Friedenspreis für Pro Asyl

Friedenspreis für Pro Asyl

Göttingen, 6. März 2010

von Jürgen Nieth

In Würdigung seiner langjährigen Arbeit für die Belange der Flüchtlinge und insbesondere für die erfolgreiche Realisierung der Kampagne »Stoppt das Sterben« hat die Stiftung Dr. Roland Röhl den Förderverein Pro Asyl e.V. am 6. März mit dem »Göttinger Friedenspreis 2010« ausgezeichnet.

Der Göttinger Friedenspreis wird alle zwei Jahre verliehen und ist mit 3.000 Euro dotiert. In seinem Grußwort betonte der Präsident der Georg-August-Universität, Prof. Dr. Kurt von Figura: „Die Universität ist froh, alljährlich der Ort für die Verleihung dieses außergewöhnlichen Preises sein zu dürfen und so das Anliegen Dr. Röhls unterstützen zu können. Dem diesjährigen Preisträger Pro Asyl gratulieren wir sehr herzlich zu dieser Auszeichnung. Für die künftige Arbeit wünschen wir Pro Asyl weiterhin viel Erfolg.“ Dr. von Figura hob hervor, dass Dr. Roland Röhl Anfang der 1980er Jahre als Wissenschaftler zum Max-Planck-Institut für Biophysikalische Chemie nach Göttingen gekommen sei und später als Wissenschaftsjournalist sich besonders dem Gebiet der Friedens- und Konfliktforschung zugewandt und dort großes Renommee erworben habe. Roland Röhl starb 1997 im Alter von 42 Jahren. Zuvor hatte er Vorkehrungen getroffen, eine Stiftung zu errichten, die dazu verhelfen soll, der Konflikt- und Friedensforschung Geltung zu verschaffen. Mit ihrer Hilfe wird seither der Göttinger Friedenspreis verliehen.

In der diesjährigen Begründung zur Preisverleihung heißt es dazu unter anderem:

„Pro Asyl lässt sich seit seiner Gründung 1986 von dem Prinzip leiten, dass Flüchtlinge einen Anspruch auf Respektierung ihrer Menschenrechte und auf Schutz vor Verfolgung haben. Pro Asyl engagiert sich für ein humanes und gerechtes Asylrecht in Deutschland und ganz Europa.

Immer häufiger werden Flüchtlinge … ohne Prüfung ihres Asylbegehrens in das EU-Land zurückgeschoben, über das sie eingereist sind. Auf Familienbindungen oder humanitäre Verpflichtungen wird dabei selbst bei Jugendlichen zumeist keine Rücksicht genommen. In einigen Grenzländern der EU sind seit Jahren gravierende Menschenrechtsverletzungen bis hin zu schweren Misshandlungen zu verzeichnen.

Neben einer Vielzahl anderer Aktivitäten unterstützt und organisiert Pro Asyl schwerpunktmäßig Flüchtlingsprojekte an den Außengrenzen der EU … Pro Asyl mischt sich in politische Debatten ein und setzt sich für humane Aufnahmebedingungen Schutzsuchender und für die Einhaltung menschenrechtlicher Standards in Europa ein. Es appelliert an das Europäische Parlament, seine humanitäre Aufgabe zu erfüllen und die Flüchtlings- und Menschenrechte ernst zu nehmen. Kritisiert werden unterschiedliche und restriktive Aufnahmebedingungen, Druck gegenüber den ärmeren Grenzländern, Brutalisierungstendenzen im Umgang mit Schutzsuchenden. Konkret wird die Einstellung der FRONTEX-Einsätze gefordert.

Um immer wieder auf das Schicksal von Flüchtlingen aufmerksam zu machen, betreibt Pro Asyl eine intensive Öffentlichkeitsarbeit. Es informiert per Pressemitteilungen, Pressekonferenzen, Flugblättern und Broschüren sowie regelmäßigen Mitglieder- und Spenderinformationen. Es sorgt für vertiefende und fachkundige Informationen durch themenspezifische Materialsammlungen, Bücher und Angebote im Internetportal. Es steht den Schutzsuchenden bei Behörden und Gerichten mit Recherchen, Gutachten und Rechtshilfen zur Seite.

Pro Asyl tritt an einer zentralen Schnittstelle von innerer und äußerer Friedensförderung für die Gebote menschlicher Sicherheit ein und wirkt damit als wichtige »Stimme der Humanität«…“

Es ist nicht der erste Friedenspreis, mit dem die Arbeit von Pro Asyl gewürdigt wurde. 1998 wurde der Verein bereits mit dem Bonhoeffer-Preis ausgezeichnet und 2001 erhielt Pro Asyl den Aachener Friedenspreis.

Für Pro Asyl nahmen deren Geschäftsführer Günter Burkhardt und der Europareferent Karl Kopp den Preis entgegen. In seiner Dankesrede schilderte Günter Burkhardt die traurige Realität an Europas Außengrenzen:

„Die Menschenrechte und internationale Flüchtlingsschutzstandards werden täglich an den EU-Außengrenzen eklatant verletzt. Schutzsuchende werden in Transitländer wie Libyen, die Türkei, Mauretanien und die Ukraine zurück transportiert – egal wie es dort um die Menschenrechte bestellt ist. Die Todesrate bei den Einreiseversuchen an der Seegrenze nach Europa ist unvermindert hoch. Über 500 Bootsflüchtlinge sind allein 2009 im Kanal von Sizilien ums Leben gekommen. Häufig schauen Mitgliedstaaten einfach nur zu, wie Bootsflüchtlinge verzweifelt um ihr nacktes Überleben kämpfen und streiten sich derweil über Zuständigkeitsfragen bei der Seenotrettung. Schiffscrews, die Flüchtlinge aus dem Wasser fischen, müssen befürchten mit skandalösen Verfahren wegen Beihilfe zur »illegalen Einreise« überzogen zu werden. Die fatale Botschaft dieser Gerichtsverfahren: Schiffsbesatzungen schaut weg, fahrt weiter und legt euch nicht mit der Festung Europa an. Entlang der europäischen Küsten und Landgrenzen entstehen immer mehr Haftanstalten für die neu ankommenden Flüchtlinge. Potentiellen Schutzsuchenden auf der anderen Seite des Meeres soll vermittelt werden, dass an den europäischen Küsten nur die Inhaftierung, der Rücktransport oder der nasse Tod auf sie warten.“

Eindringlich schilderte er am Beispiel zweier Prozesse wie Lebensretter kriminalisiert werden sollen. Während der Kapitän Stefan Schmidt und Elias Bierdel, die zusammen mit der Crew der Cap Anamur im Juni 2004 37 Bootsflüchtlinge vor dem sicheren Tod retteten, nach einem fast dreijährigen Prozess – wohl auf Grund des großen internationalen Drucks – freigesprochen wurden, gab es Haftstrafen für tunesische Fischer.

„Die beiden tunesischen Kapitäne der »Morthada« und der »Mohamed El Hedi« wurden (in Italien) wegen angeblichem Widerstand gegen die Staatsgewalt und gegen ein Kriegsschiff zu zwei Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt …

Der damals diensthabende Kommandant der italienischen Küstenwache vertrat im Prozess die Auffassung, die Bootsflüchtlinge seien nicht in Lebensgefahr gewesen. Deshalb habe es sich nicht um eine Rettungsaktion gehandelt. Es sei die Pflicht der Küstenwache gewesen, die Einfahrt in italienische Gewässer zu verhindern. Die Manöver, mit denen die Kapitäne einer Kollision mit den Marineschiffen auswichen, wurden ihnen nun zur Last gelegt.

Fakt ist: Den Flüchtlingen ging es gesundheitlich sehr schlecht. Der Fischer Zenzeri erzählte: »Eine Schwangere hätte Lampedusa nicht mehr lebend erreicht, wenn wir ihr nicht mit traditionellen Mitteln geholfen hätten. Sie war sonnenverbrannt und am Verdursten. Alle 15 Minuten haben wir ihr frische Tücher aufgelegt, sie konnte kaum die Augen öffnen, war fast tot.« Allein drei Bootsflüchtlinge mussten umgehend nach ihrer Ankunft auf Lampedusa mit dem Rettungshubschrauber nach Sizilien ausgeflogen werden.

Die beiden verurteilten Kapitäne gehen nun in die Berufung. Ihre Schiffe wurden konfisziert, ihre Fischereilizenzen nicht erneuert.“ Damit wurde ihre Existenz vernichtet.

Zu den Auswirkungen solcher Urteile zitiert Burkhardt den Fischer Mohamed Anine Bayoud: „Ich bin 22 und ich habe keine Zukunft. Die Italiener haben ihr Ziel erreicht: viele Fischer sagen sich, sie wollen nicht helfen, damit es ihnen nicht ergeht wie Zenzeri und meinem Vater.“

Burkhardt kündigte an, dass Pro Asyl das Preisgeld des Göttinger Friedenspreises in Höhe von 3.000 Euro den tunesischen Fischern zukommen lassen wird. „Solidarität heißt, diese Lebenesretter zu unterstützen.“ Zusätzlich wird Pro Asyl Mittel bereitstellen für den weiteren Prozess.

Der Geschäftsführer von Pro Asyl verwies auf erste Erfolge der Kampagne »Stoppt das Sterben!«: „Als Pro Asyl vor rund drei Jahren (2008) diese Kampagne startete, war das Sterben an Europas Grenzen kaum ein Thema in Deutschland. Die (Frontex)Agentur und ihr oft menschenrechtsverletzendes Handeln kannte kaum jemand. Heute hat sich dies geändert, vor allem im Sommer wird die Tragödie an Europas Grenzen öffentlich.“ Kritisch stellte er dann fest, dass für die Regierungen aber offensichtlich nach wie vor »Stoppt das Sterben!« heißt, „macht es unsichtbar!

Im Süden Lybiens soll ein elektrischer Zaun gebaut werden – finanziert mit Mitteln der Europäischen Union. Mit der Türkei wird über ein Rückübernahmeabkommen verhandelt. Wirtschaftliche Vorteile und Geld dürften in Aussicht gestellt werden für eine regidere Grenzkontrolle.“

Burkhardt verweist darauf, dass nebulös und unpräzise bleibt, was konkret die Grenzschützer unter Beachtung der Europäischen Menschenrechtskonvention an Europas Grenzen tun sollen. „Wie wird geprüft, ob Personen schutzbedürftig sind? Wie wird ggf. ein Zugang zu einem Asylverfahren gewährt? Und vor allem: Wer ist verantwortlich, wenn bei einem -Einsatz mehrere Mitgliedstaaten mit gemischten Polizeiteams koordiniert zusammenarbeiten? Was ist mit Personen auf Hoher See, die erkennbar besonderen Schutz im Sinne der Flüchtlingsaufnahmerichtlinien der Europäischen Union bedürfen – so z.B. Minderjährige, Behinderte, Schwangere oder ältere Menschen? All dies ist offen. Gibt es Anfragen im Deutschen Bundestag, etwa von der Fraktion der Grünen oder der Linken – sind die Antworten nebulös… (Wird z.B. präzise) gefragt, welche Übereinkünfte es von EU-Staaten mit anderen Staaten gibt. Die Antwort: »Die Bundesregierung sieht sich außerstande, für alle an Einsatzmaßnahmen teilnehmenden Staaten alle hier in Frage kommenden zwei- oder mehrseitigen Übereinkünfte aufzuführen.« Dabei weiß die Regierung sehr genau, welche Abkommen es gibt, so z.B. Italien mit Libyen. Im Februar wurden nun drei weitere Schnellboote von Italien zur Verfügung gestellt, die patrouillieren. Insgesamt waren es sechs. Libyen verhindert so, dass Flüchtlinge, vor allem aus Eritrea, Italien erreichen. Italien schiebt zurück. Kommen Boote doch in die Nähe italienischer Gewässer, werden libysche Einheiten gerufen und die Menschen zurück verfrachtet.“

Kritisch beleuchtete auch Jürgen Trittin, Bundesminister a.D. und Fraktionsvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen im Deutschen Bundestag, in seiner Laudatio die EU-Abschottungspolitik: „Die EU reagiert auf das Elend vor den Toren Europas mit einer immer massiveren Abschottung. Zur koordinierten Abschottung wurde im Jahr 2004 eine Europäische Grenz-Agentur mit dem Namen Frontex gegründet. Über Jahre hinweg agiert diese Agentur, ohne dass sich die EU-Regierungen mit den menschenrechtlichen Verpflichtungen von Frontex ernsthaft auseinandergesetzt hätten. Monat für Monat werden Flüchtlingsboote im Mittelmeer oder dem Atlantik durch Frontex-Schiffe abgefangen und an ihrer Weiterfahrt in die EU gehindert.

Dabei sollten die Einhaltung menschenrechtlicher Standards, einheitliche Auslegung des Seerechts, einheitliche Definition von Seenot, bessere Zusammenarbeit mit dem Hohen Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen (UNHCR) und die parlamentarische Kontrolle durch den Bundestag und das Europäische Parlament eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein.

Das Refoulement-Verbot – das Verbot, Flüchtlingsboote zurückzuweisen – muss auch auf hoher See gelten und aufgegriffene Schiffbrüchige sollen auf das Territorium des flaggeführenden oder nächstgelegenen Mitgliedstaats gebracht werden. Dort muss dann entschieden werden, wer schutzbedürftig ist und wer zurück muss.“

Jürgen Nieth

Peter-Becker-Preis 2009

Peter-Becker-Preis 2009

Laudatio von Dieter Senghaas

von Dieter Senghaas

Im Rahmen der diesjährigen Verleihung des Peter-Becker-Preises am 29. Mai 2009 in Marburg hielt Prof. Dr. Dieter Senghaas die Laudatio auf den Preisträger, das Projekt »Peace Counts on Tour«. Wir veröffentlichen Auszüge.

I.

In der in den meisten deutschen Apotheken monatlich neu ausliegenden Zeitschrift für die älteren Menschen unter uns, dem »Senioren-Ratgeber«, findet sich im April 2009 ein Interview mit dem allenthalben bekannten Schauspieler Mario Adorf, der im kommenden Jahr 2010 seinen 80. Geburtstag feiern kann. An einer Stelle bemerkt der Interviewer folgendes: „Ihren Durchbruch hatten Sie in der Rolle eines psychopathischen Frauenmörders. Danach waren Sie lange auf Bösewichter festgelegt…“ Daraufhin Mario Adorf: „Das stimmt nicht. Schon diese Rolle hatte ich nur unter der Bedingung gespielt, dass ich in der nächsten Produktion einen guten Charakter spiele. Und so habe ich das eigentlich immer gemacht. Gut, durch den Karl-May-Film Winnetou I war ich dann etwas auf die Schurken festgelegt. Aber auch danach habe ich immer wieder andere Charaktere gespielt.“ Dann aber setzt der Interviewer nach und stellt fest: „Aber die Schurkenrollen sind die, die beim Publikum hängenbleiben.“ Woraufhin Mario Adorf antwortet: „Ja, das ist auch im Theater so. Die Bösen sind die erfolgreicheren Rollen.“

Ich war an dieses Interview erinnert, als ich Michael Gleichs Klage über die Kriegs- und Gewaltlastigkeit der journalistischen Berichterstattung über das Weltgeschehen im großen und im kleinen las: seine Klage über die inhaltliche Orientierung der Massenmedien – über eine Berichterstattung, die gewissermaßen unter dem Motto steht: »If it bleeds, it leads.« – frei übersetzt: »Wo Blut fließt, da sind die Schlagzeilen sicher.« Oder anders formuliert: »Good news, no news!«

Was Michael Gleich und seine Kollegen von »Peace Counts« im Hinblick auf Journalismus diagnostiziert haben – die Ferne des Friedens –, das zeigt sich auch in anderen Bereichen. So haben vor wenigen Jahren Kollegen und Kolleginnen aus der Geschichts- und Kulturwissenschaft, die sich mit der Darstellung des Friedens in der bildenden Kunst, also der Ikonographie des Friedens, beschäftigten, einen „Verlust der Friedensbildlichkeit in der Moderne“ diagnostiziert. Und in der Tat, zeitgenössische Darstellungen des Friedens à la Picasso, so seine eindrucksvolle Ausgestaltung einer Kapelle aus dem 14. Jahrhundert in der Stadt Vallauris als »Temple de la Paix«, sind eine Seltenheit.

Auch erinnere ich mich selbst an eine Rundfunksendung, in der ich mit Musikbeispielen die Friedensproblematik in aller Breite erläuterte und hörbar werden lassen wollte. Damals war in den USA gerade ein Buch von Robert Kagan, einem Stichwortgeber für die Bush-Administration, erschienen. In diesem Buch charakterisierte er die USA als marshaft und Europa als venushaft. Mars: das war die Identifikation einer Weltpolitik mit militärisch abgesicherten Machtmitteln (realistisch!), und Venus, das war der Inbegriff für die verweichlichten Europäer, die unfähig seien, sich auf der Höhe weltpolitischer Realitäten zu bewegen. Diese Kontrastfolie, von Kagan bitter ernst gemeint, konnte nun in der Musik illustriert werden mit Hilfe der ersten beiden Sätze aus Gustav Holsts »The Planets«: Satz 1 ist überschrieben: »Mars, The Bringer of War« – ein Satz mit den typischen martialischen Instrumenten wie Trompeten, Posaunen und einer dröhnenden Percussion; ein Satz, der markig, holzschnitthaft, ostinat-hämmernd und konturenscharf verfährt. Demgegenüber ist der zweite Satz: »Venus, The Bringer of Peace« durch ein lyrisch helles, feinsinnig-vielgliedriges, überdies ausladend-episches und dialogisches Klangbild charakterisiert, wobei nunmehr Holzbläser, Hörner, Harfen, das Glockenspiel und die Solovioline den Ton angeben.

