von Whistleblowern, die in schwere Not geraten sind. Diese Verfahren sind in den oben genannten Büchern genauer beschrieben.

Erwähnenswert und vorbildhaft sind auch ethisch orientierte gemeinnützige Vereine wie z. B. PEER (Public Employees for Environmental Protection). Diese Interessenvereinigung öffentlicher Angestellter wendet sich gegen umweltschädliche Maßnahmen und Duldungen durch Behörden und prangert sie öffentlichkeitswirksam an. Ihre Erfolge beruhen auf starkem persönlichen Engagement und auf einem umfangreichen Spendenzufluß.

Wie weit sind wir in Deutschland?

Wir sprechen hier von »Ethikschutz« und meinen damit den Schutz und die Unterstützung von ethisch motivierten Dissidenten sowohl im Falle der Arbeitsverweigerung bei ungesetzlichen, sittenwidrigen oder gewissenswidrigen Vorhaben als auch im Falle der Veröffentlichung oder Anzeige von Mißständen oder bedenklichen Plänen der eigenen Firma.

Der Ethikschutz für Angehörige des militärischen Dienstes wird durch das Wehrbeauftragtengesetz geregelt. Jeder Soldat hat das Recht einen erkannten Mißstand direkt dem Wehrbeauftragten beim Bundestag anzuzeigen, und er darf wegen der Anzeige keinerlei Benachteiligungen erfahren.

Dagegen gibt es weder ein allgemeines Ethikschutzgesetz noch Ethikschutzklauseln in der Umweltschutzgesetzgebung oder gar generell auf den für Zukunftsfähigkeit relevanten Gebieten. Wer innerhalb seiner Firma einen Mißstand erkennt, genießt keinen besonderen staatlichen Schutz, er handelt auf eigenes Risiko, wenn er Anzeige erstattet.

Und leider haben sich die großen berufsständischen Vereine in Deutschland dieses Themas noch nicht mit dem Engagement angenommen, wie dies in den USA der Fall ist. Sie könnten auf diesem Gebiet auch hierzulande etwa nach dem Vorbild des IEEE eine wichtige Rolle übernehmen.

Vor einigen Jahren hat sich darum in Deutschland die »Ethikschutz-Initiative« gebildet. Ihr Anliegen kommt in den beiden Grundsätzen zum Ausdruck:

  • Das Individuum mit seinem Gewissen ist in unserer Gesellschaft zu schwach gegenüber der Macht der Institutionen.
  • Verantwortungsbewußte uneigennützige Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen brauchen mehr Schutz und mehr solidarische Stärkung durch Gleichgesinnte.

Institutionen – das können sein: Wirtschaftsunternehmen, Parteien, Vereine, aber auch Religionsgemeinschaften, Behörden, Institute – entwickeln in der Regel einen »natürlichen« Egoismus. Sie haben vor allem ihr eigenes Wachstum zum Ziel, Mehrung ihres öffentlichen Einflusses bzw. ihres Kapitals, Überwindung der Konkurrenz, Erlangung der Führungsrolle bis hin zur Beherrschung ihres »Marktes«. Die Probleme der Zukunft können aber nur durch eine große gemeinsame Anstrengung der Menschheit bewältigt werden. Jede Tendenz zum Egoismus und Eigennutz ist dabei kontraproduktiv.

Das wird von vielen einzelnen Menschen erkannt, aber nur wenige wagen es, im Ernstfall gegen die Interessen ihrer Institution zu handeln. Allgemeine Appelle zum »Mut zum verantwortlichen Handeln« haben nur geringe Wirkung, denn das Risiko für den Einzelnen ist derzeit zu hoch. Angesichts unzureichender rechtlicher Bedingungen und zumal in einer Zeit hoher Arbeitslosigkeit schrecken auch verantwortungsbewußt Denkende davor zurück, sich gegen eine Anordnung zu wehren, die dem Gewissen widerspricht. Sie fürchten den Verlust ihres Arbeitsplatzes. Sollte das Risiko nicht eher bei denen liegen, die einen Mißstand verursachen, als bei denen, die ihn abwenden wollen?

Hinzu kommt als Erschwernis für den ethisch motivierten Abweichler, daß die bestehenden Strukturen unserer Gesellschaft sich auf eingefahrenen Geleisen bewegen, die in der Vergangenheit einen nie erlebten Aufschwung an Wohlstand und Annehmlichkeit des Lebens gebracht haben – für einen kleinen Teil der Menschheit zu Lasten des größeren Teils. Die Mehrheit der so begünstigten Menschen klammert sich darum an die erfolgreichen Ordnungen der Vergangenheit, in der trügerischen Hoffnung, es könne so weitergehen wie bisher. Um so schwerer ist es für die Einsichtigen, sich Gehör zu verschaffen, wenn sie ihre warnende Stimme erheben. Der Betroffene wird dann von seinen »angepaßten« Kollegen isoliert, er fühlt sich weitgehend allein gelassen ohne solidarische Unterstützung.

Hier setzt die Ethikschutz-Initiative ein. Sie bemüht sich, eine Bewegung in Gang zu bringen, um einen Ethikschutz aufzubauen und eine solidarische Haltung in der Kollegenschaft zu fördern. Dazu bietet sich eine Vielzahl von Wegen an. Die Initiative arbeitet auf einen »Methodenkasten« hin, ähnlich wie ihn das IEEE entwickelt hat. Sie bemüht sich in diesem Sinne um Unterstützung durch Berufsverbände, Ingenieurvereine, Ingenieurkammern, Unternehmensverbände, Gewerkschaften und Verbraucherorganisationen.

An eigenen Aktivitäten sind bisher angelaufen: der Aufbau eines Ethikschutz-Rechtsinformationssystems (Verfolgung der einschlägigen Rechtsprechung) und eines Ethikschutz-Rechtsberatungsnetzes, Öffentlichkeitsarbeit (z.B. Herausgabe der obengenannten Broschüre »Wenn das Gewissen NEIN sagt«) und die Mitwirkung bei entsprechenden öffentlichen Tagungen.

Die nächste Tagung unter dem Titel »Wenn das Gewissen NEIN sagt« findet in Zusammenarbeit mit der Evangelischen und der Katholischen Akademie Mülheim/Ruhr mit Unterstützung weiterer Vereinigungen vom 31.10. bis 2.11. 1997 in Mülheim statt (Nähere Informationen bei der Katholischen Akademie »Die Wolfsburg«, Falkenweg 6, 45478 Mülheim/Ruhr).

Die Ethikschutz-Initiative (Seeoner Str. 17, 83132 Pittenhart) ist ein Projekt von INES (INESPE=INES Project to Protect and Promote Ethical Engagement). Es gibt einen Arbeitskreis Ethikschutz, der die Aktionen der Initiative plant und lenkt. Im Ausland (Ungarn, Schweden, Großbritannien) haben sich weitere Projektgruppen bzw. Kontaktstellen gebildet. Im Rahmen von INES wurde der »INES Whistleblower Fund« gegründet zur finanziellen Unterstützung von Gewissenstätern in besonders gravierenden Fällen.

Leider sind die Möglichkeiten der Initiative derzeit noch sehr begrenzt. Das Anliegen »Ethikschutz« muß sich erst noch in das öffentliche Bewußtsein einprägen und von dieser breiten Basis aus die Gesetzgebung beeinflussen, und zwar weltweit. Nur so können wirkliche Verbesserungen erzielt werden.

Dr. Günter Emde ist Sprecher der Ethikschutz-Initiative

Gewalt für Frieden?

Gewalt für Frieden?

Skeptisch-utopischer Nachtrag zu Pfarrer Dierlamms und anderer Vertrauensbekundung gegenüber der Staatsgewalt

von Albert Fuchs

Wir setzen unsere Beiträge zur Pazifismusdebatte fort mit der noch ausstehenden Antwort des Redaktionskollegen A. Fuchs auf die »polizeipazifistischen« Einwände von Pfarrer Dierlamm (in W&F 3/95) gegen die »radikalpazifistische« Position. Fuchs versucht, diese Position auch im Hinblick auf die Staatsgewalt nach innen »durchzubuchstabieren«, ohne einem kruden Anarchismus das Wort zu reden.

Pfarrer Dierlamms Rückfragen zu meiner Kritik an seiner polizeipazifistischen Position (Dierlamm, 1994; 1995; Fuchs, 1994) sind durchzogen von einer kaum zu überbietenden Skepsis gegenüber den eigenen Auffassungen, so daß sich eine Replik aus radikalpazifistischer Perspektive fast erübrigt. Andererseits geht es um fundamentale sozialethische Fragen, die seit der Antike vielstimmig und kontrovers diskutiert werden und die ich mit Sicherheit nicht auf ein paar Seiten allseits zufriedenstellend beantworten kann. Und schließlich stellt man sich als offensichtlicher Nutznießer des Staatsgewaltsystems unweigerlich selbst in Frage, wenn man dieses System hinterfragt. Ich will trotz dieser »Unübersichtlichkeit« versuchen, einerseits Dierlamms eigene Zweifel zu vertiefen und mich andererseits der konkreten Utopie der aktiven Gewaltfreiheit zu versichern. Meine Antwort auf Dierlamms Rückfragen verstehe ich auch als kritischen Kommentar zu den polizeipazifistischen Thesen von Koppe (1995) und zu den entsprechenden Vorschlägen von Tönnies (1996). Primär aber geht es mir um die auf einem grundsätzlicheren Niveau ansetzenden Fragen Dierlamms.

Befriedungsgewalt – durch den Nettonutzen moralisch gerechtfertigt?

Gewalt im Sinne von Tötungsgewalt ist nicht einmal im Falle von individueller Notwehr normativ im strengen Sinn zu rechtfertigen. Das war ein – mir selbst bis dato nicht so klares – wesentliches Ergebnis der Auseinandersetzung mit Greinachers Nuklearpazifismus (Fuchs, 1995). Die Situation der Nothilfe, die Dierlamm offensichtlich der innerstaatlichen Anwendung von (polizeilicher) Gewalt zugrundeliegen sieht, wenn er fragt: „Ist es ausgeschlossen und ohne Beispiel, daß durch Androhung und Ausübung von Gewalt je und dann tatsächlich für Recht und Frieden gesorgt wird?“ (Dierlamm, 1995, S. 45), scheint mir keine grundlegend andere zu sein. Auch in dieser Situation läuft trotz aller (annahmegemäß) prosozialen Motivation die Gegengewalt darauf hinaus, sich des (vermeintlichen) Übeltäters als eines Mittels zur Erhaltung bzw. Herbeiführung eines erträglichen Zustands – der Rettung seines Opfers – zu bedienen, den Übeltäter also gerade nicht als Zweck an sich selbst zu betrachten, worin nach vernunftethischem Verständnis im Sinne Kants spezifisch moralisches Handeln besteht. Ein Test nach der in vielen, heterogenen Kulturen bekannten, auch Kants Moralprinzip zugrundeliegenden, »alltagsphilosophisch« aber wohl plausibleren »Goldenen Regel« führt zum gleichen Ergebnis. Ich kann mir jedenfalls kaum vorstellen, daß man von einem hypothetischen Fall, in dem man sich in der Lage des betroffenen – des Übeltäters also – befindet, sagt, es solle Tötungsgewalt zur Anwendung kommen.

„In einer gewaltbesoffen dahintorkelnden Kultur bestehe ich darauf, anzuhalten, über die Gewalt und ihre Alternativen nachzudenken und dann eine Wahl zu treffen.“
Albert Camus

Gegen diese Argumentation kann man zum einen vorbringen, die Situation der Nothilfe beinhalte keine Instrumentalisierung des Angreifers. Zum andern kann man die (ausschließliche) Verbindlichkeit von Kants Moralprinzip bestreiten. Für die erste Strategie bietet sich die klassische moralphilosophische und -theologische Lehre von der Doppelwirkung einer Handlung an. Danach wäre die Tötung des Angreifers nicht Mittel zur Rettung des Opfers, sondern »nur« zwar vorhergesehene, aber nicht intendierte Folge der Rettungshandlung, also indirekter Natur. Wenn ich Dierlamm recht verstehe, denkt er nicht in diese Richtung. Daher kann ich mich mit einem Hinweis auf die Schwierigkeiten begnügen, in die man sich mit einer solchen Konstruktion etwa im Falle des polizeilichen »finalen Rettungsschusses« – sprich: des gezielten Todesschusses – unweigerlich verstrickt.

Dierlamm dürfte eher eine Ergänzung der vernunftethischen Konzeption durch das sozialpragmatische (utilitaristische) Prinzip der maximalen allgemeinen Interessenbefriedigung im Blick haben. Wie aber ein solches Zusammenspiel funktionieren könnte, ist (mir) völlig unklar. Nicht weniger unklar ist, wie man die »maximale allgemeine Interessenbefriedigung« intersubjektiv akzeptabel bestimmen will – was ja möglich sein muß, wenn es sich um ethische Erkenntnis handeln soll. Und selbst wenn diese Probleme zu lösen wären, könnte man mit guten Gründen bezweifeln, daß die Menschheitsgeschichte dank der Erfindung des mit einem Gewaltmonopol ausgestatteten Staates weniger düster, weniger zu Lasten der wie auch immer zu operationalisierenden allgemeinen Interessenbefriedigung verlaufen ist, als sie ohne diese Erfindung verlaufen wäre (vgl. Krippendorf, 1985; Münkler, 1987). Zumindest, wenn man wirklich alle Menschen – und nicht nur die Angehörigen des je eigenen Clans – als prinzipiell gleichberechtigte Träger der fraglichen Interessen betrachtet und demgemäß das vielfach komplementäre Verhältnis von gewaltgestützter Befriedung nach innen und Gewaltanwendung nach außen mit in Rechnung stellt, lassen sich diese Zweifel nicht unter den Teppich kehren.

Trotz aller dieser Fragen und Zweifel erscheint mir meine frühere apodiktische Gleichsetzung von innerstaatlich-polizeilicher und zwischenstaatlich-militärischer Gewalt (Fuchs, 1994) jetzt zu undifferenziert. Im demokratischen Verfassungsstaat gelten die Adressaten der Gesetze zugleich als ihre Autoren; das ist ihre Legitimationsbasis. Die – eventuell gewaltsame – Durchsetzung von Gesetzen durch die Polizei wird demnach als im Interesse der Betroffenen selbst liegend verstanden. Polizeiliche Eingriffe sind zudem in striktem Sinn dem Ultima-ratio- und dem Verhältnismäßigkeits-Grundsatz unterworfen. Und schließlich müssen polizeiliche Eingriffe einer Überprüfung unter Legalitätsgesichtspunkten standhalten. Gleichwohl – und abgesehen von der notorischen Diskrepanz zwischen demokratietheoretischen Idealen und politischer Realität und polizeilicher Praxis – sehe ich auch weiterhin nicht, wie innerstaatliche (Tötungs-)Gewalt normativ im strengen Sinn zu rechtfertigen wäre.

Neben einem Staatsverständnis, das auf das Gewaltmonopol als »Wesensmerkmal« im Sinne von Paulus, Augustinus, Luther, Hobbes, Weber usw. abstellt, findet man in Dierlamms Einlassung auch eine funktionalistische Staatsauffassung, am deutlichsten in dem Satz: „Ich verstehe unter 'Staat' einfach Rechtsverhältnisse und das durch sinnvolle Regeln und Vereinbarungen geordnete Zusammenleben von Menschen.“ (Dierlamm, 1995, S. 45). Zwar wird nicht gesagt, was diese Rechtsverhältnisse zu Rechtsverhältnissen macht und worin der Sinn dieser Regeln und Vereinbarungen besteht. Ich denke aber, daß Dierlamm diese Seite seines Staatsverständnisses prägnant durch eine Charakterisierung der menschlichen Gesellschaft zum Ausdruck gebracht sehen könnte, die einer frühen Arbeit von Rawls zu entnehmen ist.

»Gerechte Gemeinschaft« – mit (aller) Gewalt?

Rawls (1967/91) sieht in der menschlichen Gesellschaft ein Gemeinschaftsunternehmen zur Herbeiführung wechselseitigen Nutzens, das sich von einer geteilten Gerechtigkeitsauffassung leiten läßt. Dieses Gemeinschaftsunternehmen ist sowohl durch Interessengleichheit als auch durch Interessenkonflikt gekennzeichnet. Interessengleichheit besteht, sofern die soziale Kooperation allen ein besseres Leben ermöglicht, als jeder es führen könnte, wenn er versuchen würde, nur von seiner eigenen Arbeit zu leben; Interessenkonflikt ergibt sich daraus, daß jeder zur Beförderung seiner eigenen Ziele einen möglichst großen Anteil an dem durch die gemeinsame Anstrengung erzielten größeren Nutzen anstrebt. Daher sind Gerechtigkeitsprinzipien unabdingbar, um eine Übereinkunft hinsichtlich der je angemessenen Anteile zu erreichen und den Verkehr zwischen den sozialen Institutionen zu regeln, denen man die Verteilung des erzielten Nutzens anheimstellen will.

In dieser Perspektive schrumpft das »Wesensmerkmal« der legitimen Gewaltanwendung bestenfalls zu einem Mittel zur Durchsetzung der Gerechtigkeitsauffassung, zu einem Mittel der sozialen Kontrolle unter anderen; im besonderen sind Gewalt und Macht nicht gleichzusetzen (vgl. Arendt, 1970; Litke, 1992; Narr, 1980; Parsons, 1964). Die entscheidende Frage ist dann, ob Gewalt ein geeignetes Mittel zu jenem Zweck darstellt oder nicht viel eher kontraproduktiv ist.

Anthropologische Pessimisten halten es nicht nur für geeignet, sondern für schlechterdings notwendig und verwandeln es damit unter der Hand wieder zu einem »Wesensmerkmal« der menschlichen Gesellschaft. Sie übersehen dabei, daß just ihr dogmatischer Pessimismus als sich selbst erfüllende Prophezeiung wirken muß: Durch ein Verhalten, das den eigenen pessimistischen Annahmen und Erwartungen – typischerweise gegenüber den anderen, kaum gegenüber sich selbst und der eigenen Klientel – entspricht, induziert man ebensolches (gewaltförmiges) Verhalten bei den anderen und bestätigt dadurch die eigenen Annahmen und Erwartungen und rechtfertigt zugleich sein Verhalten (vgl. Merton, 1948/67). Nicht, daß die pessimistische Anthropologie einfach durch eine ebenso dogmatische optimistische ersetzt werden sollte; damit der Verzicht auf Gewalt auch als Kitt der Gesellschaft überhaupt in den Blick kommen kann, muß man sich aber wohl auf eine sozusagen experimentalistische evolutionäre Anthropologie, für die die menschliche Entwicklung weitgehend offen ist und die in der Verantwortung des Menschen selbst liegt, einlassen (vgl. Brunkhorst, 1996).

