Lehren aus dem Kosovo-Krieg

Lehren aus dem Kosovo-Krieg

von Andreas Buro

Hätte der Krieg gegen Jugoslawien und im Kosovo vermieden werden können, wenn die NATO-Staaten eine präventive, zivile Politik der rechtzeitigen Konfliktbearbeitung betrieben hätten und wenn es ihnen nicht darum gegangen wäre, den »Schurkenstaat Jugoslawien« abzustrafen? Welche Lehren ziehen diejenigen aus dem Krieg, die sich in ihrem politischen Verhalten an der Überwindung von Kriegen und Militär orientieren? Andreas Buro stellt in 12 Thesen nebst Anmerkungen seine »Lehren aus dem Kosovo-Krieg« zur Diskussion.

  1. Drohpolitik mit militärisch überlegenen Kapazitäten ist einer eigenen Logik unterworfen, die dazu führt, dass Friedens- und Menschenrechtsziele dabei verloren gehen. Der Krieg als Mittel der Politik wird zu ihrem Bestimmungsfaktor.

Militärisch gestützte Außenpolitik, die sich, wie im Falle der NATO bzw. der USA auf höchst überlegene Potenziale stützen kann, ist ständig in Versuchung ihre politischen Forderungen bei der Bearbeitung von Konflikten mit militärischen Drohungen zu unterstützen. Dies trifft auch im Fall Kosovo zu. Die USA erklärten bereits im Mai 1996, sie seien notfalls zu einem militärischen Eingreifen bereit, wenn dem Kosovo nicht eine weitreichende Autonomie eingeräumt würde.1 Diese Drohung wurde ab 1998 verstärkt und durch konkrete Interventionsvorbereitungen der NATO unterstrichen. Ergebnisoffene Verhandlungen in Rambouillet und Paris waren so nicht mehr möglich. Mit dem NATO-Ultimatum war die militärische Eskalation vorprogrammiert wenn Belgrad nicht einlenken würde. Aufgrund des Sezessionskrieges der UCK war jedoch der Spielraum Belgrads sehr begrenzt, wollte es nicht eine Sezession des Kosovo riskieren.

Als Belgrad auch nach Beginn der Bombardierungen nicht einlenkte und statt dessen die brutalen Luftangriffe mit einer brutalen Vertreibungsstrategie beantwortete, änderte sich das politische Ziel der NATO. Nun ging es darum, Belgrad in die Knie zu zwingen, koste es was es wolle. Da die Möglichkeiten des Kampfes gegen militärische Ziele begrenzt war, wurde die zivile Infrastruktur Jugoslawiens mit entsprechenden »Kollateralschäden« zerstört. Das erklärte Ziel, die Vertreibung zu verhindern, wurde aufgegeben zugunsten der Stärkedemonstration der NATO.

  1. Im Kosovo-Krieg demonstrierte die NATO die von ihr usurpierte Rolle als »Ordnungsmacht« der Region. Weil die NATO diese Rolle beansprucht, werden von den mächtigen NATO-Mitgliedsstaaten die UN und die OSZE schwach gehalten und ihnen die notwendigen Mittel zur Erfüllung ihrer Funktionen vorenthalten.

Die im Kosovo-Konflikt gezeigte militär-gestützte Interventionspolitik der NATO entspricht der Rolle, die sich die NATO seit 1989 zunehmend angeeignet hat: »Ordnungsmacht« zu sein für eine sehr weitgefasste Region, »out-of-area« des NATO-Vertragsgebietes. Dabei wurde die Rolle der UN-Regionalorganisation OSZE als der Plattform für eine Gesamteuropäische Friedensordnung, wie sie noch in der Pariser Erklärung von 1990 vorgesehen war, marginalisiert, an einem Konsens der OSZE-Länder wird nicht mehr gearbeitet. Gleichzeitig baut die USA ihren dominierenden Einfluss auf die Region aus, auch gegenüber den europäischen NATO-Partnern. Die NATO-Osterweiterung und die systematische Ausgrenzung Russlands aus dem Machtkartell sind in diesem Zusammenhang zu sehen.

Diese Entwicklung der letzten 10 Jahre bedeutet aber auch, dass die Möglichkeiten ziviler Konfliktbearbeitung systematisch reduziert wurden, da die hierfür erforderlichen Normen, Verfahren und Institutionen systematisch vernachlässigt und nicht zielgerichtet ausgebaut wurden. Das Versagen der OSZE und der UN – gerade in den Balkan-Konflikten dieser Zeit – ist also Folge der gewollten Schwächung dieser Institutionen und der mit ihnen verbundenen Optionen der zivilen Konflikbearbeitung. Zivile Konfliktbearbeitung würde unter viel egalitäreren Bedingungen erfolgen und damit nicht der militärischen Hierarchisierung und US- und NATO-Dominanz unterliegen.

  1. Die Bereitschaft zu einer präventiven zivilen Friedenspolitik und der Aufbau entsprechender Instrumente, Verfahren, Normen, Strategien und Potenziale sind dringend zu entwickeln. Dies ist auch aus Gründen der Sicherung von Menschenrechten geboten, denn im Kriegsfall werden die Menschenrechte am schwersten verletzt.

Der NATO-Krieg gegen Jugoslawien wurde auf dem Hintergrund eines antagonistischen, historisch weitreichenden Konfliktes zwischen SerbInnen und KosovarInnen um die Sezession oder Nicht-Sezession des Kosovo von Serbien geführt. Hier lag also ein Konflikttyp vor, der gegenwärtig in vielen Staaten der Welt zu finden ist. Beide Seiten waren mit rassistisch-nationalistischen Grundhaltungen bereit, ihr jeweiliges Interesse mit Gewalt durchzusetzen. Allerdings haben die KosovarInnen in der Zeit von 1990 bis zum Auftreten der UCK ab 1995 weitgehend gewaltfrei für ihr Ziel gekämpft. In diesen 6 Jahren wurde von Friedensbewegung, Wissenschaft und politischer Seite immer wieder auf die Explosivität des Konfliktes um den Kosovo hingewiesen. Eine systematische präventive Politik der Konfliktverhütung wurde von westlicher Seite in dieser Zeit jedoch nicht nachdrücklich betrieben. Erst mit der militärischen Eskalation des Konflikts, seit dem Auftreten der UCK und der sich verschärfenden Verfeindung zwischen den Volksgruppen trat die NATO auf den Plan und zwar sogleich mit militärischer Drohung gegenüber Belgrad.

  1. Die Begründung des Krieges durch die NATO als einer »humanitären und menschenrechtlichen Intervention« – letztlich als eines gerechten Krieges – ist ein ideologisches Legitimationskonstrukt um die Unterstützung für den Krieg in den NATO-Gesellschaften zu sichern. Die wirklichen Interessen und Gründe für die Intervention sollten damit ausgeblendet und der öffentlichen Kritik entzogen werden.

Die Legitimation des NATO-Interventionskrieges mit humanitären Gründen und als Einsatz zur Verteidigung der Menschenrechte ist nicht glaubhaft. Die Argumente seien nur stichwortartig genannt:

  • Die fehlende Präventionspolitik macht humanitäre Sorge unglaubwürdig.
  • Die brutale rassistisch-nationalistische Kriegs- und Vertreibungspolitik Belgrads unter Milosevic war seit dem Bosnien-Krieg allgemein bekannt. Es war deshalb gut vorhersehbar, mit welcher Strategie, nämlich der brutalen Vertreibung der KosovarInnen, Belgrad auf den brutalen technologischen Krieg der NATO antworten würde. NATO-Oberbefehlshaber Clark bestätigte ausdrücklich, dass die Tragödie der Flüchtlinge „völlig vorhersehbar“ gewesen sei.2 Trotzdem wurde die Bombardierung angeordnet, Vertreibung und Mord in Kauf nehmend. Die Kriegsopfer überstiegen bei weitem die Opfer des vorhergegangenen Sezessionskrieges.
  • Der Bombenkrieg der NATO führte nicht nur zu Opfern unter der serbischen Zivilbevölkerung. Er zerstörte auch systematisch wichtige Teile der zivilen Infrastruktur in Jugoslawien und damit Lebensgrundlagen der Bevölkerung. Insgesamt kann dieser Krieg nicht als kleineres Übel ausgegegeben werden.
  • Der Krieg zerstört alle bis dahin noch vorhandenen sozialen Beziehungen zwischen den ethnischen Gruppen. Auf lange Zeit wird kein innerer Frieden mehr möglich sein.
  • Führende NATO-Staaten waren vorher im Bosnien-Krieg selbst in die Vertreibung von über 200.000 SerbInnen aus der Krajina unter ähnlich grausamen Bedingungen einbezogen gewesen, hatten also »ethnische Säuberung« unterstützt. Im Irak wird nach wie vor der dortige Konflikt besonders durch die USA und Großbritannien ohne Rücksicht auf Menschenrechte fortgeführt, von anderen Weltregionen ganz zu schweigen. Wieso sollten die NATO-Staaten plötzlich zu Kämpfern für die Menschenrechte mutiert sein und dafür schwere Belastungen auf sich nehmen?
  • An dem NATO-Interventionskrieg beteiligte sich auch der NATO-Partner Türkei, der im eigenen Lande seit vielen Jahren in brutalster Weise die kurdische Minderheit verfolgt, obwohl diese schon seit geraumer Zeit dem Separatismus abgeschworen und politische Friedenslösungen angeboten hat.
  1. Die Demokratisierung und die Sicherung von Menschenrechten sind auf das engste mit der Erhaltung einer pluralen Öffentlichkeit verbunden. Die angeblich humanitär motivierte Kriegführung der NATO-Staaten bedurfte jedoch zur Sicherung ihrer Glaubwürdigkeit einer hoch manipulierten Öffentlichkeit und trug damit zur Entmündigung der BürgerInnen bei. Es entstand ein spiegelbildlicher Prozess der Entdemokratiserung hier wie auch in Serbien, wo der Krieg zur Unterdrückung der Opposition genutzt wurde.

Die Kosovo-Intervention der NATO ist wie im Golf-Krieg mit einem großen medialen Aufgebot begleitet worden. Dabei stand den Inhalten nach, aber auch nach der verwendeten Begrifflichkeit, die Legitimation des Krieges ganz im Vordergrund. Kritische Sichtweisen wurden insbesondere in den großen Medien und im Fernsehen weitgehend ausgeblendet: So die Tatsache des durch die UCK angeheizten Sezessionskrieges ebenso wie auch die Inkaufnahme der Vertreibung der KosovarInnen durch Belgrad, ausgelöst durch die NATO-Bombenangriffe. Die Ermordung von KosovarInnen wurde mit den KZs der Nazis in Verbindung gebracht, während die Ermordung von SerbInnen durch NATO-Bomben als »Kollateralschaden« verharmlost wurde. Die KritikerInnen des NATO-Interventionskrieges wurden diffamiert indem sie in die Nähe der serbischen Barbarei gerückt wurden.

  1. Vermittlung zur Deeskalation und Überwindung von Konflikten kann weder durch Bombendrohung noch durch Parteinahme für eine rassistisch-nationalistische Seite erreicht werden. Erforderlich ist eine Vermittlung zur für beide Seiten vorteilhaften Kooperation und Versöhnung. Durch die Parteinahme zugunsten militanter, rassistisch-nationalistischer KosovarInnen hat die NATO selbst ihre Möglichkeiten zur Erreichung einer angemessenen Autonomie für den Kosovo verspielt, einer wichtigen Voraussetzung für Stabilität und Kooperation auf dem Balkan.

Die Forderung der NATO-Staaten an Belgrad, dem Kosovo wieder einen weitgehenden Autonomiestatus innerhalb Serbiens zu gewähren, traf auf die Befürchtungen in Belgrad, die Autonomie würde zur Vorstufe für eine Unabhängigkeit des Kosovo werden. Gleichzeitig befürchteten die KosovarInnen, dass sie damit ihr Ziel der Unabhängigkeit aufgeben und bei geänderter internationaler Konstellation auch wieder der Repression durch Belgrad unterworfen werden würden. Diese Konstellation bedurfte also einer Strategie der Vertrauensbildung, der Einbettung von Lösungen in größere internationale Zusammenhänge und Institutionen, der Zurückdrängung rassistisch-nationalistischer Einstellungen auf beiden Seiten und einer nach beiden Seiten offenen und verständnisvollen Vermittlung. Die NATO-Staaten haben sich jedoch de facto auf die Seite der UCK – nicht der KosovarInnen mit ihrem gewählten Präsidenten Rugova – gestellt und frühzeitig Belgrad mit militärischen Sanktionen bedroht. In Rambouillet und Paris machten sie die UCK »hoffähig«. Die erklärte Strategie der UCK, die allein zu schwach war um die Unabhängigkeit des Kosovo gegenüber Belgrad durchzusetzen, bestand darin, den militärischen Konflikt zu eskalieren und die NATO auf ihre Seite gegen Belgrad zu ziehen. Das ist ihr in der Tat gelungen.

  1. Die Rückkehr westlicher Politik hin zur Einschaltung des UN-Sicherheitsrates war eine sinnvolle Wendung und könnte andeutungsweise als eine Infragestellung der NATO-Selbstmandatierung verstanden werden; wäre da nicht die neue NATO-Doktrin, verabschiedet zum 50. Gründungstag, in der eben dieser Selbstmandatierungsanspruch weiter festgeschrieben wurde und wäre da nicht der Kosovo, in dem weiter danach gehandelt wird. Eine öffentliche Änderung dieser Haltung und damit eine deutliche Bereitschaft der NATO, die UN-Satzung einzuhalten, ist dringend geboten.

Die Selbstmandatierung der NATO und die Umgehung des zuständigen UN-Sicherheitsrats wurden damit gerechtfertigt, Menschenrechte müssten notfalls auch gegen die Souveränitätsansprüche der Staaten durchgesetzt werden. In diesem Zusammenhang wurde von der Notwendigkeit eines neuen internationalen Rechts gesprochen. In der Tat ein wichtiger Problemkomplex, werden doch die meisten Menschenrechtsverletzungen durch Staaten begangen. Durch den Rechtsbruch der NATO entsteht nun aber nicht neues Recht, sondern nur ein Faustrecht der Stärkeren. Es wird das Gewaltverbot der Vereinten Nationen beschädigt wenn Staaten oder Staatenbündnisse zur Durchsetzung ihrer Ziele militärische Gewalt im eigenen Ermessen einsetzen.

Eine begrenzte de facto-Revision dieser schädlichen Haltung hat sich durch die Bemühungen nicht zuletzt der deutschen Bundesregierung ergeben, den Forderungen der UN-Vetomächte Russland und China zu entsprechen und vor einer Beendigung der Kampfhandlungen eine Resolution des Sicherheitsrates zu dem Konflikt zu verabschieden. Trotzdem wurde der Fall nicht wirklich an die UN übergeben. Die NATO behielt ihre Funktion als »Ordnungsmacht der Region« bei und bemühte sich im Kosovo um die Ausgrenzung Russlands und seines Truppenkontingents.

  1. Die Selbstmandatierung der NATO droht zu einer Ausweitung der globalen Aufrüstung bis hin zu einer Weiterverbreitung von Atomwaffen zu führen. Niemand, außer der Rüstungsindustrie und den Rüstungsexporteuren (USA und Deutschland sind mittlerweile die beiden größten Rüstungsexporteure der Welt), kann daran Interesse haben, zumal damit der Militarisierung internationaler Politik enormer Vorschub geleistet wird. Auch aus dieser Sicht ist diesem Rechtsbruch auf allen Ebenen entgegen zu treten und eine Rücknahme der neuen NATO-Doktrin zu fordern.

Vielen UN-Mitgliedsstaaten signalisieren die Selbstmandatierung der NATO und die Missachtung der UN-Satzung, dass die mächtigsten und reichsten Industrieländer ihre Gewaltmittel nach ihren Interessen einzusetzen gedenken und sich damit nicht mehr an wichtige Teile des internationalen Rechts gebunden fühlen. Die offiziellen Nuklearmächte hatten schon in den vergangenen Jahren nicht die Bedingungen des nuklearen Sperrvertrages eingehalten und auf ihre eigenen Kernwaffen verzichtet.

Das Verhalten der NATO-Staaten könnte andere Regionalstaaten zur Nachahmung reizen. Potente Staaten könnten darüber nachdenken, ob angesichts dieser Machtpolitik nicht einzig der Besitz von Atomwaffen sie vor einer Intervention schützt.

  1. Eine Vielzahl von Interessen sind mit dem Krieg gegen Jugoslawien verbunden. Sie sind insgesamt wahrscheinlich weit folgenreicher als die öffentliche humanitäre Interventionsbegründung. Die politische Diskussion muss sich deshalb stärker als bisher auf die klandestinen Kriegsinteressen konzentrieren um zu einer eigenen Beurteilung der Vorgänge und Strategien zu gelangen.

Kriege bündeln eine Vielzahl von Interessen, die sich während des Kriegsverlaufs verändern können. Hier stichwortartig einige der Interessen, die immer wieder in Diskussionen aufgetaucht sind:

  • Exemplarische und abschreckende Demonstration der Bereitschaft und Fähigkeit der NATO, »Schurkenstaaten« (Pentagon-Jargon) durch Luftkrieg auf die Knie zwingen zu können, ohne eigene nennenswerte Personenverluste der NATO.
  • Erprobung neuer Waffensysteme in der Praxis (z.B. der Einsatz von Cluster-Bomben, die Tausende als Minen wirkende Explosionskörper verstreuen).
  • Spezifische Interessen des Militärs oder der verschiedenen militärischen Gattungen im Ringen um die Zuweisung von Mitteln für Zukunftsprojekte der Aufrüstung.
  • Förderung der militärischen Kooperation und qualitativen Aufrüstung in EU-Europa zur Stärkung der europäischen NATO-Säule.
  • Ausgrenzung Russlands aus den entscheidenden Machtzusammenhängen und Degradierung als Weltmacht.
  • Förderung einer weiteren NATO-Osterweiterung durch Ost- und Südosteuropäische Staaten, die hoffen, so auf die Siegerseite zu gelangen. Damit verbunden wäre eine weitere Isolierung Russlands.
  • Geostrategische Interessen wie die Sicherung eines durchgehenden Zugangs zum ölreichen Kaspischen Meer durch die Zerschlagung des Milosevic-Regimes und die Einbindung Rest-Jugoslawiens in die westliche Einflusszone.
  • Ein spezifisches Teil-Ziel der US-Politik dürfte gewesen sein, Außenpolitik deutlich auf die Ebene von Militärpolitik zu heben, dadurch die Führungsrolle der USA zu stärken und den europäischen NATO-Staaten ihre weitgehende Abhängigkeit von den US-Militärpotenzialen vor Augen zu führen.
  • Einige – bereits von der Kohl-Regierung angepeilte – spezifisch deutsche Ziele wurden mit diesem Krieg erreicht: Abbau der Begrenzungen für Militäreinsätze, Stärkung der Position der Bundeswehr innerhalb der NATO, die Stärkung Deutschlands als Hegemonialmacht in der EU.
  1. Die Genfer Abkommen zur Einhegung des Krieges sind sicherlich bedeutungsvoll, laufen aber den tatsächlichen Kriegsverläufen mit ihrer ständigen Modernisierung von Waffen und Strategien hinterher. Die Einführung eines effizienten, unabhängigen Völkerstrafrechts, das sowohl die Kriegsverbrechen der Starken und der Schwachen richtet, ist eine dringende Aufgabe. Selbst wenn es nicht gelänge, alle Verantwortlichen tatsächlich zu bestrafen, hätte es doch die wichtige Funktion eines Tribunals auf dem die Verbrechen verhandelt würden. Eine Instrumentalisierung solcher Strafgerichtsbarkeit im Sinne politisch-selektiver Anklagen durch die stärksten Mächte würde eine solche Instanz allerdings diskreditieren und muss verhindert werden.

Während des Krieges wurde, sicher zu Recht, Jugoslawiens Präsident Milosevic vor dem Internationalen Kriegsverbrechertribunal in Den Haag angeklagt. Viele haben dies begrüßt, die Anklage jedoch auch als einen einseitigen Akt des Westens im Rahmen psychologischer Kriegsführung verstanden. Milosevic war im Rahmen der NATO-Propaganda die Personifizierung des Bösen. Nun wurde der Böse angeklagt. Aber warum wurde nicht auch Anklage erhoben gegen den kroatischen Präsidenten Tudjman? Warum nicht gegen die US-amerikanischen und deutschen Verantwortlichen, die an der Vertreibung der Krajina-SerbInnen eine Mitschuld haben? Warum nicht gegen jene, die für den Einsatz der Clusterbomben der NATO verantwortlich sind und damit für den Tod vieler ZivilistInnen? Die Liste kann fortgesetzt werden.

  1. Eine eigenständige EU-Außen- und Sicherheitspolitik ist nicht möglich wenn sie auf der militärischen Ebene angesiedelt ist. Da hilft auch keine EU/WEU-Aufrüstung, wie sie jetzt vorgesehen ist. Entscheidend für eine europäische Friedens- und Stabilitätspolitik ist der Ausbau einer Gesamteuropäischen Friedensordnung, welche nicht mehr die NATO als Ordnungsmacht hat, sondern alle Staaten der OSZE-Region einbezieht, die Möglichkeiten der OSZE ausbaut und sie zum Zentrum einer vielfältigen zivilen Konfliktbearbeitung macht.

Die europäischen NATO-Staaten haben ihre militärische Unterlegenheit gegenüber der NATO-Führungsmacht USA im Kosovo-Konflikt deutlich erfahren. Wie es aussieht, haben sie daraus die Schlussfolgerung gezogen, die EU als Militärmacht stärker auszubauen unter besonderer Berücksichtigung einer eigenständigen EU-Militärinterventionsfähigkeit. Dem entspricht die Berufung des bisherigen NATO-Generalsekretär Solana zum »Hohen Vertreter für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik« (GASP).

Die westeuropäischen Regierungen missachten damit andere wichtige Erkenntnisse aus dem Balkankrieg: Sie haben z.B. ein Stück »Mitbestimmung« (gegenüber der absoluten Dominanz der USA) nur dadurch wiedergewinnen können, dass sie unter maßgeblicher Beteiligung der deutschen Regierung eine politische Initiative zur Beendigung des Krieges ergriffen haben. In diesem Prozess wurden die Vereinten Nationen wieder einbezogen, China als Veto-Macht berücksichtigt und Russland als Einflussmacht der Region aufgewertet. Es war eine politische Initiative, die zu einer Beendigung des Krieges führte und die damit auch erreichte, dass es nicht zu dem militärisch bereits angedachten (verlustreichen) Bodenkrieg kam.

  1. Mit dem Stabilitätspakt ist ein wichtiges Instrument ziviler Konflikbearbeitung geschaffen worden, an dem ganz Europa lernen kann, seine Konflikte in moderner Weise, nämlich ohne militärische Mittel, zu bearbeiten. Jetzt kommt es darauf an diesen Ansatz positiv und kreativ, aber auch kritisch zu begleiten. Arbeitsweisen und Methoden ziviler Konfliktbearbeitung auf allen Akteursebenen können dort entwickelt werden. Bei dieser Arbeit darf es keine Ausgrenzung nach »guten« und »bösen« Völkern geben. Alle Balkan-Staaten und -Völker, also auch das serbische Volk, müssen sich unter der Voraussetzung beteiligen können, dass sie sich verpflichten, auf Gewalt bei der Regelung ihrer Konflikte im Inneren wie im Äußeren zu verzichten. PartnerInnen in diesem Prozess dürfen nicht allein die Regierungen sein. Wichtig ist, auch die Gesellschaften angemessen einzubeziehen. So könnte in Südosteuropa wieder Hoffnung auf eine lebenswerte Zukunft einziehen und EU-Europa sich von einer verhängnisvollen Einbindung in eine Militär gestützte Außen- und Sicherheitspolitik befreien.

Am 10.6.99 verabschiedeten auf Vorschlag der EU unter deutscher Präsidentschaft 28 Staaten und internationale Organisationen einen »Stabilitätspakt für Südosteuropa«, in dem es u.a. heißt: „Der Stabilitätspakt zielt darauf ab, Staaten in Südosteuropa bei ihrem Bemühungen um die Förderung des Friedens, der Demokratie, der Achtung der Menschenrechte sowie des wirtschaftlichen Wohlstandes zu stärken, um Stabilität in der ganzen Region zu erreichen.“ Ein »Regionaltisch Südosteuropa« soll als Lenkungsorgan fungieren und »Arbeitstische« für verschiedene Themen bilden. Dies ist ein im Prinzip guter Ansatz, den übrigens die Friedensbewegung in Deutschland zusammen mit anderen Begleitmaßnahmen seit Jahren gefordert hat. Eine präventive Politik dieser Art hätte den Krieg vermeiden können und wäre weit billiger sowie entwicklungs- und stabilitätsträchtiger gewesen.

Wichtig ist jetzt, dass den Gesellschaften auf dem Balkan nicht ein westlicher Plan übergestülpt wird, sondern es ein Verfahren gibt, dass ihre Beteiligung auf allen Ebenen ermöglicht. Sensibilität der Geldgeber ist also gefragt. Höchst problematisch ist bereits, dass die Beteiligung Jugoslawiens von einem Sturz des Milosevic-Regimes abhängig gemacht wird. Damit ist nicht nur ein zentrales Land ausgeschlossen, damit verbunden ist auch eine Demütigung der serbischen Gesellschaft. Eine demokratische Entwicklung wird dadurch sicher erschwert. Richtig wäre es, die Teilnahme an inhaltliche Bedingungen zu knüpfen, wie z.B. den Verzicht auf Gewaltanwendung bei der Bearbeitung von Konflikten, und die serbische Gesellschaft unter diesen Bedingungen wie alle anderen zur Teilnahme einzuladen.

Anmerkungen

1) Pradetto, August: Konfliktmanagement durch militärische Intervention? Dilemmata westlicher Kosovo-Politik, Studien für internationale Politik, Heft 1/98, Hamburg.

2) Le Monde diplomatique, Juli 1999, S. 2

Prof. Dr. Andreas Buro ist friedenspolitischer Sprecher des Komitees für Grundrechte und Demokratie

Kurs Südost?

Kurs Südost?

Nato-Erweiterung zieht neue Kreise

von Hans J. Gießmann

Wer beim Anziehen einer Jacke am Anfang den falschen Knopf erwischt, muss am Ende von vorn beginnen, egal wie gewissenhaft seine Bemühungen zwischenzeitlich auch sind. Das Fatale an der Sache ist, dass man selbst den Irrtum nicht sofort bemerkt. Ähnliches scheint im Zuge der NATO-Erweiterung zu passieren. Im April 1999 wurde in Washington der Abschluss der ersten Aufnahmerunde mit den neuen Mitgliedern Polen, Tschechien und Ungarn mediengerecht zelebriert. Der auf den ersten Blick gelungene Spagat zwischen der Ausdehnung der Allianz und ihrer Hinwendung zur Rolle einer Wächterin über Menschenrechte und Demokratie hat sich seither wie Mehltau über den einst kritischen Diskurs um die Zukunft der NATO gelegt. Das Bündnis wiegt sich in der Hochstimmung des als Sieg interpretierten Waffenstillstandes im Kosovokrieg. Gelegentlich aus Moskau zu vernehmende Misstöne werden mit kaum verhüllter Arroganz abgetan. Dass der für die NATO glückliche Ausgang ihrer militärisch alles auf eine Karte setzenden Strategie letztlich ohne russische Zurückhaltung und Vermittlung kaum erreicht worden wäre, zählt in Washington und Brüssel weniger als die Überzeugung, endgültig unter Beweis gestellt zu haben, wer nach dem Ende des Kalten Krieges in Europa das Sagen hat. Immerhin verursachte – anders als noch vor zwei Jahren – die fast beiläufige Ankündigung der Allianz, die Tür zum Beitritt für weitere Staaten zu öffnen, selbst in Moskau wenig Aufregung. Nachdem die Frage des »Ob« entschieden ist, geht es für das Bündnis und für das ungefähre Dutzend weiterer Beitrittskandidaten – letztlich wohl auch für Russland – lediglich noch um das »Wer« und das »Wann«. Dass aber bereits der erste Schritt ein Fehler gewesen sein könnte, kommt kaum jemandem mehr in den Sinn, am wenigsten den Mitgliedern der NATO selbst. Falls dies jedoch zutrifft, wofür einiges spricht, fällt spätestens hier das eingangs gewählte Bild auseinander. Die harmlose Peinlichkeit einer falsch zugeknöpften Jacke ist folgenlos zu beheben. Die Erweiterung der NATO bietet diese Chance nicht. Verfehlt sie das Ziel, muss nach anderen Auswegen gesucht werden.