Am Ende der kurzen kontrastierenden Einspielungen bemerkte danach die Moderatorin, Friedensmusik sei doch eigentlich langweilig; die wirkliche Virtuosität von Komponisten und Komponistinnen käme in deren Darstellungen von Kampf und Streit, von Konflikt und Antagonismen, auch von Krieg zum Ausdruck.

II.

Nun lese ich in einer die eigenen Aktivitäten erklärenden Broschüre des Journalistennetzwerkes »Peace Counts Project« folgendes: „‘Frieden ist doch langweilig‘. Diesen Satz hörten wir zu Beginn des Projekts Peace Counts immer wieder. Redakteure sagten ihn, denen wir Themenvorschläge gemacht hatten, in der Hoffnung, sie würden unsere Reportagen über Friedensmacher in ihren Magazinen veröffentlichen. Wir ließen uns nicht entmutigen. Peace Counts-Reporter und -Fotographen reisten dennoch in die Krisenregionen der Welt, immer auf der Suche nach Menschen, die erfolgreich Konflikte mit friedlichen Mitteln lösen.“ »Peace Counts Project« war und ist somit der Versuch, Fälle gelingenden Friedens aufzuspüren und zu dokumentieren, wobei nicht die sogenannte große Politik im Vordergrund steht, sondern ein vielfältiger Mikrokosmos der Friedensmacher in vielen Teilen der Welt. (…)

Ja, die Prozesse, die in den Materialien von »Peace Counts Project« dokumentiert sind, sind in der Tat langwierig und mühsam. Dabei zeigt sich, dass Umsicht, Klugheit, insbesondere Einfühlungsvermögen, aber auch Zielgerichtetheit unerlässliche Aktivposten derjenigen sind, die sich als Friedensmacher bewährt haben. Ihre Aktivität könnte man als »therapeutische Konfliktintervention« beschreiben: Hermeneutische Fähigkeiten sind dabei besonders gefragt, im übrigen auch die Ausrichtung solcher umsichtiger Intervention auf die Sicherung und Entfaltung einiger zentraler Grundbedürfnisse von Menschen wie Sicherheit, Anerkennung, Fairness, Gerechtigkeit, Selbstbestimmung – d.h. von Bedürfnissen, deren dramatische Missachtung in aller Regel die Ursache für Konflikte und ihre Eskalation ist.

»Peace Counts« hat auf der Grundlage von 25 Dokumentationen, z.B. über Szenen der Straßengewalt zwischen Jugendlichen und der Polizei in Brasilien, über den Konflikt zwischen christlichen Regierungstruppen und der islamischen Befreiungsfront auf Mindanao, über die Auseinandersetzung zwischen Nomadenvölkern (Clans) um Wasserrechte und andere Fälle, induktiv Kenntnisse über Konfliktursachen, Konflikteskalationen, aber vor allem auch über Wege und Modalitäten einer konstruktiven Konflikttransformation erarbeitet. Für den Erfahrungswissenschaftler sind diese mikroanalytisch gewonnenen Kenntnisse von Interesse, selbst dann, wenn sie nicht umstürzend neu sind, sondern bewährte, auf anderen Ebenen und mit anderen methodischen Zugängen gewonnene Erkenntnisse bestätigen.

So sehen sich Friedensmacher nach Michael Gleich in der Regel mit politisch virulenten Situationen konfrontiert, die er auf eine 6-P-Formel bringt: Profitgier, Panik, Profilierung, Propaganda, Politkalkül, Primitivität. (…) Und natürlich sind den Friedensmachern auch die tieferliegenden Ursachen militant werdender sozialer Konflikte wohlvertraut: die Missachtung von Grundbedürfnissen, die Zementierung von krasser sozialer Ungleichheit sowie der Ausschluss von politischer Teilhabe: Sachverhalte, die in einer alltäglich als sozial ungerecht erlebten Diskriminierung bewusst werden. Solche Erfahrung initiiert im Laufe der Zeit meist unausweichlich die Eskalation eines Konfliktes, wenn keine Aussicht auf eine konstruktive Konfliktbearbeitung besteht, also kein Licht am Ende des Tunnels aufscheint. (…)

Ein- bzw. zweipolige Autismen nicht entstehen zu lassen, der Gefahr einer »Verbiesterung« des Konfliktes frühzeitig entgegenzuwirken, dazu beizutragen, dass frühzeitig Selbsterkenntnis Raum gewinnt und eine nicht projektive, sondern wirklichkeitsnahe Realitätsprüfung stattfindet und Gravamina offengelegt werden, um Konfliktstreitpunkte potentiell handhabbar zu machen – diese und andere Bemühungen in ganz unterschiedlichen Kontexten zeichnen Friedensmacher aus, motiviert durch eine jeweils auf die Ortsumstände ausgerichtete Vision, dass hic et nunc Frieden möglich ist. Dazu gehören offensichtlich, wie in den dokumentierten Beispielen in Wort und Bild erläutert, ein gewisses Charisma der Akteure, die intellektuelle Fähigkeit, die jeweiligen spezifischen Konflikthintergründe zu verstehen, eine Einfühlungsgabe und nicht zuletzt die Fähigkeit, situationsangemessen zu handeln, auch die Fähigkeit, die Macht des Wortes ins Spiel zu bringen, also ein Redetalent. (…) Solche Fähigkeiten in einer von Dialektik durchsetzten Konstellation sind auch erforderlich, um das zu schmieden, was in der neueren Diskussion unter dem Stichwort Friedensallianzen avisiert wird: also der Aufbau von Netzwerken, in denen sich ganz unterschiedliche Akteure zusammenfinden: frühere Kombattanten, Friedensbewegte, Entwicklungshelfer, Unternehmer, Nichtregierungsorganisationen, lokale Behörden, Regierungsmitglieder, auch multinationale Organisationen. Die Idee dabei ist, Wege aus den potentiellen und akuten Sackgassen eines pathologischen, d.h. eines zur »Verschlimmbesserung« beitragenden Lernens zu finden und entsprechende »Gehversuche« nachhaltig zu stabilisieren.

III.

Dies waren einige Schlaglichter auf »Peace Counts«, ohne die »Peace Counts on Tour« – der eigentliche Preisträger des Peter-Becker-Preises 2008 – nicht zu verstehen ist. Der Übergang von »Peace Counts« zu »Peace Counts on Tour« war und ist folgerichtig: Wenn man in 25 Fällen je einzeln und für sich genommen beobachten konnte, warum trotz abträglicher örtlicher Bedingungen aufgrund der Aktivitäten der jeweiligen Friedensmacher die drohende bzw. tatsächliche Gewaltszenerie mehr oder minder überwunden werden konnte, also ein Weg zu einer konstruktiven Konfliktbearbeitung, ggf. zu friedlichem Ausgleich tatsächlich gelungen ist, der gelungene Friede also nicht nur ein Stück Utopie, sondern im jeweiligen Umfeld Realität wurde, da liegt es nahe, diese je spezifischen Erkenntnisse systematisch auszuwerten, zu dokumentieren und sie multimedial zu visualisieren, um sie andernorts in immer noch gewaltgeneigten oder durch Gewalt gekennzeichneten Problemsituationen als Quelle der Inspiration zu nutzen. (…)»Peace Counts on Tour« wuchert mit dem lehrreichen, dem guten Beispiel, also mit bewährten Fällen gelungenen Friedens, um an n-ter Stelle zu einer Deeskalation der Affekte als unerlässliche Grundlage einer sich aktivierenden Nachdenklichkeit beizutragen bzw. um über wissbare positive Beispiele den gewaltgeneigten Affekten entgegenzuwirken.

Um eine solche Wirkung zu erreichen, hat sich »Peace Counts on Tour« ein vielfältiges Instrumentarium ausgedacht: Ausstellungen, die gelungene Fälle von Friedenmachen dokumentieren, Diskussionsrunden unter Nutzung der aus solchen Fällen aufbereiteten Materialien, Lernzirkel; besonders wichtig: Seminare mit Journalisten, die in einem Konfliktgebiet aktiv sind; weiterhin: die Nutzung von CD-ROMs und anderen modernen Medien, die nach einer Ausstellung sowie nach den Lernzirkeln und Seminaren eine Weiterarbeit vor Ort ermöglichen. Von besonderer Bedeutung ist natürlich die Inszenierung von Friedensallianzen, anknüpfend an ggf. vor Ort bereits vorhandene institutionelle Knotenpunkte entsprechender Aktivitäten, d.h. von bestehenden oder im Aufbau befindlichen, möglicherweise sich selbst schon locker vernetzenden lokalen Partnern.

IV.

Man hat einmal gesagt, der Vergleich sei der Königsweg der Sozialwissenschaften, und angesichts der Heterogenität der Welt ist eine solche Aussage nur nachdrücklich zu unterstreichen. In unserem Zusammenhang hier zeigt sich nun, dass der Vergleich, in diesem Fall: die sogenannte best practice-Orientierung, zum Ausgangspunkt friedenspolitischer Hebammendienste, nicht also von benchmarking!, wird – benchmarking: das wäre technokratisch-abwegig. Dass »Peace Counts on Tour« die Aktivitäten von »Peace Counts« mit Erfolg in diese Richtung erweitern konnte, verdankt sich nicht zuletzt der nunmehr über knapp vier Jahrzehnte akkumulierten friedenspädagogischen Expertise des Tübinger Instituts für Friedenspädagogik, dessen Beginn, Wachstum und einen nicht enden wollenden Reifeprozess ich als Mitglied im Stiftungsrat der Berghof Stiftung für Konfliktforschung seit mehr als dreißig Jahren mit wachsender Bewunderung begleiten durfte. (…) Die Tatsache, dass das Tübinger Institut friedenspädagogisch für Schulen und in Schulen gearbeitet hat, dass es Erfahrung in der Jugendarbeit und Erwachsenenbildung kumuliert hat, dass es der Friedensarbeit sehr frühzeitig multimediale didaktische Angebote verfügbar gemacht hat, garantiert, dass auch die Erweiterung der eigenen Tübinger Aktivitäten im Kontext von »Peace Counts on Tour«, wenn ich so sagen darf, erdverhaftet bleibt, so wie die in Sri Lanka, der Elfenbeinküste, in Mindanao auf den Philippinen oder jüngst in Kaliningrad gemachten Erfahrungen in bisher fremdem Umfeld den in diesem Institut nimmermüden, gewissermaßen mit schwäbischer Beharrlichkeit verfolgten Lernprozess selbst noch einmal inspirieren. (…)

V.

Nachhaltigkeit ist ein Stichwort unserer Zeit – und dies völlig zu Recht. Auch das Projekt, das hier zu würdigen ist, bemüht sich um eine solche Orientierung: um dauerhaften Frieden – eine Orientierung, die sich weder von selbst einstellt, noch in jedem Einzelfall wirklich garantiert werden kann. Dabei stellen sich immer einige Kernfragen: Lassen sich vor Ort in Problemgebieten Menschen finden, die die Fähigkeit haben, Friedensmacher zu werden? Gibt es Ansatzpunkte, aus schon bestehenden punktuellen Initiativen verlässliche Friedensallianzen zu schmieden? Finden sich wirklich Journalisten, die die Friedensberichterstattung zu einer Herzensangelegenheit machen und dennoch einen Zugang zu den Medien vor Ort und im weiteren Umkreis haben? Gibt es Freiräume in Schulen und andernorts, um die multimedial aufbereiteten Materialien mit nachhaltiger Wirkung erfolgreich einsetzen zu können? Und letztlich die schwierigste Problematik: Gibt es über den Mikrobereich des jeweiligen Projektes hinaus ein politisches Umfeld, das zumindest Projekte dieser Art toleriert, möglicherweise fördert und weiterträgt, wenigstens solche Projekte nicht konterkariert oder gar regelrecht bekämpft? (…) Den Frieden denken und schon gar Frieden machen – ernsthaft und das heißt nicht schmalspurig verfolgt – glich immer schon einem denkerisch und praxeologisch schwer einlösbaren Komplexprogramm, gleichgültig, ob man sich »top down« oder »bottom up« dieser politischen Herausforderung stellt.

Dabei ist folgendes zu bedenken: Reine »top down«-Strategien, vor allem, wenn sie mit militärisch abgestützter, jakobinisch inspirierter Assimilationspolitik durchzusetzen versucht werden, sind heutzutage in aller Regel zum Scheitern verurteilt, selbst wenn sie, vordergründig betrachtet, kurzfristig erfolgreich zu sein scheinen. Die Gesellschaften dieser Welt sind zu politisiert und nicht mehr wie z.B. zu Zeiten des Imperialismus eine leichte und kostengünstige Beute solcher Politik. In welch katastrophale Situation eine solche Politik führt, wo sie dennoch versucht wird, das zeigt geradezu paradigmatisch die Entwicklung in Sri Lanka in den vergangenen Wochen. (…)

Als glücklich sind demgegenüber jene Fälle zu bezeichnen, in denen das Neue aus freiwilliger Einsicht als Resultat eines sich allmählich ausbreitenden und sich durchsetzenden aufgeklärten Selbstinteresses »top down«und »bottom up« zustande kommt. Heute ist es die Aufgabe von international orientierter Friedenspolitik, durch umsichtiges Einwirken in Konfliktgebieten das Entstehen einer derartigen politischen Konstellation zu fördern – einer Konstellation, in der sich auf allen Ebenen ein solches Umfeld für eine konstruktive Konfliktbearbeitung entwickelt. »Peace Counts on Tour« mobilisiert hierfür seinen Beitrag in einem diesem Projekt jeweils kongenial erscheinenden Umfeld. Andere haben in vielen Fällen ihren Beitrag erst noch auf den Weg zu bringen. Lassen Sie mich abschließend die Jury zur diesjährigen Wahl des Preisträgers beglückwünschen: Ich freue mich, dass »Peace Counts on Tour« als dritter Preisträger den Peter-Becker-Preis erhält. Dieser Preis ist eine Ermutigung. Und ich bin sicher, dass mit dem Preisgeld eine weitere friedenspolitische Aktivität dieses ungewöhnlichen Unternehmens – der nicht alltäglichen Zusammenarbeit von Friedensjournalismus, Friedensfotographie, Friedenspädagogik und Friedenswissenschaft – ermöglicht wird.

Göttinger Friedenspreis an Andreas Zumach verliehen

Göttinger Friedenspreis an Andreas Zumach verliehen

von Andreas Buro und Andreas Zumach

Am 7. März 2009 verlieh die Stiftung Dr. Roland Röhl den Göttinger Friedenspreis an Andreas Zumach. W&F dokumentiert Auszüge der von Andreas Buro gehaltenen Laudatio sowie der Rede des Preisträgers.

Laudatio von Andreas Buro

Mein Glückwunsch, Andreas, zur Verleihung des Göttinger Friedenspreises! Es ist leicht und gängig, die Welt in Gut und Böse zu unterteilen, wobei man selbst und das eigene Land freilich zu den Guten und die vermeintlichen Gegner zu den Bösen gerechnet werden. Dies hat nicht nur die Folge des Realitätsverlustes, es bewirkt auch die Unfähigkeit selbstkritisch mit dem Handeln der »eigenen Seite« umzugehen. Feindbilder taugen ebenso wenig wie Freundbilder! Andreas Zumach ist dieser so gängigen politischen und journalistischen Falle niemals zum Opfer gefallen. (…)

Ich fühle mich seit Jahrzehnten mit Andreas Zumach befreundet und bewundere seine Arbeit. (…) Kennen gelernt habe ich ihn bei der so genannten »Frühstücksrunde«. Als seinerzeit der NATO-Doppelbeschluss zur Diskussion stand, wodurch ganz Europa in eine kaum noch kontrollierbare Gefährdung atomarer Vernichtung getrieben wurde, strömten aus vielen Teilen der sozialen Bewegungen in Deutschland die Menschen zusammen, um sich gegen diesen wahnsinnigen Auswuchs des Abschreckungswettrüstens zur Wehr zu setzen. In den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts hatte es kaum eine Friedensbewegung gegeben. Sie erstand in dieser Situation in kürzester Zeit wieder auf. In der »Frühstücksrunde« trafen sich ihre Repräsentanten und Repräsentantinnen, um zu besprechen, wie Öffentlichkeit durch Protest und gewaltfreien Widerstand zu organisieren sei.

