Ukraine – eine Bilanz der Orangenen Revolution

Ukraine – eine Bilanz der Orangenen Revolution

von Kerstin Zimmer

Fünf Jahre nach der Orangenen Revolution fällt die Bilanz politischer und gesellschaftlicher Reformen in der Ukraine düster aus. Die anfängliche Euphorie und der Optimismus wichen Ernüchterung und Enttäuschung, da sich die hohen Erwartungen an die neuen Machthaber und ihre Reformvorhaben seitens der ukrainischen Bevölkerung und westlicher Politiker und Öffentlichkeiten nur in geringem Maße erfüllt haben. Stattdessen herrscht in der Ukraine seit geraumer Zeit eine politische Dauerkrise. Die Hauptgründe für die geringen Fortschritte bei der angekündigten Demokratisierung, Dezentralisierung und Annäherung an die Europäische Union (EU) sind primär im sowjetischen Erbe und in den post-sozialistischen Hinterlassenschaften der Kutschma-Ära zu suchen. Die Abhängigkeit von Russland in Energiefragen erschwert einen eigenständigen Entwicklungsweg.

Bis 2004 waren zwar die formalen Mindestanforderungen an eine Demokratie erfüllt, jedoch entwickelte sich unter Präsident Leonid Kutschma die Ukraine in einen neopatrimonialen Staat (Zimmer 2006). Der Präsident kontrollierte formell und informell viele Bereiche des politischen und wirtschaftlichen Lebens, indem er den formalen rechtlichen und administrativen Rahmen zum Machterhalt nutzte und auf erpresserische Methoden zurück griff (Darden 2001). Allerdings gelang der Übergang zum Autoritarismus aufgrund der Heterogenität des Landes und der politischen Elite nicht (Levitsky & Way 2002). Die Ukraine stellte vor allem wegen ihrer strategischen Lage mit Grenzen zur EU und zu Russland eine Herausforderung für die EU und die USA dar (Lane 2008). Nationale und internationale Geberorganisationen betrieben Demokratieförderung im Sinne von »soft power« (Nye 2004), um politische Präferenzen zu beeinflussen und einen Institutionenwandel herbeizuführen.

Die Präsidentschaftswahl im Herbst 2004 galt als Richtungswahl, bei der Manipulationen zu Gunsten von Wiktor Janukowytsch, dem von Kutschma designierten Nachfolger, allgemein erwartet wurden. Der erklärte Wahlsieg von Janukowytsch gegen Juschtschenko in der Stichwahl im November 2004 führte zu – in westlichen Fachkreisen und Öffentlichkeiten unerwarteten – Demonstrationen gegen den Wahlbetrug. In der Wiederholungswahl am 26. Dezember 2004 wurde Juschtschenko zum Präsidenten gewählt.

Während die westliche Öffentlichkeit und zahlreiche Autoren die Ereignisse als eine echte Volksrevolution (Karatnycky 2005; Kuzio 2005) und einen demokratischen Durchbruch (Åslund 2009) werteten, setzt sich zunehmend die Erkenntnis durch, dass hier Machtpolitik im Zentrum stand (Lane 2008). Was in den Medien als »Macht des Volkes« dargestellt wurde, war eine von Eliten gelenkte Demonstration. Die Bevölkerung war nicht zuletzt aufgrund von relativer Deprivation bereit, gegen das bestehende Regime zu protestieren. Das orangene Lager bot nicht nur eine öffentliche Kritik des Kutschma-Regimes, sondern auch eine Alternative dazu und löste das Problem des kollektiven Handelns durch die Bereitstellung von Infrastruktur und selektiven Anreizen für die Demonstranten (Tucker 2007). Die mittelfristigen Ergebnisse der »Revolution« sowie Bevölkerungsumfragen legen nahe, dass die Orangene Revolution ein »revolutionärer Staatsstreich« (Lane 2008) war, welcher sich durch eine starke Partizipation und Führungsrolle von Eliten auszeichnet sowie eine hohe Beteiligung der Bevölkerung – allerdings überwiegend als Zuschauer.

Der revolutionäre Staatsstreich war keine »nachholende Revolution«, die eine post-postkommunistische Phase (Kubicek 2009) einläutete. Entgegen aller Erneuerungsrhetorik waren die Kontinuitäten aus dem Kutschma-Regime und der Sowjetunion stark, vor allem hinsichtlich der politischen Kultur. Es kam zur teilweisen Elitenerneuerung, aber nicht zum Austausch der politischen Klasse oder gar tief greifenden sozialen und ökonomischen Reformen. Um das Kutschma-Regime gewaltlos abzulösen, war eine breite Koalition auch mit Akteuren aus dem alten Regime notwendig gewesen (Cheterian 2009). Zudem war das orangene Lager selbst eine heterogene Ansammlung nationalistischer, liberaler und linker Kräfte und umfasste auch Jugend- und Studentenorganisationen sowie Interessenvertretungen von Teilen der Oligarchen. Es handelte sich nicht um eine Fundamentalopposition, sondern um zumeist erfahrene Politiker aus der post-kommunistischen Phase. Nach dem Ende des Kutschma-Regimes fiel diese Zweckkoalition schnell auseinander und eine politische Dauerkrise, die bisweilen einem grotesken Politikspektakel gleicht, begann.

Institutionenbildung

Die Ende 2004 durch einen Aushandlungsprozess zwischen Kutschma und den orangen Kräften eilig beschlossene Verfassungsänderung trat Anfang 2006 in Kraft. Sie markiert den Übergang von einem faktisch super-präsidentiellen zu einem parlamentarisch-präsidentiellen System. Jedoch ist sie voller Widersprüche und lässt viele Bereiche ungeregelt. Notwendige Begleitgesetze und Ausführungsbestimmungen wurden nicht verabschiedet. Seit der Verfassungsänderung wählt das Parlament den Premierminister und die Mehrheit im Parlament stellt die Regierung. Außerdem wurde ein imperatives Mandat eingeführt, das Fraktionsübertritte verbietet. Jedoch bleiben dem Präsidenten verschiedene Machthebel, zum Beispiel Ernennung des Verteidigungs- und Außenministers sowie das suspensive Vetorecht gegen Parlamentsentscheidungen.

Die Verfassung legt keine wirklichen »Checks and Balances« fest (Cheterian, 2009). Vielmehr verursachen die unklaren Beziehungen zwischen der Präsidentschaft, der Regierung und dem Parlament Spannungen und tragen zur politischen Krise bei. Regierungschefin Tymoschenko und Präsident Juschtschenko nutzen die Ambiguitäten der Verfassung, um ihre Macht zu erweitern. Zudem werden Regeln und Gesetze missachtet, weil Kämpfe über die Regeln häufig Oberhand über politischen Wettbewerb innerhalb festgelegter Regeln gewinnen. Eine erneute Verfassungsreform ist unabdingbar, wobei Tymoschenko ein rein parlamentarisches System bevorzugt, während Juschtschenko die Kompetenzen des Präsidenten erweitern möchte und wiederholt versuchte, die Verfassungsrevision wieder rückgängig zu machen. Da beide danach trachten die bestehenden Rahmenbedingungen durch das Verabschieden passender Gesetze oder Erlasse zu den eigenen Gunsten zu verändern, ist die zukünftige Regierungsform noch unklar.

Korruption und Rechtsunsicherheit bleiben ein strukturelles Problem. Juschtschenko hat sein Versprechen, politische Verbrechen aufzuklären und „alle Verbrecher ins Gefängnis zu schicken“ nicht erfüllt. Stattdessen erhielten viele Akteure aus dem alten Regime Amnestie für ihren Wahlbetrug im Jahr 2004 und Immunität für Abgeordnete auf allen Ebenen, und die zweifelhaften Privatisierungen der Kutschma-Ära wurden nicht weiter untersucht. Die Oligarchisierung der Macht bleibt bestehen, viele Politiker haben ein finanzielles Interesse daran, den korrupten Status Quo aufrecht zu erhalten (Kubicek 2009) – und alle Parteien werden von mehr oder weniger reichen und einflussreichen Oligarchen unterstützt und finanziert.

Nationsbildung

Die in den westlichen Medien betonte Zweiteilung des Landes in eine ukrainisch-sprachige und nach Westen orientierte Westukraine und eine russischsprachige und nach Russland orientierte Ostukraine ist eine starke Vereinfachung und wird der Vielschichtigkeit regionaler Besonderheiten nicht gerecht. Dennoch gibt es unterschiedliche historisch geprägte Identitätskonzepte und politische Kulturen, die unter Kutschma nach dem Teile-und-Herrsche-Prinzip bewusst aufrecht erhalten wurden. Obwohl die Einigung des Landes ein Hauptziel Juschtschenkos war, gelang es ihm nicht, eine gesamtukrainische Identität zu kreieren. Vielmehr vertrat er eher zentral- und westukrainische politische Kräfte und Identitätsvorstellungen, vor allem vor den Parlamentswahlen 2006 und 2007. Dazu zählen die Förderung der ukrainischen Sprache, die Bewertung der Hungersnot der 1930er Jahre als Genozid sowie die Rehabilitierung der Ukrainischen Aufstandsarmee, die im Zweiten Weltkrieg gegen die Rote Armee kämpfte und mit Hitler-Deutschland kollaborierte (Šabiæ 2009). Daher stimmen Wähler in der Ost- und Südukraine eher für Partei der Regionen, weil diese ihre Interessen zu vertreten verspricht. Wahltaktiken und Populismus aller politischen Kräfte führen immer wieder zur Polarisierung der regionalen Bevölkerungsgruppen. Andererseits trägt die innere Gespaltenheit der Ukraine dazu bei, ein autoritäres Regime zu verhindern, da es keine Alternative zum Pluralismus gibt (Simon 2009).

Regierungsfähigkeit

Die Regierungsfähigkeit ist begrenzt, da permanente Regierungskrisen die politische Entscheidungsfähigkeit lähmen. Juschtschenko wurde im Januar 2005 Präsident und das Parlament bestätigte Tymoschenkos Kandidatur als Premierministerin im Februar 2005. Von Beginn an litt ihre Regierung an Uneinigkeit und institutionelle Konkurrenz zwischen dem Sekretariat des Präsidenten, der Regierung und dem Rat für Nationale Sicherheit und Verteidigung, die von rivalisierenden Politikern geleitet wurden, flammte auf. Im September 2005 führten gegenseitige Beschuldigungen der Bestechlichkeit zur Entlassung der Regierung Tymoschenko. Die Wahl der neuen Regierung unter Jurij Jechanurow war nur mit Unterstützung der von Janukowytsch geleiteten »Partei der Regionen« möglich, der im Gegenzug Amnestie für den Wahlbetrug 2004 und Immunität gewährt wurde. Im Januar 2006, nach dem »Gaskrieg« mit Russland, erhielt die Regierung Jechanurow ein Misstrauensvotum des Parlaments, blieb jedoch bis zur Wahl des neuen Premierministers Janukowytsch, dessen Partei als stärkste Kraft aus den Parlamentswahlen im März 2006 hervorgegangen war, im Amt. Im April 2007 löste Juschtschenko – wegen der verbotenen Fraktionsübertritte oppositioneller Abgeordneter – das Parlament auf und rief Neuwahlen aus, womit er eine Verfassungskrise auslöste, welche die Ukraine an den Rand gewaltsamer Auseinandersetzungen brachte. Nach Verhandlungen zwischen Juschtschenko und Janukowytsch wurden vorgezogene Parlamentswahlen für den 30. September 2007 festgelegt, doch wie schon 2006 trugen sie nicht zur Handlungsfähigkeit der Regierung(en) bei. Aber die Wahlen wurden als frei und fair eingeschätzt und alle relevanten politischen Kräfte akzeptierten das Ergebnis. Die »Partei der Regionen« erhielt 34,7%, der »Block Julija Tymoschenko« (BJuT) 30.71% und Juschtschenkos Wahlblock »Unsere Ukraine–Selbstverteidigung des Volkes« 14,61%. Die Bildung einer neuen Regierung gelang erst im Dezember 2007, als eine erneute orange Koalition zwischen BJuT und »Unsere Ukraine« unter der Regierungsführung von Tymoschenko zustande kam.

Doch 2008 war das Parlament zeitweise nicht arbeitsfähig, so dass wichtige Reformen und Entscheidungen blockiert wurden. Nach Monaten gegenseitiger Blockaden zerbrach die orangene Koalition im September 2008, nachdem BJuT – gemeinsam mit der oppositionellen »Partei der Regionen« – Gesetze verabschiedet hatte, die die Macht des Präsidenten begrenzen. Nach gescheiterten Versuchen der Regierungsbildung löste Juschtschenko am 8. Oktober 2008 das Parlament auf und kündigte Neuwahlen an. Aufgrund der akuten Finanz- und Wirtschaftskrise, von der die Ukraine besonders stark betroffen ist, wurden die Wahlen auf ungewisse Zeit verschoben und die Regierung Tymoschenko blieb im Amt. Verschiedene Versuche der Regierungsbildung blieben seitdem erfolglos.

Seit Anfang 2009 hat die Ukraine keinen Außenminister und keinen Verteidigungsminister, da Tymoschenko sie über das Parlament entlassen hatte, eine Ernennung jedoch zum Kompetenzbereich des Präsidenten zählt. Tymoschenko und Juschtschenko können sich nicht auf Nachfolger einigen. Auch die Minister für Transport, Inneres und Finanzen sind zurückgetreten. Das Parlament arbeitet zurzeit fast gar nicht, weil es blockiert wird.

Angesichts der Finanzkrise ist die geringe Handlungsfähigkeit der ukrainischen Regierung problematisch. In den letzten Jahren wurden viele Investitionen über kurzfristige Bankkredite finanziert. Da aufgrund der Liquiditätskrise keine neuen Kredite zur Verfügung stehen, kommt es zu Rezession, steigender Arbeitslosigkeit und verminderten Staatseinnahmen, so dass der Staatsbankrott droht. Ein Notkredit des IWF über 16,4 Milliarden Dollar war mehrfach gefährdet, weil die ukrainische Regierung entsprechende Bedingungen nicht erfüllte.

Vor den Präsidentschaftswahlen, die am 17. Januar 2010 stattfinden, sind keinerlei Reformschritte zu erwarten. Im Gegenteil ist zu befürchten, dass das Haushaltsdefizit steigt, um populistische Maßnahmen vor den Präsidentschaftswahlen zu finanzieren. Der aussichtsreichste Kandidat ist Janukowytsch, denn Tymoschenkos Ratings sinken und Juschtschenko ist chancenlos.

Der Faktor Russland

Seit der Orangenen Revolution haben sich die Beziehungen zwischen der Ukraine und Russland zunehmend verschlechtert. Ein Beispiel ist der Gaskonflikt, der im März 2005 begann, als Russland die Bedingungen für den Transit von Erdgas über ukrainisches Territorium nach Westeuropa sowie den Preis für ukrainische Erdgasimporte zu Gunsten marktorientierter Preispolitik neu festlegte. Seitdem wurde immer wieder neu verhandelt und die zeitweise Einstellung von Gaslieferungen in die Ukraine führte zu Lieferengpässen in verschiedenen europäischen Staaten. Der Konflikt ist nicht beigelegt, weil es auch um Interessen russischer und ukrainischer Wirtschaftsbosse geht. Juschtschenko bevorzugt die Abwicklung über Zwischenhändler, Tymoschenko direkte Verbindungen zwischen Gasprom und dem staatlichen Gasimporteur Naftohas Ukraina. Beide verhandelten getrennt mit der russischen Seite, die zunehmend die Premierministerin und den Präsidenten gegeneinander ausspielte. Schließlich setzte sich Tymoschenko durch. Eine Einmischung Russlands bei den ukrainischen Präsidentschaftswahlen deutet sich bereits an, wobei unklar bleibt, welche Ziele die russische Regierung verfolgt. Im Gegensatz zu 2004, als Moskau offen Janukowytsch unterstützte, legt man sich dieses Mal (noch) nicht auf einen Kandidaten fest, wobei Janukowytsch und Tymoschenko als Moskau-freundlich gelten.

Ein weiterer Streitpunkt ist die Halbinsel Krim, die in der Ukraine einen Autonomiestatus genießt und mehrheitlich von Russen bewohnt wird. Eine mögliche Abspaltung von der Ukraine wurde nach dem Georgien-Krieg wieder Thema, auch wenn Russland die Separatisten offiziell nicht unterstützt. In der Hafenstadt Sewastopol ist die russische Schwarzmeerflotte stationiert. Die ukrainische Führung will den bis 2017 laufenden Stationierungsvertrag nicht verlängern. Der russische Präsident Dmitrij Medwedew brachte ein Gesetz in die Staatsduma ein, das den Auslandseinsatz der russischen Armee erlaubt, unter anderem zum Schutz russischer Bürger im Ausland. In der Ukraine befürchtet man, das Gesetz könne als Vorwand für eine Intervention auf der Krim genutzt werden.

In einem offenen Brief an Juschtschenko warf Medwedew im August 2009 der Ukraine zahlreiche „Fehlleistungen“ vor und drohte mit Konsequenzen. Die Ukraine sei den im Vertrag von 1997 festgelegten Prinzipien von Freundschaft und Partnerschaft untreu geworden und habe im Georgien-Konflikt eine anti-russische Haltung bezogen. Zudem bezichtigte er die ukrainische Führung des Abbruchs ökonomischer Beziehungen und der Verletzung von Eigentumsrechten russischer Investoren. Schließlich betreibe die Ukraine eine anti-russische Geschichtspolitik und verfolge „stur“ eine NATO-Mitgliedschaft, die mit einer – nicht existenten – russischen Bedrohung begründet würde. Erst nach den Präsidentschaftswahlen werde wieder ein russischer Botschafter nach Kiew entsandt. Juschtschenko versuchte die Vorwürfe zu entkräften und ukrainische Intellektuelle richteten einen offenen Brief an die Parlamente, Regierungen und Völker der Welt, in dem sie auf die Bedrohung aufmerksam machen und Unterstützung einforderten. Bislang sind Reaktionen ausgeblieben.

Das Verhalten der russischen Regierung erklärt sich unter anderem durch die politische Verhärtung in Russland und das »post-imperiale Syndrom«. Die russische Führung kann die Unabhängigkeit des »slawischen Brudervolkes« nicht akzeptieren und nutzt ökonomische und andere Mittel, um die Ukraine wieder in den eigenen Einflussbereich zu zwingen. Nach dem Wiedererstarken Russlands kommt es zudem zur Konkurrenz der Transformationsmodelle (Härtel 2009). Russland ist erstarkt, ökonomisch weitgehend stabil und politisch zunehmend autoritär. Die Ukraine ist – wie deutlich geworden ist – instabil, dafür aber relativ pluralistisch und frei. Russland will dieses Konkurrenzmodell nicht dulden und fördert dessen Scheitern und desavouiert es im eigenen Land.

Nach der Orangenen Revolution war die Mitgliedschaft in der Europäischen Union das erklärte Ziel Juschtschenkos. Inzwischen gibt es ein Freihandelsabkommen, die Reisemöglichkeiten für Ukrainer wurden erleichtert und seit 2007 wird über ein vertieftes Abkommen verhandelt. Im September 2008 beschlossen die Ukraine und die EU ein Assoziierungsabkommen, das bis Ende 2009 unterzeichnet sein soll; und im Mai 2009 trat die Ukraine der Östlichen Partnerschaft bei. Weitere Annäherungen sind möglich, aber aufgrund der unberechenbaren ukrainischen Innenpolitik ist eine Beitrittsperspektive in weite Ferne gerückt. Die Haltung der EU gegenüber der Ukraine bleibt nebulös. Vor allem Deutschland und Frankreich wollen aus Rücksichtnahme auf Russland keine EU-Mitgliedschaft der Ukraine und bleiben auch angesichts der Krise und russischer Drohgebärden ruhig.

Schlussfolgerungen

Viele angekündigte post-orange Reformen haben nicht stattgefunden und die Kampflinien zwischen verschiedenen politischen Gruppierungen sind wieder verschwommen. Der formale Rahmen wird wiederholt instrumentalisiert und ausgehöhlt, ohne dass das System als solches in Frage gestellt wird. Zumindest hat die Orangene Revolution die Restauration autoritärer Macht verhindert, und das Chaos und die Heterogenität der Landesteile und der politischen Elite in der Ukraine verhindern dies weiterhin. Mit Russland ist keine gleichberechtigte Partnerschaft möglich. Eine EU-Integration ist aufgrund innenpolitischer Faktoren und der Haltung mehrerer EU-Staaten mittelfristig unwahrscheinlich. Daher wird die Ukraine ihrer Randlage1 vorerst nicht entkommen können.

Literatur

Åslund, Anders (2009): How Ukraine Became a Market Economy and Democracy. Washington: Peterson Institute for International Economics.

Cheterian, Vicken (2009): From Reform and Transition to »Coloured Revolutions«, in: Journal of Communist Studies and Transition Politics 25:2, S.136-160.

Darden, Keith A. (2001): Blackmail as a Tool of State Domination: Ukraine under Kuchma, in: East European Constitutional Review 10:10.

Härtel, André (2009): Gezwungen zur Bruderschaft? Zum Stand der ukrainisch–russischen Beziehungen, in: Ukraine-Analysen Nr. 60, S.17-20.

Karatnycky, Adrian (2005): Ukraine‘s Orange Revolution, in: Foreign Affairs 84:2, S.35-52.

Kubicek, Paul (2009): Problems of Post-Post-Communism: Ukraine after the Orange Revolution, in: Democratization 16:2, S.323-343.

Kuzio, Taras (2005): Ukraine‘s Orange Revolution. The Opposition‘s Road to Success, in: Journal of Democracy 16:2, S.117-130.

Lane, David (2008): The Orange Revolution: »People‘s Revolution« or Revolutionary Coup?, in: British Journal of Politics and International Relations 10:4, S.525-549.

Levitsky, Steven & Way, Lucan (2002): The Rise of Competitive Authoritarianism, in: Journal of Democracy 13:2, S.51-65.

Nye, Joseph S. (2004): Soft Power: The Means to Success in World Politics. New York: Public Affairs.

Šabiæ, Claudia (2009): Wer spaltet die Ukraine? Über die Wandlungsresistenz neopatrimonialer Systeme, in: Tr@nsit online.

Simon, Gerhard (2009): After the Orange Revolution: The Rocky Road to Democracy, in: Juliane Besters-Dilger (ed.): Ukraine on Its Way to Europe. Interim Results of the Orange Revolution, Frankfurt: Lang: S.13-26.

Tucker, Joshua A. (2007): Enough! Electoral Fraud, Collective Action Problems, and Post-Communist Colored Revolutions, in: Perspectives on Politics 5:3, S.535-551.

Zimmer, Kerstin (2006): Machteliten im ukrainischen Donbass. Bedingungen und Konsequenzen der Transformation einer alten Industrieregion. Münster: LIT.

Anmerkung

1) Ukraine heißt wörtlich übersetzt: am Rande.

Dr. Kerstin Zimmer ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Soziologie und am Zentrum für Konfliktforschung der Philipps-Universität Marburg. Zurzeit vertritt sie eine Professur an der Universität Kassel.

Spielfeld Militärmaschine

Spielfeld Militärmaschine

von Ralf E. Streibl

Bei Diskussionen über Computerspiele geht es oft gleichermaßen wenig fundiert und fruchtlos um die Frage, ob gewalthaltige Inhalte pauschal Spieler aggressiver machen. Subtilere, aber vielleicht bedeutsamere Aspekte bleiben daneben meist unbeachtet. Welche Inhalte und Weltbilder beinhalten Computerspiele? Welche gesellschaftlichen Einflüsse und Auswirkungen können sich daraus ergeben? Im folgenden Beitrag soll es um einige inhaltliche und strukturelle Verbindungen von Militär und Spiele-Industrie gehen – nicht mit dem Anspruch einer vollständigen analytischen Aufarbeitung, sondern mit dem Ziel, die Art der Verbindungen exemplarisch zu skizzieren und damit den Blick auf gesellschaftlich gefährliche Einflüsse zu richten.

„Es ist also wahr, dass Menschen, die unter Befehl gehandelt haben, sich für vollkommen unschuldig halten. Wenn sie imstande sind, ihre Lage ins Auge zu fassen, mögen sie etwas wie Staunen darüber empfinden, dass sie einmal so vollkommen unter der Gewalt von Befehlen standen. Aber selbst diese einsichtige Regung ist wertlos, da sie sich viel zu spät meldet, wenn alles längst vorüber ist.“
Elias Canetti 1

Rüstungskultur

Hanne Birckenbach (1979) bezeichnete Kriegspielzeug – im Verbund mit Kriegsromanen, Militärparaden, Kriegerdenkmalen, Rüstungswerbung, Military Look etc. – als „Spezialfall einer Rüstungskultur“. Es begünstigt die Umwandlung von Alltagsbewusstsein in Rüstungsbewusstsein und wird so zu einem Teil gesellschaftlicher Rüstungsdynamik. Auch Medieninhalte können Teil der »Rüstungskultur« sein: So resümierten Hesse und Mack (1990) nach einer Analyse von Comic-Filmen im amerikanischen Kinderfernsehen: „Die hier beschriebenen Fernsehcartoons bringen Kindern bei, dass weltpolitische Konflikte immer polarisiert und zweidimensional sind. Die Helden sind ohne Fehler und ihre Feinde sind vollkommen böse, ohne Aussicht auf Veränderung. Meinungsverschiedenheiten werden mit Gewalt gelöst. Die Verteidigung gegen die Feinde wird garantiert durch Aktionen der Helden und hochentwickelte militärische Technologien“ (S.21). Dadurch ebnen diese Sendungen ihrer Meinung nach „den Weg für eine psychische Bereitschaft zu militärischer Aufrüstung und Krieg in einer zukünftigen Welt, die simplistisch in Repräsentanten des Guten und des Bösen eingeteilt ist“ (S.22).

Computer-Kriegspiele – zugleich Kriegsspielzeug und interaktives Medium – sind in diesem Sinne ebenfalls als Teil der »Rüstungskultur« anzusehen, da sie häufig einseitig gefärbte Eindrücke von Krieg, Militär, Helden, Macht und Waffen transportieren und mit diesem Weltbild eine große Zahl vor allem jüngerer Menschen erreichen. Derartige Spiele vereinnahmen die Spielenden während des Spiels und lassen in der Regel keine Zeit für eine Reflektion der Szenarien, Handlungen und Ziele (Streibl 1998). Grob vereinfachte Weltmodelle treffen in der Regel auf strukturell einfache Lösungen. Zwar mag es vordergründig umfangreiche und detaillierte Steuerungsmöglichkeiten geben, abstrakt betrachtet ähneln sich jedoch die Grundprinzipien: Zur Gewaltausübung gibt es keine wirkliche Alternative, doch sie erzeugt beim Spieler kein ungutes Gefühl (eher im Gegenteil), da sie zur Erreichung des Spielziels quasi »befohlen« und oft in der Spiellogik auch moralisch legitimiert erscheint (z.B. Schutz, Notwehr, Rache, Rettung…). Aushandlungsprozesse, Empathie und Perspektivenwechsel finden in den Spielen kaum bis gar nicht statt und sind in den programmierten Handlungsspielräumen meist nicht angelegt. Normen, Werte und Menschenbilder sind implizit oder explizit vorgegeben und lassen häufig militärische Logik und Leitbilder sowie hierarchische Führungsprinzipien erkennen. Durch die aktive Rollenübernahme bei gleichzeitig eingeschränktem Handlungsspielraum entfalten Computerkriegsspiele vermutlich eine intensivere Wirkung auf die Spieler verglichen mit der passiven Rezeption medial vermittelter militaristischer Inhalte. Insofern bilden sie einen wichtigen Ansatzpunkt für das Eindringen militärisch geprägter Äußerlichkeiten sowie militärischer Weltbilder und Ideologie in die zivile Lebenswelt.

Interesse der Spiele-Industrie am Militär

»Space Invaders« war 1962 eines der ersten Computerspiele überhaupt und wurde später auch zu einem Klassiker in den Spielhallen. In gewisser Weise kann es inhaltlich als Produkt des Kalten Krieges angesehen werden, das den Kampf zweier Gegner bis zur absoluten Vernichtung in einer einfachen elektronischen Wirklichkeit zeigte (Lischka 2002). Seither haben sich Computerkriegsspiele strukturell wenig, inhaltlich etwas und technisch massiv weiterentwickelt.

Szenarien

Die Spiele-Industrie bedient sich gerne realer Geschehnisse – Kriege, Schlachten, Feindbilder –, die mehr oder weniger akkurat in die Spielszenarien überführt oder eingebaut werden. Bei realitätsnahen Kriegsspielen werden gerne historische und aktuell gültige Feindbilder repliziert und damit weiter verfestigt. Da viele Spiele in den USA bzw. für den amerikanischen Markt produziert werden, spiegeln sich auf dem Spielemarkt vor allem die Feindbilder, Werte und ideologischen Konzepte dieser Nation wieder – exportiert in alle Welt. Neben Nazis und Ostblock traten später u.a. Libyen, der Irak, Nordkorea und (islamische) Terroristen in der Rolle des Gegners auf.

Militärische Misserfolge (z.B. Vietnam) werden in der Regel nicht modelliert oder erscheinen nur als Ausgangspunkt für ein in der Zukunft angesiedeltes Fortsetzungsszenario mit verbesserten Rahmenbedingungen. Exemplarisch sei hier auf »Back to Baghdad« verwiesen, erschienen 1996, d.h. fünf Jahre nach dem ersten Irak-Krieg (und sieben Jahre vor dem zweiten!). In dem Spiel wird erneut ein Feldzug gegen Saddam Hussein geführt, diesmal mit allen Mitteln. In der Spielewerbung wurden intensive Bezüge zum realen Militär herausgestellt (Streibl 1996).

Realitätsnähe

Für viele Spieler ist eine möglichst realitätsnahe Darstellung ein wesentlicher Faktor für die Güte eines Computerspiels. Bild und Ton sollen möglichst echt sein, dies gilt vor allem für die Waffensysteme. Die Spiele-Industrie greift dies auf und bedient sich hier gerne entsprechender Materialien des Militärs. Insbesondere bei manchen Waffensystem-Simulationen tritt eine extreme Detailverliebtheit zu Tage. Für die Produktion derartiger Spiele arbeiten die Hersteller deswegen gerne mit dem Militär zusammen (Gieselmann 2002: 99ff), welches seinerseits die fertigen Programme in modifizierter Form durchaus auch für das Training seiner Soldaten einsetzt.

