Die Weltsicht der Weltmacht

Die Weltsicht der Weltmacht

von Frank Unger

Der amerikanische Präsident Clinton verfügt heute über eine politische Macht und ein Einflußpotential in der Welt, die alles in den Schatten stellen, was irgendeiner seiner Vorgänger jemals zur Verfügung hatte. Militärisch sind nach dem Zusammenbruch der Roten Armee die Streitkräfte der USA so überlegen, daß sie es mit dem gesamten Rest der Welt aufnehmen könnten, wenn sie müßten. Aber sie brauchen ja gar nicht: Denn die eigentliche Basis ihrer gegenwärtigen unangefochtenen Welthegemonie ist weniger die »harte« als die »weiche« Macht. »Weiche« Macht bedeutet – in Abwandlung einer berühmten Definition von Max Weber – die Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen weitgehend bereits dadurch durchzusetzen, daß der Gedanke an Widerstreben als unanständig erscheint.1

Gegenüber dem Rest der Welt wird heute nicht nur die Führungsposition beansprucht, sondern auch die Rolle des Vorbildes reklamiert, zusammengefaßt in der offiziellen Selbstcharakterisierung, die »one indispensable nation« zu sein. In den meisten Ländern dieser Welt, allemal in Europa, wird diese Unbescheidenheit ohne Widerrede akzeptiert. Es scheint, als sei die amerikanische Rhetorik selbst zum universellen Kriterium der Wahrheit geworden!

Für das Selbstverständnis der amerikanischen Eliten ist dies keineswegs ein Wunder, sondern vielmehr der Ausdruck dafür, was sie immer schon behauptet haben: daß die Vereinigten Staaten durch ihr politisches Handeln schlicht die Interessen der Menschheit verfolgen. Vor anderthalb Jahrhunderten schrieb Herman Melville: „…wir Amerikaner sind das auserwählte Volk – das Israel unserer Zeit. Wir tragen die Bundeslade mit den Freiheiten dieser Welt… Gott hat Großes für uns vorherbestimmt, die Menschheit erwartet große Dinge von unserem Volk, und große Dinge bewegen wir in unserem Herzen. Die übrigen Nationen werden bald hinter uns bleiben. Wir sind die Pioniere der Welt; die Vorhut, ausgesandt in die Wildnis, um in der Neuen Welt, die die unsere ist, einen neuen Pfad zu bahnen. Wir haben lange genug gezweifelt, ob der politische Messias wirklich gekommen ist. Aber er ist gekommen in UNS.“ (Melville 1954: 211f)

Und vor gut einem Jahr drückte Warren Christopher den gleichen Gedanken etwas prosaischer aus: „Bei meinen Reisen ins Ausland wird mir überdeutlich klar, warum Amerika immer noch die vorherrschende Macht der Welt ist. Die Nationen der Welt blicken auf uns als verläßliche Führungsmacht mit hohen Grundsätzen. Sie sehen uns als optimistisches Volk, das durch seine Interessen motiviert und von seinem Potential geleitet ist. Sie folgen uns, weil sie verstehen, daß Amerikas Kampf für Frieden und Freiheit der Kampf der Welt ist (Hervorhebung von mir, F.U.). Wenn wir unsere Führungsrolle erhalten wollen, müssen wir weiterhin gemäß den besten Traditionen unserer Nation und unseres Volkes handeln.“ (Christopher 1996: 3)

Welche Traditionen spricht Christopher hier an? Zwischen Oktober 1787 und August 1788 schrieben Alexander Hamilton, James Madison und John Jay eine Reihe von politischen Artikeln für verschiedene New Yorker Zeitungen, mit denen sie in die laufende Debatte um die politische Organisationsform der gerade von England losgelösten Kolonien eingreifen wollten. Es ging um die Frage: lockerer Staatenbund oder festgefügter Bundesstaat. Die »Federalists« Hamilton, Madison und Jay traten entschieden für letzteres ein. Aber es ging nicht nur um die Frage Bundesstaat an sich, sondern auch darum, was für ein Bundesstaat. Im Federalist No.10 schreibt James Madison, den Historiker später den „Marx der herrschenden Klasse“ genannt haben, folgendes:

„Dehnen wir unser Gebiet aber aus, umschließt es auch eine größere Vielfalt von Parteien und Interessen; dadurch wird es weniger wahrscheinlich, daß eine Mehrzahl von Bürgern ein gemeinsames Motiv, die Rechte anderer Bürger zu verletzen, entwickeln kann. Wenn ein solches Motiv aber dennoch existiert, wird es für alle, die ihm anhängen, schwieriger sein, ihre wirkliche Stärke zu entdecken und gemeinsam vorzugehen.“ (Hamilton e.a. 1961: 83)

Madison ging es hier vor allem um die Verhinderung demokratischer Mehrheitsherrschaft über die Minderheitsinteressen der Eigentümer und Bildungseliten, für die er (wie seine Co-Federalists) die ständige politische Führung (als diejenigen „mit dem größten Interesse am Bestehen des Ganzen“) im republikanischen Staat reservieren wollte. Gleichzeitig formulierte er damit auch zum ersten Mal ein ganz wesentliches Element der politischen Weltanschauung der amerikanischen Eigentümerklassen: die Befürchtung nämlich, daß die bestimmte Art ökonomischer Freiheit, die das Wesensmerkmal des »guten Lebens« in Amerika und damit auch dessen spezielle Faszination ausmachen, nicht auf Dauer bewahrt werden könne, wenn nicht ständig neue Gebiete – zunächst des Kontinents selbst, schließlich aber auch anderer Kontinente – in den Bereich der USA eingeschlossen würden, in welcher Form auch immer. Mit anderen Worten: Madison postulierte einen Zusammenhang von Freiheit und Expansion. Dabei wird die Freiheit und die Demokratie »innen« zum selbstverständlichen und ausreichenden Rechtfertigungsgrund für Enteignung oder Vertreibung »außen«.

Den Schlüssel für das Verständnis dieses Bedingungszusammenhangs liefert eine Analyse der Bedeutung des amerikanischen Worts »frontier«. Es bezeichnete das »Grenzland« während der Zeit der allmählichen Westausdehnung der Vereinigten Staaten, d. h. jeweils jene neuerworbenen westlichen Gebiete, in denen europäische Siedler sich bereits niedergelassen hatten, die »Ersten Amerikaner« aber noch Rückzugsgefechte gegen die europäischen Landnehmer austrugen und insgesamt die Institutionen der »Zivilisation« noch nicht vollständig durchgesetzt waren. Für den Historiker Frederick Jackson Turner, der gegen Ende des letzten Jahrhunderts seinen Ruhm darauf gründete, daß er die »frontier« für das amerikanische Selbstbild entdeckte (Turner 1893), bedeuteten die jeweils neuen Gebiete der Landnahme die spezifische Quelle der amerikanischen Singularität. In den Wellen der Westausdehnung habe sich die ganze Nation unaufhörlich „demokratisch verjüngt“. Was damit gemeint war, erklärte Turner so: Das Land habe auf diese Weise allen sozialen Problemen entkommen können, die die europäischen Nationen während der Phase ihrer Industrialisierung hatten, denn die Verlierer der ökonomischen Konzentrationsprozesse hätten theoretisch stets die Stätten ihrer Niederlage verlassen und es weiter im Westen noch einmal versuchen können. Auf diese Weise seien sie weder auf revolutionäre Gedanken gekommen,noch sei es ihnen eingefallen, nach dem Sozialstaat zu fragen. Die Imagination des „offenen Landes“ im Westen mit seiner ständigen Verheißung eines „neuen Lebens“ habe wie ein soziales Sicherheitsventil funktioniert.2

Die unausgesprochene Prämisse der »frontier«-These war, daß nur besitzende Menschen weißer Hautfarbe, nordwesteuropäischer Herkunft mit ausreichenden englischen Sprachkenntnissen als legitime Subjekte für Demokratie anzusehen seien; nur sie hätten die sittlichen, geistigen und religiösen Voraussetzungen, um selbstverantwortlich in eigenem Namen handeln zu können. Unter dieser Voraussetzung leuchtet sie ein: Mangels ausgeprägter Institutionen und angesichts gemeinsamer Feinde waren sie im Umgang miteinander zur Kooperation gezwungen und zur Gleichheit genötigt. Kriterien für gegenseitiges Vertrauen waren nicht Papiere oder Diplome, sondern der gemeinsame Phänotyp und das ehrliche Gesicht, ersatzweise auch die Kirchenzugehörigkeit. Einige Historiker haben in diesem Zusammenhang von der Gesellschaft der USA als einer »Herrenvolkdemokratie« gesprochen – einer jener aus den angelsächsisch-protestantischen Traditionen entspringenden überseeischen Kulturen der europäischen Expansion, in denen religiöse »Nonkonformisten« oder andere Außenseiter den verknöcherten Hierarchien Europas entkamen und stark egalitär eingefärbte Gesellschaften errichteten, in denen gleichzeitig aber »Farbige«, wie zahlreich auch immer sie sein mochten, als permanente Fremde und Außenseiter behandelt wurden (siehe van den Berghe 1967). In den USA galt letzteres zunächst auch für nicht-angelsächsische »Weiße« (Iren, Osteuropäer, Südeuropäer).

Charakteristisch für die US-amerikanische Herrenvolkdemokratie ist nun, daß dieses dualistische Verständnis von Gleichheitsideologie und Kompromißbereitschaf »nach innen« und bedingungslosem, bis zum Genozid gehenden Durchsetzungswillen »nach außen« nicht nur bei der ursprünglichen Besitznahme des eigenen Territoriums leitend war, sondern sich anschließend auch in der Außenpolitik der Weltmacht USA fortsetzte. Kriege der USA waren stets »Weltanschauungskriege« und das Kriegsziel niemals etwas anderes als die bedingungslose Kapitulation des Gegners (siehe Weigley 1973). Erst in Vietnam mußte diese Tradition notgedrungen aufgegeben werden.

Häufig wird in diesem Zusammenhang auf das religiös begründete Sendungsbewußtsein der Amerikaner hingewiesen. Die Sehnsucht nach der »Stadt auf dem Hügel« oder die Vorstellung, das »neue Kanaan« zu repräsentieren, existieren mit vielen anderen Auserwähltheitsmythen und millenaristischen Geschichtsbildern in der Religion des Volkes, vor allem den verschiedenen Spielarten des puritanischen Protestantismus. Aber in den USA wird die Außenpolitik nicht vom Volk gemacht. Sie ist ausschließlich das Vorrecht der Eliten, auch wenn diese ihre Entscheidungen mitunter in den Kategorien des Volkes begründen, vor allem, wenn Wahlen anstehen. Die außenpolitischen Grundentscheidungen aber fallen in Gremien, die normalen Wahlen nicht unterworfen sind. Sind sie getroffen, dann gelten sie als »überparteilich«, d.h. jeder Präsident ist praktisch daran gebunden.

Die Eliten sind keine Puritaner mehr. Sie sind auch sonst nicht besonders religiös. Ihre Sicht auf die Welt ist jeweils von inneren Problemen und Diskursen bestimmt (vgl. Dallek 1983). Die übergreifende Schlüsselfigur zum Verständnis ihrer zeitgenössischen Weltsicht jedoch ist der 28. Präsident der Vereinigten Staaten, Woodrow Wilson (1913 – 1920). Er war erstens anglophil und ein großer Bewunderer der britischen Weltmacht. Zweitens war er entschiedener Anti-Imperialist. Darin sah Wilson keinen Widerspruch, denn in seinem Verständnis war die totale globale Vorherrschaft Großbritanniens während der größten Teile des 19. Jahrhunderts kein Imperialismus, sondern das genaue Gegenteil davon: ein das Gesamtwohl der Menschheit beförderndes Weltsystem, in dem britische Geschäftsleute, Industrielle und Banker in eigenem Interesse, aber dadurch zum Wohle aller die Weltwirtschaft gemanagt hätten. Imperialismus und Kolonialismus seien in seinem Verständnis erst dann entstanden, als die übrigen europäischen Mächte bzw. deren Regierungen aus »nationalistischer« Machtgier sich jeweils große Teile des bis dahin offenen Weltmarkts exklusiv reservieren wollten. Damit hätten sie sich am Ende ins eigene Fleisch geschnitten, denn in den Augen Wilsons wurde dadurch die friedlich funktionierende »Pax Britannica« durch die bornierte Konkurrenz der nationalen Monopolbourgeoisien und der von ihnen manipulierten Nationalstaaten ersetzt. Diese habe dann zum Weltkrieg geführt, zum „Bruderkrieg der zivilisierten Nationen“. Wilsons Vision war die Wiederherstellung der »Pax Britannica« unter neuer Leitung (vgl. Levin 1968, Mayer 1964, Weiler 1982).

Das neue Management sollte die amerikanische business community sein. Die Vereinigten Staaten von Amerika waren nicht nur schuldenfrei, sondern als Haupt-Gläubigernation aus dem Ersten Weltkrieg hervorgegangen. Allein ihre Wirtschaftsführer seien in der Lage, die globale Rolle ihrer britischen Vettern fortzusetzen. Sie selbst sahen das ebenso. Seit Beginn des Krieges warben exportorientierte Kreise unermüdlich für die Schaffung einer »Friedensliga«. Gefordert wurde der Zusammenschluß der »efficient civilized nations« zu einem Bündnis, das künftige Kriege verhindern bzw. den Frieden gegen Aggressoren erzwingen könnte. Im ursprünglichen Entwurf sollte dieser Bund »League of Great Nations« heißen und eben nur jene umfassen, aber man einigte sich schließlich auf „all the Great Powers, all the Secondary Powers of Europe and the ABC countries of South America (i.e. Argentinien, Brasilien und Chile).“ (Latane 1932: 61) Alle anderen sollten der kombinierten Friedensgewalt dieses Bündnisses unterworfen werden. In Wilson fanden diese »One-Worlder« ihr politisches Sprachrohr.

Zur Realisierung dieser »pazifistischen« Vision ist es bekanntlich nicht gekommen. Der von Wilson vorgeschlagene und propagierte Völkerbund mußte ohne die USA auskommen, weil er Teilen der amerikanischen Eliten selbst nicht ganz geheuer war. Man vermutete dort schlicht, daß amerikanischem Unternehmertum in so einem Klub der zivilisierten Völker am Ende doch bloß irgendwelche Fesseln angelegt werden sollten. Schließlich war man gerade erst zum Hecht im Karpfenteich herangewachsen. Man argwöhnte Regulierungsabsichten der ausgebufften Karpfen und bemühte die Gründerväter Washington und Jefferson, die vor »verstrickenden Bündnissen« mit Europäern gewarnt hätten. Nachdem in der Öffentlichkeit xenophobe Stimmung erzeugt worden war, verweigerte der Kongress die Zustimmung zu den Völkerbundverträgen (»Isolationismus«).

Woodrow Wilson starb bald nach seiner innenpolitischen Niederlage und wurde zwei Jahrzehnte lang praktisch wie ein toter Hund behandelt. Dann gelangten die amerikanischen Eliten zu der Einsicht, daß der »idealistische« Wilson mit seiner Vision eines durch Satzungen geregelten globalen Kapitalismus unter der Supervision englischsprechender Geschäftsleute doch nicht so weltfremd gewesen sei. Denn nach einer kurzen Scheinblüte in den zwanziger Jahren waren die Weltwarenströme, zunehmend behindert durch währungsschützende Maßnahmen in vielen Ländern, total zusammengebrochen. Allein auf sich gestellt, war der bis dahin boomende amerikanische Kapitalismus bald nicht mehr in de Lage, die produktive Tätigkeit im Inland wenigstens so weit aufrechtzuerhalten, daß alle genug zu essen bekamen. Ein gutes Drittel der Bevölkerung kehrte notgedrungen zu Natural- und Tauschwirtschaft zurück. Erst die mit der Mobilisierung für den Zweiten Weltkrieg verbundene Ankurbelung der Wirtschaft durch die Bundesregierung überwand die Great Depression.

Am Ende des Zweiten Weltkriegs standen die USA im Vergleich zum Rest der Welt noch überlegener da als am Ende des Ersten. Die amerikanischen Eliten sahen sich vor die Aufgabe gestellt, die Nachkriegszeit zu organisieren und die »Fehler«, die nach dem Ersten Weltkrieg gemacht wurden, zu vermeiden. Auf der Konferenz von Bretton Woods 1944 wurden die vertraglichen Grundlagen für eine multilaterale Weltwirtschaftsordnung mit frei konvertierbaren Währungen gelegt. Wenig später wurden die ersten Abkommen über den freien Welthandel und den Schutz von Investitionen geschlossen.

Diesmal hatten sich die »Internationalisten« gegen die »Isolationisten« durchgesetzt. In einer Art Manifest der Sieger erläuterten sie den neuen Konsens: „…die Berechenbarkeit und relative Freiheit der internationalen Märkte (im 19. Jahrhundert) waren in einem bedeutsamen Grad das Ergebnis der Macht und der liberalen Ideologie Großbritanniens und seiner konsequenten Befolgung des Laissez-Faire-Prinzips. Die Sicherheit der im 19. Jahrhundert bestehenden Verfassung ist oft der Pax Britannica – der Aufrechterhaltung der Freiheit der Meere und des Gleichgewichts der Kräfte zwischen den europäischen Staaten durch Großbritannien – zugeschrieben worden. Zweifelsohne fand das Wirtschaftssystem des 19. Jahrhunderts seinen vollkommensten Niederschlag in dem ungeheuren Freihandelsimperium – zu dem alle anderen Länder freien Zutritt hatten –, das durch die britische Kolonialherrschaft und die britische Handelspolitik geschaffen worden war. Die britische Regierung zögerte nicht, ihre unbestrittene wirtschaftliche und politische sowie ihre Macht zur See zu gebrauchen, um die materielle Sicherheit des Welthandels und der Auslandsinvestitionen aufrechtzuerhalten, die Verantwortlichkeit auf kommerziellem und finanziellem Gebiet zu sichern und die Freiheit des internationalen Handels- und Zahlungsverkehrs – nicht nur innerhalb des Empire, sondern auch außerhalb desselben – gegebenenfalls zu erzwingen.“ (Elliott 1955: 3)3

Diese Sätze illustrieren die primäre Selbstverständigung der amerikanischen Nachkriegseliten auf den »idealistischen« Wilsonismus. Er wurde allerdings »realistisch« ergänzt durch die Eindämmungsdoktrin, d.h. durch die Selbstverpflichtung zur militärischen »Verteidigung« der durch Bretton Woods definierten »Freien Welt« gegenüber dem Kommunismus bzw. der Sowjetunion, aber dies war ideologisch nachgeordnet. Allerdings war diese Ergänzung wiederum alles andere als unwesentlich. Die dadurch geschaffene Situation des »Systemgegensatzes« reproduzierte gewissermaßen im Bild von der zweigeteilten Welt das »frontier«-Paradigma der kontinentalen Landnahme: Demokratie und Kompromißbereitschaft »nach innen« verbanden sich mit kompromißlosem Durchsetzungswillen »nach außen«. Die Arena der internationalen Politik wurde nicht gesehen als offenes Feld mit verschiedenen Spielern und mannigfaltigen Interessen, sondern als manichäischer Dualismus von (gutem) »Innen« und (bösem) »Außen«, das es zu durchdringen und erobern oder, um im Bild der amerikanischen Rhetorik zu bleiben, zu »befreien« galt. Im Selbstverständnis der Weltmacht war das »machtgestützter Idealismus«.4 Machtsoziologisch gesehen war es eine Koalition zwischen den neuen, durch den Zweiten Weltkrieg geschaffenen und mit der Staatsmacht liierten industriell-militärischen Eliten und der traditionell wilsonistischen business community.

Als sich 1989-91 die Sowjetunion auflöste, brach dieses historische Zweckbündnis zusammen. Erkennbar wurde das im Streit über die Ursachen des »Sieges« über die Sowjetunion. Für die einen war es eine quasi-militärische, durch unerbittlichen Rüstungsdruck erzwungene Niederringung des Feindes, für die anderen waren es die ideelle Überlegenheit von Freiheit und Markt, die sich ultimativ durchgesetzt hatten. Daraus folgen jeweils unterschiedliche Strategien für die Zeit nach dem Kalten Krieg: Die einen sehen auch in einem kapitalistischen Rußland noch den potentiellen geopolitischen Rivalen, für die anderen ist mit der Abdankung des Kommunismus auch der Feindstatus erloschen.

Dieser Kampf ist noch nicht vollständig entschieden. Aber Vorentscheidungen sind getroffen. Die »Realisten« wehren sich vor allem gegen die NATO-Osterweiterung. Für sie bedeutet das zum einen die Gefahr der Selbstuntergrabung des Bündnisses, zum anderen waren sie es gewohnt, mit dem geostrategischen Gegner UdSSR gewissermaßen antagonistisch zu kooperieren. Aus beidem – der Kreierung eines Spannungszyklus und seiner anschließenden fachmännischen Entschärfung – schöpften sie Prestige und Pfründe. Präsident Clinton jedoch hat sich in seiner zweiten Amtsperiode eindeutig für den Weg des Wilsonismus entschieden. Seine Entscheidung für die Osterweiterung der NATO, die er auch im russischen Interesse sieht, wie sein laufender Versuch, China in den Bereich der asiatischen »Pax Americana« zu integrieren, werden von der amerikanischen business community breit mitgetragen. Dennoch sind beide nicht einfach als Aufträge einheimischer Wirtschafts- und Industriekreise abzutun, sondern auch als weltanschaulich inspirierte Richtungsentscheidungen zu interpretieren (siehe Walker 1997). Die Vereinigten Staaten von Amerika sind das einzige Land der Welt, in dessen Rhetorik beides vereint ist.

In den öffentlichen Reden und Erklärungen Präsident Clintons am Ende des Jahrhunderts erklingt inzwischen kaum verändert wieder, was Woodrow Wilson einst zu seinem Beginn gesagt hatte, als er verzweifelt versuchte, der »Isolationisten«-Fraktion im Kongreß das »internationalistische« Engagement nahezulegen: „Ich hoffe, wir werden es niemals vergessen, daß wir diese Nation nicht dafür aufgebaut haben, um uns selbst, sondern um der Menschheit zu dienen.“ (zitiert nach Gardner 1984) Nur Amerikaner wagen es, rhetorisch zu behaupten, die Verfolgung ihrer materiellen Interessen und die Beibehaltung ihres Way of Life würde automatisch zum Wohl der Menschheit gereichen.

Wenn ihnen doch aber niemand mehr widerspricht?

Literatur

Berghe van den, Pierre L. (1967): Race and Racism. A Comparative Perspective, New York.

Christopher,Warren (1996): Schutz der amerikanischen Interessen ist abhängig von Führungsrolle, in: AmerikaDienst, 24. Juli.

Dallek, Robert (1983): The American Style of Foreign Policy. Cultural Politics and Foreign Affairs. New York.

Elliott, William Yandell u.a.(1955): Weltwirtschaft und Weltpolitik. Grundlage, Strategie und Grenzen der amerikanischen Außenwirtschaftspolitik, München.

Gardner, Lloyd C. (1984): A Covenant With Power. America and World Order from Wilson to Reagan, New York.

Hamilton, A. /J. Madison/J.Jay (1961): The Federalist Papers, New York.

Isaacson, Walter / Evan Thomas (1986): The Wise Men. Six Friends and the World They Made: Acheson, Bohlen, Harriman, Kennan, Lovett, McCloy. New York.

Latane, John H. (ed.) (1932): The Development of the League of Nations Idea, New York, Vol. I.

Levin, N. Gordon, Jr. (1968): Woodrow Wilson and World Politics, New York.

Melville, Herman (1954): Weißjacke, Leipzig.

Meyer, Arno (1964): Wilson vs. Lenin: Political Origins of the New Diplomacy, Cleveland.

Smith, Henry Nash (1950): Virgin Land. The American West as Symbol and Myth, Cambridge, Mass.

Turner, Frederick Jackson (1893): The Significance of the Frontier in American History, in: Annual Report of the American Historical Association.

Walker, Martin (1997): Present at the Solution. Madeleine Albrights Ambitious Foreign Policy, in: World Policy Journal, Vol. XIV, No. 1, Spring 1997, S. 1-10.

Weigly, Russell F. (1973): The American Way of War. A History of United States Military Strategy and Policy, New York.

Weiler, Peter (1982): The New Liberalism: Liberal Social Theory in Great Britain 1889 – 1914, New York.

Anmerkungen

1) Die Originaldefinition von Max Weber findet sich in: Wirtschaft und Gesellschaft, Studienausgabe, Erster Halbband, Köln/Berlin 1964, S. 38. Zurück

2) Zum Verhältnis von Imagination und Wirklichkeit bei der Westexpansion siehe Smith 1950 Zurück

3) Dieses Buch (Elliott 1955) war sowohl als Selbstverständigung für den internen Gebrauch als auch für die Einweihung der kooptierten atlantischen Eliten gedacht. Als letzteres wurde es auch ins Deutsche übersetzt. Zu diesem Komplex siehe auch Isaacson/Thomas 1986. Zurück

4) Wichtig für die Bildung dieses Selbstverständnisses war der protestantische Theologe und Publizist Reinhold Niebuhr. Siehe hierzu vor allem seine Schrift The Children of Light and the Children of Darkness: A Vindication of Democracy and a Critique of Its Traditional Defense, New York 1944. In ihr wurden sämtliche legitimatorischen Argumente dafür, daß das freiheitliche Amerika im Kalten Krieg bei der Verteidigung der Freiheit auch zu terroristischen Mitteln greifen darf, vorweggenommen. Zurück

Dr. Frank Unger, Fellow am Center for the Humanities, Oregan State University, Privatdozent am FB Politikwissenschaften der FU Berlin.

Militärgewalt und Globalisierungsprozeß

Militärgewalt und Globalisierungsprozeß

von Andreas Buro

Das Ende des Ost-West-Konflikts hat die Bedingungen und Möglichkeiten für die Globalisierung enorm erweitert, ist doch die konkurrierende Gesellschaftsformation in sich zusammengebrochen. Gefallen ist damit auch in weiten Teilen der Welt die politisch bestimmte Barriere gegen die Expansion der Kapitalverwertung. Nicht mehr aufrecht zu erhalten ist das Bild von der militärischen Bedrohung. Da wir trotzdem seit Beginn dieses Jahrzehnts eine weitgehende Umgestaltung der militärischen Strukturen der führenden westlichen Staaten erleben, stellt sich die Frage nach dem Sinn des erneuten Aufbaus militärischer Gewaltpotentiale. Eine Antwort liegt nahe. Sie sollen, anknüpfend an bisherige historische Prozesse, als ein militärisches Korsett für die zu beobachtende Ausweitung der Globalisierung dienen, um sie gegen Störungen abzusichern.

Die bipolare Welt des Ost-West-Konflikts ist mit dem Zusammenbruch des sowjetischen Imperiums zu einer unipolaren Welt mit den USA als globaler militärischer Hegemonialmacht geworden. Im Bereich der westlichen Industriestaaten werden vorrangig schnelle Eingreiftruppen auf- und ausgebaut. Obwohl keine militärische Bedrohung dieser Länder erkennbar ist, wird die qualitative Aufrüstung systematisch fortgeführt und im Gefolge davon Rüstungsexport weiter betrieben. Die Umgestaltung der alten zu einer »neuen NATO«, wie sie neuerdings offiziell genannt wird, die außerhalb des Verteidigungsauftrages und des NATO-Vertragsgebietes, also out-of-area, tätig wird, zeigt eindeutig: Die reichen Industriestaaten unter Führung der USA organisieren ein weltweites militärisches Eingreifsystem. Darin übernimmt die NATO die Zuständigkeit vom Atlantik bis weit nach Afrika, Nahost und Asien. Der pazifische und südasiatische Bereich sollen von den USA in Kooperation vor allem mit Japan und regionalen Vereinbarungen kontrolliert werden.