Andreas Zumach beteiligte sich konstruktiv an der »Frühstücksrunde« und wurde aufgrund seiner hervorragenden analytischen Fähigkeiten, jedoch auch wegen seines konzilianten Umgangs mit anderen – trotz Härte und Schärfe in der Sache – sehr bald zu einem Sprecher des bundesweiten Koordinierungsausschusses, der aus der »Frühstücksrunde« hervorging. (…)

Andreas Zumach – 1954 in Köln geboren – studierter Volkswirt und Journalist – war nach zwei Jahren Redakteurstätigkeit von 1981-87 friedenspolitischer Mitarbeiter der Aktion Sühnezeichen/Friedensdienst. Er war also (…) nicht nur ein Friedensschreiber, sondern immer auch, das gilt bis heute, ein Friedenskämpfer. Er steht für Prävention, Deeskalation und Zivile Konfliktbearbeitung sowie für die Aufdeckung realer Zusammenhänge. Er ist jemand der die Schleier der Legitimationsideologien zu zerreißen versucht. (…)

Heute ist er nicht nur ein hochkarätiger und begehrter Journalist, sondern auch durch zahlreiche Vorträge und Diskussionen an der Basis der Friedensbewegung wie in der Öffentlichkeit präsent. Er arbeitet für viele regionale und nationale Zeitungen, Rundfunk- und Fernsehstationen, ferner für das »Network for European and Transatlantic Security« und das »Project for European Nuclear Nonproliferation«. (…)

Die Hürden für Friedenskämpfer und -schreiber wie Andreas Zumach sind sehr hoch. Gewalt ist tief in unserem Unterbewußtsein verwurzelt. Legitimationsideologien vom angeblich »Gerechten Krieg« bis zur »Humanitären Intervention« versuchen immer wieder, die grausame Brutalität des Krieges, also des gewaltsamen Konfliktaustrages, zu rechtfertigen , ja sogar zu verherrlichen. Interessen von Militär und Rüstungsindustrie verschleiern und verharmlosen und zeigen mit spitzen Fingern auf die angeblichen »Vaterlandsverräter«, »Nestbeschmutzer« und »Kollaborateure feindlicher Mächte«, die ausplaudern, was doch geheim bleiben soll. (…) Angesichts dieser vielen Hürden ist es um so bewundernswerter, dass es Andreas Zumach gelungen ist, den Kampf gegen die Hydra von Widrigkeiten so erfolgreich zu führen. Dabei ist er in seiner Deutlichkeit, die Verhältnisse beim Namen zu nennen, keineswegs zimperlich. (…) Erinnern Sie sich noch an den Rüstungsbericht der irakischen Regierung an den UN-Sicherheitsrat? Zumach hat ihn mit allen Ungeheuerlichkeiten an die Öffentlichkeit gebracht. Über 80 deutsche Unternehmen und viele aus den USA hatten bis 2001 an den Diktator des Irak, Saddam Hussein, Elemente zur Entwicklung atomarer, konventioneller, chemischer und biologischer Massenvernichtungswaffen geliefert. Selbst das Gift Anthrax stammte aus US-Laboratorien. Die USA haben den Bericht sogleich unter Verschluss genommen und von 12.000 Seiten 9.000 geschwärzt. Alles sollte verheimlicht werden. Die fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates stimmten dem zu. Zumach hat ihnen einen Strich durch die Rechnung gemacht.

Doch Andreas Zumach ist nicht allein ein investigativer Journalist. Er konzentriert sich auch auf Möglichkeiten, wie Konflikte friedlich eingehegt und bearbeitet werden können. In diesem Sinne arbeitet er sich an den Internationalen Organisationen und am Völkerrecht ab. (…) Er deutet Zusammenhänge, Hintergründe und Strategien und macht sie für viele erst verständlich. Seine Bücher über die »Vereinten Nationen« (1995) , »Irak – Chronik eines gewollten Krieges« (2003 zusammen mit Hans-Christoph von Sponeck) und »Die kommenden Kriege. Ressourcen, Menschenrechte, Machtgewinn – Präventivkrieg als Dauerzustand?« (2005) sowie zahlreiche Aufsätze kreisen immer wieder um diese Themen.

Andreas Zumach erhält den Göttinger Friedenspreis heute für seine bisherigen hervorragenden Leistungen. Doch einer seiner Buchtitel weist schon auf die Zukunft, auf die kommenden Kriege. Was werden sie und die militärisch-technologische Entwicklung für Friedenskämpfer und -schreiber bereit halten? Welche weiteren Hürden werden sie auftürmen? Mit großer Sorge lerne ich, dass ein neues Schlachtfeld jenseits von konventionellen, nuklearen, chemischen und biologischen Waffen aufgebaut wird, dessen Wurzeln weit in die Militärgeschichte hinein reichen, das jedoch nun eine neue Qualität erreicht. Das Stichwort heißt Cyberwar. Ein unsichtbarer Krieg, der ohne Kriegserklärung oder Ankündigung auslösbar ist. Er kann ganze Volkswirtschaften und die überall arbeitenden Kommunikations- und Regelsysteme zusammen brechen lassen. Aggressoren können zudem alles abstreiten und sich sogar hinter anonymen Hackern verstecken. (…)

Der Höhepunkt all dieser und ähnlicher Vorfälle markierte der von Sicherheitsexperten als »erster Cyberkrieg« eingestufte Angriff auf Estland im Frühjahr 2007, als Hacker nahezu ganz Estland lahm legten – ein groß angelegter Angriff, hinter dem der russische Geheimdienst vermutet wurde und der seither die NATO beschäftigt. In den USA sei man indes schon um Lichtjahre voraus. So beabsichtige der frühere US-amerikanische Präsident George W. Bush mit einer zweistelligen Summe im Milliardenbereich eine »Cyber-Initiative« für die nächsten sieben Jahre flankieren zu wollen. Dabei handle es sich, wie US-Minister Chertoff betonte, um ein neues »Manhattan Project«. (…)

Selbstverständlich hoffe ich, indem ich auf dieses neue Schlachtfeld verweise, auf die Aufklärungsarbeit von Menschen aus der Friedensbewegung und der Friedensforschung. Aber viele – so auch ich – setzen auch auf Andreas Zumach und auf viele seiner Kolleginnen und Kollegen, denen damit freilich eine neue schwere Last aufgebürdet wird. Andreas Zumach hat sich um mehr Frieden in der Welt verdient gemacht. Die Friedensbewegungen in zahlreichen Ländern haben ihm sehr viel zu verdanken. Große Erwartungen ruhen weiterhin auf ihm.

Viel Glück Andreas für Deine zukünftige Arbeit und nochmals meine Gratulation zur Verleihung des Göttinger Friedenspreises.

Rede des Preisträgers Andreas Zumach

Vor genau 30 Jahren, Ende Februar 1979, habe ich angefangen als Journalist zu arbeiten, zunächst bei der Westberliner Zeitung »Die Neue«, die damals zeitgleich mit der »tageszeitung« (taz) gegründet wurde. Seitdem beschäftige ich mich überwiegend mit Kriegen und anderen internationalen Konflikten, ihren Ursachen und möglichen Lösungsstrategien. Dabei gilt mein Interesse vorrangig zivilen Instrumenten zur Bearbeitung von Konflikten und ihrer Stärkung – von der Früherkennung und Prävention über die Diplomatie zur Beendigung gewaltförmiger Eskalation bis hin zur Nachsorge für die oftmals schwer traumatisierten Opfer sowie den Versöhnungsbemühungen zwischen den vormalig kriegsführenden Parteien und dem Wiederaufbau.

Wenn Sie mich fragen, was der Journalismus in diesen 30 Jahren zum Frieden beigetragen hat, fällt mir nicht viel ein. Ich könnte einige wenige Kolleginnen und Kollegen nennen, wie zum Beispiel Anton Andreas Guha, den früheren langjährigen Redakteur der »Frankfurter Rundschau«. Doch die große Masse derjenigen, die überhaupt noch über diese Themen berichten, orientieren sich vorrangig oder ausschließlich an den für Krieg und den gewaltsamen Austrag von Konflikten verantwortlichen politischen EntscheidungsträgerInnen und den Militärs. Die meisten sind unkritische, oftmals überforderte MitläuferInnen mit mangelnder professioneller Distanz zu den Mächtigen. (…)

Ich teile auch nicht die Meinung oder das Selbstwertgefühl mancher zumeist männlicher Kollegen, wonach Journalismus, der sich mit internationalen Konflikten befasst oder gar über Kriege berichtet, wichtiger sei als der Journalismus, dessen Gegenstand innen- oder lokalpolitische Themen sind. Die Sitzungen und Entscheidungen des Göttinger Stadtrates erfordern genauso wachsame journalistische Begleitung und Kontrolle, wie die Handlungen der Bundesminister Steinmeier und Jung oder die Aktivitäten der Bundeswehr in Afghanistan. Der Unterschied ist allerdings, dass es bei internationalen Konfliktthemen nicht selten um den Einsatz von Gewalt geht, um Leben und Tod, um Zerstörung und Vernichtung – also um Entscheidungen und Handlungen, die oftmals endgültige, katastrophale Konsequenzen haben, und – anders als ein noch so falscher Beschluss des Göttinger Stadtrates – nicht mehr korrigiert werden können.

Ich nenne im folgenden (ohne Anspruch auf Vollständigkeit) vier politische und strukturelle Ursachen und Rahmenbedingungen, die vielleicht erklären können, warum der Beitrag des Journalismus zum Frieden zum Frieden so gering ausfällt.

Regierungs- und elitenfixierter Meutenjournalismus bei außen- und sicherheitspolitischen Themen: Die Unabhängigkeit und professionelle Distanz von JournalistInnen zu den politischen EntscheidungsträgerInnen und den Militärs ist schon in Friedenszeiten sehr gering. Wenn das eigene Land an einem internationalen Konflikt oder gar Krieg beteiligt ist, existieren Unabhängigkeit und professionelle Distanz oft überhaupt nicht mehr. Analysen oder Konfliktlösungskonzepte aus der Zivilgesellschaft haben dann kaum eine Chance, von den Medien beachtet zu werden.

Immer raffiniertere Kriegspropaganda sowie die Einbindung von JournalistInnen und Medien in Kriegsvorbereitung und Kriegsführung: Das Pentagon hat für das Vietnam-Kriegsdesaster der USA die »mangelnde Unterstützung« durch die US-Medien verantwortlich gemacht und aus dieser Erfahrung immer raffiniertere Medien- und Öffentlichkeitsstrategien für künftige Kriege entwickelt. (…)

Die Diktatur der modernen Online-Kommunikationstechnologien: Die JournalistInnen und KorrespondentInnen im Ausland stehen auf Grund der heute verfügbaren schnellen und leicht transportablen Kommunikationstechnologien (Digitalkamera mit Soundsystem plus Satellitentelefon) unter großem Druck ihrer Heimatzentralen, schnell Filme/Bilder/Töne in die Zentralen zu schicken ohne die notwendigen journalistischen Recherchen zu unternehmen.

Privatisierung der elektronischen Medien und Kostendruck: Die infolge der Privatisierung seit Ende der 70er Jahre über ARD, ZDF und die Dritten Programme hinaus entstandenen zusätzlichen elektronischen Medien haben zu einem verschärften Konkurrenzdruck geführt und zu einer Absenkung der journalistischen Qualität auch in den öffentlich-rechtlichen Rundfunk- und Fernsehanstalten. Die Berichterstattung über internationale Konflikte ist davon besonders stark betroffen.

Alle diese Rahmenbedingungen, so übermächtig und bedrückend wir sie als JournalistInnen und als MedienkonsumentInnen auch erleben, sind weder ein Naturgesetz noch gottgewollt oder Schicksal. Sie sind sämtlich von Menschen geschaffen und können daher auch von Menschen wieder korrigiert werden. Das wird allerdings nicht von außen geschehen durch neue Gesetze, politische Rahmenrichtlinien und Ähnliches, sondern nur durch Widerspruch und Widerständigkeit innerhalb der Medien. (…)

Ich bevorzuge daher den Begriff »konfliktsensitive Berichterstattung«, den meine Kollegin Nadine Bilke von der Online-Redaktion des ZDF geprägt hat. »Konfliktsensitiv« heißt in erster Linie, als JournalistIn alle an einem Konflikt Beteiligten und von ihm betroffenen Gruppen und Personen wahrzunehmen und nicht nur wie so häufig diejenigen, die auf militärische Mittel setzen und darüber verfügen, oder diejenigen, die über Propagandainstrumente zur aktiven Einflussnahme auf die Medien verfügen. Das heißt nicht, als JournalistIn »überparteilich« zu berichten, sondern »allparteilich«. Das setzt allerdings voraus, dass sich JournalistInnen zunächst über ihren eigenen Standpunkt im Klaren sind. Sie sind gefangen in ihrer Kultur, ihre Entscheidungen sind vom Mediensystem vorgeprägt, ihre Informationen werden von EntscheidungsträgerInnen ihrer Gesellschaft gefiltert. Aber selbst, wenn sie frei von derartigen Einflüssen und Prägungen wären und uneingeschränkt berichten könnten, wäre ihre Nachricht stets nur eine mögliche Version der Geschichte. 100-prozentige Objektivität, die viele, insbesondere männliche Journalisten, gerne für sich oder ihre Medien reklamieren, gibt es nicht. Es kann immer nur darum gehen, der Wahrheit eines Ereignisses so nahe wie möglich zu kommen. (…) Ausrichten sollte sich dieser Journalismus an drei Grundorientierungen: Frieden, Menschenrechte und Demokratie. Nach meiner Meinung gelten diese drei Grundorientierungen universell und kulturübergreifend – selbstverständlich immer unter Berücksichtigung historisch und kulturell bedingter unterschiedlicher Interpretationen und Verständnisse dieser drei Begriffe. Aus diesen drei Grundorientierungen lassen sich für die praktische Arbeit von JournalistInnen die folgenden professionellen Kriterien ableiten: Wahrhaftigkeit, Richtigkeit, Relevanz und die Form der Vermittlung. (…)

Ausbildung für die Friedensarbeit

Ausbildung für die Friedensarbeit

von Anna Ammonn und Christiane Lammers

Die Zunahme von Gewaltkonflikten, bei denen die traditionellen Instrumente der Frühwarnung, die politischen, wirtschaftlichen und militärischen Mittel zu ihrer Eindämmung, ja selbst die Begriffe zu deren Verständnis angesichts der Komplexität vollständig versagten, haben seit den 1990er-Jahren zu neuen Konzepten in der Friedens- und Entwicklungsarbeit geführt. Unbenommen der klassischen Militärkritik werden Handlungsfelder im Sinne einer konstruktiven Friedensarbeit aufgebaut und professionalisiert.

Vor fast vier Jahren erschien als Beilage zum W&F-Heft 1/2005 ein Dossier, das die neue Landschaft der universitären Friedenslehre dokumentierte. Seither haben sich nicht nur die damals neu begonnenen Masterstudiengänge weitgehend etabliert, zwischenzeitlich sind weitere hinzugekommen und auch die einsatzbezogenen Aus- und Fortbildungen haben sich ausdifferenziert. Gerade in diesem Stadium stellt sich die Frage, wie sich das neue Berufs-/Arbeitsfeld und die damit korrespondierenden Ausbildungswege weiterentwickeln müssen, um nachhaltig wirken und sich gegenseitig befruchten zu können. Hinzu kommt ein rapide wachsender Bedarf an qualifiziertem Personal.

Mit dem Aktionsplan »Krisenprävention« wurde seitens der rot-grünen Bundesregierung ein politischer Handlungsrahmen für internationale Friedensarbeit geschaffen. Nicht so sehr auf dem Feld der traditionellen Aufgaben von Friedenspolitik, wie z.B. der Sicherheits-, Rüstungsexport- oder Abrüstungspolitik, sondern vielmehr im Bereich der Entwicklungspolitik hat der Aktionsplan den Stellenwert ziviler Interventionen deutlich gestärkt, auch wenn er in weiten Teilen noch der Realisierung bedarf. Trotzdem ist gerade im Haushaltsbereich des BMZ in zweierlei Richtung in den letzten 8 Jahren die Projektförderung auf Friedens- und Konfliktsensitivität ausgerichtet worden: 1. durch die veränderten Förderlinien in der »klassischen« Entwicklungshilfe, damit friedensfördernde Wirkungen sichergestellt werden können und 2. durch den Ausbau der Förderlinie »Ziviler Friedensdienst«.

Mit den jüngsten Planungen der Bundesregierung, die Projektmittel für den Zivilen Friedensdienst vom nächsten Jahr an um ca. 60% auszuweiten, kündigt sich ein weiteres Wachstum des schon heute zu verzeichnenden Mangels an qualifiziertem Fachpersonal für Konfliktbearbeitung auf internationaler Ebene an.

Die Anforderungen an das Fachpersonal sind vielschichtig und höchst anspruchsvoll.

Friedensarbeit verlangt nicht nur entsprechend überzeugte Menschen, sondern Fachkräfte, die das Handwerkszeug erlernt haben, um – gemessen an den projektimmanenten Zielen – erfolgreich handeln zu können. Umso wichtiger also, dass adäquate und auch praxiskohärente Ausbildungskonzepte diskutiert werden, die gewährleisten, dass genügend (quantitativ) und adäquates (qualitativ) Personal ausgebildet wird. Dazu kommt, dass Friedensarbeit sich einem ganz anderen Legitimationsdruck gegenübersieht als dies z.B. für militärische Einsätze der Fall ist.

Vielfältige Kompetenzen werden erwartet

Neben einer entsprechenden normativen Grundhaltung, hoher Motivation und einer gefestigten Persönlichkeit verfügen Fachkräfte über ein hohes Maß an fachlicher und sozialer Kompetenz. Sie müssen über das allgemeine politische Engagement hinaus genau wissen, wie sich gewaltsame Konflikte aufbauen, und welche Schritte zu ihrer nachhaltigen und konstruktiven Lösung notwendig bzw. möglich sind.

Verlangt werden außerdem Kenntnisse in Projektmanagement und die Planung der Arbeit im Blick auf eine vorher definierte Wirkung bzw. Methoden zur Vermeidung von unerwünschten Wirkungen; Kompetenzen im Umgang mit Genderaspekten, in der Team-, Personal- und Organisationsentwicklung und in der Beratung auf verschiedenen gesellschaftlichen Ebenen; schließlich die Fähigkeit, den Mehrwert und die Erfolge des eigenen Handelns gegenüber Zielgruppen und Öffentlichkeit überzeugend zu vertreten. Je nach Arbeitsfeld ist außerdem Spezialwissen in Bereichen wie Transitional Justice, Mediation oder konfliktsensiblem Journalismus gefragt.