Am Ende des Ost-West-Konflikts waren sich die Allianzmitglieder einig, nicht aufzugeben was sich aus ihrer Sicht über vier Jahrzehnte als Bollwerk des europäischen Abschreckungsfriedens bewährt hatte. Zwar wurde insbesondere in Bonn frühzeitig der Wunsch geäußert, durch die Aufnahme der unmittelbaren Nachbarn in das Bündnis die deutsche Einheit nach Osten abzuschirmen. Die meisten NATO-Mitglieder nahmen die Interessen an einer Bündniserweiterung wohlwollend, jedoch zurückhaltend, zur Kenntnis. Anpassung vor Erweiterung hieß zunächst die Devise. Außerdem sollte eine offene Konfrontation mit Russland vermieden werden, über dessen Bereitschaft zum Widerstand gegen die schwelenden Erweiterungspläne zu diesem Zeitpunkt noch Ungewissheit herrschte. Bis Mitte der neunziger Jahre drängten vornehmlich die Reformstaaten in Mittel- und Osteuropa zu rascheren und verbindlicheren Schritten. Die erste Reaktion der Allianz auf die Beitrittsgesuche – eine ambivalente Mixtur aus Angeboten zur Zusammenarbeit und hinhaltendem Taktieren – vermochte nicht zu verhindern, dass der Druck auf eine zügige Erweiterung beständig zunahm. Letztlich wurden in Washington und Brüssel, hauptsächlich um den immer schnelleren Lauf der Dinge unter politische Kontrolle zu bringen, erst im Herbst 1995 die Wegweiser eindeutig auf die Erweiterung der NATO gestellt. Ohne sich damals auf bestimmte Staaten festzulegen, wurden erstmals Bedingungen genannt, deren Erfüllung eventuelle Beitrittskandidaten für eine engere Auswahl qualifizieren sollten:

  • Ihre Verpflichtung, die Normen und Prinzipien der OSZE anzuerkennen, insbesondere die Beilegung ethnischer und territorialer Konflikte, einschließlich irredentistischer Ansprüche oder innerer Rechtsangelegenheiten mit friedlichen Mitteln;
  • ihre Verpflichtung, durch wirtschaftlichen Liberalismus, soziale Gerechtigkeit und ökologische Verantwortung Stabilität und Wohlfahrt zu fördern;
  • die Einführung einer angemessenen demokratischen und zivilen Kontrolle der Streitkräfte und
  • die Verpflichtung, mit ihren verfügbaren Ressourcen zu den Zielen und Aufgaben der NATO beizutragen.1

Die vorläufige Festlegung auf diese allgemeinen Kriterien machte dreierlei deutlich: Erstens sollte nur jenen Staaten das Privileg einer Mitgliedschaft eingeräumt werden, die unbeeinträchtigt durch innere oder äußere Konflikte keine potenzielle Gefahr für den durch unterschiedlich interpretierte Anpassungszwänge belasteten Bündniskonsens darstellten. Zweitens sollten sämtliche Verpflichtungen für die neuen Mitglieder ohne Einschränkung gelten, d.h. keinerlei Sonderrechte in Anspruch genommen werden dürfen. Beide Maßstäbe waren strenger als für die bereits in der Allianz vertretenen Mitglieder – um nur die Türkei für den einen, Norwegen und Frankreich für den anderen Fall zu nennen. Hinzu kam, drittens, dass die NATO sich das alleinige Recht vorbehielt unabhängig von der Erfüllung der Kriterien darüber zu entscheiden, wer Aufnahme in das Bündnis finden sollte – und wer nicht.

Bis zum 24. März 1999 schien auf diese Weise der Fahrplan der Bündniserweiterung klar umrissen. Die erste – von Moskau widerwillig tolerierte – Aufnahmerunde stand unmittelbar vor dem Abschluss. Slowenien und Rumänien, mit ungewisseren Vorzeichen die Slowakei und die baltischen Staaten, galten als aussichtsreichste Anwärter auf künftigen Zuschlag. Gleichwohl vor allem auch Bulgarien, die Ukraine, Makedonien, Kroatien und Albanien auf Berücksichtigung hoffen, fehlten sie bisher auf der heimlichen Liste der erklärten Favoriten. Dies könnte sich nach den jüngsten Entwicklungen ändern, vielleicht viel schneller als von der NATO erwartet.

Erweiterungspolitik unter veränderten Vorzeichen

Das Neue Strategische Konzept der NATO, im April in Washington beschlossen, hat ex post facto sanktioniert, was die Allianz vier Wochen zuvor bereits begonnen hatte: die offensive Anwendung militärischer Gewalt zur Durchsetzung kollektiver Interessen ohne ausdrückliche Rückendeckung durch ein Mandat des UN-Sicherheitsrates. Der Alleingang zielte auf eine Demonstration der uneingeschränkten Handlungsfähigkeit der »neuen NATO« jenseits ihrer traditionellen kollektiven Verteidigungsfunktion. Er signalisierte zugleich das neue Selbstbewusstsein der Allianz, internationales Recht nach eigenen Vorstellungen auszulegen, falls dies – wie US-Verteidigungsminister William Cohen formulierte – der „Verteidigung eigener Interessen“ dient. Zehn Jahre nach dem Ende des Ost-West-Konflikt wähnt sich die NATO imstande, einen offenen Konflikt mit jedem Staat dieser Welt, selbst mit Russland und China, zu riskieren.

Nachdem keines der ursprünglichen Ziele der NATO im Kosovo-Krieg durch die Luftschläge wirklich erreicht worden ist, bleibt diese Demonstration das eigentliche Ergebnis des gewählten Vorgehens. Ihren Nachschlag fand sie in der arroganten Anmaßung, über den konkreten Beitrag Russlands zur KFOR-Friedenstruppe zu bestimmen. Es besteht wenig Zweifel: Die NATO hat das Zepter der Ordnungsmacht auf dem Balkan übernommen und sie wird es nach eigenen Aussagen für lange Zeit nicht aus der Hand geben. Nicht von der UNO und der OSZE, schon gar nicht von Russland wird sie sich diese Rolle streitig machen lassen.

Für die mittel- und osteuropäischen Staaten haben sich durch die jüngsten Entwicklungen eigene Hoffnungen und Erwartungen einmal mehr bestätigt. Deutlicher als zuvor dürften sie zu dem Schluss gelangt sein, dass nicht ein auf die OSZE gestütztes System regionaler kollektiver Sicherheit die Zukunft Europas prägen wird, sondern vielmehr die NATO als Bündnis der Stärksten, fähig zum Schutz seiner Mitglieder und zugleich entschlossen, deren Interessen notfalls auch gegen den Widerstand anderer durchzusetzen. Das Bestreben, selbst ein Teil dieses Machtkartells zu werden, ist nach dem Krieg nicht geringer geworden, wohl aber das Interesse an jeglichen Alternativen zu einer Vollmitgliedschaft in der NATO. Dieses vorrangige Ziel hinterlässt bereits seine Spuren in konkreten Entscheidungen. Die auf direktes Drängen der NATO – nicht der UNO – in der ersten Juliwoche von Rumänien verfügte Verweigerung von Überflugrechten für das russische KFOR-Kontingent liefert hierfür ein präzedensloses Beispiel.

Während allerdings die meisten beitrittswilligen Staaten an der Türschwelle zur NATO gewöhnlich als Bittsteller auftreten, ließen jetzt mit Albanien und Makedonien ausgerechnet zwei Länder durch die Forderung nach unverzüglicher NATO-Mitgliedschaft aufhorchen, denen nach den Maßstäben der NATO auf absehbare Zeit eigentlich kaum Chancen eingeräumt wurden. Beide sind durch ethnische Konflikte und Irredenta betroffen, von einer funktionierenden Marktwirtschaft weit entfernt und viel zu schwach, um durch eigene Ressourcen die kollektive Verteidigung der NATO zu stärken. Zumindest in Albanien bestehen darüber hinaus berechtigte Zweifel an der tatsächlichen zivilen und demokratischen Kontrolle der Streitkräfte. Das politische Kalkül beider Länder, nach dem Ende des Krieges dennoch bevorzugt behandelt zu werden, erscheint trotzdem nicht völlig abwegig. Die NATO hat sich ohne Not in eine Lage manövriert, die jetzt ihr gesamtes Erweiterungskonzept über den Haufen zu werfen droht.

Anders als bei den übrigen Beitrittskandidaten ist das Bündnis um der ureigenen Glaubwürdigkeit als Ordnungsmacht willen auf die direkte Unterstützung der Regierungen in Tirana und Skopje angewiesen. Beide Staaten haben erhebliche logistische Hilfe für den Aufmarsch der NATO-Truppen und die Bewältigung des Flüchtlingsstromes geleistet. Vor allem aber halten sie den Schlüssel für dauerhafte Stabilität im Umfeld des Kosovo in ihren Händen. Gerieten ausgerechnet hier die ethnischen Konflikte erneut außer Kontrolle, wäre die nächste Katastrophe vorprogrammiert, mit allerdings dem wesentlichen Unterschied einer wahrscheinlichen Verwicklung von NATO-Truppen in bewaffnete Kämpfe am Boden. Die vormalige NATO-Strategie des geringsten Risikos – die Anwendung von luft- und seegestützten Abstandswaffen – ist mit der Stationierung der KFOR-Truppen obsolet geworden. In Brüssel dürfte Klarheit darüber bestehen, dass ein stabiles Umfeld unverzichtbare Bedingung für das Ausbleiben neuer Kampfhandlungen ist und bleibt. Dies setzt allerdings voraus, dass in der Bevölkerung der beiden Länder – und natürlich im Kosovo selbst – der Anreiz, den Frieden zwischen den Volksgruppen zu erhalten, auf Dauer stärker wiegt als jener, politische Konflikte untereinander gewaltsam zu regeln. Von der gesicherten Anwesenheit dieser Voraussetzung ist aber nicht ohne weiteres auszugehen. Stützte sich die Hoffnung auf Frieden durch Stärke allein auf einen sich ausbreitenden Flickenteppich militärischer Schutzzonen zwischen verfeindeten Volksgruppen, könnte sich der Gewinn an Prestige für die NATO rasch verbrauchen.

Stabilitätstransfer durch politische und wirtschaftliche Strukturbildung

Das Dilemma für die NATO ist offenkundig: Sie hat ihr stärkstes Pulver bereits verschossen. Ihre Glaubwürdigkeit als wichtigster Sicherheitsanker Europas ist jetzt an den unbedingten Erfolg der Friedenserhaltung geknüpft. Die Fähigkeit, dies zu garantieren, wird aber durch ihre Mittel beschränkt. Weder ist sie strukturell und funktional berufen, innergesellschaftliche Konfliktursachen zu beseitigen, noch etwa ist ihr Erfolg vom künftigen Verhalten der beteiligten Konfliktparteien unabhängig. Die Eigendynamik der Spannungen auf dem Balkan existiert unbeeinflusst davon dass es die NATO gibt und kaum berührt durch deren Präsenz. In der erkennbaren Zwangslage zwischen politischem Anspruch und der Dysfunktionalität verfügbarer Mittel könnten sich die einst sorgsam bedachten NATO-Kriterien einer kontrollierten Erweiterungspolitik verflüchtigen. Tatsächlich stünden unter solchen Vorzeichen die Chancen einer vorgezogenen Aufnahme Rumäniens, Makedoniens und Albaniens nicht schlecht. Die scheinbar positiven Erfahrungen mit der NATO-Mitgliedschaft der Türkei und Griechenlands scheinen dies sogar zu bekräftigen. Allerdings spricht zum einen dagegen, dass die Konflikte zwischen diesen beiden Staaten bisher nicht durch die NATO, sondern stets durch direkte politische Intervention Washingtons eingedämmt wurden. Zum anderen zeigt gerade das Beispiel der Türkei, dass Mitgliedschaft in einem Militärbündnis weder vor ethnischer Repression im Innern des Landes feit, noch von grenzüberschreitenden Aggressionsakten abhält. So gesehen – und im Lichte der komplizierten sicherheitspolitischen Lage – verspricht die Aufnahme der Balkanstaaten in das Bündnis mehr als sie zu halten imstande ist.

Aus der Sicht der betreffenden Länder geht es allerdings auch um mehr als militärische Teilhabe und verlässlichere Sicherheitsgarantien. Die Balkanstaaten erhoffen sich vor allem die Hilfe des Westens für ihre eigene wirtschaftliche und soziale Entwicklung als Fundament stabilerer politischer Verhältnisse. Zwar kann genau dies die NATO nicht leisten, doch der Glaube in den Reformländern ist unerschütterlich, dass sich für Mitglieder der Allianz die Füllhörner westlicher Investoren eher öffnen als dies bei Außenstehenden der Fall ist. Ihr vehementes Drängen in die NATO entpuppt sich insofern vor allem als Reflex auf die zögerliche Stabilisierungspolitik der Europäischen Union und die stark unterentwickelte regionalwirtschaftliche Zusammenarbeit in Mittel- und Südosteuropa. Der anvisierte Stabilitätspakt für den Balkan setzt deshalb zwar ein richtiges Signal – allerdings viel zu spät und aller Voraussicht nach nicht ausreichend. Frieden und Stabilität werden auf dem Balkan erst reifen wenn hierfür der politische, wirtschaftliche und soziale Humus vorhanden ist. Wird dies nicht durch gezielte Strukturbildung gefördert, wird die Neigung zur gewaltsamen Durchsetzung von Interessen innerhalb und zwischen den schwachen Demokratien früher oder später erneut die Oberhand gewinnen.

Der erhoffte Stabilitätstransfer durch die schrittweise Erweiterung eines Militärbündnisses ist und bleibt ein Trugbild. Die Konfliktrisiken auf dem Balkan sind durch militärische Präsenz, so stark sie auch sein mag, letztlich nicht einzudämmen. Je eher dies erkannt und durch geeignetere Konzepte ersetzt wird, um so günstiger wären die Aussichten auf Frieden.

Anmerkungen

Anmerkung

1) Study on NATO Enlargement, September 1995, S. 25, Par. B 72.

PD Dr. Hans-Joachim Gießmann arbeitet am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik der Universität Hamburg (IFSH).

Der Krieg für die NATO

Der Krieg für die NATO

von Michael Berndt und Werner Ruf

Es war Krieg in Europa: Die NATO führte einen Luftkrieg gegen Jugoslawien und auf dem Boden fand ein Bürgerkrieg zwischen diversen Einheiten der jugoslawischen Armee und Kosovo-AlbanerInnen statt. Die NATO begründete ihre Aggression mit den Zielen a) Jugoslawien zur Unterschrift unter das Rambouillet-Abkommen zu zwingen und b) eine »humanitäre Katastrophe« im Kosovo abzuwenden. Was sie zunächst erreichte, war das genaue Gegenteil: Sie machte das Rambouillet-Abkommen zur Makulatur und unter ihren Bomben eskalierte die Vertreibung der Kosovo-AlbanerInnen. Schließlich war der Luftkrieg der NATO auch kein chirurgischer Eingriff allein gegen die vorher bestimmten Ziele – diese wurden nicht einmal getroffen (vgl.: SZ 23.7.1999). Statt dessen nahmen mit der Erhöhung der Angriffsintensität die sogenannten Kollateralschäden zu, unter denen nicht nur die serbische Bevölkerung zu leiden hatte, sondern gerade auch diejenigen – die Kosovo-AlbanerInnen –, zu deren Schutz die NATO nach ihrer eigenen Begründung angetreten war. Diese Konsequenzen waren voraussehbar und sie wurden von einigen PlanerInnen auch vorausgesagt (vgl.: Nieth 1999: 8). Damit stellt sich die Frage nach anderen als den vorgegebenen Zielen

Wer die offizielle NATO-Argumentation betrachtet, kann den Eindruck gewinnen, als hätten diejenigen, die in der NATO über die Angriffe zu entscheiden hatten, tatsächlich gedacht, Milosevic würde nach der ersten Bombe zum Telefon greifen und sich zur Unterschrift unter den militärischen Teil des Rambouillet-Abkommens bereit erklären. Nun sitzen allerdings in den Planungs- und Entscheidungszentralen nicht nur pathologische Fälle, die von Unkenntnis und Irrationalismus geprägt sind, sodass davon ausgegangen werden kann, dass die Eskalationsdimension den EntscheiderInnen bekannt war und von ihnen hingenommen wurde. Damit öffnet sich ein Widerspruch zwischen offizieller Argumentation und den Hintergründen der Entscheidung. Dieser Widerspruch ist Gegenstand der folgenden Überlegungen. Dabei werden wir versuchen unsere These zu belegen, dass es der NATO bzw. genauer den beteiligten Staaten, die Mitglied der NATO sind, bei ihrem Krieg gegen Jugoslawien nicht um den Kosovo ging; die Eskalationsdimensionen waren für die NATO zweitrangig bei ihrer Diskussion um und schließlich der Entscheidung für Luftangriffe ohne Mandat des UN-Sicherheitsrates. Eine Diskussion, die im Frühjahr 1998 begann.

Wie man »Handlungszwänge« herstellt

Ende Februar/ Anfang März 1998 kam es im Kosovo im Vorfeld der für Ende März unter den Kosovo-AlbanerInnen angesetzten Wahlen, die der US-Vizeaußenminister Talbott als „nicht hilfreich“ für die Konfliktbearbeitung bezeichnete (SZ 18.3.1998), zu Unruhen bei denen es – auf beiden Seiten – mehrere Tote, gab (SZ 2.3.1998). Diese Unruhen waren der Auslöser für die Einberufung eines Treffens der Balkan-Kontaktgruppe (BRD, Frankreich, Großbritannien, Italien, Russland und USA) am 9.3.1998 in Bonn.

Im Umfeld dieses Treffens wurden letztlich die Weichen für die weitere Konfliktbearbeitung gestellt. So argumentierte Bundesaußenminister Kinkel, dass „die Zeit für normale diplomatische Bemühungen… abgelaufen (sei) (und, d. Verf.) Europa… nicht wie zu Beginn des Bosnien-Konflikts zu spät kommen (dürfe)“ (SZ 5.3.1998) und der US-Sondergesandte Gelbard erklärte, die USA seien auch zu einem militärischen Eingreifen bereit (ebd.). Schließlich wurde von der US-Außenministerin Albright perspektivisch „keine Option ausgeschlossen“ (SZ 9.3.1998). Dies führte dazu, dass Russland den Westen vor einer Intervention im Kosovo warnte (SZ 7./8.3.1998).

Das Ergebnis des Kontaktgruppentreffens war dann symptomatisch für alle weiteren Handlungen des Westens im Kosovo-Konflikt: Beide Seiten – die jugoslawische und die albanische – wurden zu Gesprächen aufgefordert, wobei gegen die eine Seite, nämlich die der jugoslawischen Regierung, diese Aufforderung mit einem Ultimatum und Sanktionen verbunden wurde. Auf albanischer Seite zielte die Gesprächsaufforderung auf die Rugova-»Regierung«, die aber gar nicht die Kontrolle über die gewalttätige Fraktion der AlbanerInnen – die UCK – hatte. So schafften sich die Kontaktgruppe im Ganzen und die westlichen Mitglieder der Kontaktgruppe, die auf ein schärferes Vorgehen gegen Jugoslawien drängten – zunächst Deutschland und die USA (siehe: SZ 9.3.1999) – im Besonderen, ihr eigenes Problem: Die Regie wurde der Akteurin übergeben, die auf albanischer Seite für Terroranschläge verantwortlich war, ohne sie zunächst allerdings in die Konfliktbearbeitung einzubinden.

Die zu dieser Zeit vom Westen noch so titulierte Terrororganisation UCK (vgl.: Küppers 1998) musste es nur durch Angriffe z.B. auf Polizeistationen schaffen, die jugoslawische Seite zu schärferen (Gegen-)Aktionen zu reizen, denn damit würde Jugoslawien gegen die Forderungen des Westens bzw. der Kontaktgruppe verstoßen. Sollte der Westen es ernst meinen damit, dass letztlich keine Option ausgeschlossen sei, so müsste er dann, wenn Jugoslawien seinen Forderungen nicht nachkam, die Maßnahmen weiter verschärfen.

Die Rechnung der UCK ging letztlich auf und so verstärkte sich im Mai 1998 die Diskussion über militärische Maßnahmen der NATO gegen Jugoslawien, die im Juni in die Diskussion über Luftschläge ohne UNO-Mandat mündete. Dabei waren die Positionen in der NATO allerdings nicht einheitlich. Während Großbritannien und die USA letztlich für Luftschläge auch ohne UNO-Mandat eintraten, wurde dies zunächst u.a. von Frankreich abgelehnt (IHT 18.6.1998). Die Position der Bundesregierung war gespalten, was die Süddeutsche Zeitung zur Überschrift „Kosovo bringt Rühe ins Kinkeln“ (SZ 24.6.1998) bewog. Während Bundesaußenminister Kinkel ein UN-Mandat zur Voraussetzung machte, argumentierte Bundesverteidigungsminister Rühe: „zum jetzigen Zeitpunkt wäre es falsch, sich in die eine oder andere Richtung (mit oder ohne UNO-Mandat, d. Verf.) festzulegen. Wir müssen zu flexiblem Handeln fähig sein. Denn wir wollen ja Druck ausüben.“ (Rühe 1998)

Allerdings wurde – und dies gilt es besonders hervorzuheben – von keinem NATO-Mitglied jemals der Versuch unternommen, ein entsprechendes Mandat des UN-Sicherheitsrats zur völkerrechtlichen Deckung von Luftangriffen zu erlangen. Dass eine solche Resolution „zwangsläufig dem Veto einiger ständiger Sicherheitsratsmitglieder, vor allem Russlands und Chinas, verfallen würde, ist zwar offensichtlich in Regierungskreisen dieser Mächte geäußert worden. Konkret getestet in einer Abstimmung des SR sind diese Absichten bislang nicht“ (Paech/ Stuby 1999: 39).

Mit der Diskussion über und letztlich der Vorbereitung von Luftschlägen auch ohne Mandat des Sicherheitsrates schaffte sich die NATO ihre eigenen Handlungszwänge in einem Konflikt bei dessen Bearbeitung eine Fraktion sozusagen Narrenfreiheit hatte, weil sie in die diplomatische Konfliktbearbeitung lange Zeit gar nicht eingebunden war, nämlich die UCK. Erst nach den NATO-Ratssitzungen vom 28.5.1998 (auf Außenministerebene) und 11.6.1998 (auf Verteidigungsministerebene), also nachdem die NATO mit der Vorbereitung militärischer Maßnahmen begonnen hatte, begann der Versuch der Einbindung der UCK, bis zum Winter 1998 aber ohne sichtbaren Erfolg für eine diplomatische Lösung. Dabei ist festzuhalten, dass zwar im Rahmen der Holbrooke-Verhandlungen vom Herbst 1998 die jugoslawische Seite sehr zäh war, sie aber schließlich immer die Vereinbarungen einhielt, zumindest solange, bis die UCK dagegen verstieß (siehe z.B.: Meyer 1999). Die Gewaltakte der UCK wurden einfach übersehen. Jede Aktion der jugoslawischen Seite diente demgegenüber aber als Grund für weitere Schritte in der Eskalationsspirale der NATO. Hier stellt sich die Frage, was die NATO und ihre Mitgliedstaaten bewog, über die scheinbare Paradoxie dieser Entwicklung hinwegzusehen (siehe dazu auch: Debiel 1999).

Ein Krieg wofür?

Die Weichen für die NATO-Luftangriffe gegen Jugoslawien wurden also schon im Sommer 1998 gestellt. Rambouillet war dann schließlich der krönende Abschluss, und genau hier setzt nun unsere These an. In dem Dossier der Zeit vom 12.5.1999 wurde unter der Überschrift „Wie Deutschland in den Krieg geriet“ (Hofmann 1999) der These gefolgt, dass Deutschland keine Möglichkeit hatte, im Rahmen der Rambouillet-Verhandlungen einen militärischen Konflikt abzuwenden, vor allem auch deshalb, weil sich die jugoslawische Seite unnachgiebig zeigte. Doch dieses Dossier kann auch ganz anders gelesen werden: Bei den Rambouillet-Verhandlungen ging es nicht um eine konstruktive Konfliktbearbeitung im Kosovo, sondern um Macht-Spielchen unter den westlichen Staaten. Wer hat den Vorsitz? Wer darf wo mitverhandeln? Wer stellt welchen Sonderbotschafter? Wer darf wann welche Ergebnisse präsentieren? usw. Um das Agieren der NATO und ihrer Mitgliedstaaten mit seinen Paradoxien bezüglich des Kosovo-Konflikts nachvollziehen und rational fassen zu können, muss somit der Fokus auf das Verhältnis der westlichen Staaten untereinander und in der NATO gerichtet werden, das Buro schon 1997 als kompetitiv-kooperativ bezeichnete (Buro 1997: 12, siehe auch: Berndt 1997: 65ff).

Nach den diversen Divergenzen im Rahmen der Veränderung der NATO zur »Neuen NATO«, die sich auf die Punkte neue Mitglieder, neue Militärstruktur und europäischer Pfeiler in der NATO bezogen, stand ab Winter 1997/1998 in der NATO der letzte Punkt noch aus: Das für den 50. Geburtstag für April 1999 angekündigte Neue Strategische Konzept. Mit diesem Konzept sollte letztlich allen bisherigen Veränderungen ein einheitlicher Rahmen gegeben werden. Wegen der Zentralität dieses Konzeptes für die künftigen Zuständigkeiten der NATO, wie gerade auch für das Verhältnis zwischen WEU, EU und NATO, war der letzte Schritt des Wandels der NATO mit erheblichem Konfliktstoff verbunden (vgl.: Nassauer 1999). Eine Reduzierung des Konfliktstoffs auf die Extrempositionen

  • NATO als zentrale Organisation zur Durchsetzung der Sicherheitsinteressen des Westens, wie sie von den USA vertreten wird, und
  • NATO als Verteidigungsbündnis mit einer parallelen und möglichst unabhängigen WEU als militärischem Arm der EU, wie sie von Frankreich vertreten wird,

wird der Komplexität der Divergenzen allerdings nicht gerecht. Denn auch die USA haben ein Interesse an einem militärisch starken Europa, allerdings unter ihrer Kontrolle und Frankreich hat ein Interesse an der Einbindung der USA zum Ausbalancieren der BRD.

Großbritannien vertrat bis Herbst 1998 offiziell eher die Position der USA. Dies änderte sich scheinbar auf dem französisch-britischen Gipfel von Saint Malo am 4.12.1998, unterstützte doch Großbritannien nun die Integration der WEU in die EU und den Ausbau einer westeuropäischen militärischen Handlungsfähigkeit (siehe: Blair/ Chirac/ Jospin 1998). Allerdings geschah dies nicht, um die NATO zurechtzustutzen und sich von den USA zu emanzipieren, sondern um „den Wert Europas als Juniorpartner der USA zu sichern“ (Dembinski 1999: 788). Demgegenüber lavierte Deutschland in seiner „bewährten“ Strategie (siehe: Berndt 1997) zwischen den Positionen Frankreichs, Großbritanniens und der USA, um seinen eigenen Einfluss und Handlungsspielraum auszuweiten.