Die USA mit ihren militärischen Potentialen spielen bei alledem die eindeutig führende Rolle. Vergleichbare Kapazitäten haben die europäischen NATO-Länder nicht aufzuweisen und auch kein asiatisches Land. Die Streitkräfte der NATO-Europäer sind zudem bislang militärpolitisch nicht vereint, ihre Gemeinsamkeit finden sie bislang nur im Rahmen der von den USA dominierten NATO. Die Bildung einer eigenständigen EU-europäischen Militärmacht im Rahmen der WEU steht noch am Anfang. Während die hegemoniale Position der USA im ökonomischen Bereich als einer langfristig strategisch sicheren Größe immer wieder angesichts der japanischen und der EU-europäischen Konkurrenz angezweifelt wurde, ist die globale Hegemonie der USA im militärischen Bereich unbestreitbar.

Die Umstellung von der alten »Abschreckungs-NATO« zu der neuen »out-of-area-NATO« verweist auf den großen Funktionswandel. Sie wird von einem Instrument der, wie auch immer fraglichen und bedrohlichen Verteidigung zu einem Instrument der Durchsetzung von Interessen außerhalb des eigenen Lebensbereiches. Gegenüber der »Schild-Funktion« gewinnt die »Schwert-Aufgabe« nun eine ganze neue Qualität.

Meine These: Die entwickelten kapitalistischen Industriestaaten, die mit ihrer Gesellschaftsformation und Produktionsweise die Sieger im Ost-West-Konflikt sind, bauen ein gemeinsames, globales militärisches Interventionssystem auf, in dem die USA eine eindeutige hegemoniale Position haben. Die Doppelzuordnung der wichtigsten EU-Staaten einmal zur NATO und einmal zur WEU, der potentiellen EU-Militärorganisation, spiegelt zwar die systemimmanenten Rivalitäten innerhalb der westlichen Industriestaaten in Europa und Nordamerika wider, ändert aber nichts an der Kooperation der G7 im gemeinsamen globalen Herrschaftsinteresse und an der Dominanz der USA.

Die Legitimation scheint zu lauten: Das Interventionssystem diene der Durchsetzung gemeinsamer und partikularer Interessen. Niemand solle aus der »Neuen Weltordnung« ausbrechen oder sie in Frage stellen dürfen. Diejenigen, die es doch wagten, riskieren militärisch gestützte Strafen und Isolierungen.

Unter dieser Perspektive wird auch verständlich, warum die NATO mit Moskau so hartnäckig um die »Osterweiterung« ihres Paktes feilscht und vor allem, warum sie Rußland um jeden Preis draußen halten will: Rußland, mit seiner gänzlich ungewissen Zukunft zwischen Weltmachtanspruch und Drittwelt-Ökonomie darf und kann aus G7-Sicht nicht teilhabendes Subjekt einer globalen militärischen Eingreifstrategie im Sinne der Neuen Weltordnung sein. Für Rußland ist nur die Rolle eines Objekts der Globalisierung vorgesehen. Es muß deshalb außerhalb des militärisch-strategischen Machtapparates bleiben. Um Moskau zu beruhigen und ihm den Übergang in die Objektrolle zu erleichtern, werden ihm „Zuckerl“ in Form unterschiedlich gearteter Partnerschaften angeboten. Das Zentrum der Macht bleibt jedoch für Moskau gesperrt.

Konkurrenzverlagerung auf das Militärische

Das Verhältnis zwischen den führenden Industriestaaten kann als kompetitiv-kooperierend beschrieben werden. Kooperierend im gemeinsamen Ziel der Globalisierung, konkurrierend um Anteile daran und um ihre jeweilige Position innerhalb der Hierarchie der Staaten. Die militärisch gestützte Hegemonie der USA im militärischen Eingreifsystem hat zur Folge, daß ein Druck entsteht, sich hieran militärisch zu beteiligen, will man nicht riskieren, aus der dominierenden Entscheidungsstruktur ausgeschlossen zu sein. Selbstverständlich entscheidet das eingebrachte militärische Potential über die Position und das Gewicht des Staates innerhalb des militärischen globalen Eingreifsystems. Dieses Einordnungsprinzip wird zu einem konkurrierenden Wettrüsten jene Staaten drängen, die innerhalb einer Region der Triade vergleichbare Potentiale einzubringen haben und deren hierarchische Über- oder Unterordnung deshalb unbestimmt ist. Ob angesichts solcher Mechanismen die Bildung etwa deutsch-französischer Brigaden mehr ist als eine augenblickliche Fixierung, darf wohl bezweifelt werden.

Die hegemoniale militärische Position der USA ist auf weite Sicht für einzelne Nationalstaaten uneinholbar. Etwas anders ist die Situation einzuschätzen, wenn ganze Regionen der Triade ihre Potentiale vereinheitlichen, zusammenlegen und unter eine gemeinsame politische Führung stellen würden. Der asiatische Bereich ist davon weit entfernt. In EU-Europa ist jedoch ein Ansatz hierfür in der WEU vorhanden. Die schwierigen Verhandlungen anläßlich der Neugestaltung der NATO über das Verhältnis NATO und WEU sind vor diesem Problemhintergrund zu betrachten.

Die Implikationen der militärischen Hierarchisierung zwischen den beteiligten Staaten der Triade sind vielfacher Art. Ich will nur auf drei Aspekte hinweisen.

  • Erstens ist diese Art der Verbindung der Interessensgemeinschaft der kapitalistischen Industriestaaten fern von allen demokratischen Prinzipien. Das Recht des Stärkeren, eingebunden in Paktvereinbarungen, die kaum eingeklagt werden können, ist hier als Regulativ festgeschrieben.
  • Zweitens wird die Rivalität unter den Paktmitgliedern um den jeweiligen Status ganz wesentlich durch seine Rüstungspotentiale bestimmt. Das bedeutet aber einen immanenten Antrieb zu ständiger Aufrüstung, die heutzutage im wesentlichen einen qualitativen Charakter mit hohem Ressourcenbedarf hat.
  • Drittens werden jene Staaten statusmäßig besonders geschätzt, die einen großen militärischen Beitrag leisten, wenngleich auch ihr Beitrag zur Sicherung von Menschenrechten, Demokratie und Wohlstand eher bescheiden ist. Wie anders kann man sonst die noch immer bevorzugte Behandlung der Türkei begreifen, welche die deklarierte Wertewelt der führenden Staaten so gröblich diskreditiert ?

Das Verhältnis der Hegemonial- macht zum System der VN

Die Zähmung des in seiner Grundkonstellation wölfischen Systems der internationalen Staatenwelt ist auch bislang nicht grundsätzlich gelungen. Viele Verträge, Protokolle und Institutionalisierungen, die der Einhegung dienen, sind gegenüber den schwächeren Staaten wirksamer als gegenüber den Stärkeren. Die starken Staaten und diejenigen, die in ihrer Gunst stehen, können Verstöße begehen, ohne daß diese wirklich geahndet werden. Die USA selbst sind hier zu nennen und beispielsweise Marokko, Israel, die Türkei oder Indonesien. Wenn die globale, unipolare Machtstruktur sich vornehmlich auf militärische Faktoren stützt, so ist nicht zu erwarten, daß die gänzlich anders konstruierten Vereinten Nationen gegenüber der unipolaren Struktur dominierend werden könnten.

Die häufig geäußerte Hoffnung, die UN könnten demokratisch reformiert werden und dann eine Verrechtlichung der internationalen Beziehungen bis hin zu einem Zustand einleiten, in dem internationale Beziehungen zu Weltinnenpolitik würden, hat wenig Wahrscheinlichkeit. Zu erwarten ist eher das Gegenteil, daß sich die unipolare Machtstruktur über die Weltinstitutionen, also auch die Vereinten Nationen erhebt und diese im Sinne ihrer Ziele instrumentalisiert. Vorgänge dieser Art sind bereits zu beobachten. Da wird die Zurückhaltung von Beitragszahlungen zur Durchsetzung von Veränderungen innerhalb der UN genutzt. Oder die USA setzen gegen die Mehrheit der Staaten in der Generalversammlung ihren Kandidaten für das Amt des Generalsekretärs durch. Bedeutender sind andere Vorgänge. Der UN-Sicherheitsrat übertrug de facto den USA die Wahl der »geeigneten Mittel« für die Exekution des Golf-Konfliktes, die damit zur fast uneingeschränkten Herrin des Verfahrens und selbst noch der Berichterstattung darüber wurde. Dies ging so weit, daß Washington den Sicherheitsrat nicht einmal mehr befragte, als es 1996 in Reaktion auf den Einmarsch irakischer Truppen in die kurdische Zone im Norden des Landes seine Kampfjets zur Bestrafung Bagdads starten ließ.

Symptomatisch ist auch die Situation in Europa. Die OSZE ist dort als eine Regionalorganisation der UN etabliert und wurde sogar 1990 noch durch die Pariser Erklärung – damals noch als KSZE – feierlich eingeführt. Sie ist heute durch die NATO ins Abseits gedrängt und zur politischen Hilfskraft degradiert worden. Damit wurde gleichzeitig ein Politikwechsel verbunden. Der Bau des gemeinsamen gesamteuropäischen Hauses wurde aufgegeben, während die NATO zum dominanten europäischen Ordnungsinstrument aufstieg. Kritiker sprechen also nicht zu Unrecht von einer „Militarisierung der Außenpolitik“. Die ängstliche Frage, die anzuschließen ist, lautet: Wird die neue unipolare Machtstruktur zu einer de facto Zerstörung des wichtigen Verständigungselementes UN führen, so wie einst der Völkerbund durch Machtpolitik funktionsunfähig wurde ?

Rüstungskontrolle oder Abrüstung

Seit dem Ende des Ost-West-Konflikts sind die Weltrüstungsausgaben gesunken, wenn auch nicht in dem erhofften Maße. Die Gründe hierfür sind von Staat zu Staat unterschiedlich. Es gibt auch, wie in Nahost und in Südostasien, erhebliche Aufrüstungsschübe. Die wichtigste Ursache ist der Abbau des europäischen Bedrohungsszenariums. Die dafür installierten Potentiale werden meist so nicht mehr benötigt. Das erfreuliche Sinken der Militärausgaben zeigt jedoch keinen generellen Kurswechsel in Richtung Abrüstung an. Vielmehr ist bei den führenden Militärmächten des Westens eine Umrüstung für die neuen Aufgaben zu erkennen. Deshalb sind die Ausgaben für Militärforschung und -entwicklung in diesen Ländern fast überall annähernd gleich geblieben. Es ist sehr wahrscheinlich, daß auf längere Sicht mit dem materiellen Ausbau der Interventionstruppen auch im Sinne der Fähigkeit zu counter-proliferation-Einsätzen der Ausgabentrend sich wieder nach oben wenden wird. Dies um so mehr, wenn die USA und in ihrem Gefolge die Triade-Mächte sich zum erweiterten Aufbau von Raketenabwehrsystemen entschließen sollten.

An diesem Trend zu weiterer qualitativer Aufrüstung ändern auch die Bemühungen der letzten Jahre um Rüstungskontrollvereinbarungen nichts. Solche Schritte sind zu begrüßen. Sie sind allerdings kein Hinweis darauf, daß die unipolare, hegemoniale militärische Struktur durch sie in Frage gestellt werden soll. Das Gegenteil ist der Fall. Die offiziellen Atommächte sind im Gegensatz zu früheren Verpflichtungen nicht bereit, auf ihre Nuklearwaffen zu verzichten, während es ihr Ziel ist, neue atomare Potentiale außerhalb des Kernbereiches der Triade nicht zuzulassen oder doch zu behindern. Rüstungskontrolle wird also nicht als Weg zu einer weitreichenden Abrüstung beschritten, sondern zur Sicherung der militärischen Dominanz der Triade mit den USA als Hegemonialmacht verwendet.

Bedingungen der Globali- sierung und ihr Verhältnis zur militärischen Gewalt

Obwohl ich das militärische Eingreifsystem und die politisch weitgehend unkontrollierte Globalisierung für verhängnisvoll halte, möchte ich die Frage in einem ganz systemimmanenten Sinne angehen. Aus Platzgründen setze ich mich nur mit sechs der mir am wichtigsten erscheinenden Bedingungen auseinander.

  • Die Kernbereiche industriell-kapitalistischer Entwicklung liegen in historischer Reihenfolge in Westeuropa, in Nordamerika und in Japan. Diese drei Bereiche werden bekanntlich als Triade bezeichnet. Jede von ihnen weist eine hohe intra-regionale Dichte ökonomischer und finanzieller Verflechtung auf, die in der Regel schneller wächst als die Verflechtung zwischen den Regionen der Triade. Damit besteht die Gefahr, das kompetitiv-kooperative Verhältnis zwischen den Teilen der Triade könne sich zu einer Situation der »imperialistischen Konkurrenz« umgestalten. Inter-regionale gegenseitige Be- oder sogar Ausgrenzungen wären nicht auszuschließen. Auch der militärische Bereich könnte davon berührt werden. Bestrebungen zur Erhöhung des militärischen Eigengewichtes sind als durchgängige Tendenz schon lange in Europa zu beobachten. Japan hat seine Militärausgaben von 1985-93 um 30 % erhöht. Sie sind etwa dreimal so hoch wie die Chinas. Die Tendenz ist steigend. Als Folge einer solchen »Entfremdung« zwischen den Teilen der Triade ist eine Konstellation denkbar, wie sie in den 30er Jahren zur Weltwirtschaftskrise, damals allerdings auf der Ebene der Nationalstaaten, geführt hat.

Könnte nun eine solche Entwicklung durch die unipolare, globale Militärstruktur korrigiert und verhindert werden? Eine militärisch gestützte Einflußnahme von EU-Europa oder Japan auf die Politik der USA ist von den Potentialen her ausgeschlossen. Aber auch umgekehrt ist dies auszuschließen, müßten doch dann die USA gegen den eigenen militärischen Unterbau des globalen Eingreifsystems vorgehen. Eine derartige Politik würde die Unsicherheit für die Kapitalexpansion in den betreffenden Gebieten so steigern, daß Globalisierungstransaktionen unterblieben. Eine solche Vorstellung der Nutzung von militärischer Dominanz kann als absurd beiseite gelegt werden.

  • Ich habe dargelegt, daß der unipolare Militäraufbau zur Fortsetzung der qualitativen Aufrüstung in allen Teilen der Triade führt. Damit werden über kurz oder lang auch die militärisch untergeordneten Bereiche der Triade allein in der Lage sein, militärisch in »ihrem Einflußbereich« ohne Hilfe der USA vorzugehen, so daß sie durch die Verweigerung amerikanischer Unterstützung nicht mehr unter Druck gesetzt werden können. In dieser Hinsicht ist nach dem Zusammenbruch der UdSSR und des Warschauer Paktes eine ganz neue Situation entstanden. Davor war der militärische Beistand der USA unabdingbar. Dies ist heute schon nicht mehr der Fall. Fazit: Für die ökonomische und damit auch politische Harmonisierung innerhalb der Triade ist die militärische Dominanzstruktur ungeeignet.
  • Peripher zu den Kernen der Triade liegende kapitalistische Staaten bieten z.T. innen- und rechtspolitische Verhältnisse, die für die Ausbreitung metropolitanen Kapitals erhebliche Behinderungen darstellen. Mafiose Strukturen, Privilegiensicherung, spezifische Interessen gewichtiger Sektoren der Gesellschaft bis hin zu entwicklungspolitischen Gesichtspunkten mögen die Ursache für solche Situationen sein. Im Sinne des Globalisierungsinteresses sind sie zu verändern und die Hindernisse aufzuheben. Nur sind hierfür militärische Mittel der unipolaren Machtstruktur wirklich einsetzbar? Auch hier ist die Tauglichkeit des Militärinstrumentes zu verneinen, geht es doch vorwiegend um innenpolitische Probleme. Selbst Militäraktionen wie in Haiti, Invasionen wie in Panama oder Blockaden wie gegen Kuba oder Nicaragua – wie recht- oder unrechtmäßig sie auch immer sein mögen, ist hier nicht zu erörtern – bedürfen keineswegs einer solchen globalen Militärstruktur. UN-Kontingente könnten den gleichen Effekt haben.
  • Ein Gebiet besonderen Interesses für die Globalisierung dürfte jener riesige Bereich sein, der unter sowjetischer Herrschaft den Weltmarktkräften weitgehend versperrt war. Es ist gegenwärtig nicht absehbar, welche gesellschaftspolitische Entwicklung die sehr unterschiedlichen GUS-Staaten nehmen werden. Doch ist dem ernsthaft mit militärischen Mitteln der globalen Militärstruktur beizukommen ? Waren es nicht Verhandlungen mit der Ukraine und Kasachstan, kombiniert mit Hilfsangeboten, die diese Staaten auf den Besitz von Nuklearwaffen verzichten ließen ? In diesen Gesellschaften werden auf absehbare Zeit innergesellschaftliche Konflikte eine große Rolle spielen, die selbstverständlich auch Globalisierungsinteressen der Triade direkt oder indirekt berühren können. Ihnen kann man allenfalls mit Vermittlungshilfen, nicht aber mit dem globalen Eingreifsystem begegnen.
  • Die großen Wirtschafts- und Finanzkräfte, welche die Globalisierung der Kapitalexpansion vorantreiben, sind in der Gegenwart nur noch beschränkt von der Politik der Nationalstaaten kontrollierbar, obwohl ihr Verhalten in hohem Maße die Verhältnisse in ihnen bestimmt. Zu fragen ist, hat nicht die militärische Globalstruktur eine systemimmanent wichtige Funktion zum Schutz »globalisierter« Räume, um zu verhindern, daß diese Bereiche im Sinne eines Roll-back sich wieder gegenüber Globalisierungstendenzen verschließen? Diese Frage bezieht sich auf sehr unterschiedliche Situationen. Erstens könnte es sich um Angriffskriege von Staaten mit einer anderen Gesellschaftsordnung handeln, zweitens auch um innergesellschaftliche Veränderungen, die zu einer Ausgrenzung von Globalisierung führen.

Bei der ersten Frage handelt es sich wohlgemerkt nicht einfach um zwischenstaatliche Kriege, die vielleicht Grenzverschiebungen oder die Aneignung von Bodenschätzen zum Ziel haben, die aber nicht zu einer grundsätzlich anderen Haltung zur Globalisierung führen. Solche Kriege können mit vorübergehenden Turbulenzen stören, auch können nationale Interessen der Großmächte, wie beispielsweise das Öl-Interesse der USA im Golf-Krieg, tangiert werden. Die Möglichkeiten der Globalisierung sind jedoch durch sie nicht gefährdet. So wünschenswert es ist, solche Kriege zu verhindern, so ist es doch nach den bisherigen Erfahrungen mehr als zweifelhaft, ob dieses mit interventionistischen militärischen Kräften möglich sein wird.

Doch das ist hier nicht das Thema. Die Frage ist, ob »globalisierte Räume« gegen staatliche Angriffe von außen unter Einsatz des globalen militärischen Eingreifsystems zu schützen sind. Eine solche Konstellation kann ich gegenwärtig nur in bezug auf das Verhältnis zwischen China und Taiwan erblicken. Dabei ist allerdings zu bedenken, daß China aus Gründen seiner wirtschaftlichen Entwicklung sich zunehmend dem Weltmarkt öffnet. Daß dies gelingt, liegt ebenso im chinesischen Interesse wie in dem der Globalisierungskräfte. Eine Aggression würde dieses Experiment gefährden und ist deshalb sehr unwahrscheinlich.

Zur zweiten Fragestellung: Eine Roll-back-Situation gegenüber erreichter Globalisierung ist dort zu erwarten, wo in Staaten sogenannte fundamentalistische Kräfte dominierend werden und die von ihnen errichtete gesellschaftlich-ökomische Ordnung den unbehinderten Kapital- und Warenverkehr entscheidend einschränkt. Solche Entwicklungen sind in der Regel eher sozial und entwicklungspolitisch begründet als religiösen Ursprungs, selbst wenn sie im kirchlichen Gewand daherschreiten. Während traditionelle Lebensformen zerstört wurden, sind große Teile dieser Gesellschaften aus dem westlich induzierten Entwicklungsprozeß ausgegrenzt und ohne Hoffnung auf Besserung an den Rand der Existenzsicherung gedrängt worden. Diese sozio-ökonomischen Prozesse sind häufig verbunden mit wachsendem staatlichen Terror und Gegenterror wie in Algerien. Einen neu beginnenden Prozeß dieser Art erleben wir gegenwärtig in der Türkei, einem hochgerüsteten NATO-Staat.

Diese Staaten sind meist arm, und fehlende Entwicklungsmöglichkeiten sind ihr Problem. Sie sind nach außen kaum aggressiver als andere Staaten. Eine militärisch-interventionistische Bekämpfung muß als dysfunktional und kaum möglich gelten, wie auch eine systematische Isolierung, die die sozialen und entwicklungspolitischen Probleme noch verstärkt, dysfunktional sein dürfte.

  • Die neue Welle der Globalisierung beruht nicht nur auf den neuen Möglichkeiten durch den Zusammenbruch des sowjetischen Imperiums. Sie beruht auch auf der relativen Kooperations- und Integrationsbereitschaft der wichtigsten Nationalstaaten der Triade. Es gibt nur wenige nationalistisch-extreme Strömungen in ihren Gesellschaften, die bislang internationale Zusammenarbeit grundsätzlich behindern können. Allerdings zeichnen sich Ansätze zu Veränderungen in dieser Hinsicht ab.

Die Auswirkungen ökonomisch-technologischer Veränderungen in der Produktion verbunden mit Folgen der globalisierten Standortsuche und Konkurrenz verstärken die Entsolidarisierung der Gesellschaften. Arbeitslosigkeit und ungleiche Einkommensverteilungen steigen. Die 2/3 Gesellschaft ist nicht nur in aller Munde, sie ist vielfach bereits Realität. Die Orientierung auf Globalisierung erscheint demgemäß vielen als schädlich und feindlich. Der nationale Staat soll sich dagegen wehren, obwohl er objektiv nur geringe Möglichkeiten hat, die ökonomischen Kräfte unter gesellschaftspolitischen Zielsetzungen zu lenken. Schließlich ist doch das Kapital „ein vaterlandsloser Geselle“. Würde sich die aus solcher Wahrnehmung der Lebenssituation wachsende nationalistische Tendenz in den Kernbereichen der Triade durchsetzen – der europäische ist besonders gefährdet – so dürfte in diesen die zwischenstaatliche Kooperation erheblich gestört werden. Protektionismus würde sich verstärken und Konfrontation untereinander in wechselnden Allianzen aufkeimen. Dies wäre zwar ein Nationalismus ohne Perspektive der Verbesserung der Lebensverhältnisse, vielleicht könnte er deshalb aber sogar besonders irrational und gefährlich sein.

Unter solchen Verhältnissen würde sich auch die globale Militärstruktur auflösen, so daß sich die Frage gar nicht mehr stellte, ob sie zur Herstellung von Kooperationsbereitschaft hilfreich sein könnte, zumal das Militär meist an der Spitze des Nationalismus zu marschieren pflegt. Es ist sogar anzunehmen, daß die Existenz der militärischen Potentiale eine wichtige Voraussetzung dafür bieten würde, aufkeimende nationalistische Konflikte in den Triadebereichen militärisch auszutragen. Der hier angedeutete Mechanismus dürfte auch für Staaten aus dem peripher-kapitalistischen Bereich in ähnlicher Weise, wenn auch unter anderen Bedingungen, zutreffen.

  • Offenheit für Kapitalexpansion, Berechenbarkeit und Stabilität in der Staatenwelt sind die wichtigsten Voraussetzungen für die Globalisierung. Sie erfordern eine Fülle von Vereinbarungen, Institutionalisierungen bilateraler, aber vor allem auch multinationaler Art. Sollen durch die Folgen ungehemmter, gesellschaftlich und ökologisch unverantwortlicher Kapitalexpansion nicht die Grundlagen für Globalisierung selbst zerstört werden, so bedarf es einer an globalen Zielen der Gestaltung menschlichen Lebens orientierten Politik. Ingomar Hauchler nennt in »Globale Trends« ( Frankfurt/M., 1996, S.21) als zentrale Aufgaben:
  • Die Schaffung einer internationalen Wettbewerbsordnung,
  • Die Rückbindung der internationalen Finanzflüsse an realwirtschaftliche Ziele von Wachstum und Beschäftigung,
  • Soziale Sicherung gegen wachsende strukturelle Verwerfungen, die die globalisierte Ökonomie verschärft hat,
  • Ausgleich des drastischen wirtschaftlichen und sozialen Gefälles zwischen den Weltregionen,
  • Die Internalisierung der steigenden sozialen und ökologischen Kosten, die aus der wirtschaftlichen Globalisierung erwachsen und
  • Ein internationales Ordnungsrecht, das den exzessiven Verbrauch nicht regenerierbarer Ressourcen stoppt.

Wie immer man diese Anforderungen im einzelnen beurteilen mag, sie unterstreichen eindrucksvoll die Notwendigkeit globaler Regelungen und Zusammenarbeit. Eine globale, dominante Militärstruktur neigt dazu, internationale Regime beiseite zu schieben, da sie die unipolare Machtausübung beschränken. Eine unipolare Machtstruktur, die zudem noch an die innen- wie außenpolitischen Interessen der USA, wie auch an das Ziel, die US-Hegemonie zu sichern, gebunden ist, ist kontraproduktiv gegenüber den Erfordernissen der Globalisierung. Deshalb ist auch die Frage berechtigt, ob das globale Eingreifsystem überhaupt vorrangig auf dieses gesamtkapitalistische Ziel ausgerichtet ist, oder ob es nicht mehr der Aufgabe dient, mit militärischen Mitteln die hegemoniale Position der USA in der Triade der zentralen industriellen Kerne zu sichern.

Fazit: Die beiden wichtigsten Aufgaben, nämlich die Erhaltung der Kooperation innerhalb und außerhalb der Triade und die Bändigung des Globalisierungsprozesses zugunsten menschlicher Entwicklung werden von der globalen unipolaren Militärstuktur nicht befördert, sondern im Gegenteil sehr behindert. Erforderlich ist schon deshalb eine politische Weichenstellung, welche die Militarisierung der Globalpolitik beendet und die Möglichkeiten und Potentiale der zivilen Problem- und Konfliktbearbeitung stärkt. Selbst wenn diese erste wichtige Voraussetzung geschaffen würde, wäre die Zähmung der zerstörerischen Kräfte der Kapitalexpansion immer noch eine Herkules-Aufgabe.

Der vorliegende Text ist eine erheblich gekürzte Fassung des Vortrages von Andreas Buro auf der Jahrestagung der Arbeitsgemeinschaft für Friedens- und Konfliktforschung (AFK) am 21.02.1997 in der Evangelischen Akademie Iserlohn. Aus Platzgründen wurden u.a. Teile des Vortrages weggelassen, die sich mit der Kennzeichnung von Globalisierung und mit ideologischen Auswirkungen des unipolaren Machtsystems befassen. Der vollständige Text erscheint in dem Buch von Andreas Buro »Totgesagte leben länger: Die Friedensbewegung von der Ost-West-Konfrontation zur zivilen Konfliktbearbeitung«, Komzi-Verlag, Juni 1997.

Prof. Dr. Andreas Buro ist friedenspolitischer Sprecher des Komitees für Grundrechte und Demokratie e.V.

Wozu noch UN – Wir haben doch die USA

Wozu noch UN – Wir haben doch die USA

von Andreas Buro

Am Golf roch es nach Entspannung. Der Irak sollte nach UN-Beschluß bald wieder in begrenztem Maße Öl verkaufen dürfen, um Schadensersatzzahlungen zu leisten, aber auch um für die eigene Bevölkerung Lebensmittel und Medikamente einkaufen zu können. Ein guter Gedanke, nachdem Saddam und die Weltgemeinschaft hunderttausende irakischer Kinder hatten an Hunger und Krankheit sterben lassen.

Doch der Hauch von Frieden lockte die Kriegsherren. Die nördliche, sogenannte Schutzzone für irakische Kurden war dem Diktator schon lange ein Dorn im Auge und er wußte sehr wohl, weder die Nachbarländer noch die USA sind an kurdischer Selbständigkeit interessiert. Die Nachbarländer Syrien, Türkei und Iran haben selbst kurdische Bevölkerungsteile, deren Freiheitsbestrebungen sie bekämpfen. Die USA, die den Diktator Saddam lange Zeit zur Bekämpfung der »Fundamentalisten« in Teheran in jeder Hinsicht unterstützten und erst später wegen Öl bekämpften und so im Golf-Krieg die in Kuwait nicht vorhandene Demokratie retteten, sind letztlich mehr an der Erhaltung der Einheit des Iraks interessiert, als an der kurdischen Freiheit. So war die Schutzzone im nördlichen Irak niemals eine wirkliche Zone des Schutzes, deren Lebens- und Entwicklungsfähigkeit von den Golf-Akteuren gewollt wurde.