Zum Professionalitätsverständnis der Friedensfachkraft gehört schließlich das Bewusstsein der Konsequenzen des eigenen beruflichen Handelns, die Kenntnis der eigenen Fähigkeiten und Grenzen und kompetenter Umgang mit belastenden Erlebnissen und Aufgaben. Wer kann was in der Ausbildung leisten?

Neue Qualität der Hochschulausbildung

Die Neustrukturierung der Studiengänge in Deutschland durch das Bachelor- und Mastersystem ermöglichte es, Masterstudiengänge zu entwickeln, die – aufbauend auf einem grundständigen, eher traditionell fachorientierten Bachelor – Problem- oder Berufsfeld-Schwerpunkte setzen. In allen nun angebotenen friedenswissenschaftlichen Mastern sind disziplinenübergreifende Studienanteile integriert. Dem bis dato in der Friedens- und Konfliktforschung dominierenden Teilgebiet Internationale Beziehungen der Politikwissenschaft wurden soziologische, psychologische, geschichtswissenschaftliche oder auch pädagogische Komponenten hinzugefügt, um der Komplexität von gewaltförmigen Konflikten gerecht zu werden. Die Abgrenzungen der Kultur- und Sozialwissenschaften werden (mit allen methodischen und theoretischen Schwierigkeiten) zumindest teilweise aufgelöst, und beispielsweise auch naturwissenschaftliche Kenntnisse vermittelt, um (Ab-)Rüstungspolitik in ihrem materiellen Kern beurteilbar zu machen.

Insgesamt werden inzwischen pro Jahr ca. 180 neue Studienplätze in Deutschland in den ein- bis zweijährigen Angeboten vergeben, d.h. jährlich werden ab 2009 ca. 100 Wissenschaftler/innen mit einem ausgewiesenen friedenswissenschaftlichen Abschluss dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen.

Darüber hinaus gibt es einige Angebote im europäischen Ausland: so z.B. des Department of Peace der University of Bradford (UK) oder des European University Center for Peace Studies in Stadtschlaining (Ö), die auch von deutschen Studierenden seit langem genutzt werden.

Die friedenswissenschaftliche Lehre ist, so darf man schon heute resümieren, zum größten Teil mit Erfolg an den Hochschulen etabliert worden. Ob die Schwierigkeiten, die zum Teil systemimmanent und zum Teil der Umbruchsituation an den Universitäten geschuldet sind, die weitere Entwicklung belasten werden, ist offen. Nicht zuletzt die Überlastung durch ausufernde Ansprüche bei gleich bleibenden – wenn nicht geringeren – staatlichen Ressourcenzuweisungen für den universitären Bereich könnte ein wesentliches Hindernis darstellen. Daneben müssen inhaltlich-strukturelle Fragen, wie die ungeklärte Definition des Verhältnisses von Theorie und Praxis in der akademischen Ausbildung, das Problem der Qualitätssicherung, die Trennung zwischen Lehre und Forschung, das Fehlen einer Generation in den Sozialwissenschaften und das Überhandnehmen von ökonomischen Prämissen diskutiert bzw. geklärt werden.

Traditionell verbindet man mit Fachhochschulen (FH) zunächst wohl weniger eine Kompetenzinstitution im Bereich Internationale Arbeit, da die inhaltlichen Bezüge zur Internationalen Politik eher marginal waren und sind. Ein Pendant zur Politikwissenschaft der Universitäten ist, abgesehen von verwaltungswissenschaftlichen Studiengängen, an den FH nicht vorhanden.

Angesichts der sehr vielfältigen Qualifizierungsansprüche an die professionelle Friedensarbeit ist dieser Blick jedoch wohl kaum problemgemäß: Auch für die universitären friedenswissenschaftlichen Studiengänge gilt, dass in dem einen oder anderen Bereich ergänzende Qualifikationsmodule notwendig sind. Insbesondere in den Fachbereichen für Sozialwesen der FH wird Vieles an Kompetenz entwickelt, das für das Berufsfeld Friedens- und Konfliktarbeit professionell nutzbar ist:

Die unterschiedlichsten Verfahren der Konfliktbearbeitung beispielsweise sind nicht nur Seminar- oder Projektbestandteile grundständiger Studiengänge, sondern unter den Stichworten Konfliktmanagement und Mediation haben verschiedene FH umfangreiche Studien- und Weiterbildungsangebote im Programm. Auch der Blick auf Masterstudiengänge lohnt sich, entdecken kann man hier z.B. den MA Soziale Arbeit als Menschenrechtsprofession, den MA Intercultural Conflict Management, den MA Sozialarbeit/Sozialpädagogik in globalisierten Gesellschaften oder den MA Public Management & Governance. Das Ausbildungsangebot wird sich sicherlich zukünftig noch weiter ausdifferenzieren und verdient bei den weiteren Überlegungen Beachtung.

Professionelle Weiterbildung durch Organisationen der internationalen Zusammenarbeit

Seit den 1990er Jahren werden in Deutschland verstärkt Qualifizierungsangebote in Ziviler Konfliktbearbeitung entwickelt. Mit der Akademie für Konflikttransformation, die aus einem gemeinsamen Qualifizierungsverbund mehrerer Trägerorganisationen hervorging, hat das Forum Ziviler Friedensdienst e.V. eine eigene Struktur geschaffen, um systematisch die in Projekten des ZFD gewonnenen Erfahrungen in Angebote zu überführen, die das gesamte Spektrum professioneller Qualifizierungsbedarfe in der internationalen Zivilen Konfliktbearbeitung abdecken.

In ihren Kursen und Trainings vermittelt die Akademie Kompetenzen und Kenntnisse zu Friedens- und Konflikttheorien, Handlungsfeldern des Zivilen Friedensdienstes, Instrumenten der Konfliktanalyse, Instrumenten und Methoden der Konfliktbearbeitung auf unterschiedlichen Ebenen, zu Teamfähigkeit und Kommunikation, Projektmanagement und Wirkungsanalyse, zur Stärkung der Beratungskompetenz sowie zum Ressourcen- und Selbstmanagement.

Bislang bilden vor allem zwei Formate das Kerngeschäft der Akademie: ein- bis fünftägige Trainings for Peace, die vor allem von den Trägerorganisationen des ZFD für die Vorbereitung und Weiterbildung von Fachkräften, aber auch von anderen Interessenten gebucht werden; und Qualifizierungskurse von 9 Wochen bzw. 4 Monaten (je nach Vorkenntnissen), die alle oben beschriebenen Kompetenzen und Kenntnisse vermitteln, wobei die intensive Weiterentwicklung der für die Feldarbeit notwendiger persönlichkeitsbezogenen Kompetenzen durch Coaching und Lernfortschrittbegleitung hinzukommt. Für die erfolgreiche Teilnahme an einem Qualifizierungskurs wird ein Zertifikat vergeben, das bei den Entsendeorganisationen als Ausweis fundierter Qualifizierung anerkannt ist.

Neben weiteren zivilgesellschaftlichen Trägern (z.B. KURVE Wustrow, Oekumenischer Dienst/Schalomdiakonat u.a.) sind auch staatliche Durchführungsorganisationen in der Qualifizierung für ZKB aktiv, z.B. bietet InWEnt (Internationale Weiterbildung und Entwicklung GmbH) in der Vorbereitungsstätte für Entwicklungszusammenarbeit (V-EZ) neben den Themen der klassischen EZ auch einzelne Trainings zur Konfliktbearbeitung an.

Die Perspektive: Eine Verlinkung der Qualifizierung

Die Qualifizierungskurse für Friedensfachkräfte können und sollen jedoch nicht die fachliche akademische Ausbildung und einschlägige Vorerfahrungen ersetzen. Es fehlt ein wichtiger Link zwischen Studium und Praxis, sofern man denn dies anstrebt: Ein Qualifikationsangebot, das die Lücke zwischen theoretischer Aneignung der Erkenntnisse der Friedens- und Konfliktforschung und dem Praxiseinsatz schließt.

Beide Qualifizierungswege, also der akademische Ausbildungsweg, der theoriebezogen zu einer beruflichen Qualifizierung führen soll, und der mehr praxisbezogene Fortbildungsweg, der seine Ursprünge in der Freiwilligenkultur hat, haben ihre spezifischen Wurzeln und Ziele. Zu diskutieren ist nun, ob sie sich so miteinander verknüpfen lassen, dass weder die je eigene, originäre Schwerpunktsetzung aufgegeben wird noch durch Addition der Ansprüche an Professionalisierung die Qualifizierungszeiten erheblich verlängert werden.

Diesem Rechnung tragend, ist es an der Zeit, weitergehende, kohärente Konzepte zu entwickeln, um systematisch die Lücke zwischen Praxisanforderungen in der professionellen Friedensarbeit und der anspruchsvollen akademischen Ausbildung der Studienabgänger aus den Bereichen der Friedens- und Konfliktforschung zu schließen.

Bausteine einer solchen Verlinkung könnten sein: Gemeinsame, studienbegleitende und praxisnahe Qualifizierungsmodule, die die theoretische Aneignung der Erkenntnisse der Friedens- und Konfliktforschung mit dem Praxiseinsatz verbinden. Weitere Überlegungen beziehen sich auf Beratungsangebote, die nicht bei der Vermittlung von Praktikaplätzen stehen bleiben, sondern in Anlehnung an Berufsberatungs- und Coachingmodelle die Tuchfühlung mit der Praxis der Friedensarbeit, wie z.B. internationale Workcamps, niederschwellige Freiwilligendienste etc., ermöglichen, Einbindung von Profilentwicklungen mit regionalen Spezialisierungen in die Studienstruktur, Trainee- oder Juniorprogramme, projektbegleitende Forschungsdesigns, Networking zwischen Studienanbietern und Projektträgern zur Qualifizierung des jeweiligen Arbeitsfeldes, in das auch Studienabsolventen/innen integriert werden, um »Alumni«-Effekte zu erzielen.

Im Auge zu behalten ist, dass zeitnahe Lösungen vonnöten sind: Der Bedarf an qualifiziertem »Nachwuchs« steigt, und dies in einer Situation, in der aktuell bereits ein Mangel an qualifizierten Akteuren zu verzeichnen ist. Auch das BMZ hat die dringende Notwendigkeit, mehr Fachpersonal – auch im Nachwuchsbereich – für den ZFD zu qualifizieren, erkannt. Beide Seiten – Friedenswissenschaft und Friedensarbeit – müssten ausgehend von ihrer gemeinsamen normativen Basis ein Interesse daran haben, sich diesem Anspruch zu stellen. Dass dies nicht ohne entsprechende gesellschaftliche Unterstützung und staatliche Mittel realisierbar ist, versteht sich von selbst. Unbenommen der Möglichkeiten die Qualifizierungsstrukturen zu verbessern, bleibt die Notwendigkeit über die Attraktivität des Arbeitsfeldes nachzudenken: Was hindert qualifizierte Leute, sich als Projektmitarbeiter/innen dem Zivilen Friedensdienst zur Verfügung zu stellen? Ist es die Unkenntnis über dieses Programm, ist es die mangelnde gesellschaftliche Anerkennung, die geringe finanzielle Gratifikation in Form des Entwicklungshelfer-Unterhaltsgeldes, die Unsicherheit der beruflichen Perspektiven für die »Rückkehrer«? Auch dieses sind Fragen, aus denen Konsequenzen zu ziehen sind, damit Menschen sich im Zivilen Friedensdienst engagieren.

Überblick über Studiengänge mit friedenswissenschaftlichem Schwerpunkt an deutschen Universitäten
Anbietende Universität In Kooperation mit, bzw. inhaltlich verantwortet von Abschluss Schwerpunkt
Universität Hamburg Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg Master of Peace and Security Studies – M.P.S. Friedensforschung und Sicherheitspolitik
www.ifsh.de/IFSH/studium/mps.htm
Universität Marburg Zentrum für Konfliktforschung der Universität Marburg Master in Peace and Conflict Studies Gesellschaftliche Konfliktanalyse und -bearbeitung
www.uni-marburg.de//konfliktforschung/studium/master
FernUniversität Hagen * Landesarbeitsgemeinschaft Friedenswissenschaft in NRW Master of Peace Studies Grundlagenorientierte, Praxis reflektierende
www.fernuni-hagen.de/FRIEDEN
Universität Tübingen Institut für Politikwissenschaft Master Friedensforschung und Internationale Politik Internationale Konflikte – Akteure und Verfahren
www.uni-tuebingen.de/masterfip/
Universität Magdeburg Institut für Politikwissenschaft Master Friedens- und Konfliktforschung Theorien und Methoden der sozial- und kulturwissenschaftlichen Konfliktforschung
www.fkf.ovgu.de
Universität Frankfurt / Universität Darmstadt Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK) Internationale Studien / Friedens- und Konfliktforschung Forschungsbezogene Analyse von Konflikten in der regionalen und globalen Ordnung
www.gesellschaftswissenschaften.uni-frankfurt.de/index.pl/ma_internationale_studien
Universität Augsburg In Vorbereitung Gesellschaftliche Konflikte und politische Integration In Vorbereitung
http://www.philso.uni-augsburg.de/lehrstuehle/politik/politik1/master_pol_soz/
Universität Duisburg-Essen Institut Entwicklung und Frieden Internationale Beziehungen und Entwicklungs Ein Studienschwerpunkt ist Friedens- und Konfliktforschung
www.ib-master.de/
Institut für Friedenssicherungsrecht und Humanitäres Völkerrecht (IFHV) In Zusammenarbeit mit einem europäischen Universitätsverbund International Humanitarian Action Akademische Professionalisierung für das Berufsfeld »Humanitäre Hilfe«
http://www.ifhv.rub.de/courses/noha.html
* Die FernUniversität in Hagen hat die Neueinschreibung in den Master of Peace Studies zum WS 2008/09 eingestellt;
damit geht das einzige berufsbegleitende Universitätsangebot verloren.

Anna Ammonn ist Leiterin der Akademie für Konflikttransformation im Forum Ziviler Friedensdienst e.V. Christiane Lammers ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Institut Frieden und Demokratie der FernUniversität in Hagen und seit vielen Jahren W&F-Redaktionsmitglied.

Was erwartet die Friedensbewegung von der Friedensforschung?

Was erwartet die Friedensbewegung von der Friedensforschung?

von Ute Finckh-Krämer

Aus Sicht der Friedensbewegung kann die Friedensforschung zu einer Reihe von theoretisch und praktisch relevanten Fragestellungen, Diskussionen bzw. Aktivitäten beitragen; die folgenden Überlegungen werfen eine Vielzahl entsprechender Aspekte auf, die in den verschiedenen Strömungen der Friedensbewegung kontrovers diskutiert werden oder für deren Tätigkeit mittelbar oder unmittelbar Relevanz haben.

Friedensforschung und Friedensbewegung sind seit Jahrzehnten eng miteinander verbunden. Typisch für diese Verbindung ist etwas, was ich kurz nach Beginn des Kosovo-Krieges erlebt habe: Ulrich Albrecht, Professor am Otto-Suhr-Institut der FU Berlin, analysierte und kritisierte auf einer öffentlichen Veranstaltung im Friedenszentrum Martin-Niemöller-Haus die politischen Entscheidungen, die zur militärischen Eskalation des Konfliktes geführt hatten. Schließlich meldete sich ein Student und sagte sinngemäß: „Wenn Sie keine fundamentalen Fehler der Politiker gefunden hätten, wären Sie denn dann für den Krieg?“. Ulrich Albrecht antwortete mit einem kurzen Satz: „Nein, dann wäre ich immer noch dagegen, weil ich Pazifist bin.“

Dieses Beispiel illustriert zwei zentrale Dinge, die die Friedensbewegung von der Friedensforschung erwartet: Erstens die Bereitschaft und Fähigkeit, zu den Themen, die für die Friedensbewegung gerade politisch aktuell sind, wissenschaftlich fundiert und für NichtwissenschaftlerInnen verständlich zu schreiben oder zu reden. Und zweitens eine innere Verbundenheit zum Anliegen der Friedensbewegung, was nicht unbedingt heißt, dass sich alle FriedensforscherInnen wie Ulrich Albrecht explizit als PazifistInnen definieren müssen. Aber die Bereitschaft, Krieg als Mittel der Politik grundsätzlich in Frage zu stellen und ein ernsthaftes Interesse an gewaltfreier Konflikttransformation sind aus meiner Sicht Grundvoraussetzungen für ein Engagement in der Friedensforschung.