Realitätsnähe bezieht sich hierbei jedoch nur auf den technischen Aspekt und die Darstellung – nicht jedoch auf Inhalt und Spielhintergrund. Fromme (2008: 193) hebt ausdrücklich hervor, dass Computersimulationen nicht nur eine technische Seite haben, sondern auch darüber hinaus „umfassend gestaltbar und insofern beeinflussbar“ sind. Die Inhalte von Militärsimulationen unterliegen somit einer doppelten Verzerrung: manche Aspekte mögen intendiert dargestellt bzw. weggelassen werden, darüber hinaus hinterlassen auch unbewusste Auswahl- und Gestaltungsprozesse ihre Spuren im Spiel. Derartige Verzerrungen muss man im Blick halten, wenn über andere Einsatzmöglichkeiten von Simulationen diskutiert wird. So warnt auch Gieselmann: „Wenn Militärsimulationen ernsthaft im Geschichtsunterricht eingesetzt würden, dann würde Geschichte schematisch nach Freund-Feind-Stilisierungen zu einer Geschichte von imperialistischen Angriffskriegen umdefiniert und allein aus der Sicht der Militärs und der Rüstungsfirmen geschildert“ (2002: 133).

Interesse des Militärs an Computerspielen

Jede andere Branche würde sich möglicherweise freuen, wenn sie im Computerspielebereich thematisch ebenso präsent wäre wie das Militär. Durch die massenhafte Existenz von Computerkriegsspielen, die offenkundig ja auch einen großen Kreis von Spielern ansprechen, findet eine Art »agenda setting« statt, d.h. militärisches Handeln bleibt als Thema dauerhaft präsent. Eine zahlenmäßige Einschätzung des Anteils von Spielen mit kriegerischem bzw. militärischem Inhalt am Gesamtspielemarkt ist hingegen schwierig, da bei genrebezogenen Analysen des Spielemarktes zwar einzelne Klassen identifiziert werden (z.B. Actionspiel, rundenbasiertes oder Echtzeitstrategiespiel, Simulation von Fahrzeugen, Flugzeugen, Schiff, etc.), diese aber nicht nach militärischen und nicht-militärischen Inhalten aufgeschlüsselt werden.

Im Folgenden werden drei spezifische Einsatzbereiche des Mediums Computerspiel aus der Sicht des Militärs betrachtet.

Werbung und Rekrutierung

Bereits 1994 versuchte die Bundeswehr, ein Computerspiel für ihre Öffentlichkeitsarbeit zu nutzen. Ein spieltechnisch eher peinliches Spiel namens »Helicopter Mission« sollte sowohl direkt in Informationstexten als auch indirekt durch Technikfaszination und Abenteuerlust Stimmung für die Truppe erzeugen. Die Veröffentlichung dieses Spieles fand wohl nicht zufällig in einer Zeit der Diskussion über eine Neubestimmung der Rolle der Bundeswehr statt: In Helicopter-Mission wurden die angestrebten neuen Aufgaben der Bundeswehr explizit implementiert – ausschließlich als Hilfs- und Rettungseinsätze ohne Kampfhandlungen (Streibl 1998: 227ff). Als eine Art Fortschreibung für das inzwischen erweiterte Aufgabenspektrum kann man »Luna Mission« ansehen, ein im Auftrag der Bundeswehr entwickeltes Online-Spiel, bei dem der Spieler eine Aufklärungsdrohne vom Typ Luna steuern und feindliche Einheiten erspähen muss (Schulze von Glaßer 2009: 6). Das Spiel ist mittlerweile auf den Webseiten der Bundeswehr nicht mehr zu finden – evtl. eine Reaktion auf kritische Diskussionen zur Nachwuchswerbung der Bundeswehr?

Deutlich erfolgreicher und in einer ganz anderen Professionalität der Gestaltung zeigt sich »America’s Army«, produziert 2002 im Auftrag der US-Armee zum Zweck der Rekrutenwerbung. Das Multiplayer-Kampfspiel basiert programmiertechnisch auf der »Unreal Engine«, die auch diversen kommerziell erfolgreichen Spielen zugrunde liegt. Missionsziele sind z.B. Geiselbefreiungen oder die Sprengung militärischer Ziele. Im Werbetrailer des Spieles hieß es plakativ: „No other army game ist his real, because nobody gets the army like the army!“ (Streibl 2003). Aktuell ist im Juni 2009 die mittlerweile dritte Version dieses Spieles veröffentlicht worden. Die Spieler organisieren sich hierarchisch wie amerikanische Infanteriegruppen: Eine »Squad« besteht aus drei »Fire Teams« von je vier Personen und wird von einem Anführer kommandiert, der zu Beginn der Runde jedem Trupp ein Marschziel zuweist. Die Spieler bzw. Soldaten kommunizieren mit Kurznachrichten oder mittels Voice-over-IP auch mündlich. Passend zur Intention des Spiels, ein sauberes Image des Militärs zu transportieren, werden Angriffe auf wehrlose Gegner negativ sanktioniert. In Ermangelung von Sanitätern leisten sich die Soldaten wechselseitig erste Hilfe, und stellen damit zugleich wieder die volle Kampfkraft her.

Direkt nach der Veröffentlichung von »America’s Army 3« wurden die Entwickler des bisher verantwortlichen Studios in Kalifornien entlassen und die weitere Entwicklung in den Stützpunkt Redstone Arsenal im US-Bundestaat Alabama verlagert. Durch diese Maßnahme soll, so verlautete aus der US-Armee, die Entwicklung des Online-Shooters konsolidiert und effizienter gestaltet werden.

Training

Seit geraumer Zeit sucht das Militär nach ambitionierten technischen Lösungen, um taktische und strategische Fragestellungen ausgiebig und für die daran beteiligten Menschen gefahrlos durchzuspielen. Ein aktuelles Produkt dieser Art ist beispielsweise »Topscene«, ein 3D-Visualisierungssystem, das gleichermaßen für Planung und Vorbereitung konkreter Missionen sowie für allgemeine Trainingsszenarien eingesetzt werden kann. Es generiert aus Satelliten-Bildern, Luftaufnahmen und Kartendaten eine virtuelle Umgebung, die ein realitätsnahes Training ermöglicht. Ein vergleichbares System, »PowerScene«, wurde 1995 sowohl bei der Vorbereitung von Kampfeinsätzen in Bosnien eingesetzt als auch zur Aushandlung des Grenzverlaufes bei den Friedensverhandlungen in Dayton (Streibl 1997).

Aktuelle Forschungstrends lassen vermuten, dass zukünftig immer ambitioniertere virtuelle Umgebungen in verschiedenen Lebensbereichen eingesetzt werden, darunter auch Trainings- und Steuerungsapplikationen im militärischen Bereich. Als künstliche 3D-Welten, die der Benutzer aus seiner subjektiven Sicht erlebt, ähneln sie in ihrer Perspektive gängigen »First Person Shooter«-Spielen. In einer aktuellen Studie von Smith und Du’Mont (2009) wurde daher untersucht, in wie weit Computerspiel-Vorerfahrung die Navigation in virtuellen Umgebungen erleichtert. Es zeigte sich deutlich, dass spielerfahrene Versuchspersonen – insb. diejenigen mit intensiverer Vorerfahrung in »First Person Shootern« – die Aufgaben signifikant besser meisterten. Nach Ansicht der Autoren ist dies auf die schnellen und genauen Bewegungen in den Spielen und die hierbei entwickelten Fähigkeiten in Koordination, Bewegung, Raumorientierung und Navigation zurückzuführen, die für einen Erfolg im Spiel notwendig sind. Darüber hinaus würde das Spielen in generalisierender Weise den Umgang mit derartigen Benutzungsschnittstellen vertraut und transparent machen, so dass spielerfahrene Personen sich schneller der geforderten Aufgabe widmen können. Vor dem Hintergrund deutlich weiter entwickelter Benutzungsschnittstellen im Spiel- wie im Militärsektor korrespondiert dieses Ergebnis mit dem bekannten, inzwischen mehr als ein Vierteljahrhundert zurückliegenden Ausspruch des US-Präsidenten Ronald Reagan: „Ich habe kürzlich etwas Interessantes über Video-Spiele gehört. Viele junge Leute haben eine unglaubliche Geschicklichkeit in der Koordinierung von Hand, Auge und Hirn bei diesen Spielen entwickelt. Die Air Force glaubt, dass diese Kinder außergewöhnlich gute Piloten sein werden, wenn sie einmal unsere Jets fliegen.“ (zit. nach Spiegel 12/1983: 250).

In den letzten vier Jahrzehnten sind – basierend auf den fortschreitenden Entwicklungen im Hard- und Softwarebereich – immense Anstrengungen unternommen worden, immer anspruchsvollere Simulationen für das Militär zu entwickeln. Michael Macedonia (2002) vom »U.S. Army Simulation Training and Instrumentation Command« hebt hervor, dass die Truppen mit Simulatoren heute nicht nur den Umgang mit ihrer immer komplexeren Ausrüstung trainieren, sondern auch, wie sie als Team im Kampfeinsatz vorzugehen haben. Neben milliardenschweren Eigenentwicklungen werden hierfür durchaus auch kommerzielle Plattformen wie die Microsoft Xbox und die Sony Playstation2 adaptiert. Dies setzt Entwicklungen fort, die 1995 mit der Entwicklung von »Marine-Doom« begannen, einer Anpassung des bekannten First-Person-Shooters »Doom«, dessen Standard-Monster in feindliche Armeeangehörige umprogrammiert wurden (Riddell 1997). In der vernetzten Trainingsumgebung erprobten sich Kampfeinheiten gemeinsam in der Simulation und übten taktische Verhaltensweisen ein. Weitere Spieleanpassungen folgten. Und aufgrund der weitergehenden Technisierung des Schlachtfeldes (z.B. ferngesteuerte oder teilautonome Drohnen) nähern sich die »Benutzungsschnittstellen« des echten Kampfeinsatzes teilweise der Simulation – um nicht zu sagen dem Computerspiel – an.

Das Militär investiert auch in grundlegende Forschungs- und Entwicklungsbereiche. So wurde 1999 mit umfangreichen finanziellen Mittel der US-Armee an der University of Southern California das »Institute for Creative Technologies« in Kooperation mit dem »Simulation & Training Technology Center« der US-Armee aus der Taufe gehoben, das nach eigenem Bekunden Spezialisten aus dem Bereich der Artificial-Intelligence-Forschung mit kreativen Köpfen aus Hollywood und aus der Computerspiele-Industrie zusammenbringen soll (ICT o.J.). Geforscht wird dort u.a. zu photorealistischen Grafiken, Immersion (= Eintauchen in künstlich geschaffene Umgebungen) und Artificial Intelligence, die Projekte widmen sich Aufgaben von der Kampfvorbereitung bis zur Nachsorge: Beispielsweise werden mit Hilfe von Mixed-Reality-Umgebungen Soldaten darauf trainiert, bei Kampfeinsätzen unter Stress kritische Entscheidungen zu treffen. Ein anderes Projekt widmet sich der Behandlung post-traumatischer Stress-Reaktionen.

Vom ICT gibt es aber auch Rückflüsse in den Spielemarkt, z.B. das dort entwickelte Echtzeit-Taktik-Spiel »Full Spectrum Warrior«, veröffentlicht 2004 für die Xbox und Windows, 2005 für die Playstation 2. Der Spieler kommandiert eine Armee-Einheit, die gegen Terroristen vorgeht – einmal mehr eine Fortschreibung der generalisierten Gut-Böse-Dichotomie des Anti-Terror-Krieges. Seit Ende 2008 ist das Spiel frei zum Download erhältlich und wenn man die diesbezüglichen Meldungen in Spielezeitschriften als Indikator für das Interesse der Spieler nehmen darf, scheint es weiterhin Resonanz für dieses Spiel zu geben.

Information Warfare

Traditionelles Kriegspielzeug war lange selbstverständlicher und meist undiskutierter Bestandteil von Kultur und Kindererziehung und hatte dabei immer auch eine politische Komponente als Mittel sozialer Kontrolle und als Trainingsinstrument (Kroner 1982a,1982b). Als ikonisches Beispiel sei auf Zinnsoldaten mit Uniformbemalung nach dem gerade aktuellen Feindbild verwiesen (Wegener-Spöhring 1995: 91f). Kroner betont, dass Kriegspielzeug – wie jedes Spielzeug – Abbild seiner Zeit, seiner politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse ist. Es dürfte oft schwierig sein, mit Gewissheit festzustellen, inwieweit der Inhalt vom »Zeitgeist« bzw. vom »Markt« geprägt oder durch sublime oder manifeste Einflussnahme politischer oder militärischer Kreise beeinflusst wurde.

Computerkriegsspiele transportieren in diesem Sinne durchaus auch Feindbilder (aktuelle, historische oder erfundene – die Wege des »Feind-Bildens« sind zumeist die gleichen und werden auf diesem Wege gleich eingeübt). Als Beispiel sei hier das Echtzeit-Strategie-Spiel »Command & Conquer: Generals« angeführt, veröffentlicht am 14.02.2003, rund einen Monat vor dem Beginn des zweiten Irak-Krieges. Das Spiel griff das seit September 2001 aktuelle Feindbild auf – die globale Bedrohung durch Terroristen. Krieg und Kampf stellen im Spielverlauf das einzige Mittel zur Konfliktlösung dar: die Vernichtung des Feindes ist überlebensnotwendig und rechtfertigt alle Mittel. Das in naher Zukunft angesiedelte Szenario inszenierte das Feindbild einer Terrororganisation GLA (Global Liberation Army) – mit grünen Turbanen (Ebler, Kuklau, Thiede, Streibl 2003).

Computerspiele sind potentiell sehr gut geeignet und funktionalisierbar, um Feindbilder zu erzeugen und zu verfestigen sowie zu einer Enttabuisierung des Militärischen beizutragen.

(Un-)Heimliches Training?

Militär, so betont Thomas Kliche am Ende eines Buchbeitrags über militärische Sozialisation, verkörpert eine Ideologie: „die geronnene Konfliktlösung durch Herrschaft, Kontrolle, kaltherzige Bürokratie und zweckmäßigen Einsatz aller Mittel ohne verwirrende Skrupel“ (2004: 352). Computerkriegsspiele spiegeln diese Ideologie wider. Sie transportieren entsprechende Denkweisen und Wertesysteme und tragen damit zur Militarisierung der Gesellschaft bei (Streibl 1998). Von ihrer Struktur und ihrem Inhalt her ergänzen und verstärken sie Entwicklungen, die durch die scheinbare Virtualisierung von Krieg und die entsprechende Medienberichterstattung vorangetrieben werden. Sie schüren – im Einklang mit der Nutzung von Simulationen zu Planungs- und Trainingszwecken beim Militär – bei Spielern und Öffentlichkeit den Eindruck, dass Kriege »programmierbar« und vorhersagbar seien. Die grob vereinfachende Reduzierung von Konfliktursachen, der Aufbau und die Verstärkung von Feindbildern, der Fokus auf militärische Handlungsalternativen als einzig mögliche, die Ausblendung der Opferseite sowie eine tiefgreifende, unkritische Technikfaszination sind nur einige dieser Prozesse.

Computerkriegsspiele stellen vor dem Hintergrund der Synergien und tatsächlicher Kooperationen zwischen Militär und Spiele-Herstellern ein Medium zum Transfer militärischer Denk- und Handlungsweisen in den Zivilbereich dar. Das Militär wiederum beobachtet, unterstützt und nutzt Entwicklungen in diesem technischen und medialen Bereich in vielfältiger Weise für die Ausbildung der eigenen Soldaten, für Werbung und Öffentlichkeitsarbeit und denkbar auch als Mittel im »Information Warfare«. Eine perfekte Symbiose. Rüstungskultur in Reinform.

Literatur

Birckenbach, H. (1979): Erziehung gegen Gewalt. Kriegsspielzeug in der aktuellen Diskussion. In: Nationale Kommission für das Internationale Jahr des Kindes (Hrsg.): Erziehung gegen Gewalt. Kriegsspielzeug in der aktuellen Diskussion. Bonn, S.28-38.

Ebler, M./Kuklau, M./Thiede, H./Streibl,R.E. (2003): Selber Krieg führen mit »Command and Conquer: Generals«. In: FIfF-Kommunikation, 20 (2): 23-26.

Fromme, J. (2008): Virtuelle Welten und Cyberspace. In: Gross, F.v./Marotzki, W./Sander, U. (Hrsg.): Internet – Bildung – Gemeinschaft. Wiesbaden: VS, S.169-201.

Gieselmann, H. (2002): Der virtuelle Krieg. Zwischen Schein und Wirklichkeit im Computerspiel. Hannover: Offizin.

Hesse, P./Mack, J.E. (1990): Die Welt ist gefährlich: Feindbilder im amerikanischen Kinderfernsehen. In: Psychosozial, 13 (Nr. 44): 7-23.

ICT (o.J.): Institute for Creative Technologies – Background. University of Southern California. http://ict.usc.edu/background (Abruf 05.07.2009).

Kliche, T. (2004): Militärische Sozialisation. In: Sommer, G./Fuchs, A. (Hrsg.): Krieg und Frieden. Handbuch der Konflikt- und Friedenspsychologie. Weinheim: Beltz PVU, S.344-356.

Kroner, B. (1982a): Definitionen von Kriegsspielzeug. In: Galerie 70 Edition (Hrsg.): Kriegsspielzeug. Ist das noch Spielzeug? 2. Aufl. Berlin: Frölich & Kaufmann, S.14-37.

Kroner, B. (1982b): Kurze Geschichte der politischen Funktion von Kriegspielzeug in Deutschland. In: Galerie 70 Edition (Hrsg.): Kriegsspielzeug. Ist das noch Spielzeug? 2. Aufl. Berlin: Frölich & Kaufmann, S.38-66.

Lischka, K. (2002): Spielplatz Computer. Kultur, Geschichte und Ästhetik des Computerspiels. Heidelberg: Heise.

Macedonia, M. (2002): Games soldiers play. In: IEEE Spectrum, 39 (3): 32-37.

Riddell, R. (1997): Doom goes to war. The Marines are looking for a few good games. In: Wired, (4): 114-118, 164-166.

Schulze von Glaßer, M. (2009): Die Bundeswehr im Kampf an der Heimatfront. IMI-Studie 01/2009. Tübingen: IMI.

Smith, S.P./Du’Mont, S. (2009): Measuring the Effect of Gaming Experience on Virtual Environment Navigation Tasks. In: Kiyokawa, K./Coquillart, S./Balakrishnan, R. (Eds.): IEEE Symposium on 3D User Interfaces 2009, Proceedings. IEEE, S.3-10.

Streibl, R.E. (1996): Spielend zum Sieg! Krieg im Computerspiel – Krieg als Computerspiel. In: Informatik-Forum, 10 (4): 203-214.

Streibl, R.E. (1997): Was Ihr wollt: PowerScene für Krieg und Frieden. In: FIfF-Kommunikation, 14 (1): 4-7.

Streibl, R.E. (1998): GAME-OVER: Die Rüstungsspirale auf Diskette und CD-Rom. In: Kempf, W./Schmidt-Regener, I. (Hrsg.): Krieg, Nationalismus, Rassismus und die Medien. Münster: Lit, S.223-233.

Streibl, R.E. (2003): Generalangriff in Echtzeit. Heute schon mal Krieg gespielt? In: FIfF-Kommunikation, 20 (2): 20-23.

Wegener-Spöhring, G. (1995): Aggressivität im kindlichen Spiel. Weinheim: Deutscher Studien-Verlag.

Anmerkung

1) Das dem Artikel vorangestellte Zitat entstammt dem Kapitel »Befehl und Verantwortung« in Elias Canettis philosophischer Schrift »Masse und Macht«.

Ralf E. Streibl ist Diplom-Psychologe und arbeitet im Studienzentrum Informatik an der Universität Bremen. Er ist Mitglied des »Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung« (FIfF) sowie des »Forum Friedenspsychologie«

»Nachgang« zum Georgienkrieg

»Nachgang« zum Georgienkrieg

Chancen einer Status-neutralen Annäherungsstrategie für Abchasien und Südossetien

von Oliver Wolleh

Der Beginn des Krieges in Südossetien im August 2008 und der daraus resultierende georgisch-russische Krieg stellt in vielerlei Hinsicht eine tiefe Zäsur in der Regulierung des georgisch-abchasischen und des georgisch-südossetischen Konfliktes dar. Die Diskussion der georgischen Krise ist bislang stark durch Betonung der geopolitischen Faktoren und Dynamiken geprägt. Dieser Artikel hat zum Ziel, die Diskussion um die Struktur des internationalen Konfliktregulierungs-Systems zu bereichern. Dazu werden einige potenziell positive Anknüpfungspunkte näher betrachtet, die auf der Ebene der (lokalen) Primärakteure liegen. Der Beitrag basiert auf der Annahme, dass eine genuine georgisch-abchasische und georgisch-südossetische Konfliktdynamik existiert.

Die katastrophalen Verluste und Konsequenzen des Georgienkriegs – vor allem für die direkt betroffenen Menschen in Südossetien und Georgien – sollen an dieser Stelle nicht näher ausgeführt werden.1 Obwohl der Bericht der unabhängigen EU-Kommission zum Kriegsverlauf noch aussteht, ist bereits jetzt deutlich dass – mit den Worten der Parlamentarischen Versammlung des Europarats – von „overwhelming evidence“ zu sprechen ist „dahingehend, dass beide, Georgien und Russland, Menschenrechte und Humanitäres Völkerrecht im Laufe des Krieges verletzt haben.“2

Eskalationsdynamiken

Die georgisch-abchasische und die georgisch-südossetische Konfliktdynamik war seit den Kriegen Anfang der 1990er Jahre keineswegs »eingefroren«, sondern durch immer wieder auftretende gewaltsame Eskalationsdynamiken geprägt. An dieser Stelle seien die Ereignisse des Jahres 1998 erwähnt, bei denen die abchasische Armee als Reaktion auf die gewaltsamen Aktivitäten georgischer Paramilitärs in der Gali-Region intervenierte und die bis dahin nach Abchasien zurückgekehrte georgische Bevölkerung erneut zu Vertriebenen und »Internally Displaced Persons« bzw. Flüchtlingen wurden. Im Sommer 2004 kam es zum Beschuss der südossetischen Hauptstadt Zchinwali durch die georgische Armee, nur wenige Monate nach der Amtsübernahme durch Präsident Saakashvili, sowie im Juli 2006 zur Kontrollnahme über das zu Abchasien gehörende Kodori-Tal durch Georgien.

Das Jahr 2006 kann als ein wichtiger Wendepunkt zur Verschlechterung der Beziehungen sowohl im georgisch-südossetischen als auch im georgisch-abchasischen Kontext gesehen werden. Obwohl nach dem gewaltsamen Zwischenfall in Zchinvali (vom Sommer 2004) der georgisch-südossetische Waffenstillstand im August desselben Jahres erneuert wurde, hatten sich die Beziehungen dramatisch verschlechtert. Im Zuge der Parlamentswahlen in Südossetien im Jahr 2006 etablierte Tiflis in dem von ihm kontrollierten Teilregionen Südossetiens eine Georgien-treue Nebenregierung unter Dimitri Sanakojew. Mit der Schaffung dieser parallelen Administration kam auf georgischer Seite die Forderung auf, dass auch diese an den Verhandlungen teilnehmen sollte. Dies wurde von südossetischer Seite abgelehnt, so dass der Verhandlungsprozess bis zum August-Krieg zum Stillstand kam.

Im abchasischen Kontext kann die bereits erwähnte Kontrollnahme über das Kodori-Tal als einer der zentralen Wendenpunkt in der Verschlechterung der georgisch-abchasischer Beziehungen bezeichnet werden, der letztlich maßgeblich zu der Dynamik des August-Krieges beigetragen hat. Ende 2005 waren die georgisch-abchasischen Verhandlungen über ein »Abkommen zur Nicht-Wiederaufnahme von Feindlichkeiten« gescheitert. In den vom Berghof Forschungszentrum ermöglichten informalen Dialogprozessen hatte der georgische Minister für Konfliktlösung und spätere präsidentielle Gesandte Kontakte zur abchasischen Führung gesucht und die Idee einer Gewaltverzichtserklärung erörtert.3 Die Idee wurde im offiziellen VN-Verhandlungsrahmen aufgegriffen und zu unterschriftsreifen Übereinkünften entwickelt. Im Dezember unterschrieben der abchasische De-facto-Außenminister Schamba und der georgische Minister für Konfliktlösung Khaindrava im Beisein der Sonderbeauftragten des UN-Generalsekretärs Frau Tagliavini eine Übereinkunft, die Entwürfe den jeweiligen Präsidenten zur Unterschrift vorzulegen. Ein wichtiger Teilschritt zur Verbesserung der Beziehung schien fast abgeschlossen bis die Übereinkunft von Präsident Saakaschvili abgelehnt wurde und Minister Khaindrava schließlich am 21. Juli 2006 – vier Tage vor der Kodori-Operation – zurücktrat.

Die Präsenz georgischer Soldaten und Polizisten in dem strategisch bedeutsamen Tal, das direkt auf die Hauptstadt Abchasiens, Sochumi, zuläuft, wurde auf abchasischer Seite als ernste Sicherheitsbedrohung wahrgenommen.4 Die russischen Peacekeeper, welche laut Mandat den Zugang zu der Schlucht hätten kontrollieren müssen, hatten sich wie auch bei den anderen größeren Gewaltzwischenfällen nicht als effektive Schutzmacht erwiesen, um das georgische Eindringen zu unterbinden.5

Neben diesem militärischen Sicherheitsaspekt wurde die georgische Aktion politisch-symbolisch aufgeladen, da Präsident Saakashvili den Sitz der bis dahin in Tiflis ansässigen abchasischen Exilregierung, die aus nach dem Krieg von 1992/93 geflohenen Georgiern besteht, in das in »Oberabchasien« umbenannte Kodori-Tal verlagerte und die Rückkehr der »legitimen abchasischen Regierung« nach Abchasien proklamierte.

Der Versuch der Führung in Tiflis, die abchasische Exilregierung international als gleichwertigen Akteur neben der Regierung in Sochumi zu etablieren, indem alle internationalen Diplomaten und ausländischen NGO-Vertreter für den Fall ihrer geplanten Reise nach Sochumi erst bei der Exilregierung vorsprechen sollten, schlug fehl, nachdem der abchasische Präsident Bagapsch gedroht hatte, dass Personen, die diesem Prozedere entsprechen würden, nicht mehr nach Abchasien einreisen könnten. Die Forderung des Abzugs der abchasischen Exilregierung wurde anfänglich von Seiten Sochumis erhoben, in den folgenden Jahren jedoch nicht mehr artikuliert, um diesen Akteur nicht politisch aufzuwerten.6

Zudem reagierte die abchasische Führung auf diese Entwicklung mit Stornierung der UN-moderierten Verhandlungen und stellte für deren Fortsetzung zwei Kernforderungen auf. Zum einen die nach Rückzug des georgischen Militärs und der georgischen Polizei aus dem Kodori-Tal, zum anderen die nach Unterzeichnung einer bilateralen Gewaltverzichtserklärung mit Georgien.

Parallel zu diesen Forderungen fing die abchasische Führung ihrerseits an, ein militärisches Vorgehen anzudrohen, wenn sich die (wahrgenommene) militärische Bedrohungssituation nicht zufriedenstellend entschärfen sollte.7 Eine abchasische Kompromissformel, die allen Seiten eine Gesichtswahrung erlaubt hätte, sah im Kern vor, dass die (georgische) polizeiliche Kontrolle des Kodori durch die lokale Bevölkerung (in georgischen Uniformen) und nicht durch aus dem Kernland Georgiens entsandte Kräfte erfolgen sollte. Mit der »Lokalisierung« der Polizeikräfte wäre auch der Demilitarisierung des Kodori Vorschub geleistet und die auf abchasischer Seite wahrgenommene Sicherheitslücke geschlossen worden. Gleichzeitig wäre die Schlucht unter georgischer Kontrolle verblieben und hätte die georgische Position nach »territorialer Integrität« nicht hinterfragt.8 Diese Lösungsformel zur Wiederbelebung des Verhandlungsprozesses wurde jedoch nicht weiter verfolgt, so dass wie im südossetischen Kontext die Verhandlungsblockade bis zum Ausbruch des August-Krieges bestehen blieb.

Im georgischen Verständnis war die Kontrollnahme über das Kodori-Tal ein erneuter Schritt zur Wiederherstellung territorialer Integrität, eine Position, die auch von der US-Administration geteilt wurde. Die europäischen Reaktionen fielen demgegenüber differenzierter aus. Einerseits wurde von Seiten der EU anerkannt und bestätigt, dass man die Wiederherstellung territorialer Integrität Georgiens unterstütze, andererseits wurde kritisiert, dass die Aktion das Moskauer Waffenstillstandsabkommens (von 1994) verletzte. Ebenso missbilligte der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen das georgische Vorgehen. Aussagekräftiger über die vorhandenen Dynamiken sind indes die Berichte des UN-Generalsekretärs. In seinem Bericht vom September 2006 werden dreizehn georgische Verletzungen des Moskauer Waffenstillstandsabkommens im Gefolge der „Einführung von Truppen, Militärfahrzeugen und Flugzeugen in die Sicherheitszone“ 9 benannt.

Die europäische Kritik und die Besorgnisse der UNOMIG (United Nation Observer Mission in Georgia) blieben indes in Tiflis ungehört und hatten keine nennenswerten Konsequenzen für die Saakashvili-Regierung. Darüber hinaus gelang es den russischen GUS Peacekeepern sowie der UNOMIG nicht, in den verbleibenden zwei Jahren bis zum August-Krieg, georgische Truppenverlagerungen in das Kodori-Tal zu unterbinden, wie die Berichte des UN Generalsekretärs belegen.

Die Kodori-Ereignisse haben daher die »Anarchisierung« der georgisch-abchasischen, georgisch-südossetischen und georgisch-russischen Konfliktdynamik noch einmal intensiviert. Auf georgischer Seite setzte sich die Überzeugung fest, dass die in zahlreichen UN-Resolutionen erwähnte Wiederherstellung der territorialen Integrität mit allen Mitteln erfolgen kann, ohne weitere politische Konsequenzen nach sich zu ziehen, während auf abchasischer, südossetischer und letztlich russischer Seite die Schlussfolgerung gezogen wurde, dass man bei der nächsten kriegerischen Auseinandersetzung die georgischen Offensivkapazitäten auch im Kernland Georgiens zerstören muss. Diese Schlussfolgerungen sind auch so – zumindest auf abchasischer Seite – kommuniziert worden und es kann als Versagen aller am Verhandlungsprozess beteiligten Akteure gewertet werden, dass es nicht gelungen ist, eine effektive Sicherheitsarchitektur zu schaffen.