Dem amerikanischen Präsidenten und seinem CIA fiel dann auch noch ein, die Schutzzone zu nutzten, um von dort aus die Herrschaft Saddams zu unterminieren. Ziel: die Person zu beseitigen ohne den Zwangsstaat selbst zu gefährden. Dieser ist schließlich – geopolitisch kalkuliert – noch immer ein potentielles Bollwerk des »freien Westens« gegen die »Terroristen« in Teheran.

Bagdad deutete also die Zeichen der Zeit, erhörte einen Hilferuf der DKP-Kurden, die in verzweifeltem Kampf gegen die PUK-Kurden um die Aneignung der lukrativsten Zölle standen und ließ die Panzer, die Elitetruppen und seine Geheimagenten von der Kette, um den kurdischen Norden des Irak wieder unter seine Kontrolle zu bringen. Dabei verstieß der Diktator nicht einmal gegen die internationalen Auflagen, denn die Ermordung von Untertanen in diesem Gebiet ist ihm ja nicht verboten worden. In den internationalen Auflagen stand auch nicht, er dürfe nicht gegen CIA-Verschwörungen kämpfen, die sich gegen ihn richten.

Trotzdem war der Panzervorstoß provokativ für einen US-Präsidenten mitten im Wahlkampf. Der konnte sich doch nicht einfach von dem personifizierten Teufel die Initiative wegnehmen lassen. Es galt die einfache Lehre zu beherzigen: Im Wahlkampf darf kein Präsident zögern – vor allem kein Präsident der einzigen verbliebenen Weltmacht, der Herrin über die Neue Weltordnung. Dabei vergaß er, verständlich wegen der Dringlichkeit der bevorstehenden Wahlen, sich auf mühsame Verhandlungen im Weltsicherheitsrat einzulassen. In guter Western-Tradition entschied er sich, spontan zu handeln – komme, was da kommen mag.

Doch Spott beiseite, der Fall ist bitter ernst. Der Präsident der USA wischt die Vereinten Nationen und den Sicherheitsrat wie eine quantité negligable beiseite und damit das erreichte Maß an internationaler Rechtsordnung. Er mißbraucht seine enorme Machtfülle im internationalen Bereich, um sich die Macht im Heimatland zu sichern, als habe die einzige Weltmacht keine Verantwortung für die Verrechtlichung des internationalen Systems, als ginge es nur um die Willkür der Starken!

An diesem Fall amerikanischer Intervention zeigt sich die wirkliche Bedeutung des Begriffes Neue Weltordnung, der fälschlicherweise von manchen nur als PR-Formel verkannt wurde. Die neue Weltordnung beinhaltet – um es formelhaft zu sagen – die Strategie der Globalisierung des kapitalistischen Systems im Korsett der militärischen Potentiale der USA in Kooperation mit den Streikräften der G 7. Weltherrschaft, wie es sie in diesem Ausmaß bislang noch nicht gegeben hat!

Die NATO, längst vom Verteidigungsbündnis zur euro-asiatisch-afrikanischen Ordnungsmacht gemausert, hüllt ihre Aktivitäten zwar immer noch in den Schleier der humanitären Intervention. Doch wer scharf hinsieht, erkennt die Absicht: Die reichen Industrieländer wollen gewappnet sein, um notfalls ihre politischen und wirtschaftlichen Interessen auch militärisch durchzusetzen. Dem dient auch der Aufbau der schnellen Eingreiftruppen, die in Deutschland halb ideologisch, halb realistisch als Krisenreaktionskräfte bezeichnet werden.

Die Bundesrepublik ist mittlerweile fest in diese »Out-of-area-Weltordnung« eingebunden. Es verwundert deshalb nicht, wenn der Bundeskanzler – Fellowtraveller in Leadership – die völkerrechtswidrige US-Intervention sogleich abnickte. Freilich fragt man sich da, warum die Bundesregierung so eifrig einen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat anstrebt. Wäre es nicht sinnvoller, sich um einen Sitz im US-Senat zu bewerben?

Prof. Dr. Andreas Buro ist friedenspolitischer Sprecher des Komitees für Grundrechte und Demokratie e. V.

Zivilisierung der deutschen Außenpolitik

Zivilisierung der deutschen Außenpolitik

von Helmut Hugler

Mit dem Ende des Ost-West-Konfliktes veränderten sich die Ausgangsbedingungen für eine Friedenspolitik grundlegend. Helmut Hugler geht davon aus, daß, wer heute über Zivilisierung der deutschen Außenpolitik nachdenken will, sich zunächst den aktuellen Kontext der inter-/transnationalen Beziehungen vergegenwärtigen muß. Im Anschluß daran geht er auf die Ebenen und Anspatzpunkte für Friedensstrategien ein und zeigt skizzenhaft auf, in welchen Feldern konkrete Schritte notwendig sind, um ein umfassendes Konzept von Friedenspolitik umzusetzen.

Zwei Entwicklungen kennzeichnen das internationale System der Gegenwart: zum einen, langfristig, seit den siebziger Jahren ein säkulärer Trend im kapitalistischen Weltsystem, der als die »Krise des Fordismus« in die linke Debatte einging. Zum anderen das Ende des Ost-West-Konfliktes, das indirekt mit der Krise des Fordismus zusammenhing (Altvater 1991; Hugler 1991) und eher Richtung als Charakter der Krise beeinflußte.

Die Krise des Fordismus führte in den Industriestaaten zur Aufgabe des sozialpartnerschaftlichen Regulationsmodels und zur Krise des Sozialstaates. Die ökonomischen und sozialen Probleme wurden in erster Linie auf der lokalen, regionalen und nationalstaatlichen Ebene wahrgenommen. Als Folge davon wurde, außer in begrenzten ExpertInnenzirkeln, das Ende des fordistischen Akkumulationsmodells zunächst nicht in Zusammenhang mit seiner globalen Reichweite gesehen. Zwar entstand eine lebhafte Diskussion über die Handlungsfähigkeit des Staates, die zentralen gesellschaftlichen Debatten über die Weiterentwicklung der bundesrepublikanischen Gesellschaft wurden und werden, nationalstaatlich borniert, unter den Stichworten »Standort Deutschland« und, ironischerweise, »Globalisierung« geführt.

Eine Diskussion über eine »Neue Weltordnung« entstand erst nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes, nachdem auf die »disziplinierende Wirkung« der Blockkonfrontation eine »turbulente« Weltordnung folgte (Czempiel 1993). In den herrschenden Kreisen des Norden wurde eine neuartige Debatte über globale Ordnungspolitik (v. Bredow 1994) geführt. Während die Ordnung des Ost-West-Konfliktes aufgrund der blockistischen Struktur relativ klar war – jede Seite war für ihre eigene Sphäre zuständig, die im Großen und Ganzen respektiert wurde –, löste sich mit deren Ende die eindeutige Zuteilung auf. In der Sicht der Diskussion der außenpolitischen Eliten der OECD-Staaten wurde über die Notwendigkeit einer Politik mit einem stark interventionistischem Charakter, mit der konkreten Folge der NATO-Reform1 nachgedacht. Die OECD-Ordnungspolitik war zwar nicht nur als militärische gedacht – im Gegenteil, die Bedeutung des Militärs wurde in der Perspektive der Akteure zugunsten von zivilen Maßnahmen und präventiver Politik zurückgedrängt. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich jedoch, daß sich die Rolle des Militärs nicht verringert, sondern nur verändert hat.

Überlegungen zur Friedenspolitik erfordern deshalb zuerst die Betrachtung der Funktionsveränderung des militärischen Faktors.

Die Welt ist nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes in zwei Sicherheitszonen geteilt, in die stabile OECD-Welt und die »turbulente« Welt der neuen Kleinkriege und regionalen Hegemonieaspiranten. In der »turbulenten« Sicherheitszone wird Militärpolitik von den Akteuren »noch« als territorial orientierte Sicherheitspolitik verstanden. Es geht um Einflußzonen, um die Eroberung von Territorien, um die Verteidigung des eigenen Territoriums.

In der OECD-Welt wird Sicherheits- und Militärpolitik an einem funktionalen Verständnis von Sicherheit orientiert. Primäres Ziel ist die Gewährleistung der Stabilität der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Abläufe. Es geht nicht mehr um nationalstaatliche Konkurrenzen, wie zu Zeiten des klassischen Imperialismus, sondern zum Beispiel um die Sicherung von Rohstoffwegen und -preisen. Durch den erweiterten Sicherheitsbegriff geraten Politikbereiche in das Wirkungsfeld von Militärpolitik, die zuvor herkömmlicher ziviler, diplomatischer Politik unterlagen.2

Diese Sicherung der Stabilität erfordert gegebenenfalls den militärischen Einsatz, und da nicht von vornherein klar ist, wo und wie das Militär eingesetzt werden muß, sind die neuen Strategien auf Flexibilität, Mobilität und Multifunktionalität ausgerichtet. Die Entterritorialisierung der Sicherheit und der funktionale Sicherheitsbegriff haben eine geographische und inhaltliche Ausweitung des Aufgabenspektrums des Militärs zur Folge. Friedensstrategien und Ansätze zur Zivilisierung von Außenpolitik haben an diesem funktionalen Sicherheitsbegriff anzusetzen. Friedensstrategien aus der Zeit des Ost-West-Konfliktes müssen daher angepaßt werden, auch wenn ich denke, daß es keiner grundsätzlichen Revision bei friedenspolitischen Ansätzen bedarf.

In der Bundesrepublik treten die Probleme verschärft auf, da sie nach dem Zweiten Weltkrieg gezwungen war, eine zivile Strategie der außenpolitischen Interessendurchsetzung zu entwickeln, die sich in der Selbsteinbindung in multilaterale Zusammenhänge und in relativer Zurückhaltung im direkten Gebrauch militärischer Potentiale äußerte. Die gesellschaftlich kontroverse Diskussion über die neuen Aufgaben der Bundeswehr und den Militarisierungsprozeß der deutschen Außenpolitik sind somit Hinweise auf den relativ zivilen Charakter der bundesdeutschen Geselllschaft.

Ansatzebenen für vorbeugende und konstruktive Friedenspolitik

Zwei Zeitebenen müssen bei Zivilisierungstrategien beachtet werden: langfristig Kriegsursachenbeseitigung und kurz- und mittelfristig zivile Konfliktbearbeitung.3 Darüberhinaus gibt es (mindestens) zwei Handlungsebenen für Friedenspolitik: die Ebene(n) des inter-/transnatonialen Systems4 und die nationalstaatliche Ebene.

Friedenspolitik und die Entwicklung von Zivilisierungstrategien können sich nicht auf die sicherheits- und militärpolitische Ebene beschränken, d. h., sicherheits- und abrüstungspolitische Maßnahmen im inter-/transnationalen System müssen in einen breiteren Kontext eingebettet werden. Eine Politik, die an den Kriegsursachen ansetzen will, muß vorbeugenden Charakter haben. Das heißt, daß an erster Stelle eine langfristige Strategie der Armutsbekämpfung stehen muß, deren Ziel eine gerechte, solidarische und ökologische Weltwirtschaftsordnung sein muß.

Ein Negativbeispiel ist die protektionische Wirtschaftspolitik der Industriestaaten gegenüber Ländern der südlichen Peripherien und den Transformationsstaaten Osteuropas. In beiden Fällen verhindert die Politik der Industriestaaten, daß sich in diesen Regionen eine eigendynamische und selbstversorgende, sozial gerechte und nachhaltige Wirtschaftsweise entwickeln kann.

Wir brauchen eine »Internationale Strukturpolitik« (Volmer, Schmidt 1995). In diesem Konzept drückt sich ein globaler Regelungsbedarf aus. Daher geht es bei dieser Politik auch nicht um einen Rückzug aus der inter-/transnationalen Politik, sondern vielmehr um Einmischung mit zivilen Mitteln und Methoden. An den inhaltichen Zielorientierungen und den nichtmilitärischen Instrumentarien läßt sich festmachen, ob es sich um Friedensstrategien handelt.

Um mittel- und kurzfristig in Konflikte auf nichtmilitärische Weise eingreifen zu können, müssen auf der internationalen Ebene – mit den Internationalen Organisationen wie UNO und OSZE, aber perspektivisch auch anderen Regionalorganisationen – die Fähigkeiten zur Konfliktfrüherkennung, zur zivilen Konfliktbearbeitung und Konfliktnachsorge entwickelt und ausgebaut werden. Insbesondere muß die transnationale oder zivilgesellschaftliche Ebene – die Nichtregierungsorganisationen – institutionell mit einbezogen werden. Gerade unter den Bedingungen der Kleinkriege, die in erster Linie innerstaatlicher Natur sind, wirken die staatsfixierten internationalen Organisationen nur unzureichend. Die von Ernst-Otto Czempiel analysierten gesellschaftsweltlichen Beziehungen können nur unter Mitwirkung von NROs politisch organisiert werden. Dies macht eine Reform der außenpolitischen Mechanismen nötig (Czempiel 1993).

Ansatzpunkte für eine Zivilisierung der deutschen Außenpolitik

Seit 1990 hat in der deutschen Außenpolitik der militärische Faktor stark an Bedeutung gewonnen. Dabei geht es sowohl um den Machtfaktor Militär in der Debatte innerhalb des transatlantisch-westeuropäischen Bündnisrahmens (Stichwort Bündnisfähigkeit), wie auch um den direkten Einsatz der Bundeswehr für die vom Bundesministerium der Verteidigung und dem Auswärtigen Amt definierten Interessen der Bundesrepublik Deutschland.

Zwei Zielstellungen ergeben sich daraus für eine Zivilisierungspolitik. Zum einen muß die Bundesrepublik auf den alten, relativ zivilen Stand der Außenpolitik zurückgebracht werden, zum andern ist die (Weiter-)Entwicklung von vorwärtsweisenden Ansätzen, wie zum Beispiel Selbstbeschränkung und unilaterale Abrüstung (Statz 1993; Böge 1990) notwendig, um konstruktiv am Aufbau einer gesamteuropäischen Friedensordnung mitwirken und auf globaler Ebene eine nachhaltige Politik auch friedens- und abrüstungsspolitisch unterstützen zu können. Darüber hinaus müßte eine friedenspolitische Konzeption ziviler Konfliktbearbeitung erarbeitet werden, die die zivilgesellschaftliche und die institutionelle Ebene miteinander verbindet. In dem Zusammenhang stellt sich die Frage, auf welche Weise eine zivil orientierte Bundesrepublik aktiv werden könnte.

Konkrete Ansatzpunkte für eine Zivilisierungspolitik finden sich auf nationaler Ebene daher zuerst einmal auf der Negativseite, das heißt, es geht um Abbau oder Verhinderung von Fehlentwicklungen:

  • Die seit Jahren laufende Umstrukturierung der Bundeswehr in eine potentiell weltweit einsetzbare Armee muß zurückgenommen werden. Die bisherige Reduzierung der Personalstärke der Bundeswehr ging nicht von friedenspolitischen Zielsetzungen aus, sie war vielmehr in notwendigen Sparmaßnahmen begründet und diente zur Erhöhung der militärischen Effektivität.
  • Die Wehrpflicht als ein Faktor der Militarisierung von Gesellschaft muß abgeschafft werden. Dabei ist allerdings darauf zu achten, daß die Abschaffung der Wehrpflicht nicht, wie zum Beispiel in Frankreich, zum Ausbau der Interventionsfähigkeiten genutzt wird, sondern in einen friedenspolitischen Kontext eingebettet ist, indem die Aufgaben des Militärs weiter reduziert werden. Langfristiges Ziel ist die Abschaffung der Armee.
  • Ein generelles Rüstungsexportverbot ist notwendig. Gegenwärtig begünstigen aber die »Harmonisierung« im EU-Rahmen und nationale Exporterleichterungen den Rüstungsexport aus der Bundesrepublik oder von Rüstungsgütern, die mit BRD-Beteiligung entwickelt und produziert werden. Die »Landminenpolitik« verdeutlicht die entzivilisierende Tendenz in der deutschen Außen- und Militärpolitik. Im Vorfeld der Fortsetzung der Überprüfungskonferenz zum Landminenprotokoll der UN-Waffenkonvention verkündete die Bundesregierung einen Verzicht auf Anti-Personen-Minen. Das ist zunächst sicher zu begrüßen. Allerdings verzichtete die Bundesregierung nur auf Minentypen, die die Bundeswehr sowieso nicht mehr in Gebrauch hatte und die von bundesdeutschen Minenproduzenten nicht hergestellt werden. Derartige vermeintliche Abrüstungsankündigungen dienen der Verschleierung von Um- und Aufrüstungsmaßnahmen, denn in der Forschung, Entwicklung und Produktion von modernen Landminen ist die Bundesrepublik führend (Küchenmeister; Nassauer 1995). Daß die Bundeswehr keineswegs auf Landminen verzichten will, wird dann auch durch die über 200 Mio. DM deutlich, die im Haushalt 1996 für Forschung, Entwicklung, Erprobung und Beschaffung eingestellt sind.
  • Eine weitere, aber diesmal qualitative Verringerung der Bundeswehr, die Einstellung von Rüstungsexporten und der Rückgang von Rüstungsproduktion ermöglichen und erzwingen Konversionsmaßnahmen. Notwendig wäre hier ein Programm, das von der Bundesebene aus unterstützt wird, die Handlungsautonomie aber den regional und lokal Betroffenen überläßt. Dabei darf Konversion nicht nur auf Standort- und Industriekonversion beschränkt bleiben. Ein gesamtgesellschaftliches Konversionskonzept darf den Forschungs- und Bildungsbereich nicht vernachlässigen.
  • Die gegenwärtige Re-Ideologisierung der bundesdeutschen Öffentlichkeit muß beendet werden. Die Diskussion um einen besonderen Ehrenschutz für Soldaten, um besondere Auszeichnungen für Auslandseinsätze oder anachronistische Rituale wie der Große Zapfenstreich und öffentliche Gelöbnisse dienen der Selbstdarstellung des Militärs und sollen die Akzeptanz für eine militärisch fundierte Machtpolitik erhöhen. Mißliebige KritikerInnen sollen eingeschüchtert oder kriminalisiert werden. Dieser reale Abbau von Demokratie geht auf Kosten des zivilen Charakters der bundesdeutschen Gesellschaft.
  • Notwendig ist darüberhinaus eine Reform der Außenpolitik der Bundesrepublik, die an den Strukturen des Auswärtigen Amtes ansetzt, und die Rolle von Nichtregierungsorganisationen und zivilgesellschaftlichen Kräfte besonders berücksichtigt. Finanzpolitisch könnte sich dies in Reduzierungen im Verteidigungsbereich und Umschichtungen für zivile Konfliktbearbeitung und für die Stärkung von OSZE und UNO auswirken.
  • Auf der internationalen Ebene sind auch für einen einflußreichen Staat wie die Bundesrepublik die Möglichkeiten begrenzt. Troztdem könnte ein friedenspolitisches Engagement der Bundesrepublik in internationalen Organisationen ein positives Zeichen setzen. Das bedeutet aber die Absage an den militärischen Multilateralismus im NATO/WEU-Kontext und den Verzicht auf internationale Macht- und Prestige-Politik. Für eine zivile Außenpolitik ist zum Beispiel ein ständiger Sitz im Sicherheitsrat der VN nicht nötig.
  • Die Bundesrepublik sollte sich für die Stärkung von internationalen Organisationen und ihrer Fähigkeiten zur zivilen Konfliktbearbeitung einsetzen. Diese könnte durch freiwillige Zahlungen, die über die vertraglich vereinbarten hinausgehen, geschehen.
  • Für den Aufbau einer gesamteuropäischen Friedensordnung ist die OSZE die geeignete Organisation (Beer 1996). Sie hat gezeigt, daß sie bereits jetzt Fähigkeiten zur kooperativen Konflikteindämmung besitzt. Um im Rahmen einer europäischen Friedensordnung wirksam werden zu können, muß sie allerdings mehr Kompetenzen und Fähigkeiten zur zivilen Konfliktbearbeitung bekommen und als eigenständige Organisation gestärkt werden. Dies muß allerdings sehr behutsam geschehen und noch gründlich diskutiert werden, denn der dialogische Charakter der OSZE sollte nicht aufgegeben werden.

In der internationalen Rüstungskontroll- und Abrüstungspolitik folgt die Bundesregierung den Verhaltensmustern der traditionellen Rüstungspolitik. Ziel ist nicht primär Abrüstung, sondern militärische Stabilität. Die Nichtverbreitungspolitik der Bundesregierung hält sich die Option nach Atomwaffen offen und ist nicht bereit, auf nukleare Teilhabe zu verzichten. Schon die Option auf Atomwaffen erhöht den »Machtwert« der Bundesrepublik im NATO-Kontext. Sie trägt die Politik der Atomwaffenstaaten mit und unternimmt in der NATO nichts für die Abschaffung der atomaren Strategie. Im Gegenteil beteiligt sie sich intensiv an der Diskussion um counter-proliferation, d. h. eine Nichtverbreitungspolitik mit militärischer Komponente, und leistet damit der Militarisierung der Nichtverbreitungspolitik Vorschub. Ein wichtiger Beitrag zur Zivilisierung der deutschen Außenpolitik wäre ein grundgesetzlich verbürgter Verzicht auf Atomwaffen und der Ausstieg aus der Plutoniumwirtschaft, die eine permanente Verbreitungsgefahr von waffenfähigem Nuklearmaterial bedeutet.

Die Bundesrepublik, die als einer der zentralen Staaten des Ost-West-Konfliktes in der Verantwortung für die Militarisierung der Blockkonfrontation steht, hat die Verpflichtung, internationale Abrüstungsprozesse materiell und finanziell zu unterstützen.

Wer den Frieden will, muß den Frieden vorbereiten.5 Das ist auch eine Frage der Ressourcen. Zwar ist zivile Konfliktbearbeitung bei weitem billiger als »militärische Vorsorge«, erst recht als »militärische Nachsorge«. Dennoch ist die Bundesregierung bisher nicht bereit, Finanzmittel für zivile Konflikbearbeitung in einem entsprechendem Maße zur Verfügung zu stellen. Um die Chancen für Friedens- und Zivilisierungspolitik abzuschätzen zu können, ist es unter den gegenwärtigen Bedingungen daher sinnvoll, sich nach anderen, gesellschaftlichen Akteuren und deren Ideen umzusehen. Die Idee eines »Zivilen Friedensdienstes« zum Beispiel, wie er vom Forum Ziviler Friedensdienst konzipiert ist, ist ein Ansatz, der von der Zivilgesellschaft ausgeht und Förderung verdient.

Literatur

Altvater (1991): Die Zukunft des Marktes. Ein Essay über die Regulation von Geld und Natur nach dem Scheitern des „real existierenden Sozialismus“, Münster.

Beer, Angelika (1996): Stärkung und Reform der OSZE – Ziele einer Europäischen Friedensordnung, in: S + F 1/1996: 25 – 28.

Böge, Volker (1990): Rüstungssteuerung in der Sackgasse – mit einseitig-unabhängiger Abrüstung einen neuen Anfang machen!, in: Heisenberg, Wolfgang; Lutz, Dieter S. (Hg.) Sicherheitspolitik kontrovers. Frieden und Sicherheit. Status quo in Westeuropa und Wandel in Osteuropa, Bonn: 369 – 385 (Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung Bd. 291/I).

Bredow, Wilfried von (1994): Turbulente Welt-Ordnung. Internationale Politik am Ende des 20. Jahrhunderts, Stuttgart

Czempiel, Ernst-Otto (1993): Weltpolitik im Umbruch. Das internationale System nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes, München.

Hugler, Helmut (1991): Zur Verschlimmbesserung der Internationalen Beziehungen. Ist der Kapitalismus friedensfähig?, in: Auf zu neuen Fronten. Die neue Weltordnung und was wir dagegen tun können (ami-Themenheft 7/1991), Berlin: 4 – 12.

Hugler, Helmut (1993): Sicherheitsstrukturen nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes, in: Prokla 95, Juni 1994: 257 – 271.

Statz, Albert (1992): Zwischen neuer Machtpolitik und Selbstbeschränkung. Deutsche Außenpolitik am Scheideweg. Anmerkungen zu Reinhard Rode, in: Schoch, Bruno (Red.): Deutschlands Einheit und Europas Zukunft, Frankfurt: 229 – 256.

Volmer, Ludger; Schmidt, Frithof (1995): Schwerpunkte, Defizite und Aufgaben grüner Außenpolitik. Thesen von Ludger Volmer und Frithof Schmidt, in: Blätter für Deutsche und Internationale Politik 11/95: 1391 – 1398.

Anmerkungen

1) Die NATO-Reform, die „doppelte Erweiterung“ umfaßt zum einen die Erweiterung des Aufgabenspektrums (Intervention), zum andern die geographische Ausdehnung nach Osteuropa. Zurück

2) Hier liegt auch die Differenz zum erweiterten Sicherheitsbegriff, wie er in der friedenspolitischen Debatte benutzt wird. Dieser verfolgt das Ziel der Entmilitarisierung von Sicherheit und Sicherheitspolitik, und folgt damit einer diametral entgegengesetzten Logik. Zurück

3) Zivile Konfliktbearbeitung meint in diesem Zusammenhang sowohl Konfliktprävention, Konfliktfrüherkennung, nichtmilitärische, verständnisorientierte Konfliktregulierung, Konfliktnachsorge und im günstigsten Fall auch Konfliktlösung. Zurück

4) Mit dem Begriffspaar inter-/transnationale Beziehungen ist der Kontext traditioneller zwischenstaatlicher Politik und der Ebene der „Gesellschaftswelt“ (Czempiel 1993) gemeint. Zurück

5) So Titel eines Aufsatzes von Dieter Senghaas und Eva Senghaas-Knobloch und einer Studie von Christine M. Merkel. Zurück

Helmut Hugler ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Bundestagsabgeordneten Beer.

Editorial

Editorial

von Erich Schmidt-Eenboom

„Der Kalte Frieden“, den der Investitionsbanker an der Wall Street, Jeffrey E. Garten, für die Konfliktkonstellation „Amerika, Japan und Deutschland im Wettstreit um die Hegemonie“ diagnostiziert, ist nicht auf die wirtschaftlich potentesten Staaten der nördlichen Hemisphäre begrenzt. In Großbritannien erregten Ende Januar zwei Reden Aufsehen, in denen der britische Außenminister Douglas Hurd und Verteidigungsminister Malcolm Rifkind die außen- und militärpolitischen Interessen ihres Landes vor dem Hintergrund des Balkankriegs definierten.

Der britische Verteidigungsminister erläuterte am 22. Januar 1993 vor dem Royal United Services Institute, unter welchen Bedingungen britische Streitkräfte im Ausland eingesetzt werden: „Erstes Kriterium muß das nationale Interesse sein … Demzufolge ist es in manchen Fällen ratsam, eine Beteiligung Großbritanniens an Operationen zu vermeiden, bei denen das nationale Verteidigungsinteresse gering oder gar nicht vorhanden ist.“

Daß Großbritannien nicht mit Bodentruppen in Bosnien intervenieren wolle, sei kein Anlaß sich zu schämen, so Rifkind, weil nicht etwa Zaghaftigkeit die Ursache sei, „sondern ein klares Urteil darüber, daß eine Militäraktion in einer bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzung keine Lösung sein kann“.

Hurd betonte vor dem Royal Institute of International Affairs eine Woche später, die Streitkräfte Großbritanniens seien durch die Auslandstationierung u.a. in Deutschland, durch Nordirland- und durch UN-Einsätze bereits stark beansprucht, die britische Diplomatie jetzt personell bis zum letzten ausgeschöpft. Der diplomatische Apparat Londons ist im Gegensatz zu den Streitkräften im Bosnienkonflikt stark involviert.