Wenn man sich wenigstens versuchsweise darauf einläßt und demgemäß Ausschau hält nach kritischen Bedingungen eines Auskommens ohne Gewalt auch bei der Organisation der Gesellschaft, kann man etwa bei der empirischen Sozialisations- und Moralforschung (vgl. Hoffmann, 1977; Montada, 1987) oder auch bei der kriminologischen Forschung fündig werden. Offenbart aber dieser Rekurs auf politisch-pädagogische Programmtik nicht eine Weltfremdheit, die einem angesichts der alltäglichen organisierten wie nicht-organisierten (Gewalt-)Verbrechen die Sprache verschlagen muß? Ich denke nicht. Wenn man das egoistisch motivierte Verbrechen in Relation setzt zu den staatlichen Megaverbrechen zum angeblichen Schutz vor jenem, kann man gewiß endlos streiten, was schwerer wiegt (s.o.). Nimmt man im Hinblick auf die Unentscheidbarkeit dieser Frage beides gleich ernst – die Verbrechen im Namen egoistischer Interessen und der Rebellion gegen die Normen und Werte einer Gesellschaft wie die Verbrechen im Namen des Guten und des Gehorsams –, wird man den Glauben an die Gewalt als ihren gemeinsamen harten und bitteren Kern ausmachen und entweder resignieren oder sich »ausklinken« aus dieser »Glaubensgemeinschaft«. Was die zweite Alternative bedeuten könnte, wurde mindestens seit den Zeiten des Propheten Jesaja zwar immer wieder thematisiert, bisher aber offensichtlich allenfalls ansatzweise kulturbildend »getestet«. Darauf kommt es jedoch an.

Große Sprünge durch kleine Schritte!

Das klingt vermutlich »erweckungsmoralisch«, »utopisch« oder auch »fundamentalistisch«. Es sollte jedoch klar sein, daß es nicht (nur) um Erweckungsmoral, um Utopie im Sinne von »Nicht-Ort«, um pure Prinzipien geht, sondern um Utopie als Projekt und Programm, um die politisch-kulturelle Durchsetzung eines Paradigmawechsels bezüglich der Austragung von Konflikten auf allen sozialen Ebenen. Damit kommen meine »Kompromisse und Konzessionen« ins Spiel, hinter denen Dierlamm die spezifischen »Halbherzigkeiten« der radikalpazifistischen Position vermutet. Ich denke, dieser Vermutung ist gegenstandslos.

Zunächst kann man einen Kompromiß darin sehen, daß die radikalpazifistische Position nach meinem Verständnis konzeptionell weder Endgültigkeit noch Konfliktfreiheit beinhaltet, wie sehr diese Momente auch zu den beliebten Karikaturen dieser Position gehören mögen (vgl. Sternberger, 1986/95). Da alles Leben in Konkurrenz zu anderem Leben steht und Konflikte lebensnotwendig immer neu entstehen, kann das Ziel »nur« ein bestimmter Modus der Konfliktbearbeitung sein: die einvernehmliche Erarbeitung tragfähiger Problemlösungen. Dieser Konfliktbearbeitungsmodus unterscheidet sich von der Konfliktverleugnung kaum weniger als von rücksichtslosen und daher letztendlich gewaltsamen Durchsetzungsversuchen. Insofern ist eher mit einer Konfliktbelebung als mit Konfliktfreiheit zu rechnen. Damit ist auch gesagt, daß es keine Endgültigkeit geben kann, daß der Weg das Ziel ist und bleibt. Das schließt die institutionelle und kulturelle Verankerung eines gewaltfreien Konfliktbearbeitungsmodus als effektive Annäherung an eine gewaltlose Weltgesellschaft so wenig aus, wie nach der falsifikationistischen Wissenschaftskonzeption die Unerreichbarkeit absoluter wissenschaftlicher Wahrheit eine Wahrheitsannäherung ausschließt. Die Verankerung eines solchen Konfliktbearbeitungsmodus halte ich für die konkrete radikalpazifistische Utopie. Dennoch wird es selbst diesbezüglich auch insofern keine Endgültigkeit geben, als man Waffen kaum »wegerfinden« kann und das, was war, möglich bleibt – auch Auschwitz und Hiroshima, verstanden als Realsymbole des denkbar extremsten Gegensatzes zu dieser konkreten Utopie.

Einen zweiten grundlegenden Kompromiß halte ich auf der Ebene der politischen Prioritätensetzung für unabdingbar. So wenig – vom Standpunkt der Moral – ein wesentlicher Unterschied auszumachen ist zwischen der nach außen und der nach innen gerichteten Gewalt des Staates und so sehr beide Formen unvereinbar sind mit dem radikalpazifistischen Projekt, so bedeutsam erscheint mir dieser Unterschied für das konkrete friedenspolitische Engagement. Die nach innen gerichtete staatliche Gewalt ist offensichtlich funktional für die legitimen Sicherheits- und Schutzbedürfnisse der meisten Bürger; für die nach außen gerichtete gilt das nur sehr bedingt. Jene dürfte daher wesentlich stärker internalisiert sein, das staatsbürgerliche Selbstverständnis viel grundlegender prägen als diese. Zudem ist die nach außen gerichtete Gewalt des Staates im historischen Alltagsbewußtsein vermutlich immer noch – zumindest hierzulande – weitgehend diskreditiert. Und schließlich erscheint die nach innen gerichtete Staatsgewalt in einer rechtsstaatlich verfaßten Gesellschaft kaum gefährlich, eben durch Recht und Gesetz gezähmt. Daß diese Zähmung labil, wenn nicht illusionär ist, da letztlich wiederum gewalt- und kaum gerechtigkeitsfundiert, dürfte dem Alltagsbewußtsein allenfalls einleuchten, wenn es »auf dem Rechtsweg« keine Gerechtigkeit erfährt bzw. selbst zum Opfer »legaler Gewalt« wird. Aus diesen Gründen hat m.E. unter politischen, d.h. unter Erfolgsgesichtspunkten die kritische Auseinandersetzung mit der Gewalt des Staates nach außen Vorrang auch für das radikalpazifistische Engagement. Allerdings bedroht das immense nach außen gerichtete staatliche Vernichtungspotential, oberflächlich betrachtet, im allgemeinen »nur« andere, nicht die Staatsbürger selbst. Vielleicht wird dieser Nachteil im Hinblick auf Mobilisierung und Organisierung von Widerstand gegen die staatliche Gewalt nach außen dadurch kompensiert, daß nachhaltige Erfolge in dieser Richtung auch zu einer Infragestellung und empfindlichen Schwächung der Gewalt nach innen führen dürften. Denn daß eine Gesellschaft nach außen auf Gewalt verzichtet, nach innen aber fraglos daran festhält, erscheint mir mindestens ebenso unwahrscheinlich wie ein Verzicht auf Gewalt nach innen unter Beibehaltung eines gewaltbestimmten Verkehrs nach außen.

Der Prioritätenkompromiß fächert sich für mein Verständnis nochmals dahingehend auf, daß radikalpazifistische Politik nur von Grund auf gradualistisch bzw. reformistisch angelegt sein kann. Soll heißen: Große Sprünge sind nur durch kleine Schritte zu machen! Das ergibt sich aus der Struktur des politischen Handelns bzw. aus der Struktur des menschlichen Handelns überhaupt. So sehr die idealen Zielentwürfe die realen Gegebenheiten kritisieren und in Frage stellen, sie werden von den gegebenen Möglichkeiten notwendigerweise modifiziert, und zielführendes Handeln muß an den Gegebenheiten ansetzen und die Gegebenheiten in Rechnung stellen. Das besagt, man muß Unterziele setzen und verfolgen; je idealer die Oberziele, desto zahlreicher und vielfältiger die Unterziele. Im besonderen ergibt sich diese Kompromißhaftigkeit der radikalpazifistischen Position aus der konstitutiven Festlegung auf politische Einflußnahme durch Überzeugungsbildung statt durch Zwangsprozesse; Überzeugungsbildung innerhalb einer Gesellschaft oder gar über diverse Gesellschaften hinweg dürfte i.a. ein kumulativer Vorgang, ein Wachstumsprozeß sein, wenn es auch Phasen unterschiedlicher Wachstumsgeschwindigkeit geben mag. Nicht zuletzt sind die psychopolitischen Ergebnisse von Überzeugungsprozessen als »Kompromißbildungen« (Freud) zu charakterisieren.

Aus dem Gesagten folgt schließlich eine grundsätzliche Kompromißbereitschaft auf der Ebene der politischen Bündnisse und Allianzen. Wer auch immer vergleichbare Unterziele anstrebt, weder den radikalpazifistischen Oberzielen entgegenarbeitet noch deren Verfolgung behindert und Radikalpazifisten nicht zur Durchsetzung augenscheinlich dysfunktionaler oder unakzeptabler Ziele nötigt oder benützt, kommt als Bündnispartner in Frage. In der politischen Praxis wird es zudem immer Unsicherheiten geben, da die Funktionalität von Mitteln (Unterzielen) und die Bedeutung von Neben- und Fernwirkungen von Handlungen vielfach nur schwer oder auch überhaupt nicht zu durchschauen sind und folglich u.U. höchst kontrovers beurteilt werden. Damit eröffnet sich jedenfalls auch auf dieser Ebene ein weites Feld von »Kompromissen und Konzessionen«.

Es existiert allerdings eine Grenze, die Pazifisten m.E. nur um den Preis der Selbstaufgabe überschreiten können: Wenn man einem Pazifisten oder einer Pazifistin zumutet, (Tötungs-) Gewalt auszuüben oder zu rechtfertigen, „dann gibt es nur eins: Sag NEIN!“ (W. Borchert).

Literatur

Arendt, H. (1970). Macht und Gewalt. München: Piper.

Brunkhorst, H. (1996, 26.06.). Der Mensch muß sich selbst erfinden. Frankfurter Rundschau, S. 11.

Dierlamm, W. (1994). Nein zum Militär, Ja zur Polizei. Publik-Forum, 23, Nr. 13, 10-11.

Dierlamm, W. (1995). Gewalt für Frieden? „Eigentlich“ Schutzmacht für die Schwachen. Wissenschaft und Frieden, 13 (3), S. 45.

Fuchs, A. (1994). Gewalt für Frieden? Wissenschaft und Frieden, 12 (4), S. 55-56.

Fuchs, A. (1995). Gewalt für Frieden? Radikalpazifistische Antworten auf Professor Greinachers Rückfragen. Wissenschaft und Frieden, 13 (4), S. 55-58.

Hoffmann, M.L. (1977). Moral internalization: Current theory and research. Advances in Experimental Social Psychology, 10, 86-135.

Koppe, K. (1995). Pazifismus im Zeichen neuer Gewalt. Zehn Thesen. Wissenschaft und Frieden, 13 (1), S. 69.

Krippendorf, E. (1985). Staat und Krieg. Die historische Logik politischer Unvernunft. Frankfurt/M.: Suhrkamp.

Litke, R.F. (1992). Violence and power. International Social Science Journal, 44 (2), S. 173-183.

Merton, R.K. (1967). Die Eigendynamik gesellschaftlicher Voraussagen. In E. Topitsch (Hrsg.), Logik der Sozialwissenschaften (S. 144-161). Köln: Kiepenheuer & Witsch. (Original 1948)

Montada, L. (1987). Entwicklung der Moral. In R. Oerter & L. Montada (Hrsg.), Entwicklungspsychologie (S. 738-766). Weinheim: Psychologie Verlags Union.

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Tönnies, S. (1996). Der Pazifismus und die Vereinten Nationen. Wissenschaft und Frieden, 14 (3), S. 82-84.

Dr. Albert Fuchs lehrt an der Pädagogischen Hochschule Erfurt und ist Redaktionsmitglied von W&F.

Bleibt der Grenzfall noch der Grenzfall?

Bleibt der Grenzfall noch der Grenzfall?

Zur Distanz zwischen Friedensethik und Sicherheitspolitik

von Bernhard Moltmann

Die Distanz zwischen einer militärgestützten Sicherheitspolitik und friedensethischen Positionen wird größer. Vor dem Hintergrund einer postulierten Normalität hat die Neue deutsche Sicherheitspolitik Projektionen entwickelt, die den Streitkräften ein breites Aufgabenspektrum zuweisen und ihren Einsatz zum Kennzeichen von Bündnis- und damit Politikfähigkeit machen. Die Konsense des friedensethischen Diskurses beharren dagegen auf dem Primat des Friedens und rücken einen militärischen Einsatz in die Situation des Grenzfalles. Gerechtigkeit und Frieden werden als Einheit gedacht, die die Maßstäbe für die ethische Urteilsbildung vorgibt. Damit sieht sich der friedensethische Diskurs aber jetzt vor der Aufgabe, sein Verhältnis zu dem aktuellen Verlangen, Militär auch zu humanitären Zwecken und zur Friedenssicherung einzusetzen, neu zu bestimmen.

Was in den zurückliegenden Jahren nur als Schatten erkennbar war, tritt jetzt deutlich konturiert hervor: die neue deutsche Sicherheitspolitik. Geschickt in das gegenwärtige innen- wie außenpolitische Umfeld eingebettet, sind deren Determinanten inzwischen bestimmt und in konkrete Vollzüge umgesetzt. Stück für Stück wird der Militärapparat auf die neuen Vorgaben ausgerichtet. Die Öffentlichkeit nimmt sie als Ganzes noch nicht zur Kenntnis, ist sie doch weitgehend von der Misere des Sozialstaates, von den Wirrnissen der europäischen Integration oder von dem Rinderwahnsinn in Anspruch genommen.

Parameter der Neuen Sicherheitspolitik

Folgende Parameter der Neuen deutschen Sicherheitspolitik lassen sich identifizieren (vgl. Bundesministerium der Verteidigung 1994, a, b):

  • Normalität: Die Zukunft liegt nicht in der Vergangenheit (Meiers, 1996). Statt dessen ist »Normalität« angesagt. Die einmal konsensstiftende Formel von der »Kultur der Zurückhaltung« hat ausgedient . Deutschland kehrt in den Kreis »normaler Akteure« der Sicherheitspolitik zurück. Die historischen Bezüge, die den Aufbau und das Selbstverständnis der Bundeswehr bestimmt haben, scheinen durch die weltpolitischen Veränderungen der letzten Jahre bedeutungslos geworden. Aber alles Reden von »Normalität« täuscht nicht darüber hinweg, daß die binnengesellschaftlichen Verwerfungen, die die deutsche Geschichte prägen, noch nicht eingeebnet sind. Die Vergangenheit ragt in die Gegenwart hinein, und das Wissen um den von Deutschland ausgegangenen Zivilisationsbruch relativiert jede Hoffnung, dies ließe sich mit dem Appell an die »Normalität« überdecken (vgl. Schoch, 1996).
  • Stabilitätsprojektion: Die Gefahr einer groß angelegten, ihrem Charakter nach umfassenden (ehemals sowjetischen) Aggression gegen das Kerngebiet der NATO besteht gegenwärtig nicht. Ziel der Verteidigungspolitik ist deshalb nicht mehr die Abschreckung, sondern »Stabilitätsprojektion«. Mit der Metapher der »Stabilitätsprojektion« wird jedoch ein Ziel gesetzt, das für vielerlei Inhalte offen ist. Während über Verteidigung und Abschreckung mehr oder minder ein gesellschaftlicher wie politischer Konsens erreicht war, bleibt der Öffentlichkeit unklar, was unter »Stabilität« zu verstehen sei, zumal andere wirtschaftliche und soziale Determinanten von »Stabilität« unversehens weggerutscht sind.
  • Breites Aufgabenspektrum: Künftig müssen die deutschen Streitkräfte ein breites, vielfältiges und abgestuftes Spektrum von Aufgaben abdecken, das von der Fähigkeit zur Landes- und Bündnisverteidigung bis hin zu Einsätzen der Friedenssicherung und Krisenbewältigung reicht. Die Grenzen des Aufgabenspektrums sind nicht abgesteckt, sondern können einmal eng gezogen, einmal expansiv gedeutet werden. Die Abstufung läßt sich nicht nachvollziehen, weil die logischen Verknüpfungen nicht erkennbar sind. Die Behauptung, es gäbe solche Verknüpfungen, ersetzt noch nicht deren Nachweis. Auch der Appell an Erwartungen und Zwänge, die von außen an Deutschland herangetragen würden, ersetzt noch nicht die Einsicht. Offensichtlich besteht weiterhin ein Defizit an Vermittlung und Glaubwürdigkeit.
  • Krisenreaktion: Die deutschen Streitkräfte sollen bis zum Jahr 2000 in die Lage versetzt werden, sich auf breiter Grundlage an internationalen Kriseneinsätzen zu beteiligen. Mit dieser Vorgabe wird unterstellt, daß Streitkräfte und ihr Wirken eine angemessene Reaktion auf politisch wirksame Krisen darstellen. Nun ist der Begriff von Krise offen für alle mögliche Interpretationen. Dabei bleibt unberücksichtigt, daß das Wissen über Ursprünge und Erscheinungsformen von Krisen inzwischen deren vielfältige Ursachen kennt. Diese werden immer mehr in sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Verwerfungen und in Diskrepanzen bei der Beurteilung verortet, wie eine zukunftsfähige politische Ordnung aussehen soll.
  • Bündnisfähigkeit: Dieses Stichwort faßt die Vorgaben zusammen, daß deutsche Streitkräfte in die NATO und WEU eingebunden und Teil multinationaler oder binationaler Militärstrukturen sind. Nationale Alleingänge sind ausgeschlossen. Damit rückt das »Bündnis« in den Rang einer vorrangigen, übergeordneten Institution, die in ihrer Erhabenheit und Anonymität fast schon den Grad eines Tabus für die öffentliche Debatte erreicht hat. Eine Steigerung des Wertes des »Bündnisses« führt noch das Adjektiv »politikfähig« herbei, für dessen Ausfüllung die Streitkräfte im Rahmen des »Bündnisses« sorgen. Nun durchläuft die NATO derzeit eine tiefgreifende Veränderung ihres Auftrages und ihrer Strukturen. Diese schließt ein, über den bisher eng gefaßten Verteidigungsauftrag hinauszugehen und sich neue, über Europa hinausgreifende Handlungsoptionen zu erschließen, angeleitet von der These, daß sich die sicherheitspolitischen Aufgaben erweitert hätten. Daraus wird eine Notwendigkeit abgeleitet, einen glaubwürdigen Beitrag zum erweiterten Bündnisauftrag zu leisten, wenn man tatsächlich am Bündnis mitwirken wolle.