Friedensforschung und Friedensbewegung

Von welcher Definition von Friedensforschung und Friedensbewegung gehe ich dabei aus? Friedensforschung definiere ich in Anlehnung an die Selbstdarstellung der Arbeitsgemeinschaft für Friedens- und Konfliktforschung (AFK) als wissenschaftliche Aktivitäten, die zu einem vertieften Verständnis der Ursachen von Frieden und Krieg beitragen und Grundlage für eine am Frieden orientierte politische Praxis sein sollen. Als zur Friedensbewegung gehörig sehe ich alle Gruppen und Organisationen an, die (wie es der Bund für Soziale Verteidigung kurz und prägnant formuliert) als Schwerpunkt ihrer Arbeit Militär und Rüstung abschaffen wollen oder dafür eintreten, dass Konflikte gewaltfrei ausgetragen werden. Friedensforschung und Friedensbewegung haben also gemeinsam, dass sie sich einerseits kritisch mit Rüstung/Militär/Krieg auseinandersetzen und andererseits nach Wegen suchen, Gewalt zu verringern bzw. zu überwinden, die Grundlagen für dauerhafte Friedensprozesse zu schaffen bzw. diese zu unterstützen. Sie unterscheiden sich aber in ihrem Ansatz: Die Friedensforschung untersucht und beschreibt weitgehend unabhängig von tagespolitischer Aktualität Krieg und Frieden in ihren Erscheinungsformen und Gesetzmäßigkeiten, arbeitet mit vielfältigen analytischen und empirischen Methoden und stellt ihre Ergebnisse so dar, dass sie für andere WissenschaftlerInnen und interessierte Laien nachvollziehbar und überprüfbar sind. Kernanliegen der Friedensbewegung ist es dagegen, im Sinne eigener Überzeugungen – die von den Erkenntnissen der Friedensforschung beeinflusst sein können, aber nicht müssen – aktuelle politische Prozesse zu beeinflussen. Auffällig ist, dass sowohl in der Friedensforschung als auch in der Friedensbewegung der Themenkomplex Rüstung/Militär/Krieg oft die Oberhand gewinnt. Die Jahrbücher des berühmten Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI) tragen trotz des eindeutigen Namens des Instituts nicht zufällig den Untertitel »Rüstung, Abrüstung und internationale Sicherheit«. Und auf den einschlägigen Treffen der deutschen Friedensbewegung stehen derzeit zwei Themen ganz oben auf der Agenda: Der Krieg in Afghanistan und das NATO-Jubiläum im Frühjahr 2009.

Formen der Unterstützung

Wie kann und soll die Friedensforschung also die Friedensbewegung oder Teile davon unterstützen? Wichtig ist für die Friedensbewegung zunächst die Bereitschaft, auf Veranstaltungen oder Seminaren friedenspolitische Fachkunde einzubringen. Außerdem sind fachlich fundierte und gleichzeitig für NichtwissenschaftlerInnen verständliche Texte – möglichst in deutscher Sprache – mit Sachinformationen zu politisch aktuellen friedenspolitischen Themen für uns oft sehr hilfreich. Solche Themen sind derzeit z.B.:

Die Auslandseinsätze der Bundeswehr und das Zusammenspiel mit zivilen Aktivitäten in den entsprechenden Ländern, insbesondere Bosnien, Kosovo, Kongo, Afghanistan;

Die NATO, ihre Strategie und ihre Rolle in der europäischen und weltweiten Politik (Osterweiterung, Kosovo-Krieg, Afghanistan-Krieg);

Rüstungskontrollabkommen samt ihren Einschränkungen und Lücken, insbesondere zu Landminen/Streubomben, Atomwaffen (z.B. Nichtverbreitungsvertrag), Kleinwaffen, Raketenabwehr;

ehemalige und bestehende Atomwaffenstandorte in Deutschland/Europa und die Konsequenzen ihrer Schließung;

Die europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) und die in ihrem Rahmen durchgeführten bzw. geplanten Missionen (z.B. Bosnien-Herzegovina, Kosovo, Makedonien), die europäische Sicherheitsstrategie (ESS) und die Struktur der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) im Vertrag von Lissabon.

Stellvertretend für viele andere seien hier die umfassenden, verständlichen Darstellungen zum jeweiligen Arbeitsschwerpunkt durch das Tübinger Institut für Friedenspädagogik oder die Hamburger Arbeitsgemeinschaft Kriegsursachenforschung (AKUF) genannt. Wichtig ist für uns ggf. auch, dass Texte mit Sachinformationen zu aktuellen Themen für unsere Medien zur Verfügung gestellt werden.

Genauso wichtig wie die Darstellung der Fakten ist die Analyse, die darauf aufbaut. Mögliche aktuelle Fragestellungen sind z.B.:

Die Erforschung und Offenlegung der impliziten Annahmen und Analogschlüsse, die dem deutschen und europäischen Engagement in Krisen- und Konfliktregionen zu Grunde liegt, insbesondere (aber nicht ausschließlich) den Konzepten des »state-building«, des »peace-building« oder der »Demokratisierung«.

Hilfe beim Hinterfragen von Zahlen und Thesen, die PolitikerInnen in die Welt setzen, z.B.: Sind im Bundeshaushalt 2007 wirklich 3,2 Milliarden Euro in die zivile Konfliktbearbeitung geflossen, wie von Winni Nachtwei unter Berufung auf das Büro von Alexander Bonde behauptet (und seitdem immer wieder unhinterfragt zitiert) wird?

Hat die Stationierung einer UN-Friedenstruppe in Makedonien wirklich einen Bürgerkrieg verhindert? Oder die Friedenstruppen im Kongo die Wahlen erst ermöglicht?

Können Wiederaufbauprojekte wirklich „militärisch abgesichert“ werden oder ist das ein Widerspruch in sich?

Schließlich ist auch eine kritische Auseinandersetzung mit friedenspolitischer Auftragsforschung wie der „Wirkungsuntersuchung in Nordafghanistan“ der FU Berlin oder mit sicherheitspolitischen Beratungspapieren politikwissenschaftlicher Institute und Stiftungen wichtig (auf Euch hören sie vielleicht, auf uns nicht).

Gewaltfreie Konflikttransformation

Die Auseinandersetzung mit Krieg und Frieden im Mainstream der deutschen und internationalen Politik ist aber, wie oben erwähnt, nur das eine große Anliegen der Friedensbewegung. Das andere ist der Einsatz für gewaltfreie Konflikttransformation, der meist mit konkretem Engagement auf der Graswurzelebene einhergeht (sei es im eigenen Land, sei es in Konfliktregionen). Wichtige Themen für dieses Arbeitsgebiet der Friedensbewegung sind:

Unterstützung bei der Festlegung, Analyse und Abgrenzung von Begriffen bzw. Definitionen im weitesten Sinne. Was wäre aus wissenschaftlicher Sicht z.B. eine sinnvolle Definition für »zivile Krisenprävention«, wie unterscheidet sich diese ggf. von der Verwendung des Begriffes durch Politik und Verwaltung, hat sich eine Definition im Lauf der Zeit verändert, wenn ja, wie und durch welche Einflüsse? Ist das »Do-no-harm-Prinzip« ein sinnvoller Ansatz, taugt es eher für staatliche oder nichtstaatliche Akteure?

Welche Vor- und Nachteile hat es für die Friedensbewegung, wenn sie bestimmte wissenschaftliche Definitionen übernimmt, welche Vor- und Nachteile hat es, bestimmte Begriffe oder Schlagworte der offiziellen Außen-, Entwicklungs- oder Sicherheitspolitik aufzugreifen?

Die Analyse und Beschreibung gelungener Friedensprozesse, auch und gerade von Beispielen, wo ausländische Akteure mit zivilen statt militärischen Mitteln agiert haben (»best practice der zivilen Konfliktbearbeitung«).

Für die Organisationen, die konkrete Projekte in Konfliktgebieten betreuen, Unterstützung bei der Evaluation dieser Projekte und eine kritische Aufarbeitung der Evaluationsmethoden der Geldgeber, auf die wir für manche dieser Projekte angewiesen sind (BMZ, zivik, EU-Förderprogramme, Stiftungen).

Fundierte Auseinandersetzung mit unseren scheinbar einleuchtenden Argumenten der Form „Prävention ist billiger als Intervention, ziviles Handeln kostengünstiger als militärisches“ – lässt sich das analytisch fassen, wenn ja, wie?

Beachtung für die Streitthemen in der Bewegung, die können spannenden Stoff für die Forschung abgeben – z.B. „Braucht Frieden wirklich Fachleute?“ oder „Ist Human Security ein friedensfördernder oder ein Krieg rechtfertigender Gedanke?“.

Bewegungsberatung

Schließlich wäre innerhalb der Friedensforschung auch Forschung über die Friedensbewegung analog zur »Bewegungsforschung« von Dieter Rucht denkbar und aus meiner Sicht wünschenswert (Bewegungsberatung statt oder ergänzend zur Politikberatung). Hierbei könnten beispielsweise folgende Fragen beantwortet werden:

Welche Kampagnen oder Initiativen der Friedensbewegung waren erfolgreich, welche Argumente und Aktionsformen haben Wirkung gehabt?

Was für Projekte in Konfliktregionen können von Organisationen der Friedensbewegung mit Aussicht auf Erfolg durchgeführt werden, welche haben Alibi-Charakter oder richten sogar mehr Schaden als Nutzen an?

Welche Rolle hat das Thema Wehrpflicht und Kriegsdienstverweigerung in der Geschichte der deutschen Friedensbewegung gespielt, auch und gerade als Mobilisierungsfaktor für junge Männer; welche Konsequenzen ergeben sich daraus, dass das Anerkennungsverfahren für Kriegsdienstverweigerer wesentlich einfacher geworden ist und deutlich weniger junge Männer tauglich gemustert werden als früher?

Welche Funktion haben das Engagement gegen etwas (Atomwaffen, Rüstungsexporte, Auslandseinsätze der BW) und das Engagement für etwas (ZFD, Kultur des Friedens, gewaltfreie Konflikttransformation) und wie behindern oder ergänzen/verstärken sie sich gegenseitig?

Setzen wir unsere Schwerpunkte richtig, ist das intensive und zeitaufwändige Engagement gegen Rüstung, Militär und Krieg tatsächlich unabdingbare Voraussetzung dafür, eine Friedenspolitik zu erreichen, die diesen Namen verdient, oder ist es an der Zeit, hauptsächlich dafür zu kämpfen, dass die in den letzten Jahrzehnten gewonnenen Erkenntnisse über die Voraussetzungen von dauerhaften Friedensprozessen politisch umgesetzt werden?

Ist es in jedem Fall richtig, sich auf Aktionen zu konzentrieren, oder gibt es Themen, bei denen wir mehr Zeit auf das Beobachten, Dokumentieren und Analysieren verwenden sollten als bisher? Wenn ja, wie können wir das unseren Mitgliedern und UnterstützerInnen vermitteln?

Welche Stärken und Schwächen haben große Organisationen mit kleinem gemeinsamem Nenner bzw. kleine Organisationen mit hoher persönlicher Identifikation und Fachkompetenz?

Hängt die Glaubwürdigkeit von Organisationen, die sich für konstruktive Konfliktbearbeitung einsetzen, daran, in welchem Maße sie selber dazu in der Lage sind, innere und äußere Konflikte konstruktiv zu bearbeiten, oder interessiert das nur einen kleinen Kreis von gewaltfreien »ÜberzeugungstäterInnen«?

Welche Stärken und Schwächen haben vergangene oder aktuelle Bündnisse?

Welche Vor- und Nachteile hat eine Zusammenarbeit mit offizieller (Partei-) Politik?

Unter welchen Bedingungen ist es sinnvoll, Begriffe des politischen Mainstreams zu nutzen, wann ist es wichtig, ihnen eigene Begriffe entgegenzusetzen?

Wie können wir verhindern, dass unsere Begriffe und Konzepte umgedeutet oder missbraucht werden?

Mit einem solchen Forschungsansatz könnte das Verständnis für die komplizierten und kleinteiligen Strukturen, die vielen verschiedenen Denk- und Handlungsansätze der Friedensbewegung wachsen. Nehmt uns bitte ernst, versucht, zu verstehen, warum wir so sind, wie wir sind, diskutiert auf Augenhöhe mit uns, wie wir unser Anliegen besser vertreten könnten, ohne unsere Identität zu verlieren.

Transfers

FriedensforscherInnen sind ja meist nicht nur in der Forschung einschließlich der Veröffentlichung ihrer Ergebnisse, sondern auch in der Lehre tätig. In diesem Zusammenhang wünschen wir uns, dass StudentInnen, die ein Wahl- oder Pflichtpraktikum in einem einschlägigen Studiengang machen wollen oder müssen, auf Praktikumsmöglichkeiten in friedenspolitischen Organisationen hingewiesen werden.

Das unmittelbare Interesse an politisch aktuellen Einzelthemen sollte aber den Blick nicht verstellen für das, was im wissenschaftlichen Bereich eher möglich ist als in der politischen Basisarbeit und was sich vielleicht kurzfristig nicht nutzen lässt, langfristig gesehen aber unverzichtbar ist: den Blick über die politisch aktuellen Themen hinaus zu öffnen, Grundsatzfragen und Grundbegriffe zu diskutieren, langfristige Entwicklungen nachzuzeichnen oder irgendwann entstandene und immer wieder zitierte Gewissheiten radikal hinterfragen. Nicht Auftrags- oder angewandte, sondern Grundlagenforschung zu Begriffen wie Krieg und Frieden, Abrüstung oder Konflikttransformation.

Da stellt sich dann schnell die Frage: Wie kann man eine solche kritisch-hinterfragende und aktuell-reagierende Forschung überhaupt ermöglichen, in Zeiten wo ein stark wachsender Anteil der Forschung über Projektmittel läuft? Braucht die Friedensbewegung eigenständige Forschungsstrukturen, die institutionell abgesichert sind? Wenn ja, wie könnte eine solche Absicherung aussehen, wie könnten die Mittel dafür gesichert werden? Braucht es mehr unabhängige und dauerhaft gesicherte Stellen im universitären Bereich, um die Freiheit der Forschung zu gewährleisten? Wenn die Friedensbewegung Erwartungen an die Friedensforschung richtet, sollte sie sich dann umgekehrt dafür engagieren, dass die Friedensforschung deutlich mehr verlässliche Ressourcen erhält als bisher? Oder würde eine solche Unterstützung von unserer Seite der Friedensforschung mehr schaden als nützen?

Trotz knapper Ressourcen: Mit den meisten, wenn nicht allen der von mir genannten Themen hat sich vermutlich schon irgendwo in Deutschland jemand aus der Friedensforschung befasst. Vielleicht wurde nur in einem Seminar darüber diskutiert und das Ergebnis auf eine Seminarhomepage gesetzt, vielleicht gibt es eine oder mehrere Zeitschriften-Veröffentlichungen dazu, vielleicht gibt es sogar eine umfangreiche wissenschaftliche Debatte um das eine oder andere Thema, die sich in verschiedenen Publikationen in verschiedenen Medien niedergeschlagen hat. Aber wie sollen die, die nicht direkt an dem entsprechenden Seminar, der Forschungsgruppe, der Kontroverse beteiligt waren und die nicht täglich in einer Institutsbibliothek nachschauen können, welche Themen die friedenspolitischen Zeitschriften gerade behandeln, die Ergebnisse finden können? Suchmaschinen reichen dafür oft nicht aus. Mein großer Traum ist daher ein gemeinsames Portal der universitären und außeruniversitären Friedensforschungseinrichtungen in Deutschland, über das mit einer Suchmaske über alle Publikationen, Datenbanken, Forschungsberichte, Vorlesungsskripte der deutschen Friedensforschung recherchiert werden kann. Nach dem Vorbild von »PortalU« im Umweltbereich (http://www.portalu.de/) – und das wäre vermutlich ein Projekt für einen klassischer Drittmittelantrag.

Dr. rer. nat. Ute Finckh-Krämer ist Mathematikerin und derzeit beruflich in der Informationstechnik tätig. Seit gut 30 Jahren friedenspolitisch aktiv, war sie Gründungsmitglied des Bundes für Soziale Verteidigung, dessen Vorsitzende sie seit drei Jahren ist.

Göttinger Friedenspreis an Egon Bahr verliehen

Göttinger Friedenspreis an Egon Bahr verliehen

Stiftung Dr. Roland Röhl richtet Festakt aus

von Redaktion

Im Rahmen eines Festaktes wurde der diesjährige Göttinger Friedenspreis an Professor Egon Bahr verliehen. Die Stiftung Dr. Roland Röhl würdigte damit das herausragende politische Lebenswerk des 85jährigen und seinen großen Einsatz für nachhaltigen Frieden. In der Urkunde heißt es u.a.: „Der Preisträger hat unter den ideologischen und machtpolitischen Bedingungen des Ost-West-Konfliktes weitsichtige Konzeptionen und Strategien zu dessen Überwindung entwickelt und in Ost und West durchsetzungsfähig gemacht. Als Chef des Planungsstabes im Auswärtigen Amt (von 1966 bis 1969) und als Staatssekretär im Bundeskanzleramt seit Beginn der sozialliberalen Koalition war er der engste und einflussreichste Berater Willy Brandts in Fragen der Ost-West-Politik. Egon Bahr war es, der die Neue Ostpolitik des Außenministers und späteren Bundeskanzlers Willy Brandt strategisch konzipierte, operativ durchdachte und gegen massive Widerstände konsequent umsetzte. Sein unermüdliches friedenspolitisches Engagement hat maßgeblich zur Ost-West-Entspannung und zur friedlichen Beendigung des Kalten Krieges beigetragen.“

Als Laudator trat Hans-Peter Dürr an, das Lebenswerk des Preisträgers anhand wichtiger Stationen, aber auch persönlicher Erinnerungen an Begegnungen mit Egon Bahr zu umreissen. Er erinnerte an die Konferenz der Evangelischen Akademie in Tutzing vom Juli 1963, bei der Willy Brandt, damals Regierender Bürgermeister Westberlins, gemeinsam mit Egon Bahr, der von seiner Position als Chefkommentator der RIAS (Rundfunkanstalt im amerikanischen Sektor) auf eine Beraterposition bei Brandt gewechselt war, ihre 1961 begonnenen Überlegungen zu einer neuen Ostpolitik einer interessierten Öffentlichkeit vorstellten.