Aber auch Diplomatie kann töten. Und britische Diplomatie tut es in Bosnien. In Brüsseler NATO-Kreisen ist die Empörung kaum noch unter der Decke zu halten, seit die britische Haltung gegenüber Serbien bekannt ist. Man werde den Serben in keiner Weise entschieden entgegentreten, weder wirtschaftlich noch militärisch, ließ die britische Regierung die Großserben in Belgrad wissen. Während der britische Premier bei der Londoner Konferenz im Juli 1992 öffentlich eine umfassende Ächtung Serbiens forderte, zieht Londoner Realpolitik dort die Bremse, wo es um eine Schwächung der Position Belgrads geht.

Selbst US-Präsident Clinton mußte dieser Tage erleben, daß John Major die Beteiligung an der Luftversorgung Bosniens verweigert und seinem Versprechen gegenüber Belgrad und damit der Tolerierung des Völkermords treu bleibt. Zwar hatte der britische Verteidigungsminister ziemlich offen gegen die Achse Paris-Bonn polemisiert – mit dem Hinweis auf „Gefahren, wenn sich die europäischen Partner zu tief in geheime Argumente über den relativen europäischen Charakter von NATO, KSZE und WEU verstricken und wenn eine starke europäische Verteidigungsidentität als Synonym für ein Heraushalten der Vereinigten Staaten gälte.“ Aber selbst Rifkinds Priorität für eine US-orientierte NATO-Politik muß in diesem Fall hinter dem nationalen Interesse Londons an serbischer Gegenmacht auf dem Balkan zurückstehen.

Die vitalen Interessen Großbritanniens an einer engen Bindung an Serbien liegen im Rückfall in die Balkan-Politik des 19. Jahrhunderts. Gegen Deutschland als ambitionierte Ordnungsmacht in Osteuropa müssen aus britischer Sicht Bastionen gefestigt werden. Seit der von Bonn forcierten Anerkennung Kroatiens und Sloweniens fürchtet London Verluste im Wettlauf um Einflußzonen und die Germanisierung des ganzen Balkans.

In Chatham House hatte Douglas Hurd die enge Auslegung britischer Interessen favorisiert, die nach seinen Worten darin liegt, „daß wir keine Veranlassung haben, in einem Land wie Bosnien zu sein, weil wir keine Interessen – weder strategische noch kommerzielle – in diesem Teil der Welt haben.“ Bemühungen um eine sichere und anständigere Welt müssen – so Hurd – „höchst diszipliniert und begrenzt“ sein. Zu den Wertberichtigungen, zu denen britische Banken fortgesetzt gezwungen sind, hat die britische Diplomatie nicht gefunden. Nicht die Herausforderungen an eine internationale Friedensordnung, sondern spätkoloniale Wertschöpfung und Einflußpolitik dominieren das Denken aus der Downing Street.

Der als Außenpolitiker zwar ambitionierte, doch vom Koalitionsproporz darin gehandicapte Volker Rühe erläuterte jüngst beim Dreikönigsessen des Rheinisch-Westfälischen Handwerkerbundes, wohin die „exportorientierte Mittelmacht mit weltweiten Interessen“ Deutschland strebe: Unter dem Anspruch „verantwortlicher Wahrnehmung eigener Interessen mit den Partnern im Bündnis“ und der Forderung, „außen- und sicherheitspolitisch uneingeschränkt handlungsfähig“ zu werden, verbirgt sich der Wille nach Gleichberechtigung bei der Wahrnehmung vitaler Interessen Deutschlands – militärische Interventionsbereitschaft inklusive.

Machtbewußter Nationalismus wird nicht nur in London salonfähig. Eine verschärfte Konkurrenz von weltpolitisch ambitionierten Nationalstaaten aber mündet bestenfalls in einem Kartell des reichen Nordens, das Interessenunterschiede zu Lasten der Dritten Welt auspendelt, schlimmstenfalls aber in einer Kette neuer Stellvertreterkriege, die unterschiedlich fixierte Klienten einzelner G-7-Staaten in der vormals Zweiten und der Dritten Welt gegeneinander führen könnten.

Ihr Erich Schmidt-Eenboom

Europa nach dem Ende der Ost-West-Konfrontation

Europa nach dem Ende der Ost-West-Konfrontation

Rahmenbedingungen europäischer Sicherheitspolitik

von Klaus Peter Weiner

Das Scheitern des »Realen Sozialismus« hat den Ost-West-Gegensatz, von dem über vier Jahrzehnte die zentrale weltpolitische Formkraft ausging, beendet. Der Westen ist aus der Systemauseinandersetzung als der Sieger hervorgegangen. Zwar ist auch die Hauptsiegermacht USA geschwächt aus dem Konflikt hervorgegangen (Kennedy 1989), doch nun „kann sich die kapitalistische Dynamik weltweit entfalten, und zwar ohne Rücksicht auf die politische und militärische Gegenmacht und bei (wohlwollender) Vernachlässigung ideologischer Alternativen.“ (Altvater 1991a, S. 346)

Das post-bipolare internationale System wird nun nicht mehr durch eine Hegemonialmacht strukturiert. Vielmehr bildet die OECD-Welt das Gravitationszentrum. Es gilt als wahrscheinlich, daß einige Schwellenländer aus dem ostasiatischen Raum zur OECD aufschließen. Neben der OECD-Welt enstehen regionale Zentren – dazu zählen China, Rußland, Indien und Brasilien. An den Rand der Weltwirtschaft und der Weltpolitik gedrängt sind die peripheren, teilweise vom Weltmarkt abgekoppelten Regionen. Ihre Lage ist durch mehr oder minder schwerwiegende politische und soziale Turbulenzen gekennzeichnet (Senghaas 1991).

Bereits zu Zeiten des Ost-West-Konflikts haben sich die OECD-Staaten zu dem wirtschaftlichen und politischen Zentrum des internationalen Systems entwickelt. Nun tritt es in den Mittelpunkt des internationalen Systems. Die OECD-Staaten halten einen Anteil von 65 Prozent am Weltbruttosozialprodukt, sie sind am Welthandel mit rund 70 Prozent beteiligt. Rund 75 Prozent ihrer Außenhandelsaktivitäten wickeln sie untereinander ab. Die OECD-Welt ist politisch und ordnungspolitisch vergleichweise homogen, ökonomisch eng verflochten und politisch institutionell dicht vernetzt. Sie verfügen über ein technologisch hochentwickeltes Militärpotential, das sie zur Machtprojektion befähigt. Die mächtigsten Akteure der OECD-Welt sind die „Big Three“ (Bergsten 1990, S. 104), die USA, die Europäische Gemeinschaft und Japan. Zwar werden die Konflikte zwischen der sich im Abstieg befindlichen Führungsmacht USA, dem technomonetären Aufsteiger Japan und der in den achtziger Jahren revitalisierten EG nun nicht mehr durch die Systemauseinandersetzung eingehegt, aber es ist nur „schwer vorstellbar, daß über solche Probleme des Interdependenzmanagements der erreichte Stand an institutioneller und wirtschaftlicher Verflechtung innerhalb des OECD-Clubs zerbrechen könnte.“ (Senghaas 1991. S. 26)

Aber eine merkantilistische Wirtschaftspolitik und protektionistische Handelspraktiken der Großen Drei setzen das »Management der Interdependenz« schweren Belastungen aus, zumal die regulierenden Institutionen der Weltmarktkonkurrenz sich bisher kaum auf die Spannungsfelder einstellen, die aus der ökonomischen Globalisierung und der politischen Regionalisierung resultieren. Eine trilaterale Regulierung der Weltwirtschaft, die die von den USA einst hegemonial erbrachten Organisations- und Steuerungsleistungen übernimmt und die über ein kurzfristiges Krisenmanagement hinausreicht, ist gegenwärtig nicht in Sicht. Hinzu kommt, daß keine der großen Mächte in der Lage ist, die politische »Führung des Westens« gegenüber einem anwachsenden Nationalismus und Fundamentalismus sowie bei den ökologischen oder entwicklungspolitischen Problemlagen zu übernehmen. Ob diese Konstellation zu einer Reform und Stärkung der Vereinten Nationen führen wird, muß angesichts der Renaissance des militärischen Faktors in der internationalen Politik bezweifelt werden.

Ein Zeitalter des Friedens in Europa?

Das Ende des Systemkonflikts hat als „weltgeschichtliche Zäsur“ (Deppe 1991, S. 11) die bisherigen Beziehungsmuster europäischer Politik, basierend auf sich als antagonistisch betrachtende und in »Blöcke« gefaßte Gesellschaftsordnungen, außer Kraft gesetzt. Diese radikale Veränderung hat auch den Bezugsrahmen der europäischen Einigung verändert. In ihrem Selbstverständnis kann sie nicht mehr allein auf Westeuropa bezogen bleiben, sondern muß nun einen Begriff von Gesamteuropa entwickeln – sofern er sich definieren läßt. Die Gleichsetzung von Westeuropa und Europa trägt nicht mehr, und der politische, ökonomische und soziale Raum des östlichen Europas ist noch unbestimmt. Die neue Dimension von Europa kann sich erst in einem langwierigen, konflikhaltigen Prozeß herausbilden.

Der Umbruch in Osteuropa kürte 1989 zum „Year of Europe“ (Hoagland 1990, S. 33). Zur Jahreswende 1989/90 schien der epochale Umbruch in Osteuropa neue, friedlichere, freiheitlichere und demokratischere Perspektiven gesamteuropäischer Entwicklung zu eröffnen. Das Ende des Ost-West-Konflikts schien zugleich der Beginn eines neuen Zeitalters, in dem die zivilgesellschaftliche Komponente einen größeren Stellenwert erhalten könnte, zu signalisieren. Diese Hoffnung wurde von den Regierungen bestärkt: im November 1990 besiegelte der KSZE-Gipfel in Paris das Ende des Kalten Krieges und der Teilung Europas. Die europäischen und nordamerikanischen Regierungen bekannten sich in der „Charta von Paris für ein neues Europa“ zu einer „auf Menschenrechten und Grundfreiheiten beruhenden Demokratie, Wohlstand durch wirtschaftliche Freiheit und soziale Gerechtigkeit und gleiche Sicherheit für alle unsere Länder“. Sie verkündeten, daß „in Europa ein neues Zeitalter der Demokratie, des Friedens und der Einheit“ anbricht (Charta 1990, S. 656).

Einige Vertreter der idealistischen Denktradition sahen am Horizont bereits ein liberal-kapitalistisches, rechtstaatlich-demokratisch verfaßtes Europa, daß sich friedlich in ein System kollektiver Sicherheit fügt (Senghaas 1990). Aber die mit dem gesellschaftlichen Umbruch verbundenen politischen, ökonomischen und sozialen Verwerfungen zeigten bereits wenige Wochen später in der jugoslawischen Krise eine Realität, an der in Paris formulierte Hoffnung zerbrach, daß sich an den Zusammenbruch des Realsozialismus übergangslos pluralistische Demokratien und funktionierende Marktwirtschaften anschließen könnten. Traditionelle Realisten sahen ihre Prognosen, daß der Zerfall der Ordnungssysteme des Kalten Krieges zu nationalistischen Konflikten, zu einer hegemonialen Stellung der Bundesrepublik Deutschland und zu einer instabilen Mächtekonstellation führt, bestätigt (Snyder 1990). Doch die Entwicklungen in Osteuropa und ihre Rückwirkungen auf Westeuropa lassen sich nicht in idealistischen oder realistischen Grundkategorien auflösen.

Der Zerfall der bundesstaatlichen Einheit Jugoslawiens hat die zivilen Bahnen verlassen, in denen politische Konflikte in Europa nach 1945 in der Regel verlaufen sind. Einer gewaltfreien Steuerung entzogen, eskalierte der Konflikt um die staatliche Neuordnung zum ersten europäischen Krieg der Nach-Nachkriegszeit. Der zögerliche internationale Druck konnte die Kampfhandlungen nicht einhegen. Österreich und Italien verlegten zeitweise Militäreinheiten an die jugoslawische Grenze. Dies symbolisiert die Brisanz des Konflikts, auch wenn eine kriegerische Entwicklung auf dem Balken heute nicht mehr den Funken schlagen kann, der 1914 den Ersten Weltkrieg auslöste.

Aber die Eskalation der Gewalt kann den komplizierten politischen Prozeß der Annäherung von Ost- und Westeuropa für längere Zeit erschweren, wenn nicht gar blockieren. Das Problem der nationalen Unabhängigkeit und der nationalen Minderheiten existiert in jedem Land des ehemaligen Ostblocks. Werden die auseinanderstrebenden Völker und Regionen zusammengezwungen, drohen Sezessionskriege, werden die Sezessionsbewegungen unterstützt, drohen Bürgerkriege: das ist das kurzfristig fast unlösbare Dilemma, vor daß sich die europäischen Regierungen gestellt sehen. Eine militärische Lösung dieses Dilemmas birgt die Gefahr, daß die Ausstrahlungseffekte Osteuropa in eine Phase gewaltsamer Auseinandersetzungen stürzen.

Osteuropa – Experiment mit ungewissem Ausgang

Das Scheitern des realen Sozialismus und der gesellschaftliche Umbruch ist mit dem „Ende der Geschichte“ gleichgesetzt worden (Fukujama 1989). Aber der kriegerische Zerfall Jugoslawien zeigt, daß die Transformation von Gesellschaften ein Experiment mit ungewissem Ausgang ist. Der »Sieg des Westens« im Kalten Krieg zwischen sozialistischem und kapitalistischem Gesellschaftssystem kann daher kaum mit dem Ende der Geschichte gleichgesetzt werden, weil die Möglichkeit des Scheiterns des westlichen Modells in Osteuropa und ein Rückfall in eine auf nationalistische Ideologie und militärische Gewalt zurückgreifende Machtpolitik nicht auszuschließen ist. Politische und soziale Konflikte werden angesichts der Dimension der Probleme, die aus der Transformation der osteuropäischen Gesellschaften und der Annäherung des östlichen an den westlichen Teil des Kontinents resultieren, auch weiterhin die Realität Europas prägen. Der Übergang zu Demokratie, Marktwirtschaft und Sozialstaat erweist sich als komplexer, von Rückschlägen begleiteter Prozeß. Die Hauptproblemfelder dieses gesellschaftlichen Transformationsprozesses lassen sich wie folgt skizzieren:

Demokratie

Als zentrales Problem erweist sich die Kluft zwischen der demokratischen Form der Regierungssysteme und dem realen Gehalt der Demokratie. Verhandlungs- und Kompromißbereitschaft sowie Selbstbeschränkung sind Voraussetzungen und Verfahren parlamentarischer Demokratie, die als jahrelang geübte Praxis zwar westlichen Regierungssystemen Funktionsfähigkeit und Stabilität verleihen, aber in den osteuropäischen Staaten nicht über Nacht zu erwerben sind. Der derzeit verfolgte Ansatz, über den Staat eine moderne Gesellschaft und politische Gemeinschaft zu errichten, muß daher zu kurz greifen (Schöpflin 1991, S. 264). Zivilgesellschaftliche Strukturen – einmal in dem Sinn, daß im gesellschaftlichen Raum agierende nichtstaatliche Institutionen wie Kirchen, Gewerkschaften, Verbände usw. politische und soziale Krisenprozesse abpuffern und kleinarbeiten wie auch in dem Sinn, daß eine sich gegenüber dem Staat autonom verhaltene demokratische Öffentlichkeit eine Barriere gegen etatistische Übergriffe bildet – fehlen in den osteuropäischen Ländern weitgehend. Die parlamentarisch verfaßte Demokratie in Osteuropa ist daher nur schwach fundiert und instabil.

Ökonomie

Die Länder Osteuropas und die Sowjetunion befinden sich in einer schweren wirtschaftlichen Krise. Die Wirtschaftsleistung ist 1991 in Bulgarien um 20 Prozent, in der GUS um 13 Prozent, in der CSFR um 12 Prozent, in Rumänien um 9 Prozent, in Polen um 8 Prozent und in Ungarn um 7 Prozent zurückgegangen. Der Einbruch im spezialisierten intraregionalen Warenaustausch, der zur Auflösung des RGW führte, hat die ökonomische Situation noch verschärft. Es droht eine erneute ökonomische Spaltung Europas. Es sei vermerkt, daß der Realsozialismus die ökonomische und soziale Rückständigkeit Osteuropas nicht verursacht hat. Sie hat ihre Wurzeln in der Zeit vor 1945 bzw. 1917. Der Realsozialismus hat sie allerdings auch nicht grundsätzlich beseitigt, sondern noch weitere Problembereiche – wie die Krise der Ökologie – hinzugefügt. Es ist kaum zu erwarten, daß sich die Logik marktgesteuerter ökonomischer Entwicklung ohne Anpassungskrisen von West nach Ost übertragen läßt und zu einem raschen Anstieg von Produktivität und Wachstum führen wird. Die bestehenden Disproportionen werden sich zumindest vorübergehend noch vergrößern.

Keine repräsentative Demokratie kann ohne eine funktionierende Wirtschafts- und Sozialordnung existieren. Von beidem sind die osteuropäischen Länder noch ein gutes Stück entfernt. Die Gefahr einer weiteren Eskalation innergesellschaftlicher und zwischenstaatlicher Konflikte ist daher ausgesprochen groß. Erstens kann nationalistische und fundamentalistische Regression zu autoritären Lösungen und zur Unterdrückung nationaler Minderheiten und zu bewaffneten Auseinandersetzungen größeren Ausmaßes führen. Zweitens besteht die Gefahr der massenhaften Migration aufgrund von sozialer Verelendung und nationalistischen und ethnischen Konflikten. Das Ausbluten durch den Verlust von qualifizierten und jungen Menschen kann die Rückständigkeit ganzer Regionen perpetuieren und zu Abwehrreaktionen der Aufnahmeländer führen. Drittens kann ein Rückfall in eine nationalistische Politik, die neue Hegemonialstrukturen, bilaterale Allianzen und Gegenallianzen hervortreibt, eine Situation erhöhter Instabilität in ganz Europa schaffen. Viertens besteht die Gefahr einer Remilitarisierung der Sicherheitspolitik in Westeuropa, die ihre Begründung aus gewaltförmigen Konflikten in Osteuropa und der instabilen GUS erhält.

Jenseits der politischen Ungewißheiten steht für die osteuropäischen Staaten in den nächsten Jahren das wirtschaftliche Aufholen im Mittelpunkt. Das Aufholpotential der osteuropäischen Länder läßt vermuten, daß „für das Erreichen des gegenwärtigen europäischen Durchschnitts etwa 10 bis 20 Jahre und für das Herankommen an das Niveau technologisch führender westeuropäischer Länder etwa 30 bis 40 Jahre ins Auge gefaßt werden müssen.“ (Maier 1991, S. 13) Der Vergleich mit den EG-Staaten, deren Wachstumsraten höher als der EG-Durchschnitt liegt, zeigt allerdings auch, daß der Strukturwandel mit einer absinkenden Erwerbsquote einhergeht. „Folglich lassen sich zwei Faktoren festhalten, die als Merkmale ökonomisch-sozialer Aufholprozesse Hervorhebung verdienen: Langwierigkeit und soziale Konfliktträchtigkeit.“ (Maier 1991, S. 14) Diese Konstellation bleibt nicht ohne Rückwirkungen auf die westeuropäischen Gesellschaften. Solange das ökonomisch-soziale Gefälle den wichtigsten Hintergrund für die Migration in Europa bildet, wird sich die ethnische Segmentierung der Arbeitsmärkte in den EG-Staaten fortsetzen. „Ein wachsender Anteil von Ausländern oder von eingebürgerten Ausländern an der Zahl der erwerbstätigen und der gesamten Bevölkerung wird daher eine kaum wieder verschwindende Tendenz der gesamteuropäischen Entwicklung sein.“ (Maier 1991, S. 15)

Das souveräne Deutschland in der EG

Der Zusammenbruch des Sozialismus bringt die Bundesrepublik in eine Schanierfunktion zwischen Ost und West, die ihre politische Bedeutung erhöht, während die Vereinigung von BRD und DDR zugleich eine neue machtpolitische Struktur in der EG geschaffen hat. Die Bundesrepublik ist nach der Vereinigung potentiell in der Lage, „ein Ergebnis zu erzielen, das demjenigen vergleichbar ist, das Frankreich in den sechziger Jahren erzielte: Gerade genug Integration, um den Interessen deutscher Bauern, deutscher Industrie und Dienstleistungen zu dienen, gerade eben ausreichend diplomatische Koordination, um Deutschland den europäischen Genehmigungsstempel zu geben, aber auch genug Freiheit für diplomatische Manöver, um unerwünschte Einschränkungen der Außenpolitik und Verteidigung zu verhindern.“ (Hoffmann 1990, S. 604)

Mit anderen Worten: Die Bundesrepublik kann »souveräner« als früher die Grenzen setzen, jenseits derer sie keine politischen Einschränkungen und finanziellen Lasten zu akzeptieren bereit ist. Und von einer aus dieser integrationspolitischen Haltung resultierenden Auflockerung des die Balance nationaler Interessen sichernden gemeinschaftlichen Regimes in der EG müßte die Bundesrepublik als leistungsfähigster EG-Staat am meisten profitieren, da ihr Zuwachs an politischer und ökonomischer Handlungsfreiheit am größten wäre. Eine schleichende Erosion der EG wäre die Folge. Der „Gefahr einer Überforderung“ der EG durch die doppelte Integration Osteuropas und der vereinigten Bundesrepublik kann daher nur durch eine Stärkung ihrer Kompetenzen begegnet werden (Loth 1991, S. 7).

Die Westintegration war für die Bundesrepublik ursprünglich kein primär ökonomisch motiviertes Projekt. Sie sollte den unter dem Vorbehalt der Alliierten stehenden Staat sicherheitspolitisch entlasten, ihm internationale Bewegungsspielräume verschaffen und nicht zuletzt die westlichen Verbündeten auf das nationale Ziel der Wiedervereinigung festlegen. Dabei vertraute die Bundesrepublik auf das Interesse der Westmächte und an einer politischen Einbindung ihres ökonomischen und militärischen Potentials und seiner Ausrichtung auf Anforderungen des Kalten Kriegs. So konnte die politische Klasse der Bundesrepublik weitgehend darauf verzichten, eigene ambitionierte Pläne zur Weiterentwicklung der westeuropäischen Integration vorzulegen, die über ihre sicherheits-, außen- und deutschlandpolitischen Interessen hinausgingen, zumal der den wirtschaftlich freien Zugang sichernde Gemeinsame Markt der EG ein wachsendes Guthaben vor allem für das bundesdeutsche Kapital bot. Mit einem im Vergleich zu Frankreich oder Großbritannien niedrigem außen- und sicherheitspolitischen Profil konnte die Bundesrepublik zur stärksten Macht in Westeuropa aufsteigen.

Heute übertrifft das Bruttoinlandsprodukt des vereinigten Deutschlands (1356 Mrd. Dollar im Jahr 1989) das BIP Frankreichs (951 Mrd. Dollar) um 43 Prozent. Es liegt damit nur rund 19 Prozent unter dem BIP der ehemaligen UdSSR (1639 Mrd. Dollar). Da die sozioökonomische Rekonstruktion der GUS ungleich komplizierter und krisenhafter verlaufen wird als die Integration der ehemaligen DDR in die Bundesrepublik Deutschland, spricht einiges für die Prognose, daß die Bundesrepublik Deutschland die Wirtschaftskraft der ehemaligen UdSSR um die Jahrtausendwende übertreffen wird. Aufgrund dieses ökonomischen Gewichts und seiner Transformation in politischen Einfluß hängt die Zukunft der EG stärker als in der Vergangenheit von der Bereitschaft der Bundesrepublik ab, die Integration nicht nur zu erweitern, sondern auch zu vertiefen. Einer krisenhaft verlaufenden Integration der Gesellschaft der DDR in das ökonomisch, soziale und politische System der Bundesrepublik kann allerdings eine politische Dynamik freisetzen, die stärker auf einen nationalen als auf einen europäischen Weg drängt. Dies könnte bedeuten, „daß die Bundesrepublik in den nächsten Jahren wegen der Konzentration der politischen Kräfte auf ihre internen Konflikte den Problemen des Integrationsprozesses in Europa möglicherweise weniger Beachtung schenken wird.“ (Busch 1991, S. 310 f)

Die mit der Vereinigung Deutschlands entstandene neue Struktur der EG bricht sich jedoch an der inneren und äußeren Dynamik des westeuropäischen Integrationsprozesses. So hat das Binnenmarktprojekt der EG die »Westausrichtung« des bundesdeutschen Kapitals weiter verstärkt. Profit wird vorwiegend auf Märkten der Triade EG, USA, Japan realisiert. Und auch die Bundesregierung ist zur Bewältigung der aus der Vereinigung und dem Umbruch in Osteuropa resultierenden Anforderungen sowie aufgrund der gegenüber der GUS und den anderen osteuropäischen Staaten eingegangenen Verpflichtungen vorläufig auf eine weitgehend konfliktfreie Beziehung zu den EG-Staaten angewiesen. Einem von staatlichen Apparaten inszenierten neuen Nationalismus wie auch einer Lockerung der Einbindung in die EG sind damit zumindest mittelfristig Grenzen gesetzt. Damit können die Chancen wachsen, ein neues – politisches – Gleichgewicht in der EG durch eine stärkere Einbindung der vergrößerten Bundesrepublik herzustellen. Eine verstärkte Einbindung läßt sich allerdings nur durch eine Vertiefung der politischen und ökonomischen Integration und ihrer Institutionalisierung in der EG erreichen. Dies würde seitens der Bundesregierung aber eine aktive Politik der außenpolitischen Selbstbeschränkung und Selbsteinbindung voraussetzen, die wiederum nur das Ergebnis veränderter, über neue Machtkonstellationen auf Regierungsebene hinausgehender politischer Kräfteverhältnisse sein kann.

Mit Volldampf in die Politische Union

Auf den Umbruch in Osteuropa reagierte die EG mit einer Beschleunigung des Integrationsprozesses. Vorbereitet durch zwei Regierungskonferenzen, verständigte sich der Europäische Rat in Maastricht auf die Verträge zur Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) und zur Politischen Union (PU). Die in Maastricht vereinbarte „immer engere Union unter den Völkern Europas“ (Helmut Kohl) soll auf drei Säulen ruhen. Die erste Säule erweitert die Zuständigkeiten der EG in der Industrie-, Sozial-, Umwelt- und Bildungspolitik, fügt die WWU in die bestehenden Verträge ein und räumt dem Europäischen Parlament geringfügig erweiterte Rechte ein. Großbritannien wird die Sozialpolitik der EG allerdings nicht mittragen. Die zweite Säule, die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP), soll den Prozeß der Kooperation in den Außenbeziehungen und der Militärpolitik verbessern. Sie verbleibt aber außerhalb der EG-Verträge. Die WEU soll zum militärischen Arm der PU ausgebaut werden und gleichzeitig als Brücke zur NATO fungieren. Auch die dritte Säule, die Innen- und Justizpolitik, sieht nur eine intergouvernementale Zusammenarbeit vor. Die Einwanderungs- und Asylpolitik sowie die polizeilichen Aufgaben sollen künftig stärker abgestimmt werden. Neuland wird dem beratenden Regionalauschuß als Vertretung der Regionen, Bundesländer und Kommunen betreten.

Den konkreten Festlegungen für die WWU steht die offene Gestalt der PU gegenüber. Im politischen Bereich sind die Mitgliedstaaten der EG von einer geschlossenen Handlungseinheit, einem »europäischen Machtstaat«, noch weit entfernt. Auch nach dem Gipfel von Maastricht bleibt die EG ein nationalstaatlich fragmentiertes Machtzentrum, das nur eine „zusammengesetzte“ Außen- und Sicherheitspolitik (Rummel 1982) betreiben kann. Diese Struktur begünstigt eher eine reaktive, abwehrende als eine aktive, vorausschauende Politik. Das ökonomische Gewicht der EG übersetzt sich nur langsam in politische Macht: „Die wirtschaftliche Macht der Einzelstaaten der EG stellt sich im Hinblick auf die Gesamtheit erst allmählich als politische Größe dar und dann eher auch als Schutzfaktor im Parallelogramm der Weltwirtschaftskräfte, denn als Potential etwa im Kampf um globalen Einfluß.“ (Hartwig 1991, S.<|>145) Dennoch ist zu erwarten, daß die EG-Staaten, die nun mehr in dem bisherigen Maß auf den sicherheitspolitischen Beistand der USA angewiesen sind, ihre globalen Interessen nachhaltiger als bisher verfolgen und partiell auch militärisch absichern werden (Laursen 1991).