Mit dem Ausbruch der Kämpfe in Südossetien kündigten die Abchasen ihren Angriff auf das Kodori-Tal an und nahmen es nun ihrerseits unter Verletzung des Waffenstillstandabkommens von 1994 ein. Bemerkenswert bei diesem Vorgehen ist, dass die abchasische Führung ihren Einmarsch in das Tal in enger Absprache mit georgischen Ministern telefonisch abstimmte, so dass es zu keinen georgischen Verlusten kam und nur zu einem durch Unfall getöteten abchasischen Soldaten.

Der Krieg – mit der Zerstörung der georgischen Offensivkapazitäten und der Verlagerung russischer Truppen nach Abchasien und Südossetien – sowie die russische Besatzung von zuvor nicht umstrittenen georgischen Gebieten haben das Geflecht aus Sicherheits- und Bedrohungsperspektiven nachhaltig verändert. Mehr noch, der Krieg und die ihm folgende rechtliche Anerkennung Abchasiens und Südossetiens durch Russland haben die bis dahin existierenden Verhandlungsformate zerstört. In dem nach dem Krieg erstellten und zurzeit aktuellen Verhandlungsformat, dem »Genfer Prozess«, sind der abchasische und südossetische Konflikt zum ersten Mal zusammengefasst. Auf internationaler Seite sind UN, OSZE und EU gleichermaßen vertreten.

Es ist praktisch undenkbar, dass Russland der Aufforderung nachkommt, die Anerkennung Abchasiens und Südossetiens zurück zu nehmen. In diesem Sinne hat sich und wird sich die Rolle der UN im Konfliktmanagement verändern, da es in absehbarer Zukunft keine UN-Resolutionen mehr geben wird, welche die territoriale Integrität Georgiens einfordern. Die »Blockade« der UN durch Russland in dieser Frage wird zu einer »Neutralisierung« der UN führen und die Dynamik der Einforderung von territorialer Integrität wird sich in andere institutionelle Zusammenhänge verlagern, voraussichtlich im Kontext der EU und des Europarates.

Annäherungs-Chancen

Dies bedeutet nicht, dass die Rolle der UN in einem zukünftigen Friedensprozess geschwächt werden muss. Gegenstand der momentanen Verhandlungen ist die Verlängerung bzw. Neu-Etablierung einer UN-Mission in Abchasien. Auf abchasischer Seite wird die Position vertreten, dass eine zukünftige UN-Mission umbenannt werden muss und nicht mehr als »Mission in Georgien« firmieren soll. Es gibt keinen Zweifel daran, dass die abchasische Führung ein hohes Interesse an der Beteiligung der UN an der zukünftigen Sicherheitsarchitektur in der Region hat. Ebenso wenig darf bezweifelt werden, dass für die nun erstarkte abchasische Führung Konstruktionen akzeptabel sind, welche das Konzept »territorialer Integrität Georgiens« (symbolisch) manifestieren. Konkret bedeutet dies, dass es entweder zur Etablierung einer Status-neutralen UN-Mission kommt oder dass das UNOMIG-Mandat mit großer Wahrscheinlichkeit ersatzlos auslaufen wird.

Ein Abzug der UN hätte nachhaltige Konsequenzen für die EU, welche mit der EUMM (European Monitoring Mission) dann die einzig verbleibende internationale Mission stellen würde. Zwar ist es der EUMM bislang nicht gelungen, ihr Mandat auf der abchasischen Seite umzusetzen, da ihnen die abchasische Regierung den Zutritt verweigert, gleichzeitig konnte die Mission unter Leitung des deutschen Diplomaten Haber auf georgischer Seite Erfolge verzeichnen, welche erkennbar zur Befriedung im georgisch-abchasischen »Grenzbereich« beitragen.

Die Anerkennung Abchasiens und Südossetiens durch Russland – sieht man von der politisch und wirtschaftlich bedeutungslosen Anerkennung durch Nicaragua einmal ab – stellt in der abchasischen Wahrnehmung mehr noch als in der südossetischen eine zwiespältige Entwicklung dar, geht sie doch mit einer noch stärkeren Anbindung und Abhängigkeit von Russland einher.

Vor allem in der politischen Elite um De-facto-Präsident Bagapsch existierte in der Vergangenheit das Konzept einer »Multi-Vektor-Politik«, welche darauf zielte und zielt, die abchasischen Außenbeziehungen nicht allein auf Russland auszurichten, sondern diese gleichwertig neben eine europäische Perspektive zu stellen.10 In diesem Zusammenhang wurde auch die Vision eines »neutralen Abchasien« formuliert, welches weder russische noch NATO-Truppen beherbergen sollte, freilich unter der Vorraussetzung einer international anerkannten Staatlichkeit.

Es ist eine der großen verpassten Chancen der letzten Jahre, dass die Bedrohungsängste vor dem großen Nachbarn Russland, welche von außen betrachtet eins der stärksten potenziellen Verbindungselemente zwischen Georgiern und Abchasen waren (und im Prinzip immer noch sind), nicht für einen Annäherungsprozess genutzt wurden. Leider verstand es die georgische Regierung nicht, sich durch eine Strategie der Annäherung und Vertrauensbildung gegenüber den Abchasen als verlässlicher Partner zu etablieren oder zumindest als kleinerer Bedrohungsfaktor als der russische. Stattdessen hat sich die georgische Regierung in der Frage der Legitimität einer militärisch erzwungenen Lösung durchgehend ambivalent verhalten. In unzähligen Erklärungen haben Präsident und Minister die Notwendigkeit zu einer friedlichen und politischen Lösung der Konflikte benannt, nur um das Bekenntnis zur Gewaltfreiheit sofort dahingehend zu relativieren, dass auch »andere Mittel« Anwendung finden müssten, wenn die territoriale Integrität nicht zeitnah in den Verhandlungen erzielt werden könne. Derlei Äußerungen wurden i.d.R von georgischen Politikern in internationalen Zusammenhängen als notwendige rhetorische Stilblüten gegenüber der eigenen Bevölkerung dargestellt. Auf abchasischer und südossetischer Seite wurden diese Äußerungen immer als Drohungen interpretiert.

Auch das abchasische Interesse an einer Annäherung an die EU konnte nicht systematisch genutzt und kultiviert werden, weil die georgische Regierung bei ihrer Strategie der Isolation der Sezessionsgebiete blieb. Dabei haben sich die Handlungsspielräume von EU-Institutionen, die abchasische und südossetische Gesellschaft zu erreichen und kooperative Beziehungen aufzubauen, bereits in den Jahren vor dem Krieg erkennbar verengt. Dies wird deutlich, wenn man die Finanzierungsmodalitäten der EU-Kommission für zivilgesellschaftliche Projekte in den Sezessionsgebieten betrachtet. So wurde der »Call for Proposals« im Frühjahr 2008 so ausgeschrieben, dass er explizit auf Georgien verwies, während die vorherigen Ausschreibungen indifferent formuliert worden waren. Die Reaktion auf abchasischer und südossetischer Seite bewirkte, dass sehr viele NGOs sich an diesem Call for Proposals nicht beteiligten, weil sie nicht in Programmen teilnehmen wollen, in denen sie als Teil Georgiens klassifiziert werden.

Eine sehr ähnliche Verengung des Beziehungsaufbaus zwischen der EU und den Sezessionsgebieten hat sich auch im Hinblick auf die Bewegungs- und Reiseprofile von Abchasen und Südosseten ergeben. Die Mehrheit der Abchasen und Südosseten verfügte bereits vor dem Krieg über einen russischen Reisepass. Seit 2002 hatte Russland angefangen, Pässe an die abchasische und südossetische Bevölkerung auszugeben, da die von diesen bis dahin verwendeten sowjetischen Pässe ausliefen. Die russische Strategie der »Passportisierung« wurde sowohl auf georgischer als auch internationaler Seite oft als eine unzulässige Einmischung in die inneren Angelegenheiten kritisiert.

Während in den Folgejahren Abchasen und Südosseten Visa für EU-Länder bei den jeweiligen Landesbotschaften in Moskau erlangen konnten und so eine relativ unkomplizierte Einreise nach Europa möglich war, hat sich in den letzten Jahren die Praxis dahingehend verändert, dass Abchasen und Südosseten nun diese Visa in den Botschaften in Tiflis beantragen müssen. Erneut führte dies zu Verweigerungshaltungen auf Seiten der Abchasen und Südosseten, da dieses Verfahren als eine symbolische Manifestation der Position interpretiert wird, dass Abchasen und Südosseten georgische Staatsbürger seien.

Ausblick

Die angeführten Beispiele machen verschiedene Aspekte deutlich. Zum einen zeigen sie, wie Isolations- und Selbstisolationsmechanismen ineinander greifen und wie Regierungen und Menschen auf Grund ihrer inneren Überzeugungen Kooperation verweigern. Das hier beispielhaft erläuterte Interaktionsmuster galt vor dem August-Krieg und gilt heute nach der Anerkennung Abchasiens und Südossetiens durch Russland umso mehr. Es kann als praktisch ausgeschlossen gelten, dass Abchasen und Südosseten Angebote und Interaktionsmuster akzeptieren werden, welche sie implizit in den Kontext georgischer territorialer Integrität stellen. Will man diese Gebiete erreichen, so ist dies in einer Status-neutralen Interaktionsdynamik möglich.

Die EU könnte nach wie vor sich als eine russische und amerikanische Interessen balancierende Kraft etablieren. Indes bleibt die georgische Regierung bei ihrer Strategie der Isolation der Sezessionsgebiete und hat durch das »Law of Georgia on Occupied Territories« die Kooperation über die Konfliktlinien hinweg noch einmal erschwert.

Anders als in der Kosovo-Frage ist sich die EU in der Ablehnung der abchasischen und südossetischen Eigenstaatlichkeit einig. In der Frage, wie und unter welchen Bedingungen man versuchen soll, die Sezessionsgebiete zu erreichen, ist die Haltung der EU-Mitgliedsstaaten jedoch weniger einheitlich. Verallgemeinernd kann man zwischen jenen unterscheiden, die einer Strategie des »Wandels durch Annäherung« offen gegenüber stehen, und jenen, welchen die Betonung der territorialen Integrität Georgiens wichtiger erscheint und für die Kooperation nur unter diesem Vorzeichen erfolgen soll. So wird es der EU sehr schwer fallen, zu einer den Status ausklammernden Annäherungs-Strategie zu kommen. Gebunden durch ihre völkerrechtliche Position und die Isolationsbestrebungen der georgischen Regierung, wird sie ähnlich wie im Zypern-Kontext nur sehr bedingt ihr Entwicklungs-, Wirtschafts- und rechtspolitischen Instrumente anwenden können. Dennoch ist ein Status-neutraler Ansatz, in dem Entwicklung und Vertrauensbildung verbunden werden könnten, nach wie vor möglich. Letztlich muss auch jede georgische Regierung zu der Verantwortung gegenüber jenen Menschen stehen, von denen sie behauptet, sie seien Staatsbürger Georgiens.

Anmerkungen

1) Vgl. Human Rights Watch (2009): Up in Flames – Humanitarian Law Violations and Civilian Victims in the Conflict over South Ossetia, URL: http://www.hrw.org; Luchterhand, O. (2008): Völkerrechtliche Aspekte des Georgien-Krieges. FES-Analyse. URL: http://library.fes.de/pdf-files/bueros/moskau/05939.pdf.

2) Parliamentary Assembly / Council of Europe (PACE) (2009): Resolution 1647, Art. 8.4, URL: http://assembly.coe.int/Main.asp?link=/Documents/AdoptedText/ta09/ERES1647.htm.

3) Wolleh, O. (2006): Difficult encounter – The informal Georgian-Abkhaz dialogue workshop, Berghof Report No. 12, Berghof Research Center for Constructive Conflict Management, Berlin; Pressemitteilung Workshop 14 (April 2005), URL: http://www.berghof-center.org/std_page.php?LANG=d&id=51&parent=3.

4) Der georgische Parlamentarier Givi Targamadze formulierte die Bedeutung des Kodori wie folgt: „Das ist ein strategisches Gebiet, von dem aus ein Flug mit dem Hubschrauber nach Sochumi nur fünf Minuten dauert.“ Civil Georgia, 26 July 2006, „Most of Kodori Under Control as Rebels Remain Besieged“.

5) Wolleh, O.: Interview mit dem Sicherheitsberater von De-facto-Präsident Bagapsch, November 2006, Sochumi.

6) Wolleh, O.: Interview mit einer Mitarbeiterin im abchasischen Außenministerium, November 2007, Sochumi; Wolleh, O.: Interview mit einem Mitglied des Abchasischen Nationalen Sicherheitsrates, November 2006, Sochumi.

7) Wolleh, O.: Interview mit dem Sicherheitsberater von De-facto-Präsident Bagapsch, November 2006, Sochumi.

8) Wolleh, O.: Interview mit einem Mitarbeiter im abchasischen Außenministerium, November 2007, Sochumi.

9) United Nations (2006): Report of the Secretary-General on the situation in Abkhazia, Georgia, 28. September 2006, S.3, URL: http://www.un.org/Docs/sc/sgrep06.htm .

10) The Proposal of Abkhaz side on the comprehensive Settlement of the Georgian-Abkhaz conflict – Key to the Future, 2005.

Dr. Oliver Wolleh ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Berghof Forschungszentrum und koordiniert seit 2003 den georgisch-abchasischen Dialogprozess. Er ist Dozent an der Alice-Salomon Fachhochschule (Berlin) und der Tbilisi State University.

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Ecuador: Indigener Protest im Amazonas

von Miriam Seemann

Der ecuadorianische Regenwald gehört zu den artenreichsten Gebieten der Welt. Im Oriente – wie das Amazonasgebiet in Ecuador genannt wird – leben heute noch etwa 150.000 »Indigenas«. Die Shuars gehören zu diesen Völkern, die noch vor ca. 40 Jahren in einem der abgeschiedensten Gebiete des Regenwaldes lebten und dadurch ihre traditionelle Lebensweise erhalten konnten. Vor ca. zehn Jahren versuchten internationale Bergbaufirmen, speziell in der Shuar-Gemeinde Warints, wertvolle natürliche Ressourcen großflächig abzubauen. Die Shuars versuchten, sich mit Macheten und Jagdwerkzeugen dagegen zu wehren. Sie fordern die Einhaltung der internationalen Menschenrechte und die Umsetzung der von Ecuador unterzeichneten ILO-Konvention zum Schutz indigener Völker.

Die Lebensverhältnisse der Shuar

Es ist 5 Uhr morgens, als Miguel Arutam zusammen mit seinen zwei Frauen und drei Kindern in Wartins, einem kleinen Dorf mitten im ecuadorianischen Regenwald, aufsteht. Miguel gehört zum Volk der Shuar, die auf der Bergkette »Cordillera del Cóndor« im Grenzgebiet zwischen Südecuador und Peru leben. Jedes Familienmitglied – selbst die Kinder – verfolgt nun routiniert seinen gewohnten Tagesablauf. Die Frauen bereiten das Frühstück vor, das aus Yucca-Wurzeln und »Chicha«, einem Getränk aus gegährten Maniok-Wurzeln, besteht. Die Kinder holen frisches Wasser vom kleinen Bach in der Nähe.

Währendessen beratschlagt Miguel mit weiteren Männern, wie sie bezüglich der Bergbauarbeiten in ihrem Dorf vorgehen sollten. Miguel sagt: „Wir Shuars unterscheiden nicht zwischen dem Eigentumsrecht auf Land und Erdboden. Wir sehen uns als Besitzer unseres Landes, in dem schon unsere Urvorfahren gelebt haben. Das beinhaltet alle Resourcen und somit auch den Erdboden. Wir akzeptieren nicht die ecuadorianische Gesetzgebung, die Bergbaukonzessionen für den Erdboden vergibt, insbesondere weil wir dabei gar nicht erst gefragt wurden.“ Warints gehört zu der Shuar-Provinz Nukui, zu der noch fünf weitere Shuar-Gemeinden gehören. Warints hat ungefähr 150 Bewohner. Es gibt nur zwei Möglichkeiten, diese Shuar-Gemeinde zu erreichen: Mit einer kleinen Propellermaschine nach einer halben Stunde Flugzeit oder zu Fuß nach 12 Stunden strammem Fußmarsch von der nächst größeren Stadt, Sucúa, entfernt. Die Shuar allerdings haben selten die finanziellen Mittel zu fliegen. Die Flugpiste wird meistens von den BergbaumitarbeiterInnen genutzt.

Miguels Familie bewohnt ihr eigenes Land und lebt wirtschaftlich autark, wie auch die anderen Shuar-Familien im Dorf. Sie leben von der Landwirtschaft, der Jagd, der Fischerei und dem Sammeln von Insekten, Früchten und Pflanzen. Heutzutage werden auch Rinder gehalten, die zum festen Bestandteil der Ernährung geworden sind. Fast 70% der Nahrungsmittel stammen aus natürlichen Ressourcen, so wie auch Produkte für Haushalt, Gesundheit, sowie Werkzeuge und Baumaterial. Daher ist die die Shuars direkt umgebende Fauna und Flora von essentieller Lebensbedeutung für sie. Trotzdem sind sie darauf angewiesen, einige Dinge aus der Stadt zu besorgen, insbesondere Salz, Kleidung, Bildungsmaterialien und einige Medikamente, was wiederum den finanziellen Druck auf viele Familien erhöht.

Der Einfluss von »Außen«

Berühmt wurden die Shuar durch den Brauch, ihren Feinden den Kopf abzuschlagen und zu einem Schrumpfkopf, der »tsantsa«, zu verarbeiten. Als einziges der bisher »entdeckten« Völker der Welt haben sich die Shuar erfolgreich gegen die europäische Eroberung ihres Lebensraumes durchgesetzt. Erst im 20. Jahrhunders kam es vermehrt zu Kontakten mit Missionaren und Kolonisten. Mit der infrastrukturellen Erschließung der Territorien hat sich in den letzten Jahrzehnten auch die Lebens- und Wirtschaftsweise vieler Shuar weitgehend verändert. In den 1960er Jahren begannen sich die Shuar mit Unterstützung der salesianischen Missionare zu organisieren. Anlass hierfür war eine Agrarreform und die Aufforderung der damaligen Regierung Ecuadors, das Amazonasgebiet zu besiedeln.

Mit der Besiedlung des Regenwaldes und der dadurch verbesserten Infrastruktur erreichten auch vermehrt Vertreter der Öl- und Bergbauindustrie die Gemeinden der indigenen Bevölkerung im Amazonas, um die reichhaltigen natürlichen Ressourcen der Region auszubeuten. Dies hatte letztendlich oft die Rodung von Regenwaldgebieten zu Folge, was wiederum für die Landwirtschaft verheerende ökologische Konsequenzen hatte.

Widerstand gegen die Bergbauunternehmen

In der Region »Cordillera del Cóndor« gibt es mehrere Bergbaukonflikte, die aus dieser Entwicklung entstanden sind. Der letzte Konflikt fand in der Shuar-Gemeinde von Warints statt. Er begann vor ca. zehn Jahren, als internationale Bergbaufirmen1 in Warints eintrafen. Diese versuchten in der Shuar-Gemeinde mit Unterstützung einiger »Mestizos«2 und in einigen Fällen von Vertretern der lokalen Regierung Bergbauaktivitäten aufzunehmen. Ihre Strategie ist simpel, aber effektiv: Sie versuchen, die Shuar-Familien mit finanziellen Mitteln zur Unterzeichnung von Verträge zu überreden, die die Zustimmung zu Bergbauaktivitäten auf ihrem Land bedeuten.

Dies hatte die soziale Spaltung der Shuar-Gemeinden zur Folge. Denn während einige Shuar-Familie weiterhin versuchen, sich gegen den Bergbau in Warints zu währen, profitierten andere Familien in finanzieller Hinsicht von seiner Umsetzung. In diesem Fall war es die Bergbaufirma Lowell, die die Spaltung der Gemeinde Warints ausgenutzt und ihre Bergbauaktivitäten dann auch 2004 begonnen hat. Die anderen 45 Shuar-Gemeinden der Region, die in der Shuar-Regierung »El Consejo de Gobierno Pueblo Shuar Arutam« (CGSHA)3 in der federalen Shuar-Dachorganisation »Federación Interprovincial de Centros Shuar« (FICSH)4 organisiert sind, lehnen Bergbauaktivitäten in der Region strikt ab.

Bereits am 11. September 2001 fand der erste offensive Wiederstand gegen die Bergbaufirma in Warints statt. Während die Zwillingstürme in New York einstürzten, haben die Shuars im tiefsten Regenwald Vertreter der Katholischen Kirche, der die Fluglinie in der Region gehört, spontan davon überzeugen können, alle Flüge nach Warints einzustellen. Das hatte zur Folge, dass alle Bergbaumitarbeiter der Firma EcuaCorriente Resources S.A., die später mit Lowell fusionierte, gezwungen waren, zu Fuß zwölf Stunden aus dem Regenwald zu laufen. Ganze zwei Jahre hatten die Shuars daraufhin Ruhe.

Eskalation des Konfliktes

Im Jahr 2003, nachdem zwei Jahre lang keine Bergbauaktivitäten in Warints zu verzeichnen waren, nahmen einige Shuar-Anführer neue Kontakte mit der amerikanischen Bergbaufirma Lowell Mineral Exploration auf. Ein Jahr später trafen Mitarbeiter der Firma zusammen mit Mitarbeitern des Ecuadorianischen Ministeriums für Bergbau und Energie in Warints ein, um die widerspenstigen Shuar-Familien davon zu überzeugen, ein neues Abkommen zu unterzeichnen und damit den Bergbauaktivitäten auf ihrem Land für die kommenden 30 Jahre zuzustimmen. Zunächst erfolglos. Doch nur sechs Monate später war es soweit: Die Shuar-Anführer unterzeichneten den Vertrag und erhielten dafür eine Zahlungszusage seitens Lowell über $100.000 Dollar. Die Verträge gelten bis heute. Nur: Nicht ein Cent kam bei den Unterzeichnern an.

Der nächste Widerstand war damit vorprogrammiert: Am 1. November 2006 taten sich mehrere Shuar-Gemeinden zusammen und entschieden, die Bergbaufirma Lowell aus ihrem Gebiet zu vertreiben. Frauen, Kinder und Männer stürmten auf die Fluglandebahn in Warints, bewaffnet mit Macheten, Stöcken und Jagdwerkzeugen. Mit Erfolg. Am nächsten Tag verließen die Mitarbeiter der Firma das Dorf. Bis heute sind die Bergbaufirmen nicht zurückgekommen.

Die weiteren Pläne der Bergbaufirmen

Zwischen 1995 und 2004, als die Bergbauaktivitäten noch in der Explorationsphase waren, wurde eine erste Bestandsaufnahme der vorhandenen Ressourcen gemacht und noch nicht mit dem Abbau von Mineralien begonnen. Eigene Untersuchungen der Bergbaufirmen ergaben, dass die Gebiete, für die sie Bergbaukonzessionen haben, hauptsächlich Kupfer, Molybdän und Gold beinhalten. Die Oberfläche dieses Kupfergürtels soll insgesamt 3.200 m² betragen (Sandoval 2004).

Aller Voraussicht nach wird diese Entdeckung langfristig zum Aufbau einer großflächig angelegten Tagebauindustrie in Ecuador führen. Dies wäre ein weiteres Beispiel in Lateinamerika, wo in naher Zukunft enorme Sozial- und Umweltschäden vorhersehbar sind. Allein der »Import« von Arbeitern durch die Bergbauunternehmen hätte eine enorme soziale Auswirkung auf die Kultur der Shuars. Die von den Konzernen importierte Geld- und Marktwirtschaft würde die nachhaltige Wirtschaftsweise der Shuars verdrängen und einen radikalen Bruch mit ihrer vorherigen Lebensweise darstellen. Darüber hinaus fehlen dem ecuadorianischen Staat die personellen, materiellen und finanziellen Mittel, um die Einhaltung der Umweltgesetze zu kontrollieren und durchzusetzen.

„Wir Shuars stehen dem sozialen und kulturellen Einfluss der »mestizos« kritisch gegenüber“, sagt Miguel Arutam. „Konkret fürchten wir uns vor Problemen wie Prostitution, Krankheiten, Alkohol- und Drogenkonsum und steigenden Preisen der Grundnahrungsmittel. Wir haben Angst davor, dass sie unsere Umwelt schädigen und unser Grundwasser verschmutzen. Wir wissen von den enormen Umweltschäden im Norden Ecuadors, die von internationalen Ölfirmen verursacht worden sind.“ Eine weitere Bergbaufirma (EcuaCorriente Resources S.A.) plant bereits den Bau von Autobahnen and Camps sowie eine Zugstrecke vom Regenwald zur Pazifikküste, um die Mineralien schnellstmöglich über den Hafen Machala zu exportieren. Bis 2001 hatte diese Firma bereits über vier Millionen Dollar in ihre Aktivitäten vor Ort investiert und über zwei Millionen Dollar für Bergbaupatentrechte gezahlt (Sandoval 2004).

Fehlende Konsultation und Verstoß gegen internationale Menschenrechte

Ein Ausgangsproblem des Konfliktes ist die mangelhafte Konsultation der betroffenen Shuar-Gemeinden sowohl durch die Bergbaufirmen als auch durch die ecuadorianische Regierung. Denn laut Artikel sechs der von Ecuador unterzeichneten ILO-Konvention 169 zum Schutz indigener Völker „(…) haben die Regierungen die betreffenden Völker durch geeignete Verfahren und insbesondere durch ihre repräsentativen Einrichtungen zu konsultieren, wann immer gesetzgeberische oder administrative Maßnahmen, die sie unmittelbar berühren könnten, erwogen werden“. Diese Konsultationen sind „mit dem Ziel durchzuführen, Einverständnis oder Zustimmung bezüglich der vorgeschlagenen Maßnahmen zu erreichen“. In Ecuador selbst ist dieser Mechanismus im Artikel 88 der Verfassung verankert.

Da nicht alle Shuar-Vertreter der indigenen Gemeinden dem Projekt zugestimmt haben, ist die Entscheidung der Bergbaufirma Lowell, mit dem Bergbau zu beginnen, nicht in Übereinstimmung mit der Verfassung. Darüber hinaus seien sie nicht ausreichend konsultiert wurden, argumentieren die Shuars. Vor allem seien ihnen wichtige Informationen, wie die möglichen Auswirkungen des Bergbaus auf die Umwelt, vorenthalten wurden.

Neben sozialen Menschenrechten, wie dem Recht auf Nahrung oder dem Recht auf Wohnen, werden auch zunehmend die bürgerlichen und politischen Rechte der Shuars beschnitten. In anderen Bergbaukonlifkten Ecuadors wurden bereits Proteste gegen die Minen mehrmals mit Hilfe der Polizei oder des Militärs blutig beendet.

Konkrete Forderungen an die Regierung und an die Bergbauunternehmen

Die Shuars fordern, im frühen Stadium der Planung der Bergbauaktivitäten mit einbezogen zu werden und so ihre freie, auf umfassende Information basierende Zustimmung (free prior informed consent)5 zu ermöglichen. Außerdem fordern sie, dass alle relevanten Dokumente wie Umweltverträglichkeitsprüfungen, Wirtschaftlichkeitsberechnungen und Projektpläne in die Sprache der Shuars übersetzt und veröffentlicht werden.

Die Shuars sind nicht partout gegen die Bergbauprojekte. Miguel Arutam sagt dazu: „Wir fordern, dass der Reichtum, der aus unserem Boden geschöpft wird, in unsere Gemeinden zurückfließt und nicht einfach abtransportiert wird. Auch wir Shuar-Gemeinden haben das Recht, vom Bergbau zu profitieren.“ Dies könnte durch die Schaffung von Arbeitsplätzen mit angemessenen Löhnen oder durch die Entwicklung der lokalen Infrastruktur (wie den Bau von Schulen und medizinischen Zentren) gelingen.

In Ecuador wurde im Januar diesen Jahres trotz massiver Demonstrationen und Straßenblockaden ein neues Bergbaugesetz verabschiedet. Die Hauptkritikpunkte daran sind, dass es inhaltlich nicht ausreichend debattiert wurde. Seine Umsetzung, so die Angst von Miguel, würde Schäden für die Umwelt nach sich ziehen und gegen die Souveränität der indigenen Bevölkerung verstoßen. Daher bliebe ihnen keine andere Wahl: Miguels Protest und der der anderen Shuars gegen die großflächige Ausbeutung von natürlichen Ressourcen auf ihren angestammten Gebieten und die Zerstörung ihrer Lebenswelt geht weiter.

Literatur

Fundación Natura (2004): Paz y Conservación Binacional en la Cordillera del Cóndor, Ecuador – Peru, Ministerio del Ambiente del Ecuador, CDC-Ecuador and Fundación Acroiris, Quito, Ecuador

Neumann, S. (1994): »Solo unidos somos fueretes«, Entstehung und Festigung ethnisch-politischer Organisationen im Tiefland vom Ecuador am Beispiel der »Federación de Centros Shuar«, Holos Verlag, Bonn.

Sandoval, F. (2004): Análisis de la actividad minera corporative en la Cordillera del Cóndor (Ecuador), Conservation International and Ambiente y Sociedad. Nicht veröffentlicht.

Anmerkungen

1) Diese sind u.a. die Firma Gastro Ecuador Gemsa (Ecuador) (1995), BHP Billington (British) (1999), EcuaCorriente Resources S.A. (Canada) (2000), und Lowell Mineral Exploration (USA) (in 2004 und aktiv bis vor kurzem) (Sandoval 2004).

2) Mestizo ist der spanische Begriff für Nachfahren von Weißen und der indigenen Bevölkerung.

3) Die CGSHA ist ein Pilotprojekt der FICSH mit dem Ziel eine unabhänige indigene Regierung zu gründen und basiert auf dem Ecuadorianischen Dezentralisierungsgesetz von 1997. Es umfasst sechs Shuar-Provinzen (Nunkui, Mayaik, Santiago, Limón y Bomboiza), 60 Shuar-Gemeinden, 8000 Personen und hat eine Fläche von ca. 211.000 Hektar (Fundación Natura, 2004).