Was kann die Ethik leisten?

Ein ethischer Diskurs, der die Prämissen der gültigen Sicherheitspolitik in ein Verhältnis zu jenen des Friedens setzt, registriert die Parameter der Neuen Sicherheitspolitik zwar, ohne sich gleich mit ihnen zu identifizieren. Wie die Bezeichnung »Friedensethik« sagt, steht der Frieden im Mittelpunkt, nicht Krieg oder Sicherheit. Der Einsatz militärischer Mittel rangiert unter der Rubrik »Grenzfall«. Dementsprechend widmet sich die Friedensethik hier den Schranken, die aus ethischer Sicht einem militärischen Einsatz geboten sind. Das Reden vom »Grenzfall« gilt der Frage, ob und unter welchen Bedingungen der Einsatz militärischer Mittel gerechtfertigt und verantwortbar sei, um Frieden zu gewinnen oder zu erhalten.

Mit der ethischen Rechtfertigung einer Handlung ist nicht notwendigerweise gemeint, daß diejenigen, die sie vollziehen, frei von Schuld sind. Deshalb bleibt das Abwägen der relativ besten und der relativ schlechtesten Handlungsmöglichkeit die Maxime (Kirchenamt der EKD, 1994, S.17). Für jedes Handeln gilt zu prüfen, ob die Optionen tatsächlich das leisten, was sie leisten sollen: „Evangelische Ethik kennt keine zeitlosen, übersituativen Prinzipien, die sie auf jeden denkbaren Fall, der eine Stellungnahme verlangt, anwenden könnte. Sie geht vielmehr den Weg, daß sie – aufmerksam auf die konkrete Situation – sich dem jeweiligen Problem in seiner Besonderheit zuwendet und im aktuellen Hören auf die biblische Botschaft zur Entscheidung der in Frage stehenden Sache kommt.“ (Tödt, 1977/79, S. 47ff.)

Für die ethischen Maßstäbe gibt es keine biblischen Vorbilder, d.h. die Maßstäbe können nicht unmittelbar aus dem Evangelium abgeleitet werden. Vielmehr begründen sie sich aus dem Wirklichkeitsverständnis des christlichen Glaubens. „Das Evangelium bringt keine Gesetze für das bürgerliche, weltliche Dasein.“ (Melanchton, zitiert bei Jüngel, 1992, S. 54) „Das Evangelium enthält zwar Zumutungen an den weltlichen Gesetzgeber, aber es ist auf keinen Fall selber ein politischer Gesetzgeber – so wie Jesus kein 'zweiter Mose' ist.“ (ebda.) Evangelische Christen und Kirchen können und sollen solche Zumutungen des Evangeliums an die politische Macht artikulieren. Letztlich ist es aber der Einzelne, dem die Entscheidungen zugestanden und die Verantwortung zugetraut werden. Die Kirchen erfüllen damit nicht die Erwartungen der Menschen, sie von der Last der Entscheidungen zu befreien und ihre mächtigen, aber immer wieder sich verflüchtigenden religiösen Erfahrungen zu konservieren (Berger, 1994). Was sie bieten, liegt auf der Ebene der Orientierung, der Gemeinschaft und des Beistandes in den jeweils selbst durchzustehenden Entscheidungssituationen. Die Sehnsüchte nach Weisung befriedigt die protestantische Ethik nur insoweit, als sie Angebote für Entscheidungen macht, Kriterien für Schranken nennt, auf die Folgen der Optionen hinweist, Mut zur Verantwortung macht und letztlich Visionen offenhält. Dies gilt in besonderem Maße für den friedensethischen Diskurs.

Konsense des friedensethischen Diskurses

In der öffentlichen Debatte weckt die protestantische Position oft den Eindruck, sie sei unentschieden oder widersprüchlich. Das Hin- und Herwogen von Meinungen verdeckt dabei, daß das gemeinsame Fundament in den letzten Jahrzehnten sehr viel breiter geworden ist. Die Konsense lassen sich unter folgenden Gesichtspunkten zusammenfassen (vgl. Buchbender & Kupper, 1996):

  • Denken und Reden über Krieg und Frieden haben nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges eine neue Qualität angenommen. Mit der seitdem bestehenden Möglichkeit einer atomaren Katastrophe gilt es als ausgeschlossen, Kriege noch moralisch als möglich zu denken. Als »Ächtung des Krieges« steht dieser Eckpunkt fest jenseits aktueller Kontroversen.
  • Der »kalte Frieden« der historischen Periode, die heute als jene des Ost-West-Konfliktes bezeichnet wird, stützte sich auf das Funktionieren des Systems der Abschreckung. Das Primat des Friedens kann sich nur durchsetzen, wenn Verhältnisse der wechselseitigen Anerkennung errichtet und stabilisiert werden. Anerkennung zielt auf Versöhnung. Abschreckung verbindet sich mit Feindsuche. Jenseits der militärisch-strategischen Kalküle der Abschreckung beharrt die protestantische Friedensethik darauf, den ihr zugrundeliegenden Denkstrukturen und Menschenbildern nicht zuzustimmen.
  • Das Postulat der Sicherheit findet breite Anerkennung. Jenseits des Streites um einen eng oder einen weit gefaßten Sicherheitsbegriff gilt, daß Sicherheit dann gegeben ist, wenn Einwirkungen aus der internationalen Umwelt nicht die physische Unversehrtheit einer Gesellschaft und ihrer Mitglieder, ihre politische und gesellschaftliche Ordnung sowie ihre territoriale und natürliche Umwelt in Frage stellen oder beschädigen. Vielmehr müssen diese auf Dauer gewährleistet sein. Es geht also nicht darum, Verteidigungsvorsorge für alle möglichen Gefährdungen zu treffen, sondern darum, die internationale Umwelt so zu gestalten, daß keine Gefährdungen mehr auftreten.
  • Der Stellenwert eines militärisch gewährleisteten Friedens tritt hinter der Einsicht zurück, daß Frieden und soziale Gerechtigkeit unauflösbar miteinander zusammenhängen: „Der Gerechtigkeit Frucht wird Frieden sein.“ (Evangel. Kirche in Hessen und Nassau, 1993) Gerechtigkeit bedeutet nicht nur chancengleiche soziale Teilhabe, sondern zielt auch auf gleiche politische Freiheiten, auf Vorhersehbarkeit und Stabilität politischer Ordnungen und Rücksicht auf die Bedürfnisse der Schwächeren.
  • Das Recht der Menschen ist mit den Mitteln des Rechts zu wahren. Versteht man Recht nicht nur als einen Mechanismus, um unterschiedliche Interessen zueinander in ein Verhältnis zu setzten und Konflikte gewaltfrei zu regeln, entdeckt man die soziale Integrationsleistung, die eine Rechtsordnung erbringt. Unter der Voraussetzungen von breiter Partizipation erlaubt sie es, verschiedene Positionen und Handlungsoptionen in ein Regelwerk einzubinden und jenes Maß an Gewißheit und Vorhersehbarkeit herzustellen, daß der Einzelne braucht, um seinen Lebensentwurf verantwortlich zu gestalten.
  • Militärische Mittel haben nur dann einen friedensbezogenen Gehalt, wenn sie die Ausübung rechtswidriger Gewalt eindämmen und den Weg zu friedlichen, das heißt, zu gewaltfreien Lösungen ebnen oder offen halten.

Die ethisch gebotene Ausrichtung politischer Prozesse beinhaltet, Gewalt zu vermeiden, Not zu verringern und Unfreiheit zu beseitigen. In allen Konfliktlagen genießt die vorrangige Option für die Gewaltfreiheit Priorität oder in den Worten der EKD-Denkschrift von 1981: „In der Zielrichtung christlicher Ethik liegt nur der Frieden, nicht der Krieg.“ Die vorrangige Option der Gewaltfreiheit schließt ein, für eine universale Rechtsordnung einzutreten, die auf der Anerkennung der Menschenrechte und dem allgemeinen Verbot beruht, Gewalt anzuwenden. Mit diesen Konsensen ist der friedensethische Diskurs weit von jener Linie entfernt, die die Parameter der Neuen Sicherheitspolitik untereinander verbindet.

Zum Einsatz militärischer Mittel – der »Grenzfall«

Die ethische Bewertung des Einsatzes militärischer Mittel folgt dem Primat des Friedens und rückt den Einsatz militärischer Mittel in die Situation des »Grenzfalles«. Die Denkfigur des »Grenzfalles« versucht, eine Brücke zwischen dem Gewollten der »vorrangigen Option der Gewaltfreiheit« und der Realität von Kriegen zu schlagen. Denn die protestantische Debatte ist nicht so blind, daß sie nicht die aktuellen Herausforderungen der internationalen Politik zur Kenntnis nähme. Sie will aber die Schwelle für den Einsatz militärischer Mittel so hoch wie möglich angesetzt wissen. „Es ist darüber zu wachen, daß der Grenzfall wirklich der Grenzfall bleibt“ heißt es in den »Orientierungspunkten zu Friedensethik und Friedenspolitik« aus dem Jahr 1994. Gleichzeitig weiß sie selbstverständlich, daß faktisch keine scharfe Trennlinie zwischen einem ethisch gerechtfertigten und einem ethisch nicht mehr gerechtfertigten Einsatz militärischer Mittel zu ziehen ist, hat man sich einmal darauf eingelassen. Eine Eskalation des Einsatzes militärischer Mittel läßt es ohnehin immer unwahrscheinlicher werden, daß eine Rechtfertigung in jedweder Form möglich ist. Mit dem Blick über den »Grenzfall« hinaus, nämlich darauf, was mit dem Waffeneinsatz erreicht oder aber verhindert wird, entzieht sich der friedensethische Konsens der argumentativen Falle, in die das Reden von der »ultima ratio« unweigerlich führt.

Mit folgenden Entscheidungskriterien für einen Waffeneinsatz hält sich die friedensethische Position daran, Konflikte möglichst ohne den Einsatz von Mitteln der Gewalt zu lösen (nach Reuter, 1994, S. 86f):

  • Bei schwersten, menschliches Leben und gemeinsames Recht bedrohenden Übergriffen eines Gewalttäters kann die Anwendung von Gewalt erlaubt sein. Denn Leben muß so weit wie möglich geschützt und das gemeinsame Recht darf nicht dem Recht des Stärkeren überantwortet werden.“
  • „Erlaubte Gegengewalt muß auf das Ziel bezogen und darauf beschränkt sein, die Bedingungen gewaltfreien Zusammenlebens (wieder) herzustellen.“
  • Wer zur Gegengewalt greift, muß im Namen verallgemeinerungsfähiger Interessen aller Betroffenen handeln.“
  • „Der Schutz von Personen, die am Konflikt nicht direkt beteiligt sind, ist unbedingt zu beachten.“
  • Der allgemeine Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist zu berücksichtigen. Dazu gehören als Teilgrundsätze:

a) Das Mittel der Gewalt muß geeignet sein, daß heißt erfolgversprechend sein, um eine Beendigung des Konfliktes zu bewirken.

b) Alle wirksamen milderen Mittel sind zuvor auszuschöpfen, das heißt, der Gewaltgebrauch muß als äußerstes Mittel erforderlich sein. Im Rahmen ethischer Gewaltkritik besagt das Argument der »ultima ratio«, daß unter allen geeigneten Mitteln das jeweils gewaltärmste vorzuziehen ist. Wenn von »ultima ratio« gesprochen wird, so ist dies nicht im zeitlichen Sinne gemeint, sondern gilt einer qualitativen Aussage über die Verhältnismäßigkeit der eingesetzten Gewaltmittel.

c) Das Mittel muß angemessen sein, daß heißt, das durch die Aggression verursachte Übel darf nicht mit einem noch größeren Übel beantwortet werden.“

In diesem Katalog zeichnet sich eine doppelte Radikalität der Argumentation ab: Auf der einen Seite wird klar, daß das unmittelbare Töten von Menschen immer eine Handlung ist, die die Grenze dessen überschreitet, was Menschen als relativ besseres Handeln moralisch rechtfertigen können. Hier hilft keine Güterabwägung, und das heißt letztlich das Wagnis, Schuld zu übernehmen. Auf der anderen Seite wird die Aktualität protestantischer Bekenntnisschriften aus dem Zeitalter der Reformation (Confessio Augustana aus dem Jahr 1555, Art. 16) lebendig. Dort heißt es, Christen sei geboten, „den öffentlichen Amtsinhabern und Gesetzen zu folgen, wenn es ohne Sünde möglich ist“. Das lutherische Bekenntnis stellt die rechtmäßige Kriegführung in die spannungsreiche Perspektive einer Ethik der Befolgung des Rechts, aber unter den Vorbehalt des an Gottes Wort gebundenen Gewissens (Reuter, 1994, S.86). Schärfe und Radikalität dieser Schlußfolgerungen heben das Reden vom Grenzfall und der »ultima ratio« faktisch auf.

Fazit

Der Gehalt des friedensethischen Diskurses läßt sich mit folgenden Punkten zusammenfassen:

Die protestantische Friedensethik vertritt in dem heutigen Kontext das Notwendige, aber Unzeitgemäße:

Während der politische Diskurs von dem Reden von »nationalen Interessen« bestimmt ist oder Verpflichtungen in Bündnissen beschworen werden, argumentieren die friedensethischen Kriterien vor dem Hintergrund einer weiterreichenden Perspektive. Sie heben das Ziel einer internationalen Friedens- und Rechtsordnung in einem Moment hervor, in dem die Hoffnungen, die Vereinten Nationen könnten etwas Vergleichbares wie ein international wirksames Konfliktmanagement etablieren, zerstoben sind. Die friedensethischen Positionen beharren auf einer Mäßigung militärischer Gewalt, obwohl das gegenwärtige Scheitern von politischen, gewaltfreien Lösungen eher darauf drängt, doch wieder Zuflucht bei militärischen Mitteln in der Politik zu suchen. Zu dem Unzeitgemäßen gehört auch, jene Traditionen und Konflikte nicht zu leugnen, die in die Herausbildung der heutigen Konsense eingegangen sind.

  • Der friedensethische Diskurs spiegelt den gesellschaftlichen Wandel:

In der Gesellschaft wird zwar die Legitimation von Streitkräften generell nicht in Zweifel gezogen. Bezweifelt werden aber die Begründungen eines Wozu und Ob der Streitkräfte in ihrer bisherigen Form. Die zunehmende Distanz zwischen institutionalisierter Politik und gesellschaftlichen Veränderungen erreicht auch den militärischen Sektor. Sie trifft ihn umso härter, als gerade ihm aufgetragen ist, staatliche Souveränität zu repräsentieren. Die Schuld dafür, daß die Zustimmung in der Gesellschaft zu Sinn und Auftrag der Streitkräfte schwindet, kann diesen nicht allein angelastet werden, sondern ist der fehlenden Fähigkeit der politisch verantwortlichen Personen und Gremien geschuldet, einsichtige Begründungen zu vermitteln und mit anderen Politikfeldern zu verbinden. Wenn hier von protestantischer Seite der Mut aufgebracht wird, gegen die Resignation und gegen die Flucht in kurzfristigen Opportunismus anzugehen, werden ihr auch alle Lasten der Begründung aufgebürdet, wie zum Beispiel mit der Forderung, parallel zu dem geplanten IFOR II-Einsatz auch die Tätigkeit von Friedensdiensten im ehemaligen Jugoslawien zu fördern.

  • Der friedensethische Diskurs stellt sich in supranationale Zusammenhänge:

Die Argumentationsmuster im friedensethischen Diskurs reflektieren selbstverständlich den spezifischen Horizont der deutschen Geschichte. Kirchen und Christen erleben belastend und anregend zugleich, wie sich aus den Traditionen von Deutschland-West und Deutschland-Ost neue Konturen und Inhalte eines öffentlichen Bewußtseins herausbilden. Gleichzeitig nimmt die Friedensethik den ökumenischen Horizont auf, der seinerseits die Spannungen zwischen Arm und Reich, aber auch die Verknüpfung von Frieden, Gerechtigkeit und Erhalt einer von Gott gewollten Schöpfung in die Debatte hineinträgt. Wenn die These zutrifft, daß die Politik in zunehmendem Maße vergesellschaftet wird (Beck, 1993), dann sind die Kirchen einer der Orte, die dies als erste zu spüren bekommen. Sie entwinden sich den Fesseln einer Diskussion, die sich auf einen nationalen Zusammenhang beschränkt, und entfalten jene nationale Grenzen überschreitenden Perspektiven am ehesten, die sich an den Anforderungen einer »Gesellschaftswelt« in Abgrenzung von der »Staatenwelt« orientieren.

Nun stellen sich dem friedensethischen Diskurs mit der Neuen Sicherheitspolitik neue Herausforderungen. Es wird argumentativer Anstrengungen bedürfen, dem Primat des Friedens gegenüber dem Drängen militärgestützter Politik endgültig Vorrang einzuräumen. War man bisher auf die Dilemmata des Atomzeitalters fixiert, so kommt es nun darauf an, die früheren Polarisierungen hinter sich zu lassen und die Engführung auf die Alternative zwischen ethisch akzeptablen und ethisch nicht-akzeptablen Möglichkeiten, militärische Mittel einzusetzen, aufzugeben. Die Entscheidung der EKD-Synode in Borkum vom 4.11.96, die Konfliktprävention und Aggressionssteuerung im Rahmen der praktischen Friedensarbeit zu fördern, weist bereits in diese Richtung. Dies wird immer in der Spannung stehen, das Doppelgesicht von Gerechtigkeit auszuhalten, einerseits das geschehene Unrecht zu sühnen und andererseits Zeichen der Versöhnung zu setzen. Bei allem darf die zentrale Aufgabe, stets zwischen Gut und Böse zu unterscheiden, angesichts der Zwänge des politischen Pragmatismus nicht aus dem Blick verloren werden.

Literatur

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Berger, P. L. (1994). Sehnsucht nach Sinn. Glauben in einer Zeit der Leichtgläubigkeit, Frankfurt am Main/New York.

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Meiers, F.-J. (1996). Keine deutsche Sonderrolle mehr: Die Zukunft der Bundeswehr liegt nicht in der Vergangenheit. Frankfurter Allgemeine vom 27.9.96.

Reuter, H.-R. (1994). Friedensethik nach dem Ende des Ost-West-Konflikts. Zeitschrift für Evangelische Ethik, 38, S.81 – 99.