Erleichtert werden die Pläne für eine Militarisierung des EG-Systems durch die auch in der sozialdemokratischen Parteienlandschaft Europas verbreiteten Auffassung, daß eine engere Kooperation in der Sicherheitspolitik einschließlich ihrer militärischen Komponente die Voraussetzung für eine strategische Entkoppelung von den USA ist. Ein von den USA unabhängigeres Europa könnte dann, weltpolitisch zurückhaltend agierend wie der »Handelsstaat« Japan, ein Gegenmodell zu der wie im Golf-Konflikt überreizt reagierenden und sich leicht in militärische Abenteuer verstrickenden USA bilden. Diese Argumentation übersieht bewußt, daß mit einer militärischen Erweiterung der EG oder der WEU nicht nur eine Abkoppelung von den USA vollzogen wird, sondern zugleich die Grundlage für eigenständige militärische Optionen zur Durchsetzung der Interessen einer »Festung Europa« gelegt wird. Vor allem für die ehemaligen Kolonialmächte Frankreich und Großbritannien kann sich eine europäische Eingreiftruppe als ein attraktives Instrument für Interventionen in der »turbulenten Zone« jenseits der OECD-Welt entwickeln.

Daß die Maastrichter Beschlüsse reibungslos umgesetzt werden, ist aufgrund der schlecht ausgefallenen Referenden in Dänemarkt und Frankreich sowie der schleichenden »Europamüdigkeit« in allen EG-Mitgliedstaaten sowie aufgrund der für die Zeit nach 1992 anstehenden Erweiterungen der EG um beitrittswillige EFTA-Staaten und angesichts der ungewissen ökonomischen, sozialen und politischen Entwicklung in Osteuropa kaum zu erwarten. Dies gilt vor allem für den Vertragsteil über die PU.

Dennoch werden die Strukturen Europas in einem zunehmenden Maß durch Regime wie EG und KSZE geprägt, in denen die internationale Zusammenarbeit durch formelle und informelle Regeln und Normen gesteuert wird (Senghaas 1990). Zwar bleibt die politische Landschaft Europas weiterhin vorwiegend von Nationalstaaten geprägt, die allerdings zunehmend weniger in der Lage sind, die politische, ökonomische und soziale Entwicklung im nationalstaatlichen Rahmen autonom zu gestalten. Der Verlust von Souveränität, der auch aus einem stärkeren Einfluß gesellschaftlicher Interessen auf die Außenpolitik resultiert (Czempiel 1991, S. 86), geht aufgrund der Internationalisierungsprozesse einher mit einem Zwang zur Kooperation auf internationaler Ebene. Nicht viel, aber ein wenig Hoffnung gegen nationalistische Düsternis.

Literatur

Altvater, Elmar (1991), Universalismus, Unipolarität, Polarisierung. Wiedersprüchliche Strukturprinzipien einer »neuen Weltordnung«, in; Prokla 84, S. 345-367

Bergsten, Fred C. (1990), The World Economy after the Cold War, in: Foreign Affairs, Vol. 69, No. 3, S. 96-112

Busch, Klaus (1991), Umbruch in Europa. Die ökologischen und sozialen Perspektiven des einheitlichen Binnenmarktes, Köln

Charta (1990) von Paris für ein neues Europa – Ein neues Zeitalter der Demoktratie, des Friedens und der Einheit. Erklärung des KSZE-Treffens der Staats- und Regierungschefs in Paris vom 21. November 1990, in: Europa Archiv 24/1990, S. D 656 – D 664

Czempiel, Ernst-Otto (1991), Weltpolitik im Umbruch. Das internationale System nach dem Ende des Ost-West-Konflikts, München

Deppe, Frank, (1991) Jenseits der Systemkonkurrenz. Überlegungen zur neuen Weltordnung, Marburg 1991

Fukujama, Francis (1989), The End of History, in: The National Interest, Sommer, S. 3-19

Hartwig, Dieter (1991), Sicherheitspolitik und Verteidigung der Europäischen Gemeinschaft. Gegenwartsdiskussion und Perspektive, Baden-Baden

Hoagland, Jim (1990), Europe's Destiny, in: Foreign Affairs, Vol. 69, No. 1, S. 33-50

Hoffmann, Stanley (1990), Abschied, Abschied von der Vergangenheit. Politik und Sicherheit im Europa der neunziger Jahre, in: Europa-Archiv 10, S. 595-606

Laursen, Finn (1991), The EC in the World Context. Civilian power or suprerpower?, in: Futures, No 7, S. 747-759

Loth, Wilfried (1991), Das Ende der Nachkriegsordnung, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 18, S. 3-10

Maier, Lutz (1991), Ökonomische Realitäten in Europa, in: IPW 10, S. 11-16

Rummel, Reinhardt (1982), Zusammengesetzte Außenpolitik. Westeuropa als internationaler Akteuer, Kehl a. Rh., Straßburg

Schöpflin, George (1991), Probleme des Postkommunismus, in: Europa-Archiv 8, S. 255-264

Senghaas, Dieter (1991), Internationale Politik jenseits des Ost-West-Konflikts, SWP – AP 2722, Ebenhausen

Senghaas, Dieter (1990), Europa 2000. Ein Friedensplan, Frankfurt a.M.

Snyder, Jack (1990), Averting Anarchy in the New Europe, in: International Security, Spring, S. 5-41

Klaus Peter Weiner ist Politikwissenschaftler in Marburg

„ Es gibt keinen „ Staat in Europa“

„ Es gibt keinen „ Staat in Europa“

von Etienne Balibar

Im Zusammenhang mit dem europäischen Rassismus stellt Balibar die Frage nach der europäischen Identität. Er stellt die These auf, daß es keinen (Rechts-)Staat Europa gibt, und dieser Nicht-Staat dementsprechend auch nicht demokratisierbar ist. Im folgenden geht es um seine Ausführungen zur europäischen Identität.

(…) was ist eigentlich das Europa, von dem wir sprechen? Wir kommen ohne diesen Bezugspunkt nicht aus, sind aber gar nicht in der Lage, eindeutig festzustellen, was er bedeutet. »Europa« läßt sich heute weder in bezug auf eine politische Einheit noch in bezug auf eine historisch-kulturelle Einheit noch in bezug auf eine »ethnische« Einheit definieren. Die dunkelste aller Fragen ist vielleicht die, ob »Europa definieren« auch die Möglichkeit eröffnet, »die EuropäerInnen zu definieren« – als Mitglieder einer bestimmten Gemeinschaft, als InhaberInnen bestimmter Rechte, als VertreterInnen einer bestimmten Kultur. (…)

Das offizielle Bild (ich bin inzwischen versucht, zu sagen: der offizelle Mythos), mit dem wir jahrelang gelebt haben, ist, daß derartige Definitionen Europas und des Europäischen prinzipiell möglich sind. Es stellte sich die Frage, ob die »Europäische Einigung« sich letztendlich über die nationalen Besonderheiten hinwegsetzen würde und in welchem Maße sie dies tun würde, aber niemand hatte wirklich ein Problem damit, was »Europa« eigentlich bedeutet. In unserem Arbeitsprojekt verstand sich dieser Bezug von selbst, und das, was Probleme macht, waren die »Migrationen«, war der »Rassismus«. Aber nun gerät alles ins Wanken, und mittlerweile ist genau das Gegenteil richtig: vor jeder ernsthaften Analyse des Rassismus und seiner Beziehung zu den Migrationen müssen wir uns fragen, was das Wort Europa sagen will, und was es morgen bedeuten wird.

In Wirklichkeit entdecken wir aber so die Wahrheit der vorherigen Situation, welche die Vorstellung, die wir davon hatten, völlig zertrümmert: Europa ist nichts, was mehr oder weniger schnell »geeinigt« wird, es ist ein historisches Problem ohne irgendeine präexistierende Lösung. Die »Migrationen« und der »Rassismus« sind selbst Teile dieses Problems.

Warum hat sich die Situation umgekehrt? Wir wissen es alle: wegen der möglichen Auswirkungen von drei historischen Ereignissen, die im Laufe eines Jahres aufeinander gefolgt sind: des Zusammenbruchs des sozialistischen Staatensystems, der deutschen Vereinigung und des Ausbruchs einer gewaltigen Krise im Nahen Osten, die sich von heute auf morgen in einem Krieg verwandeln kann, der vielleicht kein »Weltkrieg«, aber offensichtlich auch kein »lokaler« Konflikt wäre (man bräuchte dafür eine neue Kategorie). Keines dieser drei Ereignisse hat bisher alle seine Auswirkungen gezeitigt, was die Analyse für uns zugleich unerläßlich und höchst ungewiß macht. Es gibt keinen Zweifel (erst recht nicht, wenn man auf ihre Ursachen zurückgeht), daß sie eine enge Verbindung untereinander haben. Die Art dieser Verbindung ist jedoch alles andere als klar: in einer einfachen Aufeinanderfolge liegt sie jedenfalls nicht. Sicher ist, daß keines dieser Ereignisse mittlerweile seine Auswirkungen unabhängig von den anderen zeitigen kann, und daß je nachdem, wie diese Auswirkungen sich entwickeln, die Existenz und die Natur einer »europäischen« Einheit sich auf ganz verschiedene Weise darstellen wird.

Umreißen wir einige der damit gestellten Fragen. Der Zusammenbruch des »realen« Sozialismus ist definitiv: die politische und die ökonomische Krise haben sich mittlerweile verknüpft. In gewisser Weise wird damit das Testament von 1968 vollstreckt. Aber dieser Zusammenbruch führt weder zu einer Erneuerung des Sozialismus oder zu einem »dritten Weg« (wie noch vor einem Jahr die Intelektuellen der DDR geglaubt haben, die sich zu den WortführerInnen der Kritik des Honecker-Regimes machten), noch führt er zu jener Einführung des politischen Liberalismus, von der die neuen technokratischen »Eliten« träumen. Er führt zunächst zum administrativen Zerfall, zur Verschärfung der wirtschaftlichen Not und zum Aufflammen des Nationalismus auf allen Ebenen.

Das Ende der politischen Teilung Europas ist ein fortschreitendes Ereignis von gewaltiger historischer Tragweite. Man kann verstehen, daß dies bei den Intellektuellen mit einer gewissen Begeisterung für die Idee der »europäischen Kultur« einhergeht, die es wiederzuentdecken oder wiederaufzubauen gilt, man kann diese Begeisterung, die Ideen und Projekte generiert, durchaus teilen. Aber die massenhafte ideologische Wirklichkeit, die dieser Kultur entspricht, ist zunächst die der stärker gewordenen Nationalismen, oder genauer: die eines instabilen Gleichgewichts zwischen der Verschlimmerung der nationalen Partikularismen und des Vordringens des »amerikanischen« Modells der Konsumtion und der sozialen Kommunikation. In seinen Sturz reißt der »Realsozialismus« sowohl den diktatorischen Apparat der Einheitspartei, des bürokratischen Staats usw. als auch die egalitaristische Utopie der Arbeiterbewegung des 19. Jahrhunderts mit hinein. Doch ist das Resultat keineswegs das »Ende der Geschichte« und der Triumph eines liberalen Systems der sozialen Konfliktregulierung. Man kann im Gegenteil, nachdem die große vereinfachende Opposition zwischen den »Ideologien« und den »Lagern« überwunden ist, eine rasche Differenzierung des »Liberalismus« selbst erwarten: insbesondere eine Renaissance des Problems der Demokratie im Kapitalismus, nachdem die Identität der beiden Termini nicht mehr durch die Präsenz eines zugleich antikapitalistischen und antidemokratischen Systems im Osten »gewährleistet« ist.

Die am meisten ungewisse und auch prekärste Frage ist in dem Moment (…) die nach den Auswirkungen der Nahostkrise. Sie werden offenbar ganz anderer Natur sein, je nachdem, ob man in den Krieg hineinschliddert oder nicht, und je nachdem, wie lang und wie zerstörerisch er sein wird. Aber sie werden unweigerlich eine Neuformierung der gegenwärtig sich abzeichnenden »Lager« nach sich ziehen. In jedem Fall kann man zumindst drei Feststellungen treffen, die allen denkbaren Hypothesen zugrundeliegen.

Erstens versetzt das Ende des »Kalten Krieges« die USA in die Position der einzigen Supermacht, aber diese Situation bedeutet nicht Konfliktentschärfung, sie bedeutet vielmehr unter den aktuellen Bedingungen die Unmöglichkeit einer stabilen Weltordnung, die Notwendigkeit eines faktischen Rückgriffs auf die Gewalt und möglicherweise die Bildung von vielfachen »regionalen« Imperialismen. (Als Grundelement der »Kopplung«, die zwischen der Bildung von »Subimperialismen« im Süden und der Krise der Imperialismen des Nordens besteht, wäre offenbar an prominenter Stelle die Bedeutung zu nennen, die Produktion und Verkauf von Rüstungsgütern in Ökonomie und Politik der letzteren haben.)

Zweitens befinden wir uns am Ende einer Phase, in denen es den Ländern des Nordens – ohne irgendeine Rücksicht auf die Folgen – gelungen ist, die Krise in die Dritte Welt »zu exportieren«, das heißt, ihre eigene ökonomische Stabilisierung durch eine absolute Verelendung der anderen (der »Dritten«) bezahlen zu lassen. Und wir befinden uns am Anfang einer neuen Phase, in der die Auseinandersetzungen um die Kontrolle der Rohstoffe (vor allem des Erdöls) die ökonomischen und sozialen Gleichgewichte in den »entwickelten« Ländern selbst wieder in Frage stellen.

Drittens sehen wir die »Kopplung« zwischen der politischen und sozialen Entwicklung des Nahen Ostens und derjenigen der europäischen Länder sich verstärken. Es bildet sich, mit anderen Worten, tatsächlich ein »mediterranes« Ensemble, das auf religiöser, kultureller, ökonomischer und politischer Ebene in hohem Maße konfliktträchtig ist. Die zwei Ensembles, welche die »arabische Nation« und die »europäische Nation« bilden (wobei die eine aus unterschiedlichen historischen Gründen so ungewiß wie die andere ist), sind eng miteinander verflochten und können sich nicht unabhängig voneinander entwickeln. Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang natürlich die Bedeutung der »muslimischen« Bevölkerungen in Europa, aber auch die der europäischen oder europäisierten Bevölkerungs-Enklaven in der »arabischen« Welt (Israel, darüberhinaus all jene multilingualen und multikulturellen Gesellschaften, die aus der französischen Kolonisation hervorgegangen sind). Oder auch die Interessenverflechtung, deren Symbol die organische Kopplung zwischen den Finanzmächten Kuwaits und der Londoner City ist. Doch besteht die Gefahr, daß der künftige »Eiserne Vorhang« oder die künftige »Mauer« sich irgendwo im (südöstlichen) Mittelmeerraum wiederfinden, und es wird nicht leichter sein als im Falle ihrer VorgängerInnen, sie zu Fall zu bringen.

Dies bringt uns dazu, über die Auswirkungen nachzudenken, die diese im Gang befindlichen Ereignisse auf die »Europäische Einigung« haben könnten. Ich fühle mich ganz und gar nicht in der Lage, irgendwelche Vorhersagen zu machen, und trotzdem ist es sehr wohl nötig, der Diskussion einige Arbeitshypothesen zugrundezulegen. Die erste Hypothese, die ich formulieren werde, ist negativ: trotz der erreichten Schritte zur Transnationalisierung der europäischen Gesellschaften, die nicht annulliert werden können, und trotz der institutionellen Veränderungen, die wahrscheinlich nicht rückgängig zu machen sind, wird das politisch-wirtschaftliche »Kleineuropa« nicht wie vorgesehen zu verwirklichen sein.

Diese eingeschränkte Europäische Einheit, die teils supranational, teils konföderativ ist, hat sich als ein Konkurrenzgebilde zur amerikanischen Großmacht entwickelt, blieb aber im Rahmen der politisch-militärischen Ost-West-Konfrontation mit ihr assoziiert. Der politische Triumph der Vereinigten Staaten über die Sowjetunion (…) geht einher mit der relativen Schwächung der wirtschaftlichen Vormachtstellung der USA in der Welt und mit der Öffnung Osteuropas zum bevorzugten Expansionsgebiet des kapitalistischen Marktes – folglich mit einer vorauszusehenden Verschärfung der Konkurrenz zwischen Europa und den USA. Doch haben in dieser Konkurrenz nicht alle europäischen Länder, nicht einmal die im Osten, die gleichen Interessen und Möglichkeiten. Die antideutschen Chauvinismen, die man in Frankreich und in anderen europäischen Ländern hören kann, seit die Vereinigung der beiden Deutschländer zu einer unabwendbaren Perspektive geworden ist, gründen auf bestimmten Analogien und auf einer Vorstellung der nationalen Konflikte in Europa, die möglicherweise aus einer anderen Zeit stammt. Nichtsdestoweniger bleibt die Tatsache, daß die Europäische Einigung auf einem relativen Gleichgewicht verschiedener Länder basierte und sich nun mit einem gewaltigen inneren Ungleichgewicht der Möglichkeiten, das »Neuland« im Osten wirtschaftlich und politisch zu erschließen. Auch läßt die Krise am Golf sehr klar zutagetreten, daß die verschiedenen EG-Länder in der Konfrontation mit dem amerikanischen Imperialismus und den »Subimperialismen« des Nahen Ostens nicht die gleichen Interessen haben (oder ihre Interessen nicht in gleicher Weise einschätzen).

All dies sind dauerhafte Spaltungsfaktoren, auch wenn ihre politische Wirkung nicht unmittelbar vorauszusehen ist.

Es lohnt deshalb, sich die zwei folgenden Interpretationsmodelle anzusehen.

Erstens wird Europa mehr und mehr nicht zu einer geschlossenen Einheit (vergleichbar einem Bundesstaat oder einem multinationalen Imperium), sondern zu einem offenen Ensemble mit mehreren konzentrischen Kreisen supranationaler Institutionen, die sich in einem instabilen Gleichgewicht befinden und einen Raum des Zusammentreffens (und gegebenenfalls des Konflikts) zwischen verschiedenen ökonomisch-kulturellen Ensembles bilden, deren historische Besonderheit jede für sich mindestens so stark wie die der »europäischen Einheit« selbst ist: einem Euroamerikanischen Ensemble, einem Euro-mediterranen Ensemble (das in erster Linie euro-arabisch oder euro-muslimisch ist) und einem Euro-(ex-)sowjetischen oder Euro-östlichen Ensemble, das ganz oder zum Teil die Länder umfaßt, die vom sozialistischen System geprägt und mit der Aufgabe seiner »Liquidierung« konfrontiert sind. Diese Ensembles sind natürlich nicht nebeneinandergelagert, sondern weiträumig übereinandergeschichtet. Es gibt nicht ein, sondern mehrere »gemeinsame Häuser« in Europa.

Zweitens wird dieses Ensemble, das nach außen offen ist, eben weil es eher eine Schnittmenge mehrerer Welt-Räume als eine wirklich selbständige Einheit ist, nach innen um nichts weniger geschlossen sein, und dies wegen einer Reihe von »Grenzen«, die unmöglich abzuschaffen sind, nicht nur von politischen Staatsgrenzen, sondern vor allem von beweglichen sozialen Grenzen, die auf den Karten »unsichtbar« sind, die aber in den administrativen Bestimmungen und den sozialen Praxen gewissermaßen materialisiert sind – »inneren Grenzen« zwischen Bevölkerungsgruppen, die durch ihre Herkunft und durch ihre Stellung in der Arbeitsteilung unterschieden sind. Tatsächlich ist dieses Europa von jetzt an und zunehmend der Treffpunkt zwischen verschiedenen Typen politischer-ökonomischer Migration, vor allem aus dem »Süden« und dem »Osten«. Man wird versuchen, ihnen aus sowohl ideologischen wie ökonomischen Gründen einen unterschiedlichen Status zu geben und dabei gegen das Hindernis der erreichten Situationen (vor allem der post-kolonialen Situationen) und gegen das Ärgernis der abgegebenen Versprechungen (vor allem in Helsinki) angehen müssen.

Was sich auf diese Weise abzeichnet, ist ein europäischer »Schmelztiegel« (oder ein instabiler hierarchischer Komplex ethno-sozialer Gruppen), der an die amerikanische Situation zwar erinnert, sich aber von dieser gerade dadurch unterscheidet, daß er nicht die Auslöschung der ursprünglichen Nationalitäten voraussetzt, sondern auf ihrer Perpetuierung und Vervielfachung beruht.

Wenn diese sehr allgemeinen Perspektiven richtig sind, bedeutet das eine Umkehrung des geschichtlichen Verlaufs von Jahrhunderten, dessen weitere Aspekte wir gleich untersuchen werden. Während Europa über dreihundert Jahre hinweg seine politischen Modelle und die Folgen der Auseinandersetzungen zwischen seinen Nationen und »Blöcken« in die ganze Welt exportiert hat, zeichnet sich nun das Gegenteil ab. „The world strikes back“: Europa ist nun der Ort, in dem sich die politischen Probleme der ganzen Welt kristallisieren und, wenn schon nicht das schwächste Kettenglied, so doch der neuralgische Punkt ihrer Widersprüche.

Die ganze Bedeutung dieser Situation ergibt sich, wenn man die »Deutsche Frage« näher untersucht. Die neuesten Ereignisse lassen bei den meisten Kommentatoren den Gedanken aufkommen, daß die deutsche nationale (und nationalistische) Tradition, die man vergessen oder zu vergessen vorgegeben hatte, als ein bestimmender Faktor der europäischen Geschichte vor unseren Augen wiederersteht. Dies würde alles in allem auf das Dilemma hinauslaufen, daß man entweder ein »deutsches Europa« bekommt oder ein Deutschland ohne Europa. Ohne das Richtige in dieser Beobachtung zu übersehen, kann man sie aber mit ihrer dialektischen Kehrseite konfrontieren: von allen europäischen Ländern ist vielleicht gerade Deutschland das Land, das sich in den schärfsten Formen mit der Krise der »Nation«-Form konfrontiert finden wird. Nicht nur weil die Wiederherstellung eines einzigen »deutschen Volkes« aus den Bevölkerungen der Ex-BRD und Ex-DDR nichts weniger als selbstverständlich ist, sondern vor allem deshalb, weil das Deutschland von morgen den virtuellen Brennpunkt aller »Unterschiede« und ethnisch-sozialen Spannungen darstellt, von denen wir gesprochen haben, will es nicht eine unmögliche Blockierung der Freizügigkeit schaffen (in deren Namen ja gerade die Revolte der östlichen Länder stattgefunden hat). Berlin kann als das politisch-geographische »Zentrum« des historisch-kulturellen Raumes, der sich zwischen London, Stockholm, Warschau, Moskau, Budapest, Istanbul, Bagdad, Kairo, Rom, Algier, Madrid und Paris erstreckt, nicht die Hauptstadt des neuen Deutschland sein, ohne zugleich das »Zentrum« der politischen Spannungen zu sein, die den unterschiedlichen Regionen in diesem Raum entspringen.

(…)

Was ist (also) heute in Europa der Staat?

Die Formulierung ist mir wichtig; es geht nicht um die Frage, was »der europäische Staat« heute ist, denn eine solche Frage hat wohl keinen eindeutigen Sinn. Sondern es geht darum, sich in einer sehr langfristigen historischen Perspektive, einer Perspektive, in der die Entwicklung der Formen der staatlichen Institutionen geschichtlich analysiert wird, die Frage zu stellen, was in dem europäischen Raum, dessen Komplexität wir zuvor betrachtet haben (insbesondere was die Unmöglichkeit angeht, ihn auf die bloße Gestalt eines »Territoriums« zurückzuführen), aus dem Staat tendenziell wird, und wie er sich darin verhält, welche Funktionen er darin erfüllt.

Eine solche Frage läßt sich sicher nicht in einfachen Begriffen stellen, da sie mehr als nur eine Dimension umfaßt (es ist zum Beispiel evident, daß die noch nicht klar beantwortete Frage, welche Staatsformen auf die ehemaligen »sozialistischen« Staaten letzten Endes folgen und welches die Auswirkungen auf den Status der Politik in Europa insgesamt sein werden, eines der großen Rätsel in diesem Problem ist). Man kann ihr aber nicht ausweichen, weil sie – das ist zumindest meine Überzeugung – die entscheidende Frage ist, um den Rassismus, mit dem wir es zu tun haben, zu analysieren und seine Entwicklungslinien vorherzusehen.

Auch hier drängt sich zunächst eine negative Kennzeichnung auf. Der Staat ist heutzutage in Europa weder national noch supranational, und diese Zweideutigkeit wird sich mit der Zeit nicht etwa abschwächen, sondern nur noch vertiefen. Praktisch bedeutet das (sowohl auf wirtschaftlichem oder finanziellem wie auf sozialem oder juristischem Gebiet): was in der Machtaufteilung zwischen der Ebene der »Nationalstaaten« und der Ebene der »EG-Institutionen« zur Erscheinung kommen wird, ist eine beständige Redundanz, eine Konkurrenz zwischen den Institutionen. Was jedoch die Realität ausmachen wird, ist ein tendenzieller Prozess des Zerfalls oder der Defizienz des Staates: fehlende Macht, fehlende Verantwortlichkeit, fehlende Öffentlichkeit. Der »Staat« als eine Institution der Machtzentralisation, dem sich die Verantwortung für eine Politik zuschreiben läßt und der eine öffentliche Vermittlung zwischen Interessen und gesellschaftlichen Kräften ausübt, dieser Staat tendiert in Europa zum Verschwinden. Man könnte dies auch so ausdrücken, daß wir unter dem Anschein einer Multiplizierung und Überlagerung von öffentlichen Institutionen in die Phase einer neuartigen »Privatisierung« des Staates eintreten.

Dies ist vermutlich das Ergebnis der Tatsache, daß es für einen Staat dieses Typs, der aus verschiedenartigen Ursachen entstand, der aber im Grunde als die staatliche Institution eines Marktes begriffen wurde – was in der Geschichte ohne Beispiel ist: es handelt sich in gewisser Weise um die »liberale« Utopie im praktischen Zustand – kein präexistierendes Modell gibt. Es exisitert um so weniger, als diese Utopie – die ihre realen Wirkungen hatte und weiterhin hat, genau wie die Gegenutopie, die kommunistische, ihre realen Wirkungen hatte – in Wirklichkeit sich anschickt, in eine historische Epoche überzugehen, in der es den absolut »freien« Markt nicht mehr geben kann: jeder Markt ist heute unauflöslich ein Kräfteverhältnis zwischen öffentlichen und privaten Korporationen auf transnationaler Ebene, und jeder Markt ist eine ebenso soziale wie wirtschaftliche Organisation. Was jedoch an der europäischen Konstruktion sofort auffällt, ist eben die Tatsache, daß sie von einigen bemängelnden Diskursen abgesehen keine wirkliche soziale Dimension hat. Der europäische Staat ist als Sozialstaat (man wäre versucht, zu sagen: als supranationaler Sozialstaat) weder von den Marktkräften noch von den Regierungen gewollt worden, und verschiedene historische Gründe haben dafür gesorgt, daß er von der Arbeiterbewegung zu einer Zeit, als sie die Situation noch beeinflussen konnte, nicht durchzusetzen war (und auch nicht ernstlich in Betracht gezogen wurde). Gerade weil aber die Grenze zwischen sozialem Recht und öffentlichem Recht (oder dem »sozialen« und dem »politischen Bürgerrecht« (citoyenneté), wenn man so will) heute unmöglich zu ziehen ist, bedeutet dies am Ende, daß es einen »europäischen« Rechtsstaat nicht gibt. In Abwandlung des berühmten Ausrufs von Hegel (aus dem Manuskript „Die Verfassung Deutschlands von 1799/1800“) wage ich deshalb zu sagen: Es gibt keinen (Rechts-)Staat in Europa!