4) Die FICSH wurde 1964 in Sucua gegründet. Es ist eine Organsiation mit einer hierarchischen Struktur, demokratisch gewählten Vertretern und einer administrativen Jurisdiktion über ein eingegrenztes Gebiet. Ziel ist der Schutz ihres Landes gegen die Interessen von anderen Siedlern, der Bergbauindustrie und der Regierung sowie der Erhalt ihrer eigenen Kultur. Heute gehören den Shuar rund 80 Prozent ihres angestammten Landes (Neumann 1994).

5) Das Konzept des »Free, Prior and Informed Consent« ist in der Erklärung zu den Rechten der indigenen Völker und in der Indigenenkonvention ILO 169 verankert.

Miriam Seemann, M.A., ist Trägerin des Nachwuchspreises 2008 der Arbeitsgemeinschaft Friedens- und Konfliktforschung. Sie studierte Lateinamerikanistik in Portsmouth, England und »Interkulturelles Konfliktmanagement« an der Alice-Salomon-Fachhochschule in Berlin. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Internationale Menschenrechte, Konfliktmanagement und die Rechte der indigenen Bevölkerung. E-Mail: miriam.seemann@yahoo.com

Ressourcenkonflikte zwischen China und Indien

Ressourcenkonflikte zwischen China und Indien

von Saskia Hieber

Berichte über die Konkurrenz und das gegenseitige »Ausbooten« chinesischer und indischer Energiefirmen im Persischen Golf oder in Afrika haben Diskussionen über mögliche Ressourcenkonflikte zwischen den asiatischen Großmächten befördert. Tatsächlich bewirkt der wirtschaftliche Aufstieg der asiatischen Schwellenländer einen wachsenden Rohstoffbedarf. Asiatische Firmen kaufen Gasfelder, Öllieferungen, Konzessionen, Minen, Metalle, Farmen und Landwirtschaftsprodukte auf der gesamten Südhalbkugel – gleichzeitig suchen Investoren neue Anlagemöglichkeiten.

Einerseits ist diese Entwicklung insofern potentiell problematisch, weil dies in einem größeren sicherheitspolitischen Kontext zu verorten ist und zusätzlich die »Energiekonkurrenz« mit älteren, erfolgreichen Volkswirtschaften in Asien – wie Japan – besteht, das fast 90% seiner Energie importieren muss. Strategische Planungen wie etwa Pipelinerouten und der Ausbau von Verkehrsverbindungen, Kommunikationswegen und militärischen Anlagen in den jeweiligen Nachbarländern tragen genauso zum gegenseitigen Misstrauen bei wie die historischen Feindseligkeiten zwischen China und Indien und alte Machtkonstellationen im asiatischen Raum (Indien und die Sowjetunion gegen China und Pakistan).

Andererseits dürfen die Möglichkeiten und Schritte zu regionaler Kooperation nicht unterschätzt werden. Neben bilateralen Einigungen besteht ein großes Potential, regionale und flexible Lösungen zu entwickeln. Als Beispiel sei der »Code of Conduct« der Anrainer des Südchinesischen Meeres genannt.1 Schließlich sind die Notwendigkeit wirtschaftlichen Handels und der in der Region traditionelle Pragmatismus, der eine Kooperation auch auf wenig institutioneller Ebene ermöglicht, konstruktive Merkmale.

Der politische Rahmen

Die Beziehungen zwischen China und Indien waren schlecht. Als Gründe gelten die Grenzkriege 1962 und die Konkurrenz um Einfluss in Südostasien, in der Himalayaregion und auf der Südhalbkugel. Die Territorialdispute, Atomprogramme und Rüstungsvorhaben sind weitere Belastungsfaktoren, ebenso wie die Instrumentalisierung alter Machtkonstellationen in Bezug auf Strukturen des Kalten Krieges, terroristische Bedrohungen und die Zukunft Pakistans. Ebenfalls für Misstrauen hat der Ausbau von Verkehrs- und Kommunikationswegen und militärischer Anlagen in Nachbarstaaten gesorgt. Hier ist insbesondere Myanmar zu nennen, durch das sich China einen Zugang zum Indischen Ozean verspricht. Auch Chinas Engagement in Pakistan und der Ausbau des Golf-Hafens Gwadar wurden in Neu-Delhi kritisch betrachtet. Umgekehrt trifft Indiens neue Präsenzstrategie, die nicht nur auf die eigenen Küstengewässern abzielt, sondern auf das gesamte Arabische Meer und den Indischen Ozean, auf Besorgnis in ganz Asien. Mohan Malik argumentierte 2004, dass die bilateralen Beziehungen eher von Wettbewerb als von Kooperation geprägt werden, da das Verbindende bzw. die ähnlich gelagerte Herausforderung genau das sei, was China und Indien trenne.2

Nun haben die Piratenüberfälle im Golf von Aden und vor der afrikanischen Küste neue Bedingungen und neue Notwendigkeiten der Kooperation geschaffen. Etwa zwei Drittel des Golf-Öls geht nach Asien. Asiens Volkswirtschaften sind nicht nur abhängig von Energieimporten, sondern auch von den Exportwegen, um die produzierten Güter auf die Märkte der Erde zu bringen. Die Offenhaltung und Freiheit von Seeverkehrswegen ist nirgendwo wichtiger als in Ostasien, das alleine weit über die Hälfte des Weltcontainerverkehrs ableistet. Das indische Militär hat in der Vergangenheit mehrfach Piraten nicht nur vor den eigenen Küsten, sondern auch in internationalen Gewässern bekämpft. Die Indische Marine beschreibt in ihrem »Vision Document« von 2006 etwa die Bedeutung, die ein dreidimensionaler, flexibler Ansatz für die Fähigkeit hat, im gesamten Konfliktspektrum sowohl in den eigenen Küstengewässern, als auch auf hoher See zu operieren.3

Chinas jüngstes maritimes Engagement Richtung Westen hat noch keine Tradition und steht in zeitlichem Zusammenhang mit dem Piratenüberfall auf einen chinesischen Frachter am 16. November 2008 im Indischen Ozean. Zwei Aussagen der Zeitung »China Daily« zu diesem Zwischenfall sind interessant: »Beijing ready to combat pirates« und der fast anklagende Hinweis, dass der Überfall im Verantwortungsgebiet der 5. Amerikanischen Flotte stattgefunden hatte (und nicht verhindert wurde). So kritisch das Pentagon und asiatische Nachbarn Chinas Marineaktivitäten betrachten, so erstaunlich ist es, dass Beijing nicht schon früher Schiffe entsandte. Ein entsprechendes Papier, in dem die Chinesische Regierung beispielsweise ankündigt, Auslandsinvestitionen im Rohstoffsektor nicht nur zu fördern, sondern auch zu schützen, liegt seit 2003 vor.4

Energiepolitik und Energieträger

In China und Indien bestimmen ähnliche Faktoren die Ressourcenproblematik und die Energiepolitik: Auf der Versorgungsseite stehen in beiden Ländern sehr große Kohlevorräte, deren Nutzungsausbau aus Gründen der Luftqualität aber problematisch ist; die eigene Öl- und Gasproduktion und die vorhandenen Anlagen sind nicht ausreichend. Beide Länder müssen immer mehr Öl importieren (Indien ca. 2/3 des Bedarfs, China fast die Hälfte); beide Länder verfügen über noch unerschlossene Energiereserven, diese liegen allerdings z.T. Offshore oder in anderweitig schwierig zu erschließenden geologischen Strukturen. Die Infrastrukturmängel stellen jeweils einen empfindlichem Engpass in der Sicherung der Energieversorgung dar. Beide Länder verfügen über große Wasserkraftpotentiale, die aber aufgrund von Umwelt- und anderen Bedenken nicht mehr so massiv ausgebaut werden können. Hinzu kommt, dass Wasserkraftprojekte die Beziehungen zu den im Vergleich zu Chinas und Indiens Größe immer kleineren Flussnachbarn belasten. Im Falle Chinas sind das südostasiatische Staaten; in Bezug auf Indien sind es Nepal, Pakistan und Bangladesch.

Auf der Bedarfsseite ist zu sehen: Das hohe Wirtschaftswachstum führt zu steigendem Energieverbrauch und der wachsende Transportsektor benötigt immer mehr Treibstoff. Der Wohlstand der wachsenden Mittelschicht vervielfacht den Strombedarf für Haushaltselektronik; Ineffizienz und Stromausfälle zeichneten die staatlichen Versorger aus. Die bisher zu niedrigen Verbraucherpreise haben zu Verschwendung und zu Einkommensverlusten bei den Energiefirmen geführt und die Erfolge von Sparprogrammen geschmälert. Beide Länder sind zunehmend auf Ölimporte angewiesen und haben ihren Jahres-Ölverbrauch in den vergangenen zehn Jahren verdoppelt: China von 160 auf fast 370 Millionen Tonnen, Indien von 75 auf fast 130 Millionen Tonnen. Es geht auch anders – wie der Vergleich mit hochindustrialisierten und produktiven Volkswirtschaften zeigt: Japan konnte seinen Ölverbrauch in den vergangenen 10 Jahren von 268 Millionen Tonnen auf 230 Millionen Tonnen reduzieren. Das industriell hoch entwickelte Deutschland verbraucht »nur« 112 Millionen Tonnen Öl pro Jahr.5 Dies hängt unmittelbar mit den durch die Ölkrisen der 1970er Jahre entstandenen Energiesparmaßnahmen und Effizienzsteigerungen zusammen.

China ist heute nach den USA der zweitgrößte Ölverbraucher und Ölimporteur der Welt. Indien steht an sechster Stelle. Chinas Ölindustrie gehört inzwischen zu den weltgrößten Produzenten, der größte Teil der Produktion wird aber im Land selbst verbraucht. Auch Indiens Ölindustrie muss sich immer mehr um internationale Projekte und Konzessionen bemühen, um den steigenden Ölbedarf des Landes zu decken. Die großen asiatischen Energiefirmen investieren inzwischen auf dem gesamten Globus, um ihre Lieferungen, Lieferanten und Lieferrouten zu diversifizieren. Zwar fließen etwa zwei Drittel des Öls des Persischen Golfs nach Ostasien und die Zahl der »Strategischen Ölpartnerschaften« mit den Öllieferanten der arabischen Welt wächst. Doch werden zunehmend Afrika und Lateinamerika zu wertvollen Energiepartnern. Angola beispielsweise liefert seit 2006 mehr Öl nach China als Saudi-Arabien.6

Die Gasmärkte sind regionalisiert: Südostasien liefert hauptsächlich an die ostasiatischen Großabnehmer, vornehmlich an Japan; Nordafrika und Russland liefern an Europa. Japan hat die Gasnutzung früh ausgebaut, in Südostasien den weltgrößten Flüssiggasmarkt aufgebaut und gehört zu den größten Gasnutzern. Erstaunlich ist der geringe Gas-Anteil von unter 4% in Chinas Energiestruktur und etwa 8% in Indien. Dies hat industrietraditionelle Gründe (Gas wurde zur Düngemittelproduktion verwendet) und mit der fehlenden Infrastruktur zu tun. Zur Gasnutzung ist ein Leitungsnetz von der Quelle bis zum Endverbraucher notwendig, was angesichts der geographischen Ausdehnung und der politisch-strategischen Landschaft Probleme bereitet. Ungeachtet vieler Pipelinepläne und Projekte und mit Ausnahme kleiner nationaler Anschlüsse verbinden bisher keine transkontinentale Leitungen etwa China mit den reichen Gasfeldern Sibiriens oder Indien mit Iran. Russlands Gas fließt bisher fast ausnahmslos nach Westen. Bis 2015 und 2020 sollen jedoch Leitungen von Sibirien nach China und Japan gebaut werden. Ein Grund für die Verzögerungen liegt in der Frage über die Kontrolle und das Aufbringen jeweils zweistelliger Milliardensummen für diese Bauvorhaben. Indien und China sind auch im Gasbereich Konkurrenten. Nicht nur vor Indiens Westküste liegen Gasvorkommen, auch Myanmar verfügt über reiche Offshore-Felder.

China verfeuert über 1.300 Millionen Tonnen Kohle pro Jahr zur Energieerzeugung, Indien 208 Millionen Tonnen. Kohle hat in China immer noch einen Anteil von 68% an der Gesamtenergiestruktur und die chinesische Regierung hat wenig Spielraum, dieses Dilemma zu lösen, ohne den Ölanteil (ca. 20%) und damit die teuren Ölimporte zu erhöhen. In Indien liegt der Kohleanteil bei 53% und der Ölanteil am Gesamtenergieverbrauch ist mit über 30% sogar noch höher als in China. Die erneuerbaren und »sauberen« Formen (dazu gehört Atomkraft) stellen nur einen Anteil von etwa 8% in China und ca. 7% in Indien an der Gesamtstruktur.7 Auf China fällt die Hälfte des weltweiten Kohleverbrauchs; nimmt man Indien und das restliche Asien hinzu, entsteht das erschreckende Bild, dass auf Asien ca. drei Viertel des Weltkohleverbrauchs entfallen. Regelungen zur Emissionskontrolle und zum Klimaschutz müssen folglich asiatische Regierungen stärker mit einbeziehen und in Verantwortung nehmen. China steht aber vielen internationalen Vereinbarungen, z.B. über verbindliche Ziele zur Reduzierung von Emissionen, zögerlich gegenüber.8 Indien setzt sich aus Gründen der Armutsbekämpfung gegen Vereinbarungen über Emissionsreduzierungen ein. Weitere indische Interessen beinhalten die Beziehungen zu den USA, auch unter dem Gesichtspunkt des Ausbaus des indischen Nuklearprogramms.

Um die Energieversorgung zu sichern, müssen die Staaten Asiens die vorhandene Energieindustrie ausbauen, Sparmaßnahmen durchsetzen und die Nutzung aller Energieformen und -träger ausbauen.9 So hat die Verwendung von Biomasse in Asien eine gewisse Tradition, wird aber erst langsam entwickelt. Dies liegt zum einen an der Dominanz der Kohle im Versorgungssystem, an der Bedeutung von Ölprodukten für den rasant wachsenden Verkehrssektor und an Mängeln in der Infrastruktur. Wasserkraft wird überall in Asien gefördert. China hat das größte Wasserkraftpotential der Welt und wird in diesen Sektor weiter investieren – ungeachtet ökologischer, sozialer und kulturhistorischer Bedenken. Indiens große Staudammprojekte haben schon früher durch ihre rücksichtslose Durchsetzung gegenüber Einheimischen für Schlagzeilen gesorgt. Nuklearkraft spielt nur in Japan eine große Rolle für die Energiegewinnung. China will zwar in den kommenden Jahren bis zu 40 Atomkraftwerke bauen, da der Energiebedarf insgesamt jedoch so stark steigt, wird diese Energieform auch in Zukunft nur etwa 2% zur Energieversorgung beitragen. In Indien beträgt der Nuklearkraftanteil ca. 1%.

Konflikt und Kooperation im Auslandsengagement

China und – mit etwas Verspätung – Indien betreiben heute eine diversifizierte Wirtschaftspolitik und sorgen durch weltweite Investitionen und den Kauf von Konzessionen im Rohstoffbereich für Versorgungssicherheit. So verschafft sich die Volksrepublik nicht nur in Nachbarstaaten, sondern auch im weiteren Asien, in Ozeanien, Afrika und Südamerika Zugang zu Energie- und Metallvorkommen.10 In Afrika wird beispielsweise ein ganzes Bündel von wirtschaftlichen und politischen Aktivitäten bemüht, nicht nur Rohstoffausbeutung und Handel, sondern auch die »Süd-Süd-Solidarität« gegen amerikanisches »Hegemoniestreben«, kaum konditionierte Hilfs- und Aufbauleistungen und Schuldenerlässe. Chinas Afrikagipfel hatte seinen Ausgangspunkt 2003, der erste Indien-Afrika Gipfel fand erst 2008 statt. Asiatische Regierungen zeigen hier einerseits neue Machtansprüche, sind aber im Gegensatz zu vielen westlichen Ländern auch bereit, Milliardensummen in den Kontinent zu investieren. Afrikanischen Länder sind alternative Ordnungsmodelle und das Nichteinmischungsprinzip willkommen. Es muss allerdings klar erkannt und kritisch kommuniziert werden, dass Chinas unkonditionierte Leistungen internationale Bemühungen in Bezug auf Korruptionsbekämpfung, »good governance«, Finanztransparenz und damit insgesamt Konfliktprävention unterlaufen.

Die chinesische Regierung hat ihrem Energie- und Rohstoffsektor ein Auswärtsprogramm verordnet und fordert Investitionen im Ausland. Im Ergebnis hat China im Vergleich zu Indien bisher etwa die zehnfache Summe in internationale Ölrechte investiert. Doch auch China hat nicht immer Erfolge – wie das abgewiesene Angebot von CNOOC (China National Offshore Oil Corporation) für Unocal zeigte. Indische Energiefirmen hatten bisher beim Versuch, ihr internationales Engagement zu vergrößern, oft das Nachsehen gegenüber der chinesischen Konkurrenz und wurden beispielsweise bei Ölgeboten in Sudan, Angola, Indonesien und Ecuador von China ausgestochen. Ein Ausdruck der chinesisch-indischen Rivalität war das chinesische Gebot von 2,3 Milliarden US-Dollar für einen 45%-Anteil am Nigerianischen Akpo-Offshore-Feld, wogegen Indien chancenlos war.11 Ein weiteres prominentes Beispiel war der indische Versuch, Ende 2005 die kanadische PetroKazakhstan zu kaufen, dabei jedoch gegen CNPC (China National Petroleum Corporation) verlor.12 Indiens Diplomatie kann sich selten gegen chinesische Interessen durchsetzen, die außerdem massiv durch außenpolitische Initiativen gestützt werden. Dennoch engagieren sich indische Firmen inzwischen in Energieprojekten in Russland, Vietnam, Indonesien, Sri Lanka (offshore), Kasachstan, Algerien, Libyen, Syrien, Yemen und Iran und investieren zunehmend auch in Afrika und Lateinamerika. Mit Iran hat Indien beispielsweise einen 40 Milliarden US-Dollar Vertrag über die Lieferung von 7,5 Millionen Tonnen Flüssiggas über 25 Jahre abgeschlossen und investiert in iranische Häfen und Straßennetze, die Verbindungen nach Afghanistan und Zentralasien verbessern sollen.13 Das indisch-iranische Hafenprojekt Chabahar steht in Konkurrenz zum chinesisch-pakistanischen Hafen Gwadar.

Allerdings erschweren angespannte Beziehungen zu Nachbarstaaten Indiens die Energiepolitik zusätzlich. Eine Gasleitung von Iran oder Turkmenistan nach Indien führt durch pakistanisches Gebiet und ist daher ohne Einigung mit der Regierung in Islamabad nicht zu realisieren. Ähnliches gilt für eine Gasleitung von Myanmar nach Indien, die durch Bangladesh laufen müsste. Myanmar gilt als Schlüsselspieler für Chinas Zugang zum Indischen Ozean – entsprechend wurde der Ausbau von Verkehrswegen von Südwest-China nach Myanmar und der Ausbau von Hafenanlagen betrieben.

China und Indien hoffen auf neue Projekte in Iran, Irak, Zentralasien und im Pazifik. Viele asiatische Länder folgen dem Instrumentenkatalog der Internationalen Energieagentur zur Versorgungssicherung: Energiesparmaßnahmen, Ausbau der eigenen Energieindustrie, Diversifizierung und Investitionen in die Infrastruktur. Offshore-Produktionen haben sowohl im Indischen Ozean als auch in den ostasiatischen Meeren neue Vorkommen erschlossen. Einige dieser Felder sind aber teilweise aufgrund technischer Schwierigkeiten (Tiefe, Qualität) und territorialer Dispute nicht erfolgreich zu bewirtschaften. Ein weiteres Problem bestand und besteht für die relativ jungen chinesischen und indischen Energiefirmen darin, dass sie im Vergleich zu den älteren westlichen Multis wie BP, Royal Dutch Shell oder Exxon Mobil weder am Gewinn der Hochpreisjahre teilhaben konnten noch über ausreichend Erfahrung verfügten und feststellen mussten, dass die »billigen« und leicht zugänglichen Felder in der Welt des Öls schon lange vergeben waren und sie zumindest bis Ende der 1990er Jahre unter einem Mangel an Managementqualifikation und Kapital litten.

Ein weiteres Feld in der Energiekonkurrenz sind ausländische Investitionen in die eigenen Raffinerien und Pipelines. Arabische Länder haben Interesse, insbesondere in China zu investieren: Saudi-Aramco und Kuwait steckten fast 8 Milliarden US-Dollar in südchinesische Raffineriekomplexe. Bei den Pipelineplänen ist auf die hohe Komplexität, die politischen Unsicherheiten, die Interessen der Großmächte und die großen Investitionssummen hinzuweisen. Deshalb erstaunt die Fülle der Projekte nicht. In Ost-West-Richtung verlaufen folgende Planungen: Russland-China-Japan, Russland-Kasachstan-China, Russland-Japan direkt, Iran-Indien und weiter im Westen SouthStream und die BTC-(Baku-Tbilisi-Ceyhan)-Leitung. In Nord-Süd-Richtung verlaufen Pläne, China mit dem Indischen Ozean, Russland mit Iran und Indien und jeweils Iran und Pakistan mit West- und Zentralasien zu verbinden. Zu den kleineren Projekten gehört die White-Oil-Pipeline, die den pakistanischen Hafen Qasim mit dem Norden des Landes verbindet und von der chinesischen China Petroleum Engineering and Construction Company gebaut wurde.14

Inzwischen gibt es aber auch Beispiele für Kooperationen zwischen chinesischen und indischen Energiefirmen. Im Iran haben sich beide Länder für die gemeinsame Nutzung einer Konzession entschieden: Irans größtes Ölfeld, Yadavaran, wird von China (50%), Indien (20%) und Iran (30%) gemeinsam betrieben. In Syrien kauften indische und chinesische Firmen gemeinsam die Rechte der kanadischen Petro-Canada an Al Furat Petroleum.15 Nach der »Strategischen Partnerschaft« 2005 wurde im Januar 2006 endlich ein chinesisch-indisches »Memorandum on Cooperation in Oil and Gas« beschlossen.

Zu der Bekämpfung der Umweltzerstörung stehen in den meisten asiatischen Ländern ausreichende Gesetze zur Verfügung – es hapert an der Umsetzung. Das Prinzip »Öffentlichkeit« birgt Chancen. So ist die chinesische Sepa (State Environmental Protection Agency) zwar relativ machtlos, konnte aber mit der Drohung, Umweltverstöße öffentlich zu machen z.B. einen Stahlproduzenten bewegen, fünf große und veraltete Werke zu schließen. Die indische Regierung tut sich durch eine andere und längere juristische Tradition leichter, Rechtsverstöße zu ahnden. Regionale Kooperation wäre hier wünschenswert, eine über Absichtserklärungen und Machbarkeitsstudien hinausgehende Umsetzung ist allerdings nicht sichtbar.

Fazit

Asien spielt für die internationale Energiesicherheit eine entscheidende Rolle durch seine wirtschaftliche Entwicklung und den anhaltend wachsenden Energiebedarf. Nicht nur China beeindruckt seit fast drei Jahrzehnten mit Wirtschaftswachstumsraten von 8-11%, auch andere asiatische Länder haben die Folgen der Finanz- und Wirtschaftskrise von 1996/76 längst überwunden und benötigen immer mehr Energie. Die Sicherung von Asiens Energieversorgung erfordert eine langfristige regionale und internationale Kooperation. Dazu wäre eine Art »asiatische Energieagentur« sinnvoll. China und Indien wären ein machtvolles Käuferkartell auf internationalen Ölmärkten. Ein weiterer Baustein in der regionalen Energiesicherheit wären gemeinsame regionale strategische Lager. Insgesamt ist ein konfrontativer Ansatz nicht förderlich und die Einbeziehung Japans unerlässlich. Für den Westen gibt es Gründe, angesichts des asiatischen Ölverbrauchs dennoch nicht in Panik zu verfallen: Die anlaufenden Sparprogramme und Preissteigerungen, das Produktionspotential der OPEC, die nicht genutzten Produktionskapazitäten in Iran und Irak und die Tatsache, dass mit Ausnahme der USA der Ölbedarf der westlichen Welt nicht mehr wächst. Die IEA sollte die Hand weiter nach Asien ausstrecken. Schließlich kommen von dort nicht nur Nachfragen nach verschiedenen Energieträgern, sondern auch nach der entsprechenden Förder-, Verarbeitungs- und Transporttechnologie und auch gewaltige Investitionen in die internationale Energieindustrie. Die gegenwärtige Situation allerdings lässt trotz gelegentlicher Zusammenarbeit chinesischer und indischer Energiefirmen durch die nationalstaatlich geprägte Interessenpolitik und innenpolitische Zwänge bisher zu wenig Raum für kooperative, regionale Lösungen.

Anmerkungen

1) Joint Declaration on the Conduct of Parties in the South China Sea, 2002, http://www.aseansec.org/13163.htm.

2) Mohan Malik (2004): India-China Relations. Giants Stir, Cooperate and Compete; In: Special Assessment Asia’s Bilateral Relations; APCSS.

3) Headquarters of the Ministry of Defence – Indian Navy: Vision Document 2006; New-Delhi, http://indiannavy.nic.in/vision.pdf.

4) State Council Information Office: China’s Policy on Mineral Resources, Beijing, http://www.china.org.cn/e-white/20031223/index.htm.

5) BP Statistical Review of World Energy 2008, www.bp.com.

6) Vgl. FACTS Inc.: China Oil and Gas Monthly, 2006.

7) Energy Information Administration (EIA): Country Analysis Brief China, Country Analysis Brief India, www.eia.doe.gov.

8) Vgl. G8 Research Group – Oxford: »Outreach Five« Country Objectives Report; Heiligendamm Summit, 2007; www.g7.utoronto.ca/oxford/g8org-ox-objectives2007.pdf, S 7 ff.

9) Chinas moderne Energiepolitik ist beispielsweise im White Paper von 2007 abgebildet: State Council Information Office: White Paper on Energy, www.china.org.cn.

10) Vgl. Saskia Hieber: Chinas Energiesicherheit; In: China aktuell; 33 (April 2004) 4.

11) People’s Daily, 13. Januar 2006.

12) Energy Security, 16. Januar 2006, www.iags.org.

13) India, China locked in energy game; in: Asiatimes, 17. März 2005.

14) www.gasandoil.com, 21. Februar 2002

15) International Herald Tribune, 22. Dezember 2002.

Dr. Saskia Hieber ist als Sinologin und Politikwissenschaftlerin an der Arbeitsstelle Internationale Politik der Akademie für Politische Bildung Tutzing und als Lehrbeauftragte am Geschwister-Scholl-Institut für Politische Wissenschaft der Universität München tätig.

Schatzkammer Arktis?

Schatzkammer Arktis?

von Jürgen Nieth

Im August 1989 öffnete Moskau zum ersten Mal für westeuropäische Journalisten die Tore von Barentsburg, mit 1.500 Einwohnern die zweitgrößte Siedlung auf dem zu Norwegen gehörenden Spitzbergen. Damals baute die Sowjetunion Untertage Steinkohle ab, genau wie Norwegen nahe der Inselhauptstadt Longyearbyen. Angesichts des Permafrostes, extremer Witterungs- und komplizierter Transportbedingungen sind damit hohe Risiken verbunden und die Produktion ist völlig unrentabel. Unter Gorbatschow demonstrierte die Sowjetunion auch auf Spitzbergen »Glasnost«, trotzdem war allen Beteiligten klar: Auch wenn es in Barentsburg keine sichtbaren militärischen Anlagen gab, der Steinkohleabbau war nur Vorwand, um während des Kalten Krieges aus strategischen Gründen auf der Insel Dauerpräsenz zu zeigen. Die Route über den Pol ist die kürzeste Verbindung zwischen den USA und der Sowjetunion und möglich wurde die sowjetische Siedlung auf Grund des internationalen »Spitzbergen-Abkommens« von 1920. 20 Jahre später hat sich die Situation völlig gewandelt: Jetzt ist die Ressourcenausbeutung in der Arktis-Region nicht Vorwand, sondern Ziel. Für den Zugriff auf Öl und Gas werfen die Anrainerstaaten ihre politische Macht in die Waagschale, mobilisieren sie fast alles, was wissenschaftlich-technisch möglich ist. In der Folge wird statt von Glasnost und Tauwetter wieder von „Kalter Krieg am Nordpol“ (Titel einer ARTE-Sendung vom 27.01.09) oder „Vom Kalten Krieg zur heißen Arktis“ (NZZ, 22.01.09) gesprochen.

Das Nordpolarmeer ist der kleinste der fünf Ozeane. Es ist von der eurasischen Landmasse (Europa und Asien) sowie von Nordamerika und Grönland eingeschlossen. Dieser Ozean besteht aus einem Tiefseebecken und den Randmeeren Barents-, Kara-, Laptew-, Tschuktschen-, Beaufort-Lincoln- und Grönland-See. Das Besondere an diesem Ozean ist, dass der Festlandsockel weit in das Meer hineinreicht und genau in diesem Festlandsockel werden große Rohstoffreserven vermutet.

Run auf Gas und Öl

Bereits heute wird ein Zehntel allen Erdöls und ein Viertel allen Erdgases in der Arktis gefördert. Den größten Anteil hat Russland. Die USA fördern Öl in Alaska und die Norweger drängen immer weiter in den Norden. Auf halben Weg zwischen Nordkap und Spitzbergen unterhalten sie in der Barentssee die nördlichste Bohrplattform. Das Gasfeld Ververis gilt „als Testgebiet für die weitere Erschließung der arktischen Energieressourcen“ (Spiegel, 15.09.08). Es geht vor allem um Öl und Gas, aber auch bei der Ausbeutung anderer Rohstoffe dringen die Anrainerstaaten immer weiter nach Norden vor.

Das kanadische Arktisterritorium Nunavut erlebt zur Zeit einen Run auf Basismetalle, Eisenerz, Edelsteine und Uran; im Nordwestterritorium geht es um Nickel, Kupfer und Platin und im Yukon um Gold, Diamanten und Öl (Handelsblatt, 14.04.08). Auf der Kola-Halbinsel fördert Russland Nickel, Kupfer und Eisenerz, in Norilksk Nickel und Kupfer, in Ostsibirien Zinn und Gold. Skandinavien baut Eisen, Kupfer und Gold ab und Alaska Zink und Blei. Hier lagern auch bedeutende Mengen nichtmetallischer Rohstoffe wie Diamanten und Gesteine.