Zwischen westeuropäischem Anspruch auf eine größere außenpolitische Rolle in den internationalen Beziehungen und dem US-Interesse, dies nur unter Aufsicht zuzulassen, zwischen dem hehren Anspruch einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EU und deren Reduzierung auf militärische Handlungsfähigkeit, zwischen dem Anspruch der EU, die internationale Politik mit zu gestalten, und internen Rivalitäten darüber, wer die EU gestalten soll, blieb die ursachenorientierte Bearbeitung des Kosovo-Konflikts auf der Strecke. Vor dem Hintergrund divergierender Interessen und Ziele der westeuropäischen Regierungen hatten die USA die Möglichkeit, ihr Konzept für eine neue NATO(-Strategie) durch ihre Art der Bearbeitung des Kosovo-Konflikts voranzutreiben (vgl. auch: Pradetto 1999: 810). War erst einmal die militärische Maschinerie für die Luftangriffe angelaufen – mit Planungsauftrag im Juni, »activation on warning« im September und »activation order« im Oktober –, wollte keine der europäischen Regierungen mehr abspringen, da dies Folgen für die zukünftige Rolle im Bündnis gehabt hätte.

Fazit

Die Haltung der westeuropäischen Staaten gegenüber den verschiedenen Krisen, die zur Auflösung des ehemaligen Jugoslawien führten, war stets uneinheitlich, ja widersprüchlich. Gleiches trifft letztlich auch auf ihre die Haltung bezüglich der Entwicklung der NATO zur »Neuen NATO« zu (siehe: Berndt 1999a). NATO-Entwicklung und die Bearbeitung der Jugoslawienkonflikte stehen in enger Verbindung zueinander. So sind die Vorbereitung und schließlich die Durchführung des Krieges gegen Jugoslawien u. E. auch zu verstehen als Resultat interner Interessendivergenzen über die künftige Rolle der NATO. Damit folgte die Bearbeitung des Kosovo-Konflikts durch die NATO einer Logik, bei der es nicht um den Konfliktgegenstand ging.

Somit spricht vieles für die These, dass es bei der Bearbeitung des Kosovo-Konflikts – ganz im Sinne des neuen NATO-Konzepts – darum ging, zentrale Bestandteile des Völkerrechts und insbesondere die Zuständigkeit des UN-Sicherheitsrats auszuhebeln und das Völkerrecht mit Hilfe des im Golfkrieg entwickelten Konzepts der »humanitären Intervention« in einen Baukasten zur Legitimation dieses und zukünftiger Kriege zu verwandeln (vgl. Berndt 1999b, Paech/ Stuby 1999, siehe auch schon Ruf 1994, insbes. 115-119 u. 186-189). Sollte das Ziel also gewesen sein, die UNO heraus zu halten, so kann einerseits die Rückführung des Konflikts in die Kompetenz des UN-Sicherheitsrates durch die Ahtissari-Tschernomyrdin-Vermittlung durchaus als (vorläufiger) Rückschlag betrachtet werden. Andererseits zeigt die Praxis der KFOR vor Ort aber, dass die NATO fest entschlossen ist das Handeln zu bestimmen.

Dass aber Konflikte dieser Art mit (robusten) »humanitären Interventionen« nicht lösbar sind, zeigt schon das Beispiel der SFOR, deren Ende nicht absehbar ist. Im Falle der KFOR dürfte die Bilanz noch deutlicher ausfallen. So bleibt die schwache Hoffnung, dass eine militärisch noch immer nicht (selbstständig) handlungsfähige EU/WEU daraus die Konsequenz zieht, statt einer militärischen Außen- und Sicherheitspolitik eine alternative zivile Außen- und Friedenspolitik zu entwickeln, die auf eine präventive und politische Konfliktlösung abzielt.

Literatur

Berndt, Michael (1997): Deutsche Militärpolitik in der »neuen Weltunordnung«. Zwischen nationalen Interessen und globalen Entwicklungen (Agenda Resultate: 5), Münster.

Berndt, Michael (1999a): Die NATO-Osterweiterung und ihre Bedeutung für Frieden und Sicherheit in Europa und den internationalen Beziehungen, in: Imbusch, Peter/ Zoll, Ralf (Hrsg.); Friedens- und Konfliktforschung. Eine Einführung mit Quellen; Opladen (2., überarb. u. erw. Aufl.), S. 399-419.

Berndt, Michael (1999b): Rückkehr zum Faustrecht. Das neue strategische Konzept der NATO, in: Evangelische Kommentare (32:7), S.27-29.

Blair, Tony/ Chirac, Jacques/ Jospin, Lionel (1998): Französisch-Britischer Gipfel: Erklärung über die europäische Verteidigung. Saint-Malo, 4.12.1998 , in: Frankreich-Info, hrsg. Presse- und Informationsabteilung der französischen Botschaft (93) 8.12., S.1-2.

Buro, Andreas (1997): Militärgewalt und Globalisierungsprozess, in: Wissenschaft und Frieden (15:2), S.11-15.

Debiel, Tobias (1999): Katastrophe im Kosovo. Zehn Anmerkungen zu Massakern, Krieg und (De-)Eskalation, in: Blätter für deutsche und internationale Politik (44:5), S.539-547.

Dembinski, Matthias (1999): Verteidigungsbündnis ohne Feind, in: Blätter für deutsche und internationale Politik (44:7), S.787-790.

Hofmann, Gunter (1999): Wie Deutschland in den Krieg geriet (Dossier), in: Die Zeit (54:20), 12.05., S.17-21.

Küppers, Bernhard (1998): Zufallsbegegnung mit der PLO des Balkans. Die USA spielen das Treffen Holbrookes mit Kämpfern der Kosovo-Befreiungsarmee herunter, in: SZ 26.6., S.8.

Meyer, Berthold (1999): Die westliche Staatenwelt im Strudel der Kosovo-Kriege, in: Schoch, Bruno/ Ratsch, Ulrich/ Mutz, Reinhard (Hrsg.), Friedensgutachten 1999; Münster/ Hamburg/ London, S. 60-69.

Nassauer, Otfried (1999): Neue NATO – Neue Strategie?, in: Wissenschaft und Frieden (17:2), S.24-28.

Nieth, Jürgen (1999): Humanität oder Macht? Mit welchem Ziel bombt die NATO?, in: Wissenschaft und Frieden (17:2), S.7-12.

Paech, Norman/ Stuby, Gerhard (1999): Recht oder Gewalt? Unterwegs zu einer neuen Weltordnung, in: Supplement der Zeitschrift Sozialismus 5/1999, Der NATO-Krieg. Hintergründe und Alternativen, Hamburg, S. 36-47.

Pradetto, August (1999): Zurück zu den Interessen. Das Strategische Konzept der NATO und die Lehren des Krieges, in: Blätter für deutsche und internationale Politik (44:7), S.805-815.

Ruf, Werner (1994): Die neue Welt-UN-Ordnung – Vom Umgang des Sicherheitsrates mit der Souveränität der »Dritten Welt«, Münster.

Rühe, Volker (1998): Ein Manöver irgendwo außerhalb des Kosovo reicht nicht (Interview), in: SZ vom 19.6., S.9.

Dr. Michael Berndt und Prof. Dr. Werner Ruf, Fachgebiet Internationale und intergesellschaftliche Beziehungen und Außenpolitik, arbeiten am Fachbereich Gesellschaftswissenschaften der Universität Gesamthochschule Kassel

Neue NATO – Neue Strategie?

Neue NATO – Neue Strategie?

von Otfried Nassauer

Ein großer und feierlicher Gipfel sollte es werden: 50 Jahre nach ihrer Gründung wollte die NATO vom 23.-25. April in Washington auf ihre Erfolge zurückschauen und die Weichen für eine ebenso erfolgreiche Zukunft stellen. Drei neue Mitglieder sollten erstmals bei einem Gipfel dabei sein. Die Aufnahme weiterer Staaten sollte durch einen Aktionsplan vorbereitet werden. Eine Vision für die NATO des 21. Jahrhunderts sollte verabschiedet, eine neue Strategie beschlossen werden. Der Washingtoner Gipfel: Ein Signal für den Aufbruch der erweiterten Allianz ins 21. Jahrhundert mit erweiterter Aufgabenstellung, erweiterten Funktionen und neuer Legitimation. Der Washingtoner Gipfel: Ein Zeichen dafür, dass die europäische Sicherheitsarchitektur der Zukunft auf dem Fundament der NATO ruhen und die Srategie der Allianz zugleich der Kern einer solchen Struktur sein werde.

So war es geplant. Es kam anders, ganz anders. Der Jubiläumsgipfel der NATO wurde ein Krisengipfel. Erstmals seit der Gründung befand sich das Bündnis im Krieg, zudem in einem nicht erklärten und durch die internationale Staatengemeinschaft nicht legitimierten Krieg. In einem Krieg, in dem es für die NATO und ihre künftige Rolle in Europa um sehr viel geht, namentlich um die Glaubwürdigkeit der Allianz, um ihre künftigen Aufgaben, ihre künftige Strategie und um ihre Rolle in der künftigen Sicherheitsarchitektur Europas. Der Krieg um das Kosovo war das alles beherrschende Thema. Ein anderes, kaum weniger wichtiges fand dagegen kaum Beachtung: Der wichtigste Partnerstaat der NATO – Russland – hatte seine Teilnahme vollständig abgesagt, aus Protest gegen die Angriffe der NATO auf das ehemalige Jugoslawien. Schnell wurde klar: Die NATO steckt in einer tiefen Krise und die Struktur europäischer Sicherheit steht vor wesentlichen Weichenstellungen.

Eine neue Strategie?

Das Vorhaben, die Strategie der NATO zu überarbeiten, geht auf die Grundlagenakte zwischen der NATO und Russland zurück, die im Mai 1997 in Paris unterzeichnet wurde. Dort heißt es: „Die NATO-Staaten haben beschlossen, das Strategische Konzept der NATO zu überprüfen, um sicherzustellen, dass es in voller Übereinstimmung mit der neuen Sicherheitssituation Europas und mit den neuen Herausforderungen steht.“ Dieses Versprechen zielte darauf, Russland Kooperationsbereitschaft zu signalisieren und die Pläne der NATO-Osterweiterung akzeptabler erscheinen zu lassen. Es akzeptierte, dass die bislang gültige NATO-Strategie, die noch von der Existenz der Sowjetunion ausgeht, einer Revision bedurfte. Der NATO-Gipfel in Madrid bestätigte das Vorhaben.

Im Dezember 1997 beschloss der NATO-Rat die politischen Vorgaben für die Strategieüberarbeitung. Seit Anfang 1998 befasst sich eine hochrangige politische Beratungsgruppe mit der Aufgabe. Im Frühherbst des Jahres legte sie – wenige Tage vor dem NATO-Verteidigungsministertreffen im portugiesischen Villamura – ihren ersten Entwurf vor. Nach anfänglichen Versuchen, diesen als weitgehenden Konsens zu präsentieren, wurde klar: Jetzt beginnt die eigentliche Arbeit. Bei der Herbstsitzung der NATO konnten die versammelten Minister zwar »Fortschritte« begrüßen, zugleich aber wurde deutlich, dass Richtungsentscheidungen zu treffen sein würden.

Wenig später wurde der Konflikt um den Kosovo von Militärs und Politikern der NATO und vor allem der USA zum Musterbeispiel für die künftigen Aufgaben und die künftige Strategie des Bündnisses erklärt. Danach müsse die Allianz bei Völkermord und groben Menschenrechtsverletzungen eingreifen; notfalls auch ohne UN-Mandat, wenn z.B. der UNO-Sicherheitsrat durch einzelne Vetomächte blockiert sei. Die Eskalation des Konfliktes um das Kosovo begleitete und dominierte von nun an die weitere Entwicklung des neuen Strategischen Konzeptes. Zugleich überlagerte die Entwicklung des Konfliktes die Richtungsentscheidungen, die die NATO mit ihrem neuen Konzept treffen musste.

Im Kern ging es um die folgenden Fragen:

  • Soll die NATO künftig weiterhin vorrangig das Territorium ihrer Mitgliedsstaaten sichern, unabhängig davon ob dessen Bedrohung wahrscheinlich ist? Oder soll sie auch die Interessen der Mitgliedsstaaten durchsetzen?
  • Für welchen geographischen Raum soll sich die Allianz zuständig erklären? Für das Staatsgebiet der eigenen Mitglieder, für das Gebiet der Mitglieder und der Staaten der Partnerschaft für den Frieden? Soll es überhaupt eine geographische Begrenzung der militärischen Aktivitäten der NATO geben?
  • Versteht sich die Allianz vorrangig als politische Organisation, deren Aufgabe es ist, nach vollzogener Selbsttransformation den Aufbau eines Systems kooperativer und kollektiver Sicherheit in Europa voranzutreiben und die dafür erforderlichen stabilen Rahmenbedingungen abzusichern? Soll sie Sicherheit mit oder gegen Russland gestalten?
  • Soll die Allianz militärische Einsätze, die nicht der Selbstverteidigung dienen, grundsätzlich von einem Mandat der internationalen Staatengemeinschaft, also der UNO oder der OSZE, abhängig machen oder soll sie sich das Recht vorbehalten auch dann militärisch zu intervenieren, wenn ein solches Mandat nicht vorliegt?
  • Soll die Rolle nuklearer Waffen in der Allianzstrategie weiter reduziert werden oder sollen diesen Waffen neue Aufgaben und damit eine neue Legitimation zugewiesen werden? Wie hält das Bündnis es künftig mit nuklearer Abrüstung und – angesichts der Nuklearwaffentests Indiens und Pakistans – mit einem eigenen Beitrag zur Absicherung des Nichtverbreitungsvertrages für die Zukunft?
  • Wieviel und welche Vorgaben soll die neue Allianzstrategie den Mitgliedsstaaten mit Blick auf deren künftige Verteidigungsausgaben, Streitkräftestrukturen und die technologischen Fähigkeiten ihrer Streitkräfte machen?
  • Und schließlich warf die unilateralistische Politik der USA, die immer offensichtlicher die eigenen nationalen Interessen in den Mittelpunkt stellt, die Frage nach dem Kräfteverhältnis innerhalb des Bündnisses auf: Sollen die europäischen NATO-Staaten längerfristig auf eigene militärische Handlungsfähigkeit zielen oder soll diese Fähigkeit vorrangig im Rahmen und unter Kontrolle der USA in der NATO implementiert werden?

Out of Area or Out of Business

Vor Jahren bereits stellte der US-Senator Richard Lugar mit diesen Worten die Leitfrage für die heutige Diskussion. Washington drängt seine europäischen Verbündeten, die NATO künftig als Bündnis zur Durchsetzung von Interessen zu verstehen. Die Allianz soll möglichst ohne geographische Begrenzung militärisch handlungsfähig werden. Die erst 1994 geschaffene Möglichkeit, von der UNO oder der OSZE autorisierte, »friedensunterstützende« militärische Interventionen durchzuführen, soll von der zwingenden Voraussetzung eines Mandates der internationalen Völkergemeinschaft entkoppelt werden. Ein Beschluss der NATO-Staaten soll künftig ausreichen, um einen militärischen Einsatz außerhalb des Bündnisgebietes auszulösen. Auch diese Überlegung gab Washington seinen Bündnispartnern früh zu bedenken. Bereits 1993 formulierte ein brisantes Papier aus der US-Botschaft bei der NATO: „With the UN whenever possible, without it whenever necessary.“

Die meisten europäischen Staaten sehen im Gegensatz zu den USA in der NATO allenfalls ein regionales Ordnungs- und Interventionsinstrument, nicht aber einen globalen Akteur. Zugleich – dies machte die Haltung der europäischen Regierungen im Fall Kosovo deutlich – gibt es keine klare und eindeutige Position der europäischen Staaten zu nicht-mandatierten NATO-Einsätzen. Sie sind bereit, solche Einsätze mit zu tragen. Ein Mandat soll in der Regel die Voraussetzung darstellen – von Fall zu Fall soll es aber auch Ausnahmen geben. Dies aber riskiert, dass die Ausnahme die Regel wird und trägt zur Aushöhlung der Autorität der Vereinten Nationen bei.

Das neue Strategische Konzept der NATO erweitert das Aufgabenfeld sowie den politischen und geographischen Handlungsspielraum der Allianz erheblich. Zwar bleibt die kollektive Verteidigung die Kernaufgabe der NATO. Jedoch ist klar, dass es eher unwahrscheinlich ist, dass diese Aufgabe auch militärisch wahrgenommen werden muss und zu einem Militäreinsatz führt. Ganz anders bei den »neuen Aufgaben« der Allianz: Krisenmanagement, Stabilitätsprojektion und »friedensunterstützende« Maßnahmen. Diese Aufgaben führen zu militärischen Einsätzen und – das Beispiel Kosovo zeigt es – zu Krieg. Dafür hält die NATO künftig nicht zwingend ein Mandat der UNO erforderlich, auch wenn die Rolle der UNO und der OSZE im neuen Konzept auf europäischen Wunsch hin hervorgehoben wurde: „Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen trägt die primäre Verantwortung für die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit und leistet in dieser Eigenschaft einen entscheidenden Beitrag zu Sicherheit und Stabilität im euro-atlantischen Raum“, sagt das neue Strategische Konzept. Die Wortwahl „primäre Verantwortung“ lässt aber zu, dass die NATO eine letzte Verantwortung bei sich selbst sieht und „ein entscheidender Beitrag“ ist nicht »der« entscheidende Beitrag. Die NATO hat sich die Option gesichert, Vorrang vor den Vereinten Nationen zu reklamieren, auch wenn sie im Regelfall bereit sein sollte, Krisenmanagement „unter der Autorität des UN-Sicherheitsrates oder der Verantwortung der OSZE“ zu praktizieren. Die NATO reklamiert das Recht, auch außerhalb des NATO-Gebietes zu intervenieren, z.B. um einen drohenden Völkermord zu verhindern. Nicht grundsätzlich als Weltpolizist, sondern – so die neue NATO-Strategie – vorrangig im „euro-atlantischen Raum“, jenem Gebiet, das den Sicherheitsraum aller 44 Staaten der Partnerschaft für den Frieden umfasst. Hinzukommen dürften nach dem Selbstverständnis der NATO Nordafrika und einige andere Mittelmeeranrainerstaaten. Aber auch ein militärisches Agieren darüber hinaus wird nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Dies wird deutlich, wo die Strategie über die sicherheitspolitischen Risiken der Zukunft spricht: Bedrohungen, z.B. durch Massenvernichtungswaffen in den Händen von Staaten im Mittleren Osten, in Nordafrika oder gar im Besitz nichtstaatlicher Akteure, lassen – so die Allianz – eine fixe Begrenzung des Aktionsradius nicht zu. Dies gelte erst recht für den Bereich der Informationskriegführung, des Information Warfare. Geographische Grenzen verlören in diesen Bereichen an Bedeutung. Die Welt werde zum globalen Dorf.

Dass solche Überlegungen nicht abstrus sind zeigen die jüngsten Entwicklungen vor allem der nationalen US-amerikanischen Militärstrategie. Globales Agieren im Bereich der Informationskriegführung ist hier ebenso zu einem selbstverständlichen Bestandteil geworden wie die Tatsache, dass militärische Schläge gegen nicht-staatliche Akteure – Terroristen, radikale, religiöse Gemeinschaften oder transnationale Konzerne – Element nationalen militärischen Handelns der USA geworden sind. Sogar der Einsatz von Nuklearwaffen, z.B. gegen Terroristen, die man im Besitz biologischer oder chemischer Waffen wähnt, wird dabei nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Ein Mandat der internationalen Staatengemeinschaft – so das Argument – sei hier kaum denkbar und liege außerhalb jener völkerrechtlichen Überlegungen, die beim Aufbau des heutigen Systems internationalen Rechtes zugrunde gelegt worden seien.

Künftige
militärische Fähigkeiten

»Mind the Gap« – überschrieben Autoren der US-Denkfabrik Rand Corporation im vergangenen Jahr eine Studie, in der sie für eine erhebliche Modernisierung vor allem der konventionellen Streitkräfte der großen europäischen NATO-Staaten plädieren. Diese sollen vor allem die Fähigkeit zu militärischen Interventionen weit jenseits der Grenzen des NATO-Gebietes stärken. Die Studie kann als Leitfaden für die Entwicklung US-amerikanischer Forderungen verstanden werden, die neue NATO-Strategie solle Aussagen über die künftigen militärisch-technologischen Fähigkeiten der Allianz machen. Mit der sogenannten »Defense Capabilities Initiative« hat der Washingtoner Gipfel auf dieses Ansinnen reagiert.

Der Kern des militärischen Potenzials des Bündnisses soll zu einem schlagkräftigen, flexiblen, über große Entfernungen verlegbaren und großräumig einsetzbaren Interventionsinstrument umgestaltet werden. Die militärischen Kräfte sollen so bemessen sein, dass ein Regionalkrieg – Beispiel Golfkrieg 1991 – sowie eine »friedensunterstützende« Maßnahme parallel und über eine längere Dauer durchgeführt werden können. Ein militärischer Grundschutz des NATO-Territoriums soll gleichzeitig gesichert bleiben. Trotzdem seien deutliche Reduzierungen der Streitkräftestärken möglich – die Größe des Bundeswehrheeres z.B. veranschlagen die Autoren der Rand-Studie auf künftig drei hochmoderne Divisionen. Aus Sicht der USA stehen die europäischen NATO-Staaten deshalb vor der Aufgabe, die technologische Modernisierung ihrer Streitkräfte nachzuholen und in erheblichem Umfang zu investieren. Dies gilt vor allem für die Bereiche Kommunikation, Kontrolle, Aufklärung, Überwachung und Langstreckentransportwesen. Das Stichwort in den USA heißt »Revolution in Military Affairs«.

Die begrenztere europäische Vision von den künftigen Aufgaben der NATO drückt sich natürlich auch in geringeren Forderungen an die Leistungsfähigkeit der NATO-Streitkräfte aus. Die europäischen Staaten wollen zwar den Zug der technologischen Revolution im Militärischen nicht verpassen – zugleich aber gibt es Widerstände gegen den dann notwendigen Übergang zu Berufsstreitkräften sowie gegen die amerikanischen Bemühungen, über die Ausstattung der Streitkräfte deren Funktion mitzubestimmen. Hinzu kommt, dass in Europa die US-Forderungen auch als Marketinginitiative für Rüstungsstechnologie der USA verstanden werden.

Die Beschlüsse des Washingtoner NATO-Gipfels bestätigen zwar im Grundsatz die politisch-militärischen Vorstellungen der USA, gießen diese aber nicht in bindende Investitionsverpflichtungen für die europäischen NATO-Partner. Ungeklärt bleibt vor allem, ob die Modernisierung der europäischen Streitkräfte vor allem im Kontext der NATO oder im Kontext der Europäischen Union realisiert werden wird.

Wieviel Europa erlauben die Transatlantischen Beziehungen?

Seit Jahren einig sind sich die Regierungen Europas und der USA, dass Europa eine größere und zugleich eigenständigere Rolle militärischer und sicherheitspolitischer Art spielen soll. In der NATO hat sich dafür der Begriff der »Europäischen Sicherheits- und Verteidigungsidentität« (ESVI) herausgebildet. Deklariertes Ziel ist es, die europäischen NATO-Staaten zu befähigen, auch ohne die USA »friedensunterstützende« militärische Maßnahmen durchzuführen; dies schließt »friedenserzwingende« Maßnahmen mit ein. Dies soll greifen, wenn die USA sich nicht militärisch engagieren wollen. Seit Jahren werden zwischen der WEU und der NATO jene Bedingungen und Formen der Zusammenarbeit diskutiert, die es der WEU erlauben würden, bei der NATO technische und personelle Kapazitäten sowie Aufklärungsdaten auszuleihen, die die WEU nicht besitzt. Combined Joint Task Forces, deren Hauptquartiere auf Kernzellen der NATO-Hauptquartiere aufbauen sollen, sowie gemeinsam beschaffte Infrastruktur der NATO, z.B. AWACS-Flugzeuge, sollen in solchen Fällen zum Einsatz kommen und den europäischen NATO-Mitgliedern ermöglichen, was sie alleine nicht können. WEU-Einsätze sollen zuvor im NATO-Rat gebilligt werden, bleiben also letztlich durch die NATO kontrollierbar.

Dieses Arrangement – und die bereits erwähnte Kritik der europäischen NATO-Staaten am Unilateralismus der USA – rief Besorgnisse hervor: Sollte die NATO die Dauer eines WEU-Einsatzes beeinflussen, ja bestimmen können? Sollte sie bei solchen Einsätzen ein Mitentscheidungsrecht haben? Ja, sogar gegebenenfalls entscheidenden Einfluss auf Erfolg oder Misserfolg? Viele WEU-Staaten erinnerten sich, dass die USA darauf bestanden haben, die der WEU unterstellbaren, europäischen militärischen Formationen wie das Eurokorps rechtlich verbindlich an die NATO zu koppeln und somit eine volle Eigenständigkeit der WEU zu verhindern. Mit Sorge sahen sie nun, dass die USA eine rechtlich verbindliche Pflicht der NATO, die WEU zu unterstützen, zu vermeiden suchten. Von vielen wird die US-Politik so verstanden, dass Washington die Kontrolle über das militärische Handeln der europäischen Staaten auch dann erlangen will, wenn es selber sich an der betreffenden Militäroperation nicht beteiligt.

Der Ruf nach Alternativen wurde lauter und seit Dezember 1998 wird deutlich: die bislang zivile Europäische Union soll sicherheitspolitisch handlungsfähig gemacht werden. Die neuen außen- und sicherheitspolitischen Möglichkeiten der EU, die aus dem im Mai 1999 in Kraft getretenen Amsterdamer Vertrag abgeleitet werden können, wurden als Ansatzpunkte genommen. Europa soll über die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) hinaus eine europäische Verteidigungspolitik und eine europäische Verteidigung entwickeln. Die WEU soll in die EU integriert werden – was eine Aufgabe der rechtlichen Bindungen der WEU an die NATO, z.B. das Verbot des Aufbaus militärischer Parallelstrukturen, zur Folge haben könnte. Mit Vehemenz hat die deutsche EU-Präsidentschaft begonnen, entsprechende Vorschläge zu unterbreiten. Außenminister Fischer schlug vor, ein und dieselbe Person solle die GASP und die WEU leiten; Bundeskanzler Schröder forderte eigenständige militärische Entscheidungsstrukturen der EU. Forderungen, teure militärische Infrastruktur wie sie die USA neu bei der NATO ansiedeln wollen stattdessen bei der EU anzusiedeln, werden folgen – die geplante Entwicklung einer europäischen Verteidigungspolitik und die notwendige Konsolidierug der europäischen Rüstungsindustrie könnten hier einen erheblichen Anreiz durch indirekte Subventionierung erhalten.

Der neuen NATO-Strategie und dem Kommunique des Washingtoner Gipfels liegen je eines dieser beiden unterschiedlichen Konzepte für die Stärkung des europäischen Beitrags zur militärischen Sicherheit und Stabilität zugrunde. Sie stehen damit in einem deutlichen Widerspruch zueinander. Die Strategie reflektiert die Entwicklung der letzten Jahre – europäisches Handeln im Rahmen der WEU unter Billigung und Mithilfe der NATO. Das Kommunique reflektiert dagegen die Entwicklung der letzten Monate: Europa handelt militärisch als Europäische Union mit oder ohne die Billigung und Mithilfe der NATO; die WEU wird eng an die EU angebunden und ihre militärischen Fähigkeiten werden in diese überführt. Bis zum Jahr 2000, so die Vorstellung der deutschen EU-Ratspräsidentschaft, soll die EU eine erste eigene militärische Handlungsfähigkeit gewinnen. Die bislang zivile Europäische Union wagt den Einstieg in gemeinsame militärische Aufgaben. Diese sollen zunächst auf das Krisenmanagement, die sogenannten Petersberg-Aufgaben, z.B. bei einer künftigen Friedenstruppe im Kosovo beschränkt bleiben. Die Aufgabe der kollektiven Verteidigung verbleibt bei der NATO. Bereits beim EU-Gipfel in Köln Anfang Juni sollen erste Pflöcke eingeschlagen werden, die dann anlässlich der nächsten Sitzung des NATO-Rates im Juni für die Weiterentwicklung der Allianz Berücksichtigung finden können.