Die Konsequenz dieser Sachlage, die wir tagtäglich beobachten und die in der uns hier beschäftigenden Frage omnipräsent ist, könnte man Etatismus ohne Staat nennen, Etatismus ohne wirklichen Staat. Tatsächlich ist es vom »europäischen« Standpunkt der Etatismus, das heißt die Kombination der Verwaltung- und Repressionspraktiken mit dem kontingenten Ausgleich der Partikularinteressen (darunter auch denen der einzelnen Nationen oder der herrschenden Klassen jeder Nation), der den Staat ersetzt (und den Eindruck vermittelt, es gäbe ein Wuchern des Staates). Das Überhandnehmen der Macht ist die Macht eines Vakuums. In vieler Hinsicht ist diese Situation derjenigen vergleichbar, die wir in der »Dritten Welt« zu sehen uns angewöhnt haben (und die wir an den Zustand wirtschaftlicher und kultureller »Unterentwicklung« geknüpft glauben). Damit sind alle Bedingungen für die Produktion und Unterhaltung eines kollektiven Gefühls der Identitätspanik beisammen. Denn die Individuen, und besonders diejenigen, die am mittellosesten und von der Macht am weitesten entfernt sind, fürchten zwar den Staat, doch fürchten sie noch mehr sein Verschwinden und seinen Zerfall: das ist es, was die anarchistische und marxistische Tradition nie begriffen und wofür sie extrem teuer bezahlt hat. (…)

Anmerkung

Die Auszüge dieses Artikels sind – mit freundlicher Genehmigung des Argumentverlages – entnommen aus: Institut für Migrations- und Rassismusforschung e.V.: Rassismus und Migration in Europa. Beiträge des Kongresses „Migration und Rassismus in Europa“ Hamburg, 26.-30. September 1990, Argumentsonderband AS 201, Hamburg 1992, 564 S.

Etienne Balibar (Maitre de Philosophie) ist Mitarbeiter an der Universität Paris, Fakultät für Humanwissenschaft.

Der Nord-Süd-Konflikt um „Umwelt und Entwicklung“

Der Nord-Süd-Konflikt um „Umwelt und Entwicklung“

von Karin Stahl

Wie der Titel der für Juni dieses Jahres in Rio de Janeiro (Brasilien) geplanten UN-Konferenz „Umwelt und Entwicklung“ (UNCED) bereits suggeriert, steht diese Konferenz für den Versuch, die vielfältigen Beziehungen zwischen Entwicklungsstilen, Unterentwicklung und Überkonsumtion einerseits und Umweltzerstörung bzw. -erhaltung andererseits herauszuarbeiten. Allgemeines Ziel dieser Konferenz ist es, der fortschreitenden Umweltzerstörung und zunehmenden Verarmung Einhalt zu gebieten und einen politischen Konsens aller Regierungen der UN-Staatengemeinschaft über künftige „nachhaltige“ Entwicklungswege herzustellen. Angesichts der Vielzahl von divergierenden Interessen zwischen Nord und Süd, zwischen Ost, West und Süd und zwischen Staaten innerhalb der verschiedenen Interessenblöcke mutet dies allerdings als ein äußerst schwieriges Unternehmen an.

Mit dem Appell an das gemeinsame Interesse und die gemeinsame Verantwortung aller Völker und Staaten für die Erhaltung der Umwelt und für das Überleben der Menschheit war bereits die von der UN eingesetzte Brundtland-Kommission angetreten, einen solchen politischen Konsens in ihrem programmatischen Bericht von 1987 zu formulieren.1 Die eher harmonistische Eine-Welt-Vision des Brundtland-Berichts von der gemeinsamen Verantwortung für die gemeinsame Zukunft und die damit verknüpfte Konsens-Strategie wurden jedoch schon kurze Zeit später wieder in Frage gestellt. Sowohl die lateinamerikanische Kommission für Umwelt und Entwicklung wie auch die Südkommission stellten dem Brundtland-Bericht aus der Perspektive der Staaten der Dritten Welt ihre Agenda gegenüber und hoben die gegensätzlichen und konfligierenden Interessen zwischen Nord- und Süd in der Umwelt- und Entwicklungsproblematik hervor.2 (…) Zweifel sind angebracht, ob ein von allen getragener politischer Konsens überhaupt erreicht und globale Lösungsansätze gefunden werden können. (…)

Kernstücke der Vorverhandlungen für die geplante UN-Konferenz sind die Ausarbeitung von Prinzipien für den Schutz und die Nutzung von Wäldern, die als Grundlage für eine später zu erarbeitende Konvention zum Schutz von Wäldern dienen sollen. Weiterhin sollen ein umfassender Aktionsplan, die »Agenda 21«, mit prioritären Umwelt- und Entwicklungsprogrammen für das nächste Jahrhundert sowie eine sogenannte »Earth-Charta« ausgearbeitet werden, die eine Reihe von ethischen Prinzipien, Rechten und Pflichten erthalten und der »Agenda 21« zugrundegelegt werden soll.

Wesentliche Konfliktlinien und Interessenwidersprüche

Im Verlauf der Dritten Vorbereitungskonferenz (12.8.-4.9.1991 in Genf) wurden verschiedene Konfliktlinien, widerstreitende Interessen und Erwartungen deutlich, die sich gegen Ende der Konferenz zu wachsenden Nord-Süd-Spannungen verhärteten. Ein grundlegender Konflikt berührte die Gewichtung von umweltrelevanten und entwicklungsrelevanten Problemen und ihr Verhältnis zueinander. Die Dritte Vorbereitungskonferenz erlebte ein Wideraufleben der Nord-Süd Debatte um eine Neue Weltwirtschaftsordnung. Nord-Süd-Spannungen bestanden aber nicht nur auf Seiten der offiziellen Regierungsdelegationen, sondern ließen sich auch zwischen nördlichen und südlichen Nichtregierungsorganisationen beobachten. Im folgenden sollen die wichtigsten Konfliktlinien wiedergegeben werden.

Die Vernachlässigung der Entwicklungsproblematik

Auf den Vorbereitungskonferenzen wurden unterschiedliche Erwartungshaltungen zwischen Nord und Süd, vor allem was die anvisierten Ergebnisse betrifft, sichtbar. Den Industriestaaten (IL) geht es im wesentlichen darum, die globalen Umweltprobleme, die auch deren weitere Entwicklung bedrohen, einzudämmen, während die Entwicklungsländer (EL) auf eine Lösung ihrer gravierendsten Armuts-, Entwicklungs- und Umweltprobleme drängen. Die lateinamerikanische Kommission für Umwelt und Entwicklung weist in ihrem Bericht der Lösung der Entwicklungs- und Armutsprobleme klare Priorität zu.

„Es wird keine nachhaltige Entwicklung in Lateinamerika und der Karibik geben, solange fast die Hälfte seiner Bevölkerung unter den Bedingungen extremer Armut lebt. Die ökologische Tragfähigkeit unserer Entwicklung muß der menschlichen Entwicklung klare Priorität einräumen. Dies ist zusammen mit der rationellen Nutzung der natürlichen Ressourcen eine zentrale strategische Linie, der jedes weitere Engagement untergeordnet werden muß.3

In der Erklärung von Peking, die am 19. Juli 1991 in Vorbereitung von UNCED von 41 Ländern der Dritten Welt verabschiedet wurde, wird ebenfalls auf die Notwendigkeit verwiesen, den entwicklungsrelevanten Themen zumindest eine gleichrangige Bedeutung einzuräumen.4 (…)

Diese Appelle der Entwicklungsländer hatten bisher wenig Einfluß auf den Verlauf der Vorbereitungskonferenzen. (…)

Der Nord-Süd-Konflikt um die Gewichtung von Umwelt- und Entwicklungsfragen prägte den gesamten Konferenzverlauf und trat besonders deutlich in den Verhandlungen über die »Earth Charta«, die Inhalte und Zielsetzungen des Aktionsprogramms »Agenda 21« sowie in den Diskussionen der sektorübergreifenden Themen hervor. (…) Bisher wurde noch keine Einigung über einen Entwurf der »Earth Charta« erzielt. (…)

Die nur untergeordnete Bedeutung, die vor allem die Industriestaaten den Entwicklungsbedürfnissen der Dritten Welt zumessen, wurde auch in den Diskussionen um die Armuts- und Verelendungsproblematik während der Dritten Vorbereitungskonferenz deutlich. Zwar wurde in Übereinstimmung mit dem Konferenzdokument „Report on Poverty and Environmental Degradation“ eine Beziehung zwischen wachsender Verarmung und Umweltzerstörung in den Entwicklungsländern anerkannt, die tiefer liegenden Ursachen für Verelendung und Umweltzerstörung wurden jedoch in dem Dokument ausgeklammert.5 Mit dem Schlagwort der »armutsbedingten Umweltzerstörung« wird aus nördlicher Sicht die sich verschärfende Armuts- und Verelendungsproblematik in der Dritten Welt lediglich als ein weiterer Faktor betrachtet, der zur Umweltzerstörung beiträgt. Maßnahmen zur Beseitigung der Armut sind für den Norden daher vor allem in ihrer funktionalen Zuordnung zu Umweltzerstörung bzw. -erhaltung von Relevanz. In diesem Sinne forderten die USA die Konferenz auf, „sich auf spezifische Aktionsprogramme im Bereich Boden, Wasserzufuhr, Wälder und Ozeane zu konzentrieren, die den Druck der Armut, der eine so große Belastung für unsere Umwelt darstellt, abmildert“.6 Für den Norden steht offensichtlich nicht die Beseitigung der Armut und ihrer Ursachen (und damit auch der armutsbedingten Umweltzerstörung) im Vordergrund, sondern lediglich die Bekämpfung der Symptome der Armut, soweit sie die Umwelt belasten. Die vorgeschlagenen Programme zur Armutsbekämpfung beschränken sich lediglich auf bevölkerungspolitische und einkommensschaffende Maßnahmen, ohne die notwendigen Rahmenbedingungen und Strukturreformen für den Erfolg dieser Maßnahmen und für eine soziale und umweltgerechte Entwicklung zu benennen.

Aus der Sicht südlicher NGOs stellt sich die ökologische Krise nicht primär als eine Umweltkrise dar, die durch Armut verschärft wird, sondern als eine umfassende sozio-ökologische Krise, die auf eine grundlegende Krise des dominanten nördlichen Entwicklungsmodells mit seinen verzerrten Kopien im Süden und der diesem Modell zugrunde liegenden ungleichen Weltwirtschaftsordnung verweist.7

Internationale ökonomische Rahmenbedingungen

Aus diesem globalen Verständnis von sozialer und ökologischer Krise wird der zweite Konfliktpunkt von UNCED deutlich. Sowohl Regierungsdelegationen als auch NGO-Vertreter aus der Dritten Welt geben sich nicht damit zufrieden, nur die Symptome einer fehlgeleiteten Entwicklung, wachsende Umweltzerstörung und Verelendung, durch verschiedene Einzelmaßnahmen und »Schönheitsreparaturen« zu lindern, ohne auch nur ihre Ursachen zu benennen, geschweige denn verändern zu wollen. Die fehlende Analyse insbesondere der externen und weltwirtschaftlichen Ursachen von Massenelend und Umweltzerstörung (z.B. Bodenverseuchung, Entwaldung) in der Dritten Welt und der entsprechenden notwendigen Korrekturen wurde sowohl von der Gruppe 77 der Entwicklungsländer wie auch von verschiedenen südlichen und nördlichen NGOs kritisiert. (…)

Als Hauptursachen für die zunehmende Verarmung und Umweltzerstörung wurden von den EL benannt: Das Entwicklungsmodell des Nordens mit seinen verschwenderischen Konsumstandards, die makroökonomischen Rahmenbedingungen einer ungerechten Weltwirtschaftsordnung, die Verschuldungskrise und der Nettokapitaltransfer von Süd nach Nord, sinkende »terms of trade«, die vom Weltwährungsfond und Weltbank geforderten Strukturanpassungsprogramme, ungerechte Handelsstrukturen etc.. Während die IL darauf bedacht waren und sind, diese Themen aus der Konferenz auszuklammern, da es ja andere Verhandlungsforen gebe (IWF, GATT, UNCTAD etc.), drängten die EL darauf, im Rahmen von UNCED die Debatte um eine Neue Weltwirtschaftsordnung wieder aufzunehmen.

„Es ist klar, daß es unter diesen Bedingungen (Verschuldung, sinkende terms of trade, Protektionismus der IL, Anm. d. Verf.) keine realistische Möglichkeit für die betroffenen Länder des Südens geben wird, Entwicklungsprogramme einzuleiten, die nachhaltig und umweltverträglich sind. In diesem Zusammenhang ist es wichtig darauf hinzuweisen, daß das, worauf es ankommt, nicht nur die Bildung eines globalen Umweltfonds oder anderer Fonds ist …, um Umweltprogramme zu finanzieren. Was auch und in erster Linie vonnöten ist, sind Maßnahmen aus der Agenda der traditionellen und festgefahrenen Nord-Süd-Verhandlungen, nämlich Maßnahmen a) zur Reduzierung der Schuldenlast … b) zur Erhöhung der offiziellen Entwicklungshilfe … c) zur Verbesserung des Zugangs des Südens zu internationalen Finanzmitteln … d) zur Verbesserung der Handeslpreise auf ein Niveau, das die ökologischen Kosten der Produktion im Süden in Rechnung stellt … e) zur Verbesserung des Zugangs der südlichen Länder zu den Märkten des Nordens.“ 8 (…)

Mit ihrem Gegenentwurf zum Aktionsprogramm »Agenda 21«, in den alle wesentlichen Punkte einer zu reformierenden Weltwirtschaftsordnung aufgenommen wurden, hat die Gruppe 77 die Debatte um eine Neue Weltwirtschaftsordnung zumindest wieder eröffnet. Sie kann sich in diesen Fragen der Unterstützung durch südliche NGOs versichern. Beide sind sich in ihrer Einschätzung einig, daß eine Lösung der Armuts- und Umweltprobleme nur unter veränderten weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen und gerechten Verteilungsstrukturen von Macht und Reichtum möglich ist.

Dabei treffen südliche NGOs nicht immer auf Solidarität ihrer nördlichen Counterparts. Bei den NGOs des Nordens, vor allem den Umweltgruppen, fehlt aufgrund der oft nur punktuellen Orientierung auf ein spezifisches ökologisches Problemfeld (Erhaltung der Regenwälder, Schutz der Wale, Biotechnologie etc.) häufig ein themenübergreifendes Problembewußtsein für globalere Zusammenhänge. Aus der Perspektive des Südens werden aber gerade internationale Reformen als unerläßliche Voraussetzung angesehen, um dem Süden überhaupt erst einmal einen Handlungsspielraum zu eröffnen, Reformen auf nationaler Ebene im Sinne einer ökologisch und sozial tragfähigen Entwicklung einzuleiten. (…)

In Gegensatz zu vielen Regierungsvertretern aus der Dritten Welt haben die erdrückenden externen Abhängigkeiten und die Forderung nach Veränderung der externen Rahmenbedingungen von Entwicklung den südlichen NGOs nicht den Blick für notwendige interne wirtschaftliche und soziale Reformen verstellt.

„Für die Probleme, mit denen der Süden heute konfrontiert ist, können nicht nur der Kolonialismus, die post-kolonialen Ungerechtigkeiten des Weltsystems oder der Norden und seine multilateralen Entwicklungsagenturen verantwortlich gemacht werden. (…) so haben auch die Regierungen in vielen südlichen Ländern eine fehlerhafte Wirtschafts- und Sozialpolitik betrieben. (…) es gibt außerdem viel zu viele Beispiele von Machtmißbrauch, Habgier, Korruption und Größenwahn politischer Führer, die zur Abzweigung von Regierungsgeldern auf private Bankkonten von Politikern im Ausland, zu Prestigeprojekten statt zu Ausgaben, die die Bedürfnisse des Volkes befriedigen, und zu nationaler Mißwirtschaft geführt haben.“

Das Entwicklungsmodell des Nordens: Überfluß und Überkonsum

Neben den negativen makroökonomischen Rahmenbedingungen einer ungleichen Weltwirtschaftsordnung liegt aus der Perspektive des Südens die Hauptverantwortung für die globale sozio-ökologische Krise auch in dem dominierenden »nördlichen« Entwicklungs- und Zivilisationsmodell mit seinen verschwenderischen Produktions- und Konsummustern und seiner grenzenlosen Wachstumsorientierung.

Zur Stützung ihrer Argumentation verweisen die Entwicklungsländer zu Recht drauf, daß die IL mit nur 20% der Weltbevölkerung ca. 80% der Weltressourcen verbrauchen und auch 80% des Schadstoffausstoßes verursachen. Demnach liegt das Problem der Ressourcenerschöpfung und der Umweltverschmutzung zu vier Fünftel in dem ökonomischen Modell des Nordens und zu einem Fünftel in dem Entwicklungsmodell des Südens begründet. Nach Auffassung südlicher Regierungs- und NGO-Vertreter kann man daher nicht von einer »gemeinsamen« Verantwortung für die Umwelt sprechen, die gleiche Rechte und Pflichten für alle Staaten nach sich ziehe. (…) UNCED solle daher primär über eine grundlegende ökologische Strukturanpassung in den Industriestaaten verhandeln, da diese in erster Linie verpflichtet seien, ihr verschwenderisches Wirtschaftsmodell zu ändern.

Strukturanpassungsprogramm für den Norden

Folgende Elemente einer solchen »nördlichen« Strukturanpassungspolitik werden gefordert: eine drastische Reduzierung des Schadstoffausstoßes, der für den Treibhauseffekt verantwortlich ist; die Identifizierung und den Abbau von Konsummustern und Lebensstilen »nördlicher« Zivilisationen, die die globale Umwelt gefährden; eine drastisch reduzierte Produktion und Nutzung von toxischen Chemikalien und ein Exportverbot solcher Substanzen und radioaktiver Abfälle in Entwicklungsländer; Verabschiedung einer Konvention für Multinationale Konzerne, die diese weltweit zur Einhaltung umweltverträglicher Produktionsstandards verpflichtet; Transfer von umweltfreundlichen Technologien in die Dritte Welt zu Vorzugsbedingungen etc.9

Die IL zeigten auf den bisherigen UNCED-Vorbereitungskonferenzen allerdings nur wenig Bereitschaft, das westliche Industrialisierungs- und Konsummodell in Frage zu stellen. Unter dem Druck ihrer Industrie lehnen sie einschneidende Maßnahmen zur Begrenzung ihrer eigenen Produktion und des Konsums ab. (…) Die IL plädieren vorwiegend, was ihre eigenen Wirtschaften und Gesellschaften angeht, für den verstärkten Einsatz umweltfreundlicher Technologien und technischer Neuerungen, um die Umweltbelastung zu verringern und den Ressourcenverbrauch einzudämmen. Soweit einschneidendere umweltpolitische Maßnahmen vorgeschlagen werden (Schutz der Regenwälder, Erhaltung der Artenvielfalt, Wiederaufforstung etc.), sollen diese Maßnahmen vor allem in den Ländern der Dritten Welt durchgeführt werden, ohne diesen für den entgangenen wirtschaftlichen Gewinn Entschädigungen leisten zu wollen. Maßnahmen, die die eigene Industrie beeinträchtigen könnten (…) wurden bisher zurückgewiesen. (…)

Vertreter aus der Dritten Welt befürchten, daß im Sinne einer lediglich für den Süden propagierten »nachhaltigen Entwicklung« eine Welt mit zwei Lebensstilen festgeschrieben werde. (…) Die wenig kompromißbereite Haltung der IL, Abstriche an ihrem eigenen Entwicklungsmodell zu machen, bestärkte viele EL in ihrer Haltung, ihrerseits keine ökologischen Selbstverpflichtungen zu akzeptieren, die ihre weitere Entwicklung und ein wirtschaftliches Wachstum beeinträchtigen könnten. Diese Haltung wird durch die gravierende Wirtschafts- und Verschuldungskrise in vielen EL und die von IWF und Weltbank erzwungene Exportorientierung ihrer Wirtschaften sowie durch den Zwang der Devisenerwirtschaftung noch weiter unterstützt. Da die IL nicht über diese makroökonomischen Rahmenbedingungen verhandeln wollen, die den EL Raubbau an ihren eigenen Ressourcen quasi aufzwingen, wird sich an dieser Haltung wenig ändern. (…)

Die südlichen NGOs setzen dem dominanten Entwicklungsmodell ein eigenständiges Entwicklungsmodell der »self reliance« entgegen, das den Wachstumsmythos radikal in Frage stellt und sich, soweit wie möglich vom globalen Weltmarkt abgekoppelt, an den traditionellen Werten, Wirtschaftsweisen und Technologien orientiert und auf die Bedürfnisse lokaler Gruppen und Kommunen ausgerichtet ist.10 In ihrer Forderung nach einem radikalen Wandel von »Entwicklung« müssen sich auch die nördlichen NGOs den Vorwurf gefallen lassen, das nördliche Wirtschaftsmodell nicht wirklich ändern zu wollen, sondern allenfalls kosmetische Reparaturen vorzuschlagen. Wie schon im Bereich der internationalen Rahmenbedingungen wurden auch in der Frage künftiger Entwicklungswege die Nord-Süd-Spannungen in die Reihen der Nichtregierungsorganisationen übertragen. (…)

»Globale Commons« versus »Nationale Souveränität«

Angesichts der Hauptverantwortung der Industriestaaten für die globale Umweltzerstörung wiesen die Entwicklungsländer nicht nur das Konzept der »gemeinsamen Verantwortung« zurück, sondern stellten ebenfalls das Konzept der sog. »global commons« grundsätzlich in Frage.

Als »global commons« (globales Allgemeingut) werden die natürlichen Ressourcen klassifiziert, deren Erhaltung für das ökologische Gleichgewicht der Erde lebensnotwendig ist, und die daher einem besonderen internationalen Schutz und Kontrollregime unterliegen sollen. Zu diesen »Allgemeingütern« sollen nicht nur solche Ressourcen wie die Atmosphäre, die Luft und Meere gerechnet werden, die sich außerhalb nationaler Territorien befinden, sondern auch die (Regen-)Wälder und andere unberührte Gebiete, die als CO-2 Senken und als Pflanzen- und Tierreservoir für die Stabilisierung des Klimas und die Erhaltung des Artenreichtums von Wichtigkeit sind. Die Nord-Süd-Auseinandersetzungen um die »global commons« konzentrierten sich vor allem auf die letztgenannten Ressourcen, da sich diese fast nur noch auf den nationalen Territorien der Entwicklungsländer befinden und in den Industriestaaten bereits aufgebraucht oder zerstört wurden. Die Länder der Dritten Welt, offizielle Vertreter wie NGOs, befürchten, daß sich durch die Klassifizierung ihrer nationalen Ressourcen als »Gemeingüter« die Industriestaaten und Transnationale Konzerne den leichten Zugriff auf die natürlichen Ressourcen in der Dritten Welt sichern wollen. (…)

„Es ist der Versuch, Interesse für unsere Ressourcen zu erzeugen, um dadurch zu bestimmen und zu kontrollieren, wie diese Ressourcen genutzt und verwaltet werden. In gewisser Weise würde es einer Enteignung unserer Wälder und anderer biologischer Ressourcen durch die Hintertür und ohne `sofortige, adäquate und effektive` Entschädigung gleichkommen, indem wir als Verwalter die nominelle Kontrolle behalten.“ 11 (…)

Um ihre Rechte auf ihre natürlichen Ressourcen zu verteidigen, aber auch um Einschränkungen von Entwicklungsmöglichkeiten durch Umweltauflagen abzuwenden, wurde und wird von den EL das Prinzip der nationalen Souveränität über die natürlichen Ressourcen hochgehalten. (…) Sämtliche Formen einer Konditionalität werden als Einmischung in die inneren Angelegenheiten abgelehnt.

Finanzielle Ressourcen

Eine der Hauptkonflikte zwischen Nord und Süd entzündete sich an der Frage, welche zusätzlichen finanziellen Leistungen die Industriestaaten bereit sind, den Entwicklungsländern für die ökologische Modernisierung und Armutsbekämpfung zur Verfügung zu stellen. (…)

Streitpunkte waren die Höhe, Art und die Mechanismen der finanziellen Hilfen. Während die USA auf der dritten Vorbereitungskonferenz die von der Gruppe 77 geforderten zusätzlichen, über die gewährte Entwicklungshilfe hinausgehenden finanziellen Mittel kategorisch ablehnten und auf die Bedeutung von Privatkapital und Auslandsinvestitionen für die Finanzierung einer ökologischen Modernisierung in der Dritten Welt verwiesen, zeigten sich die EG und die meisten OECD-Staaten bereit, zusätzliche Mittel aufzubringen.12

Zurückgewiesen wurde hingegen das von der Gruppe 77 in ihrem Vorschlag über „Finanzielle Ressourcen“ eingebrachte Konzept der Kompensationszahlungen. Dieses Konzept geht von einer »ökologischen Schuld« der Industriestaaten gegenüber den Entwicklungsländern aus, die durch die jahrhundertelange Ausplünderung der Ressourcen im Süden, die Einführung umweltschädlicher Produktionsmethoden und Materialien, die Beeinträchtigung der Entwicklung im Süden durch die Zerstörung der globalen Umwelt und durch die zu errichtenden Naturschutzgebiete etc. entstanden ist. Die Gruppe 77 fordert daher von den IL weitere, zusätzliche finanzielle Aufwendungen, die quasi als Entschädigungsleistungen zu verstehen sind. Auch südliche, vor allem lateinamerikanische NGOs haben wiederholt auf die ökologisch-soziale Schuld der IL verwiesen und diese der ökonomisch-finanziellen Verschuldung der EL gegenübergestellt.

Umstritten ist ebenfalls die vorgeschlagenen institutionellen Mechanismen für die Verwaltung und die Vergabe der zusätzlichen Finanzierungsfonds. Der Norden tritt entschieden dafür ein, diese Finanzierungsfonds institutionell an die Weltbank anzugliedern und die in der Weltbank für die Finanzierung von Umweltprojekten neu eingerichteten »Global Environmental Facility« (GEF) aufzustocken. Vor dem Hintergrund ihrer negativen Erfahrungen mit der Auflagenpolitik der Weltbank, mit den Umweltfolgen von Weltbankprojekten, mit den sozial verheerenden Auswirkungen der von der Weltbank propagierten Strukturanpassungsprogramme und mit den undemokratischen Entscheidungsstrukturen innerhalb der Weltbank haben die Regierungsvertreter wie auch die NGOs aus der Dritten Welt dieses Modell abgelehnt. (…)

Die Entwicklungsländer, Regierungen wie NGOs, schlagen daher die Bildung eines gesonderten »Grünen Fonds« vor, der auf der Basis gleicher Repräsentation demokratisch kontrolliert und verwaltet werden soll.

„Jeder »Grüne Fond«, der aufgebaut wird, muß auf dem Prinzip des UN-Systems »ein Land, eine Stimme« basieren. … Die Demokratisierung von Finanzierungsmechanismen ist entscheidend für den Aufbau demokratischer Prinzipien, die die Art der Ressourcennutzung anleiten und den Schutz der Umwelt ermöglichen können.“ 13

Demokratisierung und Partizipation

Während die Interessengegensätze zwischen Nord und Süd in den beschriebenen Punkten von Anbeginn aufeinanderprallten, schien in den UNCED-Vorbereitungskonferenzen vorerst eine vordergründige Einigkeit hinsichtlich der politischen Rahmenbedingungen zu bestehen. Forderungen nach größerer Partizipation der Bevölkerung an umwelt- und entwicklungspolitischen Programmen und nach demokratischen Entscheidungsstrukturen wurden sowohl von nördlichen wie südlichen Regierungsvertretern und NGOs erhoben. Interessensgegensätze kamen jedoch darin zum Vorschein, was unter Demokratisierung und Partizipation zu verstehen sei und auf welche Bereiche sie sich beziehen sollten.