Die Ergebnisse einer Expertenuntersuchung aus den USA dürften jetzt den Drang nach Norden weiter verstärken. Nach Schätzungen der US Behörde für geologische Forschung (USGS) vom Juli 2008 lagern geschätzte 90 Milliarden Barrel Erdöl, 47,3 Billionen Kubikmeter Erdgas und 44 Milliarden Barrel Flüssiggas nördlich des Polarkreises (USGS 2008); das ist mehr als ein Fünftel aller bisher unentdeckten Öl- und Erdgas-Ressourcen. Ein Drittel der geschätzten 90 Milliarden Barrel Öl befindet sich nach Angaben der USGS auf dem Gebiet Alaskas. Drei der fünf größten Lagerstätten von Öl und Gas liegen vor der russischen Küste (siehe Kasten).

Die Euphorie etwas dämpfend hielten die Wissenschaftler fest, dass es sich nur um Schätzungen handelt, die erst durch Probebohrungen bestätigt werden müssten; auch gebe es noch keine Berechnungen über die Erschließungskosten und damit keine Wirtschaftlichkeitsprognosen.

Trotzdem herrscht ungebrochener Optimismus in Russland: „Wir erhoffen uns Vorkommen von Öl und Gas, die etwa 20 Prozent der russischen Reserven entsprechen“, so Sergej Donskoii, russischer Vizeminister für Umwelt und Naturressourcen auf der Konferenz »Arctic Frontiers« im Januar 2009 im norwegischen Tromsö (Spiegel, 26.01.09). Ungetrübt ist auch der Optimismus in Norwegen: „Zurzeit werden im Öl- und Energieministerium in Oslo Anträge von 46 Ölgesellschaften zu insgesamt 301 neuen Bohrprojekten untersucht. 129 davon befinden sich in der Barentssee zwischen dem norwegischen Festland und Spitzbergen.“ (NZZ, 22.01.08) (siehe Tabelle)

Die fünf größten
Öl- und Erdgasvorkommen
in der Arktis
Öl Gas Gesamt *
Millionen
Barrel
Milliarden
Kubikmeter
Millionen
Barrel
1 Westsibirisches Becken 3.660 18.448 132.572
2 Arktisches Alaska 29.961 6.269 72.766
3 Östliche Barentssee 7.406 8.992 61.755
4 Ostgrönländischer Graben 8.902 2.440 31.387
5 Jenisei-Chatanga-Becken 5.584 2.831 24.920
* Summe aus Öl- und Gasvorkommen.
Gas Volumina umgerechnet in energie-äquivalente Mengen Erdöl
(Quelle: USGS 2008)

Klimawandel und neue Technik

Dass bei der Rohstoffgewinnung die Arktis stärker ins Blickfeld rückt, hat zwei Voraussetzungen: den Klimawandel und neue wissenschaftlich-technische Entwicklungen.

Klimawandel

Die Eisgrenze zieht sich im Sommer immer weiter Richtung Pol zurück. Die minimale Eisausdehnung betrug 2008 nur noch etwa 4,3 Millionen Quadratkilometer. Das ist die zweitniedrigste Ausdehnung, die jemals beobachtet worden ist, nach 2007 mit etwa 3,9 Millionen. In den 1980er Jahren waren es noch sieben Millionen. In der Süddeutschen Zeitung (20.09.08) schreibt Georg Heygster, Akademischer Direktor am Institut für Umweltphysik der Universität Bremen: „Wir haben im Sommer 2008 keine Eisfläche vorgefunden, die nur annähernd im Mittel der jahrelangen Messungen läge.“ Bereits 2007 hatten Messungen der Meereseisdicke des deutschen Forschungsschiffes »Polarstern« „eine deutliche Reduktion von etwa einem Meter ergeben“ (Bild der Wissenschaft, Juli 2008). In der Folge waren 2008 erstmals die Nordwest- und die Nordost-Passage rund um den Pol gleichzeitig schiffbar.

Nach Temperaturaufzeichnungen im nördlichsten ganzjährig bewohnten Ort der Welt, dem norwegischen Ny Alesund auf Spitzbergen, sind zwischen 2003 und 2006 die Temperaturen im Jahresmittel um 3,2 Grad gestiegen (Bild der Wissenschaft, Juli 2008). Und zahlreiche WissenschaftlerInnen befürchten, dass sich das arktische System in einem »selbstverstärkenden Erwärmungsprozess« befindet, der in den nächsten Jahren nicht zu bremsen ist. Der zunehmende Abschmelzungsprozess im Sommer führe dazu, dass weniger Sonnenstrahlen durch das Eis reflektiert und mehr durch das Wasser aufgenommen würden. Die erhöhte Wassertemperatur führe wiederum zu einer späteren Vereisung im Herbst. Die »American Geophysical Union« spricht davon, dass im November 2008 die Fläche mit neu gefrorenem Wintereis 680.000 Quadratkilometer kleiner war als im Durchschnitt der Jahre 1979 bis 2000. Der kanadische Klimaforscher David Barber kommt zu der Schlussfolgerung, dass man unter Umständen bereits 2015, 100 Jahre früher als bisher erwartet, mit einer eisfreien Arktis rechnen kann (TAZ, 19.12.08).

Der Geophysiker Wilfried Jokat vom Alfred-Wegner-Institut in Bremen weist in der Frankfurter Rundschau (26.05.08) auf weitere Faktoren hin, die zu einer Beschleunigung der Erwärmung führen können, wie z. B. die Freisetzung von Millionen Tonnen Methan bei einem Auftauen der Permafrostböden. „Das Gas ist 21 mal so klimaschädlich wie Kohlendioxid. Werden diese Treibhausgase frei, wird sich der Klimawandel noch einmal beschleunigen.“ (WWF-PE vom 25.04.08)

Neue Techniken

Während in Kanada und den USA bisher noch weitere Erkundungsbohrungen vor der Arktisküste durch Gerichtsklagen verhindert werden, strebt Norwegen die führende Rolle bei der Erschließung arktischer Lagerstätten an. In Trondheim sitzt eine ganze Abteilung daran, „neue Techniken für die harsche Umgebung der Arktis zu entwerfen. Die Ingenieure erproben, wie man mit Schleppern Eisberge wegzerrt. Sie testen spezielle Lösungsmittel, die das Öl im eiskalten Wasser binden. Sie entwerfen Tankerrümpfe, die nicht vom Eis zermalmt werden. Im ersten produzierenden Gasfeld der Barentssee, Snöhvit genannt, hat (der norwegische Staatskonzern) StatoilHydro die gesamte Produktionsanlage auf den Meeresboden verlegt, ungestört können die Eisberge über eine solche Anlage hinwegdriften.“ (Spiegel, 15.09.08)

Auch Russland plant nach Angaben der norwegischen Umweltschutzorganisation Bellona Unterwasserbohrplattformen, die in 70 bis 400 m Tiefe auf dem Meeresboden verankert werden. Bellona sieht hier aber eine besondere Gefährdung der arktischen Umwelt, weil zur Energieversorgung dieser Stationen Reaktoren mit einer 100 MW Leistung zum Einsatz kommen sollen. Auch in anderen Bereichen setze Russland auf die Atomkraft: „Mithilfe schwimmender Atomkraftwerke, atomgetriebener Eisbrecher und Tanker sowie dem Einsatz nuklearer Unterwasser-Bohrschiffe“ sollen die besonderen klimatischen und geologischen Hindernisse der Arktis überwunden werden (TAZ, 21.11.08).

Die rechtlichen Bedingungen

Die Seerechtskonvention enthält die Regeln für die Grenzziehung im Meer. Sie legt zum Beispiel fest, ob und wann ein Staat seine Wirtschaftszone über die übliche 200-Meilen-Grenze (370,4 km) ausdehnen darf. Entscheidend ist dabei, wie weit der Festlandsockel in den Ozean reicht. (siehe Kasten, S.30)

Ob die Ansprüche eines Staates gerechtfertigt sind, entscheidet eine Kommission der Vereinten Nationen. Sollten sich die Gebietsforderungen mehrerer Staaten überlappen, so kennt die Seerechtskonvention kein Schiedsverfahren, die Regierungen müssen diese Konflikte untereinander lösen.

Konfliktfelder

Es gibt zwei grundsätzlich unterschiedliche Varianten zur Aufteilung der Arktis:

Die eine möchte das Gebiet wie einen Kuchen aufteilen, indem eine Linie von den Landesgrenzen zum Nordpol gezogen wird. „Dieses Verfahren ziehen die USA vor, weil es ihnen auf Kosten Dänemarks und Kanadas ein besonders großes Stück bescheren würde.“ (Tagesspiegel, 16.08.08)

Die andere Variante sieht eine Grenzziehung entlang der Mittellinie zwischen den jeweiligen Territorialgewässern vor.

Russland steht bei beiden Varianten etwa die Hälfte des Gebietes zu. Während Russen, Kanadier, Dänen (mit den Grönländern) und Norweger ihre geologisch untermauerten Gebietsansprüche einer UN-Kommission vorlegen wollen, haben sich die Vereinigten Staaten in der Vergangenheit geweigert, die Seerechtskonvention zu ratifizieren. Mit der Deklaration von Ilulissat/Grönland 2008 sichern sie jedoch ihren arktischen Nachbarn diese Ratifizierung zu.

Doch es bleiben einige große Konfliktfelder:

Der Nordpol

Am 2. August 2007 setzten die Russen von der Tauchkapsel Mir-1 direkt unter dem geographischen Nordpol die russische Fahne aus. In den anderen Anrainerstaaten des Pols wurde das als aggressiver Akt gedeutet, es wurde als Bestätigung dafür gesehen, dass Russland Gebietsansprüche auf zwei Drittel der Arktis – inklusive des Nordpols – erhebt. Verstärkt wurden die Befürchtungen durch die Tatsache, dass das russische U-Boot auf seiner Fahrt auch Gesteinsproben aufnahm, die dazu dienen könnten, die Verbindung des Lomonossowrückens zum sibirischen Festland zu belegen. Da das Meer über diesem Unterwassergebirge sehr flach ist, könnte Russland dann tatsächlich nach der Seerechtskonvention Ansprüche auf den Nordpol erheben. Dagegen gibt es allerdings Stimmen, die davon ausgehen, dass der Lomonossowrücken in der Höhe der Ellesmere-Inseln auch mit Kanada verbunden ist; dann müsste die Seegrenze genau auf der Mitte des 1.800 km langem Unterseerückens gezogen werden. Dänemark wiederum hält dagegen, dass Unterwassergebirge grenze auch an Grönland.

Im Rahmen der Konferenz von Ilulissat/Grönland hat der russische Außenminister Lawrow versichert, dass Russland alle völkerrechtlichen Verträge über das arktische Meer weiterhin voll respektieren werde. „Die Positionierung der Flagge am Nordpol sei eher eine werbeträchtige Aktion gewesen, vergleichbar mit dem Aufstellen der amerikanischen Fahne auf dem Mond 1969.“ (FAZ, 29.05.08)

Die Hans-Insel

Kanada und Dänemark haben sich 1973 vertraglich auf den Grenzverlauf zwischen Grönland und der kanadischen Ellesmere-Insel geeinigt, nur die kleine unbewohnte Hans-Insel wurde ausgespart. Beiden Ländern geht es nicht so sehr um das trostlose Fleckchen Erde als vielmehr um die territorialen Ansprüche in der Naresstraße (vgl. Lambach, S.215).

Die Barentssee

Die Barentssee ist geologischen Studien entsprechend reich an Erdöl und Gasvorkommen. Sie liegt zwischen dem Nordkap und Spitzbergen (beide norwegisch) und den Inseln von Nowaja Semlja und Franz-Joseph-Land (beide russisch). Hier schwelt nicht nur der Streit um den völkerrechtlichen Sonderstatus von Spitzbergen, in der Barentssee sind auch die Grenzen zwischen beiden Staaten nur in Teilen festgelegt. Ein 155.000 Quadratkilometer großes Stück gilt als umstritten. Allein in diesem Gebiet werden die Erdöl und Gas-Vorkommen auf 12 Milliarden Barrel Öleinheiten geschätzt (Spiegel, 15.09.08 / Lambach, S.216).

Die Beaufortsee

Die Beaufort-See liegt vor dem US-amerikanischen Alaska und dem kanadischen Yukon-Territorium. Im August 2008 hat Kanada seinen größten Eisbrecher in dieses Gebiet entsandt. Bodenproben sollten seinen Anspruch auf Teile des Meeresbodens untermauern. Strittig ist „ein 6.250 Quadratkilometer großes Gebiet“, in dem riesige Gas- und Ölvorkommen liegen (Tagesspiegel, 16.08.08).

Die Nord-West-Passage

Die Nord-West-Passage ist das zweite Konfliktfeld zwischen Kanada und den USA. Von Asien nach Europa haben die Frachtschiffe bei Benutzung des Suezkanals zur Zeit rund 21.000 Kilometer zu bewältigen. Bei einer im Sommer dauerhaft eisfreien Nord-West-Passage verringert sich die Strecke um in Viertel auf rund 16.000 km und bei einer eisfreien Nord-Ost-Passage sogar um ein Drittel auf rund 14.000 km.

Kanada betrachtet den Wasserweg durch sein nördliches Inselarchipel als kanadisches Territorialgewässer, das auch kanadischem Recht unterliegt. Demgegenüber vertreten die USA die Position, es handele sich bei der Nord-West-Passage um eine internationale Meerenge, in der Kanada den internationalen Schiffsverkehr nicht behindern dürfe. Ähnlich argumentiert die Europäische Union.

Im August 2008 hat der kanadische Regierungschef angekündigt das kanadische Hoheitsgebiet im Polarmeer auf 200 Seemeilen – statt bisher 100 – zu erweitern. Kanada unterstreicht damit seinen Rechtsanspruch über die in dieser Zone verlaufende Nord-West-Passage. „Die fünf arktischen Länder haben zwar erst im Mai… feierlich versichert, es gebe keinen »Wettlauf zum Pol«, alle Gebietsstreitigkeiten ließen sich friedlich und nach internationalem Seerecht regeln. Die plötzliche Vergrößerung Kanadas aber zeigt, dass die Grenzen in der Arktis nach wie vor sehr flexibel sind, weil die internationalen Regeln genügend Raum für Interpretationen lassen.“ (SZ, 29.08.08)

Konfliktbearbeitung

Zur Unterstützung ihrer territorialen Ansprüche lassen die Arktis-Anrainer-Staaten von Zeit zu Zeit auch ihre (militärischen) Muskeln spielen:

Kanada schickte trotz dänischer Proteste Militär auf die Hans-Insel. Es stockt seine „arktischen Ranger-Truppen um 1.000 Mann auf, steckt über drei Milliarden Dollar in den Bau neuer eisgängiger Schiffe für die Küstenwache und baut für hundert Millionen Dollar einen neuen Marinehafen in Nanisivik.“ (Spiegel, 15.09.08)

Die USA bauen neue Eisbrecher für geschätzte 1,5 Milliarden Dollar und erhöhen die Ausgaben für die Küstenwache.

Auch Russland kündigt die Modernisierung seiner Eisbrecherflotte an. In der Barentssee führte es »angekündigte« Militärmanöver durch, die prompt von norwegischen Jagdbombern beobachtet wurden.

Selbst Dänemark übt den Militäreinsatz im Eis.

Doch trotz aller militärischer Aufrüstung, Manöver und Drohgebärden ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass sich die Anrainer am Verhandlungstisch über die Nutzung des Polarmeeres und ihre Claims einigen. Auf der Nordpolkonferenz in Ilulissat im Mai 2008 haben sich Dänemark (mit Grönland), Kanada, Russland, USA und Norwegen darauf verständigt, die Differenzen in der Arktis künftig unter UN-Regime friedlich zu lösen. Das ist zwar keine Garantie gegen militärische Abenteuer, aber alle „fünf wollen so bald wie möglich Rohstoffe fördern. Klare Grenzen sind eine Voraussetzung dafür, der Anreiz für eine Einigung ist somit stark“ (SZ, 27.05.08).

Derzeit bestimmt noch der Arktische Rat, dem die fünf Anrainer-Staaten sowie Island, Finnland und Schweden angehören, im Wesentlichen das Forschungsgeschehen und die Diskussion über Umweltfragen. Auf der Konferenz »Das Zeitalter der Arktis« im norwegischen Tromsö wurde im Januar 2009 dagegen stärker für eine neues arktisches Verwaltungssystem geworben, das auf der Basis der Internationalen Seerechts-Konvention arbeitet. Eine internationale Zusammenarbeit wurde als notwendig erachtet und die EU möchte mit ins Boot.

Als gutes Beispiel für Zusammenarbeit wird die Erschließung des gigantischen Shtokman-Gasfeldes in der russischen Arktis – rund 550 km von der Küste von Murmansk entfernt – angeführt. Aus diesem Gasfeld sollen über die Ostsee-Pipeline wesentliche Teile des europäischen Gasbedarfs gedeckt werden. „Der russische Konzern Gazprom hält 51 Prozent der Anteile, der Rest verteilt sich auf ausländische Partner.“ (NZZ, 22.01.09)

Die deutsche Industrie setzt offensichtlich mit staatlicher Unterstützung auch auf eine »profitable Kooperation« bei der Ausbeutung der Arktisressourcen. Die deutsche »Polarstern«, eines der modernsten und bestausgerüsteten Forschungsschiffe für die Polarregionen, hatte z.B. im Jahr 2008 russische Wissenschaftler an Bord, was der Stern (11. Sept. 2008) wie folgt wertet: „Die Russen könnten mit den (von der Polarstern gewonnenen) Daten ihre Ansprüche auf riesige Gebiete um den Lomonossow- und den Mendelejew-Rücken untermauern, während deutsche Firmen im Gegenzug Joint Ventures mit Gazprom eingehen.“ Der größte deutsche Erdöl- und Erdgasproduzent, Wintershall, besitzt bereits eine Partnerschaft mit diesem russischen Konzern, um ein 600-Milliarden-Kubikmeter-Feld im hohen Norden zu erschließen.

Ungelöste Umweltprobleme

Doch auch dann, wenn alle Streitigkeiten über noch nicht festgeschriebene Grenzen gelöst werden, wenn bei der Ausbeutung der Rohstoffe internationale Zusammenarbeit groß geschrieben werden sollte, gibt es neue große Gefahrenpotenziale bei der Energieausbeutung im Hohen Norden. Zunächst muss festgehalten werden, dass dort genau die Rohstoffe gefördert werden, die für den Klimawandel wesentlich mitverantwortlich sind. Förderung und Verbrauch beschleunigen also den Erwärmungsprozess, dessen weltweite Folgen nicht abzuschätzen sind. Außerdem nehmen mit zunehmender Öl- und Gasförderung sowie einem wachsenden Schiffsverkehr die Gefahren einer Umweltkatastrophe zu. Die Folgen des Tankerunglücks der Exxon-Valdez vor 20 Jahren vor der Südküste Alaskas sind z. B. bis heute spürbar. Der »Exxon Valdez Oil Spill Trustee Council« stellt fest, dass auch nach zwanzig Jahren das „Öl in der Umwelt weiter fortbesteht und stellenweise nahezu ebenso toxisch ist wie in den ersten Wochen nach dem Unfall.“ Er geht davon aus, dass das Öl durch die Kälte nur mit einer Rate von null bis vier Prozent pro Jahr abgebaut wird. Somit könne es „Jahrzehnte und möglicherweise Jahrhunderte dauern, bis das Öl der Exxon Valdez vollständig verschwunden ist.“ (FR, 24.03.09)

Die TAZ (07.02.08) berichtet über eine Konferenz von AMAP (Arctic Monitoring and Assessment Programme): „Beiträge von ForscherInnen in Tromsö machten deutlich, dass nach ihrer Auffassung mehrere Öl- und Gasgewinnungsprojekte in Angriff genommen wurden, obwohl es bislang an grundlegender Forschung über deren mögliche Auswirkungen fehlt. So gebe es kaum belastbare Dokumentationen über die Folgen bisheriger Aktivitäten. Auch wisse man viel zu wenig über die möglichen kumulativen Konsequenzen aller neuen Projekte auf das arktische Ökosystem. Unerforscht seien auch die Folgen eines Ölaustritts in eisbedeckten Gewässern und wie dort eine Ölpest bekämpfte werden könnte.“ Im selben Artikel heißt es, die USA würden 60 Empfehlungen von WissenschaftlerInnen zurückhalten, die in ihrem Auftrag die Gefahren der Öl- und Gasgewinnung in der Polarzone untersucht hätten. Ein zusätzliches Gefahrenpotenzial käme hinzu, wenn die norwegische Umweltorganisation Bellona Recht hat und Russland zur Öl- und Gasausbeutung tatsächlich auf nukleare Techniken setzt.

Für die Antarktis existiert ein Moratorium, das jegliche Nutzung von Mineralien, Erdöl und Erdgas verbietet. Doch dieses Abkommen ist über 50 Jahre alt und es wurde sicher damals auch deshalb möglich, weil eine Förderung von Rohstoffen in den Polregionen nicht im Bereich des Möglichen lag. Ein internationales Abkommen, das dem Umweltschutz in der Arktis Rechnung trägt, ist angesichts abschmelzender Polkappen und neuer Technik heute viel schwerer zu erreichen, aber es ist notwendiger denn je.

Die Seerechtskonvention

Hoheitszonen

Das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen ist im Wettstreit um die Arktis das maßgebliche Dokument. Es teilt die Meere in nationale und internationale Hoheitsgebiete. Mit 320 Artikeln ist sie sehr umfangreich. Sie trat 1994 in Kraft und wurde bisher von 155 Staaten ratifiziert. Als einzige große Industrienation haben die USA die Konvention bisher nicht ratifiziert.

Allgemeine Regel

Küstenstaaten haben ein Recht auf eine »ausschließliche Wirtschaftszone« von 200 Seemeilen. Dieses Hoheitsrecht erlaubt ihnen die alleinige Fischerei und die Ausbeutung der Bodenschätze.

Wichtige Ausnahme

Kann ein Staat nachweisen, dass sich der eigene Festlandsockel unter der Meeresoberfläche fortsetzt, können die Vereinten Nationen dem Land einen größeren Nutzungsbereich auf dem Meeresboden zugestehen. Die Konvention setzt als Grenze 350 Seemeilen. Diese kann aber weiter über dem Festlandsockel in das Meer hinaus verlagert werden bis zu einem Punkt, wo das Meer 2500 Meter tief ist und darüber hinaus noch 100 Seemeilen.

Zeitplan

Der Wettlauf um die Arktis ist aktuell auch deshalb so stark entbrannt, weil es Fristen für die Anmeldung von Ansprüchen gibt. Die Staaten müssen ihre Ansprüche zehn Jahre nach Ratifizierung angemeldet haben. Für die meisten Staaten ist das der Mai 2009 (die Staaten, die die Konvention vor 1999 ratifiziert haben, haben eine entsprechende Verlängerung erhalten). Kanada hat erst 2003 ratifiziert und entsprechend Zeit bis Ende 2013 und Dänemark sogar bis 2014.

Literatur

Lambach, Daniel: Die Arktisregion – Von Kooperation zu Konfrontation, in Friedensgutachten 2008, Lit-Verlag, Münster, S.207-218.

Oster, Lisa: Goldgräberstimmung in der Arktis, IMI-Analyse, 2008-017, Tübingen.

USGS 2008: http://certwapper.cr.usg.gov/rooms/we/index.jsp, abgerufen 10.02.09.

Winkelmann, Ingo (2007): Wem gehört die Arktis?, SWP-Studie.

Zitierte Zeitschriften:

Bild der Wissenschaft

Der Spiegel

Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ)

Frankfurter Rundschau (FR)

Handelsblatt

Neue Zürcher Zeitung (NZZ)

Stern

Süddeutsche Zeitung (SZ)

Tagesspiegel

tageszeitung (TAZ)

Jürgen Nieth ist seit 1995 im Redaktionskollektiv von »Wissenschaft und Frieden«. Der Arktis gilt seit Jahren sein besonders Interesse und er gehörte zu den Westeuropäern, die 1989 als erste ins russische Barentsburg auf Spitzbergen einreisen konnten.

Biopiraten im Kreuzfeuer

Biopiraten im Kreuzfeuer

Die Nutzung genetischer Ressourcen als globales Konfliktfeld

von Michael Frein

Biopiraterie – diesen Vorwurf können sich Unternehmen einhandeln, die genetische Ressourcen nutzen, ohne die Regeln der UN-Konvention über die biologische Vielfalt (CBD) zu beachten. Dabei geht es um Umweltschutz, aber eben auch um Interessen der Industrie, der Industrie- und Entwicklungsländer, der Forschung und der indigenen Völker. Wie so oft: Den Schlüssel zur Konfliktlösung halten die Industrieländer in den Händen.

Bereits in den frühen Tagen der Debatte traten die Konflikte zwischen Nord und Süd, zwischen Industrie- und Entwicklungsländern, deutlich zu Tage. Im Anschluss an den 1987 von der UN-Kommission für nachhaltige Entwicklung präsentierten Bericht »Our Common Future« (Hauff 1987) machten sich die Staaten daran, die neueren Erkenntnisse der Debatte um eine nachhaltige Entwicklung in völkerrechtlich verbindliches Recht zu gießen. Dabei hatten die Industrieländer Umweltabkommen im Sinn, die Entwicklungsländer Unterentwicklung und globale soziale Gerechtigkeit. Schlussendlich reflektieren die Ergebnisse der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung, die 1992 in Rio de Janeiro stattfand, beide Anliegen. Die Erklärung von Rio und die Agenda 21 betonen, dass Umwelt und Entwicklung zwei Seiten einer Medaille darstellen.

Dieses Verständnis liegt auch der Konvention über die biologische Vielfalt (Convention on Biological Diversity – CBD) zugrunde, die neben der Klimarahmenkonvention das einzige völkerrechtlich verbindliche Ergebnis der Rio-Konferenz darstellt. Der Verhandlungsbeginn spiegelt noch das Interesse der Industrieländer am Schutz des tropischen Regenwaldes wider. Die Entwicklungsländer, so die Vorstellung im Norden, sollten verbindliche Verpflichtungen zum Schutz ihrer Primärwälder eingehen. Dieser Ansatz wurde im Verlauf der Verhandlungen gleich mehrfach erweitert: Zunächst wurde der Geltungsbereich des neuen Abkommens auf die gesamte biologische Vielfalt ausgeweitet, sodann sollte es nicht nur um Schutz und Erhaltung gehen, sondern auch um die nachhaltige Nutzung der biologischen Vielfalt (vgl. Friedland, Prall 2004; Plieninger, Bens 2008) und schließlich um die gerechte Aufteilung der Vorteile, die aus der Nutzung entstehen.

Insbesondere die letztgenannte Erweiterung ist Ergebnis des Drängens der Entwicklungsländer, die der Ausbeutung ihrer genetischen Ressourcen durch die Unternehmen des Nordens Einhalt gebieten wollten. Der Hintergrund ist, dass die biologische Vielfalt der Länder des Südens die Grundlage für viele Medikamente, aber auch andere Produkte wie Kosmetika und Nahrungsergänzungsmittel, enthält, die in Unternehmen des Nordens produziert und vermarktet werden (Holm-Müller/Täuber 2008).

Worum es geht

Dabei hatten die Entwicklungsländer Fälle von Biopiraterie wie den Neembaum im Auge. Auf dem indischen Subkontinent beheimatet, wird er dort seit Jahrhunderten genutzt – das Holz ist resistent gegen Termitenfraß, die Zweige dienen als Zahnbürste mit integriertem Schutz vor Bakterien, die Blätter ergeben Tierfutter mit Wirkung gegen Würmer, aus den Samen werden Seife, Lampenöl und Mittel gegen Insekten- und Pilzbefall gewonnen. Für die letztgenannte Wirkung gab das Europäische Patentamt 1994 einem Antrag des Agro-Unternehmens W.R. Grace und des US-Landwirtschaftsministeriums statt. Mehr als 200 Organisationen aus 35 Ländern konnten mit Hilfe alter Schriften nachweisen, dass es sich dabei nicht um eine neue Erfindung handelte, sondern um ein längst bekanntes Produkt aus der traditionellen indischen Landwirtschaft. Im Jahr 2000 widerrief das EPA seine Patenterteilung; aufgrund des Widerspruchs der Schutzrechteinhaber konnte das Patent jedoch erst im März 2005 endgültig für nichtig erklärt werden. Im Laufe des über zehn Jahre währenden Streites blieben die Rechte des Patentinhabers unberührt. Zudem wurde der Widerruf des Patentes nicht mit einer Verletzung der Regeln der Konvention über die biologische Vielfalt begründet, sondern erfolgte auf Basis des Patentrechts (Frein/Meyer 2008).

Von einem anderen Beispiel, bei dem ebenfalls traditionelles Wissen eine bedeutende Rolle spielt, berichtet die südafrikanische NGO »African Center for Biosafety«. Die Geschichte beginnt im Jahre 1897, als die ärztliche Diagnose für Charles Henry Stevens auf Tuberkulose lautete, zu jener Zeit auch in seiner Heimat Birmingham eine lebensbedrohende Angelegenheit. Sein Arzt riet ihm, des besseren Klimas wegen zu einer Reise nach Südafrika. Dort traf Stevens auf den traditionellen Heiler Mike Kijitse, der ihm aus den gestoßenen Wurzeln einer kleinen Blume einen Trank zubereitete. Das Ergebnis war verblüffend: Nach etwa drei Monaten fühlte sich der Patient wieder vollständig gesund. Stevens erprobte den Zaubertrank noch in Südafrika erfolgreich an weiteren Tuberkulose-Patienten. Zurück in England erklärte sein Arzt ihn für geheilt. Über die Geschichte mit dem Sud aus den Wurzeln der Kapland-Pelargonie, einer ausschließlich in Südafrika und Lesotho vorkommenden Geranienart, schüttelte der Mediziner jedoch den Kopf.

Dennoch: In den 1930er Jahren erreichte der Ruf von den erstaunlichen Fähigkeiten der Kapland-Pelargonie die Berliner Charité. Auch hier verliefen die Tests so erfolgreich, dass ein Unternehmen aus Regensburg, 1923 von dem Apotheker Johannes Sonntag als JSO-Werk gegründet, einen Pelargonienextrakt als Medikament auf den Markt brachte. Heute heißt das Unternehmen ISO-Arzneimittel und gehört zur Dr.Willmar-Schwabe-Unternehmensgruppe aus Ettlingen bei Karlsruhe, das Medikament auf der Basis der Kapland-Pelargonie wird unter dem Markennamen UMCKALOABO vertrieben, mit einem jährlichen Umsatz von ca. 50 Millionen Euro (Koyama/Mayet 2006, African Center for Biosafety 2008).