Diese neue Konzeption, fortan mit der Formel »Wandel durch Annäherung!« verbunden, schien, so Hans-Peter Dürr, vielen als „ein möglicher Weg, die sich anbahnende politische Polarisierung und Ost-West Konfrontation zu mildern und sie in eine kooperative Richtung zu lenken.“ Dies sei auch deshalb von großer Bedeutung gewesen, weil von zahlreichen Beobachtern die Remilitarisierung West-Deutschlands mit großer Sorge verfolgt worden sei. Hiervon habe nicht zuletzt die Erklärung der Göttinger 18 gezeugt, die öffentlich und der Regierung gegenüber ihre Mitarbeit an jeglicher Entwicklung von Atomwaffen verweigerten. Als Abkehr von einer Konfrontationspolitik hätten Willy Brandt und Egon Bahr – auch angesichts der erfolgreich bewältigten Cuba-Krise – die Aufgabe der von der westlichen Welt postulierten »Politik der Stärke« gefordert: „Der Kontakt zu den osteuropäischen Staaten müsse deshalb, so forderten sie, in einem Klima der Entspannung aufgenommen werden.“

Hans-Peter Dürr erinnerte freilich auch daran, dass erst mit der Wahl Willy Brandts zum Bundeskanzler und Egon Bahrs zu seinem Staatssekretär im Bundeskanzleramt 1969 und ihrem ersten Schritt, der Umwandlung des Ministeriums für »Gesamtdeutsche Beziehungen« in ein Ministerium für »Innerdeutsche Beziehungen«, eine dynamische Entwicklung in die Entspannungspolitik gebracht worden sei: „Dies führte 1970 zu ersten Gesprächen zwischen Bahr und dem sowjetischen Außenminister Andreij Gromyko über einen Gewaltverzicht zwischen der Sowjetunion und der BRD, was letztlich im August 1970 zum Moskauer Vertrag und in der Folge auch im Dezember zur Unterzeichnung des Warschauer Vertrages zur Normalisierung der wechselseitigen Beziehungen führte. Es war vor dem Ehrenmahl des jüdischen Ghettos in Warschau, dass Willy Brandt als »Repräsentant des anderen Deutschland« mit einem Kniefall Abbitte leistete für die von Deutschen und im Namen Deutschlands verübten Gräuel.“

Mit der Reflexion auf die historische Entwicklung verband Hans-Peter Dürr nachdrücklich den Hinweis auf die Möglichkeit, wie „Visionen, Überzeugung, Engagement und Tatkraft von Einzelnen oder kleinen Gruppen Umfassenderes, konstruktiv Großes in Bewegung setzen können, wenn sie spüren, dass die Zeit für einen Wandel reif ist.“ Der Laudator verwies dabei auf zahlreiche Stationen des Wirkens von Egon Bahr, zu der nicht alleine die Entwicklung des Konzeptes der »Gemeinsamen Sicherheit« gehörte, sondern auch die Entwicklung einer konstruktiven Zusammenarbeit mit der Regierung Gorbatschow ab Mitte der 1980er Jahre.

In einem Grußwort hob Professor Michael Brzoska, Wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik in Hamburg, hervor, dass Bahr mit seiner Orientierung an der Maxime von Willy Brandt »Friede ist nicht alles, aber ohne Frieden ist alles nichts« einer der bedeutendsten deutschen Politiker des vergangenen Jahrhunderts gewesen sei. Auch er würdigte den großen Beitrag, den der Preisträger als Vordenker und aktiv Handelnder beim friedlichen Wandel in Europa gehabt habe: „Seine Konzepte und seine Kontakte nach Ost und West, seine Geradlinigkeit und Glaubwürdigkeit haben entscheidend mit dazu beigetragen, dass es Ende der 1980er Jahre nicht zu einem großen Knall, sondern zu einem weitgehend gewaltfreien Ende des Kalten Krieges kam.“

Professor Brzoska erinnerte zudem daran, dass Egon Bahr zu den wichtigsten Förderern der Friedens- und Konfliktforschung in Deutschland und Europa gehört habe, der nicht nur als Politiker und Diplomat, sondern auch mit seinen Ideen, seinen Schriften und seinem Handeln der Friedens- und Konfliktforschung wesentliche Anstöße gegeben habe. Hinsichtlich der Fragen von Rüstungskontrolle und Abrüstung habe nicht zuletzt Bahrs Diktum von der Neutronenbombe als einer „Perversion des menschlichen Denkens“ die Diskussion um neue Nuklearwaffen nachhaltig beeinflusst. Und: „Seine Erweiterung des Konzepts des Sicherheitsdilemmas zur Gemeinsamen Sicherheit prägt das Nachdenken über strategische Stabilität; nach dem Ende des Ost-West-Konflikts nun in anderen Regionen der Welt.“

Professor Michael Brzoska erinnerte an die Amtszeit Egon Bahrs als Direktor des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (1984-1994) wie an dessen Mitarbeit am Palme-Bericht, die langjährige Mitgliedschaft im »Governing Board« des schwedischen Friedensforschungsinstitutes SIPRI sowie die Mitwirkung an der Gründung der Deutschen Stiftung Friedensforschung Ende der 1990er Jahre.

Schließlich verschwieg er auch nicht, dass die politischen Ideen und das Wirken von Egon Bahr in der friedens- und konfliktwissenschaftlichen »community« nicht unumstritten waren: „Im Gegenteil, insbesondere sein klares Bekenntnis zur Realpolitik, zur Nutzung von Macht im eigenen, deutschen Interesse, findet manchen Widerspruch. Aber unbestritten ist, dass man sich mit Egon Bahr auseinandersetzen muss, dass sein Wort Gewicht hat.“ Die Anerkennung des Lebenswerkes Egon Bahrs wurde seitens der Festversammlung mit lang anhaltendem Applaus zum Ausdruck gebracht.

Der Geehrte erinnerte zunächst an Göttingen als den Ort, an dem vor fast 51 Jahren 18 Wissenschaftler ihre Erklärung gegen die Aufrüstung der Bundeswehr mit taktischen Atomwaffen veröffentlicht hatten, die „Adenauer in seiner schrecklichen Vereinfachung als eine Weiterentwicklung der Artillerie bezeichnet hatte“. Auch wenn Deutschland aufgrund alliierter Vorbehalte in der Folge keine eigenständige Verfügungsmacht über Atomwaffen erhalten habe, habe Adenauer zumindest hinsichtlich der Miniaturisierung der Waffensysteme recht behalten. Dies führte Egon Bahr zu der Feststellung: „Mit der Verkleinerung von Atomwaffen wird auch die Angst vor ihnen verkleinert, diese Qualitätsschwelle überschreiten zu können, ohne die Eskalation befürchten zu müssen.“

Angesichts der auf dem Gebiet Westdeutschlands stationierten atomaren Kurzstreckenraketen, deren Einsatzradius das Gebiet der damaligen Bundesrepublik häufig nicht überschritten hat, hätte – so führte Egon Bahr für den Fall eines Einsatzbefehls der von US-Soldaten kontrollierten Waffen aus – der damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt als letzte Weisung den Befehl an die Soldaten zur Befehlsverweigerung gegeben. Egon Bahr, dem nach eigenem Bekunden „das atomare Thema und die politische Normalität (…) die beiden Aspekte (sind), die mein politisches Leben bestimmt haben, und die unter der gemeinsamen Überschrift rangieren: Die Deutsche Selbstbestimmung“, hob entsprechend hervor, dass der noch vorhandene atomar benutzbare Teil der Luftwaffe ein Relikt aus der Zeit sei, in der es deutsche Selbstbestimmung militärisch nicht gegeben habe. Handlungsbedarf, wenn auch mittelfristig, formulierte Egon Bahr auch hinsichtlich der auf dem Gebiet der Bundesrepublik stationierten US-Atomwaffen sowie der „exterritorialen Stützpunkte“ der USA.

In seinen weiteren Ausführungen befasste sich Egon Bahr mit widersprüchlichen US-amerikanischen und deutschen Interessen und kritisierte, dass George W. Bush „das gigantischste Aufrüstungsprogramm der Geschichte entworfen“ habe. Damit wolle er „die Uneinholbarkeit der amerikanischen Überlegenheit ausbauen“, was nicht „nur Ausdruck einer Arroganz der Macht, sondern eines unipolaren Denkens“ sei, das „sich mit jedem Monat überholt, in dem das Gewicht Chinas, Indiens und Russland wächst.“

Egon Bahr betonte in seiner Rede zudem die Notwendigkeit zweier Debatten: einer über eine transatlantische Partnerschaft, die auf Respekt vor unterschiedlichen Interessen und Verantwortungen beruhe statt auf Unterordnung und eine andere über Abrüstung – ein Begriff, der seit 8 Jahren von der Tagesordnung internationaler Konferenzen verschwunden sei.

Friedenspolitik unter Rot-Grün

Friedenspolitik unter Rot-Grün

5. Friedensratschlag in Kassel

von Jürgen Nieth

Über 250 Aktive kamen am 5. und 6. Dezember zum Friedensratschlag nach Kassel. Dabei auch Friedensbewegte aus Holland, Belgien, Frankreich, Österreich und erstmalig auch aus Japan. Das vom bundesweiten »Arbeitskreis Friedensratschlag«, dem Kasseler Friedensforum und WissenschaftlerInnen der Uni Kassel organisierte Arbeitstreffen findet seit 5 Jahren jeweils am ersten Dezemberwochenende statt. Eine Tradition die beibehalten werden soll, für 1999 wurde bereits eingeladen.

Wenige Wochen nach der Bundestagswahl und dem Regierungswechsel bot der Kasseler Friedensratschlag eine Chance zur Positionsbestimmung unter den neuen politischen Bedingungen. Und dass es viel zu diskutieren gibt, wurde spätestens in der abschließenden Podiumsdiskussion mit den Bundestagsabgeordneten Winfried Nachtwai (Bündnisgrüne) und Wolfgang Gehrcke (PDS) sichtbar (der angekündigte sozialdemokratische Abgeordnete Conny Gilges scheiterte leider an den widrigen Straßenverhältnissen).

Hier wurden die Enttäuschung und der Unmut darüber deutlich, dass „unter Scharping keine Ansätze für Veränderungen in der Bundeswehrstrategie und bei der Rüstungsbeschaffung zu sehen“ seien. Kritisiert wurde, dass bei den milliardenschweren Rüstungsprojekten, wie dem Eurofighter, dem Kampfhubschrauber Tiger, der Panzerhaubitze 2000, dem gepanzerten Transportfahrzeug GTk u.a. Waffensystemen offensichtlich nicht einmal Abstriche geplant seien, dass auch unter der neuen Bundesregierung die Umrüstung der Bundeswehr zu einer interventionsfähigen, flexibel einsatzfähigen Kampftruppe weitergeführt werde, dass die neue Regierung bereits vor ihrem Amtsantritt mit dem Kosovo-Beschluss völkerrechtswidrig gehandelt und die UNO geschwächt habe.

Winfried Nachtwai hatte es da schwer, die positiven Signale der Koalitionsvereinbarung, z.B. das Bekenntnis zum Zivilen Friedensdienst und zur Förderung der Friedens- und Konfliktforschung, rüber zu bringen. Auch Wolfgang Gehrckes »kostenloses« Sofortprogramm friedenspolitischer Signale (Kasernenumbenennungen, Entnazifizierung der Traditionsstuben, Bombardierungsstopp in der Wittstocker Heide etc.) wollten einige Anwesende nicht als ersten möglichen Schritt zu mehr friedenspolitischer Bewegung sehen.

Spätestens hier wäre Gelegenheit gewesen in einen fruchtbaren Disput einzutreten, ob der Austritt aus der NATO wirklich die aktuelle Forderung ist oder welche Nah- und Fernziele die friedensbewegten Menschen in unserem Land sonst in den Mittelpunkt ihrer Aktivitäten stellen sollten, damit in der Öffentlichkeit das Friedensthema wieder eine größere Rolle spielt und die Bewegung tatsächlich eine neue Dynamik bekommt. Doch zu diesem Zeitpunkt verließen viele bereits die Tagung und nicht nur der Autor dieser Zeilen bedauerte, dass diese Debatte am Ende und nicht am Anfang des Ratschlages stand.

Am Anfang stand eine Podiumsdiskussion mit den Gästen aus den Nachbarländern und aus Japan. Verständlich der Wunsch mehr zu erfahren, wie die Situation bei den anderen ist, verständlich auch das Anliegen, den Tendenzen zur Europäisierung der Militärpolitik eine Europäisierung der Friedenspolitik entgegenzustellen. Einem Anliegen, dem mensch aber leider mit dieser Diskussion nicht wesentlich näher kam. Zu sehr standen die Beiträge nebeneinander, es fehlte im Samstagsplenum der Blick auf das, was sich in Europa politisch verändert hat (fast alle Länder Westeuropas werden z.B. heute sozialdemokratisch regiert, Regierungen in Mittel- und Osteuropa drängen in EG und NATO) und welche neuen Probleme und Ansatzpunkte in dieser Entwicklung liegen. Auch für diese unbedingt notwendige Debatte wäre es vielleicht besser gewesen, sich zuerst einmal über die neue Situation, über die Schwierigkeiten und über die neuen Möglichkeiten für eine friedensfördernde Politik in unserem Lande auseinanderzusetzen.

Gegenstand intensiver Diskussionen – auch in den Arbeitskreisen – war die Rüstungspolitik. Hier gab es zum Teil sehr fundierte Analysen, z.B. zur Neuausrüstung der Bundeswehr, zur NATO-Strategie und zur Völkerrechtswidrigkeit des Atomwaffeneinsatzes. Dass die Massenvernichtungswaffen in der Diskussion zeitweilig stark in den Mittelpunkt rückten lag dabei sicher auch an dem beeindruckenden Plenarvortrag von Horst-Eberhard Richter, der u.a. auch auf die neuen Gefahren hinwies, die sich daraus ergeben, dass jetzt auch „gentechnisch an biologischen Waffen gearbeitet wird, die gezielt nur feindliche Ethnien auslöschen sollen.“

Friedensmemorandum 1999

Von den VeranstalterInnen wurde während des Ratschlags der Entwurf eines »Friedensmemorandums 1999« vorgelegt. In ihm wird der Versuch unternommen, die friedenspolitisch relevanten Themen und die wichtigsten Entwicklungen der letzten Jahre zu beschreiben, außen- und verteidigungspolitische Konfliktlinien in Deutschland und Europa zu analysieren und ein abrüstungspolitisches Sofortprogramm zu entwickeln. Dabei gibt es die Absicht, über dieses Programm stärker in die inhaltliche Diskussion zu kommen und es gegebenenfalls jährlich fortzuschreiben.

Das Programm ist ebenso wie die demnächst als Buch erscheinende Tagungsdokumentation über das Kasseler Friedensforum zu beziehen (c/o DGB, Spohrstr. 6, 34117 Kassel).

Jürgen Nieth

Proteste gegen den Krieg

W&F dokumentiert:

Proteste gegen den Krieg

von Redaktion

120 ProfessorInnen und über 1.000 weitere WissenschaftlerInnen und Studierende haben untenstehenden Aufruf des BdWi unterzeichnet:

Für die sofortige Beendigung des Krieges gegen Jugoslawien

Die Angriffe der NATO-Truppen gegen die Bundesrepublik Jugoslawien sind ein Verstoß gegen das Völkerrecht und das Grundgesetz. Sie führen zu einer Eskalation mit dem Risiko einer unkontrollierbaren Ausweitung des Krieges und verhindern politische Lösungen.

Die unterzeichneten WissenschaftlerInnen und Studierenden fordern:

  • statt Ausweitung des Krieges durch den Einsatz von Bodentruppen sofortiger Waffenstillstand ohne weitergehende Bedingungen seitens aller Kriegsparteien;
  • kein NATO-Protektorat Jugoslawien, wie es in Kapitel 7 und Anhang B des Abkommens von Rambouillet ermöglicht wird;
  • die Bundesrepublik Deutschland muss ihre Grenzen für Flüchtlinge und Deserteure öffnen und einen sofortigen Abschiebestopp für Flüchtlinge aus Bosnien und Jugoslawien in Kraft setzen;
  • sofortige Aufnahme von Friedensverhandlungen unter Hoheit des UN-Generalsekretärs;
  • politische Beendigung der augenblicklichen Selbstmandatierung der NATO zum Weltpolizisten.

Wir fordern insbesondere die Bundesregierung auf, im Sinne dieser Forderungen einzutreten.

Wir fordern die insbesondere die Studierenden und WissenschaftlerInnen auf, sich einzumischen.

Wir werden uns an Aktivitäten beteiligen, die zu einer Beendigung des Krieges führen.


Einen Aufruf der Pädagoginnen und Pädagogen für den Frieden (PPF), sich nicht an den Krieg zu gewöhnen, haben über 300 PädagogInnen veröffentlicht:

Gewöhnt euch nicht an den Krieg!

Krieg ist kein Mittel zur Konfliktlösung und er darf auch nicht länger Mittel der Politik sein!

Die NATO-Strategie im Kosovo-Konflikt, den für den Völkermord verantwortlichen Politiker Milosevic mit Bomben in die Knie zu zwingen, ist nicht nur gescheitert, sondern hat zu weiterer Eskalation geführt: Im Kosovo werden mehr Menschen als je zuvor ermordet oder vertrieben – und es werden immer mehr Menschen direkt oder indirekt in den Konflikt hineingezogen…

Wir verlangen von der Bundesregierung, sofort jede militärische, finanzielle und politische Unterstützung für den NATO-Einsatz zu beenden. Statt dessen sollen alle Mittel, Menschen und Materialien für die Flüchtlingshilfe, den Einsatz ziviler OSZE-Vermittler und den Wiederaufbau zerstörter Häuser und Dörfer im Kosovo zur Verfügung gestellt werden.