Schoch, B. (1996). Die schillernde Rede von der Normalisierung Deutschlands. Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung, Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft, Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (Hrsg.). Friedensgutachten 1996, S. 79 – 90, Münster.

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Dr. Bernhard Moltmann ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK), Frankfurt am Main

Humanitäre Intervention

Humanitäre Intervention

Zur ethischen Problematik eines neuen Typs militärischer Einmischung

von Hajo Schmidt

Die Weltgeschichte steckt voller Interventionen, und dieser Satz bleibt richtig auch dann, wenn wir uns auf militärische Interventionen beschränken. Wollte man sich – versuchsweise, es gibt hier kaum Einschlägiges – um eine Typologie historischer Interventionen bemühen, dann ließen sich mit Jürgen Osterhammel vier Formen unterscheiden: die besitzergreifende Intervention (zu Expansionszwecken), die Big-Stick-Intervention (zu Ordnungs- und Machtdemonstrationszwecken), die (meist eine Hegemonialmacht schwächen sollende) sezessionistische Intervention und die humanitäre Intervention.1)

Während an Belegen für die drei erstgenannten Interventionstypen (leider) kein Mangel besteht, müssen wir es wie Osterhammel und andere Bearbeiter dieser Problematik durchaus offen lassen, ob in den letzten Jahrzehnten (etwa: Indien in Ostpakistan, Tansania in Uganda, Vietnam in Kambotscha) echte, das heißt primär humanitär motivierte Interventionen stattgefunden haben, oder ob diese nur aus nachvollziehbaren Gründen als solche qualifiziert wurden. Ist der Sachverhalt heute, nach dem Ende des Kalten Krieges, eindeutiger, wenn »humanitär« interveniert werden soll unter Führung der UNO und in Anerkennung allgemein verbindlicher völkerrechtlicher Normen? Schon die notorische Instrumentalisierung der UNO durch mächtige Staaten und Interessen wird uns an einer schnellen Zustimmung hindern. Doch sei dies, wie es wolle: Für eine normative Würdigung des Problems ist es letztlich unerheblich, ob wir es im Falle humanitärer Interventionen mit einer neuen politisch-militärischen Institution oder lediglich einem politisch-ethischen Anspruch zu tun haben. Denn auch dieser ist ein sozialer Fakt, der politische und gegebenenfalls rechtliche Konsequenzen hat und daher geschichtsmächtig werden kann.

Humanitäre Intervention – ihre Problematik und historische Verortung

Schon der Euphemismus des Begriffs »humanitäre Intervention« muß Vorbehalte wecken. Zum Schutz und zum Wohl fremder Menschen militärische Zwangsmittel auf fremden Territorien einzusetzen – sollte man in diesem Vorhaben nicht eher eine contradictio in adiecto, zumindest aber ein Hasardspiel erkennen, in dem die Gewaltätigkeit des Mittels jederzeit die Nobilität der Zwecke zu überwältigen droht? Aber nicht nur die materielle, auch die rechtliche Qualität des einzusetzenden Mittels provoziert Bedenken.Die Souveränität des modernen Staates bestätigt sich außenpolitisch und völkerrechtlich darin, daß in ihn nicht (militärisch) interveniert werden darf. Zunächst eine Frucht des Westfälischen Friedens, erfuhr der Zusammenhang von Staatssouveränität und Interventionsverbot nach dem Zweiten Weltkrieg globale Anerkennung und bestätigte im UNO-System gerade den vom Kolonialismus befreiten Ländern ihre völkerrechtliche Gleichstellung mit den Gründerstaaten. Verständlich, daß gerade diese Neugründungen – potentielle Interventionsobjekte der neunziger Jahre – sich gegen jede Aufweichung des Zusammenhangs von Staatssouveränität und Nichtintervention sperren; verständlich auch, daß selbst die oben als mögliche »humanitäre Interventen« qualifizierten Staaten kein Interesse an einer völkerrechtlichen Festschreibung ihres Tuns bzw. ihrer Motive zeigten. Notwendigerweise rüttelt die Legitimation eines bestimmten Interventionstyps an den Grundlagen des bestehenden Völkerrechts. Die ethische Fragwürdigkeit von Interventionen wird deutlich, anerkennt man die nicht rechtsqualitative, so doch strukturelle Ungleichheit der in einen Interventionsvorgang verwickelten Parteien. „Intervention ist in einem doppelten Sinne asymmetrisch: Zum einen setzt sie ein allgemeines … Machtgefälle voraus, ist also typischerweise eine Big-Brother-Verhaltensweise. Zum anderen hat sie in der Regel asymmetrische Folgen: Im Unterschied zu einem Krieg zwischen Staaten, der unter modernen Bedingungen von tendenziell totalem Krieg tiefgreifende Auswirkungen auf beide (oder alle) beteiligten Gesellschaften hat, trifft die Intervention in voller Schwere nur den Zielstaat, während sie dem intervenierenden Staat allenfalls Kosten verursacht 2). Wie selbstverständlich lokalisiert sich der Interventionsdiskurs in der Perspektive der (Über-) Macht und verleiht der anderen Seite zwingend den Charakter des Verfügbaren, eines Maßnahmeobjekts – was neue Ungerechtigkeiten geradezu herausfordert.

Fügen wir diesen Einwänden als letzten noch die ethisch bedeutsame Einsicht hinzu, daß die Anerkennung weder von Menschenrechten noch von moralischen Werten allgemein militärisch erzwungen werden könne; was in diesen Dingen nicht freiwillig übernommen werden könne, das werde zurecht als Octroi empfunden, als eine neue Drehung in einer Spirale der Gewalt.

Ohne Zweifel: Das sind gravierende Bedenken und Erinnerungen, Herausforderungen für jede seriöse Interventionsapologie. Gleichwohl wäre es zu kurz gegriffen, die Rede von humanitärer Intervention einfach als machtpolitisch motivierte Ideologie abzutun, anstatt die Dialektik der Geschichte wie gegenläufige Bewertungen zur Kenntnis zu nehmen.

Vieles spricht dafür, daß die Hoch-Zeit qua Globalisierung zugleich den beginnenden Abstieg des Prinzips der Staatssouveränität und seines Nicht-Interventionskorrollars markiert. „Normative claims for the role of human rights, the strategic logic of deterrence (which acknowledged that »defense« of territory and population were not possible), economic interdependence (including issues of the environment), and the process of »pooling« of sovereignty that marks European politics (home of the sovereign state) have all posed distinct challenges to the traditional concept of sovereignty.“ 3 Dramatischer noch stellt sich dieser Prozeß der Entmächtigung und der Überforderung des Einzelstaates hinsichtlich seiner Schutz- und Integrationsfunktionen dar im Falle der auseinanderbrechenden Staaten der ehedem Zweiten wie der mehrheitlich schwachen Staaten der Dritten Welt. Hier brechen allenthalben ethno-soziale Frontlinien auf, entwickeln sich Antiregime- oder sezessionistische Kriege, die rein quantitativ mittlerweile den klassischen zwischenstaatlichen Krieg – den zu verhindern doch die vornehmste Aufgabe der UN-Ordnung war – abgelöst haben.

In doppelter Hinsicht müssen diese Auseinandersetzungen internationale Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Auf Grund der häufigen territorialen Nichtkongruenz von ethnischer und staatlicher Zugehörigkeit der streitenden Gruppen haben diese akuten oder drohenden Bürgerkriege meist eine internationale (bedrohliche) Dimension,4 die ein ruhiges Abwarten der Nachbarstaaten ebensowenig wie der inter- und supranationalen Organisationen gestattet – dies umso weniger, als die extreme Gewalttätigkeit der Kämpfe, vom Irak über Bosnien bis Rwanda, in grellem Kontrast steht zu der gerade von der UNO promovierten „Internationalisierung der Menschenrechte“ 5.

„In diesen Konflikten wird eine Gewalt angewendet, die keine Regeln der Selbstbegrenzung mehr anzuerkennen scheint. Die Bestimmungen der Genfer Konventionen von 1949 und der Zusatzprotokolle von 1977 werden mit offenbar zunehmender Rücksichtslosigkeit verletzt. Der Schutz der »Zivilbevölkerung« ist nicht gewährleistet, sie wird z. T. gezielt in das Kriegsgeschehen einbezogen.“ 6 Hier deutet sich an, daß die ethisch motivierte Zurückweisung des Ansinnens, die Anerkennung von Menschenrechten militärisch zu erzwingen, nur die halbe Wahrheit ausspricht. Darf es in ethischem Betracht bei militärischen Eingriffen in derartige Konflikte doch nicht um die Gesinnung der Täter, sondern muß es um den allerdringlichsten, oft unaufschiebbaren Schutz der Opfer gehen.

Die weitere Entwicklung des Völkerrechts bleibt abzuwarten. Wenngleich zur Stunde kaum Rechtsgrundlagen für humanitäre Interventionen auszumachen sind und selbst massive Menschenrechtsverletzungen nur als Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit sanktionsfähig sind, könnten die UN-Resolution 688 vom 5. April 1991 und zumal die Somalia-Resolution vom 3. Dezember 1993 ein langsames Umdenken in Richtung einer völkerrechtlichen Legitimierung menschenrechtlich begründeter (»humanitärer«) Interventionen indizieren. Gut möglich, daß sich eine kritische Öffentlichkeit von der Politischen Ethik größere Klarheit erhofft, wie der Zwiespalt zwischen der überkommenen Weisheit des Interventionsverbots und der Unerträglichkeit verletzten Menschenrechts zu überwinden sei. Gewiß aber suchen viele in dieser verzweifelten Situation nach einem Beurteilungsmaßstab, der sich nicht am einzelstaatlichen Interessenkalkül, sondern an übergreifenden (humanen) Interessen orientiert und dessen Kriterien vereinbar sind mit ihren innersten moralischen Überzeugungen.

Humanitäre Intervention – ethische Würdigungen und Kontroversen

Beide Wünsche zu erfüllen, ist nicht leicht und verlangt, eine polyphone und durchaus kontroverse Diskussion zur Kenntnis zu nehmen, ehe sich eine begründete eigene Position ins Spiel bringen läßt. Die nachfolgende exemplarische Vorstellung und Überprüfung dreier vieldiskutierter Interventionsethiken7 präsentiert zentrale einschlägige Prinzipien, Widersprüche und Desiderate, deren Kommentierung und systematische Zusammenführung dem Leser weitere Klarheit und auch eine Idee von der Position des Verfassers vermitteln sollen. Letztere werde ich abschließend dann im Hinblick auf den Schwerpunkt dieses Heftes weiter zu profilieren versuchen.

Die aktualisierte bellum-iustum-Doktrin

Die älteste hier vorzustellende ethische Tradition, in der Vergangenheit allzu oft willfähriges Rechtfertigungsinstrument einzelstaatlicher Kriegsführung, gilt vielerorts als hoffnungslos diskreditiert. Sieht man genauer auf die Inhalte, dann wird ein distanzierteres Urteil der Doktrin vielleicht eher eine fundamentale Ambivalenz bescheinigen. Wenn es nicht nur einer »legitimierten Obrigkeit« (legitima potestas), sondern zugleich eines »gerechten Grundes« (iusta causa als einseitig-manifestes Unrecht des Gegners) wie einer »rechten Absicht« (recta intentio als Wiedergutmachung und Friedensschaffung) bedurfte, um legitim Krieg zu führen, dann mochte man sich schon zu Augustinus' Zeiten (345-430) fragen, ob hier das spätrömische Kriegswesen für Christen reputierlich gemacht oder als letztlich illegitim denunziert werden sollte.

Klar ist vielen Anhängern dieser Tradition, daß sich der überkommene Gerechtigkeitsanspruch einer bestimmten Sorte von Angriffskriegen (als Interventionsextremen) weder moralisch noch rechtlich weiter rechtfertigen läßt. Moralisch betrachtet, bedroht das Zerstörungspotential moderner Waffensysteme jede vernünftige Zweck-Mittel-Kalkulation von innen her; darüber hinaus beraubt uns das Fehlen einer allgemeinverbindlichen Vorstellung einer gerechten sozialen Ordnung der Möglichkeit, militärische Maßnahmen und Effekte „von der Gerechtigkeit ihrer Zwecke her … zu beurteilen“. Völkerrechtlich aber hat das allgemeine Gewaltverbot der UN-Charta das ius ad bellum souveräner Staaten aufgehoben und „ein überpositives Selbstverteidigungsrecht zwar eingeräumt, aber auf ein befristetes subsidiäres Notrecht unter der Prärogative des Sicherheitsrates zurückgedrängt (Art. 51 UN-Charta).“ 8

Auffallend ist das Anpassungsvermögen der bellum-iustum-Tradition an neue Situationen und normative Optionen. Wird der – m.E. nur noch für den notrechtlichen Selbstverteidigungsfall kriegerisch legitimierte – Einzelstaatsouverän (Regierung/Parlament) in der Funktion der legitima potestas ersetzt durch die Internationale Gemeinschaft selbst, so verändert dies den Gehalt und Zusammenhang aller anderen Legitimationskriterien. Die »gerechten Gründe« etwa ließen sich jetzt begrenzen auf das unverschuldete Attackiertwerden eines Einzelstaates sowie auf massive und andauernde Menschenrechtsverletzungen. Die »rechte Absicht« bestünde, dem Hauptzweck des UN-Systems gemäß, in der Wiederherstellung friedlicher Verkehrsverhältnisse und gesicherten Menschenrechts etc.

Besonderes Gewicht käme heute sicher dem (doppelten) Kriterium der »Verhältnismäßigkeit« zu – der durch den Krieg bzw. der Intervention bewirkte Schaden darf das Gute (soweit vorhersehbar) nicht übersteigen; jedes konkrete Gewaltmittel ist auf seine Ersetzbarkeit durch weniger gewaltträchtige Mittel und Aktionen hin zu überprüfen – sowie dem »ultima-ratio«-Kriterium: Militärische Gewalt ist erst dann legitim, wenn klar ist, daß gewaltfreie Mittel nicht gegriffen haben oder nicht rechtzeitig greifen können.

Kantianischer Anti-Interventionismus

Am Ausgang des 18. Jahrhunderts hat Kants Friedensethik den Gerechtigkeitsanspruch von Kriegen schlankweg bestritten. Als »Rechtsgang«9 tauge der Krieg nicht, weil über seinen Ausgang nicht ethische und Rechtsgründe, sondern die Qualität von Strategien, Waffen und Soldaten befinde. Grundsätzlich spreche gegen den Krieg – und darum kann auch der legitime Verteidigungskrieg nicht »gerecht« genannt werden – , daß er Leben und Freiheit Unschuldiger zerstört und gefährdet und den Selbstzweck Mensch zum Mittel werden läßt.

Konsequenterweise ist Kant Anti-Interventionist. Außer im Falle offenkundiger Anarchie gilt: „Kein Staat soll sich in die Verfassung und Regierung eines andern Staats gewalttätig einmischen.“ (5. Präliminarartikel der Friedensschrift)10 Kants Anti-Interventionismus ist aber nicht nur moralphilosophisch, er ist zugleich rechtslogisch begründet: Nur ein intakter, weder von innen noch von außen in Frage gestellter Staat kann den vernunftgeforderten Rechtsfortschritt gewährleisten; kann mithin den institutionellen Rahmen eines die individuellen Rechte garantierenden, dabei entwicklungsfähigen Systems der Gerechtigkeit abgeben.

Indem Kants doch strikte menschenrechtlich orientierte Politische Ethik die Unantastbarkeit der staatlichen Souveränität betont, demonstriert sie, ein wie hohes Gut das Interventionsverbot des Völkerrechts ist und auf unabsehbare Zeit bleiben muß. Und doch wurde zurecht daran erinnert, daß auch für Kant dieses Prinzip nicht ohne Ausnahmen bleibe. Sei eine Intervention im Falle eines »ungerechten Feindes« (hostis iniustus) – eines Herrschers etwa, der sich grundsätzlich über Verträge und Abmachungen hinwegsetze – als Akt der Selbstverteidigung einer auf Rechtsvereinbarungen beruhenden Staatengemeinschaft zumindest erlaubt, so sei sie im Falle eines »Feindes des Volkes« (hostis populi) zwingend geboten: „If an autocrat, a ruling race, ethnic group or party persecutes and exterminates parts of the people, causes a large-scale massacre amonst the citizens, then military intervention is not only morally permissible, but morally required…“ 11

Die hostis-populi-Einschränkung erst macht die kantische Ethik – Betonung des menschenrechtsdefizitären Interventionismus, Legitimation desselben in Extremfällen; Verbot des Demokratie- und Menschenrechtsexports – in sich stimmig12 und bezeugt deren kriteriale Aktualität. Zwei Probleme aber, Schwerpunkte auch der heutigen Diskussion, müssen zumindest notiert werden.

Kann man die Pflicht zur Intervention im angegebenen Falle auch dem Einzelstaat zusprechen, obwohl damit gerechnet werden muß, daß diesem daraus ein hochwillkommener Vorwand (»gerechter Grund«!) zur kriegerischen Verfolgung eigener Interessen erwachsen kann? Kann überhaupt die uneigennützige Feststellung, daß eine menschenrechtlich unerträgliche Situation vorliegt, von einer anderen als einer supranationalen Instanz erwartet werden? Und zum zweiten: Müßte eine einschränkungslose Pflicht zur Intervention im angegebenen Falle nicht jede zur Zeit denkbare völkerrechtliche Friedensordnung überfordern und damit vielleicht noch kriegerischere Zeiten heraufbeschwören?

Die kommunitaristische Interventionsethik und ihre Kritiker

Michael Walzers Verteidigung des Selbstbestimmungsrechtes politischer Gemeinschaften13 verleiht der ethischen Interventionsdebatte eine bisher noch nicht thematisierte Dimension. Gründete der kantianische Anti-Interventionismus in der erstrangigen Rechtsschutzfunktion jedes Staatsgebildes, so schätzt Walzer den Staat als Ergebnis und Terrain politischer Selbstbestimmung. „The state is presumptively … the arena within which self-determination is worked out and from which, therefore, foreign armies have to be excluded.“ 14 Das auch Kant nicht fremde kollektive Selbstbestimmungsrecht bleibt bei diesem ein aus individuellen Grundrechten abgeleitetes Recht, wohingegen für Walzer der gemeinschaftliche Selbstbestimmungsprozeß individuelles Menschenrecht erst ausformt und in Geltung setzt. Offensichtlich relativiert diese Fokussierung des Selbstbestimmungsrechts sowohl das Gewicht menschenrechtlicher Interventionsbegründungen wie die Berufung auf eine unantastbare Staatssouveränität.