Atomarer Spaltpilz

Umstritten ist auch die künftige Rolle nuklearer Waffen im Bündnis. Gereizt bis scharf reagierte die Clinton-Administration als Bundesaußenminister Fischer die Frage aufwarf, ob die NATO künftig auf die Möglichkeit eines Ersteinsatzes nuklearer Waffen verzichten solle. US-Verteidigungsminister Cohen ließ keinen Zweifel daran aufkommen, dass Washington in dieser Option ein unverzichtbares Mittel sieht. Er machte deutlich, dass die USA von den anderen NATO-Mitgliedern erwarten, die nukleare Abschreckung und gegebenenfalls auch den Einsatz der atomaren Waffen gegen die Besitzer atomarer, biologischer und chemischer Waffen als Aufgabe der NATO anzusehen, auch wenn das in der bisherigen NATO-Strategie nicht vorgesehen ist. Hinzu kommt, dass ähnlich wie im Bereich der konventionellen Streitkräfte eine Ausweitung des Aufgabenspektrums der NATO auf potenzielle Gegner aus dem Süden erfolgt.

Die meisten nicht-nuklearen europäischen Staaten schauen dagegen besorgt auf die Perspektiven nuklearer Abrüstung und nuklearer Nichtverbreitung. Sie glauben, dass die Rolle nuklearer Waffen in der NATO weiter reduziert werden kann. Diese Waffen werden als letztes Mittel der Abschreckung erachtet; vielleicht gar in jenem Sinne und Kontext, den der Internationale Gerichtshof allein nicht als illegal bezeichnen wollte: Den Fall einer existenziellen Bedrohung eines Staates. Diese veränderte Haltung der europäischen NATO-Staaten spiegelte sich sowohl in ihrem Abstimmungsverhalten zur Resolution der New Agenda Coalition in den Vereinten Nationen als auch jüngst in einem Vorschlag von fünf europäischen Staaten bei der Genfer Abrüstungskonferenz. Für sie kommt eine Funktion nuklearer Waffen im Rahmen offensiver Counterproliferation nicht in Frage. Das gleiche gilt für US-amerikanische Überlegungen, sich den Nuklearwaffeneinsatz auch gegenüber nicht-staatlichen Akteuren offenzuhalten.

Das neue Strategische Konzept der NATO hält unverändert an der bisherigen umstrittenen Nuklearstrategie fest. Die Veränderungen sind minimal – der Streit wurde vertagt. Eine Überprüfung der nuklearen Rüstungskontroll- und Nichtverbreitungspolitik der Allianz soll sich an den Gipfel anschließen und erste Ergebnisse sollen bis zur Herbstsitzung des NATO-Rates vorgelegt werden. Manche NATO-Staaten – so vor allem die Nuklearmächte – betonen, dabei gehe es vorrangig um die rüstungskontrollpolitischen Aspekte; andere – so die Bundesrepublik und Kanada – sehen die gesamte Nuklearstrategie auf dem Prüfstand. Das Ergebnis bleibt abzuwarten.

Wo endet Europa?

Die Probleme, die der Allianz aus dem Verhältnis USA-Europa erwachsen, werden weiter verschärft durch zwei entscheidende Fragen, auf die der NATO-Gipfel im April erneut keine Antwort gab. Erstens die Frage nach der Zukunft der Osterweiterungen des Bündnisses und zweitens die Frage nach dem sicherheitspolitischen Charakter der Allianz.

Auch die Befürworter der NATO-Osterweiterung können nicht sagen, welche Staaten dem Bündnis in Zukunft endgültig angehören sollen. Sie sind tief gespalten. Manche – vor allem jene, die in der NATO ein kollektives Verteidigungssystem sehen – sind der festen Überzeugung, dass die Allianz nicht mehr substanziell erweitert werden dürfe. Andere, die die NATO auf dem Wege der Transformation zu einem europäischen kooperativen und kollektiven Sicherheitssystem sehen, wollen auch den Beitritt Russlands zur NATO nicht auf alle Zeiten ausschließen.

Das Ergebnis könnte hochbrisant sein: Die von den USA gewünschte weltweit militärisch aktive NATO wird parallel zu einer NATO entwickelt, die Russland zwar nicht aktiv ausgrenzt, Sicherheit aber doch eher gegen als mit Russland gestaltet und Moskau zur Wahl einer neuen Politik der Selbstisolation und eingeschränkten Konfrontation veranlasst. Das aber hatten die Autoren der NATO-Russland-Gründungsakte wohl kaum im Sinn als sie die Überarbeitung des Strategischen Konzeptes der NATO ins Auge fassten.

Zugleich werden im Kontext des Kosovo-Krieges neue Fakten geschaffen: Von den territorialen Sicherheitsgarantien für die Nachbarn des ehemaligen Jugoslawiens für die Zeit des Krieges kann die Allianz nach dem Krieg kaum zurücktreten. Damit rückt ein NATO-Beitritt dieser Staaten näher. Dies wird in der neuen NATO-Strategie in keiner Weise reflektiert.

Schließlich das Verhältnis zu Russland: Die neue NATO-Strategie schreibt das Verhältnis NATO-Russland aus der Zeit vor dem Kosovo-Krieg fort. Dies ist realitätsfremd. Erfolg oder Misserfolg der russischen Vermittlung im Kosovo-Konflikt sowie der Ausgang des Krieges haben unmittelbaren und gravierenden Einfluss auf die Beziehungen zwischen Russland und der NATO. Kooperation oder erneute Konfrontation, so lautet die Alternative und es kann keinesfalls als gesichert gelten, dass Russland nach Ende des Krieges zum »business as usual« zurückkehrt. Die Frage bleibt, ob Sicherheit in Europa mit oder gegen Russland geschaffen werden soll.

Schlussbemerkungen

Zwischen den politische Zielen und dem politischen Willen zum Einsatz militärischer Mittel klafft eine Lücke. Die Allianz hat gerade die entscheidenden Fragen über den künftigen Charakter des Bündnisses bisher nicht beantwortet. Die Beschlüsse des Washingtoner NATO-Gipfels, insbesondere das neue Strategische Konzept der NATO, orientierten sich an der Allianzdiskussion der Jahre 1991 bis 1998. Sie enthalten keine Vision für das 21. Jahrhundert. Das geplante Signal von Washington – die NATO ist fit für das 21. Jahrhundert – ist ausgefallen.

Die Allianz wollte mit ihrem neuen Strategischen Konzept eine Grundlage dafür legen, das Bündnis auf mittlere Sicht, also für einen Zeitraum von 10-15 Jahren, als Fundament und Kern der künftigen europäischen Sicherheitsarchitektur fest zu schreiben. Doch es scheint so, dass das in Washington verabschiedete Konzept in Kernbereichen eine politische Halbwertzeit hat, die eher in Monaten denn in Jahren bemessen werden kann.

Otfried Nassauer ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit (BITS). Er untersucht u.a. die Beziehungen der NATO zu Russland in einem Projekt das von der Ford-Stiftung finanziert wird.

Humanität oder Macht?

Humanität oder Macht?

Mit welchem Ziel bombt die NATO?

von Jürgen Nieth

Seit dem 24. März führen deutsche Soldaten zum ersten Mal seit über 50 Jahren wieder Krieg. „Um eine humanitäre Katastrophe im Kosovo zu verhindern, blieb uns jedoch keine andere Wahl“, erklärte Rudolf Scharping (Der Spiegel, 29.03.99, S. 218). Den mit dem NATO-Krieg verbundenen Bruch des geltenden Völkerrechts schob Außenminister Fischer mit den Worten beiseite, dass Milosevic „eine völkische Politik“ betreibe, „eine rohe barbarische Form des Faschismus“, bei der man nicht zusehen könne.1
Sieben Wochen nach Beginn des Krieges bombt die NATO immer noch. Die Gewalt ist eskaliert und mit ihr das Elend auf dem Balkan. Von den Kosovo-AlbanerInnen sind jetzt Hunderttausende auf der Flucht, in Serbien, Montenegro und der Vojvodina sterben ZivilistInnen unter NATO-Bomben, die Nachbarländer werden von einer Flüchtlingswelle überrollt, die Folgeschäden des Krieges für die gesamte Region sind kaum übersehbar.
Die Wirklichkeit des Krieges hat die erste Kriegsbegründung – Menschen und Menschenrechte zu schützen – ab absurdum geführt. Die Kriegführung selbst wirft die Frage neu auf: Mit welchem Ziel bombt die NATO?

Die Spannungen im Kosovo sind seit Jahren bekannt. Dass eine zivile Bearbeitung sehr schwierig sein und mit Sicherheit Jahre in Anspruch nehmen würde, davon konnte man nach den vorangegangenen Auseinandersetzungen in Ex-Jugoslawien und auch mit Blick auf andere Konfliktherde in Europa, wie z.B. Nordirland und Baskenland, ausgehen. Doch der Kosovo wurde in Dayton ausgeklammert, statt Hilfe zur Deeskalation der Spannungen wurde lediglich beobachtet und registriert, selbst die gewählten Vertreter der Kosovo-AlbanerInnen fanden jahrelang kein Ohr der westlichen PolitikerInnen. Vermittlungsversuche vor Ort überließ man Friedens- und Menschenrechtsgruppen, die alleine gelassen über gute Beispiele nicht hinaus kommen konnten.

Die Lage änderte sich nach einer „erheblichen Eskalation und Militarisierung des Konflikts“2 ab Anfang März 1998. Die UCK – in Berichten des Auswärtigen Amtes bis zum Beginn dieses Jahres als terroristische Organisation klassifiziert – hatte bis zu der Offensive der jugoslawischen Armee und der Milizen im Juli/August des letzten Jahres vorübergehend 40 Prozent des Kosovo unter ihrer Kontrolle. Berichten des Auswärtigen Amtes zu Folge gab es dabei Vertreibungen und Massaker auf beiden Seiten. Nach einer Vereinbarung des US-amerikanischen Unterhändlers Holbrooke mit Milosevic vom Oktober 1998 über den Rückzug der jugoslawischen Sicherheitskräfte aus dem Konfliktgebiet sollten 2.000 OSZE-BeobachterInnen (ein Kontingent, das nie ganz ausgeschöpft wurde) die Lage kontrollieren. Mit der Rückkehr der Flüchtlinge in ihre Dörfer kam es aber auch „vielerorts zu einer Rückkehr der UCK in kosovo-albanische Dörfer“3 und damit verbunden zu erneuten Kampfhandlungen.

In der Folge zwang die NATO die Kontrahenten an einen Tisch, um unter Androhung militärischer Gewalt eine Vereinbarung durchzusetzen. Erfolglos, wie bekannt ist. Seitdem bombardiert die NATO.

Das Elend ist heute größer
als je zuvor

Es gehe darum Massenvertreibung und einen drohenden Völkermord zu verhindern, so das erklärte Kriegsziel der NATO. Und die Wirklichkeit? Zwischen März 1998 und dem 24. März 1999 sind nach Angaben der UN-Flüchtlingshilfe 171.000 Menschen aus dem Kosovo geflüchtet oder vertrieben worden. Mit Beginn des Krieges explodierte die Zahl der Flüchtlinge. Nach 6 Wochen Krieg wird von fast einer Million Flüchtlinge und Vertriebener gesprochen. „Selbst wenn sich bestätigen würde, dass der Vertreibungsprozess in Belgrad von langer Hand geplant war, bleibt die Tatsache unübersehbar: Die Bomben und Raketen haben ihn nicht verhindert und können ihn auch weiterhin nicht verhindern.“4 Jetzt werden die Menschen nicht nur von Milosevics Schergen vertrieben, jetzt flüchten sie auch vor den Bomben der NATO. Serbische Oppositionelle kommentieren die Situation verbittert: „Die NATO in der Luft und Milosevic am Boden.“

Vor dem Krieg gab es das Massaker von Racak, bei dem Mitte Januar 42 Menschen ermordet wurden. Die finnische Untersuchungskommission hat nie die genauen Umstände und die Täter ermittelt, es bleibt der Verdacht auf den serbischen Milizen. Erschütternd die bestialische Verstümmelung 17 toter UCK-Kämpfer am 19. Januar.5 Hinzu kommen zahlreiche andere Greueltaten – übrigens nicht nur von einer Seite. Verbrechen, die nach einer Bestrafung der Täter und Hintermänner rufen, gegebenenfalls vor einem internationalen Kriegsverbrechertribunal.

Nur, die verantwortlichen Politiker mussten wissen, dass ein Krieg solche Verbrechen nicht verhindert, sondern im Gegenteil, dass ein Krieg das Vielfache an krimineller Energie freisetzt – mit der Folge Massenvertreibung, Vergewaltigung und Mord. Die verantwortlichen Politiker waren gewarnt. So schreibt Der Spiegel (29.03.99) über die Rede von US-Unterhändler Holbrooke auf der entscheidenden Sitzung des NATO-Rats am 23.03.99 (ein Tag vor Beginn des Krieges): „Begänne die NATO jetzt mit Luftangriffen, schloss Holbrooke, sei mit Völkermord im Kosovo zu rechnen. Unter den serbischen Truppen herrsche »blinder Hass«.“ Bereits Anfang März hatte der EU-Sonderbeauftragte Petritsch erklärt: „Die (Gefahr von Massakern nach Beginn der Bombardierungen) ist nicht zu unterschätzen, der Aggressionspegel der serbischen Polizei ist enorm hoch.“6 Warum wurden dieses Warnungen nicht beachtet?

Und wie verhält es sich mit der Verhältnismäßigkeit der Mittel? Noch gibt es keine Übersicht über die toten ZivilistInnen in Folge des NATO-Luftkrieges. Doch allein bei den bisher zugegebenen »irrtümlichen Bombardierungen« (die »Kollateralschäden« im NATO-Sprachgebrauch) sind Hunderte Tote zu beklagen. Wohngebiete, Personenzüge, Flüchtlingstrecks, Busse, Universitätsgebäude, Sportanlagen, ein Bauernhof mit Flüchtlingen usw. usf.

Bundeskanzler Schröder hatte seine Regierungserklärung am 24.03.99 noch mit den Worten eingeleitet, „heute Abend hat die NATO mit Luftschlägen gegen militärische Ziele in Jugoslawien begonnen.“7 Mittlerweile ist längst die Infrastruktur Jugoslawiens im Fadenkreuz und bei den Bomben und Raketen auf Brücken, Straßen, Eisenbahngleise, Bürohäuser, Fabriken, Kraftwerke, Rundfunk- und Fernsehsender werden bewusst auch Tote unter der Zivilbevölkerung in Kauf genommen.

Nach sieben Wochen Bombenkrieg haben sich die Menschenrechte für Hunderttausende auf den Kampf ums nackte Überleben reduziert. Einige Tausend dürften auch diesen Kampf bereits verloren haben.

Handlungsdruck ja –
aber militärisch?

Gab es die von der NATO behauptete Zuspitzung der Lage, die ein Weiterverhandeln ausschloss und die (für in militärischen Kategorien Denkende) ein sofortiges militärisches Eingreifen im Kosovo erforderlich machte?

Lageberichte aus dem Auswärtigen Amt und Ausführungen des Generalinspekteurs der Bunderswehr, Hans Peter von Kirchbach, hinterlassen hier mehr offene Fragen als Antworten.

Nach den eingangs skizzierten Kampfhandlungen des letzten Jahres hieß es in einem Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 18.11.98: „Im Kosovo selbst hat sich die schwierige humanitäre Situation etwas entspannt… Beim Einzug der serbischen Sicherheitskräfte in zurückeroberte Ortschaften kam es zu Übergriffen gegen dort verbliebene Bewohner. Die durch die Presse wiederholt gemeldeten »Massaker« und Meldungen über »Massengräber« trugen zur Beunruhigung der Flüchtlinge bei, konnten jedoch durch internationale Beobachter nicht bestätigt werden.“8

Sechs Wochen später, am 28.12.98, heißt es in einer Amtlichen Auskunft des Auswärtigen Amts: „Nach Erkenntnis des Auswärtigen Amts sind die Maßnahmen der Sicherheitskräfte in erster Linie auf die Bekämpfung der UCK gerichtet, die unter Einsatz terroristischer Mittel für die Unabhängigkeit des Kosovo, nach Angaben einiger ihrer Sprecher sogar für die Schaffung eines »Groß-Albanien«, kämpft.“9

Und noch am 15. März, also 10 Tage vor Beginn der Bombardierungen, hieß es aus dem Auswärtigen Amt, „vor Beginn des Frühjahrs 1999 kam es weiterhin zu Zusammenstößen zwischen UCK und Sicherheitskräften, auch wenn diese bislang nicht die Intensität der Kämpfe vom Frühjahr/Sommer 1998 erreicht haben.“10

Nach Beginn des Krieges hat sich die amtliche Argumentation verschoben, seitdem wird von einer gezielten Vertreibungspolitik Milosevics gesprochen. Wichtigster Beleg: Die »Operation Hufeisen«. Sie ist in der Interpretation der Bundesregierung der Beleg für die geplante Vertreibung aller Kosovo-AlbanerInnen und für einen von langer Hand geplanten Völkermord. Der Generalinspekteur der Bundeswehr sieht das aber offensichtlich differenzierter: „Hauptziel der »Operation Hufeisen« war/ist aus unserer Sicht die Zerschlagung beziehungsweise Neutralisierung der UCK im Kosovo. Vertreibung der kosovo-albanischen Bevölkerung mit dem Ziel gewaltsamer regionaler demographischer Veränderungen ist offensichtlich ein Bestandteil des Plans… Nachdem im Oktober auf Druck der internationalen Gemeinschaft Belgrad zunächst einlenkte… kehrten zumindest viele Binnenflüchtlinge in ihre Heimatwohnorte zurück – mit ihnen aber auch die UCK, für Belgrad offensichtlich ein unangenehmer, unannehmbarer Zustand. Mit dem »Hufeisen«-Plan sollte die Wiederholung dieser Abläufe offensichtlich verhindert werden.“11

Wenn das Verteidigungsministerium gegenüber dem Monatsmagazin Konkret eine schriftliche Veröffentlichung dieses Lageberichts des Generalinspekteurs mit den Worten ablehnt: „Das werden wir doch nicht noch schriftlich verbreiten,“12 so erhöht das nicht gerade die Glaubwürdigkeit der eigenen Interpretation der »Operation Hufeisen«. Eine Glaubwürdigkeit, die auch dann schweren Schaden nimmt, wenn der Verteidigungsminister von der Einrichtung eines Konzentrationslagers in einem Fußballstadion spricht, das Luftaufnahmen zum gleichen Zeitpunkt als leer zeigen, oder wenn Rudolf Scharpinge ohne Beweise vorzulegen Serben des Kannibalismus bezichtigt: „Schwangeren Frauen wurden nach ihrer Ermordung die Bäuche aufgeschlitzt und die Föten gegrillt.“13

Der Bundesnachrichtendienst hat in den letzten Wochen einen Krisenstab eingerichtet, der sich nur um den Krieg kümmert. In der Süddeutschen Zeitung heißt es dazu: „Es fällt auf, dass der BND in seiner Berichterstattung recht zurückhaltend ist. Viele der Geschichten über angebliche Massengräber und Greueltaten der Serben werden von Pullach als nachrichtendienstliche Desinformation bewertet, mit denen Politik gemacht werde.“14

Vorsicht ist also geboten bei den gelieferten Informationen. Sicher ist, es gab vor dem Krieg Vertreibungen, es gab massenhafte ethnische Diskriminierungen, es gab Massaker. Es bestand ein internationaler Handlungsdruck zur Wahrung der Menschenrechte und zur Lösung der Probleme im Kosovo. Sicher ist aber auch, dass es im Oktober eine Vereinbarung gab, in deren Folge Flüchtlinge zurückkehren konnten und deren mangelnde Umsetzung nicht nur die Schuld einer Seite war. Grund genug, alle politischen Möglichkeiten auszuloten, was nicht gemacht wurde.

Waren die Verhand- lungsmöglichkeiten in Rambouillet erschöpft?

In Rambouillet hätten diese politischen Möglichkeiten weiter ausgelotet werden müssen. Doch bereits die Anlage dieses Treffens war dafür nicht geeignet. Während in der Öffentlichkeit von einem auszuhandelnden Friedensabkommen gesprochen wurde, wurde in der Realität der Text von der NATO ohne die Einbeziehung ziviler internationaler Institutionen wie UNO und OSZE und ohne die Einbeziehung der Konfliktparteien erstellt. Die jugoslawische Regierung sollte mit der Drohung der Bombardierung Jugoslawiens und die Kosovo-Albaner notfalls mit der Drohung der Nichtbombardierung Jugoslawiens zur Unterschrift gezwungen werden, ein geringer Verhandlungsspielraum eingeschlossen.

Dass es um die Durchsetzung eines Diktats ging und nicht um Verhandlungen, gab denn auch der EU-Sonderbeauftragte Petritsch, der als Mitglied der NATO-Kontaktgruppe die Rambouillet-Verhandlungen leitete, unverblümt zu: „80 Prozent unserer Vorstellungen werden einfach durchgepeitscht… das Endergebnis wird wohl ein Diktat sein. Vor Ende April wird der Kosovo-Konflikt entweder formal gelöst sein oder wir bombardieren.“15

Ein Diktat, auf das sich die jugoslawische Regierung kaum einlassen konnte, da im politischen Teil des Abkommens – anders als immer wieder behauptet – die Existenz des Kosovo als Teil Jugoslawiens lediglich für drei Jahre festgeschrieben wurde, die dann fälligen freien Wahlen hätten bei der überwiegend albanischen Bevölkerung mit größter Wahrscheinlichkeit zur Ablösung und nicht nur zur Autonomie des Kosovo geführt. Hinzu kommt, dass im Anhang B (siehe Kasten) den NATO-Streitkräften Bewegungs- und Rechtsfreiheit sowie die Nutzung aller Anlagen in ganz Jugoslawien zugesichert werden sollte. Ein Besatzungsstatut, dem keine Regierung eines Landes zustimmen kann, es sei denn nach einer totalen Kapitulation.

Auch die Delegation der Kosovo-AlbanerInnen hatte zuerst unter dem Einfluss der UCK den Rambouillet-Text abgelehnt, da sie die sofortige Unabhängigkeit des Kosovo (und einige den Anschluss an Albanien) wollten. Sie stimmten erst zu, nachdem die US-Außenministerin Albright erklärt hatte, es werde keine Bombardierung Jugoslawiens geben, wenn die Kosovo-albanische Delegation den »Friedensplan« ablehne. „Das heißt, die Kosovo-Albaner konnten davon ausgehen, dass ihre Unterschrift zur NATO-Intervention führte. Die Luftschläge würden Jugoslawien bzw. Serbien entscheidend schwächen und damit die Machtverhältnisse zu ihren Gunsten ändern.“16 Der SPD-Bundestagsabgeordnete Hermann Scheer stellt dazu fest: „Indem über der serbischen Unterschriftsverweigerung die Bombardierungsdrohung stand wurde die Entscheidung über die tasächliche Bombadierung mit in die Hand der Kosovo-Albaner gelegt… Die Friedensziele für den Kosovo wurden also mit einem ungeeigneten Vertragswerk und mit einem Szenario verfolgt, womit die Situation aufgeheizt statt befriedet wurde.“17

In Rambouillet waren also nicht – wie immer wieder behauptet – alle Verhandlungswege erschöpft. Die Selbstmandatierung der NATO für die Verhandlungs- und Kriegführung hat jede Verhandlungslösung von Anfang an blockiert. Nach Äußerungen des CDU Sicherheitsexperten Willy Wimmer, langjähriger Staatssekretär im Verteidigungsministerium und Vizepräsident der OSZE-Versammlung, nicht ganz unbeabsichtigt: „Wir haben… in den letzten anderthalb Jahren gesehen, dass die Europäische Union mit ihrer Politik der autonomen Maßnahmen gegenüber der BR Jugoslawien erfolgreicher war, als befreundete Staaten das eigentlich wahr haben wollten. Wir waren im März des vergangenen Jahres wesentlich weiter gekommen, auch im Zusammenhang mit einer Lösung, die den Albanern im Kosovo entgegenkommt, wenn man die Europäische Union nur gelassen hätte. Aber hier durften bestimmte Ergebnisse offensichtlich nicht erzielt werden und deswegen ist das auch nichts geworden.“18

Double Standards

Wer auch immer vorgibt, aus »edlen Motiven« heraus Krieg zu führen, muss sich messen lassen an seinem Verhalten in vergleichbaren Situationen.

Flüchtlinge in Ex-Jugoslawien

Die kurze Geschichte des Zerfalls des ehemaligen Jugoslawien ist auch eine Geschichte der Vertreibungen. Lediglich Slowenien hatte zum Zeitpunkt der Unabhängigkeitsbestrebungen eine einigermaßen homogene Bevölkerungsstruktur.

Aus Kroatien wurden Hunderttausende SerbInnen vertrieben und die gewaltsamen »Bevölkerungsumschichtungen« in Bosnien haben wir alle noch vor Augen. Tatsächlich konnte mensch in den letzten Jahren den Eindruck gewinnen, dass die meisten Politiker bei den Vertreibungen weggesehen haben, vielleicht in der Hoffnung, dass so ethnisch geschlossenere Gebiete entstehen, die weniger Schwierigkeiten machen.

Dass die Vertreibungen von über einer halben Million (nach dem Auswärtigen Amt) oder 700.000 (nach jugoslawischen Angaben) SerbInnen die BR Jugoslawien als Aufnahmeland vor große Probleme stellte, war nicht zu übersehen. Dass mit der »ethnischen Säuberung« in der einen Region die Probleme in der anderen Region zunehmen, auch nicht. So wurde von den Kosovo-AlbanerInnen die Tatsache, dass 10.000 der serbischen Flüchtlinge aus Kroatien, Bosnien und der Herzogowina im Kosovo angesiedelt wurden, als Beispiel für die geplante »Kolonisierung des Kosovo« herausgestellt. Tatsächlich aber wurden nach Erkenntnissen des Auswärtigen Amts im Kosovo „proportional weit weniger Flüchtlinge untergebracht… als in anderen Teilen der BRJ.“19 Eine Erkenntnis, die die Kompliziertheit der Flüchtlingsproblematik andeutet, sich in der veröffentlichten Meinung allerdings nicht wiederfindet.

Der ehemalige Volkstribun der serbischen Opposition und Ende April entlassene Vizeministerpräsident der BR Jugoslawien, Vuk Draskovic, beklagt die ungleiche Behandlung: „…habe ich genug von der westlichen Heuchelei über die angebliche Sorge um die Flüchtlinge. Gab es nicht 1995 eine 400km lange Kolonne von serbischen Flüchtlingen aus der Krajina, die bei der kroatischen Offensive vertrieben wurden? Hat damals jemand Kroatien bombardiert?“20

Die Türkei bombt mit

Die Menschen- und Völkerrechtsverletzungen der Türkei sind seit Jahren bekannt: Der Krieg gegen die KurdInnen (mit rund 30.000 Toten), die Verfolgung der armenischen Minderheit, die Einschränkung der Religionsfreiheit, Inhaftierung und Folter von Oppositionellen, Todesstrafe, die Besetzung eines Teils Zyperns, die permanente Verletzung der Grenzen des Iraks durch türkisches Militär. Man kann Verbrechen nicht mit Verbrechen aufrechnen aber es muss die Frage erlaubt sein, warum sich das eine Land der freundlichen Zuwendung der NATO erfreut und für die Unterdrückung seiner Minderheiten Waffen und Know-how erhält, während das andere Land für vergleichbare Verbrechen (ohne Expansion gegen fremde Länder) bombardiert wird.

Der NATO-Partner Türkei hat nicht nur keine Repressalien zu befürchten ob seiner Menschenrechtspolitik. Mehr noch: Im Kosovo darf er jetzt mitbomben. Innerhalb der NATO-Luftflotte sind auch türkische Flugzeuge im Einsatz.