Die stoffliche Basis für UMCKALOABO bildet die Kapland-Pelargonie. Genau so unverzichtbar ist allerdings das traditionelle Wissen über ihre Nutzung, das über Mike Kijiste, Charles Henry Stevens und die Berliner Charité nach Deutschland gekommen ist. Dazu heißt es auf der Internetseite www.umckaloabo.de, mit der für UMCKALOABO geworben wird: „Wirksame Hilfe kommt erstaunlicherweise nicht aus den Forschungslabors der Chemieriesen, sondern aus der Savanne Südafrikas. Aus dem Wurzelsud der Kapland-Pelargonie, der aus der Volksmedizin der Zulus schon vor über hundert Jahren seinen Weg in die europäische Medizin fand, entwickelten deutsche Pflanzenforscher das Medikament UMCKALOABO.“

Nun mag strittig sein, wie weit man in der Geschichte zurück gehen soll, um von Biopiraterie sprechen zu können. Im Falle der Kapland-Pelargonie geht es allerdings auch um aktuelle Patentanmeldungen (Koyama/Mayet 2006) und weitere Umstände, die den Vorwurf der Biopiraterie begründen können. Wie dem auch sein mag: Solche und ähnliche Biopiraterie-Fälle (vgl. Frein/Meyer 2008) hatten die Entwicklungsländer im Sinn, als sie bei den Verhandlungen zur Konvention über die biologische Vielfalt nach einer gerechten Aufteilung der Vorteile aus deren Nutzung verlangten. Die Industrieländer waren von diesem Ansinnen wenig begeistert, sahen jedoch letztlich keine andere Möglichkeit als zuzustimmen, wenn sie ihr ursprüngliches Ziel, den Schutz und die Erhaltung, durchsetzen wollten. Das ist der übergreifende politische Deal, der zur Konvention über die biologische Vielfalt führte, die im Dezember 1993 in Kraft trat.

Was ist eine genetische Ressource?

Damit hat die CBD drei – gleichberechtigte – Ziele: Die Erhaltung der biologischen Vielfalt, ihre nachhaltige Nutzung und die gerechte Aufteilung der Gewinne, die aus der Nutzung entstehen. Mit Blick auf das letztgenannte Ziel regelt die Konvention die Nutzung genetischer Ressourcen. Aber was ist eine genetische Ressource? Der Konvention zufolge handelt es sich dabei um genetisches Material von tatsächlichem oder potentiellem Wert, wobei genetisches Material wiederum jedes Material pflanzlichen, tierischen, mikrobiellen oder sonstigen Ursprungs ist, das »funktionale Erbeinheiten«, also Gene, enthält.

Was nicht einfach klingt, ist tatsächlich auch Gegenstand einer erbitterten Debatte. Während Industrie und Industrieländer die These vertreten, dass damit nichts anderes als Gene gemeint sein können, beharren Entwicklungsländer und Nichtregierungsorganisationen darauf, dass diese Definition die biochemischen Extrakte und Wirkstoffe einer Pflanze einschließt. Diese Debatte ist keinesfalls akademisch, dahinter stecken handfeste politische Interessen. Denn tatsächlich spielen pflanzliche Gene für die Herstellung von Kosmetika oder Medikamenten kaum eine Rolle, im Unterschied zu biochemischen Substanzen. Bezöge sich ein internationales Abkommen aber ausschließlich auf Gene, so bliebe deren Nutzung davon unberührt (Meyer 2009).

Gemeinsames Erbe der Menschheit versus staatliche Souveränität

Denn nur mit Blick auf die Gene wären die Nutzer an die CBD-Regeln gehalten. Dort wurde erst einmal festgelegt, dass die biologischen Vielfalt nicht länger ein gemeinsames Erbe der Menschheit darstelle, sondern der Souveränität eines jeden Staates unterstehe, auf deren Gebiet sie vorkomme. Vorbei sind damit die Zeiten, in denen es völkerrechtlich unbedenklich war, in der Fremde Pflanzen zu sammeln, um sie im heimischen Labor mit welchem Interesse auch immer zu untersuchen. Der Zugang ist nun erst einmal versperrt, die CBD knüpft ihn an die vorherige informierte Zustimmung des Bereitstellers. Mit anderen Worten: Ein Unternehmen oder ein Forschungsinstitut muss bei einem ausländischen Staat um Erlaubnis fragen, ob es eine Pflanze nutzen darf. Bei dieser Anfrage muss es auch über Zweck und Art der beabsichtigten Nutzung informieren. Im gleichen Zuge ist dann über einen gerechten Vorteilsausgleich zu verhandeln, der in einer finanziellen Beteiligung, aber auch in Form von Technologietransfer oder in anderer Weise erfolgen kann. Wenn dies alles unterbleibt, sprechen zunehmend nicht länger nur NGOs und indigene Völker von Biopiraterie.

Bei den Bereitstellern einer genetischen Ressource handelt es sich, bei einer UN-Konvention kaum überraschend, um Staaten. Jedoch ist die Nutzung einer Pflanze meist eng mit traditionellem Wissen gekoppelt. Ohne Mike Kijitse gäbe es wohl kein Umckaloabo. Die Träger dieses traditionellen Wissens, meist Angehörige indigener Völker, erkennen den Staat nicht als legitimen Akteur an, wenn es um die Entscheidung über die Nutzung ihrer genetischen Ressourcen geht. Sie kritisieren die CBD, weil sie sie bei der Entscheidung über den Zugang außen vor lässt und in der Frage der Vorteilsaufteilung lediglich vage von der Förderung traditionellen Wissens und Folklore im Rahmen der nationalen Gesetzgebung die Rede ist (Harry, Kanehe 2004). Vertreter indigener Völker verweisen stattdessen auf ihre Rechte an ihrem Land, und, davon abgeleitet, an ihren genetischen Ressourcen (Victoria Tauli Corpuz 2004). Rückenstärkung erhalten sie dabei auch von internationalen Vereinbarungen, so etwa dem ILO-Abkommen über „eingeborene und in Stämmen lebende Völker in unabhängigen Ländern“ von 1989 und jüngst der UN-Erklärung über die Rechte indigener Völker aus dem Jahre 2007.

Der gordische Knoten: Industrie, Industrieländer, Forscher, Entwicklungsländer, indigene Völker, NGOs

Die Lage ist mithin von einem Gewirr unterschiedlicher Interessen gekennzeichnet. Die Regierungen der Industrieländer versuchen, die Belastungen für ihre Industrien möglichst gering zu halten. Die USA sind gar nicht erst Mitglied der Konvention geworden. Andere trachten danach, entweder den freien Zugang zu den genetischen Ressourcen der Entwicklungsländer zu erhalten (Japan, Kanada) oder die Kosten möglichst gering zu halten (EU). Dies soll erreicht werden etwa durch den Verweis auf existierende freiwillige Lösungen oder die Verweigerung, die Instrumente des dritten Konventionsziels verbindlich in nationales Recht umzusetzen. Entsprechend verzögern die Industrieländer seit 2004 laufende Verhandlungen für ein neues internationales Regime zu Zugang und gerechtem Vorteilsausgleich, die aus Sicht der Entwicklungsländer genau dies bewirken sollen, und versuchen, wie etwa die EU, eine Art Recht auf Zugang festzuschreiben. Und schließlich gehört in diese Reihe, zentrale Begriffe wie den der genetischen Ressourcen so zu definieren, dass er den eigenen Interessen dient, im vorliegenden Falle die ökonomisch interessanten Fälle aus dem Geltungsbereich des Regimes ausgrenzt. Die Industrie unterstützt und forciert diese Position, weite Teile des wissenschaftlichen Betriebs im Grunde ebenfalls, wenn das Prinzip der vorherigen informierten Zustimmung als Angriff auf die Freiheit der Forschung interpretiert wird. Ob dies aus taktischen Gründen geschieht oder eher naiv die dahinter liegenden ökonomischen und politischen Interessen einfach ausgeblendet werden, bleibt vielfach unklar.

Die Regierungen der Entwicklungsländer streben ein internationales Regime an, das sie in ihren Interessen unterstützt. Dabei führen sie in der Verhandlungsarena gegenüber den Industrieländern die Rechte ihrer indigenen Bevölkerung ins Feld. Gleichzeitig können sie sich jedoch nicht von dem Verdacht befreien, diesen Anspruch nach innen nicht einzulösen. Gegenüber den Industrieländern machen sie – nicht unbedingt immer offen, aber immer offensichtlicher – Fortschritte bei der Erhaltung der biologischen Vielfalt abhängig von Fortschritten bei der Frage der gerechten Vorteilsaufteilung.

Indigene Völker wiederum sehen sich gleich mehreren Fronten gegenüber: Der Industrie, die ihre genetischen Ressourcen und ihr traditionelles Wissen ohne ihre Zustimmung ausbeutet, werfen sie Biopiraterie vor, ebenso den Regierungen der Industrieländer, die diese Praxis rechtlich absichern. Gegenüber ihren eigenen Regierungen lautet der Vorwurf auf Nichtanerkennung ihrer Rechte, vor allem des Rechts auf ihr Land. Nichtregierungsorganisationen verlangen wie indigene Völker ein Verbot von Patenten auf Leben, sie warnen vor einer Kommodifizierung der Natur (BUKO-Kampagne gegen Biopiraterie 2005) beziehungsweise fordern, die Rechte indigener Völker anzuerkennen und sie im Verfahren zur vorherigen informierten Zustimmung als entscheidende Instanz zu etablieren (Frein 2008).

Die Lösung: Der Reisepass für genetische Ressourcen?

In diesem Rahmen fokussieren die Diskussionen auf einen Herkunftsnachweis beziehungsweise ein Zertifikat, das genetische Ressourcen auf ihren Reisen um den Globus wie einen Pass begleiten soll. Der Experten-Vorschlag sieht für jede genetische Ressource ein Zertifikat vor, das deren Herkunft offen legt sowie das Vorliegen einer vorherigen informierten Zustimmung und einer Vereinbarung zum gerechten Vorteilsausgleich bescheinigt. Darüber hinaus wird unter anderem vorgeschlagen, dass das Zertifikat Einschränkungen für den Nutzer sowie Bedingungen der Weitergabe an Dritte festhält. Mit Blick auf traditionelles Wissen wird die gesonderte vorherige informierte Zustimmung der Träger dieses Wissens vorgeschlagen.

Die Kollisionen mit dem Patentrecht sind offensichtlich. Denn eine Bedingung zur vorherigen informierten Zustimmung könnte darin liegen, dass der Nutzer auf Patentierung verzichtet. In Anbetracht der tiefen Abneigung indigener Völker in Bezug auf Patente auf Leben ist dieses Szenario nicht unwahrscheinlich. In der Folge müsste das Patentrecht auf globaler wie auf nationaler Ebene angepasst werden. Die Staaten könnten durch das Patentrecht nicht länger verpflichtet werden, grundsätzlich Patente auf Leben zu erteilen und zu schützen, da ihnen das Zertifikat für die Nutzung genetischer Ressourcen dies im Einzelfall verbieten würde. Was für die Frage der Patentierung gilt, trifft im Grund auch auf andere Nutzungsformen zu. Ohne eine im Zertifikat festgehaltene Zustimmung dürften weder Forschung noch Kommerzialisierung erlaubt werden. Verantwortlich für die Befolgung dieser Vorgaben wären die Industriestaaten, die entsprechende Vergehen aktiv verfolgen und sanktionieren müssten.

In der Debatte wird zunehmend deutlich, dass es aus der Sicht indigener Völker, aber zunehmend auch von Regierungen des Südens, nicht in erster Linie darum geht, dass möglichst viel Geld von Nord nach Süd fließt. Es geht um die Frage der Souveränität. Insbesondere für indigene Völker hat die Anerkennung ihrer Rechte Priorität. Auf dieser Basis könnte dann über Zugang und gerechten Vorteilsausgleich diskutiert werden.

Mit einem Abkommen, das sich auf den Naturschutz beschränkt, hat die Konvention damit wenig gemein. Was in den Rio-Verhandlungen als komplexer Prozess einer nachhaltigen Entwicklung versprach, ökologische und soziale Fragen miteinander zu verbinden, harrt fast 20 Jahre später immer noch der Umsetzung. Und, wie so oft, scheint der Schlüssel darin zu liegen, dass die Industrieländer in zwei Bereichen Abstriche machen müssen: Bei ihren ökonomischen Vorteilen, mehr aber noch bei ihrer Entscheidungsmacht. Dass dies schwer fällt, ist hinlänglich bekannt. Dass dies zunehmend unausweichlich ist, allerdings auch.

Literatur

African Center for Biosafety (2008): Knowledge not for sale. Umckaloabo and the Pelargonium Patent Challenges. Johannesburg: African Center for Biosafety.

BUKO-Kampagne gegen Biopiraterie (2005): Grüne Beute. Biopiraterie und Widerstand. Frankfurt: Trotzdem Verlag.

Frein, Michael (2008): Shampoo auf Bäumen. Über biologische Vielfalt und globale Gerechtigkeit. Bonn: Evangelischer Entwicklungsdienst (EED).

Frein, Michael/Meyer, Hartmut (2008): Die Biopiraten. Milliardengeschäfte der Pharma-Industrie mit dem Bauplan der Natur. Berlin: Econ.

Friedland, Julia/Prall, Ursula (2004): Schutz der Biodiversität: Erhaltung nachhaltige Nutzung in der Konvention über die biologische Vielfalt, Zeitschrift für Umweltrecht 16 (4), 193-202.

Harry, Debra/Kanehe, Le’a Malia (2005): The BS in Access and Benefit Sharing (ABS): Critical Questions for Indigenous Peoples, in: Beth Burrows (Hrsg.): The Catch: Perspectives in Benefit Sharing. Washington, S.81-120.

Hauff, Volker (Hrsg.) (1987): Unsere gemeinsame Zukunft. Der Brundtland-Bericht der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung. Greven: Eggelkamp.

Holm-Müller, Karin/Täuber, Sabine (2008): Zugang und Vorteilsausgleich in der CBD, Aus Politik und Zeitgeschichte 58 (3), 24-30.

Koyama, Misaki M./Mayet, Mariam (2006): Bioprospecting, Biopiracy and Indigenous Knowledge. Two case studies from the Eastern Cape, South Africa. Johannesburg: African Center for Biosafety.

Meyer, Hartmut (2009): Was ist eine genetische Ressource? http://www.eed.de/biodiv [Download 9. März 2009].

Plieninger, Tobias/Bens, Oliver: Biologische Vielfalt und globale Schutzgebietsnetze, Aus Politik und Zeitgeschichte 58 (3), 16-23.

Tauli Corpuz, Victoria (2004): Das Recht indigener Völker auf ihr kulturelles Erbe. Biologische Vielfalt, traditionelles Wissen und das Konzept des geistigen Eigentums. Bonn: Forum Umwelt und Entwicklung.

Michael Frein ist Politikwissenschaftler und arbeitet als Referent für Welthandel und internationale Umweltpolitik beim Evangelischen Entwicklungsdienst (EED) in Bonn. Er ist außerdem Sprecher des Forums Umwelt und Entwicklung (www.forumue.de) und hat an den wichtigsten Verhandlungen der CBD in den letzten Jahren teilgenommen.

Ressourcenkonflikte

Ressourcenkonflikte

von Matthias Basedau

Beispiele wie der Irakkrieg seit 2003 oder die Unruhen im ölreichen Niger-Delta in Nigeria legen nahe, dass gewaltsam ausgetragene Konflikte um wertvolle natürliche Ressourcen eine reale Gefahr sind. Der Gasstreit zwischen der Ukraine und Russland Anfang 2009 führte zu einer weiteren Beunruhigung der Öffentlichkeit. Endliche, aber für viele Staaten unerlässliche Rohstoffvorkommen, ihre ungleiche Verteilung weltweit und die daraus erwachsenden Machtvorteile und ökonomischen Profitpotentiale lassen viele Beobachter verschärfte Konflikte um Ressourcen in der Zukunft befürchten.

Der Zusammenhang zwischen natürlichen Rohstoffen und Konflikten ist gleichwohl komplexer als dies in weiten Teilen der Öffentlichkeit wahrgenommen wird. Um sich der Komplexität anzunähren, wird der vorliegende Beitrag vor allem folgende Aspekte näher beleuchten: Zwischen welchen Akteuren können Ressourcenkonflikte ausbrechen? Welche Kausalmechanismen verbinden natürliche Rohstoffe und Gewaltkonflikte? Welche empirischen Befunde gibt es zur Rolle von Konflikten in Ressourcen und welche Kontextfaktoren müssen generell in Rechnung gestellt?

Welche Akteurskonstellationen von Ressourcenkonflikte gibt es?

Für Konstellationen von Ressourcenkonflikten ist zunächst sinnvoll zwischen Akteuren, zumeist Staaten bzw. Regierungen, zu unterscheiden, die Ressourcen besitzen und exportieren können, und solchen, die auf Importe angewiesen sind. Modellhaft lassen sich fünf Konfliktformationen unterscheiden.

Die erste Variante sind internationale Konflikte zwischen Ressourcenimporteuren, die um den Zugang zu Rohstoffen rivalisieren wie z.B. die VR China und die USA, die ein besonderes und wachsendes Interesse am wichtigen strategischen Rohstoffen wie Öl haben.

Internationale Konflikte zwischen Exporteuren und Importeuren von Rohstoffen könnten mit dem eingangs genannten Angriff der USA (und der »Koalition der Willigen«) auf den Irak 2003 illustriert werden, auch wenn hier die Rolle des Motivs Rohstoffsicherung im Vergleich zu anderen Beweggründen unklar ist. Theoretisch kann die Offensive aber auch von Exportländern ausgehen, die ihre Verfügung über strategische Rohstoffe und die daraus fließenden Erlöse nutzen. Das neu erwachte Selbstbewusstsein Russlands, die Petrodiplomatie Venezuelas und die iranische Resistenz gegen Außendruck sind von deren Status als Energiegroßmächte nicht zu trennen.

Internationale Konflikte zwischen Exporteuren von Rohstoffen können ausbrechen, wenn es Streitigkeiten um die Kontrolle von in Grenzgebieten liegenden Rohstoffvorkommen gibt oder die Ressourcen von Nachbarländern schlichtweg als Beute angesehen werden. Beispielsweise nutzte Saddam Hussein die Revolutionswirren im Iran 1980 und versuchte, dem Irak die ölreiche iranische Provinz Khuzestan einzuverleiben. Nach dem teuren Krieg gegen den Iran schien 1990 das benachbarte Kuwait ein lohnendes Opfer.

Für interne Konflikte in Exportländern – für Importländer sind Ressourcenkonflikte allenfalls indirekt – gibt es zahlreiche Beispiele mit beträchtlicher Gewaltbelastung, wozu z.B. Angola, die DR Kongo, Indonesien, Kolumbien, Nigeria, Sierra Leone und der Sudan zu zählen sind. Auch hier scheint es häufig um die Kontrolle der Ressourcen zu gehen oder die Rohstofferlöse tragen zur Verlängerung der Konflikte bei.

Daneben sind zusätzlich Konflikte mit Ressourcentransitländern (die zugleich entweder Export- oder Importländer sind) zu nennen, die an wichtigen Lieferrouten für begehrte Rohstoffe liegen (z.B. Anrainer an wichtigen Tankerrouten und Pipeline-Länder). Diese Länder können sowohl mit Export- als auch Importländern in Konflikt geraten. Ihre strategische Position kann sowohl Begehrlichkeiten von außen wecken und zu Interventionen führen als auch offensiv genutzt werden. Im angesprochenen Gasstreit zwischen der Ukraine und Russland Anfang 2009, als Streitigkeiten um den von der Ukraine zu entrichtenden Gaspreis zur Einstellung der Exporte an zahlreiche europäische Importländer führten, waren sich beide Seiten bewusst, dass viele EU-Staaten von ihren Gaslieferungen abhängig sind und versuchten deshalb, sich gegenseitig als Schuldigen für den Exportstopp darzustellen.

Natürlich können in allen Konflikttypen, besonders innerhalb von Ländern, auch substaatliche Gruppen und transnationale Konzerne beteiligt sein, die in dieser modellhaften Darstellung nicht berücksichtigt wurden. Die tatsächlich auftretenden Konflikte sind in aller Regel Mischformen: Der häufigste Typus ist offenbar ein interner Konflikt mit einer mehr oder weniger direkten internationalen Komponente. Paradigmatisches Beispiel ist der Bürgerkrieg in der DR Kongo, in den insgesamt sieben Nachbarstaaten (u.a. Angola, Ruanda und Uganda) eingriffen. Genauere Angaben über die Häufigkeit von Konfliktformationen – oder der Existenz von Ressourcenkonflikten überhaupt – werden aber durch den Umstand erschwert, dass im Einzelfall nicht ohne weiteres nachgewiesen werden kann, ob der Konflikt tatsächlich ein Ressourcenkonflikt ist.

Ressourcenspezifische Variablen Nicht-ressourcenspezifische Variablen
Endogen
  • Ressourcenreichtum (v.a. pro Kopf)
  • Ressourcenabhängigkeit
  • Ressourcentyp(en)
  • Modi der Förderung
  • Streuung der Vorkommen im Inland
  • Revenue Management System (Generierung, Verteilung und Nutzung der Ressourcenerlöse)
  • Beziehungen von Identitätsgruppen (ethnisch, religiös)
  • Sozioökonomie (Potential und Dynamik)
  • Demographie (Migration, »youth bulge«)
  • Geographie (z.B. »rough terrain«)
  • Institutionenqualität (Legitimität und Effizienz)
  • Elitenverhalten (Integrität und Kompetenz)
Exogen
  • Streuung der Vorkommen (grenz-übergreifend, regional, global)
  • Internationale Nachfrage (Höhe, Dynamik, Importeure)
  • Außenpolitische Verwendung der Ressourcenerlöse
  • Governance des Ressourcensektors (Interessen von Staaten, Firmen, Organisationen, Regelungen durch Regime)
  • Verhältnis zu Anrainern, Regional- und Großmächten
  • Generelle Konfliktanfälligkeit und Gewaltprävalenz der Region (spill-over-Effekte)
  • Interdependenz des Landes
  • Internationale Regelungsdichte (regionale / ggf. internat. Organisationen)
Tabelle: Wichtige Kontextbedingungen in Ressourcenkonflikten

Warum kommt es zu Konflikten um Ressourcen?

Einen Gewaltkonflikt als Ressourcenkonflikt zu bezeichnen, erscheint dann als statthaft, wenn die Kontrolle von Rohstoffen bei mindestens einer Partei das Motiv der Gewaltanwendung ist oder die Verfügung über Rohstoffe oder deren Erlöse eine Konfliktpartei in die Lage versetzt, Krieg zu führen. Dabei ist stets auch zu unterscheiden, ob Rohstoffe den Konfliktbeginn beeinflussen oder zu dessen Dauerhaftigkeit beitragen. Eine indirekte Rolle spielen Rohstoffe, wenn Effekte der Rohstoffproduktion auf Institutionen oder Volkswirtschaft indirekt zu einer gewaltförmigen Entwicklung führen. In der Tat gibt es zahlreiche Varianten, auf welche Weise Ressourcen zu gewaltsamen Konflikten führen können (vgl. Humphreys 2005).

Direkte Mechanismen

Die oben genannten Konfliktformationen legen nahe, dass es vor allem der Kampf um die Kontrolle der Ressourcen bzw. ihrer (potentiellen) Erlöse ist, die gewaltsame Konflikte herbeiführt. Diese sind in mehreren Varianten möglich:

Verschiedene gesellschaftliche Akteure kämpfen um die Macht des Zentralstaates, da dessen Kontrolle mit dem Zugriff auf Ressourcen(erlöse) verbunden ist (»greed«). Als solche Beispiele gelten etwa Angola oder Sierra Leone.

Dies kann auch in einer externen Variante auftreten, wenn auswärtige Akteure zur militärischen Sicherung der Ressourcen im betreffenden Staat bereit sind (»greedy outsiders«). Externe Akteure können Konflikte auch verschärfen, ohne dass diese notwendigerweise direkte Konfliktparteien sind. In Kongo-Brazzaville führte 1997 die rivalisierende Unterstützung von Kriegsparteien durch Frankreich und die USA zu einer Verschärfung des Konflikts. Beide Konfliktparteien standen mit französischen bzw. US-amerikanischen Ölkonzernen in Verbindung.

Möglich ist auch, dass ressourcenreiche Regionen mit Waffengewalt Autonomie oder Sezession anstreben, weil sie ihre Ressourcenerlöse nicht mit dem Zentralstaat teilen wollen, sich in deren Verteilung übervorteilt sehen und/oder unter den ökologischen und sozioökonomischen Folgen leiden müssen, die mit der Produktion einhergehen. Typische Beispiele sind die Konflikte in Indonesien (Aceh), Angola (Cabinda) oder Nigeria (Biafra/Niger-Delta).

Der Handel mit Ressourcen ermöglicht die Aufstellung und den Unterhalt von Militärkräften oder Rebellengruppen, so dass Gewaltkonflikte als Folge des Ressourcenreichtums eher ausbrechen und vor allem länger anhalten. Ressourcen beeinflussen hier primär nicht die Motivation der Akteure, sondern die Möglichkeit oder Gelegenheit zur Gewaltanwendung. Beispiele sind die Dauer der Konflikte in Angola und der DR Kongo. Die Beobachtung solcher Effekte hat zur Entwicklung der Konzepte »Kriegsökonomie« oder »Gewaltmärkte« und der »Neuen Kriege« beigetragen. In einer pointierten Variante wird davon ausgegangen, dass Rebellionen lediglich ökonomische, quasi-kriminelle Motive haben und gar keine – oder nicht mehr – politischen Ziele verfolgen. Die Kriegssituation mag aufgrund fehlender staatlicher Kontrolle für Bereichung besonders günstig sein.

Zudem sind Stätten der Ressourcenproduktion, Personal und Transporteinrichtungen lohnende Ziele für gegnerische Parteien, da dadurch der ökonomische Nerv des Gegners getroffen werden kann. So haben im Niger seit Anfang 2007 Tuareg-Rebellen gezielt die Infrastruktur der Uranproduktion attackiert.

Indirekte Mechanismen

Die Kriegswahrscheinlichkeit kann auch durch eine Reihe von indirekten Effekten von Ressourcenreichtum oder -abhängigkeit erhöht werden, die vor allem aus wirtschaftlichen und institutionellen Effekten hervorgehen, die unter den Bezeichnungen »Ressourcenfluch« oder dem »Rentierstaat« bekannt geworden sind (vgl. Basedau/Lay i.E.).

Der plötzliche Reichtum, Preisschwankungen, vernachlässigte Entwicklung anderer Sektoren oder Verschwendung von Einnahmen für Prestigeobjekte führen zu wirtschaftlichen Problemen, die dann wiederum gewaltsame Konflikte wahrscheinlich machen (z.B. »Dutch Disease«).

Einnahmen aus Rohstoffen sind überdies besonders anfällig für Korruption, die dann zu wirtschaftlichem Niedergang oder Unzufriedenheit führt. Außerdem wird der Staat insgesamt geschwächt, weil eine ordentliche Staatsbürokratie, etwa zur Erhebung von Steuern, nicht notwendig erscheint, so dass die fehlenden Leistungen des Staates wiederum die Kriegswahrscheinlichkeit erhöhen (»rentier state«; »weak state«).

Des Weiteren bedeutet die Dominanz einer Ressource in der Ökonomie eine einseitige Einbindung in die Weltwirtschaft und von Kontakten in die Außenwelt allgemein (»sparse networks«). Ein dichtes Netz von Außenbeziehungen wurde aber empirisch als ein Faktor identifiziert, weshalb Länder Konflikte untereinander und innerhalb eines Landes vermeiden können.

Ressourcen für den Frieden?

Die öffentliche Wahrnehmung fokussiert vor allem auf den Zusammenhang von Rohstoffen und Gewaltkonflikten. Dadurch gerät etwas in den Hintergrund, dass Rohstoffe auch für den Frieden genutzt werden können, besonders wenn – wie in einigen Emiraten im Persischen Golf – die Einnahmen im Überfluss fließen: Innenpolitisch können hohe Erlöse aus dem Ressourcengeschäft durch die gezielte Kooptierung von Oppositionellen, eine großzügige Verteilungspolitik oder durch den Aufbau eines effektiven Sicherheitsapparats zur Friedenssicherung genutzt werden (Le Billon 2003).

Internationale Gewaltkonflikte sind möglicherweise auch deshalb selten, weil grundsätzlich nicht nur die Importeure, sondern auch die Exporteure Interesse daran haben, dass ein friedlicher Handel zustande kommt. Nicht wenige Wissenschaftler befürworten deshalb auch eine wechselseitige Abhängigkeit, wobei der Kooperationsanreiz nicht zuletzt durch »Friedenspipelines« gestärkt werden kann. Ölreiche Staaten genießen sehr häufig auch besonderen Schutz von außen. Regierungen, welche ihre Einnahmen aus dem Rohstoffgeschäft zur Aufrüstung nutzen, mögen zudem eher vor Angriffen von außen (und innen) geschützt sein. Dieser »negative Friede« durch Ressourcen hat freilich auch eine dunkle Seite, da es häufig autoritäre Regierungen sind, die mittels Ressourcen bzw. gewaltsamer Repression stabilisiert werden, wobei die dabei eigentlich fehlende Legitimation der Regime langfristig Konflikte verursachen könnte.

Empirische Befunde und Kontextbedingungen

Jenseits anekdotischer Evidenz von Einzelfällen und theoretischer Möglichkeit gibt es eine umfangreiche quantitative Literatur zum Zusammenhang von Ressourcen und Gewaltkonflikten, auch wenn diese sich vor allem auf Bürgerkriege konzentriert – über internationale Ressourcenkonflikte gibt es kaum quantitative Ergebnisse. Als besonders einflussreich erwies sich die Studie von Collier und Hoeffler (zuletzt 2004) zu »greed and grievance«. Demnach führt die Abhängigkeit von Primärgütern zu einer erhöhten Bürgerkriegswahrscheinlichkeit, was Collier und Hoeffler vor allem durch gewaltökonomische Gelegenheit (»greed«) erklären. Dieser Zusammenhang wurde von nachfolgenden Studien jedoch nicht bestätigt (Ross 2004). So fanden die befürchteten Wasserkriege bislang kaum statt (Wolf 2002). Als noch relativ robuste Ergebnisse gelten, dass Erdöl produzierende Länder – jedenfalls als Gruppe – weltweit ein erhöhtes Risiko für Bürgerkriege haben (Ross 2004; 2006). Diamanten exportierende Länder sind nicht von einem erhöhten Bürgerkriegsrisiko betroffen, laufen aber Gefahr, dass Konflikte länger andauern, wenn sie erst einmal ausgebrochen sind. In jedem Fall lässt sich festhalten: Zahlreiche Ausnahmen beweisen, dass es keinen zwingenden Zusammenhang zwischen Rohstoffvorkommen oder -förderung und dem Ausbruch von (Bürger)Kriegen gibt. Selbst die genannten Kausalmechanismen zeigen ja nur auf, dass es zu Konflikten zwischen Akteuren kommen kann, nicht aber dass diese notwendigerweise gewaltsam ausgetragen werden. Es handelt sich allenfalls um eine erhöhte Wahrscheinlichkeit und dies bedeutet zwingend, dass andere Faktoren eine Rolle spielen müssen.