In bestimmten Fällen, allesamt darstellbar als Verletzungen oder Verhinderungen politischer Selbstbestimmung, gibt es also Ausnahmen vom Interventionsverbot: „Es ist möglich, in andere Staaten einzumarschieren und einen rechtmäßigen Krieg zu beginnen, um separatistische Bewegungen, die ihren repräsentativen Charakter unter Beweis gestellt haben, zu unterstützen; um ein Gleichgewicht zu der vorangegangenen Intervention einer anderen Macht zu schaffen; und um Menschen zu retten, die von einem Blutbad bedroht sind.“ 15 Letzterer Fall, der unter sich Massaker, Genozide und Versklavungen begreift,16 legitimiert eine humanitäre Intervention im eigentlichen Sinne.

Die kommunitaristische Ethik politischer Selbstbestimmung erinnert an die zahllosen und blutigen Kämpfe, die auch in der westlichen Welt den Menschen- und Bürgerrechten erst Definition und Geltung verschaffen und deren Rolle und Bedeutung nicht einfach durch allfällige Interventionen substituiert werden können. Darüber hinaus belegt sie, daß nicht nur interkulturell, sondern in der westlichen Kultur selbst der gemeinhin behauptete vorpolitische bzw. vorsoziale Charakter der Menschenrechte umstritten, damit aber auch deren generelle Universalisierungsfähigkeit bestreitbar ist.

Schon um dem Eindruck entgegenzutreten, Interventionsethiken stünden militärischen Interventionen grundsätzlich ablehnend gegenüber, möchte ich darauf hinweisen, daß Walzers Hauptwerk eine massive Kritik hervorrief, die vornehmlich die Knappheit legitimierender Gründe für humanitäre Interventionen sowie Walzers vorgebliche Hypostasierung von Staat und Selbstbestimmungsrecht aufs Korn genommen hat. Beate Jahns Aufarbeitung dieser Debatte monierte zweierlei, auch für hiesige Diskussionen bedenkenswerte Hauptschwächen der Walzer-Kritik. Zum einen zeichnete diese nicht nur ein wie selbstverständlicher bias für das westlich-liberale Gesellschaftsmodell aus, sondern auch ein erstaunlich uneinheitliches Verständnis der als Interventionsreferenzen postulierten Menschenrechte. Tatsächlich wurden „weitreichende militärische Interventionen zum Schutz der Menschenrechte legitimiert, diese Rechte aber weder jedem Individuum noch jeder politischen Gemeinschaft grundsätzlich zugestanden“.17

Zum anderen konstatierte Jahn eine auffallende Mißachtung der Grundlagen und Voraussetzungen der inkriminierten Menschenrechtsverletzungen, die doch nur zu häufig darin zu suchen sind, daß vielen Völkern die für westliche Staatsvölker übliche Selbstbestimmung in der Vergangenheit verwehrt wurde und auch zukünftig verwehrt bleiben soll. Anstatt auf die Karte militärischer Gewalt zu setzen, empfiehlt Jahn hier, eine dringend erforderliche Menschenrechtspolitik über die Aufgabe der Unterstützung menschenrechtsverachtender Regime und eine phantasievoll und kooperativ angelegte Politik der Anerkennung des Selbstbestimmungsrechts politischer Gemeinschaften zu betreiben.18

Zur Systematik interventionsethischer Reflexionen

Nicht weniger als das ultima-ratio-Prinzip der Doktrin des gerechten Krieges erinnert uns Jahns Empfehlung an die erste Aufgabe jeder Friedensethik, nach Alternativen zur militärischen Gewalt zu suchen.

Zumindest indirekt weist Jahn aber noch auf einen weiteren Aspekt humanitärer Interventionen, der ethisch bedrückend und zugleich politisch aktuell ist. Wie könnte ethisch gerechtfertigt werden, daß eine an der selbständigen Durchführung militärischer Interventionen grundsätzlich und mit Bedacht gehinderte UNO Staaten mit der Durchführung eben derselben betraut, deren aktive Verstrickung in die Situation unübersehbar ist? Wie könnten dieselben Staaten umstandslos zu vorgeblich uneigennützigen Agenten des Menschenrechts mutieren, die als hauptsächliche Mitverursacher der Verletzung desselben gelten müssen? Wie immer angewiesen eine schwache UNO auf die Ressourcen mächtiger Einzelstaaten sein mag – im Falle der Hauptverantwortlichen muß eine den Schuld- und Verantwortungsaspekt interventionistischen Handelns bedenkende Politische Ethik das Prinzip der Abstinenz, darüber hinaus aber für diese Staaten wie die Internationale Gemeinschaft überhaupt das Prinzip der Wiedergutmachtung stark machen!

Nutzen wir nun die vorgestellten interventionsethischen Ansätze für einige zentrale Vorschläge hinsichtlich der ethisch legitimierten Veranlassungen, Akteure und Instrumente von humanitären Interventionen.

Was zunächst die legitimen Interventionsgründe betrifft, so plädieren alle drei Ethiktypen für die Beschränkung derselben auf massive Menschenrechtsverletzungen. Tobias Debiels Differenzierung dieser Menschenrechtsverletzungen19 erscheint mir besonders überzeugend: Völkermord; massenhaftes Sterben von Menschen infolge von Krieg, Chaos und unterlassener Hilfeleistung bei Hungerkatastrophen; Massenvertreibungen aus rassistischen u.ä. Gründen. Walzers so hart attackierte Beschränkung der Rechtfertigungsgründe humanitärer Interventionen verdient also volle Unterstützung, weil in Zeiten unbestreitbarer Universalisierungs- und Geltungsprobleme hinsichtlich auch zentraler Menschenrechte ein Set von Kriterien nur hilfreich sein kann, den wir wenn nicht mit den Exekutoren, so doch den Opfern gravierender Menschenrechtsverletzungen mit Gewißheit teilen.

Beachtung verdient aber auch Walzers Insistieren auf dem überkommenen Prinzip der (Priorität der) Selbsthilfe, das die Legitimität externer gewalttätiger Eingriffe vom erklärten Verzicht der Betroffenen, sich selbst zu helfen, abhängig macht. Selbstverständlich dispensiert das Prinzip der Selbsthilfe nicht von externer Verantwortung, sondern bietet seinerseits eine ethische Rechtfertigung für alle (nicht militärische) Arten willkommener externer Hilfeleistung und ziviler Intervention.

Was nun den zur militärischen Zwangsausübung legitimierten Akteur angeht, so sollte keine Ethik den völkerrechtlichen Dispens eines unilateralen Interventionsrechts rückgängig machen. Die Auffassung, daß zuletzt nur die UNO oder eine von ihr legitimierte und ihr gegenüber verantwortliche regionale Friedens- bzw. Sicherheitsorganisation über die Notwendigkeit einer humanitären Intervention beschließen und diese durchführen kann, teile ich mit vielen, im übrigen auch kantianischen,20 Interventionsethikern. Allein eine Institution, die das Menschenrecht materiell bestimmt und festschreibt, über seine Verletzung in concreto befindet und für die geeigneten Gegenmaßnahmen sorgt, kann sich gegenüber dem Menschenrechtsverletzer mit dem klassischen Legitimationsprinzip »volenti non fit iniuria«21 schmücken. Hieraus folgt natürlich auch, daß alle militärischen Maßnahmen durch die Truppen und unter dem Kommando des legitimen Akteurs zu erfolgen haben.

Graue Theorie? Stolperstein jeder ethischen Interventionsapologie, solange die UNO auf die militärischen Kapazitäten zumindest von Staatenbündnissen angewiesen und damit auf die Respektierung staatlicher Eigeninteressen verwiesen ist? Nicht unbedingt: Die den einzelnen Leviathan wahrscheinlich allererst zum Handeln veranlassenden Eigeninteressen können solange als interventionsethisch unbedenklich gelten, als institutionell und konkret dafür Sorge getragen wird, daß im Konfliktfalle das »um der Humanität willen« Geforderte den Vorrang gegenüber allen anderen Zwecken behauptet.

Dürfte das Ziel einer humanitären Intervention bzw. die dem Interventionakteur abzuverlangende »rechte Gesinnung« in der Regel darin bestehen, die blutigen Konflikte zu beenden, die Verbrechen gegen das Menschenrecht zu stoppen und künftige zu verhindern, das Recht wieder zur Geltung zu bringen und die Friedenskräfte zu stärken,22 dann stellt sich die Frage, welche legitimen Mittel für diesen umfassenden Zweck zur Verfügung stehen. Erinnern wir uns an das Verhältnismäßigkeitskriterium der bellum-iustum-Tradition, das sich auch als Grundsatz der zu vermeidenden Selbstwidersprüchlichkeit der praktischen Vernunft explizieren ließe:

Zur Erreichung ihrer humanitären Zwecke dürfen Interventen nicht gleiches oder größeres Unrecht oder Leid verursachen als das, was den Interventionsgrund abgegeben hat. Der primäre Schutz von Leib und Leben und der psychischen Integrität der bedrohten Bevölkerung verlangt einen äußerst restriktiven Einsatz militärischer Gewaltmittel und -strategien. Das bedeutet genauer: Legitime Gewaltmittel müssen geeignet, d. h. erfolgversprechend im Hinblick auf das vorgegebene Interventionsziel sein, außerdem aber müssen sie auch erforderlich sein, d.h. sie dürfen nicht ohne Not den gewaltärmeren Mitteln vorgezogen werden.

Fazit und Ausblick

Auf Grund der unentwirrbaren Motivgemengelage auch multi- und suprastaatlicher Akteure, der unbefriedigenden institutionellen Gegebenheiten und der unkalkulierbaren Kollateralschäden halte ich die Politische Ethik für grundsätzlich überfordert, bestimmte, angemahnte oder durchgeführte Interventionen als legitim bzw. ethisch unerläßlich zu erweisen. Hier muß man immer mit mehr oder weniger guten ethischen Argumenten, mit mehr oder weniger Gerechtigkeit rechnen.

Grundsätzlich aber sollte eine Politische Ethik ihre Urteile nicht einfach von einer bestehenden Realität und Praxis abhängig machen, zu deren Werden sie kaum oder gar nicht hat beitragen dürfen. Entsprechend zielt auch die Logik dieses kleinen Beitrags genauer auf eine Politik der institutionellen und materiellen Umsetzung bestimmter rechtsethischer Kriterien und Postulate, deren sukzessive Realisierung die ethische Angemessenheit und Glaubwürdigkeit gewalttätiger Aktionen aus humanitären Gründen erhöhen würde. In bezug auf notwendige Weiterentwicklungen des UN-Systems möchte ich diesen Gedankengang abschließend weiter konkretisieren.

Mit inhaltlichen Nuancen sind sich fast alle Interventionsethiken darin einig, in massiven Menschenrechtsverletzungen humanitäre Interventionen legitimierende Gründe zu erkennen. Der bekannte Einwand, diese Rechtfertigungsfigur transportiere den kulturimperialistischen Überlegenheitsanspruch westlichen Menschenrechtsdenkens, dürfte in der Regel den Unterschied von Genesis und Geltung verkennen. Der geographisch und historisch zufällige Ursprung von Erkenntnissen und Normen widerspricht aber keineswegs einem auf dieselben bezogenen universellen Wahrheits- bzw. Geltungsanspruch. Nur – wer befindet über diesen, oder anders: Woher nehmen wir den Geltungsgrund?

Dieser soll auch hier in die universelle oder als universell möglich unterstellte Akzeptanz der in Anspruch genommenen Normen gesetzt werden, den zuletzt nur reale demokratische Verfahren zum Ausdruck bringen können. Es reicht hier nicht der Verweis auf die (insgesamt durchaus beeindruckende) menschenrechtliche Beschlußlage der internationalen Gemeinschaft, die völkerrechtlich zwar entscheidend, rechtsethisch aber zu relativieren ist. Zu oft nämlich dürften staatlicher Opportunismus und Interessenkalkül menschenrechtliche Zugeständnisse erkauft haben. Aber wichtiger noch: Alle einschlägigen Beschlüsse werden hier von Staatsvertretern, von Repräsentanten also der Mächte verabschiedet, denen gegenüber doch allenthalben Menschenrechtsansprüche erhoben und verteidigt werden.

Ich plädiere also für den diskursethischen Vorschlag, das Geltungspotential menschenrechtlicher Normen durch institutionalisierte Diskurse und Beschlüsse zu erhöhen, deren Partizipanten nicht Vertreter von Staaten und Regierungen, sondern von Kulturen und Völkern sein sollten; die mithin geeignet und verpflichtet wären, nicht nur strategisch die eigenen Ziele und Auffassungen durchzusetzen, sondern auch die Perspektiven aller anderen Teilnehmer zu übernehmen. Dieses – zu den institutionellen Gegebenheiten komplementäre – Programm ethischer Legitimationserhöhung könnte die alte Idee einer (zweiten) General Assembly der Völker wiederbeleben, der die Versammlung der Regierungen rechenschaftspflichtig wäre. Jedenfalls muß es zu stärker demokratisierten internationalen Institutionen führen, die statt der politischen und militärischen Macht die Macht des Wortes, des Kompromisses und des geregelten Verfahrens begünstigen.23

Anmerkungen

1) Vgl. dessen Beitrag Imperiale Interventionen. Eingriffe an der »Peripherie« im Zeitalter europäisch-amerikanischer Weltherrschaft. In: Friedenspolitik und Interventionspraxis. Studienbrief der FernUniversität Hagen. Hg. v. H. Schmidt. I.E. Zurück

2) Ebda., (Ms.) S. 65. Zurück

3) J. Bryan Hehir: Intervention: From Theories to Cases. In: Ethics and International Affairs 9 (1995), S. 3. Zurück

4) Zurecht sprechen Lewer und Ramsbotham hier von „international-social conflicts“, s. Lewer, N./Ramsbotham, O: „Something must be done“. Towards an Ethical Framework for Humanitarian Intervention. Peace Research Report No. 33. Department of Peace Studies, University of Bradford 1993, S. 2 u. passim. Zurück

5) Brock, L./Elliesen, T.: Humanitäre Intervention. Zur Problematik militärischer Eingriffe in innerstaatliche Konflikte. In: Umbruch in der Weltgesellschaft. Auf dem Wege zu einer »Neuen Weltordnung«? Hg. v. W. Hein. Hamburg 1994, S. 390. Zurück

6) Ebda., S. 383. Zurück

7) Eine umfänglichere komparative Behandlung kurrenter Interventionsethiken bietet mein Beitrag „Menschenrechte und militärische Gewalt. Zur ethischen Problematik »humanitärer Intervention““. In: F. Nuscheler/T. Debiel (Hg.): Humanitäre Intervention. Bonn 1995 (i.E.). Ehrgeiziger noch ist das Ethik-Projekt von Lewer und Ramsbotham, vgl. Anm. 4. Zurück

8) Reuter, Hans-Richard: Frieden mit aller Gewalt? Aspekte politischer Ethik. In: Friedensgutachten 1994. Hg. v. F. Solms, R. Mutz und G. Krell. Münster/Hamburg 1994, S. 82. Zurück

9) I. Kant: Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer Entwurf. In ders.: Kleinere Schriften zur Geschichtsphilosophie, Ethik und Politik. Hamburg 1973, S. 133. Zurück

10) Ebda., S. 121. Zurück

11) W. Kersting: Pax Kantiana. Towards a Political Philosophy of International Relations. In: prima philosophia 6 (1993), S. 164. Zurück

12) Insofern sie nämlich das kategorische Verbot der Wiederherstellung des Naturzustandes nicht nur gegen aufrührerische Bevölkerungen und begehrliche Nachbarstaaten, sondern auch gegen terroristische Regierungen kehrt. Zurück

13) Vgl. dessen Hauptwerk: Gibt es den gerechten Krieg? Stuttgart 1982, insbes. S. 136-166, und dessen Beitrag: The Moral Standing of States: A Response to Four Critics. In: International Ethics. A 'Philosophy and Public Affairs' Reader. Hg. v. Ch. Beitz et al. Princeton, New Jersey 1985, S. 217-237. Zurück

14) Walzer 1985, S. 218. Zurück

15) Walzer 1982, S. 165. Zurück

16) Vgl. ebda., S. 141, 157. Zurück

17) B. Jahn: Humanitäre Intervention und das Selbstbestimmungsrecht der Völker. Eine theoretische Diskussion und ihre historischen Hintergründe. In: Politische Viertelsjahresschrift 34 (1993) H. 4, S. 577. Zurück

18) Ebda., S. 581. Zurück

19) T. Debiel: Humanitäre Intervention. Moralische Pflicht oder Türöffner für neokoloniale Machtpolitik? In: ami 22 (1992) H 10, S. 12. Zurück

20) Vgl. u.a. O. Höffe: Kategorische Rechtsprinzipien. Ein Kontrapunkt der Moderne. Frankfurt/M. 1990, insbes. S. 270-277; W. Kersting: Kant und die politische Philosophie der Gegenwart. Einleitung zur Taschenbuchausgabe von ders.: Wohlgeordnete Freiheit. Immanuel Kants Rechts- und Staatsphilosophie (1984). Frankfurt/M. 1994, S. 11-86. Zurück

21) Also: Was ich selbst als Recht beschlossen habe, kann ich nicht, wenn es sich gegen mich kehrt, als Unrecht denunzieren. Zurück

22) Vgl. Schmidt, Hans-Joachim: Nichtmilitärische und militärische Interventionsmöglichkeiten aus ethischer und politikwissenschaftlicher Sicht. In: Der Konflikt im ehemaligen Jugoslawien. Hg. v. d. Arbeitsgruppe »Sicherheitspolitik« der Deutschen Kommission Justitia et Pax. Bonn 1994, S. 23. Zurück

23) Der Anklang an Konzepte »kosmopolitischer Demokratie« ist beabsichtigt; zu letzterem s. vor allem D. Archibugi: The Reform of the UN and Cosmopolitan Democracy: A Critical Review. In: Journal of Peace Research 30 (1993) No. 3, S. 301-315 (mit weiterführender Literatur). Zurück

Hajo Schmidt ist Professor für Philosophie und Leiter der Arbeitsstelle Friedens- und Konfliktforschung der FernUniversität Hagen.

Schuld in Ost und West

Schuld in Ost und West

Während die Deutschen sich ihrer Kriegsverbrechen schuldig fühlten, empfänden die Japaner Scham: Wie zutreffend ist diese Formel?

von Ian Buruma

„Seit 1945 hat sich Japan darauf konzentriert, reich zu werden.“

Japanische Politiker geben manchmal die merkwürdigsten Dinge von sich. So hat etwa Takeshita Noboru, der damals noch Premierminister war, öffentlich behauptet, es sei überhaupt nicht geklärt, ob Hitler wirklich einen Angriffskrieg geführt habe. Er sagte auch, daß erst zukünftige Historikergenerationen darüber entscheiden könnten, ob Japans Krieg in Asien gerecht gewesen sei oder nicht. Und mehrere japanische Konservative mußten von ihren Ministerposten entfernt werden, weil sie erklärt hatten, das Nanking-Massaker von 1937 sei eine chinesische Erfindung.