Die Liste der Glaubwürdigkeitslücken lässt sich fortsetzen.

  • Da geben die NATO-Länder vor, an einer demokratischen Entwicklung in Jugoslawien interessiert zu sein, aber – genau wie im Irak – die demokratische Opposition ist das erste Opfer der Bombenangriffe.
  • Es heißt, die nationalen Minderheiten in der BR Jugoslawien brauchten den besonderen Schutz vor der serbischen Übermacht, die Absatzbewegungen der montenegrinischen Regierung von Milosevic werden wohlwollend zur Kenntnis genommen. Und dann bombt die NATO Montenegro, den Sandzak und die von der ungarischen Minderheit bewohnte Vojvodina. Der NATO-Partner Ungarn darf zusehen (im wahrsten Sinne des Wortes) wie die ungarische Minderheit ins Elend gebombt und wie in der für die Bevölkerung ungarischen Ursprungs wichtigsten Stadt Jugoslawiens, in Novi Sad, die Infrastruktur systematisch zerstört wird.

Mit welchem Ziel bombt
die NATO?

Die Politik der NATO selbst, die Veränderung der Kriegsziele im Verlauf des Krieges wirft Fragen auf nach ungenannten Hintergründen dieses Krieges, nach politischen Zielen, die nicht benannt oder in schönen Formulierungen versteckt werden.

Die deutsche Beteiligung an einem Krieg dokumentiert das Ende der Nachkriegsordnung. Aus der Blockkonfrontation, die dem Machtdrang jeder der beiden Supermächte enge Grenzen setzte, ist die westliche Staatengemeinschaft als Siegerin hervorgegangen und jetzt geht es darum, dieses neue Kräfteverhältnis fest zu schreiben. Das ist auch der Kern der Aussage von Bundesaußenminister Fischer, wenn er in er Bundestagsdebatte vom 22.04.99 erklärt: „Im Kosovo geht es vor allem darum, in welchem Europa der Zukunft wollen wir leben.“ Im gleichen Atemzug heißt es, der Bundesregierung gehe es dabei nur um die Sicherung der Menschenrechte, um Freiheit und Demokratie. Ein Ziel, für das es sich ja gelohnt hätte und auch zukünftig lohnen wird alle politischen und ökonomischen Mittel zu mobilisieren. Nur denken die Regierenden der westlichen Welt bei der Verfolgung dieses Zieles leider zuerst einmal an den Einsatz von Macht statt an (politische und ökonomische) Hilfe. Der Logik dieses Denkens entsprach bereits die NATO-Osterweiterung (zumindest um Jahre einer EG-Erweiterung vorgezogen). Dieser Logik entspricht auch die Balkanpolitik.

Das ist kein Zufall, denn diese Politik ist nicht so uneigennützig wie sie erscheinen soll.

Noam Chomsky formuliert das folgendermaßen: „Die Militärische Allianz… hat sich selbst einen neuen Auftrag gegeben… nämlich die Gemeinschaft der demokratischen Nationen zu erweitern und zu stärken. Als Demokratie aber gelten nur jene Staaten, die die Marktwirtschaft übernehmen und sich der Globalisierung unterwerfen. Und last, but not least: dem Hegonomieanspruch der USA.“21

Letzteres bestätigt die US-Regierung ziemlich offen. Am 25. März 99 beschreibt die Frankfurter Rundschau wie Präsident Clinton seiner „Nation erklärte, warum US-Soldaten im Kosovo kämpfen sollen.“ und wie er sich bemühte den Konflikt „in ein größeres Konzept transnationaler Politk einzubetten.“ Dort heißt es u.a.: „Der zentralen Kritik, dass die USA auf dem Balken keine nationalen Interessen habe, setzte Clinton die Vision einer europäisch-amerikanischen Achse neuer Qualität entgegen… Clintons Botschaft: Wenn die USA ihre innenpolitischen und wirtschaftspolitischen Ziele erfolgreich verfolgen wollen, dann braucht es ein »vereintes, freies und demokratisches Europa«… Europa als einen Partner, mit dem die »Führerschaft« der Welt geteilt werden könne. Europa sei der »Schlüssel« zu einer langfristig starken US-Wirtschaft und für die Chancen des Landes, seine Waren weltweit ungehindert zu vertreiben.“22

Machtinstrument dieser »Achse neuer Qualität« soll die NATO sein, »entfesselt« vom Völkerrecht und anderen Behinderungen durch die zivilen internationalen Institutionen , wie UNO und OSZE.„Die NATO nach Ende des Kalten Krieges als Instrument für weltweite Kriegseinsätze ohne UN-Mandat? Im weißen Haus in Washington ist dies längst schon gültige US-Politik. In diesem geheimen US-Regierungsdokument mit dem bezeichnenden Titel »Mit den Vereinten Nationen wenn möglich, ohne sie wenn notwendig?« legte Bill Clinton bereits 1993 fest, wie die USA künftig mit den Vereinten Nationen umgehen werden: »Die NATO soll die Entscheidungskriterien für die UN festlegen und nicht umgekehrt«.“23

Die Menschenrechtsverletzungen des Milosevic-Regimes im Kosovo waren hierfür der gegebene Anlass. Die USA drängten auf einen schnellen Krieg weil Präsident Clinton entschlossen war, „den Kosovo-Krieg unter amerikanischer und unter NATO-Führung durchzuführen. Vor dem 50. Jahrestag der NATO wollte er Macht demonstrieren und einen militärischen Erfolg vorführen. Er wollte zeigen, dass die NATO nun in der internationalen Sicherheitspolitik die Führungsrolle hat – und nicht die Vereinten Nationen. Und so setzte er, an den Vereinten Nationen vorbei, die Entscheidung für den NATO-Einsatz durch.“24

Druck, den auch der deutsche Außenminister bestätigt: „15 Minuten“, erinnert sich Joschka Fischer, „blieben uns, um über eine Frage von Krieg und Frieden zu entscheiden.“25

Differenzen USA-Westeuropa?

Die USA wollen – im Gegensatz zu einigen westeuropäischen Regierungen – eine global d.h. über den europäischen Rahmen hinaus agierende NATO. So veröffentlichte die Monitor-Sendung vom 22.04.99 eine interne Karte des »United States European Command» (EUCOM)26 in Stuttgart. Auf dieser Karte ist der militärische Einflussbereich der USA mit grüner Farbe eingezeichnet und reicht vom südlichen Afrika bis weit nach Osteuropa.

Verlief die Grenze des Kalten Krieges früher mitten durch Deutschland, so zählen die USA jetzt ganz Europa bis einschließlich Weißrussland und der Ukraine zu ihrem Einflussbereich. Da macht es dann auch Sinn, wenn in Vorbereitung des aktuellen Krieges gegen Jugoslawien die ehemalige zweite Supermacht ins Abseits gedrängt wird. „Mit den Luftschlägen der NATO gegen Jugoslawien hat sich das mehr als einmal konstatierte Ende der Nachkriegsordnung in einer für Russland neuen Qualität gezeigt. Die Dominanz des Westens ist in schärferer Weise offenbar geworden als etwa bei der Erweiterung der NATO, wo man über die Einwände Moskaus nur zögerlich hinweggegangen war. Jetzt hat der Westen – was sich bereits bei den Luftschlägen gegen den Irak anbahnte – demonstriert, dass er Russland gegenwärtig in der Weltpolitik als eine Quantité négliable betrachtet. Die Position der einstigen Supermacht wurde einfach ignoriert.“27

Natürlich hätte die NATO die angestrebte neue Machtstruktur lieber ohne Bomben erreicht. Zum Verhältnis von Diplomatie und Waffeneinsatz heißt es bereits in der vier Jahre alten »Nationalen Sicherheitsstrategie der USA für das neue Jahrhundert«: Wie werden, „wie es Amerika immer getan hat, uns diplomatischer Mittel bedienen, wenn wir können, jedoch auf militärische Gewaltanwendung zurückgreifen, wenn wir müssen.“28

Hätte Milosevic in Rambouillet unterschrieben, wären keine Bomben gefallen, hätte das Milosevic-Regime nach drei Tagen Bombardierung kapituliert, dann wäre die Rechnung aufgegangen, wäre die Dominanz des Westens – mit der NATO als Weltpolizei – ein Stück mehr festgeschrieben worden.

Doch die Rechnung ist (noch) nicht aufgegangen. Sieben Wochen nach Beginn des Krieges steht die NATO vor der Entscheidung:

  • weitere Eskalation der Luftangriffe, einkalkulierend immer mehr zivile Opfer und damit auch eine wachsende Unglaubwürdigkeit der erklärten Politik,
  • Einsatz von Bodentruppen, einkalkulierend eigene Verluste und damit ein Anwachsen der Proteste in den eigenen Ländern
  • oder Orientierung auf eine Verhandlungslösung unter Einbeziehung Russlands und der UNO.

Der Bundesregierung darf man zu Gute halten, dass sie als erstes NATO-Land auf die Wiedereinbeziehung Russlands auf diplomatischer Ebene gedrängt hat. Entscheidend ist aber nicht nur ob die UNO, ob die OSZE, ob Russland einbezogen werden in eine Verhandlungslösung, entscheidend ist vor allem das Wie. Wird Russland von der NATO als Partner anerkannt oder dient es nur als Briefträger, werden UNO und OSZE wieder gestärkt oder erledigt die UNO zukünftig nur noch die ihr von der NATO zugewiesenen Aufgaben?

Eine zivile Welt, eine zivile Lösung der zahlreichen Konflikte verlangt nach einem Ausbau ziviler internationaler Strukturen, sie verlangt nach Wegen und Mechanismen, um die Lösung anstehender Probleme zukünftig im Konsens der überwiegenden Mehrheit der Staatengemeinschaft anzupacken und nicht als »Diktat des Westens«, notfalls gegen den Rest der Welt.

Jürgen Nieth ist verantwortlicher Redakteur von Wissenschaft & Frieden


Ein Besatzungsstatut für Gesamt-Jugoslawien

Auszüge aus dem Vertragsentwurf von Rambouillet

Appendix B: »Status einer multinationalen militärischen Implementierungstruppe«

Artikel 6

a) Die NATO genießt Immunität vor allen rechtlichen Verfahren – ob zivil, verwaltungs- oder strafrechtlich.

b) Die zur NATO gehörenden Personen genießen unter allen Umständen und zu jeder Zeit Immunität vor der Gerichtsbarkeit der Konfliktparteien hinsichtlich sämtlicher zivil-, verwaltungs-, straf- oder disziplinarrechtlicher Vergehen, die sie möglicherweise in der Bundesrepublik Jugoslawien begehen.
Die Konfliktparteien sollen die an der NATO-Operation beteiligten Staaten dabei unterstützen, ihre Jurisdiktion über ihre eigenen Staatsangehörigen auszuüben.

Artikel 8

Das NATO-Personal soll sich mitsamt seiner Fahrzeuge, Schiffe, Flugzeuge und Ausrüstung innerhalb der gesamten Bundesrepublik Jugoslawien inklusive ihres Luftraumes und ihrer Territorialgewässer frei und ungehindert sowie ohne Zugangsbeschränkungen bewegen können.

Das schließt ein – ist aber nicht begrenzt auf – das Recht zur Errichtung von Lagern, die Durchführung von Manövern und das Recht auf die Nutzung sämtlicher Regionen oder Einrichtungen, die benötigt werden für Nachschub, Training und Feldoperationen.

Artikel 10

Die Behörden der Bundesrepublik Jugoslawien sollen den Transport von Personal, Fahrzeugen, Schiffen, Flugzeugen, Ausrüstung oder Nachschub der NATO durch den Luftraum, Häfen, Straßen oder Flughäfen mit allen angemessenen Mitteln und mit Priorität ermöglichen.

Der NATO dürfen keine Kosten berechnet werden für die Starts, Landung oder Luftraum-Navigation von Flugzeugen.

Ebenso dürfen keine Zölle, Gebühren oder andere Kosten erhoben werden für die Nutzung von Häfen durch Schiffe der NATO.

Fahrzeuge, Schiffe oder Flugzeuge, die bei der NATO-Operation eingesetzt werden, unterliegen keiner Verpflichtung zur Genehmigung, Registrierung oder kommerziellen Versicherung.

Anmerkungen

1) taz, 15.04.99, S.3: Es ist eine rohe barbarische Form des Faschismus.

2) Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Jugoslawien (Stand November 1998) des Auswärtigen Amtes der BRD. Zitiert nach konkret 5/99: Zu Protokoll.

3) Bericht des Auswärtigen Amtes a.a.O.

4) Reinhard Mutz, stellvertretender Direktor des IFSH, in der taz am 23.04.99.

5) Fotos des Massakers wurden am 27.04.99 von Rudolf Scharping im Bundestag als neueste Dokumente für die Verbrechen der Serben der Öffentlichkeit präsentiert, sozusagen als »nachträgliche Kriegsbegründung«. Verschwiegen wurde, dass Der Spiegel die Fotos bereits in der Ausgabe 5/99, Anfang Februar, veröffentlicht hatte. Siehe auch Der Spiegel vom 03.05.99, S. 23.

6) Zitiert nach Der Spiegel, 08.03.99.

7) Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, Bulletin Nr. 13/1999, S. 140.

8) AZ: 514-516.80/3 Yug, zitiert nach IALANA, Presseerklärung vom 22.04.99.

9) AZ: 514-516.80/3 Yug, zitiert nach IALANA, Presseerklärung vom 22.04.99.

10) AZ: 514-516.80/33 841, zitiert nach IALANA, Presseerklärung vom 22.04.99.

11) Bundeswehr-Generalinspekteur Hans Peter von Kirchheim am 08.04.1999 auf einer Pressekonferenz des Verteidigungsministers. Zitiert in konkret 5/1999 nach einer Fernsehmitschrift.

12) Konkret 5/1999, S.39.

13) Der Spiegel, 26.04.99, S. 26.

14) Hans Leyendecker in Süddeutsche Zeitung, 14.04.99.

15) Der Spiegel, 08.03.1999.

16) Werner Link in Frankfurter Rundschau, 02.04.1999.

17) Manuskript Hermann Scheer.

18) Der OSZE-Parlamentarier Willy Wimmer (CDU) in einem Interview des Deutschlandfunks vom Januar 1999, zitiert nach Junge Welt, 19.01.99.

19) Vertraulicher Bericht des Auswärtigen Amts vom November 1998, zitiert nach konkret 5/99, S. 36.

20) Süddeutsche Zeitung, 31.03.99.

21) Noam Chomsky, Professor am Massachussets Institute of Technologie, Boston, in Le Monde diplomatique, 14.05.99, S. 15.

22) Martin Winter in Frankfurter Rundschau, 25.03.99, S. 7.

23) Monitor-Sendung vom 22.04.99. Der gesamte Text ist im Internet unter »www.monitor.de« nachzulesen.

24) Michael Klare, Professor am international renommierten Hampshire College in Massachusettes, einer der führenden Kenner der US-Militärpolitik in der Monitor-Sendung vom 22.04.99.

25) DIE ZEIT, Dossier vom 12.05.99, S. 20.

26) Nach der in Monitor veröffentlichten Karte scheint übrigens auch die weitere Aufteilung Jugoslawiens für die USA bereits beschlossene Sache zu sein: Die jugoslawische Teilrepublik Montenegro ist auf der US-Militärkarte bereits als eigenständiger Staat eingezeichnet.

27) Christiane Hoffmann in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 08.04.99, S. 1.

28) Clinton, William J.: A National Security Strategy of Engagement and Enlargement, Washington, D. C., February 1995, p. ii. (zitiert nach W&F Dossier Nr.32: Amerika – Das Rom der Moderne?).

Das »Interim Agreement for Peace and Self-Goverment in Kosovo (February 23, 1999)« ist vollständig dokumentiert unter: http://www.balkanaction.org/pubs/kia299.htm.

Zur aktuellen Diskussion um die neue Nuklear-Strategie der NATO

Zur aktuellen Diskussion um die neue Nuklear-Strategie der NATO

Memorandum der IALANA vom 26. November 1998

von IALANA

In ihrer Koalitionsvereinbarung vom 20. Oktober 1998 haben sich SPD und Bündnis 90/Die Grünen im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik u.a. auf zwei Ziele festgelegt:

Vollständige Abschaffung aller Massenvernichtungswaffen: „Die neue Bundesregierung hält an dem Ziel der vollständigen Abschaffung aller Massenvernichtungswaffen fest und wird sich in Zusammenarbeit mit den Partnern und Verbündeten Deutschlands an Initiativen zur Umsetzung dieses Ziels beteiligen.“ (Kapitel XI, Ziff. 6, Absatz 2)

Verzicht auf den Ersteinsatz von Atomwaffen: „Zur Umsetzung der Verpflichtungen zur atomaren Abrüstung aus dem Atomwaffensperrvertrag wird sich die neue Bundesregierung für die Absenkung des Alarmstatus der Atomwaffen sowie für den Verzicht auf den Ersteinsatz von Atomwaffen einsetzen.“ (Kapitel XI, Ziff. 6, Absatz 2)

Erste »Mutprobe«: Die Abstimmung im Ersten Ausschuss der UN-Generalversammlung

Bereits bei der ersten Bewährungsprobe, nämlich bei der Abstimmung am 13. November 1998 im Ersten Ausschuss der UN-Generalversammlung über die u.a. von Brasilien, Irland, Ägypten, Schweden und Mexiko eingebrachten Resolution L.48 (Towards a Nuclear Weapon Free World: The Need For A New Agenda), konnte sich die neue Bundesregierung erst in letzter Minute zu einer Stimmenthaltung entschließen. Andere NATO-Staaten wie Kanada waren da mutiger und wären zu einem »Ja« bereit gewesen, wenn die deutsche Bundesregierung mitgezogen hätte.

Immerhin: Die UN-Resolution, über die dann im Dezember im Plenum der UN-Generalversammlung abgestimmt werden wird, fand – gegen die 19 Nein-Stimmen der Atomwaffenmächte Großbritannien, Frankreich, USA, Russland sowie anderer Staaten – mit 97 Ja-Stimmen eine große Zustimmung. Die 12 NATO-Staaten Belgien, Dänemark, Deutschland, Griechenland, Italien, Island, Luxemburg, Kanada, Niederlande, Norwegen, Portugal und Spanien enthielten sich der Stimme.

Dieses Abstimmungsverhalten – von den deutschen Massenmedien ganz überwiegend nicht einmal für berichtenswert gehalten – und ein SPIEGEL-Interview von Außenminister Fischer vom 23. November 1998 führten zwischenzeitlich dennoch zu erstem besorgten »Stirnrunzeln« der US-Regierung. Verteidigungsminister Rudolf Scharping sah sich daraufhin sofort zu Dementis und ersten Distanzierungsversuchen in Washington genötigt (vgl. u.a. FAZ vom 25.11.1998, S. 1).

Die erste Bewährungsprobe: NATO-Rats-Tagung im Dezember 1998

Bei der nächsten NATO-Rats-Tagung am 6./7. Dezember 1998 werden die Weichen für die neue NATO-Strategie gestellt, die dann auf der Frühjahrs-Tagung Anfang April 1999 in Washington zum 50. Jahrestag der NATO-Gründung beschlossen werden soll.

Hier wird die neue Bundesregierung »Farbe bekennen« müssen, wie ernst sie es mit dem meint, was beide Koalitionsfraktionen in der Koalitionsvereinbarung vom 20. Oktober 1998 niedergelegt haben.

Es geht dabei vor allem um folgende Punkte:

  • Soll die NATO, die nach dem geltenden NATO-Vertrag ein kollektives Verteidigungsbündnis im Sinne von Art. 51 UN-Charta ist, die Befugnis zu weltweiten militärischen Einsätzen auch ohne UN-Mandat erhalten?
  • Soll die NATO an ihrer erklärten Bereitschaft zum nuklearen Ersteinsatz (First Use) festhalten?
  • Soll die NATO (bzw. ihre drei Atomwaffenmächte) den Einsatz von Atomwaffen künftig nicht nur für den Fall eines militärischen Angriffs auf einen NATO-Verbündeten, sondern auch gegen sogenannte Schurkenstaaten androhen (»Terrorismusabwehr«, »Counter-Proliferation«, »Verhinderung der Produktion von Massenvernichtungswaffen«)?
  • Wird die NATO künftig weiterhin alle Verhandlungen über eine Nuklearwaffen-Konvention, durch die – nach den B- und C-Waffen – auch alle A-Waffen geächtet und vernichtet werden sollen, ablehnen?

Es geht nicht nur um die Glaubwürdigkeit der neuen Bundesregierung; es geht auch um Recht.

These 1: Die geltende NATO-Nuklearstrategie ist mit dem geltenden Völkerrecht nicht vereinbar.

  • Der Richterspruch des Internationalen Gerichtshofs (IGH):
    Am 8.7.1996 hat der Internationale Gerichtshof (IGH) in Den Haag auf der Grundlage von Art. 96 der UN-Charta der UN-Generalversammlung ein Rechtsgutachten erstattet, das die ihm vorgelegte Rechtsfrage nach der Völkerrechtsmäßigkeit der Androhung oder des Einsatzes von Atomwaffen dahin beantwortet, „dass die Androhung und der Einsatz von Atomwaffen grundsätzlich (“generally“) gegen diejenigen Regeln des Völkerrechts verstoßen würden, die für bewaffnete Konflikte gelten, insbesondere gegen die Prinzipien und Regeln des humanitären Völkerrechts.“
    Der Gerichtshof sah sich (in seiner »Präsidentenmehrheit«) allerdings nicht in der Lage, positiv oder negativ definitiv festzustellen, ob der Einsatz oder die Androhung des Einsatzes von Atomwaffen in einer für einen Staat existenzgefährdenden extremen Notwehrsituation – ausnahmsweise – rechtmäßig oder rechtswidrig wäre. Im Wortlaut: „Allerdings kann der Gerichtshof angesichts der gegenwärtigen Lage des Völkerrechts und angesichts des ihm zur Verfügung stehenden Faktenmaterials nicht definitiv die Frage entscheiden, ob die Androhung oder der Einsatz von Atomwaffen in einer extremen Selbstverteidigungssitutation, in der die Existenz eines Staates auf dem Spiele stünde, rechtmäßig oder rechtswidrig wäre.“
  • Ist die geltende NATO-Nukleardoktrin mit der IGH-Entscheidung vereinbar?
    Die alte Bundesregierung hat in einer 1996 veröffentlichten Antwort auf eine parlamentarische Anfrage im Deutschen Bundestag erklärt: „Die Bundesregierung sieht sich durch das Gutachten in ihrer Auffassung bestärkt, dass bei Androhung des Einsatzes oder Einsatz von Nuklearwaffen Art. 2 Abs.4 und Art. 51 der UN-Charta – die Regeln der Verhältnismäßigkeit sowie die auf alle Waffen anwendbaren Regeln des Humanitären Völkerrechts – zu beachten sind. Das Gutachten zeigt auch, dass der Gerichtshof zur Kenntnis nimmt, dass die Staatenpraxis noch nicht zu einem generellen Verbot von Nuklearwaffen gelangt ist. Es bezeichnet folgerichtig den Besitz von Nuklearwaffen durch die Kernwaffenstaaten und die zugrundeliegende Abschreckungstrategie nicht als völkerrechtswidrig.
    Die geltende Verteidigungsstrategie des Nordatlantischen Bündnisses bleibt daher – auch im Lichte des IGH-Gutachtens – mit dem Völkerrecht vereinbar“
    (Bundestags-Drucksache 13/5906).

Ergänzend hatte die alte Bundesregierung gesagt, sie teile „die Auffassung des IGH, das gegenwärtige Völkerrecht kenne kein Verbot der Androhung oder des Einsatzes von Nuklearwaffen in einem extremen Fall der Selbstverteidigung, in dem die Existenz des Staates auf dem Spiel steht.“ (ebd.).

Auf der Tagung des NATO-Rates 1996 in Brüssel ist mit Zustimmung des deutschen Verteidigungsministers beschlossen worden: „Wir bekräftigen, dass die nuklearen Kräfte der Bündnispartner weiterhin eine einzigartige und essentielle Rolle in der Allianzstrategie der Kriegsverhinderung spielen. Von neuen Mitgliedern, die in jeder Beziehung Vollmitglieder der Allianz sein werden, wird erwartet, dass sie das Konzept der Abschreckung sowie die essentielle Rolle unterstützen, die die Nuklearwaffen in der Allianzstrategie spielen. Die Erweiterung der Allianz wird keine Änderung im gegenwärtigen Nukleardispositiv der NATO erforderlich machen, und daher haben die NATO-Länder nicht die Absicht, keine Pläne und auch keinen Anlass, nukleare Waffen auf dem Hoheitsgebiet neuer Mitglieder zu stationieren, noch sehen sie die Notwendigkeit, das NATO-Nukleardispositiv oder die Nuklearpolitik in irgendeinem Punkt zu verändern – und sehen wir dazu auch in Zukunft keine Notwendigkeit“ (abgedruckt in: Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung Nr. 105 vom 20.12.1996, S. 1136).

Die geltende NATO-Nukleardoktrin hat die alte deutsche Bundesregierung wie folgt beschrieben: Die „eurogestützten Nuklearwaffen haben weiterhin eine wesentliche Rolle in der friedenssichernden Gesamtstrategie des Bündnisses… Deshalb wird die Bundesregierung … nicht für einen Verzicht auf die Option der Allianz eintreten, ggf. Nuklearwaffen als erste einzusetzen. … Die Erklärung des Verzichts auf die Möglichkeit eines Ersteinsatzes von Nuklearwaffen durch das (NATO-)Bündnis würde die Kriegsverhütungsstrategie aushöhlen“ (vgl. BT-Drucksache 12/4766).

Die NATO

  • beharrt somit bisher in ihrer Nukleardoktrin auch für die Zukunft auf der Notwendigkeit von Atomwaffen und weist diesen auf unabsehbare Zeit eine »wesentliche Rolle« in der Gesamtstrategie des Bündnisses zu,
  • lehnt jeden Verzicht auf einen möglichen Einsatz von Atomwaffen in einem militärischen Konflikt strikt ab und
  • behält sich sogar den möglichen atomaren Ersteinsatz von Atomwaffen vor.

NATO und Bundesregierung können sich nicht auf die zitierte sogenannte »Notwehr-Klausel« im IGH-Rechtsgutachten berufen.

Völkerrechtlich »sicher« und »geklärt« ist die grundsätzliche (generally) Völkerrechtswidrigkeit eines Einsatzes und die Androhung eines Einsatzes von Atomwaffen. Ein »generally no« ist eben ein »grundsätzliches Nein«, nicht aber ein »grundsätzliches Ja«.

Nuklearwaffeneinsätze sind, wie der IGH festgestellt hat, nach dem geltenden Völkerrecht allenfalls insoweit noch nicht verboten, als es um eine „extreme Selbstverteidigungssitutation (geht), in der die Existenz eines Staates auf dem Spiele stünde.“ In der geltenden und von der Bundesregierung mitgetragenen NATO-Nukleardoktrin ist von einer solchen Beschränkung auf den Fall „einer extremen Selbstverteidigungssituation, in der die Existenz eines Staates auf dem Spiele stünde“, nirgendwo die Rede. Die NATO droht den Einsatz von Atomwaffen nach wie vor nicht »nur« für den Fall an, dass das Überleben eines ihrer Atomwaffenstaaten (oder Mitgliedstaaten) »auf dem Spiele« steht. Vielmehr sieht die NATO-Nukleardoktrin (wie oben zitiert) weiterhin sogar die „Möglichkeit eines Ersteinsatzes von Nuklearwaffen durch das (NATO-)Bündnis“ vor.

Jedenfalls soweit die NATO-Nukleardoktrin die Androhung und den Einsatz von Nuklearwaffen nicht auf den Fall der „extremen Selbstverteidigungssituation, in der die Existenz eines Staates auf dem Spiele stünde“, beschränkt, verstößt sie gegen den Richterspruch des IGH.