Welche Kontextbedingungen sind dies? Prinzipiell ist eine Vielzahl möglicher Bedingungen in Rechnung zu stellen, die sinnvoll nach ressourcenspezifischen, und nicht-ressourcenspezifischen Bedingungen einerseits und internen bzw. externen Faktoren andererseits unterschieden werden können (vgl. Abb. 1). Bei den nicht-ressourcenspezifischen Variablen handelt es sich um alle Bedingungen, die zu Gewaltkonflikten beitragen können (oder nicht) und die nicht direkt in Verbindung mit der Ressourcenproduktion stehen. Dazu gehören etwa die Beziehungen zwischen Identitätsgruppen (z.B. ethnische oder religiöse Gruppen), das Niveau und die Dynamik der sozioökonomischen Entwicklung sowie die Qualität von Institutionen wie der staatlichen Bürokratie, dem Sicherheitssektor oder dem politische System im Allgemeinen. Erwähnt werden sollte ferner das Verhalten von politischen Eliten. Nicht zuletzt sind externe Bedingungen wie die Interessen von auswärtigen Mächten oder die Konfliktanfälligkeit der Region zu berücksichtigen.

Diese Bedingungen sind insbesondere wichtig vor dem Beginn der Rohstoffproduktion bzw. bevor Rohstoffvorkommen entdeckt wurden. Einerseits können stabile Institutionen, unproblematische Beziehungen zwischen Identitätsgruppen, ein erhöhter Wohlstand, verantwortliche und integre Eliten sowie ein günstiges internationales Umfeld ein Land vor negativen Entwicklungen bewahren wie das Beispiel Norwegen belegt. Andererseits können sich diese nicht-ressourcenspezifischen Bedingungen durch die Entdeckung von Vorkommen oder den Beginn der Produktion negativ verändern, insbesondere was die Institutionenqualität, das Elitenverhalten und die ökonomische und gesellschaftliche Entwicklung angeht. Bei den indirekten Effekten von Rohstoffproduktion auf die Gewaltwahrscheinlichkeit wurde bereits auf diese möglichen Zusammenhänge hingewiesen. Das Bild sei gestattet: Einen labilen Charakter könnte ein Lottogewinn aus der Bahn werfen, einen etwas stabilerer Charakter aber weniger.

Ob die skizzierten direkten oder indirekten Effekte auftreten, hängt aber nicht zuletzt von den ressourcenspezifischen Bedingungen ab: In den meisten Studien wird relativ unreflektiert von Ressourcenreichtum gesprochen. Zumeist wird dies aber anhand des Anteils der Exporterlöse am Bruttoinlandsprodukt (BIP) gemessen. Dies ist aber ein Maß für Abhängigkeit. Setzt man hingegen die Höhe der Erlöse in Beziehung zur Bevölkerungsgröße (oder ggf. zum Anteil der weltweiten Vorkommen), so zeigen sich große Unterschiede. Nigeria und Saudi-Arabien sind etwa gleichermaßen von Erdölexporten abhängig, aber ein Nigerianer würde pro Jahr pro Kopf etwa $ 150 erhalten, während dieser Wert in Saudi-Arabien etwa das 40fache betrüge. Und wie es scheint sind Länder mit hohen Pro-Kopf-Einkommen aus Ressourcen besonders selten von Bürgerkriegen betroffen (Basedau/Lay i.E.). Einbrüche bei den Einnahmen können wie in Algerien in den 1980er Jahren gesellschaftliche Spannungen verschärfen,

Die Auswirkungen von Ressourcenproduktion hängen zudem davon ab, wer die Einnahmen erhält und wie sie anschließend verwendet werden. Häufig werden diese für Prestigeprojekte verschwendet oder verschwinden in den Taschen der transnationalen Konzerne und Eliten. Als klassisches Beispiel gilt Angola, wo nach Untersuchungen von »Global Witness« etwa US$ 4 Mrd. auf Privatkonten der Regierung verschwunden sein sollen. Beispiele wie Botswana oder Chile zeigen, dass Rohstofferlöse aber auch in Infrastruktur und die Bildung investiert oder für die Zukunft zurückgelegt werden können.

Des Weiteren hängt die Gewaltwahrscheinlichkeit auch vom Rohstofftyp ab. Strategisch wichtige, lukrative und weltweit überdies knappe (und knapper werdende) Rohstoffe wie Erdöl erhöhen eher die Gewaltwahrscheinlichkeit als landwirtschaftliche Güter oder auch Diamanten, bei denen »nur« die Dauer der Konflikte verlängert wird. In diesem Zusammenhang sind vor allem die Modi der Förderung interessant. Zur Aufstellung von Rebellengruppen sind alluviale Diamanten (die z.B. in Flussbetten vorkommen), Tropenholz oder Drogen weitaus besser geeignet als Diamanten, die aufwändig mit Bergbau gewonnen werden müssen. Dies erklärt teilweise, warum Sierra Leone (alluviale Diamantenvorkommen) oder Kolumbien (Drogen) von jahrelanger Gewalt erschüttert wurden, während Botswana (deep shaft Diamanten) seit seiner Unabhängigkeit ein bemerkenswert friedliches Land ist.

Sezessions- oder Autonomiekonflikte hängen vor allem von der Streuung der Vorkommen im Inland ab. Wenn – wie in den genannten Beispielen Angola, Indonesien oder Nigeria – die Rohstoffvorkommen in einer Region konzentriert sind und – wie oben skizziert – die Region überdies schlechte Beziehungen zum Zentralstaat unterhält und sich in der Verteilung übervorteilt fühlt, dann ist eine besonders problematische Mischung gegeben.

Die internationale Streuung der Vorkommen ist gegebenenfalls geeignet, internationale Konflikte auszulösen, und dies ist global insbesondere für die Schlüsselressourcen Erdöl und Erdgas der Fall, die vorwiegend in der »Strategischen Ellipse« (Kaukasus, Mittlerer Osten, Afrika) vorkommen, aber hauptsächlich von westlichen Industriestaaten verbraucht werden.

Die Liste der relevanten ressourcenspezifischen Kontextbedingungen lässt sich fortsetzen: Ressourceneinnahmen lassen sich auch für aggressive oder offensive außenpolitische Ziele verwenden wie Iran, Venezuela und – in der Vergangenheit – Libyen belegen. Wer die Rohstoffe nachfragt bzw. von deren Import abhängig ist und wie sich die Preise entwickeln, ist natürlich ebenso relevant. Staaten wie die USA haben in der Vergangenheit Putsche unterstützt (Iran 1953) oder direkt in ölreichen Ländern interveniert. Dass der Sudan vor Sanktionen wegen der Gräueltaten in Darfur relativ sicher sein kann, liegt auch daran, dass die Sicherheitsratmitglieder China und Russland an Ölimporten bzw. Waffenexporten interessiert sind.

Schließlich sei auf Regelungen im jeweiligen Ressourcensektor hingewiesen, die sich nach Ressourcentyp stark unterscheiden können. Im Bereich der Konfliktprävention ist man hier im Bereich von Diamanten wahrscheinlich am weitesten. Das Kimberley Process Certification Scheme (KPCS) sieht vor, dass für alle Diamanten nachgewiesen werden muss, dass diese nicht aus Konfliktregionen stammen.

Die große Anzahl der zu berücksichtigenden Kontextfaktoren führt eindrücklich die Komplexität des Sachverhalts vor Augen, besonders wenn man die gegenseitige Beeinflussung der genannten Bedingungen bedenkt. Solche Befunde schmecken in der Regel besonders Praktikern aus Politik und Entwicklungszusammenarbeit nicht, deren Wunsch nach einfachen und handhabbaren Lösungen angesichts eines gewaltigen Problemdrucks allzu verständlich ist. Die Betonung von Kontextbedingungen ist aber tatsächlich eher Chance als Problem. Denn der »Ressourcenfluch« ist nicht unvermeidlich und es sind gerade die Kontextbedingungen, an denen sinnvolle Präventions- und Konfliktlösungsstrategien ansetzen können. Die Kenntnis der Kontextbedingungen und deren Zusammenspiel – gerade im Einzelfall – ist die Voraussetzung der Entwicklung von solchen Strategien. Die Voraussetzung einer Erfolg versprechenden Therapie ist eine genaue Diagnose.

Literatur

Basedau, Matthias/Lay, Jann (2009): Resource Curse or Rentier Peace? The Ambiguous Effects of Oil Wealth and Oil Dependence on Violent Conflict, Journal of Peace Research 46 (i.E.).

Collier, Paul/Hoeffler, Anke (2004): Greed and Grievance in Civil War, Oxford Economic Papers 56 (4): 563-595.

Humphreys, Macartan (2005): Natural Resources, Conflict and Conflict Resolution, Journal of Conflict Resolution 49 (4): 508-537.

Le Billon, Phillippe (2003): Fuelling War: Natural Resources and Armed Conflicts, Adelphi Paper 357.

Ross, Michael L. (2004): What Do We Know about Natural Resources and Civil War?, Journal of Peace Research 41 (3): 337-356.

Ross, Michael L. (2006): A Closer Look at Oil, Diamonds, and Civil War, Annual Review of Political Science 9: 265-300.

Wolf, Aaron (Hg.) (2002): Conflict Prevention and Resolution in Water Systems, Cheltenham.

Dr. Matthias Basedau arbeitet seit 2002 als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Afrika-Kunde und ist seit 2005 Forschungsschwerpunktleiter »Gewalt, Macht und Sicherheit« am German Institut of Global and Area Studies.

Von Fischen, Fischern und Piraten

Von Fischen, Fischern und Piraten

von Francisco Mari und Wolfgang Heinrich

Eine ganze Armada von Kriegsschiffen tummelt sich gegenwärtig im Golf von Aden. Sie machen Jagd auf neuzeitliche Piraten. Wie zu Beginn der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts gerät dabei Somalia in den Mittelpunkt einer militärischen Strategie zur Lösung eines im Kern politischen Problems. Damals ging es um »Terrorismus«, heute geht es um Handelsrouten. Dabei rangiert das Gebiet um den Golf von Aden weltweit erst an dritter Stelle in Bezug auf Piraterie. An der Spitze liegt Nigeria, dicht gefolgt vom Ursprungsgebiet der modernen Piraterie, Indonesien mit der Straße von Malakka.

In der Hysterie über die Folgen der Piraterie für unsere Handelsströme und die Freiheit der Kreuzfahrtschiffe werden die eigentlichen Ursachen, die dazu führen, dass gerade an Afrikas Küsten die Überfälle auf Handelsschiffe zunehmen, nur selten erwähnt. Außen vor bleibt, dass die jahrzehntelange Ausbeutung von Fischgründen und Bodenschätzen durch die Industrienationen an den afrikanischen Küsten eine vielschichtige Basis für die Organisierung von kriminellen Aktivitäten geliefert haben. „Früher waren wir ehrliche Fischer, aber seit Fremde unsere Meere leer fischen, müssen wir nach anderen Wegen suchen, um zu überleben“, sagt Abdullah Hassan, 39 Jahre alt. Er ist Chef einer Gruppe aus 350 ehemaligen Fischern und Milizangehörigen, die sich »Küstenwache« nennt.1 Er lebt in der sogenannten Welthauptstadt der Piraterie, dem ehemalige Fischerdorf Eyl 2 mit seinen 18.000 Einwohnern im halbautonomen Gebiet Puntland im früheren Somalia.

Was nach einer beschönigenden Ausrede für kriminelles Handeln klingt, hat leider handfeste Ursachen. Mit dem Zusammenbruch der staatlichen Autorität in Somalia, noch mehr aber nach dem Rückgang der Thunfischbestände im östlichen Pazifik, wurde die fischreiche Küste vor Somalia interessant für asiatische und europäische Trawler. Die Fischer Somalias hatten keine reale Chance mehr, selbst Thunfisch zu fangen; ihre Boote sind zu klein, sie erreichen kaum die Schwärme weit vor der Küste. Auch der lukrative küstennahe Krabben- und Hummer-Fang wurde ihnen in den letzten Jahren durch die Trawlerflotten Europas und Asiens weggeschnappt. Kommt hinzu, dass – wie überall auf der Welt, nur in Somalia vollkommen unkontrolliert – die Unmengen Beifang auch die küstennahen Fischsorten extrem reduziert haben.

Die Plünderung der afrikanischen Fischbestände.

Somalia ist kein Einzellfall. Die jahrzehntelange Plünderung der Gewässer vor Afrikas Küsten hat auch die Konflikte im Fischereibereich entlang der westafrikanischen Küste drastisch erhöht. Auslöser dafür ist, dass die Ausbeutung der eigenen Fanggründe in Europa, Korea und Japan – diese stellen nach dem pro Kopf Verbrauch das Gros der Fischkonsumenten dar (gefolgt von Kanada und den USA) – ihre Grenzen erreicht hat. Zusätzlich beschränken hier die Kontrolle der Küstengewässer sowie die Überwachung von Fangmethoden und Fangmengen die Profite der Fischerei erheblich.

Durch die Erweiterung der Hoheitsgewässer auf 200 Seemeilen in den 1980er Jahren standen die Gewässer vor den afrikanischen Küsten nicht mehr ohne weiteres als billige Alternative zur Verfügung. Allerdings ließ der damalige UN-Beschluss die Tür zu den Fischreichtümern der Welt für die Fischfangflotten der Industriestaaten weit offen, indem festgelegt wurde, dass die Zone zwischen 12 und 200 Seemeilen zur wirtschaftlichen Nutzung ausgeschrieben werden muss, wenn die Staaten selbst diese nicht abfischen können. Aber welches Entwicklungsland hatte damals hochseefähige Fischkutter? In Westafrika war das nur Ghana.

Also boten europäische Länder mit ihren Fangflotten vielen afrikanischen Ländern Fischereiabkommen an. Es wurde Kompensation vereinbart – basierend auf einer Begrenzung der Anzahl von Trawlern, aber ohne Nennung von Quoten. Gleichzeitig wurde in Europa der Bau von neuen, größeren Trawlern subventioniert. Nur Ghana weigerte sich, ein solches Abkommen zu unterschreiben.

Meist ging es in den letzten Jahren nur um die Folgen der Fischereiabkommen auf das ökologische Gleichgewicht und die Lebensbedingungen der Kleinfischer. Mauretanien, Senegal, Guinea – um nur die Länder mit den höchsten Kompensationen zu benennen – hatten ihre Küsten den europäischen Trawlern zum Abfischen geöffnet und dafür einen finanziellen Ausgleich bekommen. Die Kleinfischer und die gerade entstandene kleine industrielle Fischerei in diesen Ländern haben von diesen Geldern nichts gesehen.

In den neuen, nun »Fischereipartnerschaftsabkommen« genannten Verträgen wird zumeist festgeschrieben, dass ein Teil der Mittel zur Unterstützung der Kleinfischer verwendet werden soll. Dabei geht es aber meist darum, ihnen technische Hilfe zu leisten, damit sie ihren Fang der industriellen Fischerei und damit dem Export – sprich dem europäischen Bedarf – zuführen können. Besonders in Mauretanien wird das durch die deutsche Entwicklungszusammenarbeit unterstützt. Nicht einmal die EU-Kommission behauptet, dass diese Abkommen auf wirklich unabhängigen Untersuchungen über die Situation der Bestände beruhen, obwohl sie sich durch Ruhezeiten, Vorgaben bei den Fangtechniken und Zulassung von Kontrolleuren auf den Trawlern der Problematik bewusst ist. Entsprechend haben die Abkommen zu einem großen Rückgang der Meeresressourcen geführt. Wie in Somalia nicht nur bei dem Fisch, der für die europäischen Märkte interessant ist, sondern eben auch bei den küstennahen Beständen, die früher den lokalen Bedarf gedeckt haben.

Wie Ghana um seine Reichtümer gebracht wurde

Ghana ist ein Beispiel dafür, wie sehr ein Land ohne Abkommen genauso um seine Bestände gebracht werden kann und dann noch nicht einmal einen kleinen Sold dafür erhält. Ghana war vor der Erweiterung der 12 Meilen Zone Westafrikas Fischereination Nr.1. Ghana fischte überall in Westafrika. Vom einstigen Stolz der 140 Fischtrawler, die nach der Unabhängigkeit von der ehemaligen Sowjetunion an Ghana geliefert wurden, sind noch 45 geblieben. Davon sind höchstens noch 20 Thunfischboote wirklich in ghanaischem Besitz. Ghana wurde systematisch um seine Reichtümer gebracht:

Durch die Erweiterung der Hoheitsgewässer durften die ghanaischen Fischer nicht mehr wie früher in den Nachbargewässern fischen, da die Fischereirechte in diesen an Europa verkauft wurden.

Die Weltbank zwang Ghana zum Verkauf, zu Privatisierung und zum Abwracken der staatlichen Flotte. Im Rahmen seiner Entschuldung musste Ghana ausländischen Investoren den Zugang zur Fischerei gewähren. Immerhin musste es nur bis zu 49% seiner Besitzanteile an den Fischerbooten abgeben. In der ghanaischen Hauptstadt Accra ist es aber kein Geheimnis, dass auch die restlichen 51% überwiegend koreanische und chinesische Besitzer haben, die sich ghanaischer »Strohpuppen« bedienen.

Die küstenfernen Fischschwärme werden illegal von europäischen Trawlern, die aus ihren legalen Nachbarpositionen in die Gewässer eindringen, abgefischt. Das führt dazu, dass die ghanaischen Kutter mit koreanischen oder chinesischen Mannschaften in die für die Kleinfischer reservierten küstennahen Zonen eindringen. Mit illegalen Fangtechniken zerstören sie die Bestände und den Jungfisch sowie die Netze der Kleinfischer.

Die Existenzgrundlagen der Kleinfischer werden so vernichtet. Hinzu kommt, dass aus den Fischtrawlern der minderwertige Beifang in Eisblöcken angelandet und billig auf den Markt geworfen wird, so dass er die Preise kaputt macht, die die Kleinfischer für ihre geringen Mengen an Frischfisch bisher erzielen konnten.

Illegal in Küstennähe fischende ausländische Fischerboote, die Netze zerstören, in Kollisionen oder sogar tödliche Unfälle verwickelt sind, werden nur selten zur Rechenschaft gezogen. In einem kürzlich veröffentlichten Bericht einer Menschenrechtsorganisation in Johannesburg wird detailliert beschrieben, dass der gesamte Fischereisektor Afrikas durchsetzt ist mit Korruption, Begünstigung und mafiösen Strukturen, die von europäischen und asiatischen Unternehmen genutzt werden, um sich den letzten Fang zu sichern.

Rebellion im Nigerdelta

Die großen Mangrovenwälder vor Nigerias Küste sind die Laichgründe für die meisten Fischarten im Golf von Guinea. Sie boten jahrhundertelang den Küstenbewohnern eine ausreichende und sichere Nahrungsgrundlage. Nigerias Gewässer blieben auch nach der Erweiterung der Hoheitsgewässer mangels ausreichender Fischvorkommen für die EU uninteressant für ein Fischereiabkommen. In Nigeria ist man an anderen Vorkommen interessiert, die allerdings viel gefährlicher geworden sind für die nigerianischen Küstenbewohner.

Die Erdölvorkommen sind zum weltweit bekannten Fluch einer Region rund um das Nigerdelta geworden. Von Anbeginn wurden die Küstenbewohner von ausländischen Investoren und den von ihnen geförderten korrupten nigerianischen Eliten vom Reichtum ausgeschlossen. Selbst einfache Arbeitsplätze wurden der Küstenbevölkerung nicht angeboten. Stattdessen wurden große Teile des Landes ökologisch verseucht, die küstennahe See verschmutzt und die gesamte soziale und kulturelle Lebenswelt zerstört.

Chibuike Rotimi Amaechi, Gouverneur des River State, klagt in einem Interview, dass die Manager der Ölfirmen ihre ausländischen Freunde auf die leitenden Positionen setzen, die nun „in teuren Wohnanlagen mit modernen Klimaanlagen, Tennisplätzen und Schwimmbädern hinter Stacheldrahtzäunen und bewacht von schwer bewaffneten

Widerstand gegen Plünderung

Zum ersten organisierten Widerstand gegen die weitere legalisierte Plünderung seiner Gewässer hatte im Jahre 2005 das Angebot der EU für einen neuen Vertrag mit Senegal geführt. Die EU bot einen Vertrag mit reduzierter Kompensation an, mit der zynischen Begründung, die Fischgründe wären nicht mehr so ergiebig wie früher. Dies brachte nicht nur die Kleinfischer in Rage. Nachdem sich 15 Jahre lang die europäischen Trawler billig am Fischbestand Senegals bedient hatten, empfand es auch die ansonsten neo-liberal agierende Regierung von Präsident Wade als Provokation, dass die durch diesen Raub und die Überfischung verursachte Verringerung der Fischbestände nun als Begründung für die Reduzierung der Zahlungen benutzt wurde. Bis heute hat Senegal kein neues Abkommen unterschrieben. Ob das Land und vor allem die Kleinfischer damit besser fahren, ist aber – das zeigt das Beispiel Ghana – nicht ausgemacht. Kommt hinzu, dass die Vergabe von Einzellizenzen an private Fischereiflotten noch undurchsichtiger ist. Jedenfalls findet man im Hafen von Dakar nach wie vor modernste Trawler unter spanischer Flagge, was eigentlich nicht mehr sein darf, weil nur noch Fischerboote mit senegalesischer Flagge in Senegals Gewässern fischen dürfen.

Vom Fischer zum Flüchtling…

Wie lange werden sich Kleinfischer das noch gefallen lassen? Noch vor kurzem war für viele jugendliche Kleinfischer Westafrikas die Migration über das offene Meer ein Ausweg aus ihrer verzweifelten Situation. Aber auch hier beweist Europa, ähnlich wie in Somalia, wie effektiv es seine Interessen zu schützen weiß. Die »Europäische Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen«, kurz FRONTEX, sorgte mit modernster Technologie für einen deutlichen Rückgang der Flüchtlinge, die sich Richtung Kanarischer Inseln auf den Weg machen. Offiziell nur außerhalb der Hoheitsgewässer Afrikas tätig, spürt sie den kleinen überfüllten Booten nach, schickt sie zurück oder bringt sie zur Abschiebung der Bootsflüchtlinge kurz ans Festland. Sie bildet die Polizei in Senegal und Mauretanien in der Bekämpfung von Fluchtversuchen und Schlepperringen aus. Kleinfischer berichten, dass die Agentur – ohne rechtliche Grundlage – auch an afrikanischen Küstenabschnitten aktiv ist und Fischerboote zerstört, wenn sie annimmt, dass diese zur Flucht verwendet werden sollen. Die Familien der Kleinfischer sind verzweifelt. Eine ältere Fischerfrau aus Kayar/Senegal brachte es gegenüber einer Delegation des Evangelischen Entwicklungsdienstes im September 2008 auf den Punkt: „Erst raubt ihr unseren Fisch, dann schickt ihr unsere Kinder zurück, für die wir alle zusammengelegt haben, damit sie bei euch arbeiten und uns unterstützen. Wovon sollen wir nun leben?“

Dao Gaye, der Vorsitzende des senegalesischen Fischereiverbandes, kritisiert: „Ihr habt Geld, eine Armada gegen Piraten in Ostafrika loszuschicken, und Milliarden, um Euch unsere Jugendlichen vom Hals zu schaffen. Wenn wir Euch aber bitten, effektiv gegen Eure eigenen Fischpiraten in unseren Gewässern vorzugehen, dann entdeckt Ihr auf einmal unsere Souveränität, schenkt unserer Marine zwei abgewrackte Schnellboote, mit denen wir uns selber um Eure Kriminellen kümmern sollen. Das ist blanker Zynismus und es gibt nicht wenige, die hinüber nach Nigeria schauen, wie dort auch ehemalige Fischer am Nigerdelta sich durch Lösegelder Entschädigung dafür holen, was die Ölverschmutzung vor ihren Gewässern und in ihren Dörfern angerichtet haben.“

… oder in den Drogenhandel

Dass sie auch ganz schnell und anders als mit sicherheitstechnischen und militärischen Mitteln handeln kann, demonstrierte die EU in Guinea Bissau. Dort sieht das Fischereiabkommen vor, dass 30% der Mittel genutzt werden, um die Kleinfischer zu unterstützen. Die EU-Delegation vor Ort überwacht die Regierung, damit das Geld wirklich dort ankommt. Sie fordert die Kleinfischerverbände und Vertreter der Zivilgesellschaft an den Tisch. Warum das Alles? Nun, die Kleinfischer haben angefangen, die kolumbianische Drogenmafia dabei zu unterstützen, ihre mit Flugzeugen und Booten angelandeten Drogen von den vielen Inseln an Land zu bringen, von wo aus sie auf den Weg nach Europa gebracht werden. Der Streit in der Armee um die Verteilung dieser Gewinne aus dem Drogengeschäft soll auch der Hintergrund für den Putsch und die Ermordung von Präsident Viera im Februar 2009 sein. Nicht wenige Kleinfischer an Afrikas Küsten hoffen auf kolumbianische Emissäre. In Guinea/Conakry, wo vor wenigen Wochen ebenfalls geputscht wurde und die EU ein Fischereiabkommen wegen nicht mehr ausreichender Fischgründe hinauszögert, konnten sich die ausländischen Gäste eines Kongresses der westafrikanischen Kleinfischerverbände persönlich am Flughafen überzeugen, dass die südamerikanischen Gesandten schon auf dem Weg in das Land sind.

… oder in die Piraterie

Vor Somalia wurden die Fischbestände in einem solchen Ausmaß überfischt, dass die Lebensgrundlagen der somalischen Fischer vernichtet wurden. Die UN schätzen den jährlichen Marktwert des Fischfangs, der in somalischen Hoheitsgewässern kostenlos abgefischt wird, auf ca. 300 Millionen US-Dollar. Diesem gesellschaftlichen Verlust an Einnahmen standen in 2008 ca. 120 Millionen US-Dollar Einnahmen in Form von Lösegeldern für gekaperte Schiffe gegenüber. Clive Schofield vom Australian National Centre for Ocean Resources and Security und Autor einer Studie über die Plünderung der somalischen Fischbestände hat ausgerechnet, dass die fremden Fangflotten erheblich mehr Protein aus Somalias Gewässern entnommen haben als die Welt den Menschen in Somalia in Form von humanitärer Hilfe zur Verfügung gestellt hat. Es sei schon „ausgesprochen ironisch“, so Schofield in der ZEIT am 27.11.08, „dass viele der Nationen, deren Kriegsschiffe derzeit am Horn von Afrika patrouillieren oder auf dem Weg dorthin sind, unmittelbar mit den Fischereiflotten verbunden sind, die geschäftig Somalias Meeresschätze plündern“.3

Die ökologischen Folgen der Überfischung durch Trawlerflotten sind ebenso katastrophal wie die wirtschaftlichen und sozialen. Der Thunfischbestand wird unwiederbringlich zerstört, da die Laichzeiten vor Somalias Küsten selbstredend nicht respektiert werden. Die Tsunami Katastrophe 2005 brachte eine weitere Folge der Rechtlosigkeit in somalischen Gewässern buchstäblich aus den Tiefen hervor. Seit den 1990er Jahren, als das Regime Siad Barrés in Somalia kollabierte, haben wohl vor allem italienische Schiffe Chemieabfälle und auch zumindest schwach radioaktiven Müll vor Somalias Küste verklappt. Der Tsunami spülte Hunderte von Fässern an die Küste. Der nun so aufgeregten Weltpresse waren die damaligen Warnungen der Weltgesundheitsorganisation vor einer Gesundheitskatastrophe mit bisher mindestens dreihundert nachweislich an den Vergiftungen gestorbenen KüstenbewohnerInnen nur wenige Zeilen Wert. Schlimmer noch, auch die EU weigert sich, die nachweislich aus Europa stammenden toxischen Abfälle zu untersuchen und auf eigene Kosten fachgerecht zu entsorgen. Inwieweit die restlichen Fischbestände betroffen sind, wurde bisher nicht untersucht.

Wie überall führen nun auch die somalischen Kleinfischer direkt vor ihren Küsten einen aussichtslosen Kampf gegen ausländische Fischerboote in den für sie reservierten 6 bis 12 Meilen Zonen. Die Trawler finden nämlich nun nicht mehr genügend Fang außerhalb dieser Zonen und rauben mit besonders brutalen Methoden, wie dem Grundfischen, die letzten Fischgründe aus. Mit dem Eindringen der ausländischen Fischtrawler in die küstennahen Gewässer hat auch in Somalia der Kampf um das Überleben der Küstenfischer und der Kampf zum Schutz der eigenen Küste begonnen, den wir nun Piraterie nennen. Vorher aber hat die internationale Staatengemeinschaft nichts gegen die rechtswidrigen Fischfangmethoden der Trawlerflotten unternommen, die die Lebensgrundlage der Küstenfischer zerstörten. Im Gegenteil: durch EU-Subventionen in der Fischerei wurde es sogar noch gefördert, dass die Eigentümer der Trawler ihre riesigen Überkapazitäten durch die Weltmeere ziehen und wo immer möglich die Schiffsbäuche für den rasant ansteigen Fischkonsum in Europa füllen ließen.

Die somalischen Küstenfischer, die sich in Gruppen wie der »Küstenwache« organisierten, wollten wenigsten einen Teil der Gewinne aus dem gestohlenen Fisch in die Fischerdörfer lenken – durch das Kapern und »Besteuern« der Trawler. Der Erfolg ihrer Aktionen lockte finanzstarke Warlords im regierungslosen Somalia an. Deren Milizen sind es, die die schweren Waffen besorgten, deren Hintermänner sind es, die die internationalen Finanztransfers regeln. Neue maritime und militärische Technologie (Schnellboote und moderne Waffensysteme) gekoppelt mit den nautischen Kenntnissen der Fischer ermöglichten es, immer weiter in den Golf von Aden einzudringen und Erlöse zu erzielen, von denen die Kleinfischer für ihre früheren Fangaktivitäten nur träumen konnten.