Äußerungen wie diese haben natürlich außenpolitische Folgen. Solange es in Japan Politiker gibt, die so etwas von sich geben, werden die anderen Länder Asiens Japan nicht zutrauen, über Angelegenheiten von Krieg und Frieden souverän entscheiden zu können – übrigens haben auch viele Japaner dieses Vertrauen nicht. Seit 1945 hat sich Japan darauf konzentriert, reich zu werden, während die Vereinigten Staaten für die Sicherheit des Landes sorgen. Die japanische Verfassung wurde nach dem Krieg von amerikanischen Anwälten formuliert. Sie verbietet es den Japanern, eigene Streitkräfte aufzustellen oder gar Soldaten in andere Länder zu schicken. Dieser Vorbehalt ist zwar nicht mehr angemessen, aber niemand scheint derzeit in der Lage, eine Änderung herbeizuführen, es sei denn auf improvisierte Art – unter Umgehung der Verfassung oder mittels vage formulierter Verfassungszusätze. Auf legale Weise jedenfalls kann sich Japan an internationalen Militäraktionen nicht beteiligen. Das ist eine Folge des Krieges und hat damit zu tun, daß die Japaner als ein gefährliches Volk gelten.

In der Bundesrepublik Deutschland ist die Situation wohl etwas anders. Selbst jemandem wie Franz Josef Strauß wäre es nicht im Traum eingefallen, zu bezweifeln, daß Hitler den Krieg begonnen hat, oder zu behaupten, die Todeslager seien Propagandamärchen der Juden. Trotz der Barbarei, die Deutschland vor über 50 Jahren entfesselt hat und die in mancher Hinsicht schlimmer war als die Untaten der Japaner in Asien, findet Deutschland bei seinen Nachbarn mehr Vertrauen als Japan bei den seinen. Natürlich sind in ehemals besetzten Ländern wie den Niederlanden oder Polen noch antideutsche Ressentiments erhalten, im großen und ganzen jedoch findet man, daß West-Deutschland für seine Sünden gebüßt hat, Japan dagegen nicht.

Wie läßt sich das erklären? Warum stellen sich so viele japanische Konservative gegenüber den Fakten anscheinend blind, während Deutsche mit ähnlichen blinden Flecken sich nur am äußersten Rand des politisch-gesellschaftlichen Lebens finden lassen? Zwischen Japan und Europa liegt eine große Distanz, und die japanische Kultur ist den Europäern so fremd, daß es verführerisch naheliegt, die Erklärung in kulturellen Differenzen zu suchen. Dabei wird man rasch auf die Theorien von Ruth Benedict stoßen.

Die amerikanische Anthropologin wurde während des Zweiten Weltkriegs von DSS, dem amerikanischen Nachrichtendienst, mit einer Analyse der japanischen Kultur beauftragt. Sie war selbst nie in Japan gewesen, die Quellen ihrer Untersuchung waren japanische Romane und Filme. Die Studie erschien unter dem Titel »The Chrysantheum and The Sword« und wurde zu einem Klassiker. Die für das Buch zentrale Unterscheidung zwischen der (japanischen) »Kultur der Scham« und der (westlichen) »Kultur der Schuld« ging in die allgemeine Diskussion ein. Schuldkulturen, so führte die Autorin aus, sind monotheistisch, also jüdisch-christlich geprägt. Die Menschen des westlichen Kulturkreises – und dazu gehören auch die Deutschen – empfänden Schuld, denn ihre Sünden können der Allwissenheit Gottes selbst dann nicht entgehen, wenn sie ihren Mitmenschen verborgen blieben. In Schamkulturen wie Japan oder China dagegen, in denen es statt des einen Gottes viele Götter gibt, empfänden die Menschen nur dann Scham, wenn ihre Sünden öffentlich bekannt würden. Mit anderen Worten: in diesen Kulturen sei »Sünde« kein religiöser, sondern ein gesellschaftlicher Begriff.

Damit könnte man erklären, warum deutsche Sünder sich von ihren Schuldgefühlen dadurch entlasten, daß sie ihre Verfehlungen bekennen: in unzähligen Fernsehsendungen, mit der Errichtung von Holocaust-Mahnmalen, mit einem Kniefall im Warschauer Ghetto. Solche Bekenntnisse können sie vor Gott von Schuld befreien. Ruth Benedicts Unterscheidung vermöchte auch zu erklären, warum viele Japaner genau das Gegenteil tun, nämlich die Verfehlungen, die sie sich haben zuschulden kommen lassen, abstreiten oder verschweigen: in Japan kann die öffentliche Darstellung japanischer Verbrechen nur Gefühle der Scham hervorrufen.

Das klingt plausibel, und doch paßt es einfach zu gut. Warum hatten denn viele Deutsche, vor allem in den ersten zehn Jahren nach dem Krieg, überhaupt kein Bedürfnis danach, sich mit ihrer Vergangenheit auseinanderzusetzen? Und auch für das Verhalten von japanischen Historikern, Journalisten und anderen, die sich engagiert dafür einsetzen, daß die japanischen Kriegsverbrechen allgemein bekannt werden, liefert Ruth Benedicts Unterscheidung keine Erklärung. Natürlich könnte man das als die sprichwörtlichen Ausnahmen ansehen, die die Regel bestätigen. Doch überzeugt es nicht. Darum wäre es wohl zweckmäßiger, vor weiteren Tiefenanalysen der Kulturdifferenzen nach konkreten, nach historischen und politischen Erklärungen dieser nationalen Unterschiede zu suchen.

Wenn Deutsche über Schuld sprechen, dann beziehen sie sich nicht auf Kriegsgeschehen und Militär. Deutsche Schulkinder werden nicht dazu angehalten, sich über den U-Boot-Krieg, den deutschen Einfall in Frankreich oder den Blitzkrieg Gedanken zu machen. Die deutschen Schuldgefühle beziehen sich nur auf eines: auf den Holocaust, symbolisiert durch Auschwitz. Gerade so, wie auch Günter Grass Auschwitz zum zentralen Argument seines Einspruchs gegen die deutsche Vereinigung gemacht hat, nicht Coventry und nicht Stalingrad. Der Holocaust war tatsächlich ein eigener Feldzug, der neben dem militärischen lief; ein Feldzug gegen Zivilisten, denen das Recht auf Leben abgesprochen wurde. Ein ideologischer Krieg, der offiziell bereits 1933 erklärt worden war und der 1945 zusammen mit der Naziherrschaft endete.

Ganz gleich, wie weit man die Wurzeln des Nationalsozialismus in die Geschichte Deutschlands zurückverfolgt, die Zeit von 1933 bis 1945 bleibt eine einzigartige Epoche. Natürlich hat es in Deutschland Antisemitismus auch vor 1933 gegeben, aber auf eine merkwürdige Weise waren es gerade die barbarische NS-Ideologie, der groteske Führerkult und das verbrecherische NS-Regime, die 1945 einen Neubeginn mit einer »Stunde Null« erleichtert haben. Denn gerade ihr Extremismus hebt die Zeit des Nationalsozialismus aus allen anderen Epochen heraus. Die Männer auf der Anklagebank von Nürnberg waren nicht irgendwelche deutschen Politiker, sondern Nationalsozialisten, verantwortlich für furchtbare Verbrechen. Unabhängig davon, wo sie politisch stehen, würden fast alle Deutschen diesem Urteil zustimmen. In ernst zu nehmenden Kreisen der Bundesrepublik gibt es keine Sympathisanten des Nationalsozialismus.

In Japan liegt der Fall komplizierter. Dort gab es weder einen deutlichen Bruch in der historischen Kontinuität noch ein Äquivalent für 1933, das Datum, an dem ein verbrecherisches Regime an die Macht kam. Und es gab weder eine Bewegung mit derart mörderischen Zielen, wie den Nationalsozialismus, noch gab es einen Führer. Die japanischen Truppen haben in Asien den Tod von Millionen von Menschen verursacht, doch stand dahinter keine Ideologie der Rassenvernichtung. Was in Japan stattfand, war die schrittweise Übernahme der politischen Macht durch rivalisierende Teile von Armee und Flotte. Die gleiche Clique von Bürokraten und Parteipolitikern, die Japan vor dem Krieg regiert hatte, regierte im Krieg; und sie regierten – zumindest taten es einige aus dieser Clique – auch noch nach dem Krieg. Etwa Kishi Noboru, der während des Krieges Rüstungsminister war und in den sechziger Jahren Premierminister wurde. Die japanische Spielart des Führerkults war die Kaiserverehrung, doch verfügte Hirohito im Unterschied zu Hitler nur über sehr begrenzte politische Macht. Gewiss hat der japanische Kaiserkult rassistische Züge, insofern, als er die Japaner lehrt, sich selbst als Menschen von göttlicher Abkunft zu betrachten. Und im Namen des Kaisers wurde den »minderwertigen« Völkern Asiens Grauenvolles angetan. Doch ist dies nicht das gleiche wie eine staatliche Politik der Vernichtung. Jedenfalls wurde Kaiser Hirohito von der Kriegsschuld ausgenommen, und zwar durch keinen Geringeren als General MacArthur, den Oberkommandierenden der Alliierten Pazifikstreitkräfte (SCAP). Damit wurde es aber für die Menschen schwierig, sich für Taten schuldig zu fühlen, die sie im Namen des Kaisers vollbracht hatten. Denn wenn er nicht schuldig war, wie sollten seine Untertanen dann schuldig sein?

Woran sich die Japaner heute erinnern, ist nicht ein Holocaust, sondern ein militärischer Konflikt. So erinnerten sich die meisten Europäer an den Ersten Weltkrieg. Keine Einigkeit herrscht unter den Japanern allein schon über die Frage, wann dieser Krieg begonnen hat, denn tatsächlich gab es mehrere Kriege: den in China, den gegen die europäischen Kolonialmächte in Südostasien und den gegen die USA. Auf wann man den Beginn dieser Kriege datiert, ob man sie voneinander unabhängig oder als einen zusammenhängenden Konflikt betrachtet, ist eine Frage des jeweiligen politischen Standpunkts. Manche Japaner, meist Angehörige der pazifistischen Linken, nennen als Kriegsbeginn das Jahr 1931, das Jahr, in dem Japan die Mandschurai in einen Marionettenstaat verwandelte. Das, so glauben japanische Linke, sei der Beginn der japanischen Politik imperialistischer Aggression gewesen, die dann 1937 zum Einfall in China und 1941 zum Angriff auf Pearl Harbor geführt habe. Diese Japaner sprechen also von einem fünfzehnjährigen Krieg.

Rechte Nationalisten sehen das anders. Für sie sind die Ereignisse im China der dreißiger Jahre kein Krieg, sondern mehr oder weniger bedauerliche »Zwischenfälle«, die sich aus dem legitimen Interesse Japans ergaben, sich gegen den sowjetischen und den chinesischen Kommunismus zu verteidigen. Den Angriff auf Pearl Harbor sehen sie als unvermeidlichen Akt der Selbstverteidigung gegen den Versuch der USA und anderer Kolonialmächte, Japan zu zerschmettern. Der Südostasienkrieg schließlich sei ein Feldzug zur Befreiung Asiens gewesen. Der Krieg in China heißt in diesem politischen Kontext der »China-Zwischenfall«, der gegen den Westen der »Großostasiatische Krieg«. Diese Sicht der Dinge haben keinesfalls nur extreme Randgruppen. Tatsächlich neigen viele prominente Politiker der konservativen Liberaldemokratischen Partei zu solchen Auffassungen.

Weil die japanische Linke antiimperialistische und antimilitaristische Standpunkte vertritt, sind die Linken Japans – trotz Ruth Benedicts Kulturtheorie – nicht weniger aktiv als ihre deutschen Gesinnungsgenossen, wenn es darum geht, die Kriegsverbrechen anzuprangern, die ihre Landsleute verübt haben. Linksgerichtete japanische Journalisten und Historiker haben sehr viel über Geschehnisse wie das Nanking-Massaker geschrieben, in dessen Verlauf japanische Soldaten zahllose Menschen vergewaltigt und getötet hatten (buchstäblich zahllos, denn niemand kennt genaue Zahlen; die Chinesen sprechen von 300.000 Toten, doch ist das vermutlich eine Übertreibung). Die nationalistische Rechte dagegen leugnete beharrlich, daß Japan irgend etwas getan habe, worüber die Japaner sich besonders schämen müßten (mit Ausnahme vielleicht der Tatsache, daß Japan den Krieg verloren hat). Je mehr die Linke über japanische Kriegsverbrechen sprach, desto hartnäckiger leugnete Japans Rechte, daß es überhaupt welche gegeben habe. Nur über eines ließ sich zwischen rechten Nationalisten und linken Pazifisten Einigkeit herstellen: darüber, daß Hiroshima die grausamste und kaltblütigste aller militärischen Aktionen des gesamten Krieges war.

All dies ist jedoch kein Zeichen für die angeblich unergründliche japanische Mentalität. Die Polarisierung der öffentlichen Meinung über den Zweiten Weltkrieg war das Ergebnis besonderer politischer Umstände. Die Linken waren glücklich über die von den Amerikanern diktierte »Friedensverfassung«, denn sie sahen im Pazifismus die einzig mögliche Antwort auf Nanking und Hiroshima. Die gemäßigten Konservativen waren zufrieden, solange sie an der Macht bleiben und vom wachsenden Wohlstand profitieren konnten. Nur die nationalistische Rechte war niemals zufrieden. Den Nationalisten ist es zuwider, daß Japan in Sicherheitsfragen von den USA abhängig ist. Sie glauben, daß die USA der japanischen Nation ihre unverwechselbare Identität geraubt haben. Sie beschwören die »nationale Seele« und den »Geist Japans«. Aber trotz ihrer fixen Idee von der Einzigartigkeit der japanischen Kultur wollen sie, daß Japan zu einem »normalen« Land wird, zu einem Land mit eigener Verfassung und autonomer Verteidigungspolitik. Und weil sie darauf bestehen, daß Japan stets »normal« gewesen sei, müssen sie zurückweisen, was die Linke immer wieder behauptet hat, nämlich daß Japan einen verbrecherischen Krieg geführt habe. Das Nanking-Massaker leugnen die Nationalisten aus dem gleichen Grund.

Auch deutsche Konservative sprechen davon, daß ihr Land wieder »normal« werden müsse. Aber der Fall Deutschland liegt wirklich einfacher. Denn der abnormale Zustand Deutschlands wurde von den Nationalsozialisten repräsentiert. Sie waren Deutschlands Problem und nicht so sehr der Krieg. Und selbst wenn sich die Wehrmacht an der Ostfront scheußlich benommen hat: Die Streitkräfte wurden für das Dritte Reich nicht verantwortlich gemacht. So waren denn auch in der Bundesrepublik, obwohl es auch dort viele Pazifisten gab, Wiederbewaffnung und Integration der neuen Streitkräfte in die NATO relativ unproblematisch durchzusetzen.

In Japan dagegen waren die Streitkräfte das Krebsgeschwür; sie waren es, die das Land auf seinen blutigen Kurs getrieben hatten. Japan hatte durchaus ein Problem mit seinem Militarismus. So wäre eine Verfassungsänderung, die Japan die Souveränität über seine Streitkräfte einräumen würde, für viele Menschen, und nicht nur für Japaner, etwa das gleiche, als würde ein ehemaliger Alkoholiker sich ein Glas Reiswein einschenken. Darum bestanden nur die rechten Nationalisten Japans auf Verfassungsänderung. Sie konnten also gar nicht anders, als immer wieder zu beteuern, Japan habe niemals ein Alkoholproblem gehabt.

Es ist ein Zeichen des Wandels, wenn viele Menschen in Japan, vor allem jüngere, einzusehen beginnen, daß ihr Land wohl doch in der Lage sein müßte, eine andere Rolle in der asiatischen Sicherheitspolitik zu übernehmen, ohne gleich in einen Rausch zu verfallen. Und es ist ein gutes Zeichen, daß sie nicht unbedingt der nationalistischen Rechten zuzurechnen sind. Dieser Wechsel fiel mehr oder weniger mit dem Regierungswechsel zu Beginn der neunziger Jahre zusammen, als die Liberaldemokraten ihr Machtmonopol verloren. Die gegenwärtige Regierung wird geführt von einem sozialdemokratischen Premierminister, der niemals bestritten hat, daß die japanischen Kriegszüge in Asien Angriffsaktionen waren. Und zum erstenmal seit dem Krieg konnte die sozialdemokratische Partei unter seiner Führung die japanischen Selbstverteidigungskräfte – de facto Armee – als legitime Einrichtung bezeichnen.

Natürlich würden einige mehr der Rechten zuneigenden Kollegen des Premierministers gerne einen Schritt weiter gehen und Japan mit einer Verfassungsänderung das Recht zuerkennen, sich an militärischen Aktionen im Ausland zu beteiligen. Es ist gut möglich, daß dieser Punkt die politischen Debatten in Japan in den nächsten Jahren beherrschen wird. Darum wird sich das Interesse von selbst auf die jüngste Vergangenheit Japans konzentrieren. Und das kann der japanischen Demokratie nur zugute kommen. Die vollständige Unabhängigkeit der japanischen Sicherheitspolitik von den USA hat die politischen Auseinandersetzungen in Japan blockiert, denn es gab außenpolitisch nicht viel zu diskutieren. Hier meldeten sich nur die linken Moralisten und die rechten Nationalisten zu Wort.

Wenn jemand allerdings wie Ruth Benedict davon ausgeht, daß es im japanischen Bewußtsein einen blinden Fleck gibt, daß in jeder japanischen Brust das Herz eines Samurai schlägt, für den das Gewissen wenig, die Kriegerehre dafür um so mehr zählt, dann wird er die Dinge lieber so lassen wollen, wie sie sind. Dann haben die USA auch weiterhin für die japanische Sicherheit zu sorgen, selbst dann, wenn das handelspolitische Ungleichgewicht noch zunimmt. Für den, der der Überzeugung ist, die Nanking-Leugner und andere Nationalisten des rechten Flügels widerspiegelten einen dunklen unveränderlichen Zug der japanischen Seele und sie sei einfach eine von den politischen Umständen geprägte politische Meinung unter anderen, für den darf sich an den herrschenden Verhältnissen in der Tat nichts ändern. Er sollte sich dann aber auch über eines im klaren sein: Wer findet, die Japaner seien anders als andere Menschen, der stellt sich auf die Seite genau der Nationalisten, die vom »Geist Japans« und von Japans Einzigartigkeit sprechen und die für die Demokratie nie etwas anderes als Verachtung übrig hatten.