Rechtliche Verbindlichkeit des IGH-Richterspruchs

Die frühere Bundesregierung hat in ihrer bereits zitierten Stellungnahme gegenüber dem Deutschen Bundestag die Auffassung vertreten:

Rechtsgutachten des Internationalen Gerichtshofs sind weder nach der UN-Charta und dem IGH-Statut noch nach allgemeinem Völkerrecht rechtlich verbindlich“ (Bundestags-Drucksache 13/5906).

Der vom Internationalen Gerichtshof 1996 verkündete Richterspruch ist zwar nicht in der Form eines Beschlusses oder eines Urteils ergangen. Es handelt sich jedoch um ein nach Art. 96 UN-Charta erstattetes Rechtsgutachten (»advisory opinion«).

Das Bundesverfassungsgericht hat durch sein aus seinen beiden Senaten bestehendes »Plenum« bereits in seinem Beschluss vom 8. November 1952 mit 20 zu 2 Stimmen zur Bindungswirkung von ihm (auf der Grundlage des damaligen 97 BVerfGG) erstatteter Rechtsgutachten entschieden: „Wenn ein Gericht durch Gesetz zur Erstattung von Rechtsgutachten berufen wird, so handelt es auch bei dieser Tätigkeit als Gericht. Das Gutachten beruht dann ebenso wie ein Urteil des Gerichts auf Gesetz und Recht; es ist nicht eine bloße Zusammenfassung der Meinungen einzelner Richter, sondern es geht vom Gericht als solchem aus und hat dessen Autorität. … Obwohl also das Gutachten nicht die rechtliche Wirkung eines Urteils hat, ist es doch seinem materiellen Gehalt nach einem Urteil gleichzustellen“ (vgl. BVerfGE 2, S. 79ff, S. 87, S. 89).

Nichts anderes kann für die vom IGH auf der Grundlage von Art. 96 der UN-Charta erstatteten Rechtsgutachten gelten. Mit seinen nach Maßgabe der Verfahrensvorschriften des IGH-Statuts erstatteten Rechtsgutachten beantwortet der IGH als das dafür nach der UN-Charta zuständige Gericht die ihm gestellten Fragen nach dem geltenden Völkerrecht.

Das IGH-Rechtsgutachten und Art. 25 GG

Auf die ihr im Deutschen Bundestag gestellte Frage, ob das Rechtsgutachten des IGH über Art. 25 GG nach ihrer Auffassung innerstaatliche Rechtswirkungen z.B. für die Gestaltung der Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik entfalte, hat die frühere Bundesregierung in der bereits zitierten Bundestags-Drucksache knapp und eindeutig geantwortet: „Nein“ (BT-Drucksache 13/5906).

In der Bundesrepublik Deutschland sind nach Art. 25 GG die allgemeinen Regeln des Völkerrechts Bestandteil des Bundesrechtes, das vom Gesetzgeber, von der Regierung, der Verwaltung und den Gerichten strikt zu beachten ist (Art. 20 Abs. 3 GG); sie „gehen den Gesetzen vor und erzeugen Rechte und Pflichten unmittelbar für die Bewohner des Bundesgebietes.“

Zu den allgemeinen Regeln des Völkerrechts im Sinne des Art. 25 GG gehört nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts mit Ausnahme des Völkervertragsrechts, soweit in ihm nicht völkergewohnheitsrechtliche Regeln kodifiziert sind, das gesamte geltende Völkerrecht, insbesondere das Völkergewohnheitsrecht sowie die von den Kulturnationen (»civilized nations«) anerkannten allgemeinen Grundsätze des Rechts (so auch die ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, vgl. u.a. BVerfGE 15, S.34f; E 46, S. 342 ff).

Der IGH hat in seinem Rechtsgutachten darauf hingewiesen, dass jedenfalls die folgenden Regeln des sog. humanitären (Kriegs)-Völkerrechts als geltendes Völkergewohnheitsrecht anzusehen und zu beachten sind, die aber aufgrund der spezifischen Eigenschaften von Nuklearwaffen nicht eingehalten werden könnten:

  • Jeder Einsatz von Waffen muss zwischen kämpfender Truppe (Kombattanten) und der Zivilbevölkerung unterscheiden.
  • Bei jedem Waffeneinsatz müssen unnötige Grausamkeiten und Leiden vermieden werden.
  • Unbeteiligte und neutrale Staaten dürfen bei einem Waffeneinsatz nicht in Mitleidenschaft gezogen werden.

Der IGH hat daraus den Schluss gezogen: „Aus den oben … erwähnten Anforderungen ergibt sich, dass die Androhung und der Einsatz von Atomwaffen generell gegen diejenigen Regeln des Völkerrechts verstoßen würden, die für bewaffnete Konflikte gelten, insbesondere gegen die Prinzipien und Regeln des humanitären Kriegsvölkerrechts.“

Damit stellen jedenfalls diese Regeln allgemeine Regeln des Völkerrechts im Sinne des Art. 25 GG dar.

Angesichts dessen lässt sich kaum daran zweifeln, dass auch diese Feststellung des IGH zu den allgemeinen Regeln des Völkerrechts im Sinne des Art. 25 GG zu zählen ist. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind eben die Regeln des Völkergewohnheitsrechts „kraft Art. 25 Satz 1 GG als solche mit ihrer jeweiligen völkerrechtlichen Tragweite Bestandteil des objektiven, im Hoheitsbereich der Bundesrepublik Deutschland geltenden Rechts“ (vgl. BVerfGE 46, 403f).

Nach der Rechtsprechung des BVerfG sind die Träger der deutschen öffentlichen Gewalt gem. Art. 25 GG gehalten, alles zu unterlassen, was einer unter Verstoß gegen allgemeine Regeln des Völkerrechts vorgenommenen Handlung nichtdeutscher Hoheitsträger im Geltungsbereich des GG Wirksamkeit verschafft (vgl. BVerfGE 75, 19). Ferner sind sie gehindert, an einer gegen die allgemeinen Regeln des Völkerrechts verstoßenden Handlung nichtdeutscher Hoheitsträger bestimmend mitzuwirken (vgl. dazu BVerfG, ebd.). Dies gilt auch für das Verhalten der deutschen Bundesregierung in den Gremien der NATO. Denn die Mitwirkung deutscher Stellen innerhalb der NATO ist nicht von den Bindungen des Grundgesetzes freigestellt (vgl. Art. 20 Abs.3 GG). Mithin ist jede deutsche Bundesregierung innerhalb der NATO-Gremien durch Art. 25 GG gehindert, an einer gegen die allgemeinen Regeln des Völkerrechts verstoßenden „Nuklearpolitik“ mitzuwirken und alles zu unterlassen, was hinsichtlich der NATO-Nuklearpolitik mit den vom IGH herausgearbeiteten allgemeinen Regeln des Völkerrechts unvereinbar ist.

Für ein verfassungskonformes Verhalten der zuständigen deutschen Organe ergibt sich daraus ein großer aktueller Handlungsbedarf.

These 2: Die Bundesregierung darf sich nicht länger der bindenden völkerrechtlichen Verpflichtung aus Art. VI des NV-Vertrages zum effektiven Eintreten für eine baldmöglichste vollständige nukleare Abrüstung (»atomare Nullösung«) entziehen.

Dies gilt sowohl für ihr Verhalten im nationalen Bereich als auch in den Gremien der NATO (NATO-Rat) und in anderen internationalen Organisationen, namentlich auch für ihr Abstimmungsverhalten in den Vereinten Nationen.

Sie ist verpflichtet, sich aktiv für das baldmöglichste Zustandekommen von Verhandlungen über eine vollständige nukleare Abrüstung, also eine vollständige atomare Nullösung, sowie für einen erfolgreichen Abschluss dieser Verhandlungen einzusetzen.

Der Internationale Gerichtshof hat in seinem Richterspruch vom 8. Juli 1996 einstimmig festgestellt: „Es besteht eine völkerrechtliche Verpflichtung, in redlicher Absicht Verhandlungen zu führen und zum Abschluss zu bringen, die zu nuklearer Abrüstung (Entwaffnung) in allen ihren Aspekten unter strikter und wirksamer internationaler Kontrolle führen.“

Dies ergibt sich vornehmlich aus Art. VI des NV-Vertrages und den völkerrechtlichen Vereinbarungen vom Mai 1995 im Zusammenhang mit der unbegrenzten Verlängerung des NV-Vertrages, der in der Bundesrepublik Deutschland als zwingendes innerstaatliches Recht gilt und gemäß Art. 20 Abs. 3 GG alle staatlichen Organe bindet; denn nach Art. 20 Abs. 3 GG ist gerade auch die »vollziehende Gewalt« (also Regierung und Verwaltung einschließlich der Streitkräfte) an Gesetz und Recht gebunden. Diese Bindung der Exekutive an das geltende Gesetz und Recht ist ein Kernelement unseres Rechtsstaates. Wer dies missachtet, stellt die Fundamente des Rechtsstaates in Frage. Diese Verpflichtung trifft, wie der Wortlaut des Art. VI des NV-Vertrages ausweist, nicht nur die Atomwaffenstaaten, sondern alle Parteien des NV-Vertrages. Wer keine Atomwaffen besitzt, muss sich dennoch für das vorgegebene Ziel einsetzen, insbesondere wenn er zu den Verbündeten von Atomwaffenstaaten zählt und wenn im Rahmen des Bündnisses, dem er angehört, nukleare Einsatzkonzepte diskutiert und beschlossen werden.

Dem darf sich eine neue Regierungskoalition nicht entziehen.

Die neue Regierungskoalition und die von ihr gebildete Bundesregierung sollte sich deshalb mit aller Kraft entsprechend dem vom Europäischen Parlament am 13. März 1997 gefassten und an alle EU-Mitgliedsstaaten gerichteten Beschluss dafür einsetzen, „dass … Verhandlungen im Hinblick auf den Abschluss einer Atomwaffenkonvention zur Abschaffung nuklearer Waffen aufgenommen werden.“

Eine solche Atomwaffenkonvention muss insbesondere umfassen:

  • das absolute Verbot, Atomwaffen oder nukleare Waffensysteme zu entwickeln, herzustellen, zu besitzen, zu lagern, einzusetzen oder mit ihrem Einsatz zu drohen,
  • wirksame internationale Kontrollsysteme (einschließlich »Societal Verification«, d.h. hinreichende Schutzgarantien für alle diejenigen, die Verstöße gegen die Konvention den zuständigen nationalen oder internationalen Kontrollinstanzen melden).

These 3: Die sog. nukleare Teilhabe der Bundeswehr muss aufgegeben werden.

Wie sich aus der vom seinerzeitigen Bundesverteidigungsminister Rühe vorgelegten »Konzeptionellen Leitlinie zur Weiterentwicklung der Bundeswehr« vom 12.Juli 19941 ergibt, werden im Rahmen der »Krisenreaktionskräfte« der Bundeswehr u.a. „in der Luftwaffe sechs fliegende Staffeln (mit Tornado-Flugzeugen) für … nukleare Teilhabe“ bereitgehalten. Diese Tornado-Flugzeuge sollen im Krisenfalle „als Trägersysteme dem Bündnis zur Verfügung“ gestellt werden. Mit anderen Worten: Die Einsatzplanung sieht vor, dass im Rahmen der „nuklearen Teilhabe“ ggf. deutsche Tornado-Flugzeuge mit (amerikanischen, britischen oder französischen) Atomwaffen beladen und von deutschen Piloten und Besatzungen zu Einsatzorten geflogen werden.

Der neue Bundesverteidigungsminister hat dieser Tage von Washington aus verkündet, er werde „die Geschwader der Luftwaffe, die die Teilhabe Deutschlands an der nuklearen Komponente des Bündnisses gewährleisten, nicht auflösen“ (vgl. FAZ vom 25.11.1998, S. 1).

Damit stellt sich nicht nur die Frage, wie diese »nukleare Teilhabe« mit dem völkerrechtlich wirksamen Verzicht Deutschlands2 auf jede unmittelbare oder mittelbare Verfügungsgewalt über Atomwaffen vereinbar sein kann,3 der sich aus dem Nichtweiterverbreitungsvertrag (Atomwaffensperrvertrag) und dem Zwei-Plus-Vier-Vertrag ergibt. Nach der IGH-Entscheidung vom 8. Juli 1996 ist darüber hinaus zu fragen, wie eine solche »nukleare Teilhabe« und darauf gerichtete Planungen und Übungen weiter aufrechterhalten werden können, wenn der Einsatz von Nuklearwaffen – wie nun festgestellt – „generell“/ „grundsätzlich“ völkerrechtswidrig ist.

Die neue Bundesregierung sollte deshalb unverzüglich die erforderlichen Schritte dafür einleiten, dass jegliche Form der »nuklearen Teilhabe« von Nicht-Atomwaffenstaaten (darunter u.a. Deutschland, Italien, Niederlande) innerhalb der NATO beendet wird. Dies betrifft insbesondere das Bereithalten von Trägersystemen (Tornado-Flugzeuge) „für … nukleare Teilhabe“, die dem Bündnis für einen A-Waffen-Einsatzfall zur Verfügung gestellt werden sollen.

These 4: Die Entscheidung des IGH muss auch Konsequenzen für die Stationierung und Lagerung von Atomwaffen haben.

Nach der Greenpeace-Studie »The 520 Forgotten Bombs«4 sind in Europa nach wie vor mehrere Hundert atomare Sprengköpfe gelagert, davon ein Großteil in Deutschland an den Standorten Büchel, Spangdahlem, Ramstein, Memmingen und Brüggen. Wenn nach der IGH-Entscheidung die Androhung und der Einsatz von Atomwaffen „generell“ / „grundsätzlich“ völkerrechtswidrig sind, dürfen dann weiterhin Atomwaffen an den Stationierungsorten für einen Einsatz bereitgehalten werden? Wird dadurch nicht einem Völkerrechtsbruch Vorschub geleistet?

Das IGH-Rechtsgutachtens vom 8. Juli 1996 erklärt den Besitz, das Lagern und das Bereithalten von Atomwaffen zwar nicht ausdrücklich für völkerrechtswidrig. Allerdings müssen sowohl die Nuklearstaaten als auch die Stationierungsländer alles tun, um ihre mit Nuklearwaffen im Zusammenhang stehenden völkerrechtlichen Verpflichtungen zu erfüllen: Neben der Pflicht zur baldmöglichsten Aufnahme von Verhandlungen über eine vollständige nukleare Abrüstung umfassen diese insbesondere gerade auch den Verzicht auf jede Maßnahme oder Planung, die – bis zu einer vollständigen Abschaffung aller Nuklearwaffen – die Androhung und den Einsatz von Atomwaffen außerhalb der vom IGH gezogenen Grenzen vorsehen und beinhalten. Die Bundesregierung ist gehalten, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um die Einhaltung dieser Grenzen zu gewährleisten. Die beste Gewährleistung besteht darin, auf einen schnellstmöglichen Abzug der in Deutschland verbliebenen Atomwaffen zu dringen.

These 5: Die Ausbildung der Offiziere und Soldaten der Bundeswehr im »humanitären Völkerrecht« (sog. Kriegsvölkerrecht) muss hinsichtlich des A-Waffeneinsatzes auf eine völlig neue Grundlage gestellt werden; die einschlägigen Dienstvorschriften der Bundeswehr (und der NATO) müssen revidiert werden. Auch die Ausbildung an den Universitäten muss dies zu ihrem Gegenstand machen.

Für den Bereich der Bundeswehr ist spezialgesetzlich in §10 Abs. 4 des deutschen Soldatengesetzes (SG) bestimmt, dass Vorgesetzte „Befehle nur … unter Beachtung der Regeln des Völkerrechts, der Gesetze und der Dienstvorschriften erteilen“ dürfen. Mit anderen Worten: In der Bundeswehr dürfen keine Befehle erteilt werden, die gegen geltendes Völkerrecht verstoßen.

Soldaten der Bundeswehr dürfen nach §11 Abs. 2 SG keinen Befehl befolgen, „wenn dadurch eine Straftat begangen würde.“ Die Tötung oder Verletzung von Menschen, die unter Verstoß gegen geltendes Kriegsvölkerrecht erfolgt, ist strafbar. Erfolgt die Tötung – wie beim Einsatz von Atomwaffen – „grausam“ oder „mit gemeingefährlichen Mitteln“, handelt es sich gar um Mord ( §211 StGB). Auch die Mittäterschaft und die Beihilfe sind strafbar.

Diese rechtliche Situation erfordert: Um die Soldaten und Offizieren der Bundeswehr in die Lage zu versetzen, ihre dargelegten Pflichten sicher erkennen und wahrnehmen zu könnten, müssen die Offiziere und Soldaten der Bundeswehr mit den Regeln des geltenden Völkerrechts in einer Weise vertraut gemacht werden, dass sie diese im Dienst beachten und einhalten können.

Dies muss Konsequenzen haben für die Ausbildung in den Ausbildungsstätten der Bundeswehr und im Bundeswehralltag, aber auch für die Bundeswehrdienstvorschriften.

Auch die Gesellschaft insgesamt, namentlich die Universitäten, müssen sich dieser veränderten Situation stellen. Dies ist nicht nur eine Aufgabe, die der Bundeswehr überlassen bleiben darf.

Literaturhinweise:

Die Friedenswarte (Hrsg. von Knut Ipsen/Volker Rittberger und Christian Tomuschat) (1996): Engl.Text des IGH-Gutachtens und Beiträge von Richard Falk, Michael Bothe, Harald Müller, Camille Grand, Heft 3/1996.

Hilgenberg, Hartmut (1996): Das Gutachten-Verfahren vor dem IGH zur völkerrechtlichen Zulässigkeit von A-Waffen, Saarbrücken.

IALANA (Hrsg.) (1997): Atomwaffen vor dem Internationalen Gerichtshof. Dokumentation – Analysen – Hintergründe. Mit einem Geleitwort von Bundesverfassungsrichter a.D. Helmut Simon, Münster.

International Review of the Red Cross (Hrsg. vom Internationalen Komitee des Roten Kreuzes) (1997): Engl. Text des IGH-Gutachtens und zahlreiche Einzelbeiträge, Heft 316 Jan./Febr.1997.

Anmerkungen

1) Hrsg. vom Bundesministerium der Verteidigung, Bonn 1994, S. 7 f.

2) vgl. dazu u.a. Knut Ipsen, Europaarchiv (EA) 1972, S. 589 ff; Deiseroth, Atomwaffenverzicht der Bundesrepublik – Reichweite und Grenzen der Kontrollsysteme, in: Archiv des Völkerrechts (AVR) 1990, S. 113 ff; Matthias Küntzel, Bonn und die Bombe. Deutsche Atomwaffenpolitik von Adenauer bis Brandt, 1992, S. 243 ff.

3) vgl. dazu u.a. Dieter Mahnke, Nukleare Mitwirkung, 1972, S. 239 ff; Deiseroth, Nukleare Teilhabe Deutschlands?, auszugsweise in: Frankf. Rundschau vom 29.1.1996, S. 1

4) vgl. Greenpeace, The 520 Forgotten Bombs. 18. April 1995, S. 5.

Das böse Erwachen kommt noch

Das böse Erwachen kommt noch

Zum 50. Geburtstag der NATO

von Andreas Zumach

Strategiedebatten der NATO sowie tatsächliche Korrekturen ihrer Doktrin wurden in den ersten 40 Jahren ihres Bestehens bis zum Fall der Berliner Mauer immer von den USA ausgelöst. Anlass war jeweils eine oft durch neue waffentechnologische Möglichkeiten bestimmte Veränderung der nationalen Atomwaffendoktrin der Bündnisvormacht. Sie wurde dann immer sehr bald zur gemeinsamen Doktrin der Allianz. Wobei den Bündnispartnern – mit Frankreichs Ausnahme – jeweils die Illusion gelassen wurde, sie hätten tatsächlich mitentschieden. Bekanntestes Beispiel ist der Wechsel von der »massiven Vergeltung« hin zur »flexiblen Antwort« Ende der 60er Jahre. In der Regel fanden die Diskussionen hinter verschlossenen Türen der NATO-Militärs statt; manchmal wurden elitäre Zirkel »sicherheitspolitischer Experten« aus Politik, Wissenschaft und Medien beteiligt. Die Debatte um die Atombewaffnung der Bundeswehr Ende der 50er Jahre und die dem NATO-Doppelbeschluss vom Dezember 1979 folgende scharfe und lang anhaltende öffentliche Kontroverse um die Stationierung neuer Atomraketen sind die einzigen Fälle, in denen relevante, (über)lebenswichtige Fragen der Sicherheitspolitik in der partizipatorischen Breite und Intensität diskutiert wurden, wie sie für parlamentarische Demokratien eigentlich selbstverständlich sein sollten. Dass die öffentliche Kontroverse der 80er Jahre nicht nur von Ex-Bundeskanzler Helmut Kohl, sondern von weiten Teilen der damaligen politischen Eliten in den NATO-Staaten als ärgerlicher Betriebsunfall verarbeitet wurde und die schließliche Durchsetzung der Stationierung von Pershing 2 und Cruise Missiles als »Sieg der Politik über die Straße«, zeugt von einem gefährlichen Demokratiedefizit.

Zehn Jahre später ist die Lage im Grunde wenig verändert. Entgegen allen Voraussagen hat die westliche Militärallianz den Wegfall ihres östlichen Gegenübers und »raison d`etre« bislang prächtig überstanden. In den ersten Jahren nach 89 mit wiederholter Verkündung der »politischen Rolle«, die sie fortan zu spielen gedenke – eine hohle Phrase, die nie mit konkreten Inhalten gefüllt, aber auch in keinem der 16 Mitgliedsstaaten ernsthaft hinterfragt wurde. Es folgte die Diskussion um die Ausdehnung nach Osten – mit all ihren Vorspielformen wie der »Partnerschaft für den Frieden« oder dem NATO-»Kooperationsrat«.

Nachdem sich der Beschluss des Pariser KSZE-Gipfels vom November 1990, die KSZE , das „Herzstück der europäischen Architektur“ (Kohl in seinen Thesen zur deutschen Vereinigung vom Herbst 89) nun zur gemeinsamen, kollektiven Sicherheitsinstitution für das Gebiet vom Atlantik bis zum Ural auszubauen, als leeres Versprechen der NATO-Staaten erwiesen hatte, gab es für die Ostausdehnung auch die »Partner«, auf deren »legitime Sicherheitsbedürfnisse« und Beitrittswünsche sich die NATO berufen konnte.

Schließlich der Krieg in Bosnien: geradezu ein Glücksfall für die Neulegitimierung der NATO, nachdem sich zuvor die EU mit ihrem Anspruch auf eine eigenständige Außen- und Sicherheitspolitik blamiert hatte und die UNO insbesondere von NATO-Regierungen zum Sündenbock für ihr eigenes Scheitern in Bosnien gemacht wurde. Wenn bis April nichts Wesentliches mehr schief läuft, kann die Allianz zum 50. Geburtstag in Washington ihre »friedensstiftende Rolle« im Kosovo feieren.

Dann besteht erst Recht die Gefahr, dass die beiden erneut in erster Linie von den USA angestrebten Änderungen der NATO-Strategie auch vollzogen werden – ohne größere Debatte. Obwohl diese Änderungen – einmal ganz abgesehen von ihrer eindeutigen Völkerrechtswidrigkeit – weit gravierender sind als alle Korrekturen der Jahre 1949-89: Die NATO soll zum weltweit einsatzfähigen Interventionsinstrument werden, auch ohne UNO-Mandat; per Atomwaffendrohung der NATO sollen sogenannte »Schurkenstaaten« künftig von der Anschaffung und dem Einsatz von Massenvernichtungsmitteln und ballistischen Raketen abgeschreckt werden.

Das böse Erwachen kommt gewiss. Spätestens wenn es in einigen Jahren nicht mehr um Konflikte in Bosnien oder dem Kosovo geht, wo die NATO-Staaten und Russland – trotz aller öffentlichen Kontroversen – nicht wirklich substanzielle und gegensätzliche Interessen verfolgen. Sondern zum Beispiel, wenn es um Konflikte im Kaukasus geht, einer Region mit riesigen, geostrategisch bedeutsamen Öl- und Gasvorkommen, um deren Ausbeutung der Streit zwischen westlichen und russischen Ölkonzernen bereits voll entbrannt ist.

Andreas Zumach arbeitet als freier Journalist in Genf

Alternative zur NATO-Erweiterung: Sicherheitsgürtel auf Gegenseitigkeit

Alternative zur NATO-Erweiterung: Sicherheitsgürtel auf Gegenseitigkeit

von Nikolai Izvekov

In den Diskussionen über die NATO-Erweiterung wurde bisher scheinbar darauf verzichtet, eine vernünftige Alternative zur Ausdehnung der Allianz nach Osten zu erörtern. Zumindest auf der offiziellen Ebene herrscht im Westen die beharrlich vertretene Ansicht, es gebe keine reale Alternative zur Erweiterung. Der in Rußland wiederholt vorgetragene Vorschlag eines gesamteuropäischen Systems kollektiver Sicherheit blieb sehr allgemein und wurde bisher nicht ausreichend ausgearbeitet. Doch in verschiedenen russischen Zeitungen, insbesondere in der »Nezavissimaya gazeta«, erschienen Artikel mit wichtigen Elementen und Anregungen für ein alternatives Konzept zur NATO-Osterweiterung.

Als eine mögliche Variante für einen Kompromiß über die bisherigen Erweiterungspläne der NATO wurde Rußlands Beitritt zur politischen Organisation der NATO genannt. Das würde sicher Wesen und Struktur der Allianz stark verändern. Ein weiterer Vorschlag – an dem vor allem eine Gruppe kompetenter russischer Politikwissenschaftler arbeitet – betrifft die Formulierung gegenseitiger Sicherheitsgarantien für die Staaten Zentral- und Osteuropas seitens der NATO und Rußlands sowie die Schaffung einer Zwischenzone in dieser Region des europäischen Kontinents.

Allerdigs fehlt bisher eine – der Komplexität des Themas entsprechende Zusammenfassung der Vorschläge in einem einheitlichen Konzept; ein Entwurf, dessen Umsetzung zur Errichtung eines neuen Systems kollektiver Sicherheit in Europa führen könnte. Schlüsselelement für die Realisierung eines solchen Entwurfs wäre ohne Zweifel der Abschluß eines weitreichenden »Sicherheitsvertrages« zwischen Rußland (GUS) und der nordatlantischen Allianz. Dieser Vertrag sollte nicht nur Verpflichtungen bezüglich des Gewaltverzichts (Nichtangriffspakt) enthalten, sondern auch umfassende Vorkehrungen vorsehen. Er sollte die gleichberechtigten Kooperationenen zwischen den Beteiligten auch im militär-politischen Bereich umfassen und sowohl der Wahrung einer gesamteuropäischen Sicherheit als auch der Neutralisierung neuartiger Bedrohungen der internationalen Stabilität (internationaler Terrorismus etc.) dienen. Die Umsetzung eines solchen Vertrages könnte zur Schaffung bilateraler Konsultationsmechanismen in Sicherheitsfragen führen.

»Sicherheitsvertrag« NATO-Rußland

Die Idee, einen besonderen Vertrag zwischen NATO und Rußland auszuarbeiten, ist nicht neu. In einigen Staaten wurde sie bei verschiedenen Gelegenheiten angesprochen, jedoch nie im Detail ausformuliert.

Der Abschluß eines »Sicherheitsvertrages« hätte den Beitritt Rußlands zur Allianz nicht zwangsläufig zur Folge. (Die direkte Mitarbeit Rußlands in der NATO wird weder in den europäischen Staaten noch in unserem Land als die vielversprechendste Lösung angesehen.) Sie bedeutete vielmehr die vertragsmäßige Institutionalisierung der strategischen Partnerschaft zwischen der atlantischen Gemeinschaft und der Gemeinschaft der nordeurasischen Staaten. So ließe sich eine der wichtigsten Säulen des zukünftigen gesamteuropäischen Systems kollektiver Sicherheit aufstellen, die noch langfristiger gedacht zu einem grundlegenden Element für die Bildung einer globalen Sicherheitsstruktur im Rahmen der UNO werden könnte. Die Vorbereitung eines solchen Vertrages erfordert fraglos einige Zeit, wichtiger noch wären die notwendigen Überlegungen über die neuen geopolitischen und geostrategischen Gegebenheiten auf dem europäischen Kontinent und in den umliegenden Gebieten.