Wir verlangen die sofortige Aussetzung der Wehrpflicht in Deutschland mit dem Ziel ihrer endgültigen Abschaffung.

Wir fordern die Bundesregierung auf, allen ausländischen Kriegsdienstverweigerern und Deserteuren politisches Asyl zu gewähren und die deutschen Totalverweigerer zu amnestieren…

Gewöhnt euch nicht an den Krieg!


Unmittelbar nach Beginn der Bombardierungen hat die NaturwissenschaftlerInnen-Initiative eine Stellungnahme veröffentlicht, in der es u. a. heißt:

Frieden durch Bomben?

Das politische Verhalten von Präsident Milosevic und seiner Führungsmannschaft und die brutale militärische Unterdrückung der Selbstbestimmungsabsichten der Kosovo-Albaner sind zutiefst verabscheuungswürdig. Aber das rechtfertigt den Einsatz der geballten Kriegsmaschinerie der NATO nicht, auch wenn die NATO emotional verständliche moralische Argumente anführt. Die Geschichte gerade dieses Jahrhunderts hat mehr als einmal gezeigt, dass Abkommen, die dem Frieden dienen sollen, sich nicht mit militärischer Gewalt erzwingen lassen. Darauf haben z.B. bei der Abstimmung im US-Senat über das Vorgehen der NATO mehrere US-Senatoren hingewiesen. Eine Autonomie des Kosovo im jugoslawischen Staatsverband und ein Ende der Greueltaten der serbischen Sicherheitskräfte und des Militärs kann nicht herbeigebombt werden. Die Gefahr besteht sogar, und dies zeigt sich täglich deutlicher, dass die Bomben der NATO den extremen Nationalismus von Milosevic politisch noch stärken und die NATO genau das Gegenteil dessen erreicht, was sie als »humanitäres« Ziel vorgibt. Die grausame Eskalation der Gewalt gegen die albanische Bevölkerung ist in vollem Gange. Humanitäre Hilfe für die geschundenen Menschen in ihrer Heimat ist so unmöglich geworden. Sie sind nun verstärkt Geiseln und Opfer des serbischen Militärs geworden.


Der Arbeitskreis Darmstädter Signal, ein Zusammenschluss aktiver und ehemaliger Soldaten und MitarbeiterInnen der Bundeswehr stellt zum Krieg der NATO gegen Jugoslawien u.a. fest:

Soldaten fordern: Luftangriffe sofort einstellen – verhandeln!

…Auch wenn die serbische Regierung die hauptsächliche Verantwortung für die verfahrene Situation und für tausendfaches menschliches Elend trägt, kann die Lösung nicht in der Kriegführung liegen.

  • Die NATO-Luftangriffe haben bei der jugoslawischen Führung letzte Hemmungen beseitigt: Die Folge ist eine brutale Vertreibungspolitik und ein riesiges Flüchtlingsdrama.
  • Die Luftangriffe der NATO haben die Regierung Milosevic innenpolitisch gestärkt.
  • Die Fortsetzung der Luftangriffe erhöht die Gefahr der Eskalation in einen Landkrieg mit unvorhersehbarem Ausgang.
  • Die massiven Kriegsschäden sowie das Flüchtlingsdrama destabilisieren den gesamten Balkan für Jahrzehnte. Die Kosten für den erforderlichen Wiederaufbau, aber auch schon die jetzigen Kriegskosten, werden die sozialen Probleme besonders in Europa verschärfen…

Der Krieg der NATO wird nun im Wesentlichen zur Vermeidung des Ansehensverlustes fortgesetzt…

Zivile Friedensräte für die Friedensbewegung

Zivile Friedensräte für die Friedensbewegung

von Mohssen Massarrat

Der folgende Beitrag, der anlässlich des neuen Balkankrieges mit einer aktualisierten Einleitung versehen ist, wurde ursprünglich anlässlich einer Denkschrift für Ekkehart Krippendorf im Juli 1998 geschrieben.1 Der vor unseren Augen tobende NATO-Krieg gegen Jugoslawien verleiht dem Konzept für Friedensräte neue Aktualität. Die Entscheidung für den Krieg gegen Jugoslawien ist wie viele frühere folgenreiche Fehlentscheidungen (z.B. für Atomenergie und für den NATO-Doppelbeschluss) ein erneuter Beleg für die Unzulänglichkeit des politischen Systems in seiner gegenwärtigen Form.

Einem kleinen Kreis von Militärexperten und -strategen der USA und der übrigen NATO-Staaten ist es offensichtlich gelungen, Regierungen, Parlamente und Parteien in eine großangelegte Gewalteskalation hineinzuziehen, deren destabilisierende Folgen für den Balkan, für Europa und für die Welt nicht absehbar sind. Wieder einmal wird vor Augen geführt, wie leichtfertig demokratisch gewählte Parteien und Regierungen bereit sind, so weitreichende Entscheidungen wie über Krieg und Frieden in letzter Instanz den »Experten« zu überlassen, wie es in Rambouillet geschah. Hinter verschlossenen Türen gelang es Militärstrategen der NATO offensichtlich, einem Häuflein politischer Entscheidungsträger ihren Willen aufzuzwingen. Erst drei Wochen nach Kriegsbeginn fangen VolksvertreterInnen an, den Inhalt des Rambouillet-Vertragstextes überhaupt zur Kenntnis zu nehmen. Erst jetzt wird allmählich begriffen, dass ein NATO-Angriffskrieg geradezu die logische Folge der Vertragsbedingungen gewesen ist.2 Keine noch so überzeugende Analyse hätte die entscheidende Schwäche des politischen Systems so eindringlich ins Bewusstsein heben können, wie das Zustandekommen des Rambouillet-Vertragstextes und der daraus folgende NATO-Krieg es auf fatale Weise demonstrieren.

Ist die Annahme abwegig, dass ein von Parteien unabhängiger Friedensrat mit verfassungsmäßigen Rechtskompetenzen diesen Krieg aller Wahrscheinlichkeit nach allein dadurch hätte verhindern können, dass er rechtzeitig eine öffentliche Diskussion über kriegseskalierende Folgen des Rambouillet-Diktats in Gang gesetzt hätte? Der Krieg in Jugoslawien zeigt die Dringlichkeit einer ernsthaften Beschäftigung mit neuen politischen Institutionen der Friedenssicherung wie einem Friedensrat in der Bundesrepublik bzw. der Europäischen Union, aber auch auf internationaler Ebene zur Reform der UNO. Die Konkretisierung dieses Modells in Gestalt von Zivilen Friedensräten erfolgte im Zuge der inhaltlichen Vorbereitungen des European Peace Congress, der Ende Mai 1998 in Osnabrück stattfand.3 Was für das Thema Krieg und Frieden richtig ist, gilt auch für andere existenzielle Bereiche wie für Umwelt, Entwicklungs- und Beschäftigungspolitik, für Gleichstellung der Geschlechter und Minderheiten etc. Insofern sind Friedensräte, die im folgenden demokratietheoretisch und ethisch begründet und organisatorisch dargestellt werden, Bestandteil eines Gesamtkonzepts zur Reform der politischen Systeme durch Einrichtungen von themenspezifischen Dritten Kammern.4

Demokratietheoretische und ethische Begründung einer Vision

Die politischen Systeme der repräsentativen Elitedemokratie waren die angemessene politische Antwort auf die Krise vordemokratischer Politiksysteme im neunzehnten Jahrhundert. Repräsentative Elitedemokratien erwiesen sich als Folge des fortschreitenden sozialen Differenzierungsprozesses und der damit einhergehenden wachsenden Konflikte ethisch wie historisch als ein Fortschritt. Angesichts einer unvergleichbar höheren Komplexität und sozialer Differenzierung im Übergang von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft und angesichts der durch die fortschreitende Globalisierung verschärften Herausforderungen am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts ist das System offensichtlich überfordert. Die Elitedemokratie hat für Überlebensfragen und die globalen Gegenwartsprobleme wie Armut, Umweltzerstörung, gewaltsame Konflikte und Kriege sowie Massenarbeitslosigkeit keine überzeugenden Lösungskonzepte. Divergierende Interessen sozialer Gruppen und die Vielfalt der Interessen und der Realisierungschancen sind wichtige Charaktermerkmale westlicher Industriegesellschaften und pluralistischer Demokratien, die mit einer asymmetrischen Machtverteilung einhergehen. Während divergierende Interessen bei der Entscheidungsfindung im politischen System die gesellschaftlichen AkteurInnen zum Kompromiss zwingen, machen die Interessenvielfalt und die Komplexität der gesellschaftlichen Realität politische Entscheidungen von der Kompetenz der Eliten abhängig. Beide Charaktermerkmale dieser Gesellschaften reproduzieren allerdings Dilemmata, die das politische System der repräsentativen Elitedemokratie nicht auffangen kann.

Der Kompromisszwang bei Verteilungsfragen ist sicherlich unausweichlich und hat sich auch historisch bewährt. Ein Kompromiss über existenzielle Menschheitsfragen ist jedoch genauso ein untaugliches Mittel der Politik wie ein Kompromiss über die Grundrechte beispielsweise in der Bundesrepublik Deutschland, die als Ergebnis historischer Erfahrungen als Grundlage sozialer und politischer Beziehungen für alle Mitglieder der Gesellschaft ihre Gültigkeit haben. Wenn wissenschaftlich nachweisbar ist, dass Atomtechnologie bei der Energieversorgung ein Irrweg ist und eine Gefahr für Leib und Leben der Menschen darstellt, so macht es keinen Sinn, sich auf weniger Atomenergie zu einigen. Wenn unstrittig ist, dass der militärische Zugriff zu fremden Rohstoffquellen im Dienste eigener Wohlstandssteigerung in die Sackgasse führt und außerdem auch ethisch verwerflich ist, so macht es auch hier keinen Sinn, einen Kompromiss zu erzielen, dass beispielsweise im Konfliktfall keine Massenvernichtungsmittel eingesetzt werden.

Die Komplexität der gesellschaftlichen Realität stellt die repräsentative Demokratie vor ein offensichtlich unlösbares Dilemma. Einerseits sind EntscheidungsträgerInnen in den Parteien und parlamentarischen Institutionen nicht nur legitimiert, sondern sogar gezwungen, in allen Politikfeldern mitzuentscheiden, selbst wenn sie nicht einmal den Wortlaut der Entscheidungsgrundlagen genau kennen. Andererseits sind die VolksrepräsentantInnen beim besten Willen außerstande, sich über alle gesellschaftlichen Politikfelder das erforderliche Wissen für eine sachgerechte Entscheidung anzueignen. So wird nicht das Wissen und Gewissen, sondern die Loyalität und Abhängigkeit von Parteiströmungen bei den Parteitagen bzw. die Loyalität und Abhängigkeit gegenüber der eigenen Fraktion in den Parlamenten zum entscheidenden Maßstab für folgenreiche Entscheidungen. Der Widerspruch zwischen der faktischen Inkompetenz und dem Zwang mit zu entscheiden wird auf diese Weise nur überdeckt. In diesem Milieu des Kompetenzvakuums findet die Expertokratie ihre Chance, sich eine eigene strategische Definitionsmacht anzueignen, die den demokratischen Willensbildungsprozess in sein Gegenteil verkehren kann. Mächtige Interessengruppen, beispielsweise aus dem militärindustriellen Komplex, können so ihre Version der militärischen Friedenssicherung als vermeintlich einzige Alternative politisch etablieren, während Friedenspolitik ohne Militär keine Chance hat, innerhalb politischer Institutionen als eine ernsthafte Alternative Fuß zu fassen.

Das gegenwärtige politische System der repräsentativen Elitedemokratien verdrängt alle relevanten Zukunfts- und Menschheitsfragen, selbst wenn sie nicht nur ethisch gewünscht, sondern auch technisch, organisatorisch und ökonomisch realisierbar sind. Der Erhalt der Biosphäre, eine Welt ohne Kriege und ohne soziale Ungerechtigkeit sind beispielsweise Ziele, die aus dem Blickwinkel der politischen Institutionen, insbesondere der Parteien, herausfallen, weil diese durch die Fixierung auf den nächsten Wahltermin und auf die kurzfristigen Interessen ihrer Klientel untereinander vor allen Dingen um den besten Weg der Externalisierung von Konflikten konkurrieren. Die Externalisierung von endogen verursachten Systemkonflikten beruht offensichtlich auf einem fundamentalen Defizit der repräsentativen Elitedemokratie. Der demokratieethische und -theoretische Kern dieses Defizits besteht (a) in der faktischen Reduktion des Souveräns auf die gegenwärtig lebenden Generationen innerhalb eines Staates, (b) in der Beschränkung des Gemeinwohls auf kurzfristige Interessen des Staatsvolkes und folglich (c) in der Beschränkung der Verantwortung der Politik gegenüber den heute lebenden Generationen und deren kurzfristigen Wünschen und Interessen.5

Die so problematisierte nationalstaatlich reduktionistische Demokratiephilosophie mag erklären, weshalb die Entscheidungsträger und politischen Parteien der repräsentativen Elitedemokratien sich der Verantwortung für die Folgen des eigenen Handelns für andere Völker und Generationen nicht verpflichtet fühlen. Welcher Regierung sollte man unter diesen Voraussetzungen auch übel nehmen, das Gemeinwohl der heute lebenden Menschen auf Kosten des Wohls anderer zu steigern, wenn dadurch für die Aufrechterhaltung des Status quo neue Legitimationen stets mit einem geringeren Risiko herzustellen sind. Weshalb sollte das ökonomische Wachstum im Interesse künftiger Generationen eingedämmt werden, wenn gerade durch ein zügelloses Wirtschaftswachstum das Regieren leichter wird? Weshalb sollte aus demselben Grund der produzierte Müll nicht in andere Regionen und die produzierten Schadstoffe nicht in den Umweltraum externalisiert werden? Weshalb sollten die politischen Eliten des Systems auf den massenhaften Import von natürlichen Ressourcen zu Dumpingpreisen verzichten? Wenn dieses »Gemeinwohl« dadurch besonders leicht herstellbar ist, dann ist es konsequent, dass die dafür erforderlichen asymmetrischen Außenbeziehungen auch militärisch abgesichert, Rüstungsproduktion, weltweite Gewaltstrukturen und Krieg in Kauf genommen werden.

Zivile Friedensräte für die Friedensbewegung

Soziale Bewegungen entstehen, wenn etablierte politische Systeme nicht funktionieren. Dies gilt auch für die neuen sozialen Bewegungen in westlichen Industriestaaten, die ziemlich genau in jenen gesellschaftlichen Bereichen entstanden sind, in denen Institutionen der repräsentativen Elitedemokratien versagt haben. Ihre sicherheitspolitisch gültige Doktrin, wonach Konflikte und Gewalt mit dem Ausbau von Militär- und noch mehr Gewaltpotenzialen eingedämmt werden können, hat historisch die Konflikte verschärft, dem Rüstungswettlauf immer wieder neue Schübe gegeben und schließlich zu einer gefährlichen Anhäufung von Massenvernichtungsmitteln geführt. Die Friedensbewegung entstand und verbreitete sich innerhalb aller gesellschaftlichen Schichten, weil der Wahnsinn der paradoxen Logik der Gewaltbeherrschung durch mehr Gewaltpotenzial von immer mehr Menschen erkannt wurde. Die Friedensbewegungen haben sich, wie andere soziale Bewegungen auch, nicht mit dem bloßen Protest und Widerstand begnügt, sondern sie sind angesichts des fehlenden Unvermögens der etablierten politischen Institutionen, selbst Veränderungen einzuleiten, dazu übergegangen, eigene alternative Wege zu erarbeiten, die nicht nur ethisch begründet, sondern auch grundsätzlich realisierbar sind. Diverse Konzepte der Friedenserziehung bis zu neueren Konzepten der zivilen Konfliktbearbeitung wurden allesamt innerhalb der internationalen Friedensbewegung entwickelt. Die Friedensbewegung hat in den letzten zwei Jahrzehnten zum friedenspolitischen Bewusstseinswandel enorm beigetragen und sie hat auch friedenspolitische Kompetenzen für eine Friedenspolitik ohne Militär erworben, die geeignet sind, die Legitimation der etablierten Sicherheitspolitik substanziell in Frage zu stellen und somit der strategischen Kompetenz des militärisch-industriellen Komplexes von oben die strategische Kompetenz der Zivilgesellschaft von unten entgegen zu stellen.