Ian Buruma, geboren in Den Haag, ist Journalist. Zuletzt von ihm erschienen ist bei Hanser »Die Erbschaft der Schuld. Vergangenheitsbewältigung in Deutschland und Japan«, München 1994.

Schuld ohne Scham?

Jan Niemöllers Kommentar zu »Schuld in Ost und West« von Ian Buruma

Ich habe Schwierigkeiten mit dem Gegenüber von »Schuld« und »Scham«. Gibt es Schuldgefühle ohne Scham?

Bei den Ausführungen Burumas selbst erscheint mir zunächst fraglich, ob die Feststellung wirklich zutrifft, daß sich in Deutschland die Blindheit gegenüber historischen Fakten – wohlgemerkt im Unterschied zu Japan – „nur am äußersten Rand des politisch-gesellschaftlichen Lebens“ finden läßt. Dieser Zweifel beruht nicht allein darauf, daß – so Buruma zutreffend – viele Deutsche in den ersten zehn Jahren nach dem Kriegsende überhaupt kein Bedürfnis hatten, sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen, sieht man einmal davon ab, daß ausgelöst durch die Stuttgarter »Schulderklärung« der evangelischen Kirche die vordergründige Diskussion sich auf die Frage der »Kollektivschuld« beschränkte.

Der Zweifel ist vielmehr neu belebt und ganz erheblich verstärkt worden durch das Aufkommen rechtsextremer Gruppierungen und Parteien, wie wir es seit der Wiedervereinigung beobachten. Und wenn auch die Welle der Wahlerfolge rechtsextremer Parteien wieder abgeebbt ist, die geistig-politische Strömung gegenüber historischen Fakten die Augen zu verschließen oder gar zu erblinden, ist ungebrochen; denn das Erblinden gegenüber historischen Vorgängen geschieht nicht allein durch visuelles Abschalten. Eine raffiniertere, bei redlicher Beobachtung aber deutlich erkennbare Form der Erblindung besteht darin, daß man die Fakten durch das Überblenden mit anderen Erscheinungen – meist mit Folgeerscheinungen – unkenntlich macht. Diese Methode wurde zuletzt bei dem durchsichtigen Aufruf »Wider das Vergessen« angewandt, der ausgerechnet zum 8.5.1995 von Nationalkonservativen aller Parteien verfaßt und vertreten wurde.

Jan Niemöller (Vorsitzender Richter i.R.)

Fehlende »Vergangenheitsbewältigung« in Japan

Fehlende »Vergangenheitsbewältigung« in Japan

Der Versuch einer Erklärung

von Kenichi Mishima

Die Japaner – wie viele meinen – sind rätselhaft und unzugänglich. Ihr Verhältnis zum grauenhaften Kapitel unseres Jahrhunderts ist schlicht unverständlich. Sie versuchen auf bilateraler Ebene, ohne Gegenleistung die Versöhnung zu erzwingen. Ihr Auftreten in der internationalen Politik kann man auch nicht unbedingt als versöhnlich bezeichnen. Von ihrem Anspruch auf die Rückgabe von vier Kurileninseln wollen sie keinen Zentimeter abrücken. Möglicherweise sind sie der Ansicht, sie seien eine auserwählte Nation. Was ihr Verhalten in Ostasien betrifft, so glauben sie anscheinend an ihre Unfehlbarkeit und betrachten ihre Führungsrolle dort als gottgegeben und gottgewollt. Daher rührt auch die ständig praktizierte Täter-Opfer-Vermischung. So sieht nach meiner Einschätzung das gängige Bild Japans aus, das vor unserem geistigen Auge entsteht, wenn es um »Erbschaft der Schuld« geht. Und dieses Bild ist im großen und ganzen richtig. Dieses Bild kann aber zu einer undifferenzierten Wahrnehmung führen und ein kritisches Verständnis erschweren.

Natürlich ist Japan wie jede Nation keine dumpfe Masse. Auch auf dem kleinen Inselstaat gibt es vielfältige intellektuelle Landschaften, verschiedenste Diskussionsrichtungen, politische Oppositionen unterschiedlichster Couleur. Damit Sie sich ein Bild machen können: es gibt in der japanischen intellektuellen Szene durchaus Entsprechungen für Herren wie Nolte, Walser, Grass, Habermas usw. in Hülle und Fülle (vielleicht erlebt man dort oft Diskussionen in einer für Mitteleuropäer nicht sofort einleuchtenden, interessanten Mischung von Argumentationstypen). Es finden erbitterte öffentliche Diskussionen statt. Außerdem haben die Anhänger der verschiedenen intellektuellen Lager z.B. in Deutschland oft untereinander Berührungsängste. Dies alles ist hier kaum bekannt. Und doch sollte man – ohne über Einzelheiten unterrichtet zu sein – sich zumindest vorstellen können, daß in einer modernen Industrienation alles so anders nicht sein kann.

Warum aber entsteht so ein Bild, wie ich es vorhin kurz angedeutet habe? Weil unsere politische und wirtschaftliche Elite, und ein Teil der kulturellen Elite auch, dazu neigte und heute noch dazu neigt, in Konkurrenz gegen den Westen geschlossen aufzutreten, um zumindest subjektiv, d.h. nach ihrem Selbstverständnis, die Nation vor der Bedrohung durch den Westen zu schützen, um aber objektiv gesehen ihre herrschende Stellung innerhalb der Nation abzusichern. Und an dieser mentalen Struktur hat sich in den letzten 130 Jahren nicht so viel geändert. Diese These kann befremdend sein. Ich möchte sie kurz erläutern.

Der seit dem Ende des vorigen Jahrhunderts in die Seelen der nationalen Elite tief eingeprägte Slogan lautet: den Westen imitieren, ihn einholen und überholen. Japan öffnete sich gerade zu der Zeit, als der europäische Kolonialismus seinen Höhepunkt erreichte. Leitartikel repräsentativer Zeitungen aus der Meiji-Zeit sind voll von mahnenden Stimmen gegen die „heimtückischen Europäer“. Tatsächlich mußten die Japaner bei der Öffnung des Landes durch den Abschluß sogenannter ungleicher Verträge viele Konzessionen machen: Abtretung der Zollhoheit an die Westmächte und Exterritorialität der Handelspartner in Sachen Justiz. Den Mangel an Souveränität aufzuheben, galt bis Ende des vorigen Jahrhunderts als oberstes Staatsziel, das für die Eliteschicht mentalitätsbildend wirkte. Hier gilt die Regel der historischen Erinnerung: Kolonialisierte und Beinahe-Kolonialisierte haben ein viel besseres Gedächtnis als Kolonialherren; eine Regel, die die Japaner in ihrem Verhältnis zum »western challenge« beherzigt, die sie aber in ihrem Verhältnis zu den Opfern der japanischen Kolonialisierung schnell vergessen haben. Das geschah durch das Ausscheren Japans aus dem westlichen Club des »inoffiziellen Imperialismus«, mit dem man gemeinsam und unter gegenseitiger Achtung von Interessensphären China ständig ausquetschte. Mit diesem Ausscheren wurde die Voraussetzung für die Entfesselung der Brutalität geschaffen.

Das anhaltende Trauma, das die Nation seit Commodore Pery durch die »Bedrohung von Westen« mehrmals erlitten hat, hat einerseits die Folge, daß sich die Führungsschicht, wie angedeutet, an den Stil der stärkeren Nationen anzugleichen versuchte, nicht nur im Alltagsleben, sondern auch in der Außenpolitik, daß also im eigenen Vorgarten (genauer in der Region von Manshu bis Indochina und Indonesien) eine Hegemonie angestrebt wurde. In der Verhandlung nach dem Sieg im chinesisch-japanischen Krieg 1894/5 haben die Japaner gegenüber den Chinesen für sich selbst günstigere Konzessionen durchgesetzt als die Westmächte.

Das Trauma hat andererseits die Folge, daß die kulturelle Elite Japans, hin- und hergerissen zwischen dem Minderwertigkeitskomplex gegenüber dem Westen einerseits und dem Glauben an die Überlegenheit der eigenen Lebenswelt andererseits, hartnäckig die Besonderheit ihrer Kultur behauptete und um die dementsprechende Inszenierung der eigenen Tradition bemüht war und heute noch ist. Wurde früher, d.h. bis Ende des Zweiten Weltkrieges und vielleicht noch weiter in die sechziger Jahre hinein, in der traditionellen Ästhetik der Grund für die eigene kulturelle Singularität gesehen, so wird im Zuge des Prosperitätszuwachses in den letzten drei Jahrzehnten immer mehr in der sogenannten gruppenorientierten Flexibilität und Loyalität etwas Einzigartiges gesehen, etwas, was nach Meinung der kulturellen Elite unsere Tradition auszeichnet, was deswegen aus ihrer Sicht die rationalen Europäer bei aller Anstrengung nicht einmal annähernd verstehen, geschweige denn nachahmen können. Beides zusammen heißt: im Kampf um die Hegemonie den Westen überholen und zwar aufgrund der eigenen kulturellen Überlegenheit.

Und nur mit Hilfe dieser Strategie war die Selbsterhaltung der kleinen Schar, die die politische Elite bildete, möglich. Denn sie war bei der Meiji-Restauration nicht durch einen demokratischen Legitimationsprozeß an die Macht gekommen. Mit ihr hat sich auch die neue wirtschaftliche Elite schnell amalgamiert. Das Gefälle zwischen Armut und Reichtum war vor dem Krieg unvorstellbar groß.

Um dies alles zu rechtfertigen, braucht der weltoffene Ethnozentrismus der Eliteschicht mindestens zwei Bündel wirksamer Praktiken und Diskurse. Erstens eine Inszenierung des »public memory«, zweitens die Verschleierung des Entscheidungsprozesses.

Zur Steuerung bzw. Inszenierung von »public memory“gehörte vor dem Zweiten Weltkrieg z.B. der Mythos der Staatsgründung und der 2600-jährigen Kontinuität des Kaiserhauses; dazu gehörte die Heroisierung einer kleinen Gruppe wichtiger Akteure der Meiji-Restauration und großer Politiker und Generäle aus der Meiji-Zeit (neulich hat das Kultusministerium angeordnet, mehr Unterrichtszeit für die Behandlung von solchen »Männern« zu verwenden als bisher), dazu gehörte die para-religiöse Glorifizierung der gefallenen Soldaten in dem früher staatshintoistischen Yasukuni-Schrein (als »lieu de mémoire«); dazu gehörte auch der Diskurs über Kirschblüten als quasinationale Symbole, obwohl die Kirschbaumsorten, an deren Schönheit man sich heute erfreuen kann, erst im 18. Jahrhundert von einem Gärtner künstlich geschaffen worden sind. Die Liste könnte ich noch beliebig verlängern. Eines muß ich noch hinzufügen: Früher wurde sogar die Geschichte gefälscht. Nach der Version der altjapanischen Geschichte, die man vor dem Krieg in der Schule zu hören bekam, die ich auch in den fünfziger Jahren lernen mußte, war die japanische Armee schon im 6. und 7. Jahrhundert bis zum Festland vorgedrungen, bis zur heutigen koreanisch-chinesischen Grenze. Und damals habe Japan in Südkorea eine Kolonie unterhalten. Dieses »Wissen« legitimierte den japanischen Anspruch auf die koreanische Halbinsel. Die Wirklichkeit sah so aus: Die Inschrift auf einer aus dem 6. Jahrhundert stammenden großen Steinplatte an der Grenze von Korea zu China wurde in der ersten Meiji-Zeit von einem japanischen Stabsoffizier so gefälscht, als ob eine große Gruppe von japanischen Kriegern schon am Beginn unserer Geschichte dort gestanden hätte.

Die zugunsten des Ethnozentrismus veranstaltete Inszenierung von »public memory« geschah auch in bezug auf den Zweiten Weltkrieg. Das legendäre Schicksal der beiden damals weltgrößten Kriegsschiffe in der Seeschlacht wurde in verschiedenen Verpackungen x-mal weiter erzählt, verfilmt, für Comics verarbeitet, in Form einer Dokumentarliteratur fixiert; es wurden Hunderte von Legenden – der Richthofenlegende ähnlich – fabriziert, sogar so etwas wie die Kyffhäuserlegende, wonach eine verschwundene Staffel von japanischen Fliegern mit ihren »zero-fightern« in einer Höhle auf einer Südseeinsel auf den nächsten Befehl warten. Es wurden auch Legenden von großen Admiralen und Generälen erzählt, die, im vollen Bewußtsein der Aussichtslosigkeit ihrer Operationen, nur im Vertrauen auf die Regeneration des japanischen Volkes, gegen die an Kriegsmaterial überlegene amerikanische Flotte gekämpft hätten und schicksalsergeben in den Tod gegangen wären. Moralische Dignität strahlen in solchen Geschichten immer nur die japanischen Admirale und Generäle aus, nicht aber die Amerikaner, die, ihren Kaugummi im Mund, als bloße Kampfmaschinen dargestellt werden.

Zu einer solchen selektiven Inszenierung von »public memory« gehört auch der Diskurs über die Kriegsursachen. Man war sich nach 1945 schnell einig, wer die Schurken waren. Das sind chauvinistische Führer im Militär, die, losgelöst von der Kontrolle durch die Regierungszentrale, ihre expansiven Operationen durchgeführt haben. Das sind aber auch einige Bosse der Industrie, die sich durch Aufträge in der Rüstungsindustrie kurzfristige Profite erhofften. Merkwürdigerweise wurde die Beamtenschaft, abgesehen von einigen Kriegsverbrechern, als ganze nicht an den Pranger gestellt. Und für viele war der Zweite Weltkrieg eine bedauerliche, aber unvermeidliche Reaktion auf die weltweit vom heimtückischen Westen organisierte wirtschaftliche Repression. Für sie war der Krieg ein zwar mit falschen Mitteln geführter, aber in der Intention durchaus legitimierbarer Kampf gegen die westliche Hegemonie, ein Kampf, der bereits mit den sogenannten ungleichen Verträgen angefangen hätte. Die japanische Linke hat sich bis zu einem gewissen Grad an dieser selektiven Gestaltung von »public memory« auch beteiligt. Sie hob neben Militär und Industrie das Tenno-System als Ursache für jegliches Unheil hervor. Über die selbstdestruktiven Strukturen im Vorkriegsjapan, über die Mentalität, die die hegemoniale Politik unterstützte, wird – außer in Fachkreisen der Historiker – kaum analytisch diskutiert.

Dies ist der Nährboden für das Selbstverständnis des Volkes als Opfer des von Militär und Industrie eigenwillig angezettelten Krieges. In ihrem Verständnis haben die einfachen Japaner, die kleinen Leute auf der Straße, die größten Leiden erlitten; und zwar nicht nur als Opfer der Atombomben, sondern auch als Soldaten, die im Schlamm des Südseedschungels buchstäblich »krepierten« oder im brennenden Motorraum eines Kriegsschiffes auf den Meeresgrund gezogen wurden; als Frauen, die ihre Männer verloren und mit den niedrigsten Löhnen ihre Kinder allein erziehen mußten. Das sind Geschichten, die meine Generation immer wieder zu hören bekam. Die Opfer werden als unschuldig heroisiert. Der Abwurf der Atombomben auf die beiden Städte und die unzähligen Opfer, ihre unbeschreiblichen Leiden – dies alles bekam bald eine Alibifunktion. Das Selbstverständnis des Volkes als Opfer der Staatshandlung ermöglichte eine schnelle Identifikation mit den Atomopfern, erkauft durch Ignoranz gegenüber den Opfern der japanischen Invasion. Natürlich hat diese eigenartige Selbststilisierung in weiten Kreisen der Bevölkerung zur Herausbildung einer neuen Mentalität beigetragen, nämlich der des unnachgiebigen und totalen Pazifismus. Der Slogen „Nie wieder Krieg, nie wieder Waffengang“, der vielleicht nur egoistisch gedacht war, fand nach 1945 lange Zeit große Unterstützung.

Man sieht hier sofort: Der Selbsterhaltungsdiskurs der ethnozentrisch denkenden, sich weltoffen zeigenden Elite verseucht damit auf doppelte Weise die Masse. Diese betrachtet sich selbst als Opfer des japanischen Systems. Sie identifizieren sich aber auch nach bekannter Logik mit den Diskursen der politischen und kulturellen Elite. Den einen Satz, den der französische Präsident Mitterrand am 8. Mai dieses Jahres in Berlin gesagt hat, die deutschen Soldaten hätten „den Verlust ihres Lebens für eine schlechte Sache hingenommen“, würde, wenn ein japanischer Politiker ihn auf unsere Geschichte übertragen würde, die Volksseele zum Kochen bringen. Natürlich haben sich einzelne Diskurse und Praktiken verändert. Aber in allen diesen Prozessen hatte die nationale Elite, sowohl die wirtschaftliche als auch die politische, wozu sich immer auch ein Teil der kulturellen hinzugesellte, die Macht inne.

Der zweite Komplex von Diskursen und Praktiken ist ein verschleierter Entscheidungsprozeß. In den westlichen Ländern gilt die Transparenz im Entscheidungsprozeß als eine der unerläßlichen Bedingungen für Demokratie. Das heißt natürlich nicht, daß diese Bedingung immer erfüllt worden wäre. Zumindest dem Prinzip nach aber wird sie anerkannt. Dagegen hat sich in Japan im Laufe von Jahrzehnten nach der Meiji-Restauration der Praxis der ungleichmäßigen Partizipation am Entscheidungsprozeß und ein Versteckspiel der Entscheidungs- und Verantwortungsträger ergeben. Die Folgen sind bekannt: Paternalismus und autoritäre Expertokratie, aber auch Lethargie und Verantwortungslosigkeit gegenüber dem Geschehenen.