Die Verwirklichung einer vertraglich gesicherten Partnerschaft mit Rußland würde zweifellos eine Transformation der NATO von einer geschlossenen militär-politischen Formation hin zu einer offeneren Organisation erleichtern, die nicht nur Probleme gemeinschaftlicher Verteidigung, sondern auch die Fragen allgemeiner Sicherheit in der nördlichen Hemisphäre lösen könnte.

Nichtmitglieder der Allianz einschließlich Rußlands – sind an einer Transformation der NATO interessiert, die dem Aufbau eines wirklichen Sicherheitssystems für ganz Europa dienlich wäre.

Mehr Sicherheit für »Zwischenstaaten«

Wie bereits gesagt, könnte ein Sicherheitsvertrag zwischen der NATO und Rußland zu einer der tragenden Säulen für das vorgeschlagene gesamteuropäische System werden. Für eine große Gruppe von Staaten in Zentral-, Nord- und Südosteuropa (dem Balkan), ist der militär-politische Status z. Zt. unsicher. Einige dieser Staaten streben den Beitritt in die NATO an, während andere wie Österreich, Finnland und Schweden danach trachten, ihren gegenwärtigen Nichtalliierten-Status zu erhalten, und wieder andere Staaten zwischen dem Beitritt zur NATO und der Schaffung eines neuen, zwischen den Parteien stehenden Blocks hin- und herschwanken.

Viele Staaten haben inzwischen verstanden, daß eine einfache Erweiterung der NATO nach Osten keine Lösung ihrer Sicherheitsprobleme bringen wird. Im Gegenteil, eine solche Erweiterung könnte vielmehr zu einer neuen Zuspitzung, zu neuen Teilungslinien auf dem europäischen Kontinent führen. Es muß damit gerechnet werden, daß durch die Abgrenzung neue Spannungen entstehen, die nicht nur die Beziehungen zu Rußland belasten, sondern auch das Verhältnis der »neuen« NATO-Mitgliedsstaaten in Zentraleuropa zu jenen Nationen, die außerhalb der Allianz verbleiben. Schließlich können wir mit Sicherheit sagen, daß die Aufnahme einiger neuer Mitglieder in die NATO auch die Probleme innerhalb der Allianz, z.B. zwischen alten und neuen Mitgliedern, nicht aus der Welt schaffen wird.

Die Schaffung eines die genannten Staaten einschließenden »Sicherheitsgürtels auf Gegenseitigkeit« (SGG) wäre die sinnvollste Antwort auf die sicherheitspolitischen Probleme dieser Länder, die im geographischen Sinne zwischen Ost- und Westeuropa liegen. Mit einem solchen »Gürtel« soll kein neuer militär-politischer Block oder Zusammenschluß von Nationen in Zentral- und Osteuropa geschaffen werden.

Sinnigerweise sollte ein Vertrag über einen SSG beinhalten, daß die Territorien der »Gürtel«-Staaten in keiner Weise für aggressive und feindliche Aktionen gegen den Westen oder gegen Osteuropa genutzt werden dürfen. Als Gegenleistung erhalten die Staaten des SGG klar definierte Garantien sowohl von der NATO als auch von Rußland. Das Prinzip doppelter Garantien könnte bei Bedarf durch einige bilaterale oder multilaterale Gewaltverzichtsabkommen zwischen einzelnen »Gürtel«-Staaten gestärkt werden. Die SGG-Staaten sollten sich ihrerseits verpflichten, auf ihrem jeweiligen Territorium weder Atomwaffen noch fremde Truppen und Stützpunkte zu stationieren. Von größter Bedeutung ist auch, daß diejenigen Staaten des »Gürtels«, die dem Vertrag über konventionelle bewaffnete Streitkräfte in Europa nicht angehören, diesem nach seiner Neuformulierung beitreten. Damit würde der KSE-Vertrag zu einem wirkungsvollen Instrument für die Konsolidierung der Sicherheit nicht nur in diesem »Gürtel«, sondern in Gesamteuropa.

Ökonomische und politische Integration bei militärischer Neutralität

Diese Staaten müssen aufgrund ihrer Zugehörigkeit zum SGG nicht darauf verzichten, sich an dem natürlichen Prozeß wirtschaftlicher und politischer Integration z.B. in der EU zu beteiligen. Einige der »Gürtel«-Staaten gehören bereits der EU an. Es kann auch nicht ausgeschlossen werden, daß einige der »Gürtel«-Staaten schlußendlich der NATO beitreten werden (vorausgesetzt, sie bleiben bei ihrem »Nein« zu fremden Truppen und Stützpunkten auf ihrem Boden), während andere wahrscheinlich eine engere militärische Kooperation mit der GUS vorziehen. Diese Fragen könnten in der Formierungsphase des SGG gelöst werden, die im Rahmen und unter aktiver Mitwirkung der OSZE-Strukturen ablaufen könnte. Im Rahmen ihrer Verteidigungsmöglichkeiten könnten die SGG auch an friedenserhaltenden OSZE- oder UNO-Maßnahmen mitwirken.

Die Idee, im Zentrum Europas eine besondere, von Atomwaffen freie und nicht weiter mit der extremen Konzentration konventioneller Truppen belastete Zone einzurichten, ist zumindest einige Jahrzehnte alt. Es sei an den einst bekannten »Rapazki-Plan« (Rapazki war in den fünfziger Jahren polnischer Außenminister) erinnert sowie an die polnischen Vorschläge, die einige Jahre später unterbreitet wurden. Der Kalte Krieg verhinderte damals ihre Umsetzung. Doch das SGG-Konzept ist nicht einfach eine Rückkehr zu der »guten alten Idee« der fünfziger Jahre. Heute geht es darum, Schlußfolgerungen aus den Erfahrungen der Vergangenheit zu ziehen und Vorschläge entsprechend den neuen Bedingungen auf dem europäischen Kontinent nach dem Kalten Krieg zu entwickeln.

Eine tatsächliche Realisierung des SGG-Konzepts könnte:

  • die gegenwärtigen, aus der Unsicherheit ihres militär-politischen Statuses entstehenden Sorgen vieler Staaten in einer strategisch wichtigen Region Europas zerstreuen;
  • die Gefahr einer neuen Blockkonfrontation in Europa bannen, die aufgrund der vorliegenden Pläne, die NATO-Strukturen auf einige neue Gebiete auszudehnen, bereits im Werden begriffen ist;
  • es ermöglichen, die gegenwärtige militär-politische Struktur zu erhalten und gleichzeitig die notwendigen Voraussetzungen zu schaffen, sie im Rahmen eines gesamteuropäischen Sicherheitssystems unter Berücksichtigung der neuen Gegebenheiten in Europa auf optimale Weise zu transformieren;
  • günstigere Möglichkeiten für die SGG-Staaten schaffen, so daß diese in der Zukunft ihre natürliche Rolle erfolgreich ausfüllen können – eine »Brücke« zwischen West und Ost zu sein;
  • die ungeheure Verschwendung von Geld und Ressourcen neuer und alter NATO-Staaten verhindern, die diese für die Umrüstung aufwenden müßten und deren Folge zumindest eine neue Welle des Rüstungswettlaufs auf dem europäischen Kontinent wäre.

Schließlich sollte erwähnt werden, daß – neben dem Vertrag zwischen der NATO und Rußland – die Realisierung des SGG-Konzepts, wenn sie unter aktiver Teilnahme der OSZE geschieht, eine der bedeutenderen Grundlagen für das vorgeschlagene gesamteuropäische kollektive Sicherheitssystem werden könnte.

Nikolai Izvekov, Foreign Policy Association, Mitglied der International Information Academy. Übersetzung aus dem Englischen: Marianne Kolter.

NATO-Osterweiterung: Kein Mehr an Sicherheit

NATO-Osterweiterung: Kein Mehr an Sicherheit

von Klaus Segbers

Bevor ich einige wesentliche Aspekte dieses Themenfeldes skizziere, möchte ich zwei Vorbemerkungen machen. Die erste weist darauf hin, daß die nachfolgenden Überlegungen aus einer politikwissenschaftlichen Perspektive gemacht werden, daß sie aber auch noch einen weiteren Hintergrund haben – den der Erfahrung mit Politikberatung. Insofern handelt es sich um eine doppelte Perspektive. Zum zweiten – und das fällt bei diesem Thema immer wieder auf – ist die ganze Debatte über neue Sicherheitsarrangements in Europa durch eine bemerkenswerte analytische Unschärfe gekennzeichnet, vor allem angesichts ihrer öffentlichen Intensität. Den Gründen für die mangelnde Präzision bei der Behandlung dieses Themas gesondert nachzugehen, würde sich gewiß lohnen. An dieser Stelle möchte ich jedoch mit etwas anderem, damit teilweise aber Verbundenem beginnen: Mit Überlegungen zu der Frage, was eigentlich zweckmäßige Kriterien und Annahmen sind (oder sein können), um Sinn oder Unsinn von Regimeausdehnung in Europa für den Politikbereich Sicherheit zu beurteilen.

Zunächst sind allgemeine Fragen zu stellen, die hier nur am Rande zum Thema gehören und deshalb nur erwähnt werden: Erstens, welcher Europabegriff wird zugrunde gelegt? Ein enger oder breiter, ein geographischer oder ein historischer, ein kultureller oder funktionaler? Verschiedene Antworten sind möglich. Für diesen Zweck wird im folgenden ein funktional-pragmatischer Begriff untergelegt, d.h. für das Themenfeld Sicherheit der Raum, den die OSZE umfaßt, minus Mittelasien und Transkaukasus. In einem engeren »Europa« ist Sicherheit für West-Europa nicht wirksam zu organisieren.

Zweitens, das Ergebnis von Regime-Umbildungen sollte ein Mehr an erkennbarer Sicherheit für alle Beteiligten erbringen, nicht weniger. Dabei ist ein breiter Sicherheitsbegriff von Nutzen – mit militärischen, kulturellen und sozialen Dimensionen.

Drittens sollte die Debatte realistisch und unaufgeregt geführt werden. Es gibt wahrscheinlich unterschiedliche institutionelle Lösungen in Verschränkungen, nicht den einen »großen Wurf«. Auch nicht die NATO. Vor allem in Ostmitteleuropa und in Südosteuropa erinnert die aktuelle Erweiterungsdebatte gelegentlich an frühere nationale Befreiungs- und Wohlstands-Erwartungen, die mit dem Ausscheiden aus der Warschauer Vertragsorganisation und dem Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe verbunden wurden, später dann mit dem Abzug der sowjetischen Truppen.

Viertens, funktionierende Mechanismen sollten nicht geschwächt werden. Das betrifft die Frage, was eine Erweiterung für die NATO selbst bedeuten würde – für ihre innere Stabilität, ihre Funktionsfähigkeit, interne Entscheidungsprozesse, die finanziellen Spielräume der Beitrittskandidaten wie der Maastricht-gebeutelten EU- und NATO-Mitglieder, und nicht zuletzt auch für die Glaubwürdigkeit des Artikels 5 des Nordatlantikvertrages.

Ein für unsere Fragestellung ganz wesentliches Kriterium ist zweifellos, daß der Wandel in ganz Osteuropa nicht behindert werden darf. Ein wesentliches Argument der Erweiterungsbefürworter lautet ja, daß ein Stabilitätstransfer nach Osteuropa erreicht werden soll. Somit wäre also zu prüfen, ob eine solche Stabilitätsförderung in Osteuropa erwartbar tatsächlich stattfindet – nicht rhetorisch, sondern durch konkret verbesserte Bedingungen für die laufenden Wandlungsprozesse. Was sind die wirtschaftlichen Belastungen der Kandidaten wie der zunächst nicht in die Allianz Geladenen? Werden Brückenbildungen gefördert, oder würden neue Trennlinien etabliert?

Im Unterschied zu den genannten halte ich folgende, immer wieder angeführten Kriterien für nicht relevant oder für nicht eindeutig: historische Ableitungen, moralische Verpflichtungen und geopolitische Argumente. Aus solchen Überlegungen kann eine besondere Sorgfalt für die Einbindung Osteuropas – aller nationaler und kultureller Gruppen dort – in europäische Strukturen abgeleitet werden, auch die Verpflichtung, die historischen Wandlungsprozesse begleitend abzustützen. Konkrete Antworten für die Debatte über eine NATO-Osterweiterung oder gar über bestimmte, zu bevorzugende Länder können meiner Ansicht nach daraus nicht hergeleitet werden.

Beim Nachdenken über künftige, wirksame europäische Sicherheitsstrukturen kann schwerlich die nur auf den ersten Blick langweilige Frage ausgelassen werden, welche Analyseeinheiten wir sinnvollerweise – und realistischerweise – zugrunde legen können. Die Frage stellt sich deshalb, weil wir die große und begründete Debatte über Globalisierung und Fragmentierung parallel und anscheinend entkoppelt führen von der anderen Diskussion – der über europäische Sicherheit. Das geht aber schwerlich; es macht keinen Sinn, mit verschiedenen tragenden Bausteinen neuer Architekturen zu operieren.

Die bisherige Diskussion ist bisher beinahe rettungslos gefangen in einer Fixierung auf die europäischen Nationalstaaten, deren angebliche Interessen als Staaten und in Regimebildungsmodelle im Sinne suprastaatlicher und intergouvernementaler Mechanismen. Damit wird ein überholtes Bild internationaler Beziehungen bewahrt, dessen Akteursverständnis heute antiquiert ist.

Ohne die Einbeziehung nicht zentralstaatlicher, vor allem wichtiger sektoraler und regionaler Akteure in ganz Europa, ohne transnationale Akteure verschiedener Art werden allein aus dem tradierten Legobaukasten der Staatenwelt keine stabilen und zugleich flexiblen europäischen Sicherheitsgebilde zu formen sein.

Welche Aspekte einer möglichen Ausdehnung der NATO sind nun speziell für die Rußländische Föderation (RF) zu bedenken?

Dabei sind zunächst die in der Öffentlichkeit dominierenden »eigentlichen« Fragen zu trennen von den »realen«, das heißt von denjenigen, die die Akteure in der RF wirklich bewegenden. »Eigentliche« Fragen wären etwa solche, die absehbar ungünstige Veränderungen der strategischen Umgebung Rußlands, daraus resultierende Neubewertungen von Nuklearwaffen, Investitionsverschiebungen, zusätzliche Haushaltsbelastungen, eine Zurückstellung der wirtschaftlichen Stabilisierungspolitik u.v.m. thematisieren.

Diese werden aber nur von einer kleinen Handvoll von Experten in der RF in diesem Kontext debattiert. Wir sollten der Selbsttäuschung entgegenwirken, daß Fragen der internationalen Beziehungen oder der Außen- und Sicherheitspolitik in Rußland dominierende Themen wären. Das sind sie nicht – weder für die mit der schwierigen Alltagsorganisation beschäftigten Bevölkerung noch für die an Ressourcen und Positionen interessierten Eliten. Tatsächlich wird unser Thema in der RF weder substantiell noch prioritär debattiert, sondern überwiegend instrumentell.

Um diesen Punkt zu verstehen, ist ein Blick auf die Rahmenbedingungen sinnvoll, unter denen die relevanten Akteure in der RF agieren. Folgende Aspekte sind dabei jedenfalls zu beachten:

  • Es hat sich eine ausgeprägte, wenig organisierte Akteursvielfalt teils erhalten, teils neu entwickelt. Während zu sowjetischen Zeiten eine Zentralregierung sowjetische Politik mehr oder weniger konsistent nach außen vermitteln und vertreten konnte, gibt es seit dem Zerfall der UdSSR eine Vielfalt regionaler, sektoraler und klientelistisch verbundener Akteursgruppen, die die föderale russische Regierung entweder nach außen, meist folgenlos, gewähren lassen – solange es nicht ihren unmittelbaren Interessen widerspricht –, oder die durch ihre jeweiligen Vertreter im Regierungszentrum eigene Interessen äußern und durchzusetzen suchen. Wegen der labilen Kräfteverhältnisse, häufig wechselnder Koalitionen von Akteursgruppen und der allgemeinen institutionellen Schwäche führt die Akteursvielfalt zu oft schwer berechenbaren, oft zufällig wirkenden außenpolitischen Deklarationen und Manövern der in der Exekutive formal für Internationales zuständigen Akteure.
  • In der Folge davon sind keine aggregierten oder auch nur aggregierbaren nationalen Interessen der RF erkennbar. Diese Beobachtung ist für alle Fragen internationaler Politik von kaum zu überschätzender Bedeutung. Die meisten westlichen Beobachter, Publizisten und Politiker verkennen den fragmentarischen, instabilen und fluiden Charakter der russischen Exekutive. Wenn dieser Punkt gesehen und akzeptiert wird, ergeben sich erhebliche Folgerungen für die Beziehungen zu russischen Akteuren. Wenn er nicht gesehen oder berücksichtigt wird, kann westliche Politik nicht realistisch sein. Das betrifft staatliche wie nichtstaatliche Akteure hier gleichermaßen. Sowohl Anhänger wie Skeptiker der NATO-Ausdehnung stimmen bei allen sonstigen Unterschieden jedenfalls zumeist darin überein, daß sie eine hohe Konsistenz russischer Institutionen und russischer Politik nach innen und außen unterstellen. Genau das trifft nicht zu.
  • Die Feststellung geringer politischer Konsistenz russischer Politik hat erhebliche Bedeutung für die Politik anderer Akteure gegenüber Rußland. Bei der absehbaren und anhaltenden institutionellen Schwäche russischer (staatlicher und gesellschaftlicher) Akteure können nur sehr begrenzt erfolgreiche Druck- und Belohnungsstrategien betrieben werden. Damit entfällt ein erheblicher Teil des traditionellen außenpolitischen Instrumentariums. Eine »Bestrafung« Rußlands wegen »Tschetschenien« ist angesichts fehlender Akteure, die solche Maßnahmen als wirkliche Beeinträchtigung empfinden, ebenso sinnlos, wie Versuche von Einbindung oder Ausgrenzung, die auf vorerst nicht konsistente und somit weder einbindbare noch ausschließbare Gruppierungen treffen.

Was also bleibt von und für russische Außenpolitik? Außenpolitik ist, wie gesagt, als solche in der RF wenig relevant. Die Schnittstelle zwischen den russischen Aktionsräumen, in denen Kapital und Ressourcen nachholend akkumuliert werden, und der Restwelt ist im wesentlichen für die wichtigsten Akteursgruppen nur dann interessant, wenn sie deren Primärinteressen berührt: Wird die Tätigkeit ausländischer Banken und Versicherungen in der RF zugelassen? Was sind die geltenden Regime für den Ex- und Import von Waren? Wie sind Exportlizenzen für strategische Rohstoffe zu erhalten? Wie kann die Existenz von völkerrechtlich gültigen, aber faktisch ungewissen und wenig kontrollierten Grenzen zu einem geldwerten Vorteil gewendet werden? Wie kann auf Erschließung und Transport neuer Energievorräte zugegriffen werden? Wie können internationale Finanzmittel für die Stabilisierung des Rubel und zur Überbrückung der Haushaltsdefizite für die drängendsten Aufgaben eingeworben werden?

Daraus folgt, wie erwähnt, schlüssig und zumindest mittelfristig die strukturelle Unfähigkeit rußländischer Akteure, allgemeine nationale Interessen verbindlich zu definieren und einen wirksamen Konsens darüber mehrheitlich herzustellen. Hinzu kommt das Fehlen von politischen Gestaltungsabsichten jenseits der unmittelbaren, auf Ressourcen und Positionen bezogenen Interessen und concerns.

Beides hängt auch damit zusammen, daß es eben wenig sinnvoll ist, die Brüche gegenüber den Kontinuitäten in der sowjetischen und nachsowjetischen Realgeschichte zu stark zu betonen. Es gab in vielerlei Hinsicht keine Stunde Null – weder 1917, noch 1985 oder 1991. Es ist fruchtbarer, in der früheren Sowjetunion eine weite, historische Perspektive von Wandel anzusetzen – insbesondere von institutionellem Wandel. Dieser Wandel wurde und wird gespeist aus permanenten bargaining-Prozessen aller relevanten Akteursgruppen und der wichtigsten sozialen Gruppierungen. Diese stehen untereinander in ständigen Aushandlungsprozessen über die ihnen wichtigen Anliegen, vor allem über Ressourcenzugriffe und Positionsveränderungen im Rahmen administrativer und zunehmend auch realer Marktstrukturen.

Als Konsequenz dieser klaren Priorität innerer und unmittelbarer Anliegen ergibt sich der eindeutig partikulare Charakter außenpolitischer Interessen und Stellungnahmen. Die russischen Banken, die Hersteller von Flugzeugen und Raketen, die Produzenten von Öl und Gas, regionale Verwaltungen, zentrale Bürokratien – sie alle haben eigene Kalküle, die zumeist indirekt auch mit der Außenwelt verbunden sind. Aber es fehlt eine mediatisierende und harmonisierende, auch Kompromisse erzwingende Instanz. Der Rußländische Staat ist nicht – noch nicht? – in der Lage, diese Position einzunehmen. Er simuliert sie stattdessen. Die Instrumente und Foren für Simulation hat er – in der OSZE, im UN-Sicherheitsrat, in Kontaktgruppen (Bosnien), demnächst im neuen NATO-Rat.

Das Phänomen der Fragmentierung von Politik und einer ausgeprägten Akteursvielfalt findet sich zunehmend auch in westlichen Staaten. Der relative Bedeutungsverlust von Nationalstaaten ist überall zu beobachten. Aber zumindest in den Nachfolgeräumen der früheren Sowjetunion gibt es noch eine signifikant höhere Ausprägung dieser Entwicklung. Wegen dieser relativierenden Beobachtungen wirkt russische Außenpolitik wieder weniger extraordinär konfus, als es zunächst scheinen mag. Die Unterschiede außenpolitischer performance postsowjetischer und westlicher Länder sind vielleicht eher quantitativ als qualitativ. Auch in westlichen Staaten gibt es vielerlei Einflußnahmen auf staatliche Politik, und diese selbst unterliegt einer signifikanten relativen Bedeutungsminderung.

Aus den bisher gemachten Aussagen folgt, daß internationale Themen im weiteren Sinne in Rußland vor allem einen inneren Tauschwert haben. Wenn aber relevante Akteure tatsächlich erreicht werden sollen, müssen ihre tatsächlichen Interessenlagen definiert werden. Wesentliche regionale und sektorale Akteure sind zumeist ebenso wichtig oder gar wichtiger als die vorerst schwache russische föderale Regierung.

Wenn unter diesen Voraussetzungen eine Osterweiterung der NATO stattfände, würden die unmittelbaren Folgen zunächst kaum dramatisch sein. Aber stabilisierend wären sie auch nicht. Gewiß wären die Binnenmarktproduzenten und die nicht weltmarktfähigen Teile des MIK dankbar für alle Argumente, die ihnen Subventions-Appelle an den Staat erleichtern würden. Eine NATO-Ausweitung wäre ein in diesem Sinne gutes Argument. Wären die bisherigen Transformations-Verlierer mit ihrem Lobbyismus erfolgreich, hätte das unerfreuliche Folgen für die laufende Transformation, deren Dynamisierung und Stabilisierung. Ob dies zu erheblichen oder nur vorübergehenden Stabilitätseinbußen (anstelle der versprochenen Stabilitätsgewinne) führen würde, ist schwer einzuschätzen. Daß Stabilitätsgewinne eintreten, kann für Rußland und die Ukraine aus meiner Sicht ausgeschlossen werden.

Aus dem schwierigen allgemeinen Zustand der Transformation, der heiklen Haushaltslage, dem maroden Zustand des MIK und der Streitkräfte läßt sich gewiß ableiten, daß der Staat RF einer NATO-Erweiterung real nichts nach außen entgegenzusetzen hat. Ob das aber ein hinreichender Grund ist, sie auch zu vollziehen – bei zahlreichen ungelösten Fragen selbst im NATO-Bereich – ist zweifelhaft. Sicher würden die kooperationsgeneigten und aus ihrer Interessenlage heraus prinzipiell integrationswilligen Eliten in der RF durch Regimebildungen in Europa, die die RF dauerhaft ausgrenzen, geschwächt. Ob gerade das im westlichen Interesse liegen kann, muß bezweifelt werden.

In dieser Lage wäre es aus meiner Sicht ratsam, zunächst die Frage der Kriterien sowie konzeptionellen Fragen zu klären, bevor institutionelle Konsequenzen gezogen werden. Selbstgesetzter Zeitdruck ist hier nicht hilfreich. Das bedeutet, daß die demnächst beginnenden Verhandlungen mit Beitrittskandidaten der ersten Reihe ruhig und ohne Eile geführt werden und daß die dann folgenden Ratifizierungsprozeduren genutzt werden, um den ganzen Kontext europäischer Sicherheit zu prüfen. Auf Dauer können die ostmitteleuropäischen Länder schwerlich einen Sicherheitsgewinn erwarten, wenn die dort und in Osteuropa laufenden Transformationen erschwert werden. Die Frage der Erreichbarkeit eines wirksamen Stabilitätstransfers für den gesamten osteuropäischen Raum muß genau so gestellt und beantwortet werden.

Prof. Dr. Klaus Segbers lehrt am Osteuropa-Institut der Freien Universität Berlin.

Kosten der NATO-Osterweiterung

Kosten der NATO-Osterweiterung

Nur eine amerikanische Debatte?

von Jutta Koch

Unstrittig ist die auf dem bevorstehenden NATO-Gipfel am 8./9. Juli 1997 in Madrid geplante Konkretisierung der NATO-Osterweiterung ein politisch-strategisches Groß-Ereignis, das der europäischen und globalen Sicherheitspolitik der neunziger Jahre Konturen verleiht. Dort wollen die Staats- und Regierungschefs die Namen der ersten Gruppe von Ländern nennen, die zu Beitrittsverhandlungen eingeladen werden. Dem Vernehmen nach handelt es sich mindestens um Polen, Tschechien und Ungarn. Aus Sicht der US-Regierung und des Senats hat noch am ehesten Slowenien gewisse Chancen, zur genannten Gruppe der ersten drei hinzuzustoßen. Für die Slowakei, die baltischen Staaten, Rumänien, Albanien, Bulgarien und Moldawien gilt dies als praktisch ausgeschlossen. Zunehmend wird allerdings von einer zweiten Erweiterungswelle gesprochen. Im Frühjahr 1999 soll, so US-Präsident Clinton am 22. Oktober 1996, der am 04. April 1949 in Washington gegründete Verteidigungspakt pünktlich zum 50. Geburtstag den Vollzug seiner Erweiterung verkünden können.

Die Debatte über das Pro und Contra dieser Erweiterungspolitik ist außerhalb der Vereinigten Staaten von Amerika bislang träge verlaufen. Das ist kein Zufall, sondern Ergebnis einer sorgfältigen Politik der Regierungen in den betroffenen Ländern, ihre Bevölkerungen nicht mit sicherheitspolitischen Kontroversen zu behelligen. Ihren gemeinsamen Nenner bildet die These, zur Osterweiterung der NATO gebe es keine Alternative – sie verleihe wirksamen militärischen Schutz und verkörpere zugleich das Zukunftsmoment einer Sicherheitspolitik, die sich von der bipolaren Trennlinie des Kalten Krieges emanzipiert habe.

Die Kostenfrage ist hochpolitisch, weil sie das Potential bereithält, eine kritische öffentliche Debatte über Sinn und Zweck der NATO-Osterweiterung zu entfachen. Sie wird hierzulande als so brisant eingeschätzt, daß Volker Rühe ihre Erörterung bis Anfang Mai 1997 im Parlament und in der deutschen Fachpresse fast gänzlich mit dem sehr deutschen Argument zu verhindern vermochte (Schwennicke, 1997 und Kuhn, 1997), angesichts der Größe der politischen Aufgabe sei es kleinlich, über deren Kosten zu reden. Das könnte sich mit der Antwort der Regierung auf die jüngst eingebrachte Kleine Anfrage der SPD-Fraktion zu den Kosten und Konsequenzen der Erweiterung ändern (Bundestags-Drucksache 13/7537).