Es kam der EU, der NATO und auch den neuen maritimen Weltmächten, der VR China und Indien, nie in den Sinn, ihre eigenen »Fischpiraten« vor der somalischen Küste zu bekämpfen. Im Gegenteil, ihre Häfen – etwa in Europa Las Palmas (Kanarische Inseln) – dienen als Geldwaschanlagen dieser räuberischen Fischerei. Jetzt patrouillieren alle gemeinsam auf der Jagd nach den Piraten und sichern, wie Berichte der französischen Marine zeigen, genau diese illegale Fischereipraxis militärisch ab. Denn die Fischpiraten werden zwar, wie schon von der im Rahmen von »Enduring Freedom« durchgeführten Marineoperation am Horn von Afrika gegen den internationalen Terrorismus, gelegentlich angehalten, wenn Verdacht besteht, sie könnten Waffen an Bord haben. Haben sie nur geraubten Fisch an Bord, lässt man die Schiffe unbehelligt weiter ziehen. Die gleiche Verhaltensregel gilt nun auch für die NATO-Aktion »Atalanta«.

Europäische Fischpiraten werden vor somalischen Kriminellen geschützt. Es ist kaum zu erwarten, dass die EU/NATO dafür an der Küste viel Verständnis findet. Wie unzählige Male schon seit dem Sturz der Regierung vor 18 Jahren werden den Menschen an den Küsten zwar entwicklungspolitische Programme für einen Ausstieg aus der Piraterie angeboten. Doch rasches Handeln sehen sie nur dann, wenn es um den Schutz der Interessen der Industrieländer geht.

Sicherheitsdiensten im Luxus leben“. Seit Jahren kämpfen sowohl zivilgesellschaftliche als auch staatliche Akteure gegen Korruption und Machtmissbrauch und haben in letzter Zeit einige Erfolge verbuchen können. So wurden mehrere Gouverneure von Bundesstaaten im letzten Jahr ihres Amtes enthoben, nachdem Gerichte ihnen Wahlbetrug nachgewiesen hatten. Trotzdem prangert Amaechi die Ungerechtigkeit an, die der Ölreichtum des Landes den Menschen in Nigeria gebracht hat: „Seit das Wettrennen auf das nigerianische Öl in den 1950er Jahren begonnen hat“, so Amaechi, „wurden Hunderte Millionen Dollar verschwendet, durch Misswirtschaft vergeudet, wurde der Reichtum des Landes von korrupten Behörden und Politikern ausgeplündert. Während diese korrupten Eliten das Leben in ihren teuren Villen in vollen Zügen genießen, leben die Menschen in den Dörfern wie Ogboinbiro, einem Fischerdorf in Nigerias südwestlicher Ecke, in Lehmhütten unter steinzeitlichen Bedingungen“.

Erst kämpften Rebellengruppen wie die MEND (Movement for the Emancipation of the Niger Delta) für eine Beteiligung der Bevölkerung an den Gewinnen aus dem Ölgeschäft und entführten dafür Mitarbeiter ausländischer Ölgesellschaften. Danach verlegte man sich auf das Ausrauben von Schiffen, die Nachschub für die Ölindustrie bringen. Mit moderner Bewaffnung – aus den Rauberlösen finanziert – werden heute gleich ganze Schiffe gekapert und Lösegelder erpresst. In den schwierigen Gewässern am Nigerdelta und den undurchsichtigen Mangrovenwäldern sind natürlich die Kenntnisse der Kleinfischer gefragt. Es darf aber bezweifelt werden, dass die Bevölkerung aus den Einnahmen dieses modernen Geschäftsbereichs einen Nutzen hat.

Die Ölgesellschaften reagieren mit der Aufrüstung der Sicherheitskräfte auf ihren Schiffen und Ölplattformen und machen es den geschäftsmäßig agierenden Piraten immer schwieriger. Diese gehen jetzt dazu über, nigerianische Fischkutter zu kapern. Deren Ausrüstung und Bargeld wird geraubt oder gar ganze Boote entführt. Das hatte bereits in Lagos einen Mangel an Frischfisch zur Folge, den die Regierung durch Importe auszugleichen versucht. Zusätzlich rüstet nun auch die Küstenwache auf, um diese »Binnenpiraterie« zu beenden. Wer Nigeria und seine fragile innenpolitische Situation kennt, weiß um die Explosivität dieser Situation. Dass es noch nicht zu massiven Gewalteskalationen gekommen ist, liegt vor allem daran, dass die nigerianische Regierung im Nigerdelta bisher nicht sehr effektiv vorgeht. Sie hält sich offensichtlich zurück, solange die Ölexporte nicht wirklich gefährdet werden.

Anmerkungen

1) http://www.stern.de/panorama/:Piraten-Somalia-Frueher-Fischer/647843.html

2) http://news.bbc.co.uk/2/hi/africa/7623329.stm

3) Andrea Böhm und Heinrich Wefing: Wer ist hier der Pirat? in DIE ZEIT, 27.11.2008 Nr. 49 http://www.zeit.de/2008/49/Piraten (eingesehen am 29.12.2008).

Francisco Mari ist Experte für Landwirtschaft, Agrarexport und Fischerei. Er unterstützt Kleinbauern und Kleinfischer in Westafrika, sich zum Schutz ihrer Lebensgrundlagen und Durchsetzung ihrer Interessen zu organisieren. Er ist Mitarbeiter des Referats Entwicklungspolitik des Evangelischen Entwicklungsdienstes (EED). Dr. Wolfgang Heinrich verfolgt seit über 25 Jahren die politischen Entwicklungen am Horn von Afrika. Er ist im Referat Entwicklungspolitik des EED zuständig für Fragen der zivilen Konfliktbearbeitung und entwicklungspolitischen Friedensarbeit.

Ressourcenkonflikte in Afrika

Ressourcenkonflikte in Afrika

von Jürgen Oßenbrügge

Die Ressourcenabhängigkeit afrikanischer Staaten wird im entwicklungspolitischen Diskurs als Auslöser verschiedener wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Probleme angesehen. Ressourcenprobleme entladen sich häufig auch in militanten Auseinandersetzungen, Bürgerkriegen und Dauerkonflikten mit internationaler Beteiligung. Dabei können sowohl Ressourcenverknappungen als auch die Ausbeutungsformen ressourcenreicher Regionen den Ausschlag geben.

Der immer wieder aufflammende Krieg im östlichen Kongo ist als afrikanischer Weltkrieg um Rohstoffe bezeichnet worden, das Nigerdelta ist ein Prototyp für Krieg um Öl, der Darfurkonflikt gilt als erster Klimakrieg, die Bezeichnung Blutdiamanten spricht für sich selbst. Es ist nahe liegend, das Krisen- und Konfliktgeschehen in Afrika als Ausgangspunkt für Überlegungen darüber zu wählen, in welchen Formen Ressourcen als Ausgangspunkt für konflikthafte Zuspitzungen und gewaltförmige Auseinandersetzungen anzusehen sind. Dieses soll hier in zwei Schritten erfolgen. Zunächst wird auf das Argument des »Ressourcenfluchs« eingegangen. Hierzu besteht eine breite Forschung, deren Ergebnisse am Beispiel der weltwirtschaftlichen Integration der Kriege im Kongobecken dargestellt werden. Danach werden Konflikttypen präsentiert, die auf Verknappungsphänomene zurückgeführt werden können. Hier werden Beispiele aus Kenia verwendet.

Der Ressourcenfluch als Konfliktursache

Die heutige Debatte über »schwache Staaten« beruht im afrikanischen Kontext häufig auf einem Faktorenkomplex, der mit der Bezeichnung »Ressourcenfluch« die scheinbar paradoxe Wirkung eines natürlichen Reichtums betont. Die Argumentationskette kann vereinfacht folgendermaßen zusammengefasst werden: Ressourcenreiche Staaten realisieren durch den Export des Rohöls oder der Mineralien hohe Renten. Diese werten die einheimische Währung auf, wodurch sich einerseits Exporte der weiterverarbeitenden Güter verteuern, andererseits Importe billiger werden. Beide Wirkungen befördern die monostrukturelle Abhängigkeit von Primärgütern und erhöhen die Anfälligkeit von Preisschwanken für Rohstoffe. Weiterhin etablieren sich Bereicherungsnetzwerke, die sich die Renten überproportional aneignen und entsprechende politische Macht ausüben. Diese Verteilungsmuster führen zu ausgeprägten gesellschaftlichen Polarisierungen und behindern die Ausbildung einer starken Staatlichkeit und damit Möglichkeiten, die partikulare Rentenaneignung zu unterbinden. Folglich sind ressourcenreiche Staaten in Afrika fragil und latent gewaltsamen Konflikten ausgesetzt (Kappel 1999, Auty 2004, Bulte u.a. 2005).

Politische Geographie des Ressourcenfluchs

Die Wahrscheinlichkeit, dass Ressourcenreichtum politische Verwerfungen und gewaltsame Konflikte auslöst oder zumindest beschleunigt, wird durch weitere geographische Faktoren verstärkt. Eine interessante Typologie hat beispielsweise Le Billon (2004) vorgelegt, der zwischen der Art der Lagerstätten und regionalen geopolitischen Ausstattungsmerkmalen unterscheidet. In Hinblick auf Lagerstätten sieht er eine wesentliche Differenzierung, ob es sich um sogenannte »point resources« handelt, d.h. Lagerstätten, die von einem oder wenigen Standorten mit hohem Kapitalaufwand erschlossen werden müssen. Dieses ist beispielsweise bei der Mineralölförderung oder großen Erzlagerstätten der Fall. Solche Ressourcenextraktion kann staatlicherseits vergleichsweise leicht kontrolliert werden. Eine Übernahme durch gegnerische Parteien setzt die territoriale Kontrolle der Lagerstätten voraus und ist daher verbunden mit Bestrebungen zur Sezession, wie es beispielsweise in Nigeria, im Sudan oder in Angola mit unterschiedlichen Ergebnissen versucht worden ist. Die zweite Kategorie bilden die sogenannten »diffuse resources«, also Rohstoffe, die vergleichsweise großflächig verteilt sind und daher leicht extrahiert werden können. Dazu gehören hochwertige Mineralien, aber auch wertvolle Holzbestände oder der Anbau pflanzlicher Drogen. Um die Ausbeutung derartiger Ressourcenbestände haben sich besonders im Kongo, aber auch in westafrikanischen Konfliktgebieten lokale Kriegsökonomien entwickelt, in denen sich gewaltsame Auseinandersetzungen mit ressourcenbezogenen Geschäftsinteressen vermischen. Besonders alluviale Fundorte für Gold und Diamanten, aber auch Coltan und Zinnstein sind häufig auch Standorte von lokalen und regionalen »Warlords« mit ihren Söldnern, die über schattenökonomische Netzwerke an die Weltwirtschaft angeschlossen sind und auf diese Weise ihr Kriegsgeschäft finanzieren.

Neben der Art der Lagerstätten ist auch die Frage entscheidend, ob der Staat sein Gewaltmonopol territorial durchsetzen kann. Im afrikanischen Kontext ist die innerstaatliche Geopolitik fragmentiert. Schwer zugängliche Gebiete, poröse Grenzen, aber auch große Distanzen, die Erreichbarkeitsbarrieren darstellen, geben den Raum für die Entfaltung gewaltbereiter Gruppen. Während die Förderstandorte von Öl noch vergleichsweise leicht zu kontrollieren sind, können beim Transport zu den Exportterminals wie in Nigeria Zugriffe erfolgen. Flüsse, Berge, Urwälder sowie die Möglichkeiten der Distanzüberwindung (Verkehrsinfrastruktur) bilden einen wesentlichen Faktorenkomplex, der erklären hilft, warum, wo und in welcher Intensität und Dauer Konflikte um die Extraktion und den Transport von Ressourcen auftreten.

Ressourcenfluch: Konflikte um Mineralien in der Demokratischen Republik Kongo

Ressourcenbezogene Konflikte haben in der DR Kongo eine lange und sehr gewalttätige Tradition. Diese begann mit der brutalen Ausbeutung der Rohstoffe durch den belgischen König Leopold II (v.a. Kautschuk und Elfenbein). Sie setzte sich im 20. Jahrhundert als belgische Staatskolonie und während der Unabhängigkeit Kongos (Zaire) in der Kleptokratie Mobutus fort. Internationale Verflechtungen der Rohstoffwirtschaft spielen auch in den jüngeren Konflikten eine Rolle, die im Zuge der Flüchtlingsbewegungen aus Ruanda und dem Aufstand gegen Mobutu Mitte der 90er Jahre ausgebrochen sind. Eine ergiebige Informationsquelle zur Aufdeckung dieser Bereicherungsnetzwerke jenseits gewalttätiger Warlords und lokaler Milizen stellt das »Panel of Experts on the illegal exploitation of the natural resources and other forms of wealth of the Democratic Republic of Congo« dar (Oßenbrügge 2007). Diese Expertengruppe ist von den Vereinten Nationen im Jahr 2000 eingesetzt worden und hat bis Ende 2003 die weltwirtschaftlichen Beziehungen der Kriegsökonomien in Zentralafrika untersucht. Sie hat aufgezeigt, dass die Ausbeutung von Diamanten, Gold, Coltan, Zinnstein und Kupfer mit ihren gewalttätigen Begleiterscheinungen im hohen Maße außengesteuert erfolgt, was die Expertengruppe sehr anschaulich an der Produktions- und Wertekette von Coltan aus dem Ostkongo aufzeigt.

Die Coltanvorkommen im östlichen Kongo entsprechen nach der Einteilung von Le Billon dem Typ disperser, staatsferner Ressourcen und sind mit vergleichsweise einfachen Gerätschaften zu heben. Coltan erzielte Anfang 2000 Rekordpreise auf den internationalen Märkten. In dieser Zeit intensivierten sich die ressourcenbezogenen Auseinandersetzungen im östlichen Kongo und besonders Milizen mit Unterstützung aus Ruanda und Uganda begannen im großen Stil die Coltanlager zu plündern bzw. den Abbau zu organisieren. Ein wichtiger Indikator dafür sind die Exportzunahmen aus den Nachbarländern. Sie belegen, dass Coltan aus dem Kongo geschmuggelt und aus den Nachbarländern als legalisierter Rohstoff auf den Weltmarkt gebracht worden ist. Mit dem in Analogie zur Geldwäsche gefassten Begriff »Ressourcenwäsche« lässt sich dieser Zusammenhang beschreiben, denn der grenzüberschreitende Schmuggel und die geringe Kontrolle bzw. die Unterstützung staatlicher Stellen der Nachbarstaaten verleihen den Ressourcen eine Herkunft aus konfliktfreien Staaten und können daher – politisch korrekt – von internationalen Unternehmen weiterverarbeitet werden (vgl. Global Witness 2005; Human Rights Watch 2005).

Vor dem Hintergrund der transnationalen Akteurs- und Produktionsnetze, die Gewaltmärkte prägen, sind Kriegsökonomien als »gewaltsame Knoten in globalen Netzwerken« anzusehen. Denn nur über die »erfolgreiche« Integration der gewaltförmigen Extraktion von Ressourcen ist diese Form der Kriegsökonomie aufrecht zu erhalten. Hinzu kommt, dass globale Vernetzungen auch Voraussetzungen für Gewaltmärkte sind, indem besonders Kleinwaffen und logistisches Material in die Krisengebiete geliefert werden. Wenn Ressourcen wie Coltan, Gold, Diamanten, Öl etc den Output der Gewaltmärkte bilden, sind Handfeuerwaffen, Landminen, Fahrzeuge und manchmal auch die Kombattanten notwendige Elemente des Input. Die verschlungenen Wege der Ausrüstungsgegenstände in die Konfliktregionen und der nichtformellen Ressourcen in die Weltwirtschaft und die dabei auftretenden Formen der Ressourcenwäsche sind bisher eher unterbelichtete Forschungsfragen. Einige Autoren wie z. B. Carolyn Nordstrom (2004) gehen in ihrer Interpretation afrikanischer Gewaltökonomien soweit, in diesen Netzwerkkonfigurationen ein strukturierendes Moment zukünftiger globaler Veränderungen zu sehen: „Man mag der Meinung sein, dass sich die Internationalisierung am stärksten in den kosmopolitischen Zentren dieser Welt manifestiert. Aber vielleicht sind Mozambique und Angola, Afrika und Asien die Orte, wo die neuen Machtkonstellationen, die die Welt prägen, am deutlichsten sichtbar sind“ (Nordstrom 2004:130f.).

Ressourcenverknappung als Konfliktursache

Neben der These des Ressourcenfluchs wird seit einigen Jahren auch das Argument der Ressourcenverknappung verfolgt. Dabei bilden zwei Überlegungen den Ausgangspunkt für Erklärungen von Ressourcenkriegen. Die erste knüpft an Erscheinungsformen des globalen Wandels an und leitet bestehende und zukünftige Ressourcenkonflikte aus der abnehmenden Verfügbarkeit von Süßwasser, zunehmender Bodendegradation und häufigerem Auftreten von Extremereignissen wie Dürre, Stürmen oder auch Starkregen mit Überschwemmungen ab. Die Forschungsergebnisse von Th. Homer Dixon und G. Baechler haben bereits in den 1990er Jahren auf Folgen derartiger Verknappungen aufmerksam gemacht, die zur gewaltsamen Aneignung verbliebener Ressourcen durch einzelne Gruppen, Clans oder Ethnien führen. Die Szenarien, die dem Klimawandel zugeschrieben werden, ergeben weitere Brennpunkte in Afrika, so beispielsweise in Nordafrika, in der Sahelzone, in flachen Küstenzonen des westlichen Afrikas und im südlichen Afrika mit der Ausweitung der Trockengebiete der Kalahari (WBGU 2007, Scheffran 2008). Das zweite Argument zielt auf das demographische Wachstum ab und verweist auf das Überschreiten der regionalen Tragfähigkeit, die sich in einem Kampf um landwirtschaftlich nutzbares Land, um energetische Rohstoffe oder um den Zugang zu Wasser und Nahrungsmitteln artikuliert. Allerdings ist der Begriff der Tragfähigkeit schwierig und sollte nicht als absolut bestimmbare Größe angesehen werden. Auslöser von Konflikten sind in der Regel umstrittene Verfügungs- und Eigentumsrechte um Wasserressourcen oder um Land. Unabhängig davon sind aus dem Zusammenspiel geo- und bioökologischer Veränderung und dem demographischen Wachstum erhebliche Folgeeffekte für afrikanische Gesellschaften zu erwarten, die das Potential für zukünftige auch gewaltsam ausgetragene Konflikte erhöhen.

Ressourcenverknappung: Konflikte um Land und Wasser in Kenia

Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen hat in einer aktuellen Nachricht vom 2. Februar 2009 gemeldet, dass es im Nordosten Kenias zu zahlreichen gewalttätigen Konflikten besonders zwischen Viehzüchtern wegen der anhaltenden Trockenheit kommt. Die Auseinandersetzungen haben zu zahlreichen Toten, Vertriebenen und Flüchtlingen sowie zu Folgeproblemen der Nahrungsmittelversorgung und medizinischen Hilfe geführt. Derartige Konflikte sind leider nicht neu, sondern wiederkehrendes Moment der Dürregefahren in ariden und semiariden Regionen. Die regionale Vulnerabilität Kenias ist allerdings differenzierter und Möglichkeiten zur Identifizierung besonderer Problemräume lassen sich anschaulich am Vorgehen einer Arbeitsgruppe der Universität Mailand aufzeigen. Sie nutzen das Konfliktmodell von Thomas Homer Dixon (1999), das Konfliktkonstellationen auf drei Ursachen komplex zurückführt: a) Knappheiten durch zunehmende Nachfrage nach Ressourcen, die durch hohes Bevölkerungswachstum hervorgerufen werden; b) Angebotsverknappung durch Veränderungen der geo- und bioökologischen Systeme; c) gesellschaftliche Ungleichheit in Form von Einkommensdisparitäten und Verfügungsrechten.

Das gewählte Vorgehen zur Aufdeckung latenter Regionalkonflikte basiert auf der Integration raumbezogener Daten in einem Geographischen Informationssystem (GIS). Dadurch wird eine kartographische Zusammenschau verschiedener Einzelkarten ermöglicht, die Bodendegradation, Wasserpotential, Entwaldung, Bevölkerungsvariablen sowie Entwicklungsindikatoren abbilden. GIS-Anwendungen erlauben somit eine Annährung an mögliche Konfliktregionen unter dem Gesichtspunkt der Ressourcenverknappung. Sicherlich ist der Ausbruch eines gewaltsamen Konflikts von weiteren Faktoren abhängig, die sich nicht einfach kartographisch lokalisieren lassen, aber als Werkzeug für die Benennung von Maßnahmen der Konfliktprävention und der Modellierung verschärfender Effekte des Klimawandels sind derartige Systeme hilfreich.

Konfliktursache Kenia: Potentielle Konfliktregion
  Mount Kenya Mount Elgon / Viktoriasee Mombasa Nordgebiete (östlich des Turkanasees Somalisch-äthiopischer Grenzsaum
Nachfrageinduzierte Knappheit
Bevökerungsdichte und -wachstum Hohe Dichte / starkerAnstieg Hohe Dichte / starker Anstieg Hohe Dichte in der Stadtregion Geringe Dichte Geringe Dichte
Angebotsinduzierte Knappheit
Böden Hohe / zunehmende Bodendegradation Hohe / zunehmende Bodendegradation Geringe Degradation Degradation durch Überweidung Degradation durch Überweidung
Wasser Folgeeffekte der Gletscherschmelze Knappheiten Knappheiten Wassermangel Wassermangel
Wald Massive Entwaldung Massive Entwaldung Nicht vorhanden Nicht vorhanden Nicht vorhanden
Ungleichheit
  Gebiete mit relativer Deprivation Sozialräumliche Ungleichheiten Gebiete mit relativer Deprivation Verbreitete Armut Sozialräumliche Ungleichheiten
Tabelle: Identifikation potentieller Ressourcenkonfliktregionen in Kenia nach Bocchi u.a. 2004

Die in der Tabelle aufgezeigten potentiellen Konfliktregionen Kenias verweisen auf drei mögliche Konflikttypen, die sich in Afrika als Folge von Ressourcenverknappungen ergeben können. Der erste Typ nimmt die eingangs geschilderten gegenwärtigen Gewaltformen auf, die in den Nordregionen Kenias und dem nordöstlichen Grenzsaum zu Somalia zu finden sind. Hier führen geo- und bioökologische Angebotsverknappungen zu Konflikten besonders um den Zugang zu Wasser und Weideflächen. Als Gewaltakteure können hier Gruppen mit gleichen ökologischen Raumansprüchen (Viehzüchter) und konfligierenden Landnutzungsinteressen (Viehzüchter gegen Ackerbauern) auftreten. Derartige Konflikte bilden auch einen wichtigen Hintergrund für den Krieg im Darfur und finden sich in unterschiedlichen Intensitätsstufen in den tropischen und subtropischen Trockenräumen, die durch Dürre- und Desertifikationserscheinungen geprägt sind.

Der zweite Typ veranschaulicht den demographisch-ökologischen Verknappungskonflikt, der durch Bevölkerungswachstum (Kombination aus natürlichem Bevölkerungswachstum und Zuwanderung) und die Überbeanspruchung bestehender ökologischer Potentiale hervorgerufen wird. Entscheidend ist hier der konkurrierende Zugang zur landwirtschaftlichen Nutzfläche, der Landkonflikte erzeugt. Neben den konfliktträchtigen, allerdings auch abnehmenden Möglichkeiten zur inneren Kolonisation, d.h. die Erweiterung agrarwirtschaftlicher Nutzfläche durch Rodung von Primärwälder, spielen auch Landrechte eine große Rolle, da sie über die Verteilungs- und Zugangsmodi entscheiden. In Kenia bestehen private, staatliche und diverse traditionelle Landrechte nebeneinander, auf die sich Akteure im Konfliktfall berufen und gewalttätige Aktionen legitimieren. Ähnliches gilt für unterschiedliche ethnisch oder territorial definierte Gemeinschaften, die angestammte Rechte zur Geltung bringen. Derartige demographisch-ökologische Konflikte finden sich nicht nur in Kenia am Berg Elgon, sondern im gesamten zentralafrikanischen Konfliktraum und auch im feuchttropischen Westafrika. In einer beeindruckenden Studie weisen André und Platteau (1998) nach, dass Zugang zu Land auch im Hintergrund des Genozids in Ruanda 1994 eine wichtige Rolle gespielt hat.

Urbane Räume stellen den dritten Typ potentieller Konfliktregionen dar, die von Ressourcenverknappungen massiv betroffen sein können und in denen als Folge massive gewaltförmige Auseinandersetzungen ausbrechen können. Mombasa steht hier stellvertretend für die Proteste und Revolten, die als Folge der Preiserhöhungen und Knappheiten in verschiedenen afrikanischen Städten aufgetreten sind. Sicherlich handelt es sich dabei um vermittelte Konflikte, die nicht linear auf umliegende Ökosysteme zurück bezogen werden können. Jedoch ist die Ressourcenlage für urbane Räume angesichts der rapiden Verstädterung in Afrika und der schnell anwachsenden und sich räumlich ausbreitenden Stadtregionen generell sehr prekär.

Fazit

Die Geschichte der Kolonisierung Afrikas, das Eindringen der Siedler und die koloniale Aufteilung im Zuge der Berliner Konferenz 1884/85 ist gleichzeitig eine Geschichte der Aneignung von Ressourcen durch externe Akteure und Mächte. Gewalttätige Beziehungen bei der Extraktion von Rohstoffen, der territorialen Kontrolle und dem Transport von Rohstoffen und harte Konflikte über die Aneignung und Verteilung der Renten gehören seit Jahrhunderten zur afrikanischen Alltagsrealität. Diese problematischen Strukturen haben sich in der postkolonialen Phase nahezu ungebrochen fortgesetzt und damit von Beginn an die Eliten in den nun formal unabhängigen Staaten kompromittiert und auf struktureller Ebene verhindert, dass sich Formen moderner Staatlichkeit ausbilden konnten. Gegenwärtig erfahren die Ressourcenbestände in Afrika durch das zunehmende Interesse der USA, Europas und neuerdings Chinas an Rohstoff- und Energiesicherung eine geopolitische Neubewertung (Kneissl 2008). Neue Verbindungen von Militär- und Entwicklungspolitik bilden sich aus und artikulieren sich beispielsweise in Forderungen nach robusten Eingriffsrechten von Blauhelmsoldaten, um illegale Ressourcenausbeutungen zu unterbinden oder in der Errichtung eines eigenständigen U.S. Kommandos AFRICOM, um die Präsenz der USA in Afrika zu erhöhen wie in verschiedenen Initiativen der EU, eine aktive Energiesicherheitspolitik zu etablieren. Neben der in diesem Beitrag in den Vordergrund gestellten lokalen und regionalen Ebene besteht demnach ein geopolitischer Diskurs, der auf die Interventionsbereitschaft der Welt- und Großmächte abzielt. Die militärische Option scheint für sie nach wie vor naheliegender zu sein als die Abkehr von ressourcenintensiven Entwicklungsstilen. Dieses steigert sich zu einem schwer erträglichen Zynismus, wenn der im Norden verursachte Klimawandel zur sicherheitspolitisch legitimierten Kontrolle der Ressourcenverknappung im Südens aufruft (vgl. dazu Beiträge im Friedensgutachten 2008, v.a. Brzoska).

Literatur

André, Catharine/Platteau, Jean (1998): Land relations under unbearable stress: Rwanda caught in the Malthusian trap. Journal of Economic Behavior and Organization 34 (1), 1-47.

Auty, Richard M. (2004) Natural Resources and Civil Strife: A Two-Stage Process. Geopolitics 9, 29-49.

Bocchi, Stefano/Disperati, Stefano/Rossi, Simone (2006): Environmental Security: A Geographic Information System Analysis Approach – The Case of Kenya. Environmental Management 37 (2), 186–199.

Brzoska, Michael (2008): Der konfliktträchtige Klimawandel – ein Sicherheitsproblem. Friedensgutachten 2008, 195-207

Bulte, Erwin H./Damania, Richard/Deacon, Robert T. (2005): Resource Intensity, Institutions and Development. World development 33 (7), 1029-1044.

Global Witness (2005): Same Old Story. A background study on natural resources in the Democratic Republic of Congo. Washington D.C.

Homer-Dixon, Thomas (1999): Environment, Scarcity, and Violence. Princeton, NJ.

Human Rights Watch (2005) The Curse of Gold. Democratic Republic of Congo. New York.

Le Billon, Phillip (2004): The Geopolitical Economy of Resource Wars. Geopolitics 9, 1-28.

Kappel, Robert (1999): Wirtschaftsperspektiven Afrikas zu Beginn des 21. Jahrhunderts: Strukturfaktoren und Informalität. In: ders. (Hrsg.): Afrikas Wirtschaftsperspektiven. Strukturen, Reformen und Tendenzen. Hamburg.

Kneissl, Karin (2008): Die neue Kolonialisierung Afrikas: China, die USA und Europa im Kampf um die Rohstoffe. In: Österreichisches Studienzentrum für Frieden und Konfliktlösung (Hrsg.) Von kalten Energiestrategien zu heißen Rohstoffkriegen? Münster: LIT, S.177-191.

Nordstrom, Carolyn (2005): Leben mit dem Krieg. Menschen, Gewalt und Geschäfte jenseits der Front. Frankfurt.

Oßenbrügge, Jürgen (2007): Ressourcenkonflikte ohne Ende?. Zur Politischen Ökonomie afrikanischer Gewaltökonomien. Zeitschrift für Wirtschaftsgeographie 51, 150-162.

Scheffran, Jürgen (2008): Climate Change and Security. Bulletin of the Atomic Scientists 64, 19-25.

WBGU (Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung – Globale Umweltveränderungen) (2007): Welt im Wandel: Sicherheitsrisiko Klimawandel. Berlin.

Prof. Dr. Jürgen Oßenbrügge lehrt Wirtschaftsgeographie und Politische Ökologie an der Universität Hamburg mit Schwerpunkten zur Stadt- und Konfliktforschung europäischer und afrikanischer Regionen.