Was ich in Ermangelung eines besseren Ausdrucks »Versteckspiel der Entscheidungsträger« nannte, bedarf einer Erläuterung. Im Vordergrund steht eine Marionette und der eigentlich Mächtige steht unsichtbar im Hintergrund – so etwas gab und gibt es auch anderswo. Der Ausdruck »Graue Eminenz« in der deutschen Sprache kommt nicht von ungefähr. Die politische und militärische Entscheidungskette Japans seit spätestens 1931 läßt sich ohne diese Praktiken kaum erklären. In bezug auf den Führungsstil besteht ein großer Unterschied zum Nationalsozialismus. Das Militär gewann in den dreißiger Jahren im Namen des Kaisers immer mehr Einfluß und dehnte seinen Operationsradius im Alleingang aus. Und die Regierung, deren Ministerpräsident oft nach nur 3-5 Monaten »durchbrannte«, versuchte vergeblich, diesen Alleingang unter Kontrolle zu bringen. Der nächste Ministerpräsident gab dann der vollendeten Tatsache ihr Plazet. Kein Akteur wußte, wo, wie und was wirklich entschieden wurde.

Diese Doppelstruktur von Autorität und Macht gibt es überall. Aber im modernen Japan wurde sie sehr raffiniert eingesetzt. Denn hinter dieser Doppelstruktur wurde – Historiker wissen das schon längst – innerhalb der Elite eine relativ klare Expansionsstrategie unaufhaltsam in die Tat umgesetzt. Die beiden Pole können sich stets ändern. Für viele ist der Autoritätspol noch der Tenno, der Kaiser. Dazu äußerte sich später der Ministerpräsident Nakasone am 29.8.1987 in einer Klausurtagung der LDP (Liberal-Demokratische Partei Japans): „Der Tenno hat eine Stellung wie die Sonne, die an der höchsten Höhe des Himmels leuchtet. … Wir können deswegen ruhig unserem irdischen Geschäft nachgehen, manchmal auch unerfreuliche Dinge tun und miteinander streiten; über allem ruht die leuchtende Sonne. Die irdische Welt ist unsere Partei. Das irdische Geschäft übernimmt die LDP. Wir haben dieses Zwei-Welten-System.“ Kein Wunder, daß nach 1945 nicht nur die Alliierten, sondern auch die (wieder)hergestellte demokratische Öffentlichkeit sich schwer tat, die Träger individueller Schuld zu identifizieren. Vor allem die bis heute andauernde Diskussion über die Kriegsschuld des Kaisers zeigt diesen Sachverhalt.

Zwar wurde nach 1945 dank der amerikanischen Besatzungspolitik ein umfangreiches Reformprogramm in Angriff genommen. Teilweise wurde es konsequent durchgeführt, z.B. in Form von Agrarreform und Entflechtung der Holding-Gesellschaft. Beides erwies sich als geeignet für den zweiten wirtschaftlichen take-off. Der Rest blieb auf der Strecke, vor allem die Demokratisierung der Beamtenschaft und die Stellung des Tennos. In Deutschland dankte der Kaiser im November 1918 ab, es blieben aber die Generäle. Bei uns wurden nach 1945 die Militärs abgesetzt. Der alte Staatsapparat und dessen Selektionsmechanismus, vor allem der Tenno blieb aber unberührt. Unangetastet blieb damit auch die Möglichkeit einer Inszenierung von »public memory« und einer weiteren Verschleierung des Entscheidungsprozesses.

Ein Beispiel: Das ehemalige Sowjetrußland hatte in Japan ein ausgesprochen schlechtes Image. Oft wurde dafür die Erklärung angeführt, Stalin habe den Nichtangriffspakt gebrochen. Es folgten die üblichen Klagen über Vergewaltigung und Plünderung durch die Rote Armee. Es wurde dabei verschwiegen, daß das Gebiet, in das Sowjetrußland eindrang, keineswegs ein international anerkanntes japanisches Territorium war. Es war eine Art Schutzzone als Produkt des japanischen Imperialismus, erobert mit Hilfe der Verschleierungsmethoden.

Das zweite Beispiel: Die Dramatisierung des sogenannten nördlichen Territoriums. Über die Rechtslage kann man streiten. Aber politisch wird diese Frage immer wieder dramatisiert, und obwohl mit diesen vier Inseln überhaupt kein kulturelles Vermächtis, keine Erinnerung an irgendeine kulturelle Leistung der Japaner verbunden ist, sind sie inzwischen ein wichtiger Bestandteil von »public memory«.

Das dritte Beispiel: Die Gleichung Ausschwitz-Hiroshima. Daß es sich um eine nicht vertretbare Gleichung handelt, dazu brauche ich nicht viele Worte zu verlieren. Die Strukturen, aus denen die Opfermentalität entstanden ist, habe ich bereits erwähnt. Viele meiner Landsleute, vor allem die Intellektuellen, glauben, die Japaner seien besonders privilegiert, sich mit dem Appell für die Abschaffung von Atombomben an die Weltöffentlichkeit zu wenden.

Die imperialistischen Strukturen, die der Westen geschaffen hat, haben die Japaner eifrig imitiert. Peter Duus, Professor in Stanford, spricht davon, daß bei den Japanern die Verehrung des Westens die Form der Imitation angenommen hat. Vielleicht hat er recht. Aber es fand nicht nur eine Imitation statt, sondern auch die Absicherung der Eliteschicht durch eine Politik der Selbstbehauptung. Sie fand ab und zu unter dem Namen der Befreiung Asiens von den europäischen Mächten statt. In Wirklichkeit ging es aber um die Aufrechterhaltung ihrer Position innerhalb der Nation. Und diese Struktur ist heute noch präsent. Nur eine funktionierende demokratische Öffentlichkeit kann die »public memory« umstrukturieren, und zwar so, daß als erste an die asiatischen Opfer der japanischen Kriege erinnert wird. An die Opfer des europäischen Imperialismus zu erinnern, oder daran zu erinnern, daß auch Japan vielleicht durch einen »inoffiziellen Imperialismus« hätte beherrscht werden können, ist nicht die Aufgabe unserer demokratischen Öffentlichkeit. Die Rückkehr zur Normalität, die die nationale Elite jetzt mit allen Kräften vorantreibt, kann dieser demokratischen Öffentlichkeit nur im Wege stehen.

Dr. Kenichi Mishima ist Professor für Philosophie und arbeitet an der Fakultät der Humanwissenschaften der Universität Osaka. Er hat dort einen Lehrstuhl für Vergleichende Kulturwissenschaft und Sozialphilosophie inne.

»Gerechter Krieg« als Instrument ethischer Kriegsbegrenzung

»Gerechter Krieg« als Instrument ethischer Kriegsbegrenzung

von Heinz-Günther Stobbe

Es dürfte nicht ganz überflüssig sein, zu Beginn kurz die Voraussetzungen zu klären, von denen der folgende Beitrag ausgeht. Der Verfasser versteht sich zwar als katholischer Theologe und will das keineswegs leugnen oder verbergen, doch spielt das im vorliegenden Fall deshalb zunächst keine besondere Rolle, weil die traditionelle Lehre vom »gerechten Krieg«, obgleich hauptsächlich im christlich-kirchlichen Kontext entwickelt, eigentlich keinen spezifisch christlichen Standpunkt vortragen, sondern sich im Rahmen der allgemeinen sittlichen Vernunft bewegen wollte, deren Einsichten auch für den gläubigen Menschen als verbindlich erachtet wurden, die aber andererseits in keinen Widerspruch zum christlichen Glauben führen durften.

Gerade deswegen erfuhr sie allerdings von Anfang an scharfen Widerspruch aus dem Bereich des Christlichen selbst, so daß sie zu keiner Zeit als wirklich gemeinchristliche Lehre angesehen werden kann. Außerdem entwickelten sich im Gefolge der Reformation innerhalb der Christenheit unterschiedliche ethische Denkansätze, aufgrund derer sich die Stellung gegenüber dieser Tradition noch weiter ausdifferenzierte und die Diskussionslage beträchtlich verkomplizierte. Und schließlich bleibt zu beachten, daß der gegenwärtige religiöse und weltanschauliche Pluralismus ihren überkommenen Allgemeinheitsanspruch grundsätzlich zu erschüttern oder gar unwiderruflich zu widerlegen scheint.

Vor diesem Hintergrund sollte ohne weitere Erläuterung einleuchten, daß das Thema eine ganze Reihe meist recht komplizierter Probleme aufwirft, die zudem auf sehr unterschiedlichen Ebenen angesiedelt sind. Entsprechend führen denn auch die Kritiker der Lehre vom »gerechten Krieg« recht verschiedenartige Argumente ins Feld. So läßt sich etwa gegen sie einwenden, daß neuzeitliche Auseinandertreten von Politik und Moral verbiete eine sittliche Beurteilung auch des Krieges, über seinen Sinn und seine Notwendigkeit könne nur anhand politischer Kriterien entschieden werden; eine Auffassung, die außerordentlich nachaltigen Einfluß auf die Bedeutung der Lehre vom »gerechten Krieg« ausgeübt hat. Man kann sich zum Beispiel darüber hinaus ernsthaft fragen, ob eine politische Ethik, sofern sie überhaupt noch denkbar sei, unter der Bedingung unaufhebbarer Pluralität mehr und anderes zu leisten vermag als die Legitimation partikularer Standpunkte und Interessen und darum praktisch gewollt oder ungewollt, kriegfördernd wirkt. Auch dieses Bedenken besitzt eine lange Geschichte und erhebliches Gewicht. Und endlich sieht es, um ein letztes Argument zu nennen, in den Augen vieler so aus, als habe die moderne Kriegswirklichkeit der Lehre vom »gerechten Krieg« den Todesstoß versetzt, ganz zu schweigen von jenen, die sie aus religiösen Gründen schon imer rundheraus abgelehnt haben.

Ein Konsens der relativen Mehrheit

Noch vor kurzem konnte leicht der Eindruck entstehen, all diese und andere Einwände hätten in der Summe eine breite, weltweite Übereinstimmung darüber entstehen lassen, daß die Lehre vom »gerechten Krieg« spätestens mit dem Zusammenbruch des real existierenden Sozialismus und damit dem Ende des Ost-West-Konflikts ihre Anwendbarkeit eingebüßt habe. Ein trügerischer Schein freilich, wie schon ein Blick ins europäische Ausland bewies. In Wahrheit war dieser Konsens stets im wesentlichen auf Deutschland beschränkt geblieben, und selbst dort umfaßte er bestenfalls eine lediglich relative Mehrheit. Vor allem zwei Ereignisse haben jedoch, neben der gewandelten weltpolitischen Konstellation, bekanntlich auch ihn brüchig werden lassen, zum einen der Zweite Golfkrieg, und zum anderen der Dritte Balkankrieg. Seither haben sich die Verhältnisse einschneidend verändert, insbesondere verwischten sich die bislang geläufigen Grenzen zwischen den verschiedenen innenpolitischen Lagern. Es entstand eine ungewohnte Situation kreativer Verwirrung, die dem gründlichen Nach-Denken über die notwendigen Konsequenzen der neuen Lage durchaus förderlich sein könnte.

Ethische Reflexion vollzieht sich niemals im luftleeren Raum, sondern immer unter ganz bestimmten historischen Bedingungen, und das kann auch nicht anders sein, nicht nur, weil der berühmte Elfenbeinturm keine reale Möglichkeit darstellt, sondern mehr noch deshalb, weil sich das ethische Nachdenken von seiner Eigenart her unabdingbar darauf verwiesen sieht, die jeweils konkreten Umstände, auf die sich das sittliche Urteil bezieht oder beziehen soll, in den Blick zu nehmen. Folglich hat die sittliche Urteilsbildung konstitutiv zwei Gegebenheiten zu berücksichtigen: die Lage der Ethik selbst und die politische Lage als Kontext der Reflexion. Tatsächlich werden gegen die Gültigkeit der Lehre vom »gerechten Krieg« in beiderlei Hinsicht Argumente vorgebracht, die je für sich überprüft werden müssen.

Die erste Argumentationsreihe betrifft, wie schon erwähnt, vor allem die Folgen der pluralen Verfaßtheit der Gesellschaft und führt zu dem Schluß, die Lehre vom »gerechten Krieg« erweise sich als untauglich und sogar kontraproduktiv. Dagegen wiederum sprechen unter anderem folgende Beobachtungen: Zum einen zeigt sich, daß fast überall dort, wo überhaupt (noch) nach der sittlichen Erlaubtheit militärischer Gewaltanwendung gefragt wird, de facto meist die von ihr entwickelten Urteilskriterien angewandt werden und gelegentlich selbst in Fällen, in denen ihre Brauchbarkeit theoretisch bestritten wird. Nachgerade klassische Beispiele ließen sich aus der Diskussion über die Möglichkeit einer »gerechten Revolution« zitieren. Zum anderen werden die klassischen Kriterien nicht selten benutzt, um die Undurchführbarkeit eines »gerechten Krieges« zu beweisen. Das klassische Beispiel hierfür stellt die Argumentation dar, die F.-M. Stratmann in seinem Buch »Weltkirche und Weltfriede« gegen den Zweiten Weltkrieg richtete. Zwar liefert keine der beiden Beobachtungen einen im strengeren Sinne systematischen Grund für das Festhalten an der Lehre vom »gerechten Krieg«, doch lassen sie immerhin begründet vermuten, daß es diesseits der Position eines absoluten Pazifismus keine echte ethische Alternative zu ihr gibt.

Schaffung eines ethikfreien Raumes

Auf der Ebene der Kontext-Analyse wird häufig mit dem Stand der Waffentechnik argumentiert oder einer vergleichsweise optimistischen Gegenwarts- und Zukunftsprognose. Bei genauerem Zusehen jedoch erweisen sich beide Argumente als nicht stichhaltig. Um Krieg zu führen, braucht es nicht unbedingt Massenvernichtungswaffen oder hochgradig zerstörerische konventionelle Waffen, es genügt – wie der Dritte Balkan-Krieg belegt – der Wille zur Zerstörung, um mittels einer ziemlich einfachen und fast anachronistischen Technologie Dörfer und Städte vollkommen zu verwüsten. Auf der anderen Seite eröffnet gerade modernste Waffentechnik in gewissem Maße die Chance, die Zahl der Opfer herabzusetzen, anstatt sie ins Unermeßliche zu steigern.

Was nun die geschichtliche Entwicklung angeht, so läßt die vorhersehbare Zukunft eher Schlimmes erwarten, mit Sicherheit aber keine friedliche Welt. Nationalistischer und/oder fundamentalistischer Fanatismus setzt zunehmend auf Gewalt, und zahlreiche andere Konfliktursachen kommen hinzu. Im übrigen verlief auch die Nachkriegszeit im Weltzusammenhang erheblich kriegerischer als in Europa, so daß das Bild einer langen Friedensphase, die sich nach dem Fall der Mauer fortsetzt und ausweitet, in hohem Maße auf einer eurozentrischen Täuschung beruht. Alles in allem dürften kriegerische Konflikte und konventionelle Kriege künftig zu- statt abnehmen. Wenn es trotzdem gelänge, den Krieg einzuhegen, wäre schon viel gewonnen.

Wer in anbetracht dieser Gesamtlage dennoch dafür plädiert, die Lehre vom »gerechten Krieg« gänzlich fallenzulassen, läuft zumindest Gefahr, das einzige verfügbare und einigermaßen handhabbare Instrument einer ethischen Kriegsbegrenzung preiszugeben und gleichsam einen ethikfreien Raum zu schaffen, den dann beliebige Ideologien ausfüllen können. Es kommt jedoch gerade darauf an, das Gewissen zu schärfen, anstatt es zu beruhigen, einzuschläfern. Sehr viel mehr kann die Kirche ohnehin nicht tun, um Kriege zu verhindern oder auf ihren Verlauf zu beeinflussen. Andererseits wäre es fatal, das Bessere zum Feind des Guten zu machen und die kleine, aber realistische Chance der Einflußnahme ungenutzt verstreichen zu lassen – im Namen eines großen, aber unerfüllbaren Traumes.

Nicht den Sack sondern den Esel schlagen

Allerdings bedarf die überkommene Lehre ohne Zweifel einer den veränderten Verhältnissen Rechnung tragenden Revision. Vor allem darf die ethische Reflexion auf keinen Fall die Normen des Völkerrechts unterlaufen. Sie hat darum streng das in der UN-Charta ausgesprochene Kriegs- und Gewaltverbot zu beachten, eine bindende Rechtsnorm, die auch im Namen größerer Gerechtigkeit nicht außer Kraft gesetzt werden darf. Eingeschränkt auf den Fall bedingter und befristeter Staatsnotwehr hat deshalb das traditionelle Kriegsführungsrecht bereits jetzt seine bisherige Bedeutung fast verloren und insofern und insoweit kann die Institution des Krieges als schon abgeschafft betrachtet werden. Darum läßt sich durchaus erwägen, ob der Begriff des »gerechten Krieges« noch einen Sinn macht. Sachlich jedenfalls reduziert sich sein Gehalt auf das Recht zur legitimen Verteidigung, das in den übergreifenden Rahmen einer Lehre vom »gerechten Frieden« einzuordnen ist. Solcherart eingegrenzt bleibt jedoch die Lehre vom »gerechten Krieg« der Sache nach unverzichtbar notwendig.

Gegen einen vollständigen Verzicht auf den überkommenen Begriff spricht, daß er unmißverständlich zum Ausdruck bringt, worum es bei der Ausübung der Waffengewalt im Raum internationaler Politik am Ende geht. Er könnte insofern geeignet sein, sprachlichen Verharmlosungen entgegenzuwirken. Diese Möglichkeit bleibt abzuwägen, nicht nur gegen seine sachliche Problematik, sondern auch den Umstand berücksichtigend, daß er offenbar fast zwangsläufig das Mißverständnis hervorruft, die Lehre vom »gerechten Krieg« sei als wohlfeiles Legitimationsinstrument gedacht, dessen sich jeder nach Lust und Laune bedienen kann, der zum Krieg entschlossen ist. Im Grunde handelt es sich um eine zweitrangige terminologische Frage gemessen an der Notwendigkeit, die sachliche Spannung aufrechtzuerhalten zwischen einer entschiedenen, alle gewaltfreien oder gewaltarmen Mittel nutzenden Politik der Friedensförderung, welcher der Primat gehört, und der Option der ultima ratio militärischer Gegengewalt, um die Menschenrechte und das Völkerrecht nötigenfalls gegen gewaltsamen Widerstand durchsetzen zu können. Wenn der Vorrang einer umfassenden, präventiv ausgerichteten Friedenspolitik bis heute nicht ausreichend zur Geltung kommt, so liegt das weniger an der Lehre vom »gerechten Krieg«, sondern an einem Mangel an politischer Einsicht und politischem Willen. Die Friedensbewegung sollte sich jedenfalls davor hüten, nur den Sack zu schlagen, wenn sie in Wahrheit den Esel meint.

Prof. Dr. Heinz-Günther Stobbe ist katholischer Theologe und Professor an der Universität Münster.