Volker Rühe war es selbst, der als erster unter den NATO-Kollegen seit 1993 nachdrücklich für eine NATO-Osterweiterung geworben hatte. Der große Ärger der anderen NATO-Partner darüber legte sich erst, als der US-Verteidigungsminister Perry im Oktober 1994 den NATO-Osterweiterungszug bestieg. Bei dieser Erweiterung handelt es sich offensichtlich um ein vorrangiges Ziel deutscher Sicherheitspolitik. Da erhebt sich die Frage, wie es mit dem deutschen Anteil für die aus der Erweiterung folgenden Kosten bestellt ist. Zu den Kostenschätzungen gibt es aber bislang nur drei Studien aus den USA. Die Bundesregierung hat sich zu den mutmaßlichen finanziellen Konsequenzen für die deutsche Verteidigungspolitik noch nicht geäußert.

Die US-Studien stammen vom Budgetbüro des US-Kongresses, von drei Autoren der RAND Corporation sowie jüngst vom amerikanischen Außen- und Verteidigungsministerium: Das Congressional Budget Office (CBO) hat seine Analyse im März 1996 publiziert (Eland, 1996). Die drei RAND-Autoren Asmus, Kugler und Larrabee haben ihre Studie im Herbst 1996 veröffentlicht (Asmus, 1996). Die amerikanische Regierung hat ihre Studie am 24. Februar 1997, durch einen Geleitbrief von Präsident Clinton mit besonderem Gewicht versehen, an die zuständigen Ausschüsse in Senat und Repräsentantenhaus gesandt (Report to the Congress, 1997)1.

Im Hinblick auf die »Quellenkritik« ist anzumerken, daß die Analytiker von RAND als dem Pentagon sehr nahestehend betrachtet werden können. Dagegen ist es geradezu die Aufgabe des CBO als Institution, den Abgeordneten im Kongreß eine unabhängige Meinungsbildung zu ermöglichen, damit sie Regierungsinformationen kritisch überprüfen und mögliche Folgekosten neuer Programme des Präsidenten einschätzen können. Allerdings sind viele den Demokraten zugeordnete Experten der CBO sofort nach dem Wahlsieg der Republikaner im November 1994 entlassen und durch der Gingrich-Partei nahestehende Analytiker ersetzt worden. Eine dem CBO vergleichbare Institution gibt es in Deutschland nicht.

In den USA hat die heiße Phase der innenpolitischen Auseinandersetzung um die NATO-Osterweiterung begonnen. Da der US-Senat einer NATO-Osterweiterung mit Zweidrittelmehrheit zustimmen muß, ist der Hinweis interessant, daß dieser die Kostenbeteiligung der USA auf 15 Prozent festgeschrieben hat; weitere 55 Prozent sollen die bisherigen NATO-Mitgliedsstaaten und die restlichen 30 Prozent die Neuankömmlinge finanzieren (Adam, 1997). Sehr ähnliche Zahlen stehen in dem unten noch eingehender beschriebenen Papier der Regierung vom 24. Februar 1997: 15% der Gesamtkosten in Höhe von 27-35 Mrd. Dollar übernähmen die USA, 50% die übrigen NATO-Staaten, und 35% die Neumitglieder (Lippmann, 1997). Zwar herrschte im Senat nach dem ersten Auftritt von Außenministerin Albright und Verteidigungsminister Cohen überparteiliche Skepsis in bezug auf die generelle Begründung für eine NATO-Osterweiterung vor (Friedman, 1997). Aber ein am 05. Mai 1997 vom republikanischen Senator Richard Lugar präsentierter Bericht einer unabhängigen Gruppe des Council On Foreign Relations unterstützte die NATO-Erweiterungspolitik Clintons, befürwortete allerdings im Gegensatz zur Administration eine rasche zweite Erweiterungsrunde u.a. um die baltischen Staaten.

Die CBO-Studie

Die CBO-Studie umfaßt 71 Seiten; etliche Tabellen erleichtern die Übersicht. Ihr Autor nimmt an, daß die vier Visegrad-Staaten (Polen, Ungarn, Tschechien und die Slowakei) der NATO beitreten. Der Zeitrahmen umfaßt die Jahre 1996 bis 2010. Fünf Optionen der Erweiterung werden diskutiert und mit einem Preisschild versehen: Die anfallenden Gesamtkosten liegen zwischen 60,6 und 124,7 Milliarden US-Dollar. Diese fünf Optionen bauen aufeinander auf – die Option 5 etwa kann nur unter Einschluß der Optionen 1 bis 4 gewählt werden –, und entsprechend kumulieren ihre Kosten.

Eine Billigversion, welche nach CBO-Ansicht nicht ernsthaft in Frage kommen sollte, da sie die Verteidigung der Neuen nur unzureichend verbessern könnte, wird auch nicht weiter diskutiert. Ihre Gesamtkosten werden mit 21,2 Mrd. Dollar angegeben, wobei die Visegrad-Staaten 15,6 Mrd., die USA 1,9 Mrd. und die europäischen Alliierten 3,7 Mrd. Dollar berappen müßten. Dabei würden Übungsmöglichkeiten verbessert, Kontroll-, Kommunikations- und Überwachungssysteme verstärkt sowie die Luftverteidigungssysteme NATO-integrierbar gemacht.

Die erste diskussionswürdige Option heißt: Enhance Visegrad Defense Forces and Facilitate NATO Supplemental Reinforcement. Die hierbei anfallenden Kosten – alle sind in 1997er Dollars angegeben – werden mit 4,8 Mrd. für die USA, 13,8 Mrd. für die Allierten und für die Neumitglieder mit 42 Mrd. Dollar beziffert, insgesamt also auf 60,6 Mrd. Dollar. Hierfür würden die bei der Billigversion begonnenen Maßnahmen ausgebaut; zusätzlich würde in die Infrastruktur der Neuen investiert (Straßen, Schienen, Häfen, Übungsplätze). Spezielle Maßnahmen für Polen würden angegangen, das über das größte Territorium, die meisten Soldaten und die einzige Küste verfügt.

Die zweite Option lautet Project NATO Airpower East und soll – zusätzlich zu den Kosten der ersten Option von 60, 6 Mrd. Dollar – weitere 18,6 Mrd. US-Dollar kosten: 4,6 für die USA, 10,3 für die Alliierten, 3,6 für die Neumitglieder. Hierfür ist vorgesehen, elf Operationsbasen auf den Territorien der Neuen auszubauen, um 11,5 NATO-Luftgeschwader im Krisenfall von dort einsetzen zu können. Von diesen 11,5 Geschwadern würden 8 aus Deutschland kommen. Hinzu kämen ein britisches, das in Deutschland, sowie 2,5 amerikanische »Air Wings«, die in Europa stationiert sind.

Die dritte Option wird Project Power Eastward with NATO Ground Forces Based in Germany genannt und ist zusätzliche 30,1 Mrd. Dollar wert: 3,6 für die USA, 20,3 für die Alliierten und 6,2 für die Neuen. Die Hauptlast der hier vorgesehenen Entsendung von Bodentruppen in die Visegrad-Staaten trüge die Bundeswehr. Insgesamt 10 in Deutschland stationierte NATO-Divisionen gingen nach Osten, darunter 6 der 7 deutschen.

Die vierte Option heißt Move Stocks of Prepositioned Equipment to Visegrad States und kostet 1,2 Mrd. Dollar: 0,3 für die USA, 0,9 für die Alliierten und 0,1 für die Neumitglieder. Die fünfte und letzte Option – nach derzeitigem Stand der Verhandlungen zwischen der NATO und Rußland um das Partnerschafts-Dokument erscheint sie als unrealistisch – lautet Station a Limited Number of Forces Forward und beträgt 14,2 Mrd. Dollar: 5,5 für die USA, 8,7 für die Alliierten und 0 für die Neumitglieder. Dabei würden 2 und zwei Drittel Divisionsäquivalente gemischter Nationalität sowie ein britisches und ein amerikanisches Geschwader dauerhaft in den Visegrad-Staaten stationiert.

Die CBO-Studie sagt, den Optionen 2 bis 5 sei die Annahme gemeinsam, daß eine Bedrohung durch Rußland wiederentstehen könnte. Tatsächlich aber sind alle diskutierten Optionen auf eine militärische Bedrohung durch Rußland, dessen Potential stark übertrieben dargestellt wird, bezogen.

Die RAND-Studie

In diesem 21seitigen Aufsatz werden gleichfalls die vier Visegrad-Staaten als Neumitglieder angenommen, der Zeit-rahmen beträgt 10 bis 15 Jahre. Die Autoren üben grundsätzliche Kritik an dem CBO-Report, der auf der Annahme fuße, einen Krieg gegen Rußland führen zu können. Sie selbst nehmen für sich in Anspruch, keine bedrohungsorientierte, sondern eine auf Ziele und Fähigkeiten ausgerichtete Analyse vorzulegen.

Anschließend werden mehrere Preispakete durchdekliniert: Das erste kann als »Hilfe zum Selbstschutz« beschrieben werden und würde maximal 20 Mrd. Dollar kosten, mit denen allein die Neuen ihr Militär modernisierten. Die NATO brächte Führungs- und Logistikkomponenten ein. Falls die mittelosteuropäischen (MOE)-Staaten das russische Flugabwehrsystem SA 10 einführten, koste dieses erste Paket nur 14 Mrd. Dollar; falls sie sich für das amerikanische Patriot-Flugabwehrsystem entschieden, beliefen sich die Kosten insgesamt auf 20 Mrd. Dollar (Griephan, 1996: 3).

Das zweite Paket der Verlegung von NATO-Luftstreitkräften im Krisenfall baut auf der ersten Option auf und käme auf zusätzliche maximal 10, also insgesamt 30 Mrd. Dollar. Damit träfen die Alliierten Vorbereitungen, um 10 bis 15 Divisionen und 10 Kampfgeschwader auf dem Gebiet der Neuen zu stationieren.

Auch die dritte Variante fußt auf den beiden zuvor beschriebenen Paketen und würde eine gemeinsame Verlegbarkeit von NATO-Luft- und -Bodentruppen bedeuten. Für diese Option wurde angenommen, daß die Alliierten eigene Truppen auf dem Territorium der Neuen stationierten. Zu den zuvor genannten Kosten von insgesamt 30 Mrd. Dollar kämen im Falle dieser »Joint-Power-Projection« noch zwischen 8 und 22 Mrd. Dollar hinzu, je nachdem, wieviel NATO-Bodentruppen im Krisenfall zum Eingreifen vorgesehen wären. Genauer untersuchen sie das mittlere 42 Mrd. Dollar teure Paket. Dabei dürften die jetzigen Alliierten etwa 61%, also 25,6 Mrd. Dollar, übernehmen.

Eine vierte Option der Vornestationierung – etwa von 3 Divisionen und 5 Geschwadern – wird auf einen (mit den vorherigen Optionen kumulierten) Preis von 55 bis 110 Mrd. Dollar geschätzt und von den Autoren selbst für militärisch nicht erforderlich gehalten.

Kernaussage von Asmus und Co. – einige ihrer Formulierungen finden sich wörtlich in dem jüngsten Regierungspapier wieder – ist die politische Steuerbarkeit der Erweiterung und die Bezahlbarkeit ihrer Kosten. Mit der Erweiterung würden, so sagen sie, zwei militärpolitische Fliegen mit einer Klappe geschlagen: Die zunehmenden Projektionsfähigkeiten, welche die bisherigen europäischen Alliierten – Deutschland wird in der Fußnote ausdrücklich genannt – in Verbindung mit der Osterweiterung erwerben und verbessern würden, seien genau diejenigen Fähigkeiten, die für die künftige Allianzpolitik jenseits der europäischen Grenzen entscheidende Bedeutung hätten. Gemeint sind hier alle »Nicht-Artikel-V-Missionen«, also das ganze Spektrum von Aufgaben jenseits des Angriffs auf das Territorium eines Mitgliedslandes.

Studie der Clinton-Administration vom 24. Februar 1997

Die gesamten Erweiterungskosten für die Jahre 1997 bis 2009 werden in dieser Regierungsstudie mit 27 – 35 Mrd. Dollar beziffert. Die jährlich fällige Summe betrage daher kombiniert für die USA, die Alliierten und die (ungenannten) Neuen 2,1 – 2,7 Mrd. Dollar. Diese Gesamtsumme wird noch einmal in drei Kategorien unterteilt: erstens die »Kosten der Neumitglieder für militärische Umstrukturierungsmaßnahmen« (10 – 13 Mrd. Dollar), zweitens die »Verstärkung regionaler Fähigkeiten« der bisherigen europäischen Alliierten und Kanadas (8 – 10 Mrd. Dollar), und drittens die »direkten Erweiterungskosten« (9 – 12 Mrd. Dollar).

Die USA wollen sich nur an dieser dritten Kostenkategorie beteiligen, da die Kosten für die beiden anderen genannten Kategorien – nämlich »new members' military restructuring« (10-13 Mrd.) und »NATO regional reinforcement capabilities« (der bisherigen Alliierten, 8-10 Mrd.) – in jedem Fall, also auch ohne Osterweiterung der Allianz, entstanden wären.

Als Schlüssel für die Aufteilung der direkten Kosten wird genannt: 40% durch die Neuen selbst, 60% aus gemeinsamen Töpfen. Die Neuen zahlten damit 3-4,5 Mrd. bis 2009, die jetzigen Allianzmitglieder ohne die USA 4,5-5,5 Mrd. Die USA wollen sich danach zwischen 2000 bis 2009 lediglich mit 1,5-2 Mrd. Dollar an den gemeinsamen Kosten beteiligen, das sind 150-200 Millionen Dollar jährlich.

Die (nicht namentlich genannten) Neumitglieder sollen bis 2009 für 10 – 13 Mrd. Dollar ihre Bodentruppen modernisiert, ihre Luftwaffe »verwestlicht« und passende Luftabwehrsysteme erworben haben. Nur für die Luftwaffe gibt es eine recht konkrete Vorgabe: Die Beschaffung einer »squadron« (etwa 15-20) von westlichen, modernisierten Kampfflugzeugen pro Neumitglied sei vorzusehen. Die 15 NATO-Partner (ohne die USA) sollen mit Hilfe der 8 – 10 Mrd. Dollar die Fähigkeiten ausbauen, welche ihre Truppen auswärts – d.h. jenseits der Aufgabe der Landesverteidigung – schnell verwendungs- und einsatzfähig werden lassen. Eine Kombination aus vier Divisionen und sechs Luftgeschwadern wird unter Hinweis auf das ARRC (Allied Commander Europe Rapid Reaction Corps) für erforderlich erklärt. Die 9 – 12 Mrd. Dollar teuren Maßnahmen der »direkten Erweiterung« dienen der Interoperabilität zwischen bisherigen Alliierten und Neuen sowie der Ausdehnung von NATO's integrierter Kommando- und Kommunikationsstruktur und den Luftverteidigungs- und Luftüberwachungssystemen.

Im übrigen wird wiederholt argumentiert, daß auch ohne die NATO-Erweiterung für die mutmaßlich demnächst neu aufgenommenen Staaten erhebliche Kosten für die Modernisierung ihrer Streitkräfte anfielen. Die Partizipation an einem Bündnis sei dagegen mittelfristig billiger, da sie Arbeitsteilung ermögliche. Mehrfach wird als politisch-strategisches Ziel formuliert, daß eine erweiterte NATO sich künftig besser für die Wahrung ihrer Interessen jenseits der Territorien der Mitgliedsstaaten und jenseits der Grenzen Europas einsetzen könne. Damit ist eine Zielvorstellung künftiger NATO-Politik ausgesprochen, welche die USA im Gegensatz zu den meisten europäischen Verbündeten schon länger verfolgen.

Vergleichendes Fazit

Bedrohungsszenarien und Konkretion:

Bei allen drei Analysen ist Vorsicht gegenüber den Aussagen angezeigt, welche die Autoren selbst über ihre Bedrohungsannahmen machen. Faktisch rechnen alle drei mit der Notwendigkeit für die NATO, die neuen Mitgliedsstaaten gegen russische Angriffe verteidigen zu können. Sagen tut dies allerdings nur die CBO-Studie. Die RAND-Autoren und das Regierungspapier vermeiden explizite Aussagen, schließlich sollen – so die politische Vorgabe – weder der US-Congress noch Rußland gegen die Erweiterung aufgebracht werden (Drozdiak, 1997). Deshalb sind auch die selbstverpflichtenden »drei No's« der NATO vom Dezember 1996 explizit im Text enthalten, es bestünden weder Absicht noch Pläne noch ein Grund, Atomwaffen auf dem Territorium der Neuen zu stationieren.

Die CBO-Studie ist nicht nur die bei weitem ausführlichste, sondern auch die konkreteste der drei vorgestellten Arbeiten. Aus den Rahmendaten der fünf Optionen werden detaillierte militärische Folgerungen auf nachvollziehbare Weise abgeleitet. Es handelt sich um eine militärpolitisch konservative, konsistente und gründliche Studie mit einer umfangreichen Aufrüstungsperspektive. Sowohl die RAND-Analyse als auch das Regierungspapier sind viel kürzer, »politischer« und oberflächlicher. Vor allem letzteres ist aufgrund der wenigen militärischen Angaben nur scheinbar konkret, zudem recht unübersichtlich geschrieben. In beiden Arbeiten finden sich keine klaren Ableitungen und Schlußfolgerungen, was die Erweiterung für die Alliierten und die Neumitglieder militärisch und finanziell bedeuten könnte.

Militärisch-konzeptionelle Aspekte:

Hinter den Arbeiten von RAND und von der Regierung steckt die mit dem Strategischen Konzept der NATO von 1991 veränderte Vorstellung von Kriegführung. Da auf dem Territorium der Neuen keine Atomwaffen und keine NATO-Truppen dauerhaft stationiert sein sollen, liegt die strategische Absicht vor allem der US-Regierung in der Verbesserung der Rapid Reaction-Fähigkeiten der bisherigen europäischen Alliierten sowie in dem Aufbau der Fähigkeiten in den neuen Mitgliedsstaaten, im Krisenfall diese Kräfte zu beherbergen. Beabsichtigt ist explizit eine Fortschreibung der Verstärkungs- und Projektionsfähigkeiten der erweiterten Allianz, wie sie bisher schon mit dem Aufbau des ARRC begonnen wurde.

Die Rolle deutscher Soldaten in künftigen Krisenfällen auf dem Territorium der Neuen wird daher von RAND gar nicht explizit und in der Regierungsanalyse nur indirekt behandelt. Letztere spricht von vier Divisionen (und sechs Geschwadern), die im Zusammenhang mit dem insgesamt zehn Divisionen umfassenden ARRC nach Osten entsandt werden könnten. Damit dürften die nördlichen Divisionen gemeint sein – neben zwei britischen eine deutsche Division und eine deutsche Brigade der insgesamt vier Brigaden umfassenden Multinational Division Central. Das ARRC steht unter britischem Kommando. Hier wäre die Rolle der deutschen Soldaten eine starke, aber nicht unbedingt dominante.

Anders bei der CBO-Studie, welche den erdrückenden militärischen Anteil der Verteidigung der neuen NATO-Mitglieder dem deutschen Heer und der Luftwaffe zuteilt. Konkrete Hinweise auf das ARRC und dessen Philosophie der schnellen Truppen-Verlegbarkeit außerhalb der NATO-Region werden hier vermieden.

Was die finanziellen Konsequenzen dieser unterschiedlichen Gewichtung des deutschen Anteils an der möglichen Verteidigungsanstrengung für die Neumitglieder betrifft, darüber gibt es nirgends exakte Angaben. Beide Pfade – sowohl die künftige Rolle Deutschlands als militärische »Schutzmacht« für die MOE-Staaten, wie CBO sie anzupeilen scheint, als auch die stärkere Beteiligung der Bundeswehr an ARRC-Einsätzen innerhalb und außerhalb des NATO-Territoriums, wie sie RAND und US-Administration wünschen – machen erhöhte Investitionen in bestimmte Systeme »notwendig«, welche eine Ausweitung des deutschen Wehretats unabweislich werden ließen.

Rüstungswirtschaftliche Überlegungen:

Es scheint noch nicht entschieden zu sein, welche Form der militärischen Ausstattung oder Strukturhilfe zunächst für Polen, Tschechien und Ungarn angestrebt wird.

Die bereits zitierte Ausgabe des der deutschen Rüstungsindustrie nahestehenden Griephan Reports prognostiziert, daß die deutsche Rüstungsindustrie nicht kurzfristig von der NATO-Osterweiterung profitieren kann. Besser sehe die mittelfristige Perspektive aus, wenn es um die Modernisierung der »Landsystemtechnik« gehe. Für den Fall, daß die Bundeswehr die Rolle des Protektors der mittelosteuropäischen Staaten übernimmt, dürfte die deutsche wehrtechnische Industrie mittel- und langfristig davon in erheblichem Ausmaß profitieren.

Die Vereinigten Staaten machen insbesondere im Bereich der Luftfahrt die aggressivste Industriepolitik. Es besteht in dem »NATO Enlargement Facilitation Act« von 1996 die Vorgabe, »advanced fighter aircraft« in die neuen Mitgliedsstaaten zu transferieren. Viele votieren für die verbilligte Abgabe gebrauchter amerikanischer Kampfflugzeuge (F-16 und/oder F/A-18), um die amerikanische Luftwaffenindustrie zu unterstützen. Die US-Regierung unterstützt die eigene Rüstungsindustrie mit der Regionalen Luftraum-Initiative, die vier Staatengruppen in Osteuropa eine Mitfinanzierung von Modernisierungsmaßnahmen der jeweiligen zivilen und militärischen Luftraumüberwachung und Flugsicherung anbietet (Griephan, 1996: 7). Dazu zählt auch die Anpassung der Freund-Feind-Erkennung sowie die Einrichtung regionaler Luftraum-Überwachungs-Koordinationszentren. Manche Experten in der US-Regierung und in den europäischen Hauptstädten befürworten dagegen den Einsatz der begrenzten Ressourcen dieser neuen Mitglieder zunächst für Peacekeeping-Aufgaben und sodann für die Umstrukturierung auf »defensive Systeme« (Gallis, 1997: 13f.).

Die tschechische Regierung scheint sich prinzipiell für den Kauf von 10 bis 20 westlichen Kampfflugzeugen entschieden zu haben, wobei deren Finanzierung noch weitgehend ungeklärt ist. Vielleicht erfolgt sie auf dem Weg einer ausländischen Beteiligung an dem kriselnden tschechischen Rüstungsunternehmen Aero Vodochody, das zur Teil-Privatisierung ansteht (NZZ 10.02.1997 und BGA 30.03.97). Den Polen wird Interesse an 150 bis 200 gebrauchten Kampfflugzeugen aus dem Westen nachgesagt. Ungarn scheint an dem schwedischen Gripen-Jäger großes Interesse zu haben. Wie all dies finanziert werden soll, ist noch unklar. Jedenfalls konkurrieren mehrere NATO-Staaten und Schweden scharf gegeneinander um die mittelosteuropäischen Rüstungsmärkte (Wetzel, 1997 und Griephan, 1996).

Es gibt warnende Stimmen, die – basierend auf den jüngsten Zahlen von Gesamtkosten zwischen 27 und 35 Milliarden US-Dollar vom 24. Februar 1997 – einen so hohen Anteil der Europäer an der Finanzierung für unrealistisch halten (Gordon, 1997). Insofern liegt die Vermutung nahe, daß weder die bisherigen Alliierten noch die Neumitglieder über eine Erhöhung ihrer Verteidigungsbudgets die notwendigen Summen bereitstellen können oder wollen. CBO sagt, daß die Visegrad-Staaten zur Finanzierung ihres Anteils an der ersten Option den Anteil investiver Ausgaben an ihren Wehrhaushalten um 600% steigern müßten. Dagegen spricht eine neuere Kostenstudie der polnischen Regierung, die besagt, die Anpassung der Kommando- und Kommunikationssysteme sowie die Beschaffung einer kompatiblen Luftverteidigung für Polen werde als Erweiterungsleistung zunächst ausreichen und nur 1,26 Mrd. Dollar kosten (Gießmann, 1997).

Aus all' diesen Aspekten wird deutlich, daß die Höhe und die Verteilung der Kosten für die NATO-Osterweiterung noch ungeklärt sind. NATO's National Resource Board, der die gemeinsamen Gelder für militärische Infrastrukturprojekte – derzeit betragen sie jährlich 780 Millionen Dollar – verwaltet, wird in diesen Tagen einen neuen Bericht über die mutmaßlichen Kosten der Ausweitung der NATO-Infrastruktur nach Osten fertigstellen, der den NATO-Außenministern Ende Mai 1997 im portugiesischen Sintra vorgelegt wird. Auch diese Zahlen sollen niedrig gehalten sein, indem sie nur Minimalziele für infrastrukturelle Kompatibilität der Neuen mit NATO-Systemen formulieren (Tigner, 1997).

Literatur

Schwennicke, Christoph (1997): Was Rühe nicht paßt, wird totgeschwiegen, SZ, 28.04.1997.

Kuhn, Gisbert (1997): Die NATO-Erweiterung wird Deutschland Milliarden kosten, Bonner Generalanzeiger, 03.05.1997.

Eland, Ivan (1996): Congressional Budget Office, The Costs of Expanding the NATO Alliance, CBO Papers, Washington, D.C., March 1996.

Asmus, Ronald D./Richard L. Kugler/F. Stephen Larrabee (1996): What Will NATO Enlargement Cost? Survival 38 (Autumn 1996) 3, 5-26.

Report to the Congress on the Enlargement of the North Atlantic Treaty Organization (1997): Rationale, Benefits, Costs and Implications. Released by the Bureau of European and Canadian Affairs, U.S. Department of State, February 24.

Adam, Werner (1997): Neues aus dem Kummerkasten, FAZ, 24.04.97.

Lippman, Thomas W. (1997): U.S. Share of NATO Expansion Costs Estimated at $ 200 Million Yearly, The Washington Post, 23.02.1997.

Friedman, Thomas L. (1997): Expand NATO? The Senate Should Just Say No, International Herald Tribune, 29.04.1997.

Griephan Special Wehrdienst (1996): Die NATO-Osterweiterung. Auswirkungen auf die Rüstungsindustrie, (Oktober) 4.

Drozdiak, William (1997):The Price of an Enlarged NATO 'on the Cheap' Is High in Problems, International Herald Tribune, March 13, p. 7.

Gallis, Paul E. (1997): NATO: Congress Adresses Expansion of the Alliance, CRS Issue Brief, Updated February 20.

NZZ 10.02.1997: Sorgen Prags mit der Luftverteidigung.

BGA 30.03.1997 (Bonner Generalanzeiger): Prag kauft westliche Kampfflugzeuge.

Wetzel, Hubert (1997): Sturmangriff auf die östlichen Waffenkammern, SZ, 29.01.1997.

Gordon, Philip H. (1997): Will Anyone Really Pay to Enlarge NATO – and If So, Who?, International Herald Tribune, 30.04.1997.

Gießmann, Hans-Joachim (1997): Fast umsonst? Was Polen für einen NATO-Beitritt zahlen will und was es dafür erwartet. In: Streitkräfte und Strategien (verantwortlicher Redakteur: Karl-Heinz Harenberg), NDR 4, 02.05.1997, S. 7-13.

<>Tigner, Brooks (1997): Infrastructure Complicates NATO Growth, Defense News, April 21-27, p. 4.<>

Anmerkungen

1) Das 25seitige Papier mußte die Administration auf Geheiß des mittlerweile ausgeschiedenen Senators Sam Nunn im Rahmen des FY 1997 Defense Authorization Act vorlegen. Zurück

Jutta Koch ist freie Publizistin und Mitarbeiterin im Deutschen Bundestag.