Für diese zivilgesellschaftliche Perspektive bedarf es allerdings rechtlich abgesicherter Optionen und eigenständiger politischer Institutionen und Finanzmittel, um die Grundlagen für eine gewalt- und militärfreie Innen- und Außenpolitik zu schaffen und diese auszubauen. Die Einrichtung von Zivilen Friedensräten als verfassungsmäßige Institutionen an der Nahtstelle zwischen Staat und Gesellschaft, zwischen etablierten Institutionen der repräsentativen Elitedemokratie und der Zivilgesellschaft wäre dazu eine denkbare Möglichkeit. Damit wäre eine entscheidende Weichenstellung und die Voraussetzung für eine friedenspolitische Neuorientierung der Gesellschaft geschaffen, die nationale und internationale Friedensbewegungen erst fordern und sich erkämpfen müssten. Zivile Friedensräte werden aus Vertreterinnen und Vertretern der Friedensorganisationen und bestehenden Institutionen der Friedens- und Konfliktforschung zusammengesetzt, sie erhalten eine angemessene finanzielle Grundlage und stellen einen rechtlich geschützten Raum für den autonomen Aufbau von Strukturen der zivilen Konfliktbearbeitung, von Friedenserziehung innerhalb der Gesellschaft bis zum Einsatz für den zivilen Friedensdienst in den Konfliktregionen dar. Zivile Friedensräte sind Dritte Kammern innerhalb der bestehenden politischen Systeme und sollen analog zur Zweiten Kammer (Bundesrat im föderalen System) mit Einspruchs- und Initiativrechten ausgestattet sein, um eigene friedenspolitische Konzepte den Konzepten herkömmlicher Sicherheitspolitik wirksam gegenüberzustellen.6 In diesem Sinne sind Zivile Friedensräte institutionell das Gegenstück zu etablierten Verteidigungsministerien, die – eine entsprechende gesellschaftliche Legitimation vorausgesetzt – ihre Handlungsspielräume bis zur langfristig völligen Abschaffung des Militärs allmählich erweitern könnten.

Zivile Friedensräte sind rechtlich geschützte, jedoch nicht rechtsfreie Räume für die Friedensbewegung. Die Legitimierung der Vertreterinnen und Vertreter friedensbewegter Organisationen und Initiativen für Zivile Friedensräte stellt das Vorhaben angesichts von fehlenden bzw. schwach entwickelten formalisierten Organisationsstrukturen der Akteursgruppen vor schwierige, jedoch nicht unlösbare Aufgaben. Denkbar ist die Formulierung von genauen Kriterien in einem entsprechenden Gesetz für die Definition, die Zulassung und Legitimation von Friedensorganisationen wie z.B. Mindestzahl von Gruppenmitgliedern, Obergrenze für Delegiertenzahl pro Gruppe um sicher zu stellen, dass auch kleine Gruppen partizipieren können, gesellschaftliche Anerkennung, Kontinuität (z.B. mindestens eine ununterbrochene fünfjährige Aktivität), Transparenz der Entscheidungsstrukturen und Finanzen etc.

Ziviler Friedensrat der UNO

Die Dilemmata der repräsentativen Elitedemokratien treffen auch für die UN und deren aus VertreterInnen und ExpertInnen nationaler Regierungen zusammengesetzten Unterorganisationen zu. Auch auf internationaler Ebene können es zivilgesellschaftliche Akteure sein, die durch ihre aktive Mitwirkung den herkömmlichen militärisch gestützten Strategien und Maßnahmen der Konfliktbeilegung substanziell neue und realisierbare Konzepte einer Friedenspolitik ohne Militär entgegenstellen. Ein Ziviler Friedensrat der UNO (UN Civilian Peace Council – UNCPC) für die internationale Friedensbewegung wäre eine geeignete und völkerrechtlich geschützte Institution, die es ermöglicht, dass internationale Friedensorganisationen unabhängig von den etablierten multinationalen wie nationalstaatlichen Institutionen alle Aufgaben der zivilen Konfliktbearbeitung in Kooperation mit den nationalen bzw. regionalen Zivilen Friedensräten koordinieren und durchführen können. Zu diesen Aufgaben gehören u.a. Stärkung von internationalen Institutionen der Friedenserziehung und Friedens- und Konfliktforschung, Schaffung von neuen Ausbildungseinrichtungen (wie beispielsweise internationalen Friedensuniversitäten), Einrichtung von Frühwarnsystemen in allen potenziellen Konfliktregionen, Erarbeitung von Empfehlungen für erforderliche Deeskalationsmaßnahmen vor, während und nach Beendigung von gewaltsamen Konflikten und Mitwirkung bei der Umsetzung dieser Maßnahmen. Analog zu den Kompetenzen auf unteren, nationalen bzw. regionalen Ebenen soll auch dem UNCPC das Recht zugestanden werden, gegen sicherheitspolitische Beschlüsse der UN-Vollversammlung und des UN-Sicherheitsrates Einspruch (kein Veto) zu erheben und der UN-Vollversammlung eigene friedenspolitische Vorschläge zu unterbreiten.7 So gesehen wäre der UNCPC das zivilgesellschaftliche Pendant zum UN-Sicherheitsrat, der mit den oben beschriebenen Aufgaben und Kompetenzen ein Minimum von internationaler Macht für die Zivilgesellschaft darstellt, um für eine Friedenspolitik ohne Militär im neuen Jahrhundert die erforderlichen Weichen zu stellen.

Wie sehr ein von nationalstaatlichen Interessen unabhängiger UNCPC erforderlich geworden ist, zeigen die Konflikte in Bosnien und nun auch in Kosovo. In beiden Fällen fehlte es entweder am vitalen Eigeninteresse der beteiligten Staaten, um den Konflikt vor einer ausweglosen Eskalation friedlich zu beenden oder aber die spezifisch nationalstaatlichen Eigeninteressen haben friedliche Lösungsmöglichkeiten geradezu blockiert. In Bosnien blieb nur noch die Option der militärischen Intervention nachdem alle Chancen zur friedlichen Konfliktbeilegung ungenutzt verpufften und der Brand die eigene Haustür erreichte. Und in Kosovo hatte kein europäischer Staat, auch nicht die USA, das geringste Interesse daran, den von breiten Bevölkerungsschichten befürworteten friedlichen Weg der Kosovo-AlbanerInnen zu unterstützen, um den Konflikt mit Belgrad friedlich zu lösen.8

Das Interesse der Bundesrepublik Deutschland, Italien und Österreich am Bosnienkonflikt reduziert sich darauf, den »Konfliktherd einzudämmen«, um neue Flüchtlingsströme in ihre Länder zu verhindern. Griechenland und vor allem Russland halten aus nationalem Eigeninteresse eher ihre guten Beziehungen zu Belgrad aufrecht, als dass sie an der Verhinderung von weiterem Blutvergießen und neuen Massakern interessiert wären. Und die USA? Es steht zu befürchten, dass dieser sich als einzige Ordnungsmacht der Welt begreifende Nationalstaat darauf wartet, durch eine Neuauflage der Militärintervention im Kosovo-Konflikt die Weltgemeinschaft an seine weltmachtpolitische Ordnungsfunktion zu gewöhnen und die UNO weiterhin zu schwächen. (Diese Prognose hat sich acht Monate nach Verfassen dieses Beitrages durch den NATO-Angriffskrieg gegen Jugoslawien leider bewahrheitet.)

Die Chancen für eine breitere europäische und internationale Unterstützung des friedlichen Weges der Kosovo-AlbanerInnen wären erheblich größer gewesen, hätte es einen UNCPC gegeben, der in der Lage gewesen wäre, rechtzeitig und quer zu den bornierten Sonderinteressen bzw. Gleichgültigkeiten der beteiligten Staaten eigene Initiativen zu entwickeln. Die Realisierungschancen der sicherlich zunächst utopisch anmutenden Idee zur Schaffung eines UNCPC scheinen auf der Ebene der Vereinten Nationen größer zu sein als innerhalb der einzelnen Staaten. Tatsächlich konnten sich die internationalen NGOs jenseits von nationalstaatlich bornierten Strukturen und in den Nischen der Vereinten Nationen deutlich größere Wirkungsmöglichkeiten erkämpfen als innerhalb der nationalstaatlichen Institutionen. Immerhin schlägt die UN Commission on Global Governance vor, unter dem Dach der Vereinten Nationen ein »Forum der Zivilgesellschaft« einzurichten. Es soll sich aus 300-600 VertreterInnen akkreditierter NGOs zusammensetzen, jährlich tagen und die Generalversammlung beraten.9 Gegen solche beratenden Foren werden zu Recht ernsthafte Bedenken vorgebracht: „Denn angesichts der Heterogenität und Interessendivergenz der NGOs ist die Gefahr ihrer wechselseitigen Neutralisierung in einem derartigen globalen Forum groß. Dessen Konsensempfehlungen würden die der Regierungen in ihrer Belanglosigkeit wohl eher noch übertreffen.“10

Eine gänzlich andere Qualität und Effizienz hätten demgegenüber UN-Foren bzw. Räte, wenn sie (a) als getrennte Einrichtungen für einzelne globale Problemfelder wie Frieden, Umwelt und Entwicklung, Frauen, Kinder, Flüchtlinge etc. eingerichtet und (b) mit Kompetenzen, die über bloße Beratung der UN-Vollversammlung hinausgehen, ausgestattet würden. Diese voneinander unabhängigen separaten Foren müssten allerdings aus den auf den jeweiligen Problemfeldern arbeitenden NGOs zusammengesetzt werden. Ein Ziviler Friedensrat der UNO wäre die erste zivilgesellschaftliche Einrichtung der Vereinten Nationen für die Vorbereitung einer neuen Weltordnung, in der zivile Mittel der Konfliktbearbeitung erstmalig eine echte Chance erhalten, die Ära der Friedenspolitik ohne Militär einzuleiten.

Literatur

Betz, Paul/Massarrat, Mohssen (Hrsg.), 1998: Friedenspolitik ohne Militär. Kongressdokumentation »European Peace Congress 98«, Münster.

Frankfurter Rundschau vom 16. April 1999: Was in Rambouillet für den K-Day verhandelt worden ist. Auszüge aus dem Vorläufigen Abkommen für Frieden und Selbstverwaltung im Kosovo nebst Anhängen.

Massarrat, Mohssen, 1995: Politische Macht für soziale Bewegungen und NRO. Historische Allianzen für globale Veränderungen, in: Kommune Nr. 1/1995, S. 38-42.

Massarrat, Mohssen, 1998: Dritte Kammern – Weniger Staat, mehr Zivilgesellschaft. Ein Schritt zur nachhaltigen Demokratie (unveröffentlichtes Manuskript).

Massarrat, Mohssen, 1999: Zivile Friedensräte für die Friedensbewegung, in: Greven, Thomas/Jarasch, Oliver (Hrsg.).: Für eine lebendige Wissenschaft des Politischen, Frankfurt/M., S. 215-224.

Mertens, Jens, 1995: Demokratisierung der Vereinten Nationen? Reformversuche gegen die Arroganz der Mächtigen, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung, Sonderdienst Nr. 7/95, Bonn.

Anmerkungen

1) Vgl. Massarrat, Mohssen, 1999: Zivile Friedensräte für die Friedensbewegung, in: Greven/Jarasch (Hrsg.), S. 215-224.

2) Kein souveräner Staat und auch keine andere Regierung in Jugoslawien hätte dem Vertragstext von Rambouillet zugestimmt, der einem Besatzungsstatut für Jugoslawien gleichkommt. Näheres vgl. Kapitel 7 und Annex B des militärischen Teils des Vertragstextes, in: Frankfurter Rundschau vom 16. April 1999.

3) Vergleiche dazu »Friedenspolitik ohne Militär«, Memorandum anlässlich 350 Jahre Westfälischer Frieden, Dokumentationsteil der Frankfurter Rundschau vom 18. Mai 1998 und Massarrat/Betz (Hrsg.), 1998: Friedenspolitik ohne Militär. Kongressdokumentation, Münster.

4) Ausführliche Erläuterungen dazu vgl. Massarrat, Mohssen, 1995 und 1998.

5) Ausführliche Darstellung der hier straff vorgetragenen Argumentation siehe Massarrat 1998.

6) Näheres dazu siehe Massarrat 1998.

7) Ein Vetorecht wäre selbstverständlich ein wirksameres Instrument der Mitgestaltung. Unter den gegenwärtigen Bedingungen, unter denen ein Vetorecht ein Exklusivrecht der fünf Atommächte ist, würde ein derart weitgehendes Recht für internationale Friedens-NGOs dem ohnehin als schwer realisierbar erscheinenden Vorschlag für die Schaffung eines UNCPC jegliche Realisierungschance nehmen.

8) Siehe dazu das nachdenkenswerte Interview mit Hans Koschnick in der taz vom 21.07.1998.

9) Näheres dazu siehe Jens Mertens: Demokratisierung der Vereinten Nationen? Reformversuche gegen die Arroganz der Mächtigen, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung, Sonderdienst Nr. 7/95, Bonn 1995.

10) Ebenda S. 3.

Prof. Dr. Mohssen Massarrat lehrt am Fachbereich Sozialwissenschaften der Universität Osnabrück

Willkommen in der Bewegung

Willkommen in der Bewegung

von Mani Stenner

Die Gruppen und Organisationen der Friedensbewegung hatten sich vor dem Krieg auf eine kontinuierliche Lobbyarbeit gegenüber Rot-Grün eingerichtet, um den Koalitionsvertrag („Deutsche Außenpolitik ist Friedenspolitik“) mit Leben zu erfüllen. »Friedensfachkräfte« als Bestandteil vieler Maßnahmen zivilen Eingreifens bei Krisen und Konflikten sollten ausgebildet, die Friedensforschung zur Früherkennung künftiger Krisenherde gestärkt und Politik wie Gesellschaft für ein konstruktives vorbeugendes Konfliktmanagement fit gemacht werden.

Es galt, die Wehrstrukturkommission in ihrer Arbeit kritisch zu begleiten (oder gar mit zu besetzen), Rüstungsexporte einzudämmen, Stimmung gegen die Fortführung der Beschaffungspläne aus der Kohl-Ära zu machen und die Regierungsparteien an ihre frühere Skepsis gegen die Umstrukturierung der Bundeswehr für »out-of-area«-Einsätze zu erinnern. Weg mit dem Kommando Spezialkräfte – her mit dem Zivilen Friedensdienst, weg mit der Wehrpflicht – her mit Friedensuniversitäten. Das sollte doch wohl in einer Legislaturperiode zu schaffen sein, oder?

Druck wollten wir Außenminister Fischer machen, um die politische Lösung der Kurdenfrage noch während der deutschen EU-Präsidentschaft auf die europäische Tagesordnung zu setzen. Hoffnung setzten wir in die massive Unterstützung der NGO-Projekte für Wiederaufbau und die Förderung ziviler, demokratischer Strukturen in den Republiken des ehemaligen Jugoslawien.

Jetzt ist die sich langsam wieder formierende Anti-Kriegs-Bewegung zunächst zurückgeworfen auf Protest statt Gestaltung, sie muss sich auf die Aufarbeitung der massiven politischen Kollateralschäden des Krieges vorbereiten. Die Zäsur durch den Krieg – Johannes Rau sprach von einer möglichen »Zeitenwende« – gibt der darauf schlecht vorbereiteten Bewegung auch die Rolle der fast alleinigen Opposition in dieser Frage. Und das wird länger so bleiben.

Rot-Grün wird seine friedenspolitische Unschuld nicht wiedergewinnen. Man hat sich auf Krieg als Mittel der Politik festgelegt, richtet sich darin ein und überhöht seine Haltung moralisch-ideologisch. Deutschlands „opportunistischte Partei“ (die taz über die Grünen) nennt das Doppelstrategie. Der NATO-Vertrag der die Selbstmandatierung für Kriegseinsätze als ständigen Ausnahmefall vorsieht ist unterschrieben, die nächsten Eskalationen in der Balkanregion durch den Kosovo-Krieg sind wahrscheinlicher geworden und weitere Konflikte an den Grenzen Russlands sind absehbar.

Die Skepsis gegen diesen Krieg reicht weit in die Gesellschaft hinein. Zu offensichtlich hat die NATO ihre propagierten Ziele des Schutzes von Menschen und der Beendigung von Vertreibung ins Gegenteil verkehrt. Die ideologische Aufrüstung, die Verteufelung Milosevics („Stalin und Hitler in einer Person“) und des gesamten serbischen Volkes kann vom Scheitern des militärischen Weges – und seinen katastrophalen Folgen für die Menschen des Kosovo, den Opfern und der massiven Zerstörung der zivilen Infrastruktur in Jugoslawien – nicht mehr ablenken. Die platte Diffamierung der innenpolitischen Kritiker („Fünfte Kolonne Belgrads“) kann die Erbarmungslosigkeit einer Politik nicht verdecken, die »humanitär« bombt, sich aber die in den Lagern in Albanien, Mazedonien und Montenegro unter erbärmlichen Umständen lebenden Flüchtlinge schlicht vom Hals halten will.

Selten wurden die Argumente der Friedensbewegung so massiv und schnell bestätigt wie diesmal. Dennoch drückt sich die Skepsis in der Gesellschaft nicht in starkem Protest auf der Straße aus, keine weißen Tücher hängen aus den Fenstern, nach wochenlangen Bombardements ist der Krieg nicht einmal mehr Hauptthema in Gesprächen, in der Berichterstattung der Zeitungen ist er auf die hinteren Seiten gerückt.

War zu Beginn des Krieges bei vielen die Ratlosigkeit – bezüglich der Alternativen zu dem von den ehemaligen Weggefährten in den Regierungsparteien gerechtfertigten Angriffskrieg – lähmend, waren die Argumente der aktiven Friedensgruppen zu wenig bekannt, so müssen die KriegsgegnerInnen jetzt auch gegen Resignation und die Gewöhnung an den Krieg argumentieren.

In Zeiten einer »Großen Koalition« kann aber auch die Einsicht wachsen, dass die Gesellschaft die Diskussion um Krieg und Frieden nicht der Regierung und den ParlamentarierInnen überlassen darf. Aufgeben gilt nicht – das gilt auch für die KriegsgegnerInnen in der SPD und gerade auch für die in Bielefeld unterlegenen Grünen.

Willkommen in der Bewegung!

Mani Stenner ist Sprecher des Netzwerks Friedenskooperative, Bonn