Vor allem die USA und die EG hoben das Prinzip der Demokratie als Grundlage einer »nachhaltigen Entwicklung« und als Voraussetzung für weitere Entwicklungshilfe an die Dritte Welt hervor. Die USA plädierten dafür, die Prinzipien der Demokratie und der Marktwirtschaft als grundlegende ethische Prinzipien in der »Earth Charta« zu verankern.14 Demgegenüber erhoben viele Entwicklungsländer die Forderung, partizipatorische und demokratische Entscheidungsstrukturen vor allem auf den Bereich der internationalen (Wirtschafts-) Beziehungen (IWF, Weltbank) auszudehnen. (…)

Während die IL vor allem den Forderungen der EL nach Demokratisierung der internationalen Finanz-Institutionen ihren Widerstand entgegensetzten, zeigten sich besonders afrikanische Staaten gegenüber den Forderungen nach interner Demokratisierung ihrer eigenen Gesellschaften reserviert. Dies kann angesichts der autoritären und unterdrückerischen Regime in vielen Staaten der Dritten Welt nicht verwundern. Afrikanische NGOs wiesen z.B. darauf hin, daß viele Vertreter von sozial-ökologisch engagierten Gruppen Repressionen seitens ihrer Regierungen ausgesetzt sind. NGOs aus Nord und Süd plädierten wiederholt für die Notwendigkeit einer umfassenden Partizipation der betroffenen lokalen und indigenen Bevölkerungsgruppen bei der Definition und Durchführung von entwicklungs- und umweltpolitischen Prioritäten und Programmen. Sie setzten sich damit auch von den nur formaldemokratischen Forderungen der Industriestaaten ab und gingen über diese hinaus. (…)

Ausblick

Die oben aufgeführten Grundmuster der Nord-Süd-Auseinandersetzungen um Umwelt und Entwicklung verdeutlichen, daß sich die in der Gruppe 77 zusammengeschlossenen Entwicklungsländer in den weiteren UNCED-Verhandlungen nicht mehr mit der nur untergeordneten Rolle entwicklungspolitischer Themen zufrieden geben werden. Sie drängen darauf, in dem Aktionsprogramm »Agenda 21«, die Umwelt- und Verelendungsproblematik in den Zusammenhang mit einer ungerechten Weltwirtschaftsordnung und dem verschwenderischen nördlichen Wirtschaftsmodell zu stellen, da beide als wesentliche Ursachen für Umweltzerstörung und soziale Verelendung im Süden betrachtet werden. Damit stehen die Forderungen der Dritten Welt an eine Neue Weltwirtschaftsordnung, die die Nord-Süd-Debatte in den 70er Jahren beherrscht hatten und die in dem Bericht der Südkommission wieder aktualisiert wurden, erneut auf der Tagesordnung. In seinen Empfehlungen für eine weitere Verhandlungsstrategie der Entwicklungsländer rät das aus der Südkommission hervorgegangene South Centre:

„Der Süden sollte klarstellen, daß er keine der von der Konferenz empfohlenen Maßnahmen oder Vertragsentwürfe unterzeichnen wird, solange sie keine entsprechenden internationalen Maßnahmen und feste Zugeständnisse hinsichtlich der Nord-Süd Entwicklungsfragen und der globalen Wirtschaftsbeziehungen enthalten.“ 15

Ob die Staaten der Dritten Welt mit ihrer Konfrontationsstrategie Erfolg haben werden, ist angesichts ihrer eigenen Zerstrittenheit und der machtpolitischen Dominanz der führenden Industriestaaten allerdings zweifelhaft. „Den Kurs bestimmt auch in der internationalen Umweltpolitik die G7 – nicht die G 77.“ 16 Dennoch wird auch die G 7 gehalten sein, zumindest einige Zugeständnisse an die Entwicklungsbedürfnisse der Länder des Südens zu machen, wenn UNCED nicht an den zugespitzten Nord-Süd-Konflikten scheitern soll.

Anmerkungen

1) Vgl. Hauff, V. (Hrg.), Unsere gemeinsame Zukunft. Der Brundtland-Bericht der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung, Greven 1987 Zurück

2) Vgl. Comisión de Desarrollo y Medio Ambiente de America Latina y el Caribe, Nuestra Propia Agenda, BID/UNDP, New York 1990; Die Herausforderung des Südens. Der Bericht der Südkommission. Über die Eigenverantwortung der Dritten Welt für dauerhafte Entwicklung, Bonn 1991. (…) Zurück

3) Comisión de Desarrollo y Medio Ambiente de America Latina y el Caribe, a.a.O., 53 Zurück

4) Beijing Ministerial Declaration on Environment an Development, United Nations General Assembly, A/CONF. 151/PC/85 Zurück

5) Vgl. United Nations General Assembly, A/CONF. 151/PC/45 Zurück

6) Statement by the US Delegation on Poverty, Environmental Degradation, Sustainability, Health and Education, Geneva, August 29, 1991 Zurück

7) Martin Khor, Third World Network, Intervention at UNCED Plenary Session on Agenda 21/Financial Resources, Genf, August 1991 Zurück

8) South Centre, Environment and Development, Towards a Common Strategy of the South in the UNCED Negotiations and Beyond, Genf 1991, 10 Zurück

9) Vgl. South Centre, Environment and Development, a.a.O. Zurück

10) Vgl. u.a. Green Forum Philippines, An Alternative Development Economics, Manila 1991 Zurück

11) Statement by the Representative of Ghana on behalf of the Group of 77 in the Plenary of the 3rd Session of UNCED Prepcom in Items 2(A) and 2(B), Geneva, 26th August 1991 Zurück

12) Vgl. OECD Press Release, Meeting of OECD Ministers on Environment and Development, Paris, 2nd-3rd December 1991, Policy Statement (…) Zurück

13) Vandana Shiva, Why the World Bank cannot be trusted with environment protection and sustainable development, Third World Network Briefing Papers For UNCED, No. 9, August 1991 Zurück

14) Vgl. Statement of U.S. Position, UnCED Prepcom III, Statement of General Principles (A/CONF. 151/PC/78) Zurück

15) South Centre, Environment and Development, a.a.O., 8 Zurück

16) H.H. Lembke, Umwelt in den Nord-Süd-Beziehungen. Machtzuwachs im Süden, Öko-Diktat des Nordens oder Globalisierung der Verantwortung? Deutsches Institut für Entwicklungspolitik, Berlin 1991 Zurück

Karin Stahl war Mitglied in der deutschen Delegation für die UNCED-Vorbereitungskonferenzen. Diesen Beitrag entnahmen wir in gekürzter Form dem epd-Entwicklungsdienst Dokumentation, Januar 1992.

Mit zweierlei Maß • Bevölkerungspolitik in der sog. Dritten Welt

Mit zweierlei Maß • Bevölkerungspolitik in der sog. Dritten Welt

von Ingrid Spiller

Als im Juli 1987 der 5 Milliardenste Mensch geboren wurde, war dies Anlaß für eine weltweite Medienschaltung, in der die Sorge um die sogenannte Überbevölkerung zum Ausdruck gebracht wurde. Man ging wie selbstverständlich davon aus, daß es sich bei diesem 5 Milliardensten Menschen um einen roten, gelben oder schwarzen handeln mußte.

Auch wenn die statistische Wahrscheinlichkeit dafür spricht, daß dieser Mensch in einem Land des Südens zur Welt kam, so stimmt der Kontext, in dem diese Annahme gemacht wurde, doch nachdenklich: Das Bevölkerungswachstum – natürlich nur das in der sog. Dritten Welt – wurde und wird bis heute in den Medien als »Bevölkerungsbombe«, »Bevölkerungsexplosion« oder »tickende Zeibombe« betitelt. Standen früher, d.h. vor allem während der 50er und 60er Jahre, Kriegs- und Aufstandsgefahr als zu befürchtende Folgen im Mittelpunkt der geweckten Ängste, so ist es heute vor allem die zunehmende Umweltzerstörung, für die das Bevölkerungswachstum in der »Dritten Welt« ursächlich verantwortlich gemacht wird. Im Weltbevölkerungsbericht von 1990 heißt es dazu: „Diese wachsende Menschenmenge geht an die Substanz der Erde selbst. Das schnelle Bevölkerungswachstum hat bereits begonnen, die Erde unwiderruflich zu verändern. Diese Veränderungen werden in den 90er Jahren ein kritisches Ausmaß erreichen; zu ihnen gehören anhaltendes Wachstum der Städte, Zerstörung von Boden und Wasser, massive Waldrodungen und die weitgehende Konzentration von Treibhausgasen.“

Ähnliche Äußerungen lassen sich immer dort finden, wo Familienplanung bzw. Bevölkerungskontrolle zur Entwicklungsstrategie erhoben wird. Die Weltbank hat mit der Begründung des entscheidenden Zusammenhanges zwischen dem raschen Bevölkerungswachstum und der Umweltbelastung einer Verdreifachung ihrer Mittel für Bevölkerungsprogramme angekündigt, und die Bundesregierung gehört aus den gleichen Gründen zusammen mit Japan und den USA zu den größten staatlichen Geldgebern in diesem Bereich. Solche Programme zur Geburtensenkung richten sich jedoch nur an die Entwicklungsländer. In den meisten Industrieländern wird gleichzeitig eine Politik der Geburtenförderung betrieben, bei der mittels Anreizen einerseits und Abtreibungsverboten oder – erschwernissen andererseits die rückläufige Geburtenrate angehoben werden soll.

Die globale Analyse der Ursachen von Umweltzerstörung zu Lasten der Entwicklungsländer geht schlichtweg an den Realitäten vorbei: Gegenwärtig verbraucht ein knappes Drittel der Menschheit dreimal soviel Energie wie die restlichen Dreiviertel. Der aufwendige Lebensstil im Norden mit energieverschlingenden Heizungssystemen und Klimaanlagen, mit Autos und Luxusgütern produziert ungefähr die Hälfte der entstehenden sechs Milliarden Tonnen Treibgase pro Jahr – der Anteil an den Kohlendioxid-Emissionen liegt sogar bei 75%; der Anteil am Verbrauch von Fluorchlorkohlenwasserstoff (FCKW) beträgt 90%. Nicht das schnelle Bevölkerungswachstum in den Ländern des Südens, sondern der aufwendige Lebensstil der Menschen im Norden ist also hauptverantwortlich für die Zerstörung der Erde.

Wenn Opfer zu Tätern gemacht werden

Nun soll hier nicht der Eindruck erweckt werden, es gäbe keinen Zusammenhang zwischen der zunehmenden Umweltzerstörung und der Bevölkerungsdichte der sog. Dritten Welt. Es ist jedoch zu einfach, die Ursachen im Bevölkerungswachstum zu suchen. Die Bevölkerungsdichte allein ist noch kein spezifisches Merkmal der Entwicklungsländer; sie liegt in vielen Industrieländern wesentlich höher. So leben in Japan etwa 325 Menschen auf einem Quadratkilometer, in Holland 361 und in der alten BRD waren es 246. In Brasilien sind es hingegen nur 17 Menschen, in Kenia 41 und selbst in Indien nur 242.

The Human Development Report 1991 der UNDP schätzt jedoch, daß etwa drei Viertel der Armen in den Ländern des Südens in Gebieten leben, die aufgrund der extremen klimatischen Bedingungen ohnehin ökologisch sensibel sind. Etwa 14 Millionen Menschen waren als sog. Umweltflüchtlinge dazu gezwungen, ihre Heimat zu verlassen. Armut und Bevölkerungsdichte zwingen die Menschen in diesen Regionen dazu, auf der Suche nach Brennmaterial die wenigen noch verbleibenden Bäume und Sträucher abzuholzen und die ohnehin kargen Böden zu bewirtschaften, bis die Bodenerosion schließlich auch die Wasserreservoire austrocknen läßt.

Die Industrieländer haben ihr »Bevölkerungsproblem« gelöst, indem sie in der Vergangenheit in riesigen Auswanderungswellen andere Kontinente besiedelt haben, oder, bis heute, auf Kosten der restlichen Welt Ressourcen verbrauchen. Importe von mineralischen und agrarischen Rohstoffen, von Tropenholz sowie die Aufteilung der Meere im Rahmen der internationalen Fischereiabkommen sind nur einige Stichworte in diesem Zusammenhang. Der Mehrheit der Bevölkerung in den Entwicklungsländern bleibt nur das wenige zum Überleben, das ihnen übriggelassen wird. Deshalb haben sie in den ökologisch sensiblen Regionen häufig keine andere Wahl, als ihren kurzfristigen Überlebensinteressen folgend sich umweltschädigend zu verhalten. Denn Landknappheit ist in der Regel nicht durch die natürliche Vermehrung entstanden. In Lateinamerika ist sie z.B. Resultat eines seit Jahrhunderten stattfindenden Prozesses der Landkonzentration zugunsten weniger Großgrundbesitzer. Die Bauern wurden bzw. werden mit legalen und illegalen Mitteln von ihrem Boden verdrängt oder vertrieben. Sie müssen Platz machen für extensive Plantagenwirtschaft, etwa für den Anbau von Exportprodukten. Sie müssen riesigen Staudammbauten weichen, deren Nutzen – in vielen Fällen ohnehin zweifelhaft – ehrgeizigen Industrialisierungsprojekten oder wenigen kommerziellen Farmern zugute kommt. Laut einer Erhebung der FAO von 1960 kontrollierten 2,5 Prozent der Landbesitzer 75% des gesamten Ackerlandes der Erde.

Die Lateinamerikanische Kommission für Entwicklung und Umwelt hat in ihrem Bericht 1990 außerdem darauf hingewiesen, daß die Einführung westlicher Konsumtions- und Verhaltensmuster in dem Maße zur Umweltzerstörung geführt hat, wie die traditionelle »Campesino«-Landwirtschaft verdrängt wurde. Diese hatte sich im ökologischen und geschichtlichen Kontext in der Regel als selbsterhaltend erweisen, da sie differenzierte Bewirtschaftungstechniken benutzte, die den lokalen Bedingungen optimal angepaßt waren. Diese stabilen und diversifizierten Agro-Ökosysteme wurden nun durch instabile, homogene Agro-Ökosysteme ersetzt. Auch in der hier dargestellten Kürze wird deutlich, daß die Opfer zu Tätern gemacht werden, wenn die Ursachen der zunehmenden Umweltkrise im steigenden Bevölkerungswachstum gesucht werden.

Bevölkerungswachstum als »Geißel der Menschheit«?

Eine ähnliche Verdrehung läßt sich bereits in den Argumenten der früheren Jahre feststellen, denn die aktuelle Angst vor der »Überbevölkerung« hat Geschichte. In den fünfziger Jahren, als das Scheitern der Grünen Revolution und damit die hoffnungslose Verelendung der Menschen in der Dritten Welt sichtbar wurde, entstanden Visionen und Ängste, daß sich diese Menschen einmal erheben und die Industrieländer bedrohen könnten. Das Bevölkerungswachstum wurde zur Geißel der Menschheit erklärt und entsprechende Kontrollmaßnahmen entwickelt und durchgeführt. Auf der Weltbevölkerungskonferenz von 1954 in Rom war erstmals von der vermeintlichen »Bevölkerungsexplosion« die Rede, und es wurde dort ein Pamphlet lanciert von der »Bevölkerungsbombe«, die angeblich genauso gefährlich sei wie die Atombombe, da die möglichen Aufstände der Armen eine reale Bedrohung für den Weltfrieden darstellten.

Im Bericht der UN von 1956 heißt es: „Zwar liefert die Überbevölkerung billige Arbeitskräfte, aber Ersparnisse und daraus folgende Investitionen werden völlig von der wachsenden Bevölkerung aufgebraucht. Es ist deshalb nicht möglich eine industrielle Infrastruktur zu schaffen, und auch nicht, Humankapital in Form von Erziehung zu akkumulieren. Die Regierungen müssen ihre knappen Budgets ständig in Notprogramme investieren, die ihrerseits nur Folge des raschen Bevölkerungswachstums sind, und die Hände für ihre Anstrengungen sind ihnen gebunden.“

Da es aufgrund der weltwirtschaftlichen Strukturen und der herrschenden Arbeitsteilung zwischen den Industrie- und Entwicklungsländern jedoch nicht gelingen konnte, das Lebenshaltungsniveau der Bevölkerungsmehrheit im Süden anzuheben, wurde das Bevölkerungswachstum für die Armut verantwortlich gemacht. Als »Lösung« sollte das Wenige unter weniger Menschen aufgeteilt werden. Von dem US-amerikanischen Präsidenten Lyndon B. Johnson stammt der Ausspruch: „Fünf gegen das Wachstum der Bevölkerung investierte Dollar sind wirksamer als hundert für das wirtschaftliche Wachstum investierte Dollar.“

Auch heute spielt das Argument der Kostenersparnis nach wie vor eine wichtige Rolle bei der Begründung von bevölkerungspolitischen Maßnahmen. Im neuesten Weltbevölkerungsbericht (1991) wird darauf hingewiesen, daß der indische Staat „durch die Vermeidung von 106 Millionen Geburten seit 1979“ allein 742 Milliarden Dollar an Ausgaben für Bildung und Gesundheitsfürsorge eingespart hat. Noch nicht eingerechnet sind weitere Ersparnisse bezogen auf die Umwelt oder die Entwicklungsperspektiven allgemein. Entsprechend werden auch die 9 Milliarden Dollar ins Verhältnis gesetzt, die bis zur Jahrhundertwende jährlich benötigt werden, um die gesetzte »Zielvorgabe« der Geburtenreduzierung auf Weltebene zu erreichen: „(Dieser Betrag) entspricht zwar dem Doppelten der heutigen Ausgaben, ist aber immer noch viel weniger als ein Fehlschlag kosten würde.“ (Weltbevölkerungsbericht 1991)

Vom Recht auf Verhütung zum Zwang zur Verhütung

Schon allein die Wahl der Worte läßt Zweifel daran aufkommen, ob das Wohl der einzelnen Frauen (als Hauptzielgruppe) in den Familienplanungsprogrammen ausreichende Berücksichtigung findet oder zu Gunsten des »Gesamtwohls« zurücktritt. Auch wenn das „Menschenrecht auf Verhütung“, das 1968 in die Internationale Charta der Menschenrechte aufgenommen wurde, immer wieder zur Rechtfertigung entsprechender Programme zitiert wird, so lassen die mehrheitlich propagierten und angebotenen Verhütungsmittel doch andere Schlüsse zu. Die am weitesten verbreitete Methode in den Entwicklungsländern ist nach wie vor die Sterilisation (45%), gefolgt vom Intrauterin Pessar (23%) und hormonellen Mitteln (15,5%). Aus zahlreichen Augenzeugenberichten und Stellungnahmen läßt sich entnehmen, daß viele Frauen mangelnde Information und Beratung über die Wirkungsweise der verschiedenen Mittel und Methoden, sowie über Alternativen beklagen. Sie haben keine wirklichen Wahlmöglichkeiten, sondern sind auf das angewiesen, was die Bevölkerungsplaner anbieten. Diese Mittel sind häufig eher an sogenannten Effizienzkriterien orientiert als am Wohl der einzelnen Frauen. Werden bevorzugt Methoden und Mittel propagiert, bei denen die Kontrolle über die Fruchtbarkeit nicht mehr bei den Frauen selbst liegt, dann kann das »Recht auf Verhütung« sehr schnell zum »Zwang zur Verhütung« werden.

Um keine Zweifel aufkommen zu lassen: Sehr viel mehr Frauen würden gerne Geburtenplanung anwenden, als augenblicklich die Möglichkeit dazu haben. Diese Frauen möchten gerne frei entscheiden können, ob und wieviel Kinder sie haben. Das »Menschenrecht auf Verhütung« beinhaltet aber sehr viel mehr, als den Zugang zu gesundheitsverträglichen(!) Verhütungsmitteln und -methoden. Auch die materiellen und sozialen Bedingungen spielen hierbei eine sehr wichtige Rolle. Ausreichendes Einkommen, das die Mitarbeit von Kindern nicht überlebensnotwendig macht, soziale Absicherung im Falle von Krankheit und Alter, die nicht auf der Anzahl der überlebenden Kinder beruht, Bildungs- und Ausbildungsmöglichkeiten sowie eine Stellung in der Gesellschaft, die nicht von der Mutterrolle abhängig ist, eine Stellung in der Familie, die sie nicht den Wünschen des Mannes unterwirft; all dies sind Bedingungen, die eigentlich für jeden Menschen auf der ganzen Welt gewährleistet sein müßten. Die Diskussion um das Bevölkerungswachstum einerseits und die bevölkerungspolitische Praxis andererseits machen jedoch deutlich, daß das »Menschenrecht auf Verhütung« offensichtlich nicht für alle gilt.

Ingrid Spiller ist Mitarbeiterin bei der EPK, Entwicklungspolitische Korrespondenz. Dieser Beitrag ist der EPK, 3/91 entnommen.

Krieg, Frauen und Neue Weltordnung

Krieg, Frauen und Neue Weltordnung

von Diane Bell

Die Experten mit ihrem privilegierten Wissen und technischen Diskurs haben den Nicht-Experten passiv gemacht. Wie können sich Menschen, die nicht in einem Spezialgebiet geschult sind, die keine Experten sind, in technischen Details zurechtfinden? Ich brauche die genaueren Details der Giftmüllagerung nicht zu kennen, um zu sehen, daß es Fragen gibt, die sich bereits vor den Problemen der Entsorgung stellen. Ich brauche die genaueren Details des Ölmarktes nicht zu kennen, um eine langfristige Energiepolitik als notwendig vorzuschlagen. Ich brauche kein Experte für den Mittleren Osten zu sein, um zu wissen, daß George Bush, wenn er vom „Schlächter von Bagdad“ spricht und Saddam Hussein mit Hitler gleichsetzt, sich auf ein sehr oberflächliches geschichtliches Erinnerungsvermögen US-amerikanischer und alliierter Politik verläßt (s. Conlogue 1991, Trudeau 1991).

Zum Bedauern der Experten präsentieren sich die Probleme des wirklichen Lebens selten innerhalb der sauber gezogenen Grenzen der Disziplinen. Zum Teil ist es die Neigung der Anthropologie, Grenzen zwischen den Disziplinen zu durchbrechen, die ich bei der Analyse von etwas so allumfassenden wie einer Weltordnung attraktiv finde, und ganz sicher ist es die feministische Vorgabe, das Persönliche als das Politische zu erkennen, von der meine Analyse, wie das Empfinden der Öffentlichkeit vor den Karren der Kriegsanstrengungen gespannt wird, getragen ist. Mit dem Aufruf des Präsidenten, „unsere Truppen zu unterstützen“ und gelbe Bänder als ein Symbol der mitfühlenden Sorge an unsere Häuser, Bäume, Autos und Laternenpfähle zu binden und an unsere Körper zu heften, wurden die Amerikaner aufgefordert, die Unterstützung der Menschen, die sie lieben, mit der Unterstützung des Krieges gleichzusetzen; eine zwischenmenschliche Ethik der Fürsorge und Hegens wurde mit einer kruden Form des Patriotismus zusammengefaßt, die eine unreflektierte Vaterlandsliebe und die Billigung der Autorität des Präsidenten und seiner Ambitionen verlangte. In gewissem Sinne wurde der Staat mit dem Präsidenten an der Spitze zu der Familie, in der der Vater es stets am besten weiß. Das hohe Maß an persönlicher Anerkennung, das George Bush genoß, als die Truppen nach Hause kamen, bestätigte, daß das Vertrauen richtig eingesetzt worden war: er und das Militär (und die verbündeten Armeen) hatten es geschafft, den Job zu erledigen, für den sie so gut ausgebildet waren. Wer fragte nach den Kindern, die aus Mangel an sauberem Wasser starben, und nach den fortgesetzten Kämpfen zwischen den verschiedenen Gruppierungen im Irak? Wer fragte nach der Lebensqualität in dem gerade »befreiten« Kuwait? Schwarzer Regen fiel, die Ölquellen brannten, die Menschen standen für Brennmaterial und Benzin an, Familien begannen, nach den Verschwundenen zu suchen, und das Land stand unter Kriegsrecht.

In Kriegszeiten genießt der Staat einen seltenen Augenblick, in dem die Spannungen, die durch die miteinander konkurrierenden Interessengruppen entstehen, auf Distanz gehalten werden können; in dem es als Gefährdung der Mitbürger ausgelegt wird, wenn jemand die Rechtfertigung eines Truppeneinsatzes in Frage stellt; in dem die »freie Presse« die Parteilinie abdruckt und Journalisten angreift, die weiterhin aus der Perspektive des sogenannten Feindes berichten; in dem Staat und Militär zu einem Herrenclub verschmelzen, der durch Geheimhaltung geschützt ist. Es passiert in Kriegszeiten, daß nationale Prioritäten ohne Überprüfung durch die Bevölkerung und ohne eine Debatte im Kongress neu gesetzt werden können; die Kritik an der Gewalt als einem Mittel zur Aufrechterhaltung internationaler Ordnungen wird durch das Aufkommen nationalistischen Eifers zum Schweigen gebracht. Lassen Sie mich diese Zusammenhänge am Engagement der USA im Golfkrieg illustrieren.

Feministische Stimmen und die Kluft zwischen den Geschlechtern

Vor dem 16. Januar gab es eine eindeutige Kluft zwischen den Geschlechtern in den Auffassungen darüber, wie am besten auf die Invasion in Kuwait zu reagieren sei. In einem Verhältnis von 2:1 favorisierten Frauen wirtschaftliche Sanktionen, während Männer weit eher bereit waren, militärische Lösungen gutzuheißen (The Los Angeles Times, 16. November 1990). Zu reden, so meinten die Frauen, sei kein Zeichen von Schwäche, und verhandeln bedeute nicht nachgeben. „Könnten wir über die Teilung der Macht, statt über das Ergreifen der Macht reden?“ fragten die Frauen. Als die Bombardierung erst einmal begonnen hatte, war wenig von der Kluft zwischen den Geschlechtern die Rede, aber sie existierte weiter. Man konnte sie zu Hause, im Privaten beobachten, in dem Bereich, in dem Frauen anfangen Fragen zu formulieren, die sie zunächst für persönliche Probleme halten, bevor sie entdecken, daß sie sie mit anderen Frauen teilen. Zum Teil ist es diese zeitliche Verzögerung zwischen privatem Leiden und öffentlichem Bewußtsein, die Frauen davon abhält, rasch Interessengruppen zu Fragen von politischer Bedeutung zu bilden.

Lassen Sie mich hier auf meine Feldstudien unter Kolleginnen in den USA verweisen: eine Reihe von Frauen erzählten mir, daß sie sich weigerten, die Nachrichten zu sehen; daß ihr Mann, von dem sie zu wissen glaubten, daß er gegen den Krieg war, gebannt vor der CNN Berichterstattung saß; daß sie sich mit den Männern in ihrem Leben über den Krieg stritten; daß ihn die Reportagen über Scuds, die am nächtlichen Himmel von Patriotraketen »außer Gefecht gesetzt« wurden, faszinierten, daß er süchtig nach ihnen war, sie genoß, ebenso wie die Unmittelbarkeit, die detaillierten Einsatzbesprechungen, den militärischen Humor. „Es ist obszön“, hörte ich die Frauen sagen. Die Wirklichkeit ist schmutzig. Da gibt es Blut und Schmerz und Gewalt. Menschen verrohen, Frauen werden vergewaltigt, Kinder sterben, und uns wird nichts davon gesagt, weil es nicht im Interesse des Militärs ist. Die graphische Darstellung militärischer Überlegenheit im Fernsehen, die Sportmetaphern, Diplomatie hinter verschlossenen Türen und der Krieg als ein surreales Videospiel, betrachtet durch die Nase eines B-52 Bombers – das menschliche Leben als Wert an sich – wird durch all dies ad absurdum geführt.

Dieser Abscheu vor der Art des Umgangs mit dem Krieg liegt die Erkenntnis vom gemeinsamen Ursprung der Gewalt gegen Frauen in zwischenmenschlichen Beziehungen und der Gewalt als Mittel zur Lösung internationaler Konflikte zugrunde (s. Martha Buck). Zu oft werden Männer in unserer Kultur in die Gewalt als Mittel der Konfliktlösung hineinsozialisiert, und die Berichterstattung, die ihren Erfolg feiert, bedient sich der Metaphorik des Sports und der Sexualität. Die krude Parallele zwischen sexuellem Mißbrauch von Frauen und dem Krieg wird offensichtlich in dem Einsatz von Pornographie, um die Truppen vor dem Gefecht aufzuputschen. Lassen Sie mich Ihnen hier ein Beweisstück vorlegen, von dem ich glaube, daß es den Zusammenhang zwischen Krieg, Staat, Gewalt, Sex und männlichem Anspruch klar macht. In der Buchhandlung im Pentagon konnte man einen »Desert Storm«-Kalender mit Postern von spärlich bekleideten Frauen kaufen, die in militärischer Aufmachung posierten. Der Kapitän der Luftwaffe, bei dem man den Kalender bestellen konnte, gab an, daß er einen Anteil der Gewinne aus dem Verkauf der Yellow Ribbons Foundation spendete (Boston Globe, 27/1/91). Die Ausbeutung der Frau als Sexsymbol und der Frau als Fürsorgende sind eine Verbindung eingegangen.

Der saubere Krieg: Ein militärischer Mythos

Die schrecklichen Folgen des Krieges werden in der Semantik des Militärs verdeckt. In der Berichterstattung über die militärischen Aktionen hören wir von „Begleitschäden“, „chirurgischen Schlägen“, „zielreichen“ Gebieten, „strategischen Angriffen“, „Ausfällen“, „Befehls- und Kontrollketten“, „Freundbeschuß“ und „neutralisierten Panzern“. Dann werden auf einmal verkohlte Leichen von Frauen und Kindern aus einem Bunker in Bagdad gebracht, und man ist schockiert. Gab es doch keine Zielgenauigkeit? Wie konnte eine so große Zahl von Zivilisten getötet werden? Waren die Ziele nicht militärisch? Langsam wird klar, daß es in der Nachbarschaft von militärischen Zielen Menschen gibt, daß »tote Panzer« auch tote Menschen bedeuten. Wenn wir nur zur »strategischen Sprache« Zugang haben, ist der Krieg keimfrei, und menschliches Leben wird etwas Relatives. Wir sprechen nicht von unseren Mitmenschen, sondern von Zivilisten, Soldaten, Feinden und Verbündeten. Der Einsatz von Napalm im Golfkrieg, in Vietnam noch so umstritten, wurde vertuscht (WTG, 24. Februar 1991: C15). Nach der offiziellen Verlautbarung des US-Militärs war das Napalm über den ölgefüllten Gräben abgeworfen worden, die die irakische Armee als Teil ihrer Verteidigung gegen einen möglichen Bodenkrieg errichtet hatte (ebd.).

Während des »Desert Storm« bildete die an ein Wunder grenzende geringe Zahl an Verlusten für die Militärs eine stete Quelle des Stolzes. Doch die Militärs schwiegen, wenn es um die Verluste auf irakischer Seite ging. Der Krieg war erfolgreich, weil der Tod verdeckt wurde. Es gab keine Bilder von den Leichensäcken, die in die USA zurückkamen. Der Stützpunkt in Delaware war bei diesen Gelegenheiten für die Presse geschlossen, und das Recht des Pentagon, die Presse auszuschließen, wurde vor Gericht mit der Begründung bestätigt, daß diese Handlungsweise weder unsinnig noch unangemessen sei. Man hatte die Lehre aus Vietnam gezogen. Sogar als bekannt wurde, daß auf Seiten der USA viele Soldaten dem irrtümlichen Beschuß durch die eigenen Truppen, d.h. »Freundbeschuß«, zum Opfer gefallen waren, blieb der Schrecken des Krieges etwas sehr Fernes. Wir sahen keine Bilder von »feindlichen« Opfern; es hatte niemand Interesse daran – weder der Irak noch die USA – dieses Blutbad zu zeigen.

Wir haben viel über Verletzungen der Menschenrechte gehört – selektiv allerdings und nur, wenn es Wasser auf die militärischen Mühlen war. Berichte von Verletzungen der Menschenrechte durch die Irakis in Kuwait wurden Bestandteil der »Kriegsordnung«. Die Tatsache, daß anhaltende Verletzungen der Menschenrechte aus vielen Golfstaaten berichtet werden, wurde nicht in gleichem Maße deutlich gemacht. Die Militärs drängten der Öffentlichkeit ihre Unterteilung der Menschheit in Verbündete und Feinde auf, und sie kaufte es ihnen ab. Sie wollten erhobenen Hauptes neben dem Präsidenten gehen, sie wollten das Gespenst Vietnam hinter sich lassen. Mir klingt immer noch der Satz General Schwarzkopfs in seinem triumphalen Einsatzbericht vom 27. Februar im Ohr, als er sagte, daß die Greueltaten von Kuwait Stadt von Menschen verübt worden seien, die „nicht derselben menschlichen Rasse angehören, wie wir“. Wer also waren sie? Und wer waren die Soldaten in dem Massaker von My Lai, die Erfinder der Typenradbomben und der chemischen Kriegsführung, die Waffenhändler und die, die Napalm einsetzten? Wenn die Irakis keine Menschen waren, dann bedeutet das auch, daß ihr Leben weniger wert war, als das derjenigen, die zu den verbündeten Truppen gehörten.

Krieg und nationale Prioritäten

Die Bewegung vom Kalten Krieg zur Neuen Weltordnung ließ auf eine Friedensdividende hoffen. Die Kosten dieses Krieges werden aber die Chancen jetzt entscheidend verschlechtern. Krieg geht immer zu Lasten der Sozialetats. Innerhalb der nationalen Prioritäten hat eine Verschiebung stattgefunden über die weder debattiert noch abgestimmt worden ist. Diejenigen, die die Lasten zu tragen haben, sind nicht gefragt worden. Das Nebeneinander vom Krieg draußen und den innenpolitischen Auseinandersetzungen, ist ein durchgängiges Thema in der feministischen Literatur zur »Kriegsordnung«. Die USA, der Möchtegern-Anführer der »Neuen Weltordnung«, sind ein Land mit einem Defizit von 318 Milliarden Dollar, mit 3 Millionen Obdachlosen und 37 Millionen Bürgern ohne Krankenversicherung. Auf 44$, die für das Militär ausgegeben werden, kommt 1$ für Wohnungsbau. Es ist grausame Ironie, einen Krieg auf Kredit zu finanzieren, um dann aufgrund des gestiegenen Defizits Investitionen im Erziehungswesen und der Infrastrutur zu streichen, die notwendig wären, um in der Weltwirtschaft mithalten zu können und für soziale Gerechtigkeit zuhause zu sorgen. Sie ist noch grausamer, wenn wir die Zusammensetzung des Militärs nach Klassen- und Rassenzugehörigkeit betrachten. Junge, meist arme Männer und Frauen in einer sogenannten »Freiwilligenarmee« wurden losgeschickt, um die Interessen Amerikas im Ausland zu schützen. Schulden haben den Krieg finanziert, und genau die Menschen, deren Einkommen während des letzten Jahrzehnts stetig gesunken ist, werden im kommenden Jahrzehnt für den Krieg bezahlen müssen. Man ließ die ohnehin schon Benachteiligten weiter verarmen. Die Verschiebung innerhalb der nationalen Prioritäten wirkt sich auf die Programme für diejenigen aus, die bereits in Not leben. Darüberhinaus gibt es eine Art »geistiger Auszehrung«, denn das Potential an klugen Köpfen einer Nation wird darauf konzentriert, wie ein Krieg am besten führbar ist, und nicht darauf, wie die Voraussetzungen für eine gerechte Gesellschaft geschaffen werden können.

Mir hat der Slogan immer sehr gefallen: Es wird ein großer Tag sein, wenn die Finanzierung der Erziehung gesichert ist, und das Militär Selbstgebackenes verkaufen muß, um neue Kampfflugzeuge finanzieren zu können. Die Kalkulation für den Golfkrieg lag außerhalb des Etats. Wie ist das Pentagon ohne eine Kostenkalkulation davongekommen? Könnten wir einen »Krieg« gegen die Kindersterblichkeit führen, ohne eine vorherige Kalkulation der Ausgaben? Wir wissen, daß Betreuung vor der Geburt hilft. Wir wissen, daß ein Teil der Bevölkerung der USA eine erschreckend hohe Rate an Kindersterblichkeit aufweist. Mit ihrer Kindersterblichkeitsrate stehen die USA an 25. Stelle unter den Industrienationen. Doch soziale Dienstleistungen wurden gekürzt, um einen Krieg weiterführen zu können, dessen Kosten unabsehbar waren. Können Sie sich eine massenhafte Medienberichterstattung zur Feminisierung der Armut und zur Gewalt gegen Frauen vorstellen, mit einem Riesenaufgebot an Experten aus aller Welt, monatelang, ohne Unterbrechung, auf CNN? Wäre es dann möglich, Schwangerschaftsvorsorge und Kinderbetreuung außerhalb des Etats zu finanzieren, weil ohne diese Programme Leben verloren gehen würden, weil der »American Way of Life« gefährdet wäre, und »Demokratie« einen hohlen Klang bekäme? Diese Gründe wurden als Gründe für den Krieg angeboten. Wer setzt die Prioritäten, wo es um Menschenleben geht?

Die Kriegskosten beinhalten Gehälter, Raketen, Munition, See- und Luftbrücken, Treibstoff, militärische Bauten, Medikamente, Lebensmittel, Wasser und andere Versorgungssysteme. Aber für gewöhnlich werden die Unterstützungen für die Veteranen und die Zinsen, die für das für diese Verpflichtungen geliehene Geld anfallen, genauso wenig berechnet, wie die Zeit, die nötig ist, um diese Schulden abzuarbeiten. Die Hinterlassenschaft der Kriege häuft sich mit den Jahren an, vom 1. Weltkrieg, 2. Weltkrieg, Korea, Vietnam (von den nicht offen erklärten Kriegen ganz zu schweigen). So zahlten die USA beispielsweise noch Mitte der 70er Jahre mehr als eine Million Dollar pro Jahr an Kriegsrenten, die auf den Bürgerkrieg zurückgingen. Versuchen Sie einmal sich die Kriegsschulden dieses Jahrhunderts vorzustellen.

Eine Kalkulation der Kriegsoperationen am Golf setzt den Preis in der Phase der Vorbereitung bis zum 16. Januar auf 11,4 Milliarden Dollar an. Ab dem Einsetzen des Luftkrieges auf 500 Millionen pro Tag und 2 Milliarden pro Tag für die Phase des Bodenkriegs. Ralph Estes veranschlagt die Kosten des Krieges auf etwa 450 Milliarden Dollar. Betätigen wir einmal unsere ökonomische Phantasie und berechnen aufgrund früherer Kriege und Faktoren wie den anfallenden Unterstützungen für Veteranen und Schuldzinsen die Kosten, so steigen die Ausgaben auf mehrere Milliarden (650 Milliarden Dollar); addiert man dazu den Verlust an Menschenleben, das verwüstete Land, die Kosten des Wiederaufbaus, so fällt es schwer, den Krieg effizient zu nennen und ihm eine Vorbildfunktion zuzusprechen. Der Krieg ist eine Hypothek auf die Zukunft und auf die unserer Kinder.

Frauen als Staatsbürgerinnen

Für Frauen bedeutet Krieg, daß sie als Staatsbürgerinnen für die Nation nicht denselben Wert haben, wie eine bestimmte Außenpolitik. Der Krieg verlangt, daß Frauen als Staatsbürgerinnen ignorieren, daß ihr bereits begrenzter Zugang zu den Bereichen Wohnung, Erziehung, Gesundheitsvorsorge, Nahrung und Kleidung noch weiter eingeschränkt wird; daß sie bei einer zerstörerischen Außenpolitik mitmachen, um eine nicht vorhandene Energiepolitik zu unterstützen, weil wir doch ein Recht auf billiges Öl haben; daß sie eine Regierung stützen, die ihre Rechte ausgehöhlt hat, in deren Verfassung sie nicht erwähnt werden und auf deren Straßen sie sich nicht ohne Angst vor Belästigung, Überfällen, Mord bewegen können; daß sie akzeptieren, nur 64 Cents zu verdienen für jeden Dollar, den ein Mann bekommt.

Im Golfkrieg dienten Frauen ihrem Land beim Militär (s. Pam Hughes und Nancy Buermeyer). Durch die Bestimmung, die Frauen von einem Kampfeinsatz ausschloß und die zu einer geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung führte, war ihnen jedoch der Zugang zu 50% aller Stellen in der Armee versperrt. Die Ironie dabei ist, daß es für die Zahl der rekrutierten Frauen eine Obergrenze gibt, die die Konkurrenz noch verschärft. Als Folge davon müssen Frauen, um angenommen zu werden, besser sein als die entsprechenden männlichen Bewerber. Hatten sie dann den Job, waren sie in der Marine und der Luftwaffe durch ein Gesetz, in der Armee durch eine Vorschrift, von allen Aufgaben ausgeschlossen, die als »Kampfeinsatz« gekennzeichnet waren. Was damit gemeint ist, ist Auslegungssache und führt zu Widersprüchlichkeiten und Heuchelei. So können Frauen zum Beispiel Flugausbilderinnen sein, doch sie dürfen keine Kampfflüge durchführen. Wenn sie es doch täten, so wäre das der Definition nach kein Kampfeinsatz. In der Luftwaffe dürfen Frauen noch nicht einmal lernen, Kampfflugzeuge zu fliegen, aber sie fliegen die Flugzeuge, die sie wiederauftanken. Frauen war zwar nicht erlaubt, auf Schlachtschiffen zu arbeiten, dafür aber auf den Schiffen, die sie wiederauftanken. Hier handelt es sich um langsame Schiffe, die sich ohne Deckung nähern und zurückziehen. Im Kriegsgebiet übernehmen Frauen Rollen in der Versorgung und Unterstützung, in Schlüsselzielen also. Die Vorschriften, die Frauen vom Kampfeinsatz ausschließen, bilden eindeutig keinen Schutz für Frauen; vielmehr, wie die Kongressabgeordnete Pat Schroeder sagte, „schützen sie die Frauen vor Beförderung“. Die Frage nach dem Kampfeinsatz von Frauen war entscheidend für die Niederlage des Gleichberechtigungsparagraphen in den USA, doch wenn Frauen sich in einem Krieg behaupten, gibt es keine Anerkennung. Für sie gelten andere Maßstäbe: sie sind unsichtbar.

Wenn es um Frauen ging, konzentrierten sich die Medien auf die »Mütter im Krieg«, die Babies und Familien, die zurückgelassen wurden, die Frau, die in den Wehen lag, als die Einberufung sie erreichte, die Probleme von Kindern, deren Eltern im Krieg waren, und, wie immer, von der Versorgung der Kinder als Frauensache; der Tenor war, die Opfer sind schuld. Während »Desert Storm« waren 17.500 Familien ohne erziehenden Elternteil bzw. ohne beide Elternteile (1.200 Familien mit Doppelverdienern).

Auch als Veteraninnen waren Frauen eine andere Kategorie von Staatsbürgern. Als sich der Kongress mit den Unterstützungsgeldern befaßte, die für die Veteranen anfallen würden (NYT, 19/2/91), kündigte das Verteidigungsministerium sofort seinen Widerstand dagegen an, alleinerziehende Eltern und Ehepaare mit kleinen Kindern vom Dienst zu befreien, ging aber in keiner Weise auf ihre Ansprüche und Bedürfnisse ein (NYT, 20/2/91).

Was würde passieren, wenn wir als Faktoren für die gesellschaftlichen Kosten auch die Generation von Kindern aufnehmen würden, die von ihren Müttern getrennt wurden, weil sie eine Last waren, die Frauen, die mit ihren Schuldgefühlen fertig werden müssen und die Kinder, die um die Bindung zu ihren Eltern gebracht wurden etc.? Warum sollen Entscheidungen zum Besten der Nation, und nicht zum Besten einzelner Mütter und Kinder getroffen werden, aus denen sich die Gemeinschaft der Staatsbürger zusammensetzt?

Feministinnen haben festgestellt, daß die Frauen die Armen dieser Erde sind: sie haben keinen Staat, keine Position bei der UN, keine internationale moralische Krise, über die in den Medien so ausführlich berichtet würde wie über den Krieg. Dennoch sind die Auswirkungen des Golfkrieges auf das Leben der Frauen dramatisch. Die Neue Weltordnung, die Bush so gerne verkündet, ist in Warhheit eine Kriegsordnung, und ihre Auswirkungen auf die Frauen als Mitglieder der Weltgemeinschaft sind verheerend. 80% aller Flüchtlinge auf der Welt sind Frauen und Kinder, und als Flüchtlingen ergeht es Frauen schlechter als Männern; weltweit leisten Frauen den größten Teil der lebenserhaltenden Arbeit, aber sie haben wenig Besitz, und für solche Menschen am Rande vervielfachen sich die Folgen des Krieges; 78% aller Menschen, die in Armut leben, sind Frauen und Kinder unter 18 Jahren; Armut wird rapide feminisiert (siehe Seager und Olson). Die Kluft zwischen den Geschlechtern bei der Einschätzung der Nützlichkeit des Krieges als ein Mittel der Konfliktlösung spiegelt diese Wirklichkeit wider. Die Verteilung von Nutzen und Lasten, bei der die Frauen weniger an Ressourcen besitzen, während sie ein Mehr an Verpflichtungen auf sich nehmen, wird durch den Krieg noch verschärft. Sie werden aufgefordert, aufopfernde Patriotinnen zu sein, sie dienen ihrem Land in der Armee, als Mütter, als Ehefrauen, Freundinnen durch ihre Gefühlsarbeit (s. Enloe). All diese Rollen verlangen, daß die Frauen Normen akzeptieren, die sie nicht selber gesetzt haben, die gewiß nicht in ihrem langfristigen Interesse sind und die oft ihren unmittelbaren Bedürfnissen zuwiderlaufen. Frauen tragen die Lasten des Krieges und gewinnen aus ihm wenig Nutzen. Der militärische Sieg in einem Krieg bedeutet nahezu mit Sicherheit für viele Frauen größere Armut im Frieden.

Die Folgen der Anwendung von Gewalt zur Lösung von Problemen sind den meisten Frauen vertraut. Aggression erzeugt strukturelle Gewalt in der Gesellschaft und Frauen leiden darunter. Wir hören es schon in der Sprache des Siegers: „denen haben wir es gegeben“, wir haben ihre Truppen „in die Flucht geschlagen“, wir werden „Saddam to Allah“-Autoaufkleber verschicken. Feministinnen mißtrauen der überwältigend männlichen Art und Weise, in der Soldaten ausgebildet werden, und das Töten, das der Krieg mit sich bringt, stößt sie ab. Aber wenn sie nach Lösungen in Form von Reformen suchen, denken sie über Möglichkeiten nach, das Militär weiblicher zu gestalten oder sich für seine Abschaffung einzusetzen (Hanley,1991: 1-3). Ihr wolltet Gleichheit, sagen die Zyniker; jetzt, wo ihr kämpfen dürft, beschwert ihr euch über den Krieg.

Die Kluft zwischen den Geschlechtern schließen

Eine Kluft zwischen den Geschlechtern festzustellen, wenn es um den Krieg geht, bedeutet nicht, eine Grundsatzdebatte zu führen. Das Bewußtsein der Frauen wird von ihren materiellen Existenzbedingungen geformt, und die sind trostlos in der »Kriegsordnung«. Die Frauen wissen, daß man sie belügt; daß wir an den Konsequenzen daraus lange zu tragen haben; daß die Frauen die Last tragen werden. Frauen wissen, daß Krieg unvorstellbaren Schmerz, Verlust und bleibendes Trauma bedeutet; sie wissen, daß keine Beteuerungen von Anführern und Experten aus ihm eine saubere Sache machen können. Sie wissen, daß sie ungeschützt sind gegen Mißhandlung (in den USA wird alle sechs Minuten eine Frau vergewaltigt); daß das Zuhause, angeblich der Hort der Liebe und der Sicherheit, der Ort ist, an dem Frauen mißhandelt und ermordet werden. Allerdings erscheint die Gewalt, indem sie als »häusliche Gewalt« bezeichnet wird, irgendwie gemildert: durch die Bezeichnung »Gewalt in der Ehe« wird die Tatsache, daß Männer Frauen mißhandeln, verdeckt. Frauen erfahren Gewalt nicht von weitem: sie kennen ihre Verletzlichkeit in einer sehr direkten und persönlichen Art, aber sie wissen auch, daß sie auf der öffentlichen Ebene geleugnet wird, wo Gesetze, die Frauen schützen, als Beweis für eine mitmenschliche Gesellschaft angeführt werden können.

Die private Wut der Frauen über den Krieg und seine Berichterstattung erwächst aus unserer Lebenswirklichkeit. Frauen blicken auf eine andere Realität. Es ist nicht die Welt der »chirurgischen Schläge«. Krieg schützt die Frauen nicht. Diese Lüge wird in der bürgerlichen Gesellschaft ständig widerholt. Frauen werden in Friedenszeiten vergewaltigt und auch in Zeiten des Krieges. Krieg richtet Schaden in den Körpern und in der Umwelt an. Sich vorzustellen, wie wir den Unterschied zwischen den Geschlechtern in eine politische Kraft umwandeln können, ist schwierig, solange Frauen in der Weltordnung am Rande stehen; solange ihre Verletzlichkeit als Fürsorgende manipuliert wird; solange eine Verschiebung in den nationalen Prioritäten durch eine nationalistische Rhetorik verdeckt wird. Das Persönliche in das Politische hineinzunehmen und die Kluft zwischen den Geschlechtern zu schließen, hat nichts damit zu tun, daß Frauen mehr wie Männer werden müßten, sondern es bedeutet, eine neue Weltordnung zu schaffen, in der das Leben und unser Planet geachtet werden und in der Krieg nicht gerechtfertigt und mystifiziert wird als etwas, das »uns schützt«. Wir müssen verlangen, daß über die Friedensbewegung berichtet wird (s. Lembcke 1991); daß Patriotismus kritisiert wird (s. Conlogue 1991); daß Krieg nicht aufgrund eines Volksentscheids geführt wird; daß das Pentagon die öffentliche Meinung nicht in seinem Interesse manipuliert; daß eine langfristige Energiepolitik entwickelt wird. Dies war kein »gerechter Krieg« (wenn es so etwas überhaupt geben kann). Uns wird es hinterher schlechter gehen als vorher. Unter welchen Bedingungen würden Frauen sich weigern, Kinder großzuziehen, um diese hinterher in den Krieg zu schicken? Wären sie bereit, geliebte Menschen zu opfern oder sich in der Einrichtung ihres Lebens einer Politik anzupassen, die sie entmachtet und sie verarmen läßt.

Wir wissen, daß sich die Fragen von Frauen oft als entscheidend erwiesen haben, als die Folgen »technischer Brillianz« zum Vorschein kamen. Als Frauen müssen wir beharrlich Fragen zum Krieg stellen und uns von Kriegsexperten nicht abspeisen oder einschüchtern lassen. Doch wurde etwa in den Leserbriefspalten der Zeitungen deutlich, daß Frauen sich den Kopf zermarterten, wie sie über Krieg, Frieden, Menschenwürde und Menschenleben reden könnten, ohne kompromittiert, zum Schweigen gebracht, niedergemacht zu werden und ohne illoyal gegenüber denen zu sein, die sie lieben. Eine der wichtigsten Strategien von Feministinnen, wenn es um Fragen politischer Bedeutung geht, ist, Frauen das Privileg der Wissenden zuzusprechen und zu zeigen, daß ihre Beobachtungen, Wahrnehmungen und Überlegungen in ihrer Erfahrung der Machtlosigkeit, der Verletzlichkeit und der Abhängigkeit gründen, aus denen oft eine Klarheit des Blicks entsteht, die diejenigen, die über die Macht und die Ressourcen verfügen und die Entscheidungen fällen, nicht haben. Zu oft wird das Wissen der Frauen mit der Begründung abgetan, es sei intuitiv und persönlich, es mangele ihm an Präzision und es sei gewiß nichts für die Wissenschaft. Ich denke im Fall von Krieg und Frieden können wir sehen, daß Frauen sehr wohl einige Dinge »wissen«, aber da ihr Wissen den Strukturen der »Kriegsordnung« von Natur aus feindlich gegenübersteht, werden ihre Stimmen zum Schweigen gebracht und sie scheuen davor zurück, ihre Analysen als etwas zu präsentieren, das politische Aufmerksamkeit verdient.

Wenn es um Strategien geht, wie kann das Gespräch als wichtiger erkannt werden als die Gewalt? In dieser Hinsicht finde ich die Arbeiten der Ökofeministinnen sehr vielversprechend. Zum Abschluß möchte ich Ihnen gerne einen Ausschnitt aus Asoka Bandarages Artikel „Auf der Suche nach einer neuen Weltordnung“ vorlegen, der in einer der letzten Ausgaben des Women's Studies International Forum (1991, S.348-349) erschienen ist:

„In den Kämpfen für Umweltschutz und Menschenrechte spielen immer mehr Frauen, oft aus unterdrückten Gruppen, eine führende Rolle. So sehen wir Frauen an der Spitze von Initiativen zum Schutz der Wälder, wie etwa derjenigen der Chipko Bewegung in Indien (Shiva 1989). Sie setzen alte Rituale für neue Zwecke ein und übernehmen den alten Brauch, Bäume zu umarmen, um sie so vor Holzhändlern, Maklern und Regierungsbeauftragten für Entwicklungshilfeprojekte zu schützen. Auch in den Vereinigten Staaten haben Frauen, oft einfache Hausfrauen und Arbeiter, wie Karen Silkwood, die Führung übernommen im Kampf gegen die Atomindustrie und Giftmülldeponien an Orten wie Three Mile Island und Love Canal. … Andere Frauen übernehmen die Führung in Bewegungen zum Schutz von Menschenleben vor politischer Gewalt. … Gruppen von Müttern in El Salvador, Chile, im Mittleren Osten, Nordirland … fordern die Rückkehr ihrer verlorenen Kinder. In Argentinien nehmen die Mütter Windeln, um Barrikaden gegen die Polizei zu errichten, so, wie die Frauen in Greenham Common Netze um die Raketenbasis gewoben haben. … Die Schaffung einer neuen Weltordnung ist undenkbar, ohne die weltweiten Ressourcen über die Schranken zwischen den Klassen, Nationen, ethnischen Gruppen und Geschlechtern hinweg zu teilen.“

Auswahlbibliographie

Amnesty International USA 1990. Prepared Statement of Amnesty International USA on Human Rights Violations by Iraqi Security Forces in Kuwait, Before the Congressional Human Rights Caucus, 10. Oktober 1990.
Conlogue, Ray. 1991. Cyuicism that flies in the face of patriotism. in: Globe and Mail, 5. März.
Enloe, Cynthia. 1989. Bananas, beaches and bases: Making Feminist Sense of International Politics. Unwin Hymen. Boston.
Faux, Jeff. 1991. Fight Now: Pay Later. in: New York Times. 19. Febr. 1991.
Galbraith, John Kenneth. 1990. (Class)War in the Gulf. in: New York Times, 7. Nov.
Gioseffi, Daniela (Hrsg). 1988. Women on War: Essential Voices for the Nuclear Age from a Brilliant Assembly. A Touchstone Book. Simon and Schuster, New York.
Gordon, Suzanne und Buresh, Bernice. 1991. Women's Stake in War. in: Boston Globe, Jan.
Greer, Germaine. 1990. Our Allies, the Slave Holders. in: New York Times, 14. Nov.
Hanley, Lynne. 1991. To Kill and to be Killed. in: Women's Review of Books, Vol.8, No.6, 1-3.
Lembcke, Jerry. 1991. Soldiers will feel solidarity with pacifists. in: The Hartford Courant.
Lorch, Donatelle. 1991. 7 Miles of Carnage Mark Road Iraqis Use to Flee. in: New York Times, 3. März.
Mahony, Rhonda. 1991. Voices of Dissent: taking on the Pentagon. in: Ms., Vol. 1, No.5, 86-7.
NOW. 1990 Resolution on equality for women in the Persian Gulf, 16. Sept.
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NOW. 1990. Resolution on Troop Build-up in the Persian Gulf. 18. Nov.
NOW. 1990. News Release, 27. Nov, NOW calls for withdrawal of troops from Saudi Arabia. Condems Gender Apartheid.
NOW, n.d. Women in the Military.
Seager, Joni und Olson, Ann. 1986. Women in the World. Touchstone Books, Simon and Schuster, New York.

Diane Bell ist Anthropologin, Feministin, Lehrstuhl für Religion, Wirtschaftliche Entwicklung und Soziale Gerechtigkeit am College of the Holy Cross, Worcester, MA 01